ra-2ra-1ra-3W. JamesG. SeliberF. C. S. SchillerC. S. Peirce    
 
LUDWIG STEIN
(1859-1930)
Der Pragmatismus
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"Pragmatismus ist, psychologisch ausgedrückt, der Glaube, daß Ideen stets nach Betätigung streben und daß das geistige Leben stets teleologisch ist. Logisch ausgedrückt: Logik formuliert schematisch, was im Leben das Ordnende ist, für die konkrete Erfahrung, in Absicht auf praktische Zwecke. Seine philosophische Bedeutung ist, daß alle Tatsachen der Natur physikalisch wie geistig ihren Ausdruck im Willen finden. Wille und Energie sind identisch."

"Bei Platon besteht die Namengebung oder Benennung der Dinge darin, daß sie anzeigt, wie die Sache beschaffen sei. Das Benennen ist nach Platon ein Tun, ein Handeln (praxis) in Bezug auf Dinge, wie das Schneiden, Weben oder Bohren. Da heißt pragma Tätigkeit, Handlung. Hier steht dem Namen (onoma) der benannte Gegenstand (pragma) gegenüber."

"Bei der Unterredung, meint Aristoteles, können wir nie die Sachen (pragmata) erkennen, sondern wir bedienen uns nur der Namen als Zeichen der Dinge. Deshalb verwechseln wir fälschlich Name und Sache, indem wir, wie im Ziffernsystem, beim Rechnen, die Sache durch ihren Namen substituieren."

"Wahr und falsch sind Urteile, die sich gar nicht auf Dinge, sondern nur auf Vorstellungen beziehen, ist ein alter aristotelischer Hausrat. Dinge und Gegenstände, sagt schon Aristoteles, sind wirklich oder unwirklich; nur Vorstellungen sind wahr oder falsch. Auf das Ethische bezogen heißt dieser erkenntnistheoretische Gemeinplatz im Shakespearschen Hamlet wie beim alten Heraklit: Gut und böse ist dasselbe. Die Dinge sind weder gut noch schlecht ansich; der Verstand macht sie dazu."

"James machte es mit dem Ausdruck pragmatisch, der bei Kant immer einen verächtlichen Beigeschmack hat, jedenfalls in der Skala der Wertungen, schon weil Kant allen Nützlichkeitskalkül radikal verwirft, eine niedere Stufe einnimmt, so: der Unname verwandelt sich in einen Ehrennamen - eine sprachliche Umwertung der kantischen Werte. Das Utilitarische ist eben der Unterton des Pragmatischen. Und gerade dieses praktisch-nützliche Unausgesprochene ist dem Ohr des deutschen Idealisten von Königsberg ein ebensolcher Mißklang, wie es sich dem des smarten Amerikaners als Wohlklang ins Ohr schmeichelt."

I.
Pragmatismus

Habemus papam. So hätten wir denn glücklich wieder ein philosophisches Schlagwort, das zum Feldgeschrei einer neuen Gedankenrichtung, einer philosophischen Bewegung geworden ist, die von Amerika kraftvoll zum alten Erdteil herübertönt und hier die Oberfläche unserer staunenden Gewässer zu kräuseln beginnt. "Die Wiedergeburt der Philosophie", welche die diesjährige Rektoratsrede des Berliner Philosophen CARL STUMPF in markigen Linien gezeichnet hat (Leipzig 1908), weckt ein lebhaftes Echo jenseits des Ozeans, wo sich seit einigen Jahrzehnten der philosophische Geist gewaltig zu regen und zu dehnen beginnt. Wir hatten uns daran gewöhnt, die Neue Welt als philosophische Kolonie der Alten Welt, insbesondere der deutschen Philosophie zu betrachten. Aber gleichwie diese ehemalige englische Kolonie sich vom Mutterland losgesagt hat, um sich zu einem imperialistisch in die Weite strebenden Weltreich auszuwachsen, so macht der amerikanische Geist, wie auf allen Wissensgebieten, so auch in der Philosophie, ernsthafte Anstalten, nicht bloß seine intellektuelle Selbständigkeit und Mündigkeitserklärung gebieterisch zu fordern, sondern sogar eine gewisse Führerschaft zu beanspruchen. Unser dankbarstes ehemaliges Absatzgebiet ist drauf und dran, wie in Landwirtschaft und Industrie, in Handel und Technik, so auch in intellektuellen Werten nicht nur zu importieren, sondern auch in erheblichem Umfang zu exportieren. Der neue Völkerrecke ist es müde, mit einer passiven Handelsbilanz sein Auslangen zu finden. Er strebt kolonisatorisch ins Breite, macht dem englischen Mutterland eine mörderische Konkurrenz, setzt der deutschen Industrie den Fuß in den Nacken, faucht die spanische "Armada" in alle Winde und bietet dem jüngsten Gernegroß unter den Völkern im äußersten Osten ein kräftiges Paroli. Aber auch in geistigen Gütern tritt der Volksriese in einen unverächtlichen Wettbewerb. Der Lernende will Lehrender werden. Von der Konsumtion ist er zur Produktion übergegangen. Die Vereinigten Staaten stehen auf Anregung des deutschen Kaisers mit Deutschland, dem klassischen Land der Wissenschaft, insbesondere der Philosophie, im "Austausch", also auf dem Fuß wissenschaftlicher Ebenbürtigkeit. Amerika schickt an die Berliner Universität Philosophen (PEABODY), deren Vorträge nicht bloß beachtet, sondern mit großer Wärme aufgenommen werden.

Eine bodenständige Philosophie besitzen die Amerikaner noch nicht. MALEBRANCHE und BERKELEY, die Schotten und LOCKE waren ihre ersten Lehrer. Der erste amerikanische Denker von eigenem Gesichtsschnitt, JONATHAN EDWARDS, steht genauso unter dem Einfluß MALEBRANCHEs, wie BENJAMIN FRANKLIN unter dem der englischen Utilitaristen älterer Prägung, besonders BACONs. Zwischen Utilitarismus und Spiritualismus pendelt das amerikanische Denken genauso hin und her, wie die Engländer seit dem 13. Jahrhundert zwischen  Nominalismus  und  Realismus Den großen Nominalisten seit DUNS SCOTUS, ALEXANDER von HALES, ROGER BACON und WILHELM von OCKHAM stand als geschlossene Phalanx die realistische Dominikanerlehre in Oxford gegenüber. Aber auch FRANCIS BACON und HOBBES, LOCKE und BERKELY, SMITH und HUME hatte ihre spiritualistischen Gegenfüßler in den Neuplatonikern der Cambridger Schule und in der schottischen Philosophie (REID, STEWART, BROWN). Schließlich hat der ausgesprochene englische Utilitarismus, der - erkenntnistheoretisch betrachtet - sich als nominalistische Lehre, angewendet auf die Ethik, entpuppt, unter Männern wie JEREMY BENTHAM und JAMES MILL, JOHN STUART MILL und HERBERT SPENCER ständig eine idealistisch-spiritualistische Gegenbewegung erzeugt, die ihren Mittelpunkt in der Schule von THOMAS HILL GREEN besaß, denen sich BRADLEY und CAIRD anschlossen. Die amerikanische Auszweigung dieser "transzendentalen" oder spiritualistischen Richtung, die mit RALPH WALDO EMERSON einsetzt und in WILLIAM T. HARRIS (in seinem 1867 begründeten "Journal of Speculative Philosophy") eine gediegene dialektische Vertretung findet, mündet in die erste Universität Amerikas, in die Harvard University, ein, an welcher augenblicklich die typischen Vertreter des  modernen  Nominalismus und Realismus (sie heißen heute Pragmatismus und Transzendentalismus oder Idealismus) ihre scharf geschliffenen und fein gewetzten Klingen kreuzen. An der Spitze der Idealisten in Harvard steht JOSIAH ROYCE, der führend Geist des amerikanischen Spiritualismus, dem sich jüngst sein deutsch-amerikanischer Kollege, HUGO MÜNSTERBERG, in seiner "Philosophie der Werte", Leipzig 1908) so nahe angeschlossen hat, daß er seinem lieben Kollegen an der Harvard Universität, Professor ROYCE, in "Freundschaft und Verehrung" sein Buch widmen konnte. Und ähnlich wie im 13. Jahrhundert in Oxford den Dominikanern, welche die realistische Fassung der Universalien mit ALBERTUS MAGNUS und später THOMAS von AQUIN vertraten, die Franziskaner unter Führung von ALEXANDER von HALES gegenüberstanden, die mit DUNS SCOTUS und später mit WILHELM von OCKHAM den Nominalismus verfochten, so kämpft heute mit offenem Visier und voller Rüstung der "Pragmatist" WILLIAM JAMES, ebenfalls Professor an der Harvard Universität (an der übrigen auch PEABODY wirkt) gegen seine idealistischen Kollegen ROYCE und MÜNSTERBERG.

Das BEN AKIBAsche Wort, daß es nichts Neues unter der Sonne gibt, bewährt sich am Pragmatismus. Weder ist der Name, noch ist die Sache neu. Und WILLIAM JAMES, wenn auch nicht der zeitlich erste Begründer, so doch der weitaus wirksamste Verkünder dieser Denkmethode, hat den guten Geschmack, seine Vorlesungen über "Pragmatismus", welche kürzlich in einer sehr ansprechenden Übersetzung des Wiener Philosophen WILHELM JERUSALEM erschienen sind, mit dem entschuldigenden Untertitel zu versehen: Ein neuer Name für alte Denkmethoden. Volkstümliche philosophische Vorlesungen. Damit wäre die ernste Kritik eigentlich entwaffnet. Denn wegen eines neuen Namens, noch dazu in einem anspruchslosen Gewand von populären Vorlesungen, wird man sich nicht sonderlich aufregen. Aber die Dinge liegen tiefer. Seit HELMHOLTZ, HUXLEY und MACH haben wir uns nachgerade daran gewöhnt, auch bei populär-wissenschaftlichen Vorträgen mit gespanntem Ohr zu lauschen und grundlegende Gedanken zu erwarten. Beim Pragmatismus von JAMES handelt es sich bei näherem Zusehen nicht um ein BUch, das zufällig in deutscher Gewandung zu uns herübergeflattert kommt - auch PEABODYs Vorlesungen an der Berliner Universität sind ja in deutscher Übersetzung erschienen -, sondern um eine große geistige Welle, die von jenseits des Ozeans zum ersten Mal zu uns herüberschlägt und zur zeitigen Beachtung mahnt. Der Pragmatismus mag zum Widerspruch reizen. Zum Totschweigen haben wir jedoch keine Veranlassung. Es handelt sich um eine ernste Bewegung, unternommen von einem Mann, den wir als Psychologen und Religionsphilosophen in die vorderste Reihe der zeitgenössischen Denker zu stellen nicht einen Augenblick zögern werden. Mag auch der neueste Band der "American Philosophy", den J. WOODBRIDGE RILEY vor kurzem herausgegeben hat (New York 1907) keine Spuren der pragmatistischen Methode aufweisen (er zitiert JAMES nur ein einziges Mal, Seite 157), da er sich auf die "Early Schools" beschränkt, den Pragmatismus augenblicklich in aller Munde ist. In Harvard ist er zum  Schibboleth [Losungswort - wp] der Kathederphilosophen geworden, und wir prognostizieren dieser Moderichtung in der Philosophie zwar kein langes, dafür aber ein umso intensiveres Leben. Denn diese Bewegung hat die Temperamente bis zum Siedepunkt erhitzt. Es blitzt in den Geistern. Prachtvolle Funken sprühen in diesem Wettkampf der amerikanischen Denker auf. Die Amerikaner bringen ein neues Ingrediens [Zutat - wp] in die philosophische Polemik hinein, das wir seit der Renaissance schmerzlich vermissen: den Humor. Nicht mit persönlichen Stachelreden und gepfefferten Invektiven wird gekämpft, wie weiland die byzantinischen Humanisten untereinander, wohl aber mit graziöser Degenführung und feingeschliffenen Waffen. An die Stelle der Keule, die der Humanist und Renaissance-Mensch klobig und unbarherzig schwingt, tritt die biegsame und geschmeidige Damaszenerklinge.

Schon in seiner zweibändigen "Psychologie" hat WILLIAM JAMES diese Note angeschlagen. Es ist ein eminent persönliches Buch - unbeschadet seiner strengen Wissenschaftlichkeit. Der Schalk kichert und blinzelt zuweilen mitten in den ernstesten Beweisführungen hervor. Ich denke besonders an die Stelle über den "dear old man" und "German Gelehrter" in seiner feinsinnigen Kennzeichnung FECHNERs (Principles of Psychology, Bd. I, 1890, Seite 549). Seine Theorie des Bewußtseinsstroms (stream of thought), wie seine Widerlegung der Geistesstofftheorie HERBERT SPENCERs (Mind-stuff-theory) gehören zu den glänzendsten Erzeugnissen der zeitgenössischen psychologischen Literatur. Überall ist und bleibt JAMES Künstler und Darsteller von packender Gewalt. Seit SCHOPENHAUER haben wir Akzente von so drastischer Bildkraft nicht mehr vernommen. Das Mephistophelische des spezifisch SCHOPENHAUERschen Humors, das Ätzende und Verletzende seines beißenden Ingrimms werden wir bei dem Optimisten WILLIAM JAMES freilich ebensowenig suchen dürfen, wie die enthusiastischen Verzückungen im prophetisierenden Orakelton des philosophischen Apokalyptikers NIETZSCHE. Aber eine gute Dosis jener bezwingenden Macht, welche von den unerreichten Stilisten SCHOPENHAUER und NIETZSCHE ausgeht, hat auch die JAMES'sche Darstellungsweise zu eigen. Der Humor gemahnt an SCHOPENHAUER, der Enthusiasmus an NIETZSCHE, und die glücklische Mischung dieser beiden Ingredenzien bei JAMES erklärt und die nachhaltige Wirkung, welche dieser amerikanische Philosoph zunächst in Amerika, weiterhin aber auch in England, Frankreich und Italien, zuletzt sogar in Deutschland auszuüben beginnt.

Heißt das Stichwort der pragmatischen Methode: Aktivität, Wirksamkeit, Brauchbarkeit (power to work)=, so hat diese amerikanische Philosophie ihre pragmatische Belastungsprobe glänzend bestanden. Sie wirkt. Sie stiftet Unruhe in Köpfen, fordert zu heftigem Widerspruch heraus, findet aber auch begeisterte Zustimmung, kurz sie bringt Leben und Bewegung in die philosophische Debatte unserer Tage. Das alles hätten weder JOHN DEWEY in Chicago, noch der Logiker CHARLES SANDERS PEIRCE von der John-Hopkins-Universtität, und auch nicht der Vertreter des "Humanism" in Oxford, FERDINAND CANNING SCOTT SCHILLER, die WILLIAM JAMES selbst als die Väter oder Paten des Pragmatismus anspricht, zuwege gebracht, wenn ihnen nicht die propagatorische Kraft der ebenso lebensvollen wie gemütstiefen und geistesstarken Feder von WILLIAM JAMES zu Hilfe gekommen wäre. Mit WILLIAM JAMES steht und fällt der Pragmatismus. Als Methode hat JAMES den Pragmatismus längst angewandt, bevor er den ihn hypnotisierenden Terminus "Pragmatism" bei PEIRCE fand. Man denke an den parallelen Vorgang bei LEIBNIZ, der längst seine Monadenlehre konzipiert hatte, bevor er den Ausdruck "Monade" beim jüngeren van HELMONT fand. Aber sobald er den Terminus gefunden hatte, auf welchen er sein System endgültig taufen wollte, ließ er ihn nicht mehr locker. Genauso bei JAMES. Vor zehn Jahren erst griff er den Terminus "Pragmatism" im mündlichen Verkehr mit PEIRCE auf. Aber sich zu diesem Terminus bekennen und ihn zum philosophischen Kampfruf proklamieren, war bei dem draufgängerischen Temperament von JAMES im Nu geschehen. In seinen "Varieties of religious Experience" erzählt James die Entstehungsgeschichte des Pragmatismus. Schon in seinem "Will to believe" (New York 1897) und seinem geistsprühenden und gefühlswarmen "Talk to Teachers" (New York 1899) wendet er die pragmatische Methode durchgehends an. JAMES stach in ein Wespennest. Die amerikanischen, englischen und französischen Zeitschriften nahmen den Pragmatismus scharf aufs Korn. Es gab dialektische Hiebe rechts und linkt, hüben und drüben. Selbst die vornehme "Revue philosophique" von RIBOT trat aus ihrer Reserve heraus. Im Februarheft 1906 brachte sie eine geistvolle kritische Abhandlung von LALANDE. Übrigens hatte die "Revue philosophique" schon in ihrer Dezembernummer 1878 und Januarnummer 1879 jenen grundlegenden Aufsatz des amerikanischen Logikers PEIRCE in französischer Bearbeitung gebracht den PEIRCE kurz zuvor (Januar 1878) in der amerikanischen Zeitschrift "Popular science monthly" unter dem Titel veröffentlich hat: "How to make ideas clear". Aber PEIRCE selbst bediente sich in diesem Aufsatz nur der pragmatischen Methode, ohne den Namen einzuführen. Im mündlichen Gespräche mit JAMES wendete er ihn freilich öfter an; öffentlich erst seit 1902, wie PEIRCE im "Monist" vom April 1905 und in BALDWINs "Dictionary of Philosophy and Psychology", 1902, Bd. I, Seite 321 erzählt.

In den Mittelpunkt der philosophischen Diskussion unserer Tage ist der Pragmatismus jedoch erst durch das letzte Buch von WILLIAM JAMES gerückt:  Pragmatism - a new name für some old ways of thinking.  Diese temperamentvollen Vorträge, durchwürzt von DICKENSschem Humor, hat JAMES dem Andenken von JOHN STUART MILL mit folgenden kennzeichnenden Worten gewidmet: "Von ihm lernte ich zuerst die pragmatische Offenheit des Geistes und ich würde ihn gern als unseren Führer bezeichnen, wäre er nur noch am Leben." Diese Widmungsworte werden wir uns gegenwärtig zu halten haben, wenn wir zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Pragmatismus übergehen. JAMES' Buch schlug wie eine dialektische Bombe ein. Mit einem geradezu amerikanischen Tempo griff dieses Buch in die Alte Welt hinüber. Im April 1907 zeichnet JAMES die Vorrede seines "Pragmatism", und im November desselben Jahres datiert WILHELM JERUSALEM, der Wiener Übersetzer des Buches, die seinige. Wir denken und arbeiten mit einer Schnelligkeit, als ob wir unsere Gedanken telegraphieren oder telephonieren - eine drahtlose Philosophie. Am Ende desselben Jahres, da JAMES seine Vorträge über Pragmatismus an der Columbia-Universität im Staate New York hielt, war nicht nur der englische Text, sondern auch die deutsche Übersetzung von JERUSALEM in den Händen aller. Daß aber der Pragmatismus, während ich diese Zeilen schreibe (Januar 1908), in aller Munde ist, mag folgende Zusammenstellung zeigen. Die beiden ersten Januarnummern der amerikanischen Zeitschrift "The Journal of Philosophy, Psychology and Scientific Methods" vom 2. und 16. Januar 1908 bringen eine sehr bemerkenswerte kritische Auseinandersetzung mit dem Pragmatismus von ARTHUR O. LOVEJOY unter dem Titel: "The thirteen pragmatisms". Und als ob sich JAMES gegen diese 13 Angriffspunkte durch palliative Gegenkritik wehren wollte, veröffentlichte er an der Spitze der Januarnummer der amerikanischen "Philosophical Review" (Vol. XVII, 1) eine Abhandlung "The Pragmatist Account of Truth and its Misunderstanders", worin er auf  sieben  mißverständliche Auffassungen und Deutungen des Pragmatismus mit heiterer Unbefangenheit eingeht. Von  rabies philologica  oder  furor teutonicus,  in die sich solche polemische Auseinandersetzungen auf dem alten Kontinent unangenehm zuzuspitzen pflegen, ist in den dialektischen Turnierübungen drüben zum Glück nichts zu spüren. Man ist und bleibt Gentleman. Für Meinungsverschiedenheiten gibt es ein weltmännisches Lächeln, aber kein grämliches Absprechen oder verfehmendes Anathema sit [Verfluchung - wp]. Der gute Ton auf beiden Seiten wirkt wohltuend. Die Januarnummer der XAVIER LEON'schen "Revue de Métaphysique et de Morale" (Bd. XVI, 1) bringt nicht bloß an erster Stelle einen Aufsatz von EMILE BOUTROUX, dem ehrwürdigen Senior der französischen Philosophen,  William James et l'expérience religieuse,  sondern auch in derselben Nummer eine Abhandlung von D. PARODI, Le Pragmatisme, d'aprés W. James et Schiller. An der Spitze der Januarnummer der RIBOTschen "Revue philosophique" finden wir einen zweiten Aufsatz von A. LALANDE,  Pragmatisme, Humanisme et vérité.  In der Januarnummer des englischen "Mind" (New Series Nr. 65) setzt sich I. ELLIS McTAGGART mit dem JAMES'schen Pragmatismus auseinander (Seite 104-110). In Italien macht PAPINI für den Pragmatismus, dem er eine besondere Zeitschrift widmet ("Leonardo"), lebhafte Propaganda. Nur auf deutscher Seite folgt man etwas zögernd und widerwillig nach. Man leistet "passiven Widerstand". Die neueste Auflage von ÜBERWEG-HEINZE (zehnte Auflage, vierter Teil, 1906) hat freilich schon vom "Pragmatismus" Kenntnis genommen. Professor MATTOON MONROE CURTIS, der Bearbeiter der amerikanischen Philosophie, schreibt (Seite 532) im Ganzen zutreffen: Pragmatismus ist, psychologisch ausgedrückt, der Glaube, daß Ideen stets nach Betätigung streben und daß das geistige Leben stets teleologisch ist. Logisch ausgedrückt: Logik formuliert schematisch, was im Leben das Ordnende ist, für die konkrete Erfahrung, in Absicht auf praktische Zwecke. Seine philosophische Bedeutung ist, daß alle Tatsachen der Natur physikalisch wie geistig ihren Ausdruck im "Willen" finden. Wille und Energie sind identisch. Diese Richtung stimmt zu den praktischen Neigungen des amerikanischen Lebens und Denkens, indem sie dem Idealismus ein bestimmtes Ziel steckt (richtiger wohl: eine feste Grenze setzt). Der für den Pragmatismus so fruchtbare Januar 1908 brachte aber auch auf deutscher Seite zwei bemerkenswerte Kundgebungen. In der "Philosophischen Wochenschrift" vom 11. Januar 1908, (Bd. IX, Nr. 1 und 2) bringt Dr. RICHARD MÜLLER-FREIENFELS eine gut orientierende Übersicht über "William James und der Pragmatismus". Schließlich veröffentlich WILHELM JERUSALEM, der Übersetzer des "Pragmatismus" und eifrige Verfechter dieser neuen Denkrichtung, in der "Deutschen Literaturzeitung" vom 25. Januar 1908 (Bd. XXIX, Nr. 4) eine instruktive Einführung in den "Pragmatismus".

Halten wir nun alle hier aneinandergereihten Symptome zusammen, so ergibt sich zweierlei. Auf der einen Seite steht fest, daß der "Pragmatismus" aufwühlend und lärmschlagend gewirkt hat, wie keine philosophische Richtung seit NIETZSCHE. Auf der anderen Seite ergibt sich aus den hier aufgezählten Symptomen für die Schriftleitung des "Archivs" die unabweisliche kritische Pflicht, ansichts des gewaltigen Echos, das der Pragmatismus allenthalben geweckt hat, zu diesem "neuen Namen für alte Denkmethoden", wie JAMES selbst den Pragmatismus bezeichnet, kritisch Stellung zu nehmen. Unsere Untersuchung richtet sich zuerst auf den neuen  Namen,  um sich sodann der neuen  Methode  zuzuwenden.


II.
Versuch einer Geschichte
des Terminus "Pragmatismus"

Nicht bloß Bücher, auch Namen haben ihre Schicksale. Das philosophische Modewort "Pragmatismus" ist weder so neu, noch so packend und kennzeichnend wie sein Urheber CHARLES PEIRCE und sein propagatorischer Verkünder WILLIAM JAMES anzunehmen scheinen. Wieder einmal triumphiert BEN AKIBA: es gibt nichts Neues unter der Sonne. Und wenn JAMES seinem temperamentvollen Buch "Pragmatism", in welchem er einen wahren Sprühregen von blendenden Raketen herniederprasseln läßt - es handelt sich um Vorträge in Boston und New York, die mit dem volltönenden Pathos des geborenen Rhetorikers zu Gehört gebracht wurden -, den Untertitel gibt:  a new name for some old ways of thinking,  so ist in Tat und Wahrheit der Name genauso alt wie die pragmatische Methode oder Denkweise.

Die Wendungen  pragma  und  pragmateia  sind im platonischen Dialog  Kratylos,  besonders aber in den logischen Schriften des ARISTOTELES (siehe den BONITZschen Index) ebenso häufig, wie sie in der nacharistotelischen, vollends in der vorsokratischen Philosophie selten sind. Die Bedeutung des Wortes  pragma  schillert zwischen "Sache", "Ding", "Gegenstand" und "Wirklichkeit". Im platonischen "Kratylos" wird die Wendung  pragmata legein, pragmata onomazein  für eine auf das Ding oder die Sache gerichtete Tätigkeit gebraucht.  Enteixetai oion esti to pragma  heißt bei PLATON: die Namengebung oder Benennung der Dinge bestehe darin, daß sie anzeige, wie die  Sache  beschaffen sei. Das Benennen (onomazein) ist nach PLATON ein Tun, ein Handeln (praxis) in Bezug auf Dinge, wie das Schneiden, Weben oder Bohren. Da heißt  pragma  Tätigkeit, Handlung (Kratylos 387C). Hier steht dem Namen (onoma) der benannte Gegenstand (pragma) genauso gegenüber wie im platonischen  Theaetet  dem  logos  die  dianoia.  Die konkreten Einzeldinge (pragmata 262e) stehen miteinander ebenso in Gemeinschaft wie ihre Gattungstypen (eide):  syntheis pragma praxei oi onomatos kai pematos.  Die Sprache ist es, welche den Dingen oder Gegenständen (pragmata) Zeichen oder Lautbilder leiht.

Bei ARISTOTELES verhält sich das sprachliche Lautzeichen zum Begriff wie der Name zur  Sache.  Hier heißt  pragma  der konkrete Einzelgegenstand. Vortrefflich stellt ARISTOTELES den Unterschied von Zahlzeichen und Lautsymbolen heraus. Bei der Unterredung, meint ARISTOTELES, können wir nie die  Sachen  (pragmata) erkennen, sondern wir bedienen uns nur der Namen als Zeichen der Dinge. Deshalb verwechseln wir fälschlich Name und Sache, indem wir, wie im Ziffernsystem, beim Rechnen, die Sache durch ihren Namen substituieren. In der aristotelischen Logik spielt der Ausdruck  pragma  im Gegensatz zu  onoma  eine große Rolle. Der  Index Aristotelicus  von BONITZ weist unter den Stichwörtern  pragma, pragmateia, pragmateuesthai  Dutzende von Stellen auf. Einmal kommt sogar die Wendung  pragmatologein  vor (1438 β 20). Die Gegenüberstellung von  pragma  und  onoma  scheint im sokratischen Kreis, vermutlich schon unter den Sophisten, geläufig gewesen zu sein.

Bei ARISTOTELES findet sich aber auch der Ausdruck  pragma  in  der  Bedeutung, die heute PEIRCE und JAMES dem Wort beilegen. ARISTOTELES versteht zuweilen darunter das Wirkliche, erfahrungsgemäß Gegebene im Gegensatz zum bloß Gedachten oder den reinen Gedankendingen (entia rationis). In den logischen Schriften und in der Metaphysik unterscheidet ARISTOTELES wiederholt zwischen dem Denken (dianoia) und dem Wirklichen (pragmasi).

Nicht umsonst zählt JAMES neben SOKRATES besonders ARISTOTELES zu den Vätern der pragmatischen Methode", sagt JAMES (Pragmatismus, Seite 31), "ist absolut nichts Neues". SOKRATES war ein Anhänger derselben. ARISTOTELES machte methodischen Gebrauch von ihr. LOCKE, BERKELEY und HUME schufen mit ihrer Hilfe bedeutsame Beiträge zur Wahrheit! Aber nicht bloß die Methode selbst, das empirisch-induktive Verfahren, das ARISTOTELES neben den Syllogismus und der Deduktion reich ausgebaut hat, geht auf ARISTOTELES zurück, sondern auch die terminologische Verwendung und Einbürgerung des "Pragmatismus" knüpft an ARISTOTELES an. Bei SOKRATES und PLATO tritt der Ausdruck nur beiläufig und gelegentlich, zudem nur in der Gegenüberstellung zu  onoma  auf; erst bei ARISTOTELES erhielt der Ausdruck eine logische und erkenntnistheoretische Färbung. Er bedeutet jetzt das Konkrete gegenüber dem Abstrakten, das Wirkliche gegenüber dem bloß Gedachten, das einzelne psychische Erlebnis gegenüber seiner logischen Verbindung, kurz: die  vérité de fait  (matter of fact) [Wahrheit der Tatsachen - wp] gegenüber der  vérité éternelle [ewige Wahrheit - wp]. Was wir als  pragma  ansprechen (Ding, Gegenstand, Sache, Tat, Erlebnis, Vorstellung, kurz "Wirklichkeit") ist die psychologische Wahrheit, während uns die  dianoia  die ewige logische Wahrheit verbürgt. Die von JAMES mit LOCKE und den englischen Sensualisten verkündete Lehre: wahr und falsch sind Urteile, die sich gar nicht auf Dinge, sondern nur auf Vorstellungen beziehen, ist ein alter aristotelischer Hausrat. Dinge und Gegenstände, sagt schon ARISTOTELES, sind wirklich oder unwirklich; nur Vorstellungen sind wahr oder falsch. Auf das Ethische bezogen heißt dieser erkenntnistheoretische Gemeinplatz im SHAKESPEAREschen  Hamlet  wie beim alten HERAKLIT:  Gut und böse ist dasselbe.  Die Dinge sind weder gut noch schlecht ansich; der Verstand macht sie dazu. Vortrefflich gibt PRANTL (Geschichte der Logik im Abendlande, Bd. I, Seite 118) diesen Gedankengang wieder: Der objektive Bestand der Dinge ist unabhängig von des Menschen bejahenden oder verneinenden Aussagen über ihn, und nicht, weil wir Menschen etwas meinen oder aussagen, ist es objektiv, sondern wir meinen es und sagen es aus, weil es objektiv besteht. So also weist ARISTOTELES für den ganzen Fortschritt, welchen das Wissen vom bloß Wahren zum Notwendigen und Allgemeinen zu nehmen hat, auf eine unablässige Beachtung der Erfahrung hin, macht aber den Menschen und dessen Denken verantwortlich für das gesamte Wahr-Sein oder Nicht-Wahrsein.

Der Pragmatismus ist seiner Absicht, wenn vielleicht auch nicht seiner Wirkung nach, nichts anderes als eine Theorie der Wahrheit. Das Suchen nach einem neuen Kriterium der Wahrheit verleiht dieser lebhaft auftretenden und mit Blitzesschnelligkeit umsich greifenden philosophischen Bewegung Leben und Farbe.

Die sechste Vorlesung von JAMES' "Pragmatismus" ist überschrieben: "Der Wahrheitsbegriff des Pragmatismus". Der unmittelbare Ausgangspunkt dieser Bewegung, die Abhandlung von CHARLES PEIRCE in der amerikanischen Zeitschrift "Popular Science Monthly" vom Januar 1878 unter dem Titel: "How to make things clear" ist nichts anderes, als eine programmatische Ankündigung eines neuen, damals noch nicht auf den Namen "Pragmatismus" getauften Wahrheitskriteriums. Dieses Wahrheitskriterium des Pragmatismus - die Nützlichkeit der Erkenntnis, ihre Tauglichkeit, ihre Wirksamkeit oder Brauchbarkeit (power to work) - hat PEIRCE selbst in einem späteren Aufsatz ("What pragmatism is", Monist, April 1905, Seite 171 knapp und klar formuliert: "Man überlege nur, welche denkbar praktischen Konsequenzen die Vorstellung eines Gegenstandes haben kann: dann ist die Vorstellung von diesen Konsequenzen gleichbedeutend der Vorstellung von diesem Gegenstand." Vorher schon hatte GEORG SIMMEL, den JAMES freilich als typischen Pragmatiker anspricht - mit unvergleichlich größerem Recht übrigens als RUDOLF EUCKEN, dessen Aktivitätslehre weit eher nach FICHTE als nach MILL und SPENCER schielt -, im ersten Band des "Archivs für systematische Philosophie" (1895) eine noch knappere Fassung gefunden, ohne den Namen Pragmatismus zu kennen oder gar dieser Richtung, die damals noch in einem embryonischen Werden lag, zu gedenken. Die Abhandlung "Über eine Beziehung der Selektionstheorie zur Erkenntnistheorie" schließt mit den Worten, die man dem "Pragmatismus" als Motto voranstellen könnte: die  Nützlichkeit des Erkennens erzeugt für uns zugleich die Gegenstände des Erkennens.  (Seite 45)

Schon SIMMEL sieht in der Nützlichkeit des Erkennens den primären Faktor, der gewisse Handlungsweisen zeitigt, so daß "ursprünglich das Erkennen nicht zuerst wahr und dann nützlich, sondern erst nützlich ist und dann wahr genannt wird." Von SIMMEL erhält dieses Wahrheitskriterium in seiner Zuspitzung auf einen selektorischen Akt jene biologische Biegung, welche seit AVENARIUS und MACH vorherrschend geworden ist. Der Gedanke selbst ist echt leibnizisch. LEIBNIZ gesteht nur  dem  wahre Existenz zu, was  wirkt  (quod agit). In England und Amerika gab man diesem Wahrheitskriterium den Beinamen "instrumental" (im Gegensatz zu "normativ").

Der amerikanische Logiker JOHN DEWEY ("Studies in Logical Theory", Chicago 1903) gibt dieser empirisch-induktiven oder "instrumentalen" Logik die Richtung, während der Oxforder Philosoph C. F. S. SCHILLER in einer Reihe von Werken ("Axiomes as Postulates" in der Sammlung "Personal Idealism", 1902; "Humanism", 1903; "Studies in Humanism", 1907) eine mehr populäre Fassung versucht und die Übertragung der instrumentalen Methode, welche bis dahin nur Geltung in der Logik hatte, auf alle Gebiete des Wissens fordert und in eindringlicher, lebensvoller Sprache vor einen breiteren Leserkreis zu bringen versteht. Anfänglich segelten die Pragmatisten unter verschiedenen Flaggen.  Intentional  oder  instrumental  nannten sich unsprünglich die mehr logisch interessierten Pragmatiker. "Radikaler Empirist" hieß JAMES, bevor er im Jahre 1898 "in einem Vortrag vor Professor HARRISONs "Philosophischer Gesellschaft" an der Universität von Kalifornien das Wort aufnahm und auf die Religion anwendete (vgl. "Pragmatismus", Seite 29). "Humanist" hieß F. C. S. SCHILLER, bevor er sich JAMES anschloß und die Bezeichnung "Pragmatismus" für seine Weltanschauung adoptierte. Und so können wir wohl zusammenfassend sagen: derselbe Kampf, der sich im letzten Jahrzehnt in Deutschland zwischen Psychologisten und Logisten abspielte - die Streitschrift von MELCHIOR PALÁGYI unterrichtet am besten über den Stand des Problems - nimmt jenseits des Wassers die Form eines Geplänkels zwischen Pragmatisten und Spiritualisten oder Idealisten pur sang [reine Gestalt - wp] an. PROTAGORAS ist das Modell der einen (SCHILLER bekennt sich genauso zu PROTAGORAS, wie etwa LAAS und MACH), PLATO das der anderen. Ein neuer Wein in alten Schläuchen. Der Gefühlsgehalt des JAMES'schen Pragmatismus stammt von PROTAGORAS, Methode und Ausdruck dagegen dankt er ARISTOTELES.

JAMES selbst äußert sich (Pragmatismus, Seite 28) über die Geschichte des Pragmatismus wie folgt: Der Name kommt vom griechischen Wort  pragma,  das "Handlung" bedeutet, von demselben Stamm, der unseren Worten "Praxis" und "praktisch" zugrunde liegt. Diese etymologische Ableitung von JAMES ist zumindest einseitig. Wir haben oben anhand des Sprachgebrauchs bei PLATON und ARISTOTELES gezeigt, daß  pragma  von Haus aus  Ding, Sache, Gegenstand, Wirklichkeit  bedeutete, also einen mehr erkenntnistheoretischen Beigeschmack hatte. Das  auto to pragma,  "der Gegenstand selbst", war eine beliebte Wendung. Die von JAMES hineingelegte Nuance des "Praktischen", "Nützlichen", "Gewollten", "Erstrebten", "Geflissentlichen" hatte  pragma  ursprünglich nicht. Erst bei den Stoikern, den typischsten Vertretern des Pragmatismus im heutigen Wortsinn, d. h. mit dem Stich ins Beabsichtigte und Nützliche, handfest  Teleologische,  bekommt  pragma  die von JAMES eingeführte Nebenbedeutung. Die Stoiker waren bekanntlich Vertreter jenes kosmisch-anthropozentrischen Utilismus, der den Nutzen des Menschen zum Maßstab der Wirklichkeits- und Wahrheitswerte erhob.

So definiert das große Schulhaupt der Stoa, CHRYSIPP, bei LAERTIUS DIOGENES (VII, 94): Ein Gut ist, was sittlich nützlich ist. Ein Übel ist das sittlich Schädliche. Die Frage des  telos  steht im Mittelpunkt ihrer Ethik. Jedes Gut, heißt es da (ebd. VII, 98) ist zuträglich (sympheron). Zuträglich nennen wir das, was uns Nutzen bringt (ophelimon). Hatte schon ARISTOTELES den Satz aufgestellt, in der Natur geschähe nichts nutzlos oder vergebens, so karikieren die Stoiker dieses utilitarische Prinzip bis zur blanken Albernheit. Bei CHRYSIPP entartet der Utilismus zur Farce. Nach CICERO (de natura deorum II, 13, 37) sind alle Dinge in der Welt nur um der Götter und der Menschen Willen da, so das Pferd zum Fahren, der Ochse zum Pflügen, der Hund zum Jagen und Wachen. Die Stufenordnung der Geschöpfe ist ebenso utilitarisch mit Rücksicht auf das Menschengeschlecht, das den Mittelpunkt der Welt bildet, eingerichtet, wie die menschliche Gemeinschaft selbst rein utilitarisch abgeleitet und begründet wird (CICERO, de finibus III, 20, 67). Und so weist dann auch der eigentliche Begründer des Pragmatismus, CHARLES SANDERS PEIRCE, auf seine Ideenverwandtschaft mit der Stoa ausdrücklich hin. In BALDWINs "Dictionary of Philosophy and Psychology", 1902, Bd. II, Seite 323 äußern sich nämlich unter dem Schlagwort "Pragmatism" dessen Urheber, PEIRCE und JAMES, selbst. Etymologisch wird dort folgende Ableitung gegeben: Pragmatism (Gr.  pragmatikos,  versed in affairs [versiert in Angelegenheiten - wp]). Diese Ableitung ist, wie oben gezeigt, geschichtlich unhaltbar. Nur  pragma  und  pragmateia  sind gebräuchlich, nicht  pragmatikos.  Und auch  pragma  heißt bei PLATON oder ARISTOTELES niemals "versed in affairs", also  gewandt, geschickt, klug, erfahren,  sondern zunächst eine  Sache  oder  Ding  im Gegensatz zu Name oder Lautsymbol. In der nacharistotelischen Philosophie verschwindet freilich der Ausdruck  pragma  oder  pragmateia  aus dem Gebrauch. In den  Doxographi Graeci  von HERMANN DIELS sind im Ganzen nur an einem halben Dutzend Stellen diese Ausdrücke verwendet. Je später das Wort  pragma  gebraucht wird, desto mehr fällt der Akzent auf die von PEIRCE und JAMES in den Vordergrund gestellte  praktische  Bedeutung, wie auch überhaupt die nacharistotelische Philosophie den Schwerpunkt des Denkens von der Theorie in die Praxis, von der Logik und Physik in die Ethik verlegt. Nicht das Gute wird auf das Wahre, sondern das Wahre wird nunmehr auf das Gute zurückgeführt. Und  das ist der Kerngedanke des Peirce-Jamesschen Pragmatismus.  Der entscheidende erkenntnistheoretische Gesichtspunkt von PEIRCE und JAMES sind die  Konsequenzen.  Wie wir seit den ersten Utilitariern großen Stiles, den  Kynikern  oder Hedonikern, eine  Moral  der Konsequenzen kennen, nämlich die später von BENTHAM und MILL so benannte Utilitätsmoral, so liegt im Pragmatismus der Versuch vor, eine  Logik  der Konsequenzen zu formulieren. Die Definition von JAMES sei der oben von PEIRCE gegebenen (PEIRCE hat seine Definition übrigens im Dictionary von BALDWIN, "Pragmatism", wiederholt) an die Seite gestellt. Pragmatismus ist, nach JAMES, "die Lehre, daß sich der ganze Sinn eines Begriffs sich in praktischen Konsequenzen ausdrückt, Konsequenzen entweder in der Form eines Verhaltens, das zu empfehlen ist, oder in der Form von Erfahrungen, mit denen gerechnet werden kann, falls eine Vorstellung wahr ist."

Es ist sehr bemerkenswert, daß PEIRCE nach eigener Angabe die Anregung zu seiner pragmatischen Methode durch die Lektüre von KANTs "Kritik der reinen Vernunft" empfangen hat (Dictionary II, Seite 322). Wie einst KANT durch HUME aus dem dogmatischen Schlummer geweckt wurde, so PEIRCE durch KANT. Aber PEIRCE fügte hinzu: "the same way of dealing with ontology seems to have practised by the Stoics." [dieselbe Art des Umgangs mit dem Sein praktizierten schon die Stoiker - wp]. Doch wahr ihm, der von Haus aus Mathematiker aus der Schule von WEIERSTRASS war, zu der er sich an gleicher Stelle bekennt, die logische Formulierung des pragmatischen Problems das eigentliche Stimulans, während JAMES vorwiegend psychologisch orientiert und religionsphilosophisch interessiert ist, so daß die eigentliche Fruchtbarmachung der "neuen Methode" JAMES gedankt werden muß. Mit einer weltmännisch feinen Resignation erzählt PEIRCE, wie JAMES im Jahre 1896 im "Will to believe" seine Methode glücklich aufgegriffen und in die Praxis des Lebens umgesetzt habe, ohne damals den Terminus "Pragmatismus" zu kennen: "Die Lehre scheint zu unterstellen, daß der Zweck des Menschen in der Handlung besteht - ein stoisches Axiom, das sich dem heutigen Schriftsteller im Alter von sechzig Jahren nicht mehr so dringend wie einem Dreißigjährigen empfiehlt."

Damit ist die historische Genesis des Pragmatismus, anhand der Selbstbekenntnisse seiner Urheber, klargelegt: der Ausdruck ist dem platonisch-aristotelischen Sprachgebrauch entnommen, während die Theorie selbst unter Anlehnung an das "stoical axiom" entstanden ist. Der Kern des ganzen Problems ist der  Primat des Willens der praktischen Vernunft, wie KANT sagen würde, über das Denken. Deshalb ist JAMES auch ein viel strengeren Voluntarist oder Aktivist, als etwa WUNDT; er nähert sich vielmehr der Lehre vom Primat des Gefühls über den Verstand, wie er in der englischen Gefühlsphilosophie des 18. Jahrhunderts heimisch war und heute in der psychologischen Schule THEODULE RIBOTs in Frankreich und in der "Weltanschauungslehre" von HEINRICH GOMPERZ in Wien ihre Auferstehung feiert. Der SCHOPENHAUERsche Voluntarismus bekommt bei JAMES genauso wie bei RIBOT die HAMANN-JACOBIsche Biegung, welcher GOETHE einst die knappe Formel gegeben hat:  Gefühl ist alles.  Sehr zu Unrecht führt JAMES eine leidenschaftliche Polemik gegen HERBERT SPENCER, in welchem er seinen erkenntnistheoretischen Gegenpol sieht, während SPENCER in seinem letzten Werk ganz und ohne Rückhalt den Primat des Gefühls genauso lehrt wie JAMES und RIBOT. Man lese SPENCERs Abhandlung "feeling versus intellect" in seinem letzten Werk "Facts and comments", 1902, und man findet folgende Sätze, die wörtlich schon bei DUNS SCOTUS vorkommen, die aber auch den JAMESschen an Entschiedenheit nicht nachstehen: "Der Hauptbestandteil des Geistes ist das Gefühl" (Seite 25) ... "die Gefühle sind der Meister und der Intellekt ist der Diener" (Seite 30). Das ist der Succus [Heiltrank - wp] der JAMES-RIBOTschen Form des SCHOPENHAUERschen Voluntarismus.

Leitet der Pragmatismus solchergestalt seine Theorien von der Stoa, die Anregung dazu von KANT ab, der ebenfalls der praktischen Vernunft den Primat über die theoretische eingeräumt hat, so ist vielleicht KANT auch die unschuldige Ursache, daß der  Name  "Pragmatismus" aufgegriffen und als Kleinmünze in den täglichen philosophischen Verkehr gebracht worden ist. Ich denke dabei weniger an den Titel der kantischen Anthropologie, die KANT selbst mit dem Vermerk "in pragmatischer Hinsicht" versehen hat, sondern an die Vorrede KANTs zu diesem Werk, in welcher das Pragmatische dem Physiologischen gegenübergestellt wird:
    "Die physiologische Menschenkenntnis geht auf die Erforschung dessen, was die  Natur  aus dem Menschen macht, die pragmatische auf das, was  er,  als freihandelndes Wesen, aus sich selber macht, oder machen kann und soll".
So sind nach KANT z. B. alle Klugheitsregeln pragmatisch ("Grundlegung zur Metaphysik der Sitten", Seite 42, Ausgabe ROSENKRANZ). Alles Praktische, der menschlichen Wohfahrt Dienende nennt er pragmatisch. "Das praktische Gesetz aus dem Beweggrund der Glückseligkeit nenne ich pragmatisch" ("Kritik der reinen Vernunft", Seite 611). Pragmatismus wäre also nach KANT eine Klugheitsregel oder ein Nützlichkeitsgebot von zufälliger Überzeugungskraft. Das entscheidende Merkmal des Notwendigen und Allgemeingültigen geht der pragmatischen Erkenntnis durchaus ab; sie ist nur ein Glaube, kein Wissen (Kr. d. r. V., Seite 623). Und zwar handelt es sich um keinen notwendigen, sondern um einen zufälligen Glauben.
    "Ich nenne dergleichen zufälligen Glauben, der aber dem wirklichen Gebrauch der Mittel zu gewissen Handlungen zugrunde liegt, den  pragmatischen Glauben"  (Kr. d. r. V., Seite 628, Ausgabe Adickes).
Man sieht, daß nach KANT ein pragmatischer Wahrheitsbegriff, wie ihn JAMES und SCHILLER heute etwa aufstellen, so ziemlich die niedrigste Stufe der Wahrheitserkenntnis darstellt. JAMES machte es mit dem Ausdruck "pragmatisch", der bei KANT immer einen verächtlichen Beigeschmack hat, jedenfalls in der Skala der Wertungen, schon weil KANT allen Nützlichkeitskalkül radikal verwirft, eine niedere Stufe einnimmt, wie einst die Geusen und Sansculotten: der Unname verwandelt sich in einen Ehrennamen - eine sprachliche Umwertung der kantischen Werte. Das Utilitarische ist eben der Unterton des Pragmatischen. Und gerade dieses praktisch-nützliche Sousentendu [Unausgesprochene - wp] ist dem Ohr des deutschen Idealisten von Königsberg ein ebensolcher Mißklang, wie es sich dem des "smarten" Amerikaners als Wohlklang ins Ohr schmeichelt. Nützlichkeit ist für KANT ein Gegenargument gegen absolute Moralwerte, also ist eine pragmatisch-nützliche Betrachtungs- oder Behandlungsweise nur von orientierendem Wert, wie Zettelkasten oder alphabetische Ordnungen der Bibliothekare, die als Klugheitsgebote immer noch besser sind, als gänzliche Unordnung. Aber eine solche pragmatische Ordnung ist im günstigsten Fall eine künstliche, wenn auch noch so nützliche und brauchbare Schuleinteilung, aber eben keine Natureinteilung. Der Unterschied zwischen pragmatischer Schuleinteilung und der Gesetzmäßigkeit der Natureinteilung ist, nach KANT (Werke VI, Seite 315) ein grundwesentlicher: die  Schuleinteilung hat nur zur Absicht, die Geschöpfe unter Titel,  die Natureinteilung, sie  unter Gesetze zu bringen. 

Hier tritt der ganze Unterschied des heutigen Pragmatismus zur kantischen Fassung und Auffassung klar zutage. Die pragmatische Methode, wie JAMES und SCHILLER sie heute verfechten, würde KANT gelten lassen für die "Physik der Sitten" (heute Soziologie genannt), aber nicht für die "Metaphysik der Sitten"; wohl für die "Anthropologie", aber nicht für die "Kritik der praktischen Vernunft". Denn die pragmatische Methode vermag uns nur Klugheitsregeln oder Verhaltensweisen zu gewährleisten, aber niemals bindende, zwingende Gebote, kategorische Imperative zu begründen. Sie bleibt eingeschränkt auf das Reich des Relativen und versagt völlig, wenn es ans Absolute geht. Gerade das aber  will  der Relativist JAMES. Das Absolute ist ihm ein bloßer Grenzbegriff. Er verzichtet bewußt auf eine Metaphysik der Sitten, um sich bei einer Physik der Sitten (empirisch-induktive Soziologie) zu bescheiden. Wirft KANT ein, mittels der pragmatischen Methode gewinne man im günstigsten Fall eine bloße Schuleinteilung, die orientiert, aber keine Natureinteilung, die befiehlt, so wird JAMES antworten: gerade das will ich. Ich bin ein dialektischer Demokrat. Ich hasse daher alles Absolute, gleichviel ob es sich um einen absoluten Monarchen oder um einen absoluten Begriff handelt. Beide tyrannisieren; aber ich verabscheue die Tyrannei in jeder Gestalt, auch die Begriffstyrannei. Ich lasse mir allenfalls eine  suprema lex  als Klugheitsimperativ gefallen, aber niemals als kategorischen Imperativ der  voluntas regis - heiße nun dieser "rex": König, Kaiser, Zar oder heiße er: Sein, Substanz, Gott -; wohl aber unterwerfe ich mich im eigenen wohlverstandenen Interesse der  suprema lex  einer  salus publica,  weil ich hierbei Mitinteressierter, Mitkonstituent und Mitgenießer bin. Haben "Schuleinteilungen" eine solche Fernwirkung und Durchschlagskraft ("power to work"), daß sie konstitutionelle Staaten mit Hunderten Millionen von Menschen zu leiten vermögen, wie dies im ganzen westlichen Kultursystem der Fall ist - Parlamente, Verfassungen, Republiken oder Monarchien sind doch sicherlich nichts anderes als Schuleinteilungen -, so vermag eine solche pragmatische Schuleinteilung einer angeblich absoluten Natureinteilung unter Umständen ein kräftiges Parolie zu bieten. Der absolute "Begriff" wie "der kategorische Imperativ" sind nur logische Geschwisterkinder des absoluten Monarchen und des absoluten  Jehova.  Hier kreuzen pragmatischer Relativismus und platonisch-kantischer Begriffs-Absolutismus ihre Klingen.

Der Ausdruck "pragmatisch" hatte übrigens lange vor PEIRCE einen geschichtlichen Klang. Die "pragmatische Sanktion" KARLs VI. setzt die österreichische Erbfolge nach Nützlichkeitserwägungen, dem Interesse der öffentlichen Wohlfahrt dienenden Prinzipien fest. Und auch im deutschen Sprachgebrauch heißt ein kluger, wohlberechnender, anstelliger Mensch - ohne üble Nebenbedeutung - ein pragmatischer Kopf. In der Geschichtsschreibung vollends ist die "pragmatische Methode" weit länger eingebürgert, als PEIRCE und JAMES sich träumen lassen. Das "Lehrbuch der historischen Methode" von ERNST BERNHEIM widmet der lehrhaften (pragmatischen) Methode der Geschichte einen ganzen Abschnitt (Seite 17f). BERNHEIM definiert das Wesen der pragmatischen Geschichtsschreibung wie folgt: Auf dieser Stufe gilt der Stoff nicht nur um seiner selbst willen als wünschenswert, sondern um  bestimmter Nutzanwendungen  willen;  man müßte für praktische Zwecke etwas aus dem Geschehenen lernen.  Der erste vollgültige Vertreter des pragmatischen Standpunktes ist THUKYDIDES. POLYBIUS führte geradezu den Terminus:  pragmatike historia  ein (Historien. Buch I, Kap. 2). Die Fehler der pragmatischen Methode der Geschichtsschreibung sind: Subjektivität und Tendenz auf Kosten der Sachlichkeit. Und das sind auch die Klippen, an denen der philosophische Pragmatismus eines JAMES und SCHILLER, wie wir später dartun werden, klug vorbeisteuern müssen.

Aber nicht nur in der Geschichtsschreibung hat die pragmatische Methode schon seit THUKYDIDES volles Heimtatsrecht, sondern auch in der philosophiegeschichtlichen Darstellung ist sie uns seit einem halben Jahrhundert etwa geläufig. Wo PEIRCE das Wort "Pragmatismus" aufgegriffen hat, ob bei KANT oder bei ARISTOTELES weiß er selbst nicht anzugeben. Der Ausdruck lag offenbar in der Luft. PEIRCE selbst berichtet ("What pragmatism is", Monist, April 1905), daß er vor 30 Jahren, in seiner schon erwähnten ersten Veröffentlichung, wohl die Sache, aber noch nicht das Wort "Pragmatismus" in Umlauf gesetzt hat. Nur in der mündlichen Konversation habe er diese Wendung gebraucht, bis JAMES, der ihn im "Will to believe" noch gar nicht kannte, sich ihn angeeignet und zum philosophischen Schlagwort gestempelt hat. Ich habe in meinem Buch "Leibniz und Spinoza" (Berlin 1890) den Nachweis geführt, daß es LEIBNIZ mit seinem Terminus "Monade" genauso ergangen ist. Er fand ihn zwar gelegentlich bei PLATO, aber erst sei seinem Zusammensein mit dem jüngeren van HELMONT bei Königin SOPHIE CHARLOTTE eignet er sich diesen, bei van HELMONT zu großer Bedeutung erhobenen Terminus definitiv an und setzt ihn in Kurs. Nicht bloß PEIRCE ist übrigens auf den Ausdruck "Pragmatismus" zur Bezeichnung seiner Aktivitätslehre verfallen, sondern gleichzeitig mit ihm, aber unabhängig von ihm hat ihn der französische Denker MAURICE BLONDEL, der Vertreter einer "philosophie de l'action" geprägt. ANDRÉ LALANDE erzählt in seiner Abhandlung "Pragmatisme et Pragmaticisme" (Revue Philosophique, 1906, Seite 123), daß BLONDEL ihm auf die Anfrage, wie er zu dem Terminus "pragmatisme" gekommen sei, folgendes erwidert habe: "Je me suis proposé á moi-même le nom de pragmatisme en 1888 et j'ai eu la conscience nette de le forger, n'ayant jamais recontré ce mot" etc. Er setzte in seinem Werk "Action" den Unterschied von  praxis, pragma, poiesis  auseinander und entschied sich für den Ausdruck "pragmatisme" zu einer Zeit, da PEIRCE ihn nur im mündlichen Verkehr gebrauchte. Diese "Duplizität" der Fälle hat jedoch nichts Verwunderliches, zumal diese Bezeichnung durch die im Schwange befindliche pragmatische Geschichtsschreibung nahegelegt war. Schrieb doch CONRAD HERMANN schon im Jahre 1867 eine "Geschichte der Philosophie in pragmatischer Behandlung" (Leipzig). Dort läßt sich HERMANN über die pragmatische Methode in der Philosophiegeschichtsschreibung dahin aus, daß der "Ausdruck des Pragmatischen ihm als der geeignetste" für seine Art der Geschichtsdarstellung erscheint (Vorwort, Seite VII). "Der Ausdruck des Pragmatischen bezeichnet an und für sich nur das einfach Tatsächliche oder eigentlich Wirkliche in den Dingen und es fällt derselbe insofern anscheinend zusammen mit dem Begriff einer bloß erzählenden oder rein empirischen Darstellung der Geschichte". (ebd. Seite VIII) HERMANN setzt sich damit, wie er Seite 463f ausführt, in einen bewußten Gegensatz zur spekulativen Methode HEGELs.
    "Der Pragmatismus ist das einzig wahr wissenschaftliche Prinzip für die Behandlung der historischen Stoffe. Das Wesen alles historischen Pragmatismus ist dieses, den Zufall aus der Geschichte zu eleminieren und die ursächliche Notwendigkeit an dessen Stelle zu setzen. Die pragmatische Methode hat die gegebenen Einzelheiten zu ganzen Reihen zu verbinden. Die pragmatische Geschichtsschreibung operiert nicht mit Prinzipien, sondern mit Tatsachen."
In einer besonderen Schrift "Der pragmatische Zusammenhang in der Geschichte der Philosophie" hatte CONRAD HERMANN früher schon sein Programm niedergelegt, nach welchem aller geschichtliche Pragmatismus eine "bestimmte praktische Spitze habe". Gerade diese "praktische Spitze" hat es JAMES offenbar angetan. Er hätte der "alten Methode" nach all dem keinen "neuen Namen" zu geben brauchen, zumal die Methode bei THUKIYDIDES und den Gewaltrechtstheoretikern unter den Sophisten auftaucht, der Name selbst aber seit POLYBIUS historischen, seit PLATO und ARISTOTELES philosophischen Klang hat.
LITERATUR Ludwig Stein, Der Pragmatismus, Archiv für systematische Philosophie, Neue Folge, Bd. XIV, Berlin 1908