cr-4 HobbesDescartesHumeF. NauenHamiltonH. Ruin    
 
THOMAS REID
Untersuchung über
den menschlichen Geist

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"Cartesius  sagt  Ich denke, also bin ich.  Aber wäre es nun nicht ein ebenso gutes Räsonnement, wenn er sagen würde  ich schlafe, also bin ich.  Oder  ich tue nichts, also bin ich." 

"Aber als erwiesen angenommen, daß mein Denken und mein Bewußtsein ein Subjekt haben müssen und daß ich folglich existiere, wie kann ich denn wissen, daß die ganze Folge und Reihe von Gedanken, deren ich mich erinnere, nur  einem  Subjekt zukommen und daß das Ich dieses Augenblicks, das individuelle Ich von gestern und all den vergangenen Zeiten ist?"

"Locke  entscheidet er ganz ernsthaft, daß im Bewußtsein persönliche Identität besteht; d. h., wenn man sich bewußt ist, irgendetwas vor zwölf Monaten getan zu haben, dieses Bewußtsein uns zu eben derselben Person macht, die es getan hat. Nun kann das Bewußtsein des Vergangenen nichts anderes bedeuten, als die Erinnerung, daß ich es getan habe; sodaß  Lockes  Prinzip dieses sein muß, daß die Identität in der Wiedererinnerung besteht, und daß folglich ein Mensch, in Anbetracht all dessen, was er vergißt, seine persönliche Identität verliert."

"Es scheint in  Hume  eine ganz besondere Art von Humor zu sein, daß er in seiner Einleitung, mit einem ganz ernsthaften Gesicht nichts weniger als ein vollständiges System der Wissenschaften, aufgeführt auf einer ganz neuen Grundlage, nämlich auf der menschlichen Natur, verspricht, da doch der Zweck seines ganzen Werkes ist, zu zeigen, daß es weder eine menschliche Natur noch irgendeine Wissenschaft in der ganzen Welt gibt."


Erstes Hauptstück
Einleitung

Erster Abschnitt
Wichtigkeit der Materie
und Mittel, sie auszuführen

Das Gebäude des menschlichen Geistes ist eben, so wie das Gebäude des menschlichen Körpers, künstlich und wunderbar. Die Fähigkeiten des einen sind mit nicht geringerer Weisheit, als die Organe des andern, ihren verschiedenen Zwecken angemessen. Ja, es ist billig, zu glauben, daß, da der Geist ein viel edleres Werk, und von einem höheren Rang, als der Körper ist, der göttliche Baumeister sogar mehrere Weisheit und Geschicklichkeit in der Einrichtung desselben angewandt hat. Er ist, folglich, um seiner selbst willen, ein, der Untersuchung höchst würdiger Gegenstand; aber er ist es noch wegen des ausgebreiteten Einflusses, welchen die Kenntnis desselben auf jeden anderen Zweig der Wissenschaften hat.

In solchen Künsten und Wissenschaften, welche in der allerentferntesten Verbindung mit dem menschlichen Geist stehen, sind die Fähigkeiten desselben die Werkzeuge, welche wir gebrauchen müssen; und je besser wir ihre Natur und ihren Nutzen, ihre Mängel und ihre Unordnungen einsehen, je geschickter und mit desto größerem Fortschritt vermögen wir, dieselben anzuwenden. Aber, in den edelsten Künsten ist auch der Geist der Gegenstand, auf welchen wir wirken. Der Maler, der Dichter, der Schauspieler, der Redner, der Moralist, und der Staatsmann, versuchen, auf verschiedenen Wegen, und zu verschiedenen Zwecken, auf den menschlichen Geist zu wirken; und es glückt ihnen nur, je nachdem sie geschickt die Saiten der Menschheit zu berühren wissen. Auch können ihre verschiedenen Künste nie auf einem festen Grund stehen, oder sich bis zur Würde der Wissenschaft erheben, sofern sie nicht auf den Grundsätzen der menschlichen Beschaffenheit aufgeführt sind.

Männer von Einsicht stimmen jetzt darin überein, oder sollten doch darin übereinstimmen, daß es nur einen Weg zur Kenntnis der Werke der Natur gibt; den Weg der Beobachtung und Erfahrung. In der Beschaffenheit des Menschen liegt ein starker Hang, einzelne Tatsachen und Beobachtungen auf allgemeine Regeln zurückzubringen und diese allgemeinen Regeln nun anzuwenden, um von anderen Wirkungen Rechenschaft zu geben, oder, in der Hervorbringung derselben, uns zu leiten. Dieses Verfahren des menschlichen Verstandes ist jedem menschlichen Geschöpf bei den gewöhnlichen Vorfällen des Lebens ganz gewöhnlich; und es ist das einzige, durch welches, in der Philosophie, wahrhafte Entdeckungen gemacht werden können.

Der Mensch, welcher zuerst die Entdeckung machte, daß die Kälte das Wasser gefriert, und daß die Hitze dasselbe in Dünste verwandelt, verfuhr nach eben denselben allgemeinen Prinzipien, und auf eben dieselbe Art, mittels welcher NEWTON die Gesetze der Gravitation und die Eigenschaften des Lichts entdeckte. Seine  regulae philosophandi  sind Maximen des gemeinen Menschenverstandes, und werden täglich, im gemeinen Leben, in Ausübung gebracht; und der, der nach anderen Regeln, sei es über das materielle System, oder über den menschlichen Geist philosophiert, verfehlt seinen Zweck.

Mutmaßungen und Theorien sind Geschöpfe der Menschen, und werden immer den Geschöpfen Gottes sehr unähnlich gefunden werden. Wenn wir die Werke Gottes kennen lernen wollen: so müssen wir diese Werke selbst, mit Aufmerksamkeit und Demut zu Rate ziehen, und uns nicht einfallen lassen, irgendetwas von dem unsrigen zu dem hinzuzusetzen, was sie sagen. Eine richtige Auslegung der Natur ist die einzige gesunde und orthodoxe Philosophie; was wir, aus unserem eigenen Vorrat hinzutun, ist apokryphisch [zweifelhaft - wp], und hat kein Ansehen.

Alle unsere scharfsinnigen Theorien von der Bildung der Erde, von der Zeugung der Tiere, vom Ursprung des physikalischen und moralischen Übels sind, insofern sie über richtige Folgerungen aus Tatsachen hinausgehen, Eitelkeit und Torheit, und nicht mehr und nicht weniger, als die  Wirbel  [Es gibt keinen leeren Raum. - wp] des CARTESIUS, oder der  Archeus  [Astralwelt - wp] des PARACELSUS. Vielleicht ist die Philosophie des menschlichen Geistes nicht weniger, als die Philosophie der materiellen Welt, durch Theorien verfälscht und verdorben worden. Die Theorie der Ideen ist zwar, in der Tat, sehr alt, und sehr allgemein angenommen worden; aber, da keiner dieser Titel ihr Glaubwürdigkeit geben kann: so vermögen sie solche auch nicht vor einer freien, und gutgemeinten Untersuchung zu schützen; besonders in diesem Zeitalter, wo sie ein System von Skeptizismus hervorgebracht hat, das über alle Wissenschaft, und sogar über die Aussprüche des allgemeinen Menschenverstandes, zu triumphieren scheint.

Alles, was wir vom Körper wissen, haben wir der anatomischen Zergliederung und Beobachtung zu verdanken; und nur durch eine Anatomie des Geistes können wir die Kräfte und Prinzipien desselben entdecken.


Zweiter Abschnitt
Die Hindernisse zur Kenntnis
des menschlichen Geistes

Man muß, indessen, eingestehen, daß diese Art von Zergliederung viel mehr Schwierigkeiten hat, als die andere; und folglich darf es nicht so sonderbar scheinen, daß das menschliche Geschlecht so wenig Fortschritt gemacht hat. Die Wirkungen unseres Geistes genau zu beobachten und sie zum Gegenstand unserer Gedanken zu machen, ist sogar für den denkenden Kopf kein leichtes Geschäft, und für den großen Haufen des menschlichen Geschlechts beinahe unmöglich.

Ein Zergliederer, welcher glückliche Gelegenheiten hat, kann dazu gelangen, mit seinen eigenen Augen, und mit gleicher Genauigkeit, Körper jeden Alters, Geschlechts und Beschaffenheit zu untersuchen, so daß, was im einen mangelhaft, dunkel, übernatürlich ist, im andern deutlich unterschieden, und in seinem vollkommensten Zustand gesehen werden kann. Aber der Zergliederer der Seele kann nicht eben dieser Vorteile habhaft werden. Nur seinen eigenen Geist allein kann er mit einigem Grad an Genauigkeit und Deutlichkeit erforschen. Dies ist der einzige Gegenstand, in welchen er hineinzublicken vermag. Er kann, aus äußerlichen Zeichen, die Wirkungen anderer Geister zusammensammeln; aber diese Zeichen sind, größtenteils zweideutig, und müssen durch das, was er in sich selbst wahrnimmt, erklärt werden.

Folglich, wenn nun auch irgendein Philosoph uns, alle Wirkungen des denkenden Prinzips in ihm, deutlich und methodisch abzeichnen könnte, was dann doch zu tun bis jetzt kein Mensch fähig war: so würde dies dann doch nur die Zergliederung eines einzelnen Gegenstandes sein, welche, auf die menschliche Natur im Ganzen angewandt, sowohl mangelhaft als auch falsch sein müßte; denn ein wenig Nachdenken kann uns lehren, daß der Unterschied zwischen Seelen größer ist, als zwischen irgendwelchen anderen Dingen, die wir zu ein und derselben Art rechnen.

Von den verschiedensten Kräften und Fähigkeiten, welche wir besitzen, gibt es einige, welche die Natur so wohl gepflanzt wie aufgezogen zu haben scheint, dergestalt, daß sie dem menschlichen Fleiß nichts zu tun übrig gelassen hat. Von dieser Art sind die Kräfte, welche wir mit den Tieren gemein haben, und welche zur Erhaltung des Individuums, und zur Fortpflanzung der Art notwendig sind. Es gibt andere Kräfte, deren Samen die Natur nur in unsere Seelen gelegt, deren Anziehung sie aber der menschlichen Kultur überlassen hat. Und durch einen schicklichen Anbau derselben, werden wir all der Vollkommenheiten in Verstandeskräften, im Geschmack, in der Sittlichkeit fähig, welche die menschliche Natur erheben, und ihr Würde geben; indem, auf der anderen Seite, die Vernachlässigung, oder die unrichtige Richtung jener Anlagen die Ausartung und das Verderbnis der menschlichen Natur nach sich zieht.

Das zweibeinige Tier, das von den Leckerbissen der Natur das verzehrt, was sein Geschmack, oder sein Hunger verlangt, und seinen Durst an der kristallenen Quelle löscht; das sein Geschlecht fortpflanzt, wie Gelegenheit und Begierden es treiben, Beleidigungen von sich zurücktreibt und wechselweise Arbeit und Ruhe sucht, ist, gleich einem Baum im Wald ein bloßes Naturgewächs. Allein eben dieser Wilde trägt in sich selbst den Samen des Weltweisen, des Mannes von Geschmack und Erziehung, des Redners, des Staatsmannes, des Mannes von Tugend, des Heiligen; aber dieser Same, obgleich ihn die Natur in seinen Geist gelegt hatte, bleibt dennoch, aus Mangel an Anbau und Übung, für immer vergraben und wird kaum von dem, der ihn selbst bei sich trägt, oder von anderen, wahrgenommen.

Der niedrigste Grad des geselligen Lebens bringt einige von den Prinzipien ans Licht, welche im Stand der Wildheit verborgen liegen; und einige derselben gedeihen und wachsen nach Maßgabe von Unterweisung, Gesellschaft und Lebensart, entweder durch ihre angeborene Kraft, oder durch die Kraft der Kultur, zu großer Vollkommenheit auf, indem die natürliche Form anderer ganz außerordentlich verkehrt und verdorben, wieder anderer zurückgehalten oder vielleicht gänzlich ausgerottet wird.

Hierdurch wird die menschliche Natur in den Individuen, welche dazu gehören, so mannigfaltig und so vielförmig gemacht, daß sie, in Anbetracht der Moralität und der Geistesfähigkeiten, den ganzen Raum ausfüllt, der, nach unseren Vorstellungen, zwischen Tieren und Teufeln unter-, und den himmlischen Heerscharen über uns ist. Und eine solche unermeßliche Verschiedenheit der Geister muß es äußerst schwer machen, die, der ganzen Gattung zukommenden und eigenen Prinzipien aufzuspüren.

Die Sprache der Philosophen, in Anbetracht der ursprünglichen Fähigkeiten des Geistes, ist dem herrschenden System so genau angemessen, daß sie sich keinem anderen anpassen kann; gleich einem Rock, der nur dem gut steht, und nur den zu seinem Vorteil zeigt, für welchen er gemacht ist, und jedem anders gewachsenen, auch wenn er noch so hübsch und noch so wohlgestaltet wäre, sehr schlecht sitzt. Es ist kaum möglich, eine Neuerung in unserer Philosophie, in Bezug auf den menschlichen Geist und der Wirkung desselben zu machen, ohne neue Worte oder Redensarten zu gebrauchen oder den schon angenommenen eine verschiedene Bedeutung zu geben; eine Freiheit, die, wenn sie auch notwendig ist, Vorurteil und Mißverständnisse weckt und welche die Sanktion der Zeit erhalten muß, wenn sie Ansehen haben soll. Denn Neuerungen in der Sprache sind, wie Neuerungen in der Religion und in der Regierungsform, der Menge immer verdächtig und mißfällig, bis der Gebrauch sie damit bekannt gemacht und die Verjährung ihnen Rechte gegeben hat.

Wenn die ursprünglichen Wahrnehmungen und Begriffe vom menschlichen Geist sich uns einzeln und unvermischt auf eben die Art darstellten, als wir sie anfänglich aus der Hand der Natur erhalten haben: so würde ein, zum Nachdenken gewöhnter Kopf weniger Schwierigkeiten haben, ihnen nachzuspüren. Aber, ehe wir des Nachdenkes überhaupt fähig sind, sind sie so vermischt und durch Gewohnheit, durch Verknüpfungen und Abstraktionen so zusammengesetzt und auseinandergesetzt, daß es schwer wird, zu wissen, was sie ursprünglich waren. Der Geist kann in diesem Fall einem Apotheker oder Chemiker verglichen werden, dem die Natur in der Tat zwar seine Materialien liefert, der sie aber, der Zwecke seiner Kunst wegen, vermischt, zusammensetzt, auflöst, verpufft und sublimiert, so lange, bis sie ein ganz verschiedenes Ansehen erlangen, dergestalt, daß es sehr schwer ist, zu wissen, was sie ursprünglich waren, und noch weit schwerer, sie zu ihrer ursprünglichen natürlichen Form zurückzubringen. Und dieses Geschäft des Geistes wird nicht vermöge eines überlegten Vorsatzes der reifen Vernunft, dessen wir uns wieder erinnern könnten, sondern mittels des Instinktes, der Gewohnheit, der Assoziation und anderer Prinzipien ausgeführt, welche wirken, ehe wir zum Gebrauch der Vernunft gelangt sind, so daß es dem Geist äußerst schwer fällt, in seinen eigenen Fußstapfen zurückzugehen, und den Verrichtungen nachzuspüren, die ihn seit der Zeit, daß er zuerst anfing zu denken und zu handeln, beschäftigt haben.

Könnten wir eine deutliche, zusammenhängende Geschichte von all dem haben, was im Geist eines Kindes vom Anfang seines Lebens und der Sensation an, bis es zum Gebrauch der Vernunft herangewachsen ist, sich zugetragen hat; wie seine kindischen Fähigkeiten anfingen zu wirken, und wie sie all die verschiedenen Begriffe, Meinungen und Gesinnungen hervor- und zur Reife brachten, die wir in uns selbst schon antreffen, wenn wir des Nachdenkens fähig werden: so würde dies ein Schatz der Naturgeschichte sein, der, wahrscheinlicherweise mehr Licht über die menschlichen Fähigkeiten würde verbreiten können, als all die Systeme der Philosophen darüber seit Anbeginn der Welt. Aber es ist vergeblich das zu wünschen, was die Natur über die Grenzen unserer Macht hinaus gestellt hat. Nachdenken, das einzige Werkzeug, durch welches wir die Kräfte des Geistes unterscheiden können, kommt zu spät, um den Fortgang der Natur in der Aufziehung derselben aus der Kindheit bis zur Vollkommenheit zu beobachten.

Es erfordert also große Vorsicht, und eine große Anstrengung des Geistes in einem Menschen, der in allen Vorurteilen der Erziehung, der Mode, der Philosophie gewachsen ist, seine Begriffe und Meinungen gleichsam zu zergliedern, bis er die einfachen und ursprünglichen Prinzipien seiner Beschaffenheit ausfindig macht, von welchen sich weiter keine Ursache, als der Wille unseres Urhebers angeben läßt. Dies kann dann mit Recht eine Analyse der menschlichen Fähigkeiten genannt werden, und bis sie ausgeführt ist, erwarten wir vergeblich irgendein richtiges System über den menschlichen Geist, das heißt, eine Aufzählung der ursprünglichen Kräfte und Gesetze unserer Beschaffenheit, und aus ihnen eine Erklärung der verschiedenen Phänomene der menschlichen Natur.

Fortgang in einer Untersuchung dieser Art zu erzwingen, steht nicht in menschlichen Kräften; aber, vielleicht ist es, durch Vorsicht und Demut möglich, Irrtum und Täuschung zu vermeiden; das Labyrinth kann zu verworren und der Faden zu fein sein, um all die Windungen desselben aufzuspüren; aber, wenn wir nur stehen bleiben, so bald wir nicht weiter spüren können, und den Grund, den wir gewonnen haben, zu verwahren wissen: so ist kein Übel dabei; ein scharfes Auge kann in der Zukunft wohl weiter bringen.

Es ist das Genie und nicht der Mangel desselben, das die Philosophie verfälscht, und sie mit Irrtümern und unrichtigen Theorien erfüllt. Eine schaffende Einbildungskraft verachtet die niedrige Beschäftigung, Grund zu legen, Schutt wegzuräumen und Materialien herbeizuführen; es überläßt diese knechtischen Arbeiten den Tagelöhnern und Handlangern in den Wissenschaften, entwirft einen Plan, und führt ein Gebäude auf. Erfindung ersetzt Materialien wenn sie mangeln, die Phantasie gibt ihnen einen Anstrich und jeden schicklichen Zierrat. Das Werk gefällt dem Auge; und ihm mangelt nichts als Festigkeit und ein guter Grund. Es scheint daher sogar mit den Werken der Natur zu wetteifern, bis irgendein künftiger Baumeister es in Trümmer stürzt und an die Stelle desselben ein ebenso gutes Gebäude seiner Art aufführt. Glücklicherweise beschäftigen sich die Luftschloßbauer in diesem Jahrhundert mehr mit Romanen als mit Philosophie. Zweifelsohne ist dies ihr eigenes Gebiet; in diesen Regionen ist eine Geburt der Phantasie rechtmäßig, in der Philosophie aber ein Bastard.


Dritter Abschnitt
Der gegenwärtige Zustand dieses Teils der
Philosophie. Von Cartesius, Malebranche und Locke.

Daß unsere Philosophie in Bezug auf den menschlichen Geist und der Fähigkeiten desselben, in einem sehr dürftigen Zustand ist, kann sogar von denen, die denselben niemals genau untersucht haben, sehr leicht gemutmaßt werden. Gibt es denn auch, in Anbetracht des menschlichen Geistes, irgendwelche Prinzipien, die mit der Deutlichkeit und Evidenz festgesetzt wären wie die Prinzipien der Mechanik, der Astronomie, der Optik? Dieses sind wirkliche Wissenschaften, die auf Gesetzen der Natur, die allgemein herrschen, aufgeführt sind. Was in ihnen entdeckt wird, ist keinem Streit mehr unterworfen. Zukünftige Zeitalter können etwas hinzusetzen; aber, solange die Natur ihren Lauf nicht ändert, kann das, was schon festgesetzt ist, nicht umgestürzt werden. Aber, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf unser inneres Selbst richten und die Erscheinungen des menschlichen Denkens, der menschlichen Meinungen und Vorstellungen in Erwägung ziehen, und nun versuchen, sie auf die allgemeinen Gesetze, und die ersten Prinzipien unserer Beschaffenheit zurückzubringen: so werden wir unmittelbar in Dunkelheit und Verwirrung gestürzt. Und, wenn es sich nicht trifft, daß der gemeine Menschenverstand und die Grundsätze der Erziehung sehr hartnäckig sind: so kann man wetten, daß wir am Ende in einen entschiedenen Skeptizismus verfallen.

CARTESIUS, weil er in diesem Teil der Philosophie nichts festgesetzt fand, entschloß sich, um den Grund derselben recht tief zu legen, nicht eher an seine eigene Existenz zu glauben, als bis er fähig wäre, einen guten Grund dafür anzugeben. Er war vielleicht der Erste, der einen solchen Entschluß faßte; aber, wenn er seinen Vorsatz wirklich hätte erreichen und in der Tat mißtrauisch gegen seine eigene Existenz hätte werden können: so würde sein Zustand bejammernswürdig und von Seiten der Vernunft oder der Philosophie ohne alle Hilfe gewesen sein. Mit einem Mann, der an seine eigene Existenz nicht glaubt, ist es zuversichtlich ebenso unmöglich zu räsonnieren wie mit einem Menschen, der glaubt aus Glas zu sein. Es mag, in der menschlichen Beschaffenheit Unordnungen geben wodurch diese Ausschweifungen hervorgebracht werden können; aber geheilt werden können diese nie durch Räsonnement. CARTESIUS wollte uns in der Tat überreden, daß er von diesem Delirium durch das logische Argument  cogito ergo sum  befreit wurde; aber es ist augenscheinlich, daß er die ganze Zeit über bei sehr guten Sinnen war und niemals ernsthaft an seiner Existenz zweifelte. Denn, er nimmt dies in seinem Argument als zugestanden an und beweist nichts. "Ich denke", sagt er, "also bin ich." Und wäre es nun nicht ein ebenso gutes Räsonnement, wenn er sagen würde "ich schlafe, also bin ich." Oder "ich tue nichts, also bin ich." - Wenn ein Körper in Bewegung ist, so muß er, zweifelsohne, existieren; aber auch, wenn er in Ruhe ist, muß er es gleichfalls.

Vielleicht wollte CARTESIUS in diesem Enthymema [unvollständiger Schluß - wp] nicht seine eigene Existenz, sondern die Existenz des Denkens erweisen; und daraus nun die Existenz des Geistes oder des Subjekts des Denkens folgern? Aber warum bewies er dann nicht die Existenz des Denkens? Das Bewußtsein, kann man sagen, ist Bürge dafür. Aber, wer leistet denn Bürgschaft für das Bewußtsein? Kann irgendein Mensch beweisen, daß sein Bewußtsein ihn nicht hintergeht? Das kann keiner! Auch können wir keinen besseren Grund für unser Zutrauen darauf anführen, als, daß jeder Mensch, solange er bei gesundem Verstand ist, durch die Beschaffenheit seiner Natur getrieben wird, blindlings daran zu glauben und über den zu lachen oder ihn zu bemitleiden, der am Zeugnis desselben zweifelt. Und ist nicht Jedermann, der bei Sinnen ist, ebensogut genötigt, seine Existenz auf guten Glauben anzunehmen, als sein Bewußtsein?

Der andere Satz in diesem Argument, daß das Denken nicht ohne einen Geist oder ein Subjekt stattfinden kann, ist eben demselben Einwurf ausgesetzt. Nicht, daß es ihm an Evidenz fehlt, sondern daß seine Evidenz weder deutlicher noch unmittelbarer ist, als die Evidenz des Satzes, der dadurch erwiesen werden soll. Und, wenn man nun alle diese Sätze  - ich denke - ich habe Bewußtsein - jedes Ding, das denkt, existiert - ich existiere -  zusammennimmt, wird da nicht jeder vernünftige Mensch von dem, der an irgendeinem dieser Sätze ernsthaft zweifelt, eben dieselbe Meinung hegen? Und, ist er der Freund dieses Zweiflers, wird er da nicht eher die Wiederherstellung von Arznei und guter Diät, als von Metaphysi und Logik erwarten?

Aber als erwiesen angenommen, daß mein Denken und mein Bewußtsein ein Subjekt haben müssen und daß ich folglich existiere, wie kann ich denn wissen, daß die ganze Folge und Reihe von Gedanken, deren ich mich erinnere, nur  einem  Subjekt zukommen und daß das Ich dieses Augenblicks, das individuelle Ich von gestern und all den vergangenen Zeiten ist?

CARTESIUS hielt es nicht für ratsam, diesen Zweifel zu äußeren; aber LOCKE hat es getan; und, um ihn zu heben, entscheidet er ganz ernsthaft, daß im Bewußtsein persönliche Identität besteht; das heißt, wenn man sich bewußt ist, irgendetwas vor zwölf Monaten getan zu haben, dieses Bewußtsein uns zu eben derselben Person macht, die es getan hat. Nun kann das Bewußtsein des Vergangenen nichts anderes bedeuten, als die Erinnerung, daß ich es getan habe; so, daß LOCKEs Prinzip dieses sein muß, daß die Identität in der Wiedererinnerung besteht, und daß folglich ein Mensch, in Anbetracht all dessen, was er vergißt, seine persönliche Identität verliert.

Auch sind dies nicht die einzigen Beispiele, woraus sich erhellt, daß unsere Philosophie über den menschlichen Geist sehr fruchtbar an der Erschaffung von Zweifeln und sehr unglücklich in der Auflösung derselben ist.

CARTESIUS, MALEBRANCHE, LOCKE haben alle ihr Genie und alle ihre Geschicklichkeit darauf verwandt, die Existenz einer materiellen Welt zu erweisen; aber es ist ihnen schlecht gelungen. Arme, unwissende Sterbliche, die ohne allen Zweifel glauben, daß es eine Sonne, einen Mond, daß es Sterne und eine Erde gibt, die wir bewohnen, ein Vaterland, Freunde und Verwandte, die wir genießen, Ländereien, Häuser und Geräte, die wir besitzen! Philosophen, welche die Leichtgläubigkeit des großen Haufens bemitleiden, entschließen sich, nichts zu glauben, als was auf Vernunft gegründet ist. Sie legen sich auf die Philosophie, damit diese sie mit Gründen versieht, um alle diejenigen Dinge zu glauben, welche das ganze Menschengeschlecht geglaubt hat, ohne daß es imstande gewesen wäre, Gründe dafür anzuführen. Und sicherlich sollte man nun erwarten, daß in Sachen von solcher Wichtigkeit der Beweis nicht sehr schwer wäre, aber er ist das schwerste Ding von der Welt. Denn diese drei großen Männer sind, mit dem besten Willen, nicht imstande gewesen, aus all den Schätzen der Philosophie ein einziges Argument beizubringen, das ausreichend wäre, einen Mann, der vernünfteln kann, von der Existenz irgendeines Dings außer ihm zu überführen. Bewunderungswürdige Philosophie! Tochter des Lichts! Mutter der Weisheit und Kenntnis! - Wenn du dies bist: so bist du sicherlich noch nicht über den menschlichen Geist aufgegangen, noch hast du uns mit mehreren deiner Strahlen beseligt, die hinlänglich sind, um eine sichtbare Helligkeit über die Geistesfähigkeiten des Menschen zu verbreiten und die Ruhe und Sicherheit zu stören, deren glücklichere Sterbliche genießen, die sich niemals deinem Altar näherten, noch deinen Einfluß fühlten. Aber wenn du in der Tat nicht die Macht hast, diese Wolken oder Phantome zu zerstreuen, die du entdeckt oder geschaffen hast, so entziehe uns dein karges und giftiges Licht. - Ich verachte die Philosophie und entsage ihrer Führung: laß meine Seele beim Menschenverstand wohnen!


Vierter Abschnitt
Schutzschrift für diese Philosophen

Aber anstatt diese Dämmerung des Tages zu verachten, laßt uns eher auf eine Vergrößerung derselben hoffen! Anstatt die erwähnten Philosophen wegen einiger Mängel und Flecken ihres Systems zu tadeln, sollten wir eher das Andenken derselben, als der ersten Entdecker einer vorher unbekannten Region der Philosophie ehren. So verstümmelt und unvollkommen ihr System auch immer sein mag: so haben sie dann doch den Weg zu künftigen Entdeckungen geöffnet und Anspruch auf einen großen Anteil am Wert derselben. Sie haben unendlich viel Staub und Schutt, der in den Zeitaltern der scholastischen Sophisterei zusammengekehrt worden war und den Weg verstopfte, weggeräumt. Sie haben uns auf den rechten Weg gebracht, den Weg der Erfahrung und des genauen Nachdenkens. Sie haben uns gelehrt, die Schlingen zweideutiger und übelerklärter Worte zu vermeiden und haben über diesen Gegenstand mit einer vorher unbekannten Verständlichkeit und Deutlichkeit gesprochen und gelehrt. Sie haben manchen Aufschluß gegeben, der zur Entdeckung von Wahrheiten bis zu welchen sie nicht gelangten doer zur Wahrnehmung von Irrtümern, in welche sie wider Willen verwickelt wurden, führen kann.

Man muß bemerken, daß diejenigen Mängel und Flecken der über den menschlichen Geist angenommenen Philosophie, wodurch sie am meisten der Verachtung und dem Spott vernünftiger Menschen ausgesetzt worden ist, vorzüglich diesem zugeschrieben werden müssen, daß die Anhänger dieser Philosophie aus einem natürlichen Vorurteil zugunsten derselben sich bestrebt haben, ihre Gerichtsbarkeit über die zughörigen Grenzen derselben auszudehnen und die Aussprüche des gemeinen Menschenverstandes vor ihren Richterstuhl zu ziehen. Aber diese lehnen diese Gerichtsbarkeit von sich ab. Sie verachten das Verhör der Vernunftschlüsse und unterwerfen sich ihrem Ansehen nicht. Sie verlangen weder den Beistand derselben, noch fürchten sie ihre Angriffe.

In diesem ungleichen Streit zwischen dem Menschenverstand und der Philosophie, kommt die letzte immer mit Schande und Verlust davon; auch kann sie niemals gedeihen bis nicht diese Nebenbuhlerschaft aufgehört hat, diese Eingriffe aufgegeben worden sind und eine vertrauliche Freundschaft wieder hergestellt worden ist. Denn in der Tat hat der gemeine Menschenverstand der Philosophie nichts zu verdanken; bedarf auch ihres Verstandes nicht. Aber auf der anderen Seite hat die Philosophie (wenn es erlaubt ist, die Metapher zu ändern) keine anderen Wurzeln als die Prinzipien des gemeinen Menschenverstandes. Sie wächst aus ihnen empor und zieht alle Nahrung aus ihnen. Getrennt von diesem Stamm verwelken ihre Ähren, ihr Saft trocknet aus, sie stirbt - und kommt um.

Die Philosophen des letzten Zeitalters, die ich erwähnt habe, waren nicht auf die Erhaltung dieser Vereinigung und Unterordnung so sorgfältig aufmerksam, wie es die Ehre und das Interesse der Philosophie erforderten; und die Philosophen des gegenwärtigen Zeitalters haben sich gar in einen öffentlichen Krieg mit dem gemeinen Menschenverstand eingelassen und hoffen, vermöge der Spitzfindigkeiten der Philosophie einen vollständigen Sieg über ihn davon zu tragen: ein nicht weniger kühne und eitles Unternehmen wie das Unternehmen der Riesen, die den allmächtigen ZEUS vom Thron stürzen wollten.


Fünfter Abschnitt
Vom Bischof Berkeley, der Abhandlung von der
menschlichen Natur und dem Skeptizismus

Das gegenwärtige Zeitalter hat, fürchte ich, nicht zwei scharfsinnigere und in diesem Teil der Philosophie mehr geübtere Philosophen hervorgebracht, als den Bischof von Cloyne und den Verfasser der Abhandlung von der menschlichen Natur. Der erstere war kein Freund des Skeptizismus, sondern hegte sehr warme Teilnahme für die Prinzipien der Religion und der Moral, wie es seinem Stand zukam; und dennoch war das Resultat seiner Untersuchung ein ganz ernsthafte Überzeugung, daß es kein solches Ding wie eine materielle Welt gibt. Nichts war für ihn in der Natur als Geister und Ideen und der Glaube an materielle Substanzen und abstrakte Ideen seiner Meinung nach der Hauptgrund all unserer Irrtümer in der Philosophie und allen Unglaubens und aller Ketzerei in der Religion. Seine Argumente sind auf die Grundsätze aufgeführt, welche ehedem CARTESIUS, MALEBRANCHE und LOCKE gelegt hatten und welche sehr allgemein angenommen worden sind.

Und die Meinung der besten Richter scheint dahin zu gehen, daß sie nie widerlegt worden sind, noch widerlegt werden können, und daß BERKELEY durch unwiderlegbare Argumente erwiesen hat, was kein Mensch, der bei Sinnen ist, glauben kann.

Der zweite dieser Philosophen (HUME) verfährt nach eben den Grundsätzen, treibt sie aber so weit hinaus, als sie reichen; und so wie der Bischof die ganze materielle Welt vernichtete, so vernichtet dieser Verfasser aus eben diesen Gründen die ganze Welt der Geister und läßt in der ganzen Natur nichts als Ideen und Eindrücke, ohne ein Subjekt, in welches diese Eindrücke gemacht werden können.

Es scheint in diesem Verfasser, eine ganz besondere Art von Humor zu sein, daß er in seiner Einleitung, mit einem ganz ernsthaften Gesicht nichts weniger als ein vollständiges System der Wissenschaften, aufgeführt auf einer ganz neuen Grundlage, nämlich auf der menschlichen Natur, verspricht, da doch der Zweck seines ganzen Werkes ist, zu zeigen, daß es weder eine menschliche Natur noch irgendeine Wissenschaft in der ganzen Welt gibt. Es kann vielleicht unbillig sein, über dieses Betragen eines Schriftstellers zu klagen, der weder an seine eigene, noch an die Existenz seines Lesers glaubt, und also wohl nicht meinen konnte, diesen zu hintergehen oder über die Leichtgläubigkeit desselben zu lachen. Ich kann aber dennoch nicht glauben, daß der Verfasser der "Abhandlung von der menschlichen Natur" ein so großer Skeptiker sein sollte, um eine Schutzschrift dieser Art für sich zu machen. Er glaubte, seiner Grundsätze ungeachtet, daß er gelesen werden und seine persönliche Identität beibehalten würde, bis er die Ehren und den Ruf, die man mit Recht seinem metaphysischen Scharfsinn schuldig ist, eingeerntet hätte. Auch gesteht er, in der Tat, sehr offenherzig ein, daß er nur in der Einsamkeit seiner eigenen Philosophie beigepflichtet hat. Gesellschaft vertrieb, gleich der Sonne, die Finsternis und den Nebel des Skeptizismus und brachte ihn zur Ergebung in die Herrschaft des gemeinen Menschenverstandes. Auch habe ich niemals gehört, daß er bezichtigt worden wäre, irgendetwas und sogar in der Einsamkeit getan zu haben, das einen solchen Grad von Skeptizismus verraten hätte, als seine Grundsätze behaupten. Sicherlich würden seine Freunde, wenn sie dies gefürchtet hätten, so viel christliche Liebe gehabt haben, ihn niemals allein zu lassen.

PYRRHO, der Stammvater dieser Philosophie, scheint sie zu größerer Vollkommenheit gebracht zu haben, als irgendeiner seiner Nachfolger; denn, wenn wir dem DIOGENES LAERTIUS angeführten ANTIGONUS CARYSTIUS glauben dürfen: so entsprach sein Leben seiner Lehre. Und so geschah es, wenn ein Wagen auf ihn zukam, oder ein Hund ihn anfiel oder sein Weg ihn an einen Abgrund brachte, so rührte er keinen Fuß, um der Gefahr zu entgehen, weil er seinen Sinnen nichts glaubte. Aber seine Begleiter, die, zum Glück für ihn, nicht so große Skeptiker waren, trugen Sorge, ihn vor Schaden in Acht zu nehmen, so daß er bis in sein neunzigstes Jahr lebte. Auch steht nicht zu zweifeln, daß die Freunde unseres Verfassers gleich sorgfältig gewesen sein würden, ihn vor Unglück zu bewahren, wenn sich seine Grundsätze jemals zu ernsthaft seiner bemeistert hätten.

Es ist wahrscheinlich, daß die "Abhandlung von der menschlichen Natur" nicht in der Gesellschaft geschrieben wurde; sie enthält jedoch dennoch offenbare Anzeichen, daß der Verfasser hin und wieder einmal in die Meinungen des großen Haufens zurückfiel und mit Mühe nur ein halbes Dutzend Seiten hintereinander dem Charakter des Skeptikers getreu blieb.

Auf gleiche Art vergaß der große PYRRHO selbst, bei einigen Gelegenheiten seine Grundsätze; und es heißt, daß er einstmals in solchen Zorn über seinen Koch geraten ist, der ihm wahrscheinlicherweise nicht sein Mittagsmahl nach seinem Kopf zubereitet hatte, daß er mit dem Bratspieß und dem Braten daran in der Hand ihn sogar bis zum öffentlichen Marktplatz verfolgt hat.

Es ist allerdings eine kühne Philosophie, die, ohne viel Umstände, Grundsätze verwirft, von welchen der Glaube und das Betragen des ganzen Menschengeschlechts in den alltäglichen Vorfällen des Lebens unwiderstehlich beherrscht werden; und welchen der Philosoph selbst, nachdem er sie widerlegt zu haben sich einbildet, nachgeben muß. Diese Prinzipien sind älter und haben mehr ansehen als die Philosophie; sie beruth auf ihnen, als auf ihrer Grundsäule, aber nicht diese Prinzipien auf ihr. Wenn sie diese umstürzen könnte, würde sie unter den Trümmern derselben begraben werden. Aber alle Maschinen der philosophischen Spitzfindigkeit sind zu schwach dazu, und das Unternehmen ist nicht minder lächerlich als ein Mechanikus, der eine  axis in peritrochia  [z. B. beim Flaschenzug - wp] ausfindig machen wollte, um die Erde von ihrer Stelle wegzurücken oder, ein Mathematiker, der sich einfallen läßt beweisen zu wollen, daß zwei Dinge, die jedes einem dritten Ding gleich sind, sich nicht untereinander gleichen.

ZENO bemühte sich die Unmöglichkeit der Bewegung zu beweisen. HOBBES, daß es keinen Unterschied zwischen Recht und Unrecht gibt und unser Verfasser, daß nicht unseren Sinnen, nicht unserem Gedächtnis und erst recht nicht einer Demonstration ein Glauben daran beigefügt werden darf. Eine Philosophie dieser Art ist mit Recht sogar denen lächerlich, welche die Falschheit derselben gar nicht entdecken können. Sie kann nichts sonst bezwecken, als den Scharfsinn des Sophisten auf Kosten der Herabwürdigung der Vernunft und der menschlichen Natur zu zeigen und die Menschen in  Yahoos  [Gullivers Reisen - wp] zu verwandeln.


Sechster Abschnitt
Über die Abhandlung von
der menschlichen Natur

Es gibt noch andere Vorurteile gegen dieses System von der menschlichen Natur, die sogar allgemein betrachtet Mißbrauen dagegen erwecken können.

CARTESIUS, HOBBES und HUME haben jeder ein System von der menschlichen Natur gegeben; ein, für einen einzigen Menschen, so groß auch sein Genie sein mag und seine Fähigkeiten immer sein mögen, ein viel zu großes Unternehmen. Es muß dabei immer eine Ursache zu fürchten sein, daß manche Teile der menschlichen Natur ihrer Beobachtung niemals vorkamen und daß andere ausgedehnt und hin und her gezerrt worden sind, um leere Plätze auszufüllen und das System vollständig zu machen. CHRISTOPH KOLUMBUS oder SEBASTIAN CABOT hätten es fast mit ebenso vielem Recht unternehmen können, uns eine vollständige Landkarte von Amerika zu geben.

Die Werke der Natur haben einen gewissen Charakter und ein gewisses Gepräge, das in der vollkommensten Nachahmung derselben nicht erreicht worden ist. Dies scheint auch in den erwähnten Systemen von der menschlichen Natur zu mangeln, und besonders im letzten. Man kann eine Puppe eine große Menge von Bewegungen und Gebärden machen sehen, die uns auf den ersten Anblick auffallen, aber, wenn die Puppe genau untersucht und auseinandergelegt wird: so hört unsere Bewunderung auf; wir übersehen die ganze Kunst ihres Urhebers. Wie unähnlich ist sie dem was sie vorstellt! Was für ein armseliges Stück Arbeit ist sie, verglichen mit dem Körper des Menschen, in dessen Bau wir, je mehr wir ihn kennen, umso mehr Wunder entdecken und desto lebendiger von unserer Unwissenheit überzeugt werden. Sollte nun der Mechanismus des Geistes so leicht zu begreifen sein, wenn der Mechanismus der Körpers es so schwer ist? - Aber, in diesem System erklären drei Gesetze der Assoziation, verbunden mit einigen wenigen ursprünglichen Gefühlen, den ganzen Mechanismus von Empfindung, Einbildungskraft, Gedächtnis, Meinung und all der Wirkungen und Leidenschaften der Seele. Ist dies der Mensch, den die Natur gemacht hat? Ich vermute, es ist nicht so leicht, beim Werk der Natur hinter den Vorhang zu sehen. Dieses da ist sicherlich eine Puppe, ersonnen von einem zu kühnen Lehrling der Natur um ihr Werk nachzuäffen. Beim Schein von Lichtern sieht sie ganz erträglich aus; aber, an helles Tageslicht gebracht und auseinander gelegt wird es sich wohl zeigen, daß es ein mit Kalk und Kelle gemachter Mensch ist. Je mehr wir von den anderen Werken der Natur kennen, je mehr erhalten sie unser Wohlgefallen und unseren Beifall. Das Wenige, was ich von unserem Sonnensystem weiß und von der Erde, welche wir bewohnen und von den Mineralien, Pflanzen und Tieren und von meinem Körper und von den Gesetzen, welche in diesen Teilen der Natur herrschen, eröffnet meinem Geist große und schöne Szenen und trägt gleich viel zu meiner Glückseligkeit und zu meiner Macht bei. Aber, wenn ich in mich hineinblicke und den Geist selbst betrachte, der mich all dieser Aussichten und dieses Genusses fähig macht - und dieser ist nichts als das, wozu ihn die "Abhandlung von der menschlichen Natur" macht - so werde ich gewahr, daß ich nur in einem bezauberten Schloß gewesen bin und durch Gespenster und Erscheinungen hintergangen wurde. Ich erröte innerlich, wenn ich darüber nachdenke, wie ich mich getäuscht habe. Ich schäme mich meiner Beschaffenheit und kann mich kaum enthalten, mit meinem Geschick zu hadern. Ist dies dein Zeitvertreib, Natur, einem einfältigen Geschöpf solche Possen zu spielen und dann die Maske abzuziehen und ihm zu zeigen, wie er geäfft worden ist? Wenn dies die Philosophie der menschlichen Natur ist, so kommt meine Seele niemals in ihren Rat! Sie ist sicherlich der verbotene Baum der Erkenntnis. Ich koste nicht eher davon, bevor ich mich nicht als nackt und aller Dinge, sogar meines eigenen Selbstes, entblößt wahrnehme. Ich sehe mich selbst und die ganze Natur in vergängliche Ideen zusammengeschrumpft, die gleich den Atomen EPIKURs, im leeren Raum umher tanzen.


Siebenter Abschnitt
Das System all dieser Schriftsteller
ist ein und dasselbe und führt zum Skeptizismus

Aber wie, wenn alle diese tiefsinnigen Untersuchungen über die ersten Prinzipien der menschlichen Natur, natürlicher und notwendigerweise den Menschen in den Abgrund des Skeptizismus stürzen? Muß man, nachdem was sich zugetragen hat, nicht billig so urteilen? CARTESIUS fing nicht sobald an, in dieser Mine zu graben, als er schon auf den Skeptizismus stieß. Er tat was er konnte, um ihm aus dem Weg zu kommen. MALEBRANCHE und LOCKE, welche tiefer gruben, fanden die Schwierigkeit, diesen Feind von sich abzuhalten, immer größer, aber sie arbeiteten redlich an diesem Werk. BERKELEY, der das Werk fortsetzte, in der Verzweiflung alles zu erhalten, bediente sich eines sonderbaren Hilfsmittels. Wenn er die materielle Welt aufgäbe, welche er, ohne großen Schaden und sogar mit Vorteil entbehrt werden zu können glaubte: so hoffte er, durch eine unüberwindliche Scheidewand, die Welt der Geister in Sicherheit zu setzen. Aber der Verfasser der "Abhandlung von der menschlichen Natur" untergrub mutwilligerweise den Grund dieser Scheidewand und ertränkte alles in einer allgemeinen Sintflut.

Diese Tatsachen, welche unlösbar sind, geben wirklich Grund zu fürchten, daß das System des CARTESIUS vom menschlichen Verstand, welches ich das ideale System nennen zu dürfen um die Erlaubnis bitte, und welches - mit einigen von den neueren Schriftstellern gemachten Verbesserungen jetzt allgemein angenommen ist, einige ursprüngliche Mängel hat - daß dieser Skeptizismus darin verborgen liegt und mit demselben eingesogen und gepflegt wird und daß wir, folglich den Grund desselben aufräumen und die Materialien untersuchen müssen, ehe wir erwarten dürfen, ein dauerhaftes und nützliches Gebäude von Kenntnis über diesen Gegenstand aufzuführen.


Achter Abschnitt
Wir dürfen an einem besseren System
nicht verzweifeln

Und sollten wir hieran zweifeln müssen, weil es dem CARTESIUS, und seinen Nachfolgern nicht geglückt ist? diese Kleinmütigkeit würde beleidigend für uns und für die Wahrheit sein. Nützliche Entdeckungen sind, zuweilen in der Tat, die Wirkung eines höheren Genies; aber öfter noch das Werk der Zeit und des Zufalls. Ein Reisender von gesunder Urteilskraft kann seinen Weg verfehlen, und ohne daß er es wahrnimmt, auf einen unrechten Weg gebracht werden. Solange der Weg eben und gut ist, kann er ihn vielleicht ohne Argwohn fortsetzen, und andere können ihm nachfolgen; aber, wenn dieser Weg in einem Morast endet: so erfordert es keine große Beurteilungskraft, um zu sehen, daß er Unrecht gegangen ist, noch vielleicht um das ausfindig zu machen, was ihn irre geführt hat.

Zu gleicher Zeit hat der unglückliche Zustand dieses Teils der Philosophie eine Wirkung hervorgebracht, die zwar, in der Tat, zu einem Unternehmen dieser Art, etwas mutlos macht, aber eine Wirkung, die sich dennoch erwarten läßt und welcher Zeit und besserer Fortgang allein abhelfen können. Vernünftige Menschen, die in den Vorfällen des gemeinen Lebens nie Skeptiker sein werden, sind sehr geneigt, jedes Ding, das über diesen Gegenstand gesagt worden ist, oder gesagt werden kann, mit der höchsten Verachtung behandeln.
    "Es ist Metaphysik", sagen sie, "wer kümmert sich um die? Laßt scholastische Sophisten sich in ihren eigenen Hirngespinsten verwickeln; ich bin entschlossen meine eigene Existenz und die Existenz anderer Dinge auf Treu und Glauben anzunehmen, und zu glauben, daß der Schnee kalt und Honig süß ist, was diese Herren auch vom Gegenteil sagen mögen. Der muß ein Tor sein, oder aus mir gern einen Toren machen wollen, der mich von Sinnen und von der Vernunft wegvernünfteln will."
Ich gestehe, daß ich nicht weiß, was ein Skeptiker hierauf antworten, noch was für ein Argument er vorbringen kann, um nur angehört zu werden. Denn, entweder ist sein Räsonnement Sophisterei und dann verdient es Verachtung; oder es ist keine Wahrheit in den menschlichen Fähigkeiten; und warum sollten wir dann erst räsonnieren?

Wenn sich also ein Mensch in diesen metaphysischen Netzen verwickelt findet, und keinen Weg zur Ausflucht übrig hat: so laß ihn den Knoten, den er nicht lösen kann, tapfer zerschneiden, die Metaphysik verdammen, und jedem Menschen abraten, sich mit ihr abzugeben. Denn, wenn ich, durch ein  ignis fatuus  [Irrlicht - wp] in Sümpfe und Moräste geleitet worden bin, was kann ich besseres tun, als andere warnen, daß sie sich davor hüten? Wenn die Philosophie sich selbst widerspricht, ihre Anbeter äfft, und sie jedes Gegenstandes beraubt, welcher wert wäre, verfolgt, oder genossen zu werden: so laßt sie zu den unterirdischen Regionen zurückkehren, aus welchen sie dann ihren Ursprung genommen haben muß.

Aber ist es denn so entschieden gewiß, daß diese schöne Dame mit von der Partie ist? Ist es nicht möglich, daß sie falsch dargestellt worden sein kann? Haben nicht Männer von Genie in den vorigen Zeitaltern sehr oft ihre Träume für Orakel der Philosophie ausgegeben? Muß man sie denn verdammen, ohne sie weiter anzuhören? Dies würde unbillig sein. Ich habe sie, bei allen anderen Materien, als einen angenehmen Gesellschafter, einen treuen Ratgeber, eine Freundin des Menschenverstandes, und der Glückseligkeit des menschlichen Geschlechts befunden; dieses berechtigt sie so lange zu meinem Umgang und zu meinem Vertrauen, bis ich unleugbare Beweise von ihrer Untreue finde.
LITERATUR: Thomas Reid, Untersuchung über den menschlichen Geist nach den Grundsätzen des allgemeinen Menschenverstandes, Leipzig 1782