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AUGUST STADLER
Die Grundsätze der reinen Erkenntnistheorie
in der kantischen Philosophie

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"Die Untersuchung über die Bedeutung des Vorstellungsinhaltes hat ergeben, daß unser Bewußtsein in seinen Vorstellungen keine Qualitäten der Gegenstände enthält, die von der Vorstellungsform des Subjekts unabhängig wäre. Der Gegenstand verlor zuerst seine Farbe, seine Härte, seinen Ton an die wahrnehmende Seele, dann zeigte sich, daß er ihr auch sein räumliches Verhältnis und seinen Platz in der Zeit verdankt. Wenn wir auch die verschiedenen Empfindungen psychologisch auf das feinste zergliedern und uns die vorhandene Anschauung ihrer Verhältnisse zur höchstmöglichen Deutlichkeit bringen, niemals können wir zu dem vom Einfluß unserer Vorstellungen befreiten Ding gelangen."


IV. Die Erkenntnistheorie
im engeren Sinne

37. Daß die formale Logik, wie wir sie ausgeführt haben, mit ihren Mitteln nicht imstande ist die Möglichkeit der Erkenntnis vollständig zu erklären, liegt auf der Hand. Ihre ganze Arbeit beruth ja auf einer Abstraktion, sie sieht ab vom wirklichen Inhalt der Vorstellungen und reflektiert bloß auf deren Verbindung. Schon aus dem Begriff folgt daher, daß wir über den materiellen Wert der Vorstellungen nichts erfahren, und das ist doch gerade das Endziel der Erkenntnis.

Sodann gibt sie ihr Wissen selbst als ein hypothetisches. Alle Notwendigkeit, die sie erzeugt, setzt eine andere Notwendigkeit voraus; ihre Resultate enthalten bloß Bearbeitung, Verwendung von Erkenntnis. So vollkommen daher auch die Logik ihre Einsichten begründet, immer bleibt noch das Wissen zu erklären, aus dem sie abgeleitet sind.

Aber selbst wenn ein ursprünglicher Besitz von Urteilen gesichert und gerechtfertigt wäre, aus denen sich ein Schatz von formalen Wahrheiten entwickeln ließe, so würde die Frage offen bleiben: haben die abgeleiteten Verknüpfungen nun auch einen Bezug auf das Dasein außerhalb von uns oder sind sie eine bloße Erkenntnis unseres eigenen Selbst?

Die formale Logik stellt den gesetzmäßigen Zusammenhang unserer Begriffe dar. Insofern unsere Erkenntnis in die Form der Begriffe eingeht, ist sie dieser Gesetzmäßigkeit unterworfen, welche aus der Natur der Begriffe folgt. Wenn eine Erkenntnis sich in einer Verknüpfungsart darbieten würde, welche die Logik für unmöglich erklärt, so wäre sie schon deshalb bedeutungslos; denn wir würden unfähig sein, sie mit dem übrigen Bestand unseres Bewußtseins in Verbindung zu bringen. Eine weitere Sicherheit aber über den Wert unserer Synthesen vermag uns die Logik nicht zu bieten.

Man hat das für eine Unvollkommenheit der Logik erklärt und darum ihre wissenschaftliche Leistungsfähigkeit überhaupt in Frage gestellt. Man versuchte sie dadurch zu einer Wissenschaft zu ergänzen, daß man die zum Zweck der Untersuchung gemachte Abstraktion immer wieder aufgehoben hat und die Formen des Denkens gleichzeitig nach ihrer Beziehung auf das Sein erforschte (14)

Dem gegenüber muß man immer wieder an den oft zitierten Ausspruch KANTs erinnern:
    "Es ist nicht Vermehrung, sondern Verunstaltung der Wissenschaften, wenn man ihre Grenzen ineinander laufen läßt." (15)
Die Logik leistet, was sie ihrer richtig bestimmten Aufgabe nach leisten soll, vollkommen, so vollkommen wie jede exakte Wissenschaft. Sie bedarf keiner Hilfe innerhalb ihrer eigenen Grenzen. Lassen ihre Resultate Lücken in unserem Wissen unausgefüllt, so müssen wir unsere Fragen an anderer Stelle, bei einer anderen Abteilung der Gesamtforschung vorbringen.

38. Eine neue Wissenschaft reiht sich an die formale Logik und unternimmt es die Probleme zu lösen, die jener unzugänglich bleiben. Wenn es ihr gelingt, ergänzt sie in der Tat die Errungenschaften der Logik, aber nicht, indem sie ihrem Gang folgt und bei jedem Schritt nachhilft. Sie begründet sich vielmehr als nebengeordnete Mitarbeiterin an der Gesamtaufgabe ihre eigene Methode und wählt beständig ihre Ausgangspunkte. Sie beginnt da, wo die Logik aufhört.

39. Wie wir eben gesehen haben, hat die Logik zu drei Hauptfragen Raum gelassen. Was kommt dem Inhalt unserer Vorstellungen im Hinblick auf die Erkenntnis für eine Bedeutung zu? Wie ist es möglich, daß Urteile, die nicht von anderen abgeleitet sind, notwendige Geltung haben? Was kann die logische Entwicklung für unser materielles Wissen bedeuten?

Diese Probleme sind die Anknüpfungspunkte für die neue Wissenschaft. Ich nenne sie die Lehre von der materialen Notwendigkeit oder Erkenntnistheorie im engeren Sinn.

Damit ist der theoretischen Philosophie ein drittes Feld eröffnet, dessen Arbeitsprogramm so präzise und dessen Begrenzung so scharf ist, daß es dem jeder Naturwissenschaft ebenbürtig zur Seite steht.

Aufgabe des Folgenden wird es sein, durch Darlegung ihrer Fundamentalsätze den Begriff dieser Wissenschaft zu unanfechtbarer Klarheit zu erheben.


V. Die Vorstellung
1. Analyse der Vorstellung

40. Auf das Problem, welches die Erkenntnistheorie sich stellt, hat die naive Weltansicht eine rasche Antwort: Warum unsere Urteile notwendig sind? - "Weil sie sich nach den Gegenständen richten." Vorstellungen können nicht mehr willkürlich verbunden werden, sobald sie ein Ding beschreiben. Wenn ich auf den Inhalt eines Urteils sehe, so bildet es in seiner Begriffsverknüpfung einfach den Zusammenhang nach, den die Eigenschaften am Objekt aufweisen. Ein Urteil ist dann notwendig und allgemein gültig, wenn es sich nicht bloß auf mein Bewußtsein, sondern auf einen außerhalb von mir liegenden Gegenstand bezieht, der mich und alle anderen Subjekte zu einer bestimmten Form der Aussage zwingt.

Es ist ungemein wichtig, sich diesen Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie recht klar zu machen. Ein verbreiteter Irrtum glaubt, ihre Untersuchung entspringt speziell bei der Betrachtung der eigentümlichen Notwendigkeit, welche die mathematischen Urteile vor den Sätzen jeder anderen Wissenschaft auszeichnet. So entspinnt sich dann an verfrühter Stelle ein unersprießlicher Streit über das faktische Vorhandensein der mathematischen Apodikzität [Gewißheit - wp]. Die Aufstellung der letzteren ist, wie wir später sehen werden (vgl. unten § 130), ein bedeutsames Nebenergebnis. Ihr systematisches Hauptziel ist die Erklärung aller materialen Notwendigkeit und sie sieht ihre allgemeine Aufgabe zunächst dargestellt in der Beurteilung von Objekten überhaupt.

41. Die Erkenntnistheorie mag also untersuchen, was ein Gegenstand ist, und sie hat ihre Aufgabe gelöst. Das Urteil: "Der Stein ist hart", ist notwendig. Warum? Weil die Wahrnehmung des Dings außerhalb von mir mich nötigt die Vorstellungen so zu verknüpfen. Was ist dieses Ding? Es ist grau, spitzig, schwer, es hat eine rauhe Oberfläche, einen erdigen Geruch, auf die Zunge gebracht einen eigentümlichen Geschmack, beim Zusammenstoß mit anderen Dingen verursacht es einen Schall. Alle diese Eigenschaften machen zusammen das Ding aus.

So löst die Antwort den Gegenstand auf in eine Summe von Vorstellungen.

Es bleibt uns demnach Nichts übrig, als die Vorstellung selbst zu analysieren und zu sehen, ob wir in ihr eine Beziehung auf etwas Objektives entdecken können. Diese Analyse brauchen wir nicht selbst vorzunehmen, sie ist eine Aufgabe der Psychologie und von ihr können wir die Resultate borgen.

42. Die Psychologie lehrt uns, daß die letzten Bestandteile der Vorstellungen Empfindungen sind.

Empfindung ist diejenige Vorstellung, welche entsteht, wenn der Zustand der Zentralteile des Nervensystems durch einen äußeren oder inneren Reiz verändert wird. Somit kann nur der äußere Reiz die Quelle des Objektiven in der Vorstellung sein. Allein, wenn wir uns von der Psychologie die verschiedenen Reize beschreiben lassen, so machen wir noch einmal die eben gemachte Erfahrung. Als Reiz der Tastempfindung zeigt sie dem Auge den Stein, den der Finger berührt; um uns den Gegenstand eines Netzhautbildes vorzuführen, gibt sie der Hand eine Tastempfindung. Bald stellt sie den Reiz der Gehörsempfindung mit Hilfe des Gesichts, und bald durch die Berufung auf eine Druckempfindung dar. So führt sie die Welt des einen Sinns auf die Welt der übrigen zurück und die Vorstellung behält sich selbst zum Inhalt.

43. Nach einer Seite scheint sich ein Ausweg zu eröffnen. Wenn wir die eben beschriebenen Reize, die wir wiederum als Empfindungen wahrnehmen, miteinander vergleichen, so bemerken wir an allen ein gemeinsames Kennzeichen. Welcher Klasse auch eine Empfindung angehören, mit welcher Stärke sie auch auftreten mag, eine jede erscheint unserem Bewußtsein begleitet von der Vorstellung des Raums und von der Vorstellung der Zeit. Jeder Reiz tritt irgendwann ein und wirkt irgendwo. Es scheint, als ob wir auch diese Betrachtung unmittelbar der Psychologie hätten entnehmen können. Die Psychologie hat in der Tat alle Reize unter den allgemeinen Titel der Bewegung gebracht und Bewegung setzt sich aus der Anschauung von Raum und Zeit zusammen. Aber eben weil Bewegung eine Summe von Empfindungen voraussetzt, dürfen wir hier nicht von ihr ausgehen. Unsere Aufgabe ist es, in der einzelnen Vorstellung das objektive Element zu entdecken; wir untersuchen daher die einzelne Empfindung für sich. Indem wir dann die einzelnen verschiedener Qualität vergleichen (nicht zusammensetzen), gelangen wir zu der Beobachtung, daß allen als gemeinsames Merkmal die Verschmelzung mit der Raum- und Zeitvorstellung anhaftet.

44. Hier ist nun der Ort, eindringlich auf den Unterschied aufmerksam zu machen, welcher zwischen der Methode der Erkenntnistheorie und derjenigen der Psychologie besteht. Die Psychologie betrachtet das Entstehen der Erfahrung; sie sucht die verwickelten Verbindungen des inneren Geschehens aus seinen einfachsten Erscheinungen zu erklären. Sie untersucht daher die einfachen Empfindungen losgetrennt von allen Beziehungen des entwickelten Bewußtseins. Psychologisch hat die reine Empfindung keinen zeitlichen oder räumlichen Charakter. (16) Ganz anders die Erkenntnistheorie. Sie prüft, mit KANT zu reden, "Erfahrung überhaupt", um zu sehen, "was in diesem Produkt der Sinne und des Verstandes enthalten, und wie das Erfahrungsurteil selbst möglich ist." (17) Sie zergliedert also den fertigen Bestand unseres Wissens; sie macht gleichsam einen Querschnitt durch den Bau der menschlichen Erkenntnis, um die Konstruktion darzulegen, die dem begrifflichen Gefüge seinen Halt verleiht. Für sie sind die kompliziertesten und die einfachsten Vorstellungen gleichzeitig da. Die Fiktion von CONDILLACs Statue, deren verschiedene Sinnesorgane sukzessiv zu funktionieren beginnen, hat für ihr Verfahren keinen Wert. Sie wendet sich nicht an das Seelenleben der Tiere, des Kindes oder der indigenen Völker. Das Bewußtsein, das sie analysiert, ist das denkbar vollkommenste, es ist das Bewußtsein der Wissenschaft. Die Erkenntnistheorie analysiert das psychische Geschehen in der Phase seiner Entwicklung, in welcher es schon die ganze Gesetzmäßigkeit der formalen Logik und der Mathematik zum Ausdruck gebracht hat. Und dann fragt sie: Wie kann dieses entwickelte Bewußtsein vor dem Tribunal seiner eigenen Reflexion die Ansprüche seiner Urteile begründen?

Wenn also die Erkenntnistheorie die Empfindung betrachtet, so betrachtet sie dieselbe als Element in einem entwickelten Bewußtsein. Die Empfindung erscheint als das Einzelne in der Mannigfaltigkeit des Bewußtseinsinhalts; sie ist die Einheit des Materials, aus welchem das Bewußtsein seine Verknüpfungen herstellt.

45. Alle Empfindungen haben nun also das gemein, daß sie eine Stelle in Raum und Zeit einnehmen. Diese Eigenschaft behält der Reiz, gleichviel durch welches der Sinnesorgane er unseren Bewußtseinszustand verändert. Der Zusammenhang des Reizes mit diesen Kennzeichen wird durch unsere individuelle Organisation nicht modifiziert. Somit dürfen wir hoffen, wenn irgendwie, durch diese Eigenschaften der Vorstellung das beschreiben zu können, was als Gegenstand die Verknüpfung unserer Urteile bestimmt. Vielleicht liegt hier die Möglichkeit, einen Ausblick aus unserem Selbst zu gewinnen.

Wir haben also vor allem die Vorstellung von Zeit und Raum in Betracht zu ziehen. Zunächst können wir ihren gemeinschaftlichen Charakter dahin beschreiben, daß sie von der Empfindung den Platz in einer bestimmten Ordnung aussagen, sie stellen eine Qualität vor, welche die Empfindung in einer Relation zu anderen Empfindungen erhält. Sie sind das, welches vorstellt, daß das Mannigfaltige der Erscheinungen in gewissen Verhältnissen geordnet ist (18). Wir nennen sie daher vorläufig am Besten Verhältnisvorstellungen (19).


2. Der Raum (20)

46. Der Raum ist die Vorstellung des Nebeneinander. Sobald wir durch Vorstellungen ein Ding bezeichnen, beziehen wir sie auf Etwas außerhalb von uns, denken wir mehrere Objekte, so stellen wir sie als auseinander vor. Dieses Verhältnis der Vorstellung eines Gegenstandes zur Vorstellung unseres Selbst und zur Vorstellung von anderen Objekten nennen wir Raum.

47. Psychologisch entwickelt sich die Raumvorstellung durch die Zusammenfassung von Reihen der verschiedensten Empfindungen. Als Tatsache der Psychologie stehen seine sogenannten drei Dimensionen fest, welche sich nicht anders als durch die Gegensätze links und rechts, oben und untern, vorn und hinten beschreiben lassen. Das Verhältnis irgendeiner gegebenen Bewegung zu diesen ursprünglichen Raumgegenden nennt man die Richtung der Bewegung.

48. Die Entwicklung der Raumvorstellung fällt mit der Entwicklung des Bewußtseins zusammen. Das reife, erkenntnistheoretische Bewußtsein kann sich nicht denken, daß es, als solches, die Raumvorstellung erworben hat, wie es z. B. Allgemeinvorstellungen oder Begriffe erwirbt. Denn in seinem inneren Zustand findet es keine Empfindungen in verschiedenen Örtern. Sobald es aber außerhalb seiner selbst (und wäre es auch nur am eigenen Körper) Etwas suchen wollte, so würde es die Raumvorstellung schon besitzen. Erkenntnistheoretisch ist äußere Erfahrung erst möglich, wenn die Raumvorstellung bereits da ist; die letztere ist die Bedingung jener. Man kann daher sagen, der Raum ist vor der äußeren Erfahrung, oder er ist in Bezug auf die Erfahrungsmöglichkeit a priori.

49. Allerdings muß diese Apriorität durchaus in einem scharfen Sinn gefaßt werden, wenn sie nicht fortwährend zu Irrtümern Veranlassung geben soll. Auch die Empfindungselemente verdanken ihre Eigenschaften apriorischen Bedingungen; denn sie beruhen auf unserer physischen Organisation; sie sind, was sie sind, durch die spezifische Energie unserer Nervenfasern. So kann ich sagen nicht nur, daß jede äußere Anschauung ausgedehnt, sondern auch daß sie gefärbt ist; denn die Lichtempfindung, die wir Farbe nennen, ist die Art, wie wir den Erregungszustand der Optikusfasern wahrnehmen. Allein während dieses physiologische Apriori Organ ist, wird das räumliche Apriori im Bewußtsein entdeckt. Aus der Vorstellung rot kann ich nicht eine andere Vorstellung herauslesen, die vorhanden sein muß, bevor mein Bewußtsein jene begreifen kann. Dagegen enthält die Vorstellung Dreieck die Raumvorstellung als Bedingung ihrer Möglichkeit. Da sich nun die Erkenntnistheorie nur mit den Erfahrungsbedingungen beschäftigt, welche sich zu Vorstellungen ausprägen, so fällt das physiologische Apriori nicht in ihren Bereich.

50. Das entwickelte Bewußtsein stellt sich diese Erfahrungsbedingung aber auch als eine notwendige vor; es kann sich nicht denken, daß sie nicht vorhanden wäre. Der Raum bleibt unverändert, wenn es sich Gegenstände im Raum durch andere ersetzt denkt, er bleibt auch unverändert, wenn es sich dieselben ganz wegdenkt. Dagegen ist es unmöglich, sich Gegenstände ohne Raum vorzustellen. Der Raum ist also die notwendige Bedingung der objektiven Vorstellung, während er selbst von Gegenständen unabhängig ist.

51. Da der Raum sich dem entwickelten Bewußtsein nicht darstellt als aus einzelnen Erfahrungen erworben, so kann er ihm auch nicht als zusammengesetzt erscheinen. Der Raum ist daher keine komplexe Vorstellung, kein Begriff, sondern eine Einzelvorstellung oder Anschauung. Wir können uns nicht zuerst einzelne Räume und hierauf, sie zusammensetzend, den Raum vorstellen. Die einheitliche Raumanschauung erscheint uns vielmehr als Gegebenes, ihr Teil als Gewordenes. Die Räume sind Zerlegungen, Einteilungen des Raumes. Diese Eigenschaft hat dem Raum den mit einem scheinbaren Widerspruch behafteten Titel einer Anschauung a priori verschafft. Das heißt freilich nichts Anderes, als daß das entwickelte Bewußtsein in einem Raum eine Anschauung erblickt, welche vorhanden sein muß, bevor irgendeine objektive Anschauung von ihm apperzipiert werden kann.

52. Da jeder bestimmte Raum, so groß er auch sein mag, im Einheitsraum enthalten sein muß, wird letzterer notwendig als eine unendliche Größe vorgestellt. Das soll nicht heißen, daß die Unendlichkeit wirklich angeschaut wird, was psychologisch unmöglich ist, sondern nur, daß auch die denkbar größte Anschauung stets noch als vom Raum umfaßt erscheint. Diesen kritischen Begriff der räumlichen Unendlichkeit kann ich psychologische noch näher bestimmen. Ich kann eine gegebene Räumlichkeit unendlich wachsen lassen, entweder bloß in einer Dimension oder in zweien oder gleichzeitig auch in der dritten, und zwar jedesmal entweder bloß in einer oder auch in der entgegengesetzten Richtung (vgl. § 47). Wir sagen daher, die Unendlichkeit muß wie der Raum selbst in drei Dimensionen und sechs Grundrichtungen gedacht werden. Da ferner jeder Teil dadurch entsteht, daß man den allgemeinen Raum zwischen Grenzen einschließt, so ist auch dieser Teil immer selbst wieder Raum. So nah wir auch diese Grenzen zusammenrücken lassen, so klein wir uns auch den Teil vorstellen, seine Einschränkung setzt immer schon die räumliche Anschauung voraus, welche durch sie bestimmt wird; auch nicht der kleinste Teil kann vor dem Raum gegeben werden. Es gibt keinen Punkt, in welchem die Einschränkung Halt machen müßte; der Raum ist ohne Ende teilbar. Die Eigenschaft des Raums, daß keine kleinsten Teile in ihm vorgestellt werden können, heißt seine Stetigkeit oder Kontinuität. (21)

53. Aus dieser Betrachtung ergibt sich eine weitere Bestimmung des räumlichen Unendlichkeitsbegriffs. Man kann vom Raum nicht sagen, daß er unendlich viele Teile enthält. Da seine Teil durch Einschränkung entstehen, so ist jede noch so große Zahl derselben bestimmt, endlich. Jede empirisch gegebene Teilung ist erzeugt durch eine endlich wiederholte Handlung. Unendlich ist bloß die Teilbarkeit des Raums; es kann für den Fortschritt der Einteilung keine in der Natur des Raums liegende Schranke angegeben werden. (22)

Aus dem Begriff der Grenze fließen auch unmittelbar die Definitionen der elementaren Raumbegriffe der Geometrie. Ein abgegrenzter Raumteil heißt Körper (solidum). Die Grenze dieses Körpers heißt Fläche und die Grenze der Fläche heißt Linie (23). Die gewöhnlich in der Geometrie gegebenen Definitionen gehen auf eine umgekehrte Genese dieser Raumbegriffe und sind erkenntnistheoretisch unhaltbar.

54. Mit der Erkenntnis dieser Eigenschaften des Raums gewinnen wir gleichzeitig die Einsicht, dem eigentlichen Ziel unserer Untersuchung nicht näher gekommen zu sein. Der Raum war die Vorstellung, von der wir ihrer Konstanz wegen hoffen durften, daß sie die von unserer subjektiven unabhängige Eigenschaft des Gegenstandes abbildet. Jetzt erfahren wir, daß der Raum so wenig vom äußeren Gegenstand sich in das Bewußtsein projiziert, daß ein äußerer Gegenstand überhaupt erst erscheint, wenn der Raum im Bewußtsein vorhanden ist. Nun kann das Bewußtsein eine Eigenschaft, welche vor dem Gegenstand angeschaut wird, doch nicht als unabhängige Bestimmung des Gegenstandes betrachten. Die räumliche Bestimmung des Objekts erscheint als nichts weiter, denn als das Verhältnis, in welchem die Vorstellung des Objekts, was letzteres nun auch sein mag, zu einer im Bewußtsein bereits vorhandenden Vorstellung steht. Fast alle Eigenschaften, welche am Raum gefunden werden, sind mit seiner Auffassung als unabhängiger Bestimmung der Materie unvereinbar. Die Vorstellung einer objektiven Bedingung aller Örter, die selbst bleibt, wenn ihr Inhalt wechselt, ist ein Unding. Der Begriff eines realen Ganzen, was vor seinen Teilen wäre, ist mir unfaßbar.

Somit sind wir nicht berechtigt, die Raumvorstellung für objektiver als alle anderen Vorstellungen zu halten. Die Subjektivität des Raums durchschneidet den Faden, der alle anderen Vorstellungen noch mit dem Gegenstand zu verbinden schien. Als wir die Psychologie über die Objektivität der Empfindungen befragt haben, hieß es, sie seien nur darum Eigenschaften des Subjekts, weil der gleiche äußere Reiz bald so, bald anders erscheint. Jetzt wird auch noch das "Äußere" des Reizes für subjektiv erklärt. Das reflektierende Bewußtsein zieht sich also noch mehr als auf jener Stufe der Betrachtung in sich zurück. Was den Raum von den übrigen Vorstellungen unterscheidet und ihm gleichsam eine höhere Würde beilegt, ist die Erkenntnis, daß ohne ihn jedenfalls keine Empfindung, welchen Inhalts sie auch sein mag, auf etwas Äußeres bezogen werden kann.

55. Dem Gegenstand kann Nichts vorhergehen als das Bewußtsein. Was vor den Gegenständen vorhanden ist, gehört zum Bewußtsein; was vor ihnen vorhanden sein muß, ist eine Bedingung der Funktion des Bewußtseins, insofern es Gegenstände denken will. Der Raum als diese Bedingung gibt uns erst das Recht, von einem "äußeren Sinn" zu reden. Der Raum ist diejenige Form des Vorstellens, in welcher es zum äußeren Sinn wird (24).

Daraus folgt, daß wir nur aus dem Standpunkt des entwickelten Bewußtseins von Gestalt und Größe reden können. Denke ich mir das Bewußtsein weg, "so bedeutet die Vorstellung vom Raum gar nichts." (25)


3. Die Zeit (26)

56. Wir haben uns nun zur zweiten Verhältnisvorstellung zu wenden. An allen Wahrnehmungen beobachtet das Bewußtsein die Aufeinanderfolge und das Zugleichsein; die eine Vorstellung erscheint als die frühere, die zweite als die spätere, eine andere als zugleich. Diese Ordnung des Nacheinander und Zugleich heißt Zeit.

57. Psychologisch entwickelt sich die Zeitvorstellung aus dre Fähigkeit, Erinnerungsbilder mit unmittelbaren Eindrücken zu assoziieren. Sobald wir uns eines Zustandes bewußt werden, in welchem ein Eindruck uns affiziert hat, und eines anderen Zustandes, in welchem nur das Erinnerungsbild vorhanden ist, haben wir die Zeitvorstellung erworben (27). Indem ein neuer Eindruck den ersten reproduziert, entsteht die Vorstellung der durch Anfangspunkt und Endpunkt markierten Zeitstrecke; durch die Zusammenfassung von Zeitstrecken entsteht die Zeitreihe. Die Psychologie lehrt von der Zeit, sie habe eine einzige Richtung, die Richtung vom Vorher zum Nachher. Insofern wir uns die Zeit nur durch das Bild einer geraden Linie veranschaulichen können (vgl. § 127 und § 145), legen wir ihr symbolisch eine Dimension und zwei Richtungen bei.

58. Im entwickelten Bewußtsein lebt die Zeit nicht als etwas Erworbenes. Es scheint demselben unmöglich, überhaupt Vorstellungen als verschiedene in sich aufzunehmen, solange es die Zeitvorstellung noch nicht besitzt. Es ist undenkbar, daß man das Zugleich und die Aufeinanderfolge bewußt wahrnehmen und daraus einen Zeitbegriff abstrahieren könnte. Die Urteile über Simultaneität und Sukzession sagen: es sind Vorstellungen zu derselben oder zu verschiedener Zeit; sie messen die Vorstellungen an einer bereits vorhandenen Vorstellungsweise des Bewußtseins. Erkenntnistheoretisch ist also auch die Zeit a priori, d. h. Grundlage der Wahrnehmung (vgl. § 49).

59. Das Bewußtsein kann sich ferner nicht denken, daß die Zeitvorstellung jemals durch irgendeine Erfahrung aufgehoben wird. Es kann sehr wohl in Gedanken anstelle der einen Wahrnehmung eine andere setzen, ohne daß sich ihm die Zeit verändert. Es kann mit Ausnahme des Subjekts alle Gegenstände aus der Zeit wegdenken, ohne daß die Zeit selbst wegfällt (28). Sie ist nicht die Vorstellung eines Aggregats, sondern eines einheitlichen Gegenstandes. Die Zeit ist demnach eine Anschauung. Verschiedene Zeiten werden nur als Teile derselben Einheitsanschauung vorgestellt. Bei den Begriffen gehen die Teilvorstellungen (auch erkenntnistheoretisch) vorher, hier ist das Ganze das Frühere.

60. Daraus folgt, daß die Zeit als unendliche Größe vorgestellt werden muß. So weit wir auch in die Vergangenheit zurück oder in die Zukunft vorgreifen, der größte Zeitraum ist nur eine Abgrenzung der immer wieder größeren Einheitsanschauung. Da wir uns eine gegebene Zeitgröße sowohl nach der Seite des Vorher, wie nach der des Nachher unendlich wachsend denken können, so sagen wir von der Unendlichkeit der Zeitanschauung, sie habe zwei Richtungen (vgl. § 57).

61. Daraus folgt ferner, daß die Zeit als eine kontinuierliche Größe vorgestellt werden muß. Denn es kann nur dadurch ein Teil der Zeit gegeben werden, daß man ihn zwischen zwei Augenblicke einschließt. Augenblicke aber sind aber nur Stellen der Zeit, setzen also diese Anschauung immer schon voraus, um sie dann zu beschränken. So klein wir auch eine Zeitstrecke annehmen, wir bleiben doch in der Zeit, wir können zu keinem Punkt gelangen, der nicht selbst Zeit wäre. Die Zeit ist ohne Ende teilbar (29). Deswegen darf aber keineswegs gesagt werden, daß die Zeit aus einer unendlichen Anzahl von Teilen besteht. Die Teile der Zeit entstehen erst durch sukzessive Abgrenzung. Für den Fortgang dieser Handlung ist eine Grenze nach der Natur der Zeit nicht denkbar; aber auf jeder beliebigen Stufe der Einteilung ist stets eine bestimmte, endliche Anzahl von Teil gegeben (vgl. § 53).

62. Auch in dieser Erörterung haben wir nichts weniger gewonnen als einen Einblick in die vom Subjekt unabhängige Objektivität. Was Bedingung der Gegenstände ist, kann ihnen nicht als objektive Bestimmung anhaften. Eine solche Bedingung kann nur Eigenschaft des Bewußtseins sein. Wie der Raum die Vorstellungsform des Bewußtseins ist, insofern Vorstellungen als äußere wahrgenommen werden können, so ist die Zeit die Vorstellungsform, insofern Vorstellungen überhaupt als voneinander unterschiedene Bewußtseinszustände apperzipiert werden. Mit einer Analogie kann man sagen, daß die Zeit gleichsam die Wahrnehmungsform des "inneren" Sinnes ist. So ist die Zeit als Bedingung dem Raum nicht neben, sondern übergeordnet. Als Form aller inneren Zustände wird sie auch Form derjenigen, welche auf äußere Verhältnisse gehen.


4. Erster Grundsatz der
Erkenntnistheorie

63. Wenn wir die Ergebnisse der vorigen beiden Nummern zusammenfassen, so erhalten wir den "obersten Grundsatz der Möglichkeit aller Anschauung". (30)

Die ganze Mannigfaltigkeit der Vorstellungen ist bedingt durch die Vorstellungsformen des Raums und der Zeit und erscheint nach deren Verhältnissen geordnet.


5. Das Ding ansich

64. Die Untersuchung über die Bedeutung des Vorstellungsinhaltes hat ergeben, daß unser Bewußtsein in seinen Vorstellungen keine Qualitäten der Gegenstände enthält, die von der Vorstellungsform des Subjekts unabhängig wäre. Der "Gegenstand" verlor zuerst seine Farbe, seine Härte, seinen Ton an die wahrnehmende Seele, dann zeigte sich, daß er ihr auch sein räumliches Verhältnis und seinen Platz in der Zeit verdankt. Wenn wir auch die verschiedenen Empfindungen psychologisch auf das feinste zergliedern und uns die vorhandene Anschauung ihrer Verhältnisse zur höchstmöglichen Deutlichkeit bringen, niemals können wir zu dem vom Einfluß unserer Vorstellungen befreiten "Ding" gelangen. Es bleiben ihm alle seine Eigenschaften entzogen und es verblaßt zuletzt zu einer Vorstellung, welcher nicht der geringste Inhalt mehr zukommt.

65. Diese übrig bleibende, leere Vorstellung spielt in unserem Denken eine große Rolle. Wir müssen in ihr die erste Phase des sogenannten "Ding-ansich" erkennen, das sich später (§§ 81-83) zu dem ebenso inhaltlosen Begriff des Noumenon weiter entwickelt (31). Die Wissenschaftstheorie kann unter einem Ding-ansich nichts weiter verstehen, als die Bezeichnung ihrer ursprünglichen Aufgabe. Insofern sie darunter auch das Ergebnis denken will, ist es ein imaginärer unwirklicher Begriff, der nur gebraucht werden kann, um die gegensätzliche Natur der wahren Realität auf das Schärfste hervortreten zu lassen. Die Mißverständnisse, welche unseren Grenzbegriff fortwährend begleiten, wären unmöglich, wenn man darauf achten wollte, daß das Ding-ansich gerade an dieser Stelle der erkenntnistheoretischen Entwicklung geboren wird.

66. Die Untersuchung geht naturgemäß aus von der Ansicht des gemeinen Realismus, die den Gegenstand als wirklich gegeben betrachtet. Der Ausgangspunkt wird Ursache einer Täuschung, die sich mit der weiteren Reflexion, sogar nachdem sie als Täuschung enthüllt ist, unauflöslich verkettet. Wenn sich nämlich nach und nach alle Bestimmungen des Objekts als Bestimmungen des Subjekts zu erkennen geben, so erscheint das dem Verstand nicht als ein Auflösen des Gegenstandes in das Bewußtsein, sondern nur als ein Ablösen der Eigenschaften von einem real existierenden Etwas. Zuletzt ist Alles, was ihm anhängt, abgepflückt, aber es muß doch das geblieben sein, dem es anhing! Der Verstand vergißt daß sein Objekt ja von Anfang an nur eine hypothetische Existenz besessen hat. Wie im Auge ein Nachbild bleibt, während der Gesichtseindruck aufgehört hat, so dauert im Bewußtsein eine Vorstellung fort, deren Gegenstand es selbst vernichtet hat. Gerade diese Einsicht, daß die meisten für objektiv gehaltenen Qualitäten nur subjektive Eindrücke sind, erzeugt im Verstand wie durch eine Kontrastwirkung das negative Strebenm, sich Eigenschaften zu denken, die er seinem Etwas gleichsam hinter dem Rücken des Subjekts anheften könnte. Das Unternehmen mißlingt, wie es auch in Angriff genommen wird, auch der vorsichtigste Versuch führt jedesmal durch die Empfindung, Raum und Zeit in das Subjekt zurück. Das Etwas zerfließt zu einem Nichts, sowie es überhaupt vorgestellt werden soll.

Das Ding-ansich ist nichts weiter als der Ausdruck für das vergebliche Bemühen des Verstandes, dieses sich ihm natürlich darbietende unmögliche Problem zu lösen. Von einer Wirkung der Kausalitätskategorie ist beim Ursprung dieses rein negativen Begriffs gar nicht die Rede, während er freilich später vor den erkenntnistheoretischen Grundgesetzen eine schärfere Zuspitzung erhält. Wer sein Wesen und sein Entstehen begreifen will, suche sich dasselbe zunächst aus KANTs transzendentaler Ästhetik allein klar zu machen (32), ohne, wie es stets geschieht, die transzendentale Logik schon vorauszusetzen. Das Ding-ansich wurzelt ganz in der Ästhetik und läßt sich daraus widerspruchslos entwickeln.


6. Zweiter Grundsatz

67. Im Ding-ansich erscheint die ganze Negativität unserer bisherigen Untersuchung zusammengefaßt. Aber wir haben damit doch ein positives, erkenntnistheoretisches Resultat gewonnen. Wenn es überhaupt unmöglich ist, durch den Vorstellungsinhalt das absolute Sein zu erkennen, so ist es auch unmöglich, die Objekte falsch dadurch zu erkennen. In der Vorstellung gibt es weder Trug noch Schein, denn sie ist nur ein Element des Bewußtseins, das zu keinem Urteil über Gegenstände berechtigt. Eine Täuschung kann nur in der Beziehung auf etwas Objektives liegen, welche also jedenfalls in der Vorstellung selbst nicht enthalten ist.

68. Wir fassen dieses Ergebnis in den Satz zusammen:
Alle Vorstellungen sind wirklich,
welcher der weiteren Entwicklung der Erkenntnistheorie als Prinzip zugrunde liegt. Er ist insofern unmittelbar evident, als die Wirklichkeit der Vorstellungen nicht weiter abgeleitet werden kann, sondern durch ihr Bewußtwerwden schlechthin gegeben wird. Wir haben ihn an dieser Stelle auszusprechen, weil nunmehr die Erwartung beseitigt ist, daß gewisse Vorstellungen mehr sind als bloße Vorstellungen, daß ihnen außer ihrer unmittelbaren Realität noch ein Wirklichkeit in höherer sachlicher Bedeutung beizulegen ist.

69. Wir öffnen uns den Weg für den Fortgang der Untersuchung durch die Überlegung, daß die Analyse des Vorstellungsinhaltes, so vollständig sie auch gewesen sein mag, den Begriff unseres Gegenstandes keineswegs erschöpft hat. Denn auch durch das sorgfältigste Aufzählen der Eigenschaften würde noch nicht die Vorstellung zustande kommen, welche uns ein Objekt bezeichnet. Zur Wahrnehmung der einzelnen Qualitäten muß ihre Zusammenfassung treten, die verschiedenen Vorstellungen müsen "unter einer gemeinschaftlichen" (33) geordnet sich als Einheit im Bewußtsein abheben.

Nun sind die Vorstellungen nichts als Modifikationen des Bewußtseins, und selbst das Gemeinsame dieser Modifikationen, das räumliche und zeitliche Verhältnis, ist nur die Form ihres Innewerdens. Wenn aber die Glieder Bewußtseinselemente sind, so kann auch der Summe keine andere Art des Daseins zukommen; wir müssen also jedenfalls von dieser Einheit in der Vorstellung des Objekts behaupten, daß auch sie nichts weiter ist als ein Bewußtseinszustand.

70. Nun fragt sich bloß, ob diese Einheit nicht immer schon durch die Einheitsanschauungen Raum und Zeit gegeben ist. Raum und Zeit sind allerdings die Grundbedingungen, daß Vorstellungen überhaupt in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden können, aber die Bestimmung des Verhältnisses liegt nicht in ihnen selbst. Um eine Einheit aus Vorstellungen zu bilden, muß ich fähig sein Gleichzeitiges ins Bewußtsein aufzunehmen; aber die Verbindung des einen Gleichzeitigen und seine Sonderung von anderem, wodurch erst die Anschauung der Gegenstände hervorgebracht wird, ist nicht in der Zeitvorstellung enthalten. Die Einheit kann ferner nur zustande kommen, wenn die "Möglichkeit des Beisammenseins" gesichert ist. Aber die besondere Grenze geht nicht aus der räumlichen Ordnung selbst hervor. Schon die einfachste Raumform, das einfachste Zeitverhältnis führen, wenn sie als Objekt vorgestellt werden sollen, auf die Vorstellung des Zusammengesetzten. Wir können uns keine Räumlichkeit vorstellen, ohne sie zu bilden, d. h. einen Raumteil zum andern hinzuzufügen, und ebenso verhält es sich mit der Zeit (34).

71. Die in Raum und Zeit sich einreihende Mannigfaltigkeit müssen wir uns ihrer Möglichkeit nach als unendlich vorstellen, wie diese Anschauungen selbst. Verbindung dieses Mannigfaltigen heißt, daß hier zwei bestimmte Punkte, dort die Grenzen der Dimension fixiert, und jedesmal die dazwischen liegenden Elemente als ein Ganzes aufgefaßt werden. KANT hat die Synthesis der Begriffe als Funktion der Anschauung als Affektion gegenüber gestellt (35). Unsere Fähigkeit, die letzteren Aufzunehmen, nennt er "Rezeptivität der Eindrücke", das Vermögen, die erstere zustande zu bringen, "Spontaneität des Denkens" (36). Beide Bezeichnungen haben ihren guten Sinn, und ich zögere nur sie aufzunehmen, weil sie oberflächlichen Mißdeutungen zu sehr ausgesetzt sind. Der ganze Prozeß des Erkennens besteht aus Funktionen des Bewußtseins; will man aber die Verbindung als Funktion par excellence bezeichnen, so muß man den engeren Sinn des Wortes genau definieren. Die zweite Unterscheidung hat den Vorteil, daß sie den wichtigen Gegensatz zwischen Anschauung und Verbindung ungemein scharf hinstellt; allein es steht ihr das Bedenken entgegen, daß das Wort Spontanität einen Begriff bezeichnet, der psychologisch überhaupt nicht und erkenntnistheoretisch jedenfalls nicht an dieser Stelle gerechtfertigt werden kann.

72. Ich nehme diejenige Funktion des Bewußtseins, durch welche die Vorstellungselemente in einen einheitlichen Zusammenhang gebracht werden, Einheitsfunktion oder Synthesis schlechthin. Psychologisch beruth sie auf der Einbildungskraft oder der Fähigkeit,m sich einmal gehabter Vorstellungen immer wieder bewußt zu werden und dieselben mit neuen oder anderen reproduzierten zu assoziieren. Erkenntnistheoretisch bedeutet Funktion nichts weiter als Änderung des Bewußtseins. Indem wir nun die Einheitsfunktion mit den übrigen Modifikationen vergleichen, sehen wir, daß wir zwei Stufen der Bewußtseinsänderung zu unterscheiden haben. Einmal bemerken wir das Kommen und Gehen der Vorstellungen, das wechselnde Erscheinen der psychischen Elemente: das Subjekt dieser Veränderung ist das in Raum und Zeit vorstellende Bewußtsein. Nun wird aber dieses Bewußtsein Prädikat einer weiteren Änderung, welche über jene gleichsam übergreift. Aus seinem in Zeit und Raum sich ausbreitenden Inhalt werden, ohne daß er selbst dadurch modifiziert wird, einzelne Stücke herausgehoben, aneinander gefügt und als Einheit vorgestellt. Jenes Bewußtseins geht über in das räumlich-zeitliche Einheitsbewußtsein, an die Stelle der Tatsache: ich nehme Mannigfaltiges wahr in Raum und Zeit, tritt die neue: ich werde mir der Einheit von Mannigfaltigem bewußt oder ich denke. Das Subjekt dieser Veränderung heißt das Ich, das ich nicht weiter beschreiben, aber auch nicht selbst wieder als Prädikat einer noch höheren Veränderung darstellen kann. Insofern die Einheitsfunktion die Veränderung dieser ärmsten, leersten, aber auch höchsten Bewußtseinsstufe bedeutet, nenne ich sie ursprünglich. Will man sich das hier dargestellte Verhältnis anschaulich machen, so wird man der Sache am nächsten kommen, wenn man die Erkenntnis des Gegenstandes durch das Symbol einer komplizierten mathematischen Funktion F (φ [x]) bezeichnet. Dann würde x die variable Empfindung, der Bau von φ die Verhältnisvorstellung und F endlich das letzte Subjekt der Veränderung bedeuten. Auch der Titel spontan mag gerechtfertigt sein, wenn man darunter nichts weiter als die Veränderung des reinen Selbst verstehen will. (37) Sobald man freilich an eine willkürliche Handlung des Selbst denkt, befindet man sich auf einem dogmatischen Abweg. Von Handlung kann nur insofern die Rede sein, als man damit den "synthetischen Einfluß" (38) bezeichnet, den das Mannigfaltige dadurch erleidet, daß es sich als wechselnder Zustand auf das Ich als beharrlichen Träger bezieht.


2. Die Erzeugung des Objekts

73. Erst durch die Einheitsfunktion kommt der Begriff des Objekts zustande. Die Antwort des gewöhnlichen Realismus, daß unsere Urteile notwendig sind, weil sie sich nach den Gegenständen richten (§ 40), hat also jede Bedeutung verloren. Sie würde lauten: Die Vorstellungsverknüpfungen sind notwendig, weil sie sich nach den Vorstellungseinheiten richten. Aber diese Einheiten werden eben selbst erst durch die Verknüpfungen erzeugt. Es hat sich herausgestellt, "daß wir uns nichts als im Objekt verbunden vorstellen können, ohne es vorher selbst verbunden zu haben"; (39) es ist nicht gelungen, die Einheitsfunktion als enthalten in der empirischen Veränderung des Bewußtseins vorzustellen.

Wenn es also unmöglich ist, die Verknüpfung dadurch als notwendig zu erkennen, daß wir sie, als Nachbild, mit dem Gegenstand, als Urbild vergleichen, so bleibt nur noch die Frage übrig, ob der Grund der Notwendigkeit der Verknüpfung nicht im Subjekt selbst gefunden werden kann. Ist die Frage zu verneinen, so sind damit auch die Urteile von ursprünglicher Notwendigkeit für unmöglich erklärt. Kann sie aber bejaht werden, so sind wir damit zu einer großen Wendung der Gedanken gelangt. Während wir bis dahin geglaubt haben, daß das notwendige Urteil nach dem Objekt gebildet wird, sehen wir nun, daß der Gegenstand vielmehr aus dem notwendigen Urteil heraus erzeugt wird. Wir sagen nicht mehr: Wo ein Gegenstand vorhanden ist, da haben wir ein notwendiges Urteil, sondern: Wo das letztere vorhanden ist, da haben wir einen Gegenstand.
    "Obgleich wir das Objekt ansich nicht kennen, so ist doch, wenn wir ein Urteil als gemeingültig und folglich notwendig ansehen, eben darunter die objektive Gültigkeit verstanden." (40)
Der sogenannte Gegenstand der Vorstellungen ist nichts weiter, als der "Inbegriff dieser Vorstellungen;" (41) seine ganze "Dignität" (42) besteht darin, daß dieser Inbegriff oder die Einheit auf irgendeine Art notwendig gemacht wird.

75. Somit wird uns der Weg der ferneren Betrachtung durch den Satz vorgezeichnet: die Erkenntnis von Gegenständen ist erklärbar unter der Bedingung, daß eine Notwendigkeit der Einheitsfunktion eingesehen werden kann.

75. Diese Einsicht wollen wir in folgender Weise zu gewinnen versuchen. Es ist unmittelbar einleuchtend, daß alle Vorstellungen die Eigenschaft haben müssen, meine Vorstellungen zu sein; ich muß sie alle mit der Vorstellung "mein" begleiten können; denn eine Vorstellung, bei der das nicht geschehen könnte, ist etwas Undenkbares. Darin bestand ja die Wirklichkeit der Vorstellungen und nur dadurch konnte sie definiert werden (§ 63), daß dieselben als Bestandteile eines Bewußtseins gegeben werden. Nun sind wir weder durch empirische noch durch erkenntnistheoretische Gründe berechtigt, unter Bewußtsein etwas Anderes zu verstehen, als das Bewußtsein des denkenden Individuums. Die Vorstellung "mein" bedeutet diese Beziehung einer Vorstellung auf das Ich, auf das denkende Subjekt; sie sagt aus, daß die Vorstellung von einem Subjekt vorgestellt wird, d. h. daß sie wirklich ist. Nun kann von einem Zusammenhang der Vorstellung überhaupt nur unter der Bedingung die Rede sein, daß man annimmt, dieses Subjekt des Vorstellens sei wirklich absolut unveränderlich, dieses "mein", das die Vorstellungen muß begleiten können, sei überall dasselbe, es werde wirklich jede einzelne Vorstellung vom gleichen Ich aufgenommen. Denn sonst könnte ja jede Vorstellung einem besonderen Bewußtsein angehören und ich müßte "ein so vielfarbenes Selbst haben, als ich Vorstellungen habe". Die Identität des Selbstbewußtseins ist die evidente Fundamentalannahme aller Logik. (43) Jedes Resultat der Untersuchung, das mit dieser Identität in Widerspruch tritt, ist schon darum unmöglich. Jede Hypothese dagegen, ohne welche die Identität nicht gedacht werden kann, ist schon darum notwendig.

76. Nun behaupte ich, daß die Einheitsfunktion eine Veränderung ist, ohne welche das Ich nicht zum Bewußtsein seiner Identität gelangen kann. Die Identität des Selbstbewußtseins enthält schon "eine Synthesis der Vorstellungen und ist nur durch das Bewußtsein dieser Synthesis möglich." Denn im Bewußtsein der empirischen Veränderungen in Raum und Zeit liegt keine Beziehung auf die Identität des Subjekts. Auch wenn ich die einzelnen Vorstellungen mit Bewußtsein begleite, so bleibt dieses Bewußtsein zerstreut, jedes seiner Momente isoliert und von den anderen getrennt. Ich muß vielmehr die eine Vorstellung so zur anderen hinzusetzen, daß eine Vorstellung aus ihnen wird. Ich reihe einzelne Punkte aneinander und gewinne die Gesamtvorstellung der Linie. Indem ich mir dieser ihrer Einheit bewußt werde, sehe ich erst, daß die verschiedenen Vorstellungen zu einem Bewußtsein gehören, daß das Ich, auf welches die einzelnen bezogen wurden, identisch war. Jetzt erst, nachdem die einzelnen Vorstellungen zu einer Summe addiert sind, sondert sich das "mein", das sie begleitet hat, als konstanter Faktor ab. So ist das analytische Bewußtsein der Einheit des Ich nur unter der Voraussetzung eines synthetischen Bewußtseins der Einheit von Vorstellungen möglich. Die Einheitsfunktion des Bewußtseins ist also Bedingung seiner Identität und als solche notwendig. (44)

Somit läßt sich die Notwendigkeit ursprünglicher Vorstellungsverknüpfungen im Allgemeinen beweisen. Die Möglichkeit notwendiger Urteile ist gesichert. Es gibt Erkenntnis von Gegenständen.


3. Dritter Grundsatz der
Erkenntnistheorie

77. Das gewonnene Ergebnis zusammenfassend, können wir von vornherein über alle Objekte, welche uns in der Erfahrung vorkommen mögen, ein Urteil aussprechen. Wir können behaupten, daß sie keine Eigenschaften besitzen, welche der Möglichkeit einer Synthesis im Weg stehen würden. Alle Vorstellungen, sofern ihnen eine objektive Bedeutung zukommen soll, müssen fähig sein zu Einheiten verbunden zu werden. Wir haben also den Grundsatz:

78. Jeder Gegenstand der Erfahrung entspricht den notwendigen Bedingungen, der Einheitsfunktion. (45)

Der Satz ist bloß analytisch, weil es ja eben schon im Begriff des Gegenstandes liegt, diesen Bedingungen gemäß zu sein. Aber es ist die Fundamentalerklärung, auf welcher sich alle weitere Ableitung aufbaut.

79. Es ist wichtig hervorzuheben, daß dieses Prinzip unabhängig von der Ansicht über Raum und Zeit abgeleitet worden ist. So wird es zu einer selbständigen Grundlage, von welcher aus wir die Idealität von Raum und Zeit postulieren können. Denn es ist sinnlos, von Eigenschaften der Gegenstände, die ganz unabhängig von unserem Vorstellen vorhanden sind, auszumachen, daß sie unter den Bedingungen des Bewußtseins stehen. (46)

80. Es ist wichtig hervorzuheben, daß dieses Prinzip unabhängig von der Ansicht über Raum und Zeit abgeleitet worden ist. So wird es zu einer selbständigen Grundlage, von welcher aus wir die Idealität von Raum und Zeit postulieren können. Denn es ist sinnlos, von Eigenschaften der Gegenstände, die ganz unabhängig von unserem Vorstellen vorhanden sind, auszumachen, daß sie unter den Bedingungen des Bewußtseins stehen.

80. In diesem obersten Prinzip ist auch eine Forderung der Psychologie gegenüber enthalten. Indem wir verlangen, daß die Vorstellungen unter die Einheit des Bewußtseins gebracht werden, setzen wir voraus, daß nach den psychologischen Naturgesetzen dieser Vorgang möglich ist. Wie auch die Psychologie ihre Prozesse beschreibt und einteilt, ob sie mit KANT eine Synthesis der Apprehension [Zusammenfassung - wp], der Reproduktion und der Recognition unterscheidet (47), oder Alles auf die Fähigkeit der Reproduktion zurückführt, das ist für die Erkenntnistheorie gleichgültig. die letztere fordert nur, daß durch die Bewegungen, welche die Psychologie darstellt, die Möglichkeit der synthetischen Einheit erklärt wird.


4. Das Noumenon

81. Das ist nun die Stelle, wo das Ding-ansich in seine zweite Phase eintritt. Jene bloß negative Vorstellung eines unbekannten Restes (§§ 64-66) scheint hier eine bestimmte Form zu erlangen, jenes imaginäre Etwas scheint sich im Reflex der Einheitsfunktion zu einem positiven Ding zu verdichten. Auch diese Steigerung der Täuschung ist ganz natürlich. Das Bewußtseins hat sich nunmehr den Besitz einer notwendigen Einheitsvorstellung gesichert. Nun bezieht es diese Einheit auf jenen trügerischen Rückstand des aufgelösten Objekts und glaubt den Begriff für die Form gefunden zu haben, die sich, nachdem die Materie aufgelöst war, seinem Begreifen, seinem Denken entzog. Dieser Begriff hat keine subjektiven Eigenschaften, wir erkennen folglich in seiner Einheit ein Objekt ansich, ein Wesen, das nicht durch die modifizierenden Einflüsse unserer Sinne verkleidet ist. So entsteht der Begriff von einem Gegenstand überhaupt, das Noumenon, das Verstandesding. Die Jllusion ist ebenso leicht zu zerstören, als sie schwer zu vermeiden ist. Die leiseste Bestimmung darüber, was wir denn eigentlich dadurch erkennen, läßt die ganze Materie zu Nichts zerfließen; der geringste Versuch zu sehen, ob irgendetwas wirklich durch die Einheit festgehalten wird, zeigt, daß sie verschwunden ist. Wir müssen immer wieder entdecken, daß unser Begriff trotz der vermeintlichen Füllung leer geblieben ist. Der Begriff aber ist ohne Inhalt sinnlos. Einheit bedeutet gar nichts, wenn sie nicht eine Einheit von Etwas ist. Niemals kann also aus dem beziehungslosen, reinen Denken einer Verknüpfung überhaupt eine Erkenntnis entspringen.

82. Man wirft der kritischen Philosophie vor, sie habe gerade ihren Fundamentalbegriff von der logischen Trennung zwischen Erscheinung und ansich vorhandener Dinge im Dunkel gelassen. Denn irgendein Begriff muß es doch sein, durch welchen diese Trennung vollzogen wird. (48) Dieser Begriff ist eben das Noumenon, aus dessen negativem Ursprung schon folgt, daß es eigentlich ein Verhältnis (des Subjekts zur Form seiner Vorstellung) darstellt. Das Noumenon ist eben die Vorstellung der Aufgabe, ein Etwas überhaupt zu denken und davon allen Empfindungsstoff abzusondern.

83. Aber selbst aus der kritischen Vernichtung springt das Noumenon unmittelbar in einer dritten doch ungefährlicheren Gestalt wieder hervor. Wenn das negative Bestreben der Abstraktion von allen sinnlichen Qualitäten uns keinen wirklichen Inhalt übrig läßt, so kann uns ein solcher vielleicht anderswoher unabhängig von unserer Subjektivität gegeben werden. Von diesem unsinnlichen Erwerb suchen wir uns dann mit Hilfe der verschiedensten Worte Vorstellungen zu machen, die alle gleich mystisch sind, sei es Offenbarung oder spontanes Setzen oder intellektuelle Anschauung. So entsteht das Trugbild des Noumenon in positiver Meinung. Seine Nichtigkeit als Erkenntnis ist evident. Denn wir können uns nicht einmal von der Möglichkeit dieses "anderswoher" den mindesten Begriff machen. Schon am Anfang des Versuchs würden wir unsere Gedanken in der Zeit, also in der Sinnenwelt entdecken. (49)

LITERATUR - August Stadler, Die Grundsätze der reinen Erkenntnistheorie in der kantischen Philosophie, Leipzig 1876
    Anmerkungen
    14) Die konsequenteste Durchführung dieses Gedankens ist meines Erachtens das "System der Logik" von Überweg. An diesem Buch, das niemand aus der Hand legen wird, ohne reichliche Anregung gewonnen zu haben, kann man den zweifelhaften Erfolg der Durchkreuzung zweier verschiedener Methoden beobachten.
    15) Kr. d. r. V. (Ausgabe Hartenstein), Seite 14
    16) Vgl. Wundt, Physiologische Psychologie, 1874, Seite 272
    17) Kant, Werke III (Ausgabe Rosenkranz und Schubert), Seite 60.
    18) Kr. d. r. V. Seite 56
    19) Kr. d. r. V. Seite 76
    20) vgl. dazu Kr. d. r. V. Seite 58f. - Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, Berlin 1871, Kapitel I - III. - Es ist sehr instruktiv, neben den entsprechenden Abschnitten der transzendentalen Ästhetik auch die Sektion III der Habilitationsschrift De mundi sensibilis etc., Werke I, Seite 316 zu beachten. Vgl. auch Cohen, Die systematischen Begriffe in Kants vorkritischen Schriften etc., Berlin 1873 (namentlich Abschnitt IV).
    21) Kant hat Raum und Zeit nicht in der transzendentalen Ästhetik als quanta continua nachgewiesen, sondern erst, als er die Stetigkeit der intensiven Größen Darlegte (Kr. d. r. V. 161). Daraus darf aber nicht gefolgert weren, daß es erst dort eingesehen werden kann. Wenn es überhaupt möglich ist, Raum und Zeit in abstracto von der Synthesis abzusondern, so kann man auch ihre Kontinuität davon unabhängig betrachten. - Vgl. auch Kr. d. r. V., Seite 365-368.
    22) Dieser Gedanke ist am Klarsten zu finden in den Antinomien (Kr. d. r. V. 365 und 366).
    23) Vgl. Kants Habilitationsschrift "De mundi etc.", Werke I, 322.
    24) Veluti schema, omnia omnio externe sensa sibi coordinandi. [Wie bei einem Schema müssen alle äußeren Sinne aufeinander abgestimmt werden. - wp], Werke I, 322.
    25) Kr. d. r. V. 62
    26) vgl. Kr. d. r. V. 64f. - Cohen, a. a. O., Kapitel I-IV.
    27) Wundt, a. a. O., Seite 682f.
    28) Baumann (Die Lehren von Raum, Zeit und Mathematik II, Seite 667) wirft ein, man könne zwar die Aufeinanderfolge der Vorstellungen wegdenken, "dann bleibt nicht die Zeit, sondern die einfache Empfindung des Ich als seiend, aber ohne Aufeinanderfolge, ohne Verlauf und merkliche Unterschiede, das ist vielmehr die Idee der Ewigkeit, diese im wirklichen Sinn gefaßt und nicht mit der Unendlichkeit der Zeit verwechselt, und ist nicht das, was wir alle mit Zeit meinen." Gewiß bleibt die Zeit so wenig wie der Raum als eine deutliche Vorstellung zurück, denn es liegt ja in der Natur der Verhältnisvorstellung, daß ihre Funktion nur an einem gegebenen Mannigfaltigen zutage treten kann. Aber der Sinn dieses Bestehen-Bleibens ist auch nur der, daß, wenn alle besonderen Zeitbestimmungen weggedacht werden, damit die Zeit als Ganzes nicht aufgehoben wird; es bleibt die unbestimmte, allgemeine Anschauung, von welcher nur noch die Beharrlichkeit des Subjekts einen ebenfalls unbestimmten Teil abgrenzt.
    29) Wenn Kant sagt: Wir "stellen die Zeitfolge durch eine ins Unendliche fortgehende Linie vor, in welcher das Mannigfaltige eine Reihe ausmacht, die nur von einer Dimension ist, und schließen aus den Eigenschaften dieser Linie auf alle Eigenschaften der Zeit" (Kr. d. r. V. 67), ist darunter nicht zu verstehen, daß wir die Stetigkeit der Zeit nur aus der des Raums folgern. Sie geht vielmehr unmittelbar aus ihrer Eigenschaft als bedingende Verhältnisvorstellung hervor. (Gegen Wundt, a. a. O., Seite 684)
    30) Ich mache auf diese Bezeichnung der Kritik, Seite 118 aufmerksam, um zu zeigen, daß es ganz im Sinne Kants gedacht ist, wenn man auch die Resultate der Ästhetik in transzendentale Grundsätze zusammenfaßt.
    31) Vgl. meine Schrift "Kants Teleologie und ihre erkenntnistheoretische Bedeutung", Berlin 1874. - Cohen, a. a. O., Kapitel XIV.
    32) Man studiere namentlich die "Allgemeinen Anmerkungen" zur transzendentalen Ästhetik, Seite 72.
    33) Kr. d. r. V. 92. - Vgl. dazu die vorkritische Stelle aus der Habilitationsschrift, Werke I, 310.
    34) Vgl. die ungemein klare kantische Stelle, Werke I, 502: "Der Raum, als Gegenstand vorgestellt (wie man es in der Geometrie bedarf), enthält mehr, als bloße Form der Anschauung, nämlich Zusammenfassung des Mannigfaltigen etc."
    35) "Alle Anschauungen als sinnlich beruhen auf Affektionen, die Begriffe als auch Funktionen." (Kr. d. r. V. 92) Vgl. übrigens Cohen, a. a. O., Kapitel X, besonders Seite 166f.
    36) Kr. d. r. V. 93
    37) Vgl. Werke I, 508 (Fortschritte der Metaphysik): "Alle Vorstellungen, die eine Erfahrung ausmachen, können zur Sinnlichkeit gezählt werden, eine einzige ausgenommen, d. h. die des Zusammengesetzten als eines solchen." - Ganz annehmbar, wenn vorsichtig interpretiert, ist auch die vorkritische Definition: "Etenim spontaneitas est actio a principio interno profecta." [Denn Spontaneität ist eine Handlung, die einem inneren Prinzip entspringt. - wp] Werke I, 24.
    38) kantischer Ausdruck (Kr. d. r. V. 128)
    39) Kr. d. r. V. 114
    40) Werke III, 59
    41) Kr. d. r. V. 176
    42) Kr. d. r. V. 179
    43) Die "synthetische Einheit der Apperzeption aller Erscheinungen" ist die "wesentliche Form" der Erfahrung (Kr. d. r. V. 192).
    44) Die vorstehende Ableitung enthält den einfachen Grundgedanken des durch seine "Dunkelheit" berühmten § 16 der transzendentalen Analytik (Seite 115). Ich habe das "ich denke" durch "meine" ersetzt, weil durch letzteren Ausdruck die hier erforderliche Beziehung genauer gegeben wird.
    45) Meines Erachtens beruth das Verständnis der Kr. d. r. V. zum großen Teil darauf, daß man hinter "dem obersten Grundsatz aller synthetischen Urteile" (Kr. d. r. V. 150) nichts anderes sucht, als hinter dem "Grundsatz der synthetischen Einheit der Apperzeption". Da dieser Punkt wichtig ist, will ich hier die verschiedenen Fassungen des Prinzips bei Kant nebeneinander stellen.
      1. Kr. d. r. V. 117. Verbindung "ist allein eine Verrichtung des Verstandes, der selbst nichts weiter ist, als das Vermögen, a priori zu verbinden und das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter die Einheit der Apperzeption zu bringen, welcher Grundsatz der oberste in der ganzen menschlichen Erkenntnis ist."
      2. Kr. d. r. V. 118. "Der oberste Grundsatz ebenderselben (der Möglichkeit aller Anschauung) in Bezug auf den Verstand ist: daß alles Mannigfaltige der Anschauung unter Bedingungen der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption steht.
      3. Kr. d. r. V. 152: "Das oberste Prinzip aller synthetischen Urteile ist also: ein jeder Gegenstand steht unter den notwendigen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in einer möglichen Erfahrung."
      4. Kr. d. r. V. 573: Es wird "die objektive Realität unserer empirischen Erkenntnis auf dem transzendentalen Gesetz beruhen, daß alle Erscheinungen, sofern uns dadurch Gegenstände gegeben werden sollen, unter Regeln a priori der synthetischen Einheit derselben stehen müssen ..."
      5. Kr. d. r. V. 578. "Der synthetische Satz, daß alles verschiedene empirische Bewußtsein in einem einigen Selbstbewußtsein verbunden sein müsse, ist der schlechthin erste und synthetische Grundsatz unseres Denkens überhaupt."
      6) Werke III, 66. "Erfahrung besteht in der synthetischen Verknüpfung der Erscheinungen (Wahrnehmungen) in einem Bewußtsein, sofern dieselbe notwendig ist."
      7) Werke I 470 (Über eine Entdeckung etc.): Nun sieht daß die Kr. d. r. V. "das Prinzip synthetischer Urteile überhaupt, welches notwendig aus ihrer Definition folgt, mit aller erforderlichen Ausführlichkeit darlegt, nämlich: daß sie nicht anders möglich sind, als unter der Bedingung einer dem Begriff ihres Subjekts unterlegten Anschauung."
    46) "Denn dieser Satz kann unabhängig von der Ableitung der Vorstellungen des Raumes und der Zeit bewiesen werden, und so der Idealität der letzteren zum Beweis dienen, noch ehe wir sie aus deren innerer Beschaffenheit gefolgert haben." (Werke I, 470) - Vgl. dazu: weil die Kategorien "nur in Beziehung auf die Einheit der Anschauungen in Raum und Zeit Bedeutung haben, sie aber diese Einheit auch nur wegen der bloßen Idealität des Raums und der Zeit durch allgemeine Verbindungsbegriffe a priori bestimmen können." (Kr. d. r. V. 220)
    47) vgl. die Deduktion in der ersten Auflage (Kr. d. r. V. 567f)
    48) Diesen methodisch annehmbaren Einwand macht Dühring, Kritische Geschichte der Philosophie, zweite Auflage, Seite 414.
    49) vgl. "Von dem Grunde der Unterscheidung etc." (Kr. d. r. V. 209-224)