tb-1ra-2F. BrentanoH. GomperzH. RickertNietzsche     
 
IMMANUEL KANT
Grundlegung zur
Metaphysik der Sitten

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"Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille. Verstand, Witz und Urteilskraft und wie die Talente des Geistes sonst heißen mögen, oder Mut, Entschlossenheit, Beharrlichkeit im Vorsatz, als Eigenschaften des Temperaments, sind ohne Zweifel in mancher Absicht gut und wünschenswert; aber sie können auch äußerst böse und schädlich werden, wenn der Wille, der von diesen Naturgaben Gebrauch machen soll und dessen eigentümliche Beschaffenheit darum Charakter heißt, nicht gut ist."

Vorrede

Die alte griechische Philosophie teilte sich in drei Wissenschaften ab: die Physik, die Ethik und die Logik. Diese Einteilung ist der Natur der Sache vollkommen angemessen, und man hat an ihr nichts zu verbessern, als etwa nur das Prinzip derselben hinzutun, um sich auf solche Art teils ihrer Vollständigkeit zu versichern, teils die notwendigen Unterabteilungen richtig bestimmen zu können.

Alle Vernunfterkenntnis ist entweder  material  und betrachtet irgendein Objekt; oder  formal  und beschäftigt sich bloß mit der Form des Verstandes und der Vernunft selbst und den allgemeinen Regeln des Denkens überhaupt, ohne Unterschied der Objekte. Die formale Philosophie heißt  Logik,  die materiale aber, welche es mit bestimmten Gegenständen und den Gesetzen zu tun hat, denen sie unterworfen sind, ist wiederum zwiefach. Denn diese Gesetze sind entweder Gesetze der  Natur,  oder der  Freiheit.  Die Wissenschaft von der ersten heißt  Physik,  die der andern ist  Ethik;  jene wird auch Naturlehre, diese Sittenlehre genannt.

Die Logik kann keinen empirischen Teil haben, d. h. einen solchen, da die allgemeinen und notwendigen Gesetze des Denkens auf Gründen beruhten, die von der Erfahrung hergenommen wären; denn sonst wäre sie nicht Logik, d. h. ein Kanon für den Verstand oder die Vernunft, der bei allem Denken gilt und demonstriert werden muß. Dagegen können sowohl die natürliche, als sittliche Weltweisheit, jede ihren empirischen Teil haben, weil jene der Natur als einem Gegenstand der Erfahrung, diese aber dem Willen des Menschen, sofern er durch die Natur affiziert wird, ihre Gesetze bestimmen muß, die ersteren zwar als Gesetze, nach denen alles geschieht, die zweiten als solche, nach denen alles geschehen soll, aber doch auch mit Erwägung der Bedingungen, unter denen es öfters nicht geschieht.

Man kann alle Philosophie, sofern sie sich auf Gründe der Erfahrung fußt,  empirische,  die aber, so lediglich aus Prinzipien  a priori  ihre Lehren vorträgt,  reine  Philosophie nennen. Die letztere, wenn sie bloß formal ist, heißt  Logik;  ist sie aber auf bestimmte Gegenstände des Verstandes eingeschränkt, so heißt sie  Metaphysik. 

Auf solche Weise entspringt die Idee einer zweifachen Metaphysik, einer  Metaphysik der Natur  und einer  Metaphysik der Sitten.  Die Physik wird also ihren empirischen, aber auch einen rationalen Teil haben; die Ethik gleichfalls; wiewohl hier der empirische Teil besonders  praktische Anthropologie,  der rationale aber eigentlich  Moral  heißen könnte.

Alle Gewerbe, Handwerke und Künste, haben durch die Verteilung der Arbeiten gewonnen, da nämlich nicht einer alles macht, sondern jeder sich auf gewisse Arbeit, die sich ihrer Behandlungsweise nach von andern merklich unterscheidet, einschränkt, um sie in der größten Vollkommenheit und mit mehrerer Leichtigkeit leisten zu können. Wo die Arbeiten so nicht unterschieden und verteilt werden, wo jeder ein Tausendkünstler ist, da liegen die Gewerbe noch in der größten Barbarei. Aber ob dieses zwar für sich ein der Erwägung nicht unwürdiges Objekt wäre, zu fragen: ob die reine Philosophie in allen ihren Teilen nicht ihren besondern Man erfordert, und es um das Ganze des gelehrten Gewerbes nicht besser stehen würde, wenn die, so das Empirische mit dem Rationalen, dem Geschmack des Publikums gemäß, nach allerlei ihnen selbst unbekannten Verhältnissen gemischt, zu verkaufen gewohnt sind, die sich Selbstdenker, andere aber, die den bloß rationalen Teil zubereiteten, Grübler nennen, gewarnt würden, nicht zwei Geschäfte zugleich zu treiben, die in der Art, sie zu behandeln, gar sehr verschieden sind, zu deren jedem vielleicht ein besonderes Talent erfordert wird, und deren Verbindung in einer Person nur Stümper hervorbringt; so frage ich hier doch nur, ob nicht die Natur der Wissenschaft es erfordere, den empirischen vom rationalen Teil jederzeit sorgfältig abzusondern, und vor der eigentlichen (empirischen) Physik eine Metaphysik der Natur, vor der praktischen Anthropologie aber eine Metaphysik der Sitten voranzuschicken, die von allem Empirischen sorgfältig gesäubert sein müßte, um zu wissen, wieviel reine Vernunft in beiden Fällen leisten könne, und aus welchen Quellen sie selbst diese ihre Belehrung  a priori  schöpfe, es mag übrigens das letztere Geschäft von allen Sittenlehrern (deren Name Legion heißt) oder nur von einigen, die Beruf dazu fühlen, getrieben werden.

Da meine Absicht hier eigentlich auf die sittliche Weltweisheit gerichtet ist, so schränke ich die vorgelegte Frage nur darauf ein: ob man nicht meine, daß es von der äußersten Notwendigkeit sei, einmal eine reine Moralphilosophie zu bearbeiten, die von allem, was nur empirisch sein mag und zur Anthropologie gehört, völlig gesäubert wäre; denn daß es eine solche geben müsse, leuchtet von selbst aus der gemeinen Idee der Pflicht und der sittlichen Gesetze ein. Jedermann muß eingestehen, daß ein Gesetz, wenn es moralisch, d. h. als Grund einer Verbindlichkeit gelten soll, absolute Notwendigkeit bei sich führen müsse; daß das Gebot: du sollst nicht lügen, nicht etwa bloß für Menschen gelte, andere vernünftige Wesen sich aber daran nicht zu kehren hätten; und so alle übrige eigentliche Sittengesetze; daß mithin der Grund der Verbindlichkeit hier nicht in der Natur des Menschen oder den Umständen in der Welt, darin er gesetzt ist, gesucht werden müsse, sondern  a priori  lediglich in Begriffen der reinen Vernunft, und daß jede andere Vorschrift, die sich auf Prinzipien der bloßen Erfahrung gründet, und sogar eine in gewissem Betracht allgemeine Vorschrift, sofern sie sich dem mindesten Teil, vielleicht nur einem Bewegungsgrund nach, auf empirische Gründe stützt, zwar eine praktische Regel, niemals aber ein moralisches Gesetz heißen kann.

Also unterscheiden sich die moralischen Gesetze, samt ihren Prinzipien, unter allem praktischen Erkenntnisse von allem Übrigen, darin irgendetwas Empirisches ist, nicht allein wesentlich, sondern alle Moralphilosophie beruth gänzlich auf ihrem reinen Teil, und, auf den Menschen angewandt, entlehnt sie nicht das Mindeste von der Kenntnis desselben (Anthropologie), sondern gibt ihm, als vernünftigem Wesen, Gesetze  a priori,  die freilich noch durch Erfahrung geschärfte Urteilskraft erfordern, um teils zu unterscheiden, in welchen Fällen sie ihre Anwendung haben, teils ihnen Eingang in den Willen des Menschen und Nachdruck zur Ausübung zu verschaffen, da dieser, als selbst mit so viel Neigungen affiziert, der Idee einer praktischen reinen Vernunft zwar fähig, aber nicht so leicht vermögend ist, sie in seinem Lebenswandel  in concreto  wirksam zu machen.

Eine Metaphysik der Sitten ist also unentbehrlich notwendig, nicht bloß aus einem Bewegungsgrund der Spekulation, um die Quelle der  a priori  in unserer Vernunft liegenden praktischen Grundsätze zu erforschen, sondern weil die Sitten selber allerlei Verderbnis unterworfen bleiben, solange jener Leitfaden und oberste Norm ihrer richtigen Beurteilung fehlt. Denn bei dem, was moralisch gut sein soll, ist es nicht genug, daß es dem sittlichen Gesetz  gemäß  sei, sondern es muß auch  um desselben willen  geschehen; widrigenfalls ist jene Gemäßheit nur sehr zufällig und mißlich, weil der unsittliche Grund zwar dann und wann gesetzmäßige, mehrmals aber gesetzwidrige Handlungen hervorbringen wird. Nun ist aber das sittliche Gesetz, in seiner Reinigkeit und Echtheit, (woran eben im Praktischen am meisten gelegen ist) nirgend anders, als in einer reinen Philosophie zu suchen, also muß diese (Metaphysik) vorangehen, und ohne sie kann es überall keine Moralphilosophie geben; selbst verdient diejenige, welche jene reinen Prinzipien unter die empirischen mischt, den Namen einer Philosophie nicht (denn dadurch unterscheidet diese sich eben von der gemeinen Vernunfterkenntnis, daß sie, was diese nur vermengt begreift, in abgesonderter Wissenschaft vorträgt), viel weniger einer Moralphilosophie, weil sie eben durch diese Vermengung sogar der Reinigkeit der Sitten selbst Abbruch tut und ihrem eigenen Zweck zuwider verfährt.

Man denke ja doch nicht, daß man das, was hier gefordert wird, schon an der Propädeutik des berühmten WOLFF vor seiner Moralphilosophie, nämlich der von ihm so genannten  allgemeinen praktischen Weltweisheit,  habe, und hier also nicht eben ein ganz neues Feld einzuschlagen sei. Eben darum, weil sie eine allgemeine praktische Weltweisheit sein sollte, hat sie keinen Willen von irgendeiner besonderen Art, etwa einen solchen, der ohn alle empirische Beweisgründe, völlig aus Prinzipien  a priori,  bestimmt werde und den man einen reinen Willen nennen könnte, sondern das Wollen überhaupt in Betrachtung gezogen, mit allen Handlungen und Bedingungen, die ihm in dieser allgemeinen Bedeutung zukommen, und dadurch unterscheidet sie sich von einer Metaphysik der Sitten, ebenso wie die allgemeine Logik von der Transzendentalphilosophie, von denen die erstere die Handlungen und Regeln des Denkens  überhaupt,  diese aber bloß die besonderen Handlungen und Regeln des  reinen  Denkens, d. h. desjenigen, wodurch Gegenstände völlig  a priori  erkannt werden, vorträgt. Denn die Metaphysik der Sitten soll die Idee und die Prinzipien eines möglichen  reinen  Willens untersuchen, und nicht die Handlungen und Bedingungen des menschlichen Wollens überhaupt, welche größtenteils aus der Psychologie geschöpft werden. Daß in der allgemeinen praktischen Weltweisheit (wiewohl eider alle Befugnis) auch von moralischen Gesetzen und Pflicht geredet wird, macht keinen Einwurf wider meine Behauptung aus. Denn die Verfasser jener Wissenschaft bleiben ihrer Idee von derselben auch hierin treu; sie unterscheiden nicht die Bewegungsgründe, die, als solche, völlig  a priori  bloß durch Vernunft vorgestellt werden und eigentlich moralisch sind, von den empirischen, die der Verstand bloß durch Vergleichung der Erfahrungen zu allgemeinen Begriffen erhebt, sondern betrachten sie, ohne auf den Unterschied ihrer Quellen zu achten, nur nach der größeren oder kleineren Summe derselben (indem sie alle als gleichartig angesehen werden) und machen sich dadurch ihren Begriff von  Verbindlichkeit,  der freilich nichts weniger, als moralisch, aber doch so beschaffen ist, als es in einer Philosophie, die über den  Ursprung  aller möglichen praktischen Begriffe, ob sie auch  a priori  oder bloß  a posteriori  stattfinden, gar nicht urteilt, nur verlangt werden kann.

Im Vorsatz nun, eine Metaphysik der Sitten dereinst zu liefern, lasse ich diese Grundlegung vorangehen. Zwar gibt es eigentlich keine andere Grundlage derselben, als die Kritik einer  reinen praktischen Vernunft,  so wie zur Metaphysik die schon gelieferte Kritik der reinen spekulativen Vernunft. Allein teils ist jene nicht von so äußerster Notwendigkeit, als diese, weil die menschliche Vernunft im Moralischen, selbst beim gemeinsten Verstand, leicht zu großer Richtigkeit und Ausführlichkeit gebracht werden kann, da sie hingegen im theoretischen, aber reinen Gebrauch ganz und gar dialektisch ist; teils erfordere ich zur Kritik einer reinen praktischen Vernunft, daß, wenn sie vollendet sein soll, ihre Einheit mit der spekulativen in einem gemeinschaftlichen Prinzip zugleich müsse dargestellt werden können, weil es doch am Ende nur ein und dieselbe Vernunft sein kann, die bloß in der Anwendung unterschieden sein muß. Zu einer solchen Vollständigkeit konnte ich es aber hier noch nicht bringen, ohne Betrachtungen von ganz anderer Art herbeizuziehen und den Leser zu verwirren. Um deswillen habe ich mich, statt der Benennung einer  Kritik der reinen praktischen Vernunft,  der von einer  Grundlegung zur Metaphysik der Sitten  bedient.

Weil aber drittens auch eine Metaphysik der Sitten, ungeachtet des abschreckenden Titels, dennoch eines großen Grades der Popularität und Angemessenheit zum gemeinen Verstand fähig ist, so finde ich für nützlich, diese Vorarbeitung der Grundlage davon abzusondern, um das Subtile, was darin unvermeidlich ist, künftig nicht faßlicheren Lehren beifügen zu dürfen.

Gegenwärtige Grundlegung ist aber nichts mehr, als die Aufsuchung und Festsetzung  des obersten Prinzips der Moralität,  welche allein ein, in seiner Absicht, ganzes und von aller anderen sittlichen Untersuchung abzusonderndes Geschäft ausmacht. Zwar würden meine Behauptungen über diese wichtige und bisher bei weitem noch nicht zur Genugtuung erörterte Hauptfrage durch Anwendung desselben Prinzips auf das ganze System viel Licht, und durch die Zulänglichkeit, die es allenthalben blicken läßt, große Bestätigung erhalten; allein ich mußte mich dieses Vorteils enthalten, der auch im Grunde mehr eigenliebig, als gemeinnützig sein würde, weil die Leichtigkeit im Gebrauch und die scheinbare Zugänglichkeit eines Prinzips keinen ganz sicheren Beweis von der Richtigkeit desselben abgiebt, vielmehr eine gewisse Parteilickeit erweckt, es nicht für sich selbst, ohne alle Rücksicht auf die Folge, nach aller Strenge zu untersuchen und zu wägen.

Ich habe meine Methode in dieser Schrift so genomen, wie ich glaube, daß sie die schicklichste sei, wenn man von der gemeinen Erkenntnis zur Bestimmung des obersten Prinzips desselben analytisch und wiederum zurück von der Prüfung dieses Prinzips und den Quellen desselben zur gemeinen Erkenntnis, darin sein Gebrauch angetroffen wird, synthetisch den Weg nehmen will. Die Einteilung ist daher so ausgefallen:
    1)  Erster Abschnitt:  Übergang von der gemeinen sittlichen Vernunfterkenntnis zur philosophischen.

    2)  Zweiter Abschnitt:  Übergang von der populären Moralphilosophie zur Metaphysik der Sitten.

    3)  Dritter Abschnitt:  Letzter Schritt von der Metaphysik der Sitten zur Kritik der reinen praktischen Vernunft.

Erster Abschnitt
Übergang von der gemeinen sittlichen
Vernunfterkenntnis zur philosophischen.

Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein  guter Wille.  Verstand, Witz und Urteilskraft und wie die  Talente  des Geistes sonst heißen mögen, oder Mut, Entschlossenheit, Beharrlichkeit im Vorsatz, als Eigenschaften des  Temperaments,  sind ohne Zweifel in mancher Absicht gut und wünschenswert; aber sie können auch äußerst böse und schädlich werden, wenn der Wille, der von diesen Naturgaben Gebrauch machen soll und dessen eigentümliche Beschaffenheit darum  Charakter  heißt, nicht gut ist. Mit den  Glücksgaben  ist es ebenso bewandt. Macht, Reichtum, Ehre, selbst Gesundheit und das ganze Wohlbefinden und Zufriedenheit mit seinem Zustand, unter dem Namen der  Glückseligkeit,  machen Mut und hierdurch öfters auch Übermut, wo nicht ein guter Wille da ist, der den Einfluß derselben aufs Gemüt, und hiermit auch das ganze Prinzip zu handeln, berichtige und allgemein-zweckmäßig mache; ohne zu erwähnen, daß ein vernünftiger und unparteiischer Zuschauer sogar am Anblick eines ununterbrochenen Wohlergehens eines Wesens, das kein Zug eines reinen und guten Willens ziert, nimmermehr ein Wohlgefallen haben kann, und so der gute Wille die unerläßliche Bedingung selbst der Würdigkeit, glücklich zu sein, auszumachen scheint.

Einige Eigenschaften sind sogar diesem guten Willen selbst beförderlich und können sein Werk sehr erleichtern, haben aber demungeachtet keinen inneren unbedingten Wert, sondern setzen immer noch einen guten Willen voraus, der die Hochschätzung, die man übrigens mit Recht für sie trägt, einschränkt und es nicht erlaubt, sie für schlechthin gut zu halten. Mäßigung in Affekten und Leidenschaften, Selbstbeherrschung und nüchterne Überlegung sind nicht allein in vielerlei Absicht gut, sondern scheinen sogar einen Teil vom  inneren  Wert der Person auszumachen; allein es fehlt viel daran, um sie ohne Einschränkung für gut zu erklären (so unbedingt sie auch von den Alten gepriesen worden). Denn ohne Grundsätze eines guten Willens können sie höchst böse werden, und das kalte Blut eines Bösewichts macht ihn nicht allein weit gefährlicher, sondern auch unmittelbar in unseren Augen noch verabscheuungswürdiger, als er ohne dieses dafür würde gehalten werden.

Der gute Wille ist nicht durch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zur Erreichung irgendeines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d. h. ansich gut, und, für sich selbst betrachtet, ohne Vergleich weit höher zu schätzen, als alles, was durch ihn zugunsten irgendeiner Neigung, ja wenn man will, der Summe aller Neigungen nur immer zustande gebracht werden könnte. Wenngleich durch eine besondere Ungunst des Schicksals, oder durch kärgliche Ausstattung einer stiefmütterlichen Natur es diesem Willen gänzlich an Vermögen fehlte, seine Absicht durchzusetzen; wenn bei seiner größten Bestrebung dennoch nicht von ihm ausgerichtet würde und nur der gute Wille (freilich nicht etwa ein bloßer Wunsch, sondern als die Aufbietung aller Mittel, so weit sie in unserer Gewalt sind) übrig bliebe: so würde er wie ein Juwel doch für sich selbst glänzen, als etwas, das seinen vollen Wert in sich selbst hat. Die Nützlichkeit oder Fruchtlosigkeit kann diesem Wert weder etwas zusetzen, noch abhnehmen. Sie würde gleichsam nur die Einfassung sein, um ihn im gemeinen Verkehr besser handhaben zu können, oder die Aufmerksamkeit derer, die noch nicht genug Kenner Sind, auf sich zu ziehen, nicht aber um ihn Kennern zu empfehlen und seinen Wert zu bestimmen.

Es liegt gleichwohl in dieser Idee vom absoluten Wert des bloßen Willens, ohne einigen Nutzen bei Schätzung desselben in Anschlag zu bringen, etwas so Befremdliches, daß, unerachtet aller Einstimmung selbst der gemeinen Vernunft mit derselben, dennoch ein Verdacht entspringen muß, daß vielleicht bloß hochfliegende Phantasterei insgeheim zugrunde liege, und die Natur in ihrer Absicht, warum sie unserem Willen Vernunft zur Regiererin beigelegt habe, falsch verstanden sein möge. Daher wollen wir diese Idee aus diesem Gesichtspunkt auf die Prüfung stellen.

In den Naturanlagen eines organisierten, d. h. zweckmäßig zum Leben eingerichteten Wesens nehmen wir es als Grundsatz an, daß kein Werkzeug zu irgendeinem Zweck in demselben angetroffen werde, als was auch zu demselben das schicklichste und ihm am meisten angemessen ist. Wäre nun an einem Wesen, das Vernunft und einen Willen hat, seine  Erhaltung,  sein  Wohlergehen,  mit einem Wort seine  Glückseligkeit  der eigentliche Zweck der Natur, so hätte sie ihre Veranstaltung dazu sehr schlecht getroffen, sich die Vernunft des Geschöpfs zur Ausrichterin dieser ihrer Absicht zu ersehen. Denn alle Handlungen, die es in dieser Absicht auszuüben hat, und die ganze Regel seines Verhaltens würden ihm weit genauer durch Instinkt vorgezeichnet und jener Zweck weit sicherer dadurch erhalten werden können, als es jemals durch Vernunft geschehen kann; und sollte diese ja obendrein dem begünstigten Geschöpft erteilt worden sein, so würde sie ihm nur dazu haben dienen müssen, um über die glückliche Anlage seiner Natur Betrachtungen anzustellen, sie zu bewundern, sich ihrer zu erfreuen und der wohltätigen Ursache dafür dankbar zu sein, nicht aber, um sein Begehrungsvermögen jener schwachen und trüglichen Leitung zu unterwerfen und in der Naturabsicht zu pfuschen; mit einem Wort, sie würde verhütet haben, daß Vernunft nicht in  praktischen Gebrauch  ausschlüge und die Vermessenheit hätte, mit ihren schwachen Einsichten ihr selbst den Entwurf der Glückseligkeit und der Mittel, dazu zu gelangen, auszudenken; die Natur würde nicht allein die Wahl der Zwecke, sondern auch der Mittel selbst übernommen und beide mit weiser Vorsorge lediglich dem Instinkt anvertraut haben.

In der Tat finden wir auch, daß, je mehr eine kultivierte Vernunft sich mit der Absicht auf den Genuß des Lebens und der Glückseligkeit abgibt, desto weiter der Mensch von der wahren Zufriedenheit abkomme, woraus bei Vielen, und zwar den Versuchtesten im Gebrauch derselben, wenn sie nur aufrichtig genug sind, es zu gestehen, ein gewisser Grad von  Misologie,  d. h. Haß der Vernunft entspringt, weil sie nach dem Überschlag allen Vorteils, den sie, ich will nicht sagen von der Erfindung aller Künste des gemeinen Luxus, sondern sogar von den Wissenschaften (die ihnen am Ende auch ein Luxus des Verstandes zu sein scheinen) ziehen, dennoch finden, daß sie sich in der Tat nur mehr Mühseligkeit auf den Hals gezogen, als an Glückseligkeit gewonnen haben, und darüber endlich den gemeineren Schlag der Menschen, welcher der Leitung des bloßen Naturinstinkts näher ist und der seiner Vernunft nicht viel Einfluß auf sein Tun und Lassen verstattet, eher beneiden, als geringschätzen. Und so weit muß man gestehen, daß das Urteil derer, die die ruhmredigen Hochpreisungen der Vorteile, die uns die Vernunft in Anbetracht der Glückseligkeit und Zufriedenheit des Lebens verschaffen sollte, sehr mäßigen und sogar unter Null herabsetzen, keineswegs grämisch oder gegen die Güte der Weltregierung undankbar sei, sondern daß diesen Urteilen insgeheim die Idee von einer anderen und viel würdigeren Absicht ihrer Existenz zugrunde liege, zu welcher, und nicht der Glückseligkeit, die Vernunft ganz eigentlich bestimmt sei, und welcher darum, als oberster Bedingung, die Privatabsicht des Menschen größtenteils nachstehen muß.

Denn da die Vernunft dazu nicht tauglich genug ist, um den Willen in Anbetracht der Gegenstände desselben und der Befriedigung aller unserer Bedürfnisse (die sie zum Teil selbst vervielfältigt) sicher zu leiten, als zu welchem Zweck ein eingepflanzter Naturinstinkt viel gewisser geführt haben würde, gleichwohl aber uns Vernunf als praktisches Vermögen, d. h. als ein solches, das Einfluß auf den  Willen  haben soll, dennoch zugeteilt ist; so muß die wahre Bestimmung derselben sein, einen nicht etwa in anderer Absicht  als  Mittel, sondern  an sich selbst guten Willen  hervorzubringen, wozu schlechterdings Vernunft nötig war, wo anders die Natur zu Werke gegangen ist. Dieser Wille darf also nicht das einzige und das ganze, aber er muß doch das höchste Gut, und zu allem Übrigen, selbst allem Verlangen nach Glückseligkeit, die Bedingung sein, in welchem Fall es sich mit der Weisheit der Natur gar wohl vereinigen läßt, wenn man wahrnimmt, daß die Kultur der Vernunft, die zur ersteren und unbedingten Absicht erforderlich ist, die Erreichung der zweiten, die jederzeit bedingt ist, nämlich der Glückseligkeit, wenigstens in diesem Leben, auf mancherlei Weise einschränke, ja sie selbst unter Nichts herabbringen könne, ohne daß die Natur darin unzweckmäßig verfahre, weil die Vernunft, die ihre höchste praktische Bestimmung in der Gründung eines guten Willens erkennt, bei Erreichung dieser Absicht nur einer Zufriedenheit nach ihrer eigenen Art, nämlich aus der Erfüllung eines Zweckes, den wiederum nur Vernunft bestimmt, fähig ist, sollte dieses auch mit manchem Abbruch, der den Zwecken der Neigung geschieht, verbunden sein.

Um aber den Begriff eines an sich selbst hochzuschätzenden und ohne weitere Absicht guten Willens, so wie er schon dem natürlichen gesunden Verstand beiwohnt und nicht sowohl gelehrt, als vielmehr nur aufgeklärt zu werden bedarf, diesen Begriff, der in der Schätzung des ganzen Wertes unserer Handlungen immer obenan steht und die Bedingung alles Übrigen ausmacht, zu entwickeln, wollen wir den Begriff der  Pflicht  vor uns nehmen, der den eines guten Willens, obzwar unter gewissen subjektiven Einschränkungen und Hindernissen, enthält, die aber doch, weit gefehlt, daß sie ihn verstecken und unkenntlich machen sollten, ihn vielmehr durch Abstechung heben und desto heller hervorscheinen lassen.

Ich übergehe hier alle Handlungen, die schon als pflichtwidrig erkannt werden, obgleich sie in dieser oder jener Absicht nützlich sein mögen; denn bei denen ist gar nicht einmal die Frage, ob sie  aus Pflicht  geschehen sein mögen, da sie dieser sogar widerstreiten. Ich setze auch die Handlungen beiseite, die wirklich pflichtmäßig sind, zu denen aber Menschen unmittelbar  keine Neigung  haben, sie aber dennoch ausüben, weil sie durch eine andere Neigung dazu getrieben werden. Denn da läßt sich leicht unterscheiden, ob die pflichtmäßige Handlung  aus Pflicht  oder aus selbstsüchtiger Absicht geschehen sei. Weit schwerer ist dieser Unterschied zu bemerken, wo die Handlung pflichtmäßig ist und das Subjekt noch überdemm  unmittelbare Neigung  zu ihr hat. Zum Beispiel ist es allerdings pflichtmäßig, daß der Krämer seinen unerfahrenen Käufer nicht überteuere, und, wo viel Verkehr ist, tut dieses auch der kluge Kaufmann nicht, sondern hält einen festgesetzten allgemeinen Preis für jedermann, so daß ein Kind eben so gut bei ihm kauft, als jeder andere. Man wird also  ehrlich  bedient; allein das ist lange nicht genug, um deswegen zu glauben, der Kaufmann habe aus Pflicht und Grundsätzen der Ehrlichkeit so verfahren; sein Vorteil erforderte es; daß er aber überdem noch eine unmittelbare Neigung zu den Käufern haben sollte, um gleichsam aus Liebe keinem vor dem andern im Preis den Vorzug zu geben, läßt sich hier nicht annehmen. Also war die Handlung weder aus Pflicht, noch aus unmittelbarer Neigung, sondern bloß in eigennütziger Absicht geschehen.

Dagegen sein Leben zu erhalten, ist Pflicht, und überdem hat jedermann dazu noch eine unmittelbare Neigung. Aber um deswillen hat die oft ängstliche Sorgfalt, die der größte Teil der Menschen dafür trägt, doch keinen inneren Wert und die Maxime derselben keinen moralischen Gehalt. Sie bewahren ihr Leben zwar  pflichtmäßig,  aber nicht  aus Pflicht.  Dagegen wenn Widerwärtigkeiten und hoffnungsloser Gram den Geschmack am Leben gänzlich weggenommen haben, wenn der Unglückliche, stark an Seele, über sein Schicksal mehr entrüstet, als kleinmütig oder niedergeschlagen, den Tod wünscht und sein Leben doch erhält, ohne es zu lieben, nicht aus Neigung oder Furcht, sondern aus Pflicht; alsdann hat seine Maxime einen moralischen Gehalt.

Wohltätig sein, wo man kann, ist Pflicht, und überdem gibt es manche so teilnehmend gestimmte Seelen, daß sie, auch ohne einen anderen Bewegungsgrund der Eitelkeit oder des Eigennutzes, ein inneres Vergnügen daran finden, Freude um sich zu verbreiten, und die sich an der Zufriedenheit anderer, sofern sie ihr Werk ist, ergötzen können. Aber ich behaupte, daß in diesem Fall dergleichen Handlung, so pflichtmäßig, so liebenswürdig sie auch ist, dennoch keinen wahren sittlichen Wert habe, sondern mit anderen Neigungen zu gleichen Teilen gehe, wie etwa der Neigung nach Ehre, die, wenn sie glücklicherweise auf das trifft, was in der Tat gemeinnützig und pflichtmäßig, mithin ehrenwert ist, Lob und Aufmunterung, aber nicht Hochschätzung verdient; denn der Maxime fehlt der sittliche Gehalt, nämlich solche Handlungen nicht aus Neigung, sondern  aus Pflicht  zu tun. Gesetzt also, das Gemüt jenes Menschenfreundes wäre vom eigenen Gram umwölkt, der alle Teilnehmung an anderer Schicksal auslöscht, er hätte immer noch Vermögen, anderen Notleidenden wohlzutun, aber fremde Not rührte ihn nicht, weil er mit seiner eigenen genug beschäftigt ist, und nun, da keine Neigung ihn mehr dazu anreizt, risse er sich doch aus dieser tödlichen Unempfindlichkeit heraus und täte die Handlung ohne alle Neigung, lediglich aus Pflicht, alsdann hat sie allererst ihren echten moralischen Wert. Noch mehr: wenn die Natur diesem oder jenem überhaupt wenig Sympathie ins Herz gelegt hätte, wenn er (übrigens ein ehrlicher Mann) von Temperament kalt und gleichgültig gegen die Leiden anderer wäre, vielleicht, weil er selbst gegen seine eigenen mit der besonderen Gabe der Geduld und aushaltenden Stärke versehen, dergleichen bei jedem anderen auch voraussetzt oder gar fordert; wenn die Natur einen solchen Mann (welcher wahrlich nicht ihr schlechtestes Produkt sein würde) nicht eigentlich zum Menschenfreund gebildet hätte, würde er dann nicht noch in sich einen Quell finden, sich selbst einen weit höheren Wert zu geben, als der eines gutartigen Temperaments sein mag? Allerdings! gerade da hebt der Wert des Charakters an, der moralisch und ohne alle Vergleichung der höchste ist, nämlich daß er wohltue, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht.

Seine eigene Glückseligkeit sichern, ist Pflicht (wenigstens indirekt); denn der Mangel der Zufriedenheit mit seinem Zustand, in einem Gedränge von vielen Sorgen und mitten unter unbefriedigten Bedürfnissen könnte leicht eine große  Versuchung zur Übertretung der Pflichten  werden. Aber auch ohne hier auf Pflicht zu sehen, haben alle menschen schon von selbst die mächtigste und innigste Neigung zur Glückseligkeit, weil sich gerade in dieser Idee alle Neigungen zu einer Summe vereinigen. Nur ist die Vorschrift der Glückseligkeit meistenteils so beschaffen, daß sie einigen Neigungen großen Abbruch tut und doch der Mensch sich von der Summe der Befriedigung aller, unter dem Namen der Glückseligkeit, keinen bestimmten und sicheren Begriff machen kann; daher ist nicht zu verwundern, wie eine einzige, in Anbetracht dessen, was sie verheißt, und der Zeit, worin ihre Befriedigung erhalten werden kann, bestimmte Neigung eine schwankende Idee überwiegen könne, und der Mensch z. B. ein Podagrist [Gichtkranker - wp] wählen könne, zu genießen, was ihm schmeckt, und zu leiden, was erkann, weil er, nach seinem Überschlag, hier wenigstens, sich nicht durch vielleicht grundlose Erwartungen eines Glücks, das in der Gesundheit stecken soll, um den Genuß des gegenwärtigen Augenblicks gebracht hat. Aber auch in diesem Fall, wenn die allgemeine Neigung zur Glückseligkeit seinen Willen nicht bestimmte, wenn Gesundheit für ihn wenigstens nicht so notwendig in diesen Überschlag gehörte, so bleibt noch hier, wie in allen anderen Fällen, ein Gesetz übrig, nämlich seine Glückseligkeit zu befördern, nicht aus Neigung, sondern aus Pflicht, und dah hat sein Verhalten allererst den eigentlichen moralischen Wert.

So sind ohne Zweifel auch die Schriftstellen zu verstehen, darin geboten wird, seinen Nächsten, selbst unseren Feind zu lieben. Denn Liebe aus Neigung kann nicht geboten werden, aber Wohltun aus Pflicht selbst, wenn dazu gleich gar keine Neigung treibt, ja gar natürliche und unbezwingliche Abneigung widersteht, ist  praktische  und nicht  pathologische  Liebe, die im Willen liegt und nicht im Hang der Empfindung, in Grundsätzen der Handlung und nicht schmelzender Teilnahme; jene aber allein kann geboten werden.

Der zweite Satz ist: eine Handlung aus Pflicht hat ihren moralischen Wert  nicht in der Absicht,  welche dadurch erreicht werden soll, sondern in der Maxime, nach der sie beschlossen wird, hängt also nicht von der Wirklichkeit des Gegenstandes der Handlung ab, sondern bloß vom  Prinzip des Wollens,  nach welchem die Handlung, unangesehen aller Gegenstände des Begehrungsvermögens, geschehen ist. Daß die Absichten, die wir bei Handlungen haben mögen, und ihre Wirkungen, als Zwecke und Triebfedern des Willens, den Handlungen keinen unbedingten und moralischen Wert erteilen können, ist aus dem Vorigen klar. Worin kann also dieser Wert liegen, wenn er nicht im Willen, in Beziehung auf deren verhoffte Wirkung, bestehen soll? Er kann nirgend anders liegen, als  im Prinzip des Willens,  unangesehen der Zwecke, die durch solche Handlung bewirkt werden können; denn der Wille ist mitten inne zwischen seinem Prinzip  a priori,  welches formell ist, und zwischen seiner Triebfeder  a posteriori,  welche materiell ist, gleichsam auf einem Scheideweg, und da er doch irgend wodurch muß bestimmt werden, so wird er durch das formelle Prinzip des Wollens überhaupt bestimmt werden müssen, wenn eine Handlung aus Pflicht geschieht, da ihm alles materielle Prinzip entzogen wurde.

Den dritten Satz, als Folgerung aus beiden vorigen, würde ich so ausdrücken:  Pflicht ist Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz.  Zum Objekt als Wirkung meiner vorhabenden Handlung kann ich zwar  Neigung  haben, aber  niemals Achtung,  eben darum, weil sie bloß eine Wirkung und nicht Tätigkeit eines Willens ist. Ebenso kann ich für Neigung überhaupt, sie mag nun meine oder eines ander seine sein, nicht Achtung haben, ich kann sie höchstens im ersten Fall billigen, im zweiten bisweilen selbst lieben, d. h. sie als meinem eigenen Vorteil günstig ansehen. Nur das, was bloß als Grund, niemals aber als Wirkung mit meinem Willen verknüpft ist, was nicht meiner Meinung dient, sondern sie überwiegt, wenigstens diese von deren Überschlag bei der Wahl ganz ausschließt, mithin das bloße Gesetz für sich, kann ein Gegenstand der Achtung und hiermit ein Gebot sein. Nun soll eine Handlung aus Pflicht den Einfluß der Neigung und mir ihr jeden Gegenstand des Willens ganz absondern, also bleibt nichts für den Willen übrig, was ihn bestimmen könne, als objektiv das  Gesetz,  und subjektiv  reine Achtung  für dieses praktische Gesetz, mithin die Maxime (1, einem solchen Gesetz, selbst mit Abbruch aller meiner Neigungen, Folge zu leisten.

Es liegt also der moralische Wert der Handlung nicht in der Wirkung, die daraus erwartet wird, also auch nich in irgendeinem Prinzip der Handlung, welches seinen Bewegungsgrund von dieser erwarteten Wirkung zu entlehnen bedarf. Denn alle diese Wirkungen (Annehmlichkeit seines Zustandes, ja gar Beförderung fremder Glückseligkeit) konnten auch durch andere Ursachen zustande gebracht werden, und es brauchte also dazu nicht des Willens eines vernünftigen Wesens; worin gleichwohl das höchste und unbedingte Gute allein angetroffen werden kann. Es kann daher nichts anderes, als die  Vorstellung des Gesetzes  an sich selbst,  die freilich nur im vernünftigen Wesen stattfindet,  sofern sie, nicht aber die erhoffte Wirkung, der Bestimmungsgrund des Willens ist, das so vorzüglich Gute, welches wir sittlich nennen, ausmachen, welches in der Person selbst schon gegenwärtig ist, die danach handelt, nicht aber allererst aus der Wirkung erwartet werden darf. (2

Was jabb das aver wohl für ein Gesetz sein, dessen Vorstellung, auch ohne auf die daraus erwartete Wirkung Rücksicht zu nehmen, den Willen bestimmen muß, damit dieser schlechterdings und ohne Einschränkung gut heißen könne? Da ich den Willen aller Antriebe beraubt habe, die ihm aus der Befolgung irgendeines Gesetzes entspringen können, so bleibt nichts, als die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Handlungen überhaupt übrig, welche allein dem Willen zum Prinzip dienen soll, d. h. ich soll niemals anders verfahren, als so,  daß ich auch wollen könne, meine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden.  Hier ist nun die bloße Gesetzmäßigkeit überhaupt (ohne irgendein auf gewisse Handlungen bestimmtes Gesetz zugrunde zu legen) das, was dem Willen zum Prinzip dient und ihm auch dazu dienen muß, wenn Pflicht nicht überall ein leerer Wahn und chimärischer Begriff sein soll; hiermit stimmt die gemeine Menschenvernunft in ihrer praktischen Beurteilung auch vollkommen überein und hat das gedachte Prinzip jederzeit vor Augen.

Die Frage sei z. B.: darf ich, wenn ich im Gedränge bin, nicht ein Versprechen tun, in der Absicht, es nicht zu halten? Ich mache hier leicht den Unterschied, den die Bedeutung der Frage haben kann, ob es klüglich, oder ob es pflichtmäßig sei, ein falsches Versprechen zu tun. Das Erstere kann ohne Zweifel öfters stattfinden. Zwar sehe ich wohl, daß es nicht genug sei, mich mittels dieser Ausflucht aus einer gegenwärtigen Verlegenheit zu ziehen, sondern wohl überlegt werden müsse, ob mir aus dieser Lüge nicht hinterher viel größere Ungelegenheit entspringen könne, als die sind, von denen ich mich jetzt befreie, und da die Folgen bei aller meiner vermeinten  Schlauigkeit  nicht so leicht vorauszusehen sind, daß nicht ein einmal verlorenes Zutrauen mit weit nachteiliger werden könnte, als alles Übel, das ich jetzt zu vermeiden gedenke, ob es nicht  klüglicher  gehandelt sei, hierbei nach einer allgemeinen Maxime zu verfahren und es sich zur Gewohnheit zu machen, nichts zu versprechen, als in der Absicht, es zu halten. Allein es leuchtet mir hier bald ein, daß eine solche Maxime doch immer nur die besorglichen Folgen zum Grund habe. Nun ist es doch etwas ganz anderes, aus Pflicht wahrhaft zu sein, als aus Besorgnis der nachteiligen Folgen; indem im ersten Fall der Begriff der Handlung an sich selbst schon ein Gesetz für mich enthält, im zweiten ich mich allererst anderwärtsher umsehen muß, welche Wirkungen für mich wohl damit verbunden sein möchten. Denn wenn ich vom Prinzip der Pflicht abweiche, so ist es ganz gewiß böse; werde ich aber meiner Maxime der Klugheit abtrünnig, so kann das mir manchmal sehr vorteilhaft sein, wiewohl es freilich sicherer ist, bei ihr zu bleiben. Um indessen mich in Anbetracht der Beantwortung dieser Aufgabe, ob ein lügenhaftes Versprechen pflichtmäßig sei, auf die allerkürzeste und doch untrügliche Art zu belehren, so frage ich mich selbst: würde ich wohl damit zufrieden sein, daß meine Maxime (mich durch ein unwahres Versprechen aus Verlegenheit zu ziehen) als ein allgemeines Gesetz (sowohl für mich, als andere) gelten solle? und würde ich wohl zu mir sagen können: es mag jedermann ein unwahres Versprechen tun, wenn er sich in Verlegenheit befindet, daraus er sich auf andere Art nicht ziehen kann? So werde ich bald inne, daß ich zwar die Lüge, aber ein allgemeines Gesetz zu lügen gar nicht wollen könne; denn nach einem solchen würde es eigentlich gar kein Versprechen geben, weil es vergeblich wäre, meinen Willen in Anbetracht meiner künftigen Handlungen anderen vorzugeben, die diesem Vorgehen doch nicht glauben, oder, wenn sie es übereilterweise täten, mich doch mit gleicher Münze bezahlen würden, mithin meine Maxime, sobald sie zum allgemeinen Gesetz gemacht würde, sich selbst zerstören müsse.

Was ich also zu tun habe, damit mein Wollen gut sei, dazu brauche ich gar keine weit ausholende Scharfsinnigkeit. Unerfahren in Anbetracht des Weltlaufs, unfähig, auf alle sich ereignende Vorfälle desselben gefaßt zu sein, frage ich mich nur: kannst du auch wollen, daß deine Maxime ein allgemeines Gesetz werde? wo nicht, so ist sie verwerflich, und das zwar nicht um eines dir, oder auch anderen daraus bevorstehenden Nachteils willen, sondern weil sie nicht als Prinzips in eine mögliche allgemeine Gesetzgebung passen kann; für diese aber zwingt mir die Vernunft unmittelbare Achtung ab, von der ich zwar jetzt noch nicht  einsehe,  worauf sie sich gründe (welches der Philosoph untersuchen mag), wenigstens aber doch soviel verstehe: daß es eine Schätzung des Wertes sei, welcher allen Wert dessen, was durch Neigung angepriesen wird, weit überwiegt, und daß die Notwendigkeit meiner Handlungen aus  reiner  Achtung fürs praktische Gesetz dasjenige sei, was die Pflicht ausmacht, der jeder andere Bewegungsgrund weichen muß, weil sie die Bedingung eines  ansich  guten Willens ist, dessen Wert über alles geht.

So sind wir dann in der moralischen Erkenntnis der gemeinen Menschenvernunft bis zu ihrem Prinzip gelangt, welches sie sich zwar freilich nicht so in einer allgemeinen Form abgesondert denkt, aber doch jederzeit wirklich vor Augen hat und zum Richtmaß ihrer Beurteilung braucht. Es wäre hier leicht zu zeigen, wie sie, mit diesem Kompaß in der Hand, in allen vorkommenden Fällen sehr gut Bescheid wisse, zu unterscheiden, was gut, was böse, pflichtmäßig oder pflichtwidrig sei, wenn man, ohne sie im mindesten etwas Neues zu lehren, sie nur, wie SOKRATES tat, auf ihr eigenes Prinzip aufmerksam macht, und daß es also keiner Wissenschaft und Philosophie bedürfe, um zu wissen, was man zu tun habe, um ehrlich und gut, ja sogar um weise und tugendhaft zu sein. Das ließe sich wohl schon zum voraus vermuten, daß die Kenntnis dessen, was zu tun, mithin auch zu wissen jedem Menschen obliegt, auch jees, selbst des gemeinsten Menschen Sache sein werde. Hier kann man es doch nicht ohne Bewunderung ansehen, wie das praktische Beurteilungsvermögen vor dem theoretischen im gemeinen Menschenverstand so gar viel voraus habe. Im letzteren, wenn die gemeine Vernunft es wagt, von den Erfahrungsgesetzen und den Wahrnehmungen der Sinne abzugehen, gerät sie in lauter Unbegreiflichkeiten und Widersprüche mit sich selbst, wenigstens in ein Chaos von Ungewißheit, Dunkelheit und Unbestand. Im Praktischen aber fängt die Beurteilungskraft dann eben allererst an, sich recht vorteilhaft zu zeigen, wenn der gemeine Verstand alle sinnliche Triebfedern von praktischen Gesetzen ausschließt. Er wird alsdann sogar subtil, es mag sein, daß er mit seinem Gewissen oder anderen Ansprüchen in Beziehung auf das, was recht heißen soll, schikanieren, oder auch den Wert der Handlungen zu seiner eigenen Belehrung aufrichtig bestimmen will, und, was das Meiste ist, er kann im letzteren Fall sich ebensogut Hoffnung machen, es recht zu treffen, als es sich immer ein Philosoph versprechen mag, ja ist beinahe noch sicherer hierin, als selbst der letztere, weil dieser doch kein anderes Prinzip als jener haben, sein Urteil aber durch eine Menge fremder, nicht zur Sache gehöriger Erwägungen leicht verwirren und von der geraden Richtung abweichend machen kann. Wäre es demnach nicht ratsamer, es in moralischen Dingen beim gemeinen Vernunfturteil bewenden zu lassen, und höchstens nur Philosophie anzubringen, um das System der Sitten desto vollständiger und faßlicher, desgleichen die Regeln derselben zum Gebrauch (noch mehr aber zum Disputieren) bequemer darzustellen, nicht aber um selbst in praktischer Absicht den gemeinen Menschenverstand von seiner glücklichen Einfalt abzubringen und ihn durch Philosophie auf einen neuen Weg der Untersuchung und Belehrung zu bringen?

Es ist eine herrliche Sache um die Unschuld, nur ist es auch wiederum sehr schlimm, daß sie sich nicht wohl bewahren läßt und leicht verführt wird. Deswegen bedarf selbst die Weisheit - die sonst wohl mehr im Tun und Lassen, als im Wissen besteht, - doch auch der Wissenschaft, nicht um von ihr zu lernen, sondern ihrer Vorschrift Eingang und Dauerhaftigkeit zu verschaffen. Der Mensch fühlt in sich selbst ein mächtiges Gegengewicht gegen alle Gebote der Pflicht, die ihm die Vernunft so hochachtungswürdig vorstellt, an seinen Bedürfnissen und Neigungen, deren ganze Befriedigung er unter dem Namen der Glückseligkeit zusammenfaßt. Nun gebietet die Vernunft, ohne doch dabei den Neigungen etwas zu verheißen, unnachlaßlich, mithin gleichsam mit Zurücksetzung und Nichtachtung jener so ungestümen und dabei so billig scheinenden Ansprüche (die sich durch kein Gebot wollen aufheben lassen), ihre Vorschriften. Hieraus entspringt aber eine  natürliche Dialektik,  d. h. ein Hand, wider jene strengen Gesetze der Pflicht zu vernünfteln und ihre Gültigkeit, wenigstens ihre Reinheit und Streng in Zweifel zu ziehen und sie, womöglich unseren Wünschen und Neigungen angemessener zu machen, d. h. sie im Grunde zu verderben und um ihre ganze Würde zu bringen, welches dann doch selbst die gemeine praktische Vernunft am Ende nicht gut heißen kann.

So wird also die  gemeine Menschenvernunft  nicht durch irgendein Bedürfnis der Spekulation (welches ihr, solange sie sich genügt, bloße gesunde Vernunft zu sein, niemals anwandelt), sondern selbst aus praktischen Gründen angetrieben, aus ihrem Kreis zu gehen und einen Schritt ins Feld der  praktischen Philosophie  zu tun, um daselbst, wegen der Quelle ihres Prinzips und richtigen Bestimmung desselben in Gegenhaltung mit den Maximen, die sich auf Bedürfnis und Neigung fußen, Erkundigung und deutliche Anweisung zu bekommen, damit sie aus der Verlegenheit wegen beiderseitiger Ansprüche herauskomme, und nicht Gefahr laufe, durch die Zweideutigkeit, in die sie leicht gerät, um alle echten sittlichen Grundsätze gebracht zu werden. Also entspinnt sich ebensowohl in der praktischen gemeinen Vernunft, wenn sie sich kultiviert, unvermerkt eine  Dialektik welche sie nötigt, in der Philosophie Hilfe zu suchen, als es ihr im theoretischen Gebrauch widerfährt, und die erstere wird daher wohl ebensowenig, als die andere, irgendwo sonst, als in einer vollständigen Kritik unserer Vernunft, Ruhe finden.

LITERATUR: Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Berlin 1870 [Kirchmann-Ausgabe]
    Anmerkungen
    1)  Maxime  ist das subjektive Prinzip des Wollens; das objektive Prinzip (d. h. dasjenige, was allen vernünftigen Wesen auch subjektiv zum praktischen Prinzip dienen würdem wenn Vernunft volle Gewalt über das Begehrungsvermögen hätte) ist das praktische  Gesetz. 
    2) Man könnte mir vorwerfen, als suchte ich hinter dem Wort  Achtung  nur Zuflucht in einem dunklen Gefühl, anstatt durch einen Begriff der Vernunft in der Frage deutliche Auskunft zu geben. Allein wenn Achtung gleich ein Gefühl ist, so ist es doch kein durch Einfluß  empfangenes,  sondern durch einen Vernunftbegriff  selbstgewirktes  Gefühl und daher von allen Gefühlen der ersteren Art, die sich auf Neigung oder Furcht bringen lassen, spezifisch unterschieden. Was ich unmittelbar als Gesetz für mich erkenne, erkenne ich mit Achtung, welche bloß das Bewußtsein der  Unterordnung  meines Willens unter einem Gesetz, ohne Vermittlung anderer Einflüsse auf meinen Sinn, bedeutet. Die unmittelbare Bestimmung des Willens durchs Gesetz und Bewußtsein derselben heißt  Achtung,  so daß diese als  Wirkung  des Gesetzes aufs Subjekt und nicht als  Ursache  desselben angesehen wird. Eigentlich ist Achtung die Vorstellung von einem Wert, der meiner Selbstliebe Abbruch tut. Also ist es etwas, was weder als Gegestand der Neigung, noch der Furcht betrachtet wird, obgleich es mit beiden zugleich etwas Analogisches hat.  Der Gegenstand  der Achtung ist also lediglich das  Gesetz,  und zwar dasjenige, das wir  uns selbst  und doch als ansich notwendig auferlegen. Als Gesetz sind wir ihm unterworfen, ohne die Selbstliebe zu befragen; als uns von uns selbst auferlegt, ist es doch eine Folge unseres Willens und hat in der ersten Rücksicht Analogie mit Furcht, in der zweiten mit Neigung. Alle Achtung für eine Person ist eigentlich nur Achtung fürs Gesetz (der Rechtschaffenheit etc.), wovon jene uns das Beispiel gibt. Weil wir Erweiterung unserer Talente auch als Pflicht ansehen, so stellen wir uns an einer Person von Talenten auch gleichsam das  Beispiel eines Gesetzes  vor (ihr durch Übung hierin ähnlich zu werden), und das macht unsere Achtung aus. Alles moralische so genannte  Interesse  besteht lediglich in der  Achtung  fürs Gesetz.