p-4cr-2O. A. FriedrichsH. CorneliusA. MartyK. GebertE. Schrader    
 
CHRISTOPH SCHWANDTKE
Philosophie des "es ist"

"Noch heute spricht jedes Kind von bösen und guten Handlungen von Tieren, ja auch von unbelebten Dingen und was uns jetzt als Kindesgedanke erscheint, war ehedem Wissenschaft und Dogma."

"Warum kommen denn verschiede Menschen zu gleichen Istsätzen über ein Naturgeschehen? Darauf kann nur gesagt werden: weil sie gleiche Feststellungsmethoden besitzen und gleiche Sinneseindrücke haben. Fragt man nun aber folgerichtig weiter nach dem Grund dieser Gleichheit, so läßt sich diese Frage nicht beantworten; denn die übliche Ableitung aus dem Naturgeschehen haben wir ja als falsch erkannt."

"Der Anspruch eines Bewußtseinsinhaltes als typisch zu gelten, d. h. von einem anderen Menschen zu dem seinen gemacht zu werden, kann sich darauf gründen, daß beide Menschen schon eine Menge gleicher oder doch sehr ähnlicher Bewußtseinsinhalte haben. Dies hat keinen objektiven Sinn, spielt aber im Leben eine große Rolle."

Man kann sagen, daß alle Philosophie immer im letzten Grund den Versuch bedeutet, Fragen nach dem gegenseitigen Verhältnis einer gewissen Zweiheit aufzuwerfen und zu lösen. So kann das Verhältnis von Schöpfer zum Geschaffenen auf eine besonders lange und an Lösungsversuchen reiche Geschichte blicken.

Heute kann man die Frage nach dem gegenseitigen Verhältnis von Naturgeschehen und Bewußtsein besonders im Vordergrund philosophischer Erörterung finden. In der Tat scheint es schwierig genug, und man wird daher den Versuch nicht für trivial halten, ihm im Folgenden in einer, wie ich glaube, besonders einfachen Art beizukommen.

Die übliche Fragestellung geht besipielsweise so vor: Hier geschieht eine sehr lebhafte Oxidation von brennbarer Materie, dabei geraten die letzten Bestandteile (Elektronen) der beteiligten Stoffe in lebhaftes Zittern und Schwingen, und ähnlich wie das Schwingen der gröberen Teile etwa einer Metallplatte die Luft in Schallschwingungen versetzt, so gerät beim Schwingen der Elektronen der Äther in Schwingungen und eine gewisse Sorte solcher Wellen vermag die Nervenenden unserer Netzhaut zu reizen, wenn die optische Apparatur des Auges ein Flammenbildchen auf der Netzhaut erzeugt. Die gereizte Gruppe von Netzhautelementen, von denen jedes als durch Nervenfasern mit den Ganglienzellen der Sehsphäre des Gehirns verbunden beobachtet wurde, lösen nun in diesen Fasern und Zellen gewisse physikalisch-chemische Vorgänge noch recht unbekannter Art aus, die ihrerseits in einer von der Vorgeschichte und den augenblicklichen Bedingungen der Gehirntätigkeit abhängigen Weise gewisse motorische Zentren reizen und damit Muskelbewegungen hervorrufen.

Man sieht in der Tat, daß alle Fragestellungen und Antworten, die sich hier finden lassen, rein in das Gebiet messender und zeichnender Naturwissenschaft gehören, und niemand darf leugnen, daß die Betrachtung der Gehirnprozesse rein als physikalisch-chemisches Geschehen bereits die wertvollsten Ergebnisse gezeitigt hat und immer neue erhoffen läßt.

Wo bleibt bei all diesen schönen Untersuchungen und Ergebnissen das durchaus unmeßbare Bewußtsein? Es kommt immer in einer höchst unglücklichen Weise nachgeklappert, und ich zumindest vermag in den beiden hauptsächlichsten der darüber bestehenden Theorien des Parallelismus und Monismus nichts anderes zu sehen, als einen großartigen Dispens [Befreiung - wp] für den Naturforscher davon, sich bei derartigen Forschungen um diesen unfaßbaren Begriff kümmern zu müssen.

Trotzdem häufen sich die Fragen nach dem Verhältnis von physischem Geschehen und Bewußtsein von Tag zu Tag, und wir sehen die moderne Tierpsychologie sich zu einer neuen und besonders reichlichen Quelle dafür entwickeln.

Wir wollen nicht versuchen, den verschiedenen Lösungsversuchen einen neuen hinzuzufügen, sondern statt dessen zum Anfang zurückzukehren und die dort so ohne weiteres als letzte Gegensatzbegriffe aufgestellte, Zweiheit von Naturgeschehen und Bewußtsein etwas unter die kritische Lupe zu nehmen.

Alle Fragestellungen der Naturwissenschaft lassen sich auf die Form bringen: was ist?, wo ist?, wann ist?, wie ist?, warum ist?, und alle Antworten und Ergebnisse lassen sich ebenso leicht auf die Form bringen: Es ist ... Nun müssen wir prüfen, ob sich überhaupt noch eine andere Fragestellung finden läßt, die sich als von dieser zugleich unabhängig und ihr übergeordnet erweisen könnte.

In der Tat genügt dieser Anforderung die einfache Fragestellung: was heißt "es ist"? Dieser Fragestellung steht nun nicht mehr die Natur als Objekt gegenüber, sondern die Gesamtheit aller Istsätze. Um diese Fragestellung nun als die aller Philosophie notwendig grundlegende kennzeichnen zu können, muß zuerst betont werden, daß die Antwort auf sie von keinem naturwissenschaftlichen Ergebnis abhängt und also auch von keinem solchen angefochten werden kann, was offenbar daraus folgt, daß sie an jedes solche angeknüpft werden kann. So hat die Antwort auf diese Frage den Vorteil, auf eine vom Forschritt menschlicher Erfahrung unabhängige, absolute Geltung Anspruch erheben zu können.

Wenn man die Zweiheit: Natur - Bewußtsein durch die neue: Gesamtheit aller Istsätze - Bewußtsein verdrängen will, so muß der Einwand abgewiesen werden, als ob es sich nun vielmehr um die Dreiheit: Natur - Gesamtheit aller Istsätze - Bewußtsein handeln muß. Dieser Einwand muß als ganz haltlos genannt werden, denn wenn ich an die Natur denke oder über sie, dann denke ich Istsätze, und so würde ein Überlegen des Verhältnisses von Natur zur Gesamtheit aller Istsätze ein Gegenüberstellen einiger Istsätze und der Gesamtheit derselben bedeuten, was uns offenbar keinen Schriftt weiter bringt.

Wir erkennen also bisher: es gibt ein Fragen, das über das Fragen der Naturwissenschaft hinausgeht, und dafür löst sich der Begriff der "Natur" auf in den der "Gesamtheit unserer Istsätze".

Nun wollen wir die Frage: was heißt es ist? beantworten. "Es ist" heißt "man hat festgestellt". Wir wählen lieber die Form: man statt: der Mensch, weil wir sowohl das subjektive Feststellen eines Einzelnen als das objektive - wissenschaftliche Feststellen einer Sachverständigengemeinschaft umfassen wollen, doch wollen wir immer in erster Linie an den letzten Fall denken.

Man kann an dieser Stelle noch einmal besonders schlagend beweisen, daß für unsere Fragestellung nur die Zweiheit: Istsätze - Bewußtsein einen Sinn hat, nicht die: Istsätze - Natur; man muß dann nämlich weiter fragen: wer stellt fest? - das menschliche Gehirn oder das menschliche Bewußtsein? Versucht nun jemand hierauf die erste Antwort, so wählt man irgendeinen Istsatz über das Gehirn als Beispiel und ersetzt dann das "es ist" durch die gewählte Umschreibung. Man kommt dann leicht zu dem sinnlosen Satz: "der Gehirnstoffwechsel stoffwechselt über sich selber". Offenbar führt ebenso die zweite mögliche Antwort zu dem durchaus sinnvollen: das Bewußtsein weiß etwas über sich selber, wodurch sich diese Antwort also als die richtige erweist.

Wir haben damit ein Erstes erreicht: das menschliche Bewußtsein erkennen wir als das absolute Subjekt aller Istsätze. Keine Aussage - vor allen Dingen keine naturwissenschaftliche - kann diesen Satz umstoßen, denn jede läßt sich selbst ohne Änderung des Sinnes in die Form eines Istsatzes bringen, und auch als dessen Subjekt ergibt sich das Bewußtsein.

Damit haben wir den Idealismus in vielleicht einfachster Weise begründet. Nachdem wir uns so des Subjekts aller Istsätze versichert haben, dürfen wir weiter nach den Objekten fragen, und wir finden da offenbar, daß nicht nur alles Physische, sondern auch das Bewußtsein selbst - also alles Psychische - zum Objekt gemacht werden kann. Soweit nun Psychisches zum Objekt gemacht wird, werden wir in der Tat das Recht begründen, die darüber aufzustellenden Istsätze mit den über Physisches aufzustellenden in gewisser Weise zusammenzustellen, wodurch wir den im psychophysischen Parallelismus steckenden richtigen Kern für uns retten können, aber soweit der Subjektcharakter des Bewußtseins reicht, muß es als mit allem Physischen unvergleichlich und allen darüber aufstellbaren Istsätzen übergeordnet anerkannt werden. Dieses letztere vermögen weder Parallelismus noch Monismus zu begründen.

Die nächste Frage muß nach den Methoden der Feststellung von Istsätzen gehen: Wir haben hier drei Methoden aufzuzählen:
    1. die naturwissenschaftlichen,
    2. die psychologische und
    3. die wertende Methode
Die erste besteht darin, die Fragen nach wann ist?, wo ist?, wie ist? und warum ist? zu beantworten, und es läßt sich zeigen, daß ideale Ergebnisse dieser Methode die Form von ausnahmslos gültigen Gleichungen haben müssen, in denen nur meßbare Größen vorkommen. Auf solche hin arbeitet in der Tat die gesamte Naturwissenschaft, und wir dürfen bekanntlich von manchen Teilen der Physik und Chemie sagen, daß sie sich diesem Ideal bereits nicht unerheblich genähert haben. Als Vorstufe derartiger Gleichungen werden wir Aussagen von der Form ansprechen dürfen: "jedesmal, wenn dies geschieht, dann folgt dies" - es fehlt hier eben noch die Meßbarkeit.

In der Richtung auf lauter Istsätze, die sich im idealen Fall durch Gleichungen zwischen lauter meßbaren Größen ausdrücken ließen, arbeitet auch die naturwissenschaftliche Betrachtung der Menschen und der Tiere einschließlich ihres Handelns und Denkens. Da nun Psychisches durchaus nicht gemessen werden kann (die Vorstellung einer Gleichung, in der z. B. "Bewußtsein" von a Einheiten vorkäme, hat gar keinen Sinn), so wird durchaus verständlich, daß aus den naturwissenschaftlichen Istsätzen über Tiere und Menschen Worte von psychischem Sinn möglichst herausgebracht werden; obwohl sich die biologische Wissenschaft noch nicht sehr weit in dieser Richtung entwickelt hat. Als der ideale Endpunkt dieser Entwicklung erscheint es, auch alles menschliche Geschehen restlos in physikalisch-chemische Gleichungen fassen zu können. Im Hinblick auf diesen selbstverständlich nie auch nur annähernd erreichbaren Endzustand naturwissenschaftlicher Menschenbetrachtung sagen wir: "Der Mensch ist eine physikalisch-chemische Maschine". Freilich besitzt jetzt dieses alte Wort für uns einen ganz anderen Sinn als den ursprünglichen, denn wir wissen jetzt, daß in diesem "ist" ein feststllendes Subjekt und eine Feststellungsmethode liegt, und können daher sagen:
    1. jeder Schritt auf dem bezeichneten Weg der Naturforschung bedeutet keine Verdrängung, sondern vielmehr einen Triumph des Menschengeistes, und

    2. es bedeutet dieses "ist" eine, aber keineswegs die allein mögliche und erschöpfende Betrachtungsmethode, eben die der messenden Naturwissenschaft.
Eine zweite Betrachtungsmethode und damit einen zweiten Sinn von "es ist" lieferte die Psychologie. Auch sie hat das Ziel, zu Istsätzen über Gesetzmäßigkeiten zu kommen, aber zwischen lauter nichtmeßbaren Begrifffen. Man muß diesen Unterschied heute besonders scharf betonen, wo man versucht, ihn durch doppelsinnige Worte wie "Energie" zu verschleiern; Energie einer bewegten Masse bedeutet etwas Meßbares, Energie eines Charakters bedeutet etwas durchaus nicht Meßbares.

Die beiden betrachteten Methoden können nun anläßlich derselben Sinneseindrücke angewandt werden, dies drücken wir dann so aus, daß die beiden so erhaltenen Ergebnisse Beschreibungen desselben Geschehens darstellen. Zum Beispiel anläßlich gewisser Sinneseindrücke machen wir die Feststellung: Nase und Augen dieses Hundes wurden vom Duft eines Fleischstückes und von dem von ihm zurückgeworfenen Licht getroffen, dies löste gewisse Stoffwechselvorgänge in seinem Nervensystem aus, folglich schnappte er zu. Anläßlich derselben Sinneseindrücke machen wir aber auch folgende Feststellung: Der Hund sah und roch das Fleisch, dies erregte ihm Lustgefühle, er wollte fressen, er vergaß ein Verbot ... usw. Dann sagen wir, daß die beiden Feststellungen Beschreibungen desselben Vorganges im Hund darstellen. Diese Ausdrucksweise besteht selbstverständlich zu Recht, aber man muß sich doch klar machen, daß unser philosophisches Fragen nicht an den Vorgang geht sondern an die Gesamtheit der Istsätze, und da finden wir eben zwei verschiedene Gruppen von Istsätzen einerseits nach naturwissenschaftlichen, andererseits nach psychologischen Methoden, deren Gemeinsames nur in den sinnlichen Anlässen liegt.

Nachdem wir anerkannt haben, daß beide Methoden anläßlich derselben Sinneseindrücke angewendet werden können, müssen wir fragen, ob sich da ein Vorrang der einen oder anderen aufzeigen läßt, oder ob beide notwendig verknüpft werden müssen. Darauf muß gesagt werden: es hat die Methode den Vorzug, die das kommende Geschehen mit der größeren Wahrscheinlichkeit voraussehen läßt. Um dies für Pflanzen oder sehr niedere Tiere zu erreichen, genügt die naturwissenschaftliche Methode allein, bei höheren Tieren und dem Menschen wird man beide nebeneinander gebrauchen. Diese einfache Tatsache hat zum Mißverständnis der Theorie des psychophysischen Parallelismus geführt, indem man aus dem Nebeneinander der beiden Betrachtungsmethoden ein Nebeneinander des Geschehens machte.

Wenn wir nun die beiden Methoden anwenden, so zeigt sich etwas Merkwürdiges: wir können von der Reihe der naturwissenschaftlichen Istsätze die ersten und von der der psychologischen Istsätze die letzten mit größerer Sicherheit aussprechen als immer die anderen. Da gestatten wir uns nun im täglichen Sprachgebrauch ein Vermengen beider Reihen und nehmen den Anfang aus der naturwissenschaftlichen und das Ende aus der psychologischen. Zum Beispiel: dieser Mensch hat eine gewisse Störung im Gehirn, folglich bemerken wir sein Gedächtnis geschwächt. Sicherlich hat diese Art des Kombinierens ihren guten Sinn, und sie läßt sich vielleicht nie verdrängen; aber erkenntnistheoretisch muß sie doch ganz klar in ihre Bestandteile zerlegt werden. Dann erkennt man leicht die ganze Haltlosigkeit des "Problems": wie kann das Gedächtnis (allgemein das Denken) vom Zustand des Gehirns abhängen?

Die dritte Betrachtungsmethode stellt uns schließlich das Werten dar nach richtig - falsch, gut - schlecht usw.; damit erhalten wir einen neuen Sinn für "es ist" - eben den "es ist gewertet". Wir müssen nun fragen, ob diese Methode der Betrachtung auch in all den Fällen gestattet werden kann, die einer naturwissenschaftlichen und psychologischen Methode offen stehen, und müssen diese Frage offenbar verneinen. Wir sahen, daß die naturwissenschaftliche Methode in der Aufstellung von Istsätzen über ausnahmslose Gesetzmäßigkeit über eine vollkommene Zwangsläufigkeit des Geschehens besteht. Haben wir nun aus gewissen Anlässen ein in sich so vollkommene Gruppe naturwissenschaftlicher Istsätze, daß aus ihnen künftige Sinneseindrücke mit Sicherheit vorausgesagt werden können - (unschärfer ausgedrückt: besitzen wir von einem Vorgang eine so vollkommene naturwissenschaftliche Kenntnis, daß wir künftiges Naturgeschehen sicher voraussagen können) - dann bleibt kein entweder - oder übrig. Auch in all den Fällen gilt das, wo wir solche Istsätze zwar noch nicht haben, aber doch die sichere Aussicht besitzen, früher oder später einmal zu ihnen zu gelangen. Also z. B. das Fallen eines Steines kann ich nicht werten, ich kann niemals sagen: er fällt falsch - und so in ähnlichen Fällen. Also drängt gewissermaßen die naturwissenschaftliche Methode die wertende vor sich her und entzieht ihr Gebiete, die sie früher inne hatte. Noch heute spricht jedes Kind von bösen und guten Handlungen von Tieren, ja auch von unbelebten Dingen und was uns jetzt als Kindesgedanke erscheint, war ehedem Wissenschaft und Dogma. Nun bleibt aber unbestreitbar ein Gebiet übrig, für dessen Betrachtung auch der vergleichsweise folgerichtigste Materialist und Monist auf ein Werten nicht verzichtet, das Gebiet menschlicher Betätigung, das Wort im weitesten Sinne gemeint. Nun haben wir durchaus anerkannt, daß auch über menschliches Denken und Handeln Istsätze nach naturwissenschaftlicher Methode gesucht werden dürfen und müssen (z. B. Sätze über den Gehirnstoffwechsel), und so liegt hier ein Problem vor, das wir hier klarstellen, aber noch nicht lösen wollen. Nehmen wir also an, daß wir uns des Rechts, menschliche Handlungen zu werten, versichert haben, dann haben wir also bei gewissen Sinneseindrücken Anlaß, alle drei Methoden anzuwenden. Ich wähle hier gern folgendes Beispiel:
    1. Auf dem Tisch lag ein Apfel, von ihm reflektiertes Licht fiel in das Auge des Menschen, dieser Reiz löste in seinem Nervensystem bestimmte Stoffwechselvorgänge aus, folglich bewegten sich seine Muskeln und die Finger schlossen sich um den Apfel.

    2. Der Mann hatte gewisse Sinneseindrücke (dieselben wie ich) und stellte daher fest "da ist ein Apfel", dies erweckte in ihm Erinnerungen an Lustgefühle, diese wurden zum Begehren, er empfand Befriedigung, als er den Apfel in seinem Besitz fühlte.
1. und 2. kombiniert: Da lag ein Apfel, von dem ein Netzhautbild erzeugt wurde, folglich erwachte in dem Mann die Lust, die Frucht zu essen.
    3. Die Handlung fällt unter die und die Gesetzesparagraphen, ist also Recht oder Unrecht.
(Daß die Sätze unter 1 und 2 nicht die Form von Istsätzen besitzen, wird man nicht tadeln, lassen sie sich doch leicht genug in solche verwandeln, die freilich schlecht klingen.)

Wir haben nun die drei Methoden behandelt, zu Istsätzen zu gelangen, und müssen nun etwas genauer nach den Anlässen ihrer Anwendung fragen. Wir haben die Sinneseinderücke als diese Anlässe zu bezeichnen und die anläßlich solcher bereits gewonnenen Istsätze. Diesen Satz würde auch jeder Monist zugeben, aber er würde damit etwas ganz anderes meinen als wir; er - und viele Psychologen und andere Nichtmonisten auch - meint mit dem Wort "Sinneseindruck": "Reize der Sinnesorgane". Dann aber haben wir wieder das alte Problem: wie kann ein physikalisch-chemisches Geschehen Bewußtes verursachen? Wir wissen, daß dieses Problem nicht gelöst werden kann, weil Istsätze, in denen Meßbares mit Nichtmeßbaren nach Ursache und Folge verknüpft wird, für eine genauere Betrachung in die beiden Reihen von Ursache und Folge gespalten werden müssen, von denen die erste, naturwissenschaftliche ganz im Meßbaren, die zweite psychologische, ganz im Unmeßbaren [bilimovic] verläuft. Wir wissen aber auch, daß das genannte Problem nicht bearbeitet zu werden braucht, weil wir es leicht als falsch gestellt erkennen können. Nehmen wir nämlich einmal an, es gäbe eine Methode einer solchen ursächlichen Verknüpfung von Physischem und Psychischem, dann ließe sich doch das Ergebnis wieder als Istsatz aussprechen, und auch für diesen könnten wir nach einem Anlaß fragen und fänden ihn in Sinneseindrücken direkt oder in anderen Istsätzen, als in Sinneseindrücken indirekt. Also unter allen Umständen führt unser Fragen auf Sinneseindrücke als das letzte Gegebene. Unser philosophisches Fragen geht eben nicht an das Naturgeschehen, sondern an die Istsätze unseres Bewußtseins, die wir Istsätze über das Naturgeschehen nennen; und dafür gilt, nochmals gesagt, daß wir hinter den Anlaß dieser Istsätze nicht zurückfragen können.

Man stellt nun gern die sehr naheliegende Frage: Warum kommen denn verschiede Menschen zu gleichen Istsätzen über ein Naturgeschehen? Darauf kann nur gesagt werden: weil sie gleiche Feststellungsmethoden besitzen und gleiche Sinneseindrücke haben. Fragt man nun aber folgerichtig weiter nach dem Grund dieser Gleichheit, so läßt sich diese Frage nicht beantworten; denn die übliche Ableitung aus dem Naturgeschehen haben wir ja als falsch erkannt.

Obwohl dies eine Trivialität darstellt, darf vielleicht kurz daran erinnert werden, daß jede Philosophie ein letztes Gegebenes besitzt, über das hinaus eine Frage nach dem Grund keinen Sinn mehr hat: für die von der Naturwissenschaft ausgehenden Systeme stellt die Natur dieses Letzte dar, für theosophische Systeme Gott; beide pflegen das Problem mit der Formel "Von Ewigkeit" zu verschleiern, während wir Idealisten eine derartige Verschleierung des unsrigen ablehnen. Es muß an dieser Stelle noch ein anderes Scheinproblem des Monismus als solches gekennzeichnet werden, nämlich der Versuch. Istsätze über eine Entwicklung der Feststellungsmethoden des Bewußtseins aufzustellen. Das Problem läßt sich leicht als falsch gestellt erkennen, denn jeder zu seiner Lösung versuchte Istsatz stellt ein mit den uns gegebenen Feststellungsmethoden gewonnenes Ergebnis dar, und wie - um ein Bild zu gebrauchen - ein Mensch im Vollbesitz seiner Sinne niemals ein richtiges Wissen von den Bewußtseinsinhalten eines von Geburt an Nichtvollsinnigen erwerben kann, so können Aussagen über die den Istsätzen früherer Menschen zugrundeliegenden Methoden unmöglich Sinn haben, wenn wir nicht deren Istsätze, sondern nur unsere eigenen Istsätze besitzen.

Wenn wir das Ergebnis des ersten Teils dieser Arbeit in einen Satz zusammenfassen wollen, so kann man sagen: in jedem "es ist" liegt ein feststellendes Subjekt und eine Feststellungsmethode. Wir waren dabei auf die Tatsache gestoßen,daß wir auf menschliche Betätigung alle drei Betrachtungsmethoden anwenden, was wir mit je verschiedenem Sinn des "es ist" in die Sätze kleiden können: Menschliches Handeln "ist" ein physikalisch-chemischer Vorgang, menschliches Handeln "ist" ein psychologisches Erlebnis und menschliches Handeln "ist" entweder richtig oder falsch. Dabei sei Handeln möglichst allgemein gefaßt und auch die Denktätigkeit mitbegriffen.

Wir dabei auf die Frage gestoßen, warum selbst bei vorausgesetztem unendlichen Fortschritt der naturwissenschaftlichen Betrachtung des menschlichen Handelns, die sich unbedingt in Istsätzen über einsinniges Gerichtetsein erschöpfen ließe, doch niemals die Betrachtung eben dieses Handelns als nichteinsinnig gerichtet, nämlich als entweder richtig oder falsch aufhören kann. Diese Frage kann nun leicht gelöst werden: nehmen wir an, man hätte erreicht, durch lauter physikalisch-chemische Gleichungen Handlungen eines Menschen so zu beschreiben, daß eine kommende mit der Sicherheit einer Sonnenfinsternnis vorausgesagt werden könnte, dann würden sicherlich im Inhalt dieser Istsätze die Worte richtig und falsch nicht vorkommen - die Sonne bewegt sich auch nicht "falsch" durch den Weltenraum -, aber diese Sätze müßten wir doch als entweder richtig oder falsch festgestellt bezeichnen, also: das Geschehen der Feststellung dieser Sätze hätten wir entweder richtig oder falsch zu nennen. Wir stoßen also hier wieder auf unser alte Sonderung des Menschen als Objekt von Istsätzen und als deren Subjekt. Will man ihn zum Objekt einer naturwissenschaftlichen und psychologischen Betrachtung machen, so kommen im idealen Fall in diesen Sätzen die Worte richtig und falsch nicht mehr vor, gleichzeitig aber darf in allen Fällen sein Subjektcharakter zum Anlaß einer wertenden Betrachtung genommen werden.

Entweder richtig oder falsch handeln nennen wir "frei" handeln, und so haben wir unsere vorhin ausgesprochene Dreiheit von Sätzen jetzt vollständig bewiesen und können sie nochmals in der Form aufstellen:
    Der Mensch "ist" eine physikalisch-chemische Maschine,
    der Mensch "ist" eine Psyche und
    der Mensch "ist" frei.
Man erkennt zugleich, daß die übliche Frage "ist" der Mensch (oder der menschliche Wille) frei? - keinen Sinn hat, bevor dieses "ist" definiert wurde. Wir können hier ganz kurz auch die Frage nach der Freiheit der Tiere erledigen; wir sagen: der Hund denkt: da ist etwas zu fressen, aber er täuscht sich; wir sagen: das Pferd wollte über den Graben springen, aber es sprang falsch. In solchen Fällen betrachten wir also das Tier durchaus als Subjekt, nach wertender Methode; mithin "ist" es frei. Würden wir dasselbe Tier nach naturwissenschaftlicher Methode betrachten, dann müßte es heißen: das Tier "ist" eine Maschine. Ob nun zur Vorausberechnung von Lebensäußerungen auch der höheren Tiere jemals die letztere allein genügen wird, das läßt sich nicht vorher sagen, in jedem Fall muß aber, wie gezeigt, für den Menschen die wertende Betrachtung für alle Zeit in Geltung bleiben. Ein Letztes muß hier noch erörtert werden: Man könnte einen Unterschied finden im Denken und körperlichen Handeln und sagen, daß beim ersteren der Anlaß (Sinneseindruck), das Verfahren und auch das Ergebnis (der Gedanke) ganz im Psychischen liegt, beim zweiten dagegen zwar der Anlaß (Sinneseindruck oder Gedanke) im Reich des Psychischen, das Ergebnis dagegen (etwa die Fortbewegung irgendeines Gegenstandes) im Reich des Physischen. Da haben wir wieder glücklich das alte "Problem" von der ursächlichen Verknüpftheit beider Reiche, nur diesmal von der anderen Seite: wie kann ein Gedanke (ein Willensentschluß) die Ursache für eine Bewegung materieller Körper sein? Mit dieser Fassung der Frage haben wir offenbar schon die Lösung: es kann in keiner Weise "sein", d. h. wir können uns philosophisch an keinem Istsatz genügen lassen, der eine derartige ursächliche Verknüpfung von Meßbarem und Nichtmeßbarem versucht. Die Frage muß eben nicht lauten: wie kann eine Handlung geschehen? sondern: welche Istsätze können diese Handlung beschreiben? Die Antwort kennen wir: sie kann beschrieben werden durch Istsätze nach jeder der drei Methoden, von denen wir bei unscharfer Ausdrucksweise die naturwissenschaftliche und psychologische kombinieren.

Als Ergebnis des vorigen Abschnitts können wir kurz das bezeichnen: es kann niemals gelingen, menschliches Handeln der Zukunft durch Istsätze über Gegenwärtiges und Vergangenes vollständig vorauszusagen; denn dies auch nur als Ideal anzunehmen, hieße auf das Werten nach richtig und falsch verzichten. Daraus ergibt sich jetzt für uns die Aufgabe, die Gesichtspunkte für dieses Werten nach richtig und falsch aufzusuchen. Gelingt es, solche zu finden, dann können wir auch sagen: das Handeln "ist" gerichtet im Sinne "es besteht die Forderung", es zu richten und wir werden damit den Satz OSTWALDs: "es ist" gerichtet, wie der zweite Hauptsatz der Thermodynamik angibt, überwinden, denn hier meint "ist" - "kann durch Istsätze nach naturwissenschaftlicher Methode restlos beschrieben werden".

Von vornherein kann nicht bezweifelt werden, daß hier Gesichtspunkte materieller Art nicht genannt werden dürfen; denn solche hängen vom augenblicklichen Stand der Erfahrung ab und haben daher keinen Anspruch auf allgemeine Geltung und Notwendigkeit. So bleibt nur übrig, zu untersuchen, ob aus der Betrachtung des Verfahrens des Handelns vielleicht solche Gesichtspunkte fließen. In der Tat: wir müssen das Handeln, das uns bisher nur als eine zu beschreibende Tatsache beschäftigt hat, als Wert setzen und wir gewinnen dann sogleich als höchsten Gesichtspunkt den Satz:
    Diejenigne menschliche Handlung muß als erwünscht (gut) bezeichnet werden, die eine unbegrenzte Reihe von eigener Wiederholung und Steigerung des Handelns eröffnet.
Um nun diesen Satz auf ein besonderes Handeln anwenden zu können, müssen wir daran denken, daß viele Handlungen Reihen begründen, die nicht oder nur zum Teil von uns selbst fortgeführt werden, sondern vielmehr durch andere Menschen. Wenn nun diese Fortsetzung der Reihe von irgendeinem Menschen geschehen kann, so wollen wir sagen, die Handlung setzt uns in eine Mengenbeziehung, kann die Reihe vin einem Menschen eines gewissen Kreises fortgesetzt werden, so wollen wir entsprechend das Wort Gruppenbeziehung gebrauchen, endlich werden wir von Lebensäußerungen zu sprechen haben, die sich nicht so einfügen lassen. Als Mengenbeziehung haben wir zuerst die Geschlechtsreihe zu nennen, und wir finden sogleich den einfachen Satz als Gesichtspunkt des Wertens: das "ist" gesund, was gesunde Nachkommen wahrscheinlich macht.

Ferner haben wir die Wirtschaftsgemeinschaft und finden ebenso leicht den Gesichtspunkt: das "ist" ein wirtschaftlicher Wert, was zur Erzeugung höherer Werte beiträgt. Offenbar gehört der Mensch selbst durchaus als Wert in diese Reihe steigender Werterzeugung hinein, ja die (dem Ideal nach) von Generation zu Generation steigende Produktivität der Menschen definiert den "höheren" wirschaftlichen Wert gegenüber den "niederen". Der hier gemeinte Begriff Wert hat offenbar mit Preis nichts zu tun, Wert = Möglichkeit zu leisten; Preis = Anspruch geleistet zu erhalten; beides muß man schärfer auseinanderhalten als dies leider vielfach geschieht.

Weiter haben wir die politische oder Rechtschöpfungsgemeinschaft zu nennen. Wenn wir uns nun klar machen, daß jedes Recht den Zweck verfolgt, jedem Rechtunterworfenen diejenigen Willenssetzungen vorzuschreiben, die die Erhaltung der Gemeinschaft handelnder Menschen ermöglichen, und andere Willenssetzungen zu verhindern, so kann man den Satz aufstellen: das "ist" gutes Recht, was als produktiv für das Zwecksetzen der Gemeinschaft überhaupt erkannt werden kann.

Schließlich haben wir die Wissenschaftsschöpfungsgemeinschaft zu nennen. Auch hier kann nur dasjenige Ergebnis richtig genannt werden, was als nachprüfbar und bewährbar erkannt werden kann. Fruchtbarer noch wird dieser Gesichtspunkt für die Frage nach dem Geltungsanspruch der Methoden der Wissenschaft, es muß da heißen: nur das Verfahren "ist" richtig, das von jedem und jederzeit angewandt und fortgeführt werden kann. Aus diesem Gesichtspunkt kann das Erklären eines Vorgangs mit Hilfe des Wunderbegriffs kein richtiges Verfahren genannt werden und es läßt sich auch durch solche Betrachtungen leicht erweisen, daß nur die euklidische Geometrie als Grundlage der Erfahrung gebraucht werden kann. Doch es würde an dieser Stelle zu weit führen, näher auf derartige Fragen einzugehen.

Was ferner das Handeln betrifft, das Gruppenbeziehungen begründet, so kann man diese Gruppen wohl kaum aufzählen; wir nennen sie Partei; Gesellschaft, Stand, Klasse usw., und die Gesamtheit der in der Gruppe geltenden Normen für hierher gehörige Willenssetzungen nennen wir Sitte, Ehre, Anstand usw. Man kann dann offenbar auch hier sagen: das "ist" richtig, was von allen Gliedern der Gruppe nachgetan und fortgeführt werden kann. Ob die Gruppenbildung selbst als erwünscht oder auch nur unschädlich zu gelten hat, das muß nach den Gesichtspunkten der Mengenbeziehung entschieden werden.

Endlich haben wir vom Gefühlsleben der Menschen zu sprechen, von Kunst und Religion. Auch hier werten wir nach schön und häßlich, nach erschütternd und bedeutungslos und nach ähnlichen Begriffen. Aber man kann hier nicht sagen, daß etwa ein Erleben des Schönen notwendig eine Kette solcher Erlebnisse hervorbringt, am wenigstens ein, die über das individuelle Leben hinausreicht. Es kann so geschehen, daß ein solches Erlebnis dadurch, daß es zum Kunstwerk geformt wird, ein ähnliches Erleben in denen hervorbringt, zu denen das Werk spricht; aber auch hier handelt es sich nicht um eine Reihe solchen Erlebens, und vor allem: der "Wert" eines solchen Erlebens muß ganz unabhängig genannt werden davon, ob es bei einem anderen gleiches anregt, ja auch nur anregen könnte. Es handelt sich also bei Erlebnissen des Gefühls um ein unmittelbares Werten, fr das sich ein verstandesmäßiger Gesichtspunkt nicht aufzeigen läßt.

Und doch erheben wir mit großer Überzeugtheit den Anspruch, daß unsere subjektiven Wertungen des Gefühls auch von anderen anerkannt, zu den ihrigen gemacht werden sollen, wir beobachten, daß eine wesentliche Gleichheit solchen Wertens besonders fest Menschen zusammenschließt, und vor allem wir ahnen, daß aus einem solchen Erlebnis - besonders religiöser Art - doch eine Kette des Handelns entspringt, freilich nicht - wie in den vorigen Fällen - eine Kette aus Gliedern der gleichen Art. So liegt hier ein Problem, dessen Lösung die folgenden Betrachtungen liefern sollen.

Der Anspruch eines Bewußtseinsinhaltes als typisch zu gelten, d. h. von einem anderen Menschen zu dem seinen gemacht zu werden, kann sich - um auch diesen äußerlichsten Fall zu erwähnen - zuerst darauf gründen, daß beide Menschen schon eine Menge gleicher oder doch sehr ähnlicher Bewußtseinsinhalte haben. Dies hat keinen objektiven Sinn, spielt aber im Leben eine große Rolle.

Zweitens kann der Bewußtseinsinhalt den Ausdruck eines allen Menschen gemeinsamen Verfahrens darstellen. Dies gilt z. B. für die Lehrsätze der Mathematik, die den Ausdruck des uns allen gemeinsamen Verfahrens der Reihenordnung im allgemeinen und der Raumordnung im Besonderen darstellen.

Drittens kann sich der Anspruch auf einen gemeinsamen Sinneseindruck berufen.

Viertens können die beiden vorigen Fälle mannigfach kombiniert werden. Hierher gehört all das, dessen Richtigkeit sich beweisen läßt; man hat sich dabei an gemeinsame Sinneseindrücke, gemeinsame Verfahren und etwaige bereits in gleicher Weise gewonnene Ergebnisse zu berufen.

Keiner dieser Fälle liegt vor, wenn jemand erwartet, daß sein Urteil: dies "ist" schön - auch das eines anderen werden soll. Aber wir besitzen noch mehr Gemeinsames als gemeinsame Fälle von Sinneseindrücken und gemeinsame Anwendungen unserer Verfahren: wir besitzen gemeinsam die ganze Fülle von Möglichkeiten, solche Sinnesempfindungen zu haben, Möglichkeiten der Betätigung des Bewußtseins in jedem Sinn. Hiermit haben wir das Gemeinsame, auf das wir den typischen Charakter der Erlebnisse unseres Empfindungslebens gründen können.

Wir wenden unsere Möglichkeiten bei all unserem Tun an, wir merken auch oft mehr oder weniger darauf bei unserem täglichen Handeln; aber meist wird dabei doch das Merken auf unser eigenes Handelnkönnen überdeckt durch das Merken auf das, was wir hervorbringen. Haben wir dagegen ein Handeln allein um des Handelns willen, dann genießen wir viel reiner dieses Sichbetätigen unserer Möglichkeiten. Dies gilt für alles Spiel. Noch reiner fühlen wir sie, wenn ihr Lebendigwerden ganz im Unwirklichen bleibt, und dies schließlich auch für das Fühlen der Schönheit gilt. "Schönheit fühlen" heißt unsere Möglichkeiten spielen lassen, so lernen wir sie kennen, ihr Freundliches, ihre Gewalt, ihre Tiefe und Fruchtbarkeit, und so heißt Schönheit fühlen eine Antwort bekommen aus den Tiefen der Seele, aus dem Reich unserer Möglichkeiten. Vielleicht kommen wir im Leben nie dazu, sie in ihrer ganzen Kraft anzuwenden, vielleicht ist es uns auch versagt, sie in einem glücklichen Spiel zu entfesseln; doch brauchen sie nicht immer stumm zu sein: Worte gibt ihnen die Kunst, spielen läßt sie sie, jauchzen und stillhalten, sie bringt sie zur Versöhnung und zum Frieden, zur Einheit und zum Zusammenklang.

Jetzt kann kein Zweifel mehr bleiben, daß ein ästhetisches Erleben einen Charakter des Typischen besitzt, und wir werden auch zugeben, daß Erlebnisse, die unsere tiefsten Möglichkeiten auslösen, uns größer, uns wertvoller machen können, wie ja ARISTOTELES bereits von der "Reinigung unserer Möglichkeiten" durch die Tragödie zu sagen wußte.

Eine kleine Bemerkung kann noch gemacht werden: Es gehören die Verfahren des Bewußtseins auch zu seinen Möglichkeiten, und wenn wir in der Mathematik ein reines Auseinanderlegen unserer Ordnungsmöglichkeit zu sehen haben, so wird verständlich, wie Mathematiker immer wieder den ästhetischen Reiz ihrer Wissenschaft zu rühmen wissen. Ähnliches gilt dann auch von anderen Tätigkeitsgebieten und zwar umso mehr, je mehr "Form" (Möglichkeit) in ihnen steckt.

Zuguterletzt müssen wir eine Begründung des Gottesbegriffs und der Religion unternehmen. Noch heute haben wir als die übliche Begründung des Gottesbegriffs die als des Schöpfers der Natur zu bezeichnen; diese haben wir durchaus abzulehnen; denn für unser schärferes Hinsehen hat sich ja der Naturbegriff selbst aufgelöst in den der Gesamtheit menschlicher Istsätze. Häufig wird nun unserem unvollkommenen Wissen "die Natur" als das "Absolute" entgegenzustellen gesucht, aber auch so kommen wir zu keinem anderen Naturbegrif als dem eben genannten, denn was stellen wir denn da den unvollkommenen Istsätzen entgegen? - Offenbar die - wahrscheinlich - vollkommeneren Istsätze von morgen, von übermorgen und so fort; und wenn man nun auch den idealen Endpunkt dieser Reihe als "Natur in einem absoluten Sinn" bezeichnet, so hat man dadurch keinen Gegensatz zum Begriff der Gesamtheit menschlicher Istsätze gefunden und keine Möglichkeit, den Gottesbegriff als den des Schöpfers der "Natur" zu begründen.

Auch innerhalb der Istsätze über die Natur hat der Gottesbegriff keinen Platz; denn er besitzt keine Meßbarkeit, für Verknüpfung aber von Meßbarem und Unmeßbarem fehlt uns jegliche Methode.

Wenn wir nun als Natur die Gesamtheit der durch Istsätze nach naturwissenschaftlicher Methode definierten Begriffe bezeichnen, so können wir ein "Übernatürliches" offenbar wieder nur im Subjekt dieser Istsätze suchen. In der Tat: die Möglichkeiten unseres Bewußtseins - unserer Seele, wenn man das Wort vorzieht - die Möglichkeiten des Schaffens erkennen wir als von allen Ergebnissen dieses Schaffens so wesensverschieden, als diesen so durchaus übergeordnet, daß wir diesen nicht weiter ableitbaren Schatz das Göttliche in uns nennen dürfen. Wollen wir nun von Gott als dem Geber dieses Göttlichen sprechen, so haben wir den Gottesbegriff [rohmer] als Idee der praktischen Vernunft begründet. Allein man muß sich doch gegenwärtig halten, daß als das wirklich Faßbare der Begriff des Göttlichen im Menschen erscheint, nicht der daraus erst abgezogene Begriff Gottes.

Wir besprachen oben, daß wir unsere Möglichkeiten erleben können, wenn wir Schönheit fühlen, wir werden hier von einem anderen Erleben dieser Möglichkeiten als von einem religiösen Erlebnis zu sprechen haben. Jedenfalls aber überrascht uns nicht die alte Erfahrung, daß die Grenze zwischen sehr erschütterndem ästhetischen Erleben nicht scharf gezogen werden kann. Doch läßt sie sich so ziehen: bei ästhetischen Erlebnis fühlen wir unsere Möglichkeiten im Fall der Anwendung, beim religiösen unmittelbar als unseren Besitz über den Fall hinaus, der uns zum Anlaß des Erlebens wurde.

Wir können nun zu diesem unserem Göttlichen mit recht verschiedenem Gefühl kommen; man kann aber sagen, daß sich alle möglichen Fälle in der Reihe finden, die vom reinsten Sicheinstimmigwissen bis zum bittersten Gefühl geht, den anvertrauten Schatz schlecht oder gar nicht genutzt zu haben; also zwischen einem Frieden mit Gott und einer Sündenschuld. Es bedarf nun auch nur weniger Worte, um daran zu erinnern, daß einem religiösen Erlebnis in noch höherem Grad als eine ästhetischen der Charakter des Typischen zukommen muß, und daß ein so starkes Empfinden unserer Möglichkeiten auch ein Empfinden unserer Verpflichtung, sie zu gebrauchen, erzeugen und damit eine moralische Wirkung haben kann.

Eines aber ist hier noch zu betonen: das Göttliche in uns haben wir als ein Schaffendes erkannt, es treibt, es verpflichtet uns zum Vorwärts, und da wir auf breitem Gebiet alles Schaffen als ein Schaffen mit Menschen und für Menschen kennen lernten, so sehen wir im Göttlichen zugleich das Gemeinschaftserzeugende. So haben die alten Sprüche von Gott dem Schöpfer und Gott, der die Liebe genannt wird, ihren tiefsten Sinn bewahrt, nachdem sie ihren dogmatischen verloren haben. Freilich, nicht alles Schaffen schließt notwendig Menschen zusammen, wir nahmen das des Gefühlslebens ausdrücklich aus, und so bleibt kein Widerspruch, wenn wir sehen, daß nicht nur die Kunst, sondern auch das religiöse Erleben ein Tor zur Einsamkeit öffnen kann.

Kann nun religiöses Erleben vermittelt werden, wie ästhetisches es durch ein Kunstwerk kann? - Mit anderen Worten: haben wir in der Religion etwas aufzuzeigen, dem in der Kunst das Kunstwerk entspricht? Zuerst kann kein Zweifel bestehen: Vorträge über Religion meinen wir damit nicht. Der Vergleich mit der Kunst kann hier viel Klarheit schaffen: wenn an den Stätten der Kunst nur immer über Kunst geredet würde, dann wären sie bald verödet - und man wundert sich, daß diejenigen Kirchen leer bleiben, in denen man nur über Religion etwas hört. Also bleibt unsere Frage nach dem, was wirklich dem Kunstwerk entspricht. Wir haben es natürlich, aber wir haben nicht einmal einen Namen dafür und müssen uns mit Umschreibungen helfen wie: Kunstwerke mit religiösem, mit tiefmenschlichem Gehalt und ähnlichen Worten. Jeder kennt Beispiele genug aus Literatur, bildender Kunst und Musik, und jeder, der es überhaupt empfinden kann, dankt ihnen religiöses Erleben. Die Form des Kunstwerks müssen diese Werke besitzen, denn es muß immer ein Fall des Erlebens unserer Möglichkeiten den Anlaß geben, sie als Besitz zu fühlen, aber man sollte doch ein Wort prägen, das nicht den Inhalt als das gewissermaßen zur Form Hinzukommende erscheinen läßt. Ich möchte das Wort Botschaft vorschlagen und als Bezeichnung für den, der die Gabe hat, solche Werke zu schaffen, das Wort Bote. Dies würde also dem Künstler entsprechen und es muß vom Religionsgelehrten genau so scharf unterschieden werden, wie der Künstler vom Kunstgelehrten.

Wenn wir nun ganz kurz die Frage stellen: was heißt denn nun Religion? - so heißt die Antwort: Religion bedeutet nicht eine besondere Gruppe von Istsätzen sei es der Lehre oder des Sollens, sondern sie bedeutet objektiv die Gesamtheit der Botschaften und subjektiv die Gesamtheit des religiösen Erlebens der Menschen.

LITERATUR: Christoph Schwandtke, Philosophie des "es ist", Archiv für systematische Philosophie, Bd. 21, Berlin 1915