p-3W. JamesC. S. PeirceG. SeliberL. P. Boggs
 
GUSTAV E. MÜLLER
John Dewey

"Philosophie zeigt die Einheit aller Interessen und ihre Verwurzelung im Praktischen, welches auch das Moralische ist. Sie hat falsche Isolierungen aufzudecken und die daraus entspringenden dialektischen Scheinprobleme dadurch aufzulösen, indem sie die in ihnen ruhenden moralischen Motive und Zwecke sichtbar macht. Als Philosophie der amerikanischen Demokratie ist sie eine prophetische Schau eines gesichtslosen, aber naturverbundenen, dem praktischen Denken vertrauenden Volkes, einer der Zeitlichkeit verhafteten, in Arbeit und Genuß rhythmisch bewegten industriellen Zivilisation."

JOHN DEWEY stammt aus dem puritanisch-konservativen Staat Vermont. Seine philosophische Laufbahn begann er unter G. S. MORRIS in Michigan, unter idealistisch-hegelianischem Einfluß, mit dem er dann in Chicago abrechnet. Er war Reformator des Schulwesens, das sich in seinem Namen von der Lehrschule mit festen Kursen zur Arbeitsschule mit flüssiger Anpassung an individuelle Bedürfnisse wandelt; Vorkämpfer für die politische Gleichberechtigung der Frau, Vorsitzender der "Liga für unabhängige politische Aktion", die alle links gerichteten Parteien und Gruppen des Landes lose vereinigte. Seine Anhänger wirken in allen Hochschulen. Sein Einfluß erstreckt sich weit über den angelsächsischen Kulturkreis hinaus.

DEWEYs Philosophie nennt sich  Instrumentalismus. Denken ist ein Aktionsplan, eine Handlungsphase, ein Werkzeug, womit sich der Mensch mit der Umwelt auseinandersetzt, zusammensetzt. Begreifen kommt von Greifen, Angreifen, Zugreifen. Eine idee ist eine Anweisung, wie etwas gehandhabt, durch praktische Handgriffe und Zurichtungenn gemessen und verwendet wird. Die Begriffe der Wissenschaft, wie zum Beispiel die Kausalität, erwachsen aus den Erfahrungen der praktischen Kunst, die Folgebeziehungen zu entwerfen und zu kontrollieren lehrt. Wahr sind Ideen, Urteile, wenn erwartete Folgerungen eintreffen. "Was fruchtbar ist, allein ist wahr." Das Ziel der instrumentalen Methode des Denkens ist es, durch Teilen und Beziehen jedes beliebige Objekt praktisch zu unterwerfen, alle in alle zu verwandeln. Diesem Ziel dient auch die Mathematik. Ihre Zeichen sind abgekürzte Handlungssymbole, auch sie ist "ein Zweig der intellektuellen Industrie", die sich in konkreter Praxis zu bewähren hat.

Das Werkzeug aller Werkzeuge ist die  Sprache, worin Dinge nicht mehr vortheoretisch, unmittelbar gehabt, gefühlt sind, sondern wodurch sie vermittelt werden. Die Dinge werden durch die Latuzeichen angezeigt, etwas durch ein von ihm verschiedenes in eine gesellschaftliche Sphäre gemeinsamer Arbeit und gemeinsamer Interessen einbezogen. Auch das Wort ist eine Maschine, wodurch sich der Mensch vom unmittelbaren Druck der Ereignisse befreit und sie unter soziale Kontrolle bringt. Denken heißt, daß ich willens bin, Dinge aufgrund ihrer allgemeinen Bedeutung zu gebrauchen und die Folgen meiner Handlung in der Welt sozialer Zusammenarbeit zu verantworten. Die ganze moderne Wissenschaft ist nichts als eine Verallgemeinerung der Methoden praktisch arbeitender Handwerker.

Instrumentales Denken ist  "existentielles Denken". Existenz heißt Hervortreten. Das Leben der Naturvölker verläuft in starrer, dumpfer Gruppengewohnheit einerseits, ausgelassenem Genuß, Trieb andererseits. Die Erfindung neuer Mittel, wodurch der Mensch sich mit der Natur und mit sich selber vermittelt, das Aufpflanzen menschlicher Symbole und praktischer Herrschaftszeichen ist ein Hervortreten des Erfinders, des existenziellen Denkers. Denken ist eine Antwort auf eine Lebensbedrohung, ist ein Suchen nach Sicherung. Es entspringt der Unsicherheit, der Angst, der Not, die es überwinden, praktisch ausschalten will. Denken ist nichts Allgemeines, bloß Innerliches, sondern ist wirklich und vital nur als Existentielles, welches der konkreten Lage der Unsicherheit und des Widerspruchs gewachsen ist. Nicht nur wir Menschen sind unsicher, während die Objekte etwa in erhabener Ruhe auf ihr Gedachtwerden warteten, sondern die Welt, in der wir zu existentiellem Denken erwachen, ist unsicher, schrecklich, problematisch, und das Denken entspringt einer wirklichen, vorintellektuellen problematischen Situation, aus der das Denken ein Kampf- und Rettungsmittel ist. Theoretische Unsicherheit ansich ist sinnlos. Die Unsicherheit des Lebens erneuert sich beständig und erhält das Denken in seinem suchenden, experimentierenden Kampf. Fixe Ideen entsprechen der trügerischen Sicherheit sozialer Verfestigung. Die Sicherheit, der Gleichgewichtszustand, der erstrebt wird, bleibt beständig Ziel und praktisches, herzustellendes Problem. Das Denken ist ein Ausdruck dafür, daß die Wirklichkeit selber nicht recht weiß, was sie will, daß sie selber nicht fertig, sondern suchend und experimentierend ist; die Wirklichkeit der Natur, aus welcher das Denken wächst, schwankt wie das Leben der Primitiven zwischen der wiederholenden Regelhaftigkeit und dem Individuellen, Neuen, Unwiederholbaren, Zeitlichen, Einzelnen, Gefährdeten. Existentielles Denken erhebt sich nicht aus dieser widersprüchlichen, wirklichen Zeitlage, sondern bleibt aufs stärkste der Zeit verhaftet, indem es sie gestaltet.

Denken ist eine Art des Könnens, ist  Kunst. Es gibt keinen wesentlichen Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft, wie auch der Gegensatz von Theorie und Praxis aufgehoben ist. Ziel jeder Arbeit und Denkbemühung ist Sicherung des Lebens und des Lebensgenusses. Lebensgenuß besteht in der schmerzlichen und freudigen, unmittelbaren Hingabe, im "Haben" irgendwelchen Daseins und Soseins, im Bejahen der qualitativen Form, des schönen Augenblicks. Es ist die Funktion der praktischen Lebenskunst oder Wissenschaft, dieses festliche Leben zu sichern, zu steigern, zu vermitteln. Ohne diese Vermittlung und Sicherung wäre das ästhetische Leben roh und dumpf, wilder und abergläubischer Impuls. Seine Unmittelbarkeit muß vermittelt sein und die Vermittlung muß die Unmittelbarkeit in sich tragen, wie die Freude an der technischen Leistung einer Maschine nicht von ihrem Ausgedachtwerden abgetrennt werden darf. Das festliche Leben muß mit dem aktiven, denkenden Leben verbunden bleiben und es durchdringen. Es gibt daher auch keine "schöne" Kunst ansicht, sondern nur ein mehr oder weniger von qualitativer Vollkommenheit; die schöne Kunst muß als Vollendung aus dem handwerklichen Verstehen des Stoffes und aus der wisenschaftlichen Lebenssicherung hervorwachsen.

Dramatische Bewegtheit, ja Leidenschaft kommt in DEWEYs Philosophie gleichsam von außen durch seine Abwehrstellung gegen die  europäische Geschichte, für ihn ein Trümmerfeld trauriger Irrtümer und ein Museum trauriger Schönheit. Die philosophische Tradition der europäischen Kultur (er setzt sich nachdrücklich auseinander mit der Philosophie der Griechen, der Scholastiker und des deutschen Idealismus) ist durchzogen von ungelösten Gegensätzen wie Form und Stoff, Geist und Natur, Wissen und Glauben, Wert und Wirklichkeit, Leib und Seele; der Amerikaner versteht sie als Anzeichen einer brutalen Zerreißung des Lebens durch harte Klasseninteressen und fixierte soziale Ungerechtigkeit. Es gibt nämlich außer dem einzig richtigen Weg instrumentalen und existentiellen Denkens auch Umwege und Irrwege, die zwar ebenfalls der gespürten Lebensnot entspringen, sie aber durch Scheinlösungen zu umgehen und zu übertünchen glauben. Man kann die praktisch-existentielle Lösung in der Phantasie vorausnehmen und überspringen. Man kann sich in einer eingebildeten Harmonie, einer inneren Landschaft ergehen, während die Welt im Argen liegen bleibt. So eine eingebildete, erstohlene Lösung grenzt an Zauberei und Priesterbetrug. Der Dualismus von immateriellen Werten und wertloser Materie entspricht den sozialen Klasseninteressen einer herrschenden und genießenden Herrenschicht und einer arbeitenden Sklavenschicht. Die philosophische Tradition verachtet die Arbeit als Ausdruck der Not und verewigt so den Gegensatz, statt ihn zu überwinden. Das Sehsuchtsziel der Einheit und Harmonie und des wahren Seins wird metaphysisch als wahre Realität ausgegeben, statt ihm Realität in der Arbeit der Gegenwart zu verleihen. Man preist das reine Denken gegenüber der schmutzigen Praxis und trägt so dazu bei, die Praxis in den Händen enger und blinder und selbstsüchtiger Interessen zu lassen. Ein Irrtum kompensiert den andern. Die falsche Fixierung mechanischer Kausalität als metaphysisches Wesen der Natur wird kompensiert durch den entgegengesetzten Irrtum, daß moralisch-ästhetische Zwecke hher stehen als ihre Vermittlung und Verwirklichung. Man wendet sich von der existentiellen Welt, der problematischen und vergänglichen Wirklichkeit ab, anstatt nach den Bedingungen zu fragen, wodurch sie kontrolliert und dadurch vermenschlicht werden könnte. Man versteinert Werte zu Wesenheiten ansich, um sich über ihre Vergänglichkeit zu trösten, während sie in Wirklichkeit menschliche Lebenserfüllungen in konkreten Situationen sind. Man beleuchtet sie mit einem bequemen Scheinwerferbewußtsein, statt praktisch-wissenschaftlich für sie Vorsorge zu tragen. Sind sie doch, weil entfernt "ewig" zu sein, das Gebrechlichste, was es gibt, um so seltener und vergänglicher, je edler und reicher und beglückender sie erlebt werden.

Das einzige wahrhaft Tröstliche der europäischen Geschichte ist der stetige Fortschritt empirisch-wissenschaftlicher Methoden, deren Auswirkung die "Tradition" untergräbt.

Damit sind wie bei der  Krisis der Gegenwart angelangt. Sie beruht darauf, daß wir an die alten, von trügerischer Erbaulichkeit und Autorität aufgeblasenen Werte nicht mehr glauben, aber die philosophische Form des kommenden wissenschaftlichen demokratischen, sozialen Industrielebens noch nicht gefunden haben. Der dadurch entstandene Hohlraum ("Vacuum") wird nun angefüllt durch verzweifelte Reaktion einerseits und durch oberflächliche Massensuggestionen, äußere und scheinbare und nur konventionelle Herdenuniformität andererseits; die zwar die alte Unabhängigkeit des Denkens unterdrückt, aber dafür keine soziale Geborgenheit und Freiheit bietet. Wenn der Wissenschaft vorgeworfen wird, daß sie am Verlust geistiger Güter und persönlicher Werte schuld sei, so beruth das auf einem gründlichen Mißverständnis der instrumentalen Natur der wissenschaftlichen Methode. Diese enthüllt nicht etwa eine metaphysische, sinnleere mechanische Welt ansich, in welcher Werte keinen Ort hätten, sondern mechanische Gesetze oder Regelmäßigkeiten sind lediglich praktische Bedingungen, um die individuelle geschichtliche Gegenwart besser zu gestalten.

Wenn das nicht verstanden wird, wenn die ansich wohltätige Macht praktischer Kontrolle und beherrschender Analyse mißbraucht und zu eigennützigen Zwecken ausgebeutet und monopolisiert wird, so liegt das nicht an der Wissenschaft oder an der Technik, sondern an den in den alten dualistischen Denkformen befangenen Menschen. Die Übel, welche mit der praktischen Wissenschaft entstanden sind, können nur durch mehr Wissenschaft geheilt werden, die eben nicht nur auf eine physische Welt von Dingen angewendet werden muß, sondern die soziale Praxis selbst durchdringen und zum Nutzen aller ihre organisatorische Macht erproben soll.

Vor dieser Wandlung stehen wir heute. Die soziale Wissenschaft ist der "Messias der Zukunft". Und die Brücke in diese Zukunft ist die  Erziehung, die zugleich Sozialpolitik ist und nicht ohne Umwandlung der Gesellschaft gelingen und wirksam sein kann.

Erziehung soll den Zögling lehren, sich als integrales Glied sozialer Zusammenhänge verstehen und betätigen zu lernen. In der Erziehung sind die Gegensätze von Freiheit und Autorität, von Sozialismus und Individualismus aufgehoben. Die Schule soll ein erweitertes Heim, soll der Ort sein, an dem das Kind zu leben lernt. An den Arbeitsprozessen, welche die Gesellschaft konstituieren, so das Kind selbsttätig den Weg erkennen lernen, der von Barbarei zu Zivilisation, vom Bestimmtwerden durch äußere Bedingungen zum Bestimmen durch innere soziale Zwecke aufwärts leitet. Durch solches Zusammenwirken, wodurch sich Verständnis in die Verflochtenheit aller Funktionen und die Natur und Herkunft der Materialien ergeben, stellt sich auch von selber eine innere Disziplin und Arbeitsfreude ein, die absticht von der äußeren Disziplin innerlich isolierter Individuen in der alten Schule. Das Kind soll in der Schule entfalten und begreifen lernen, was es vom Leben her weiß. Von der Vergangenheit soll nur das wirksam werden, was instrumental und existentiell in die Gegenwart ragt.

Was Erziehung für die Welt im kleinen, ist  Philosophie für die Welt und die Politik im großen. Sie ist Lebenskritik. Sie zeigt die Einheit aller Interessen und ihre Verwurzelung im Praktischen, welches auch das Moralische ist. Sie hat falsche Isolierungen aufzudecken und die daraus entspringenden dialektischen Scheinprobleme dadurch aufzulösen, indem sie die in ihnen ruhenden moralischen Motive und Zwecke sichtbar macht. Auch sie ist als vereinheitlichender Ausdruck der problematischen Wirklichkeit, die wir zu meistern haben, instrumental und existentiell.

Als Philosophie der amerikanischen Demokratie ist sie eine prophetische Schau eines gesichtslosen, aber naturverbundenen, dem praktischen Denken vertrauenden Volkes, einer der Zeitlichkeit verhafteten, in Arbeit und Genuß rhythmisch bewegten industriellen Zivilisation.

Der Pragmatismus ist in Amerika oft widerlegt worden. Er weiß nichts von einem Universum. Und warum? weil ein Universum zu denken in dialektische Schwierigkeiten verwickeln würde. Diese werden "irrelevant", sobald bewiesen ist, daß sie ihre Quellen in ungelösten praktisch-sozialen Schwierigkeiten haben, die auch praktisch-technisch gelöst werden können. Nun aber will DEWEY dennoch eine "Metaphysik" geben, welche "die Natur der Dinge" darstellt. Sie besteht in der Einsicht, daß die praktischen Schwierigkeiten, welche das Denken als praktisches Werkzeug löst, schon vor dem Denken eben in "jener Natur der Dinge" selbst bestehen.

Erstens scheint es nun nach altväterischer Logik, ob diese nun "ein Ausdruck griechischer Klassenschichtung" ist oder nicht, daß entweder die behauptete Problematik des Daseins als wesentlich gefaßt wird, und in diesem Fall kann sie nicht praktisch-zeitlich aufgelöst werden, oder die Problematik ist nichts als zeitlich-praktische Schlichtung, kein metaphysisch-philosophisches Problem. Zweitens vermengt der Instrumentalismus biologische und soziologische Gesichtspunkte.

Wenn technische Instrumente, Werkzeuge, Arbeitsmittel an die Stelle des philosophischen Denkens treten, so wird Philosophie durch eine politisch-ökonomische Praxis ersetzt, oder vielmehr totgeschlagen. Der Instrumentalismus wird dann zur Brücke, worauf der Relativismus "vermittelnder Prozesse" leicht in den marxistischen Dogmatismus des "Klassenkampfes" übergeht.

Man kann aber nicht die Welt der Werte zuerst pragmatisch-instrumentalistisch entwerten, um dann doch einer aller Kriterien beraubten "Gegenwart" den Wertunterschied von Gut und Böse in Gestalt empirischer soziologischer "Klassen" aufzudrängen.
LITERATUR - Gustav E. Müller, Die amerikanische Philosophie, Stuttgart 1950