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Der Pragmatismus und seine Gegner
Das Thema war: "Was ist Wahrheit?" oder "Über den Begriff der Wahrheit". Diese Frage behandelten die einen vom logischen Standpunkt (soweit ich diese Seite verstanden habe, verteidigte sie einen scholastischen Standpunkt), die anderen vom erkenntnistheoretischen (Neukantianer), die dritten vom metaphysischen (Pragmatisten); es ist auch kein Wunder, daß die Gegner sich dabei nicht verständigen konnten. Dieser Artikel ist bestrebt, von einigen Aufsätzen der pragmatistischen Literatur ausgehend, den Sinn dieser Lehre klarzustellen, und in die Diskussion, die wir unten erwähnen wollen, einige Gedanken eines Philosophen (BERGSON) zu bringen, die vielleicht etwas zur Klärung der Probleme beitragen werden. Was ist Pragmatismus? In einem Aufsatz über den Pragmatismus (Revue de Philosophie, 1906) gibt JAMES die Formulierung dieses Prinzips aus einem Artikel von PEIRCE, der diesen Ausdruck geprägt hat. "Das Wesen und das Ziel des Gedankens kann nur in der Hervorrufung des Glaubens bestehen, denn der Glaube bildet den Halbtakt, der den musikalischen Satz in der Symphonie unseres intellektuellen Lebens schließt. Der Gedanke in Bewegung kann kein anderes Ziel, als der Gedanke in Ruhe haben. Aber wenn unser Gedanke über irgendeinen Gegenstand seine Ruhe im Glauben gefunden hat, dann kann unsere Tat fest und sicher anfangen. Mit einem Wort: die Glaubenssätze sind in Wirklichkeit Regeln der Tat, und die ganze Funktion des Gedankes besteht in der Produktion von Tätigkeitsgewohnheiten. Jeder Teil eines Gedankens, der keine Wirkung auf die praktischen Folgen dieses Gedankens haben würde, würde nichts zur Bedeutung dieses Gedankens beitragen. Ein und derselbe Gedanke kann von verschiedenen Sprachformen begleitet sein, aber wenn diese Formen keine verscchiedenen Handlungsweisen einflößen, bilden die Wörter nur einer äußerlichen Luxus; sie bringen nichts in den Sinn des Gedankens hinein. Wenn sie im Gegenteil verschiedene Handlungsweisen bestimmen, dann sind sie wesentliche Elemente der Idee. Um die Bedeutung eines Gedankens zu entwickeln, haben wir nur das Benehmen (conduite) zu bestimmen, das er einzuflößen fähig ist. Dieses Benehmen, diese Führung bildet für uns seinen Sinn. Wie subtil die Verschiedenheiten, die wir im Gedanken finden wollen, sein mögen, all diese Verschiedenheiten haben ihre Wurzel in praktischen Verschiedenheiten. Um unseren Gedanken über einen Gegenstand vollkommene Klarheit zu geben, brauchen wir nur die praktischen Wirkungen, die vom Objekt ausgehen, zu studieren - ich will sagen die Empfindungen, die wir von ihm erwarten, und die Reaktionen, die wir vorzubereiten haben. Der Begriff dieser Wirkungen und der Begriff des Gegenstandes, wenn er einen positiven Sinn hat, sind für uns identisch. Das ist das Prinzip von PEIRCE, das Prinzip des Pragmatismus (Seite 466 bis 467). Wenn wir uns jetzt zu den modernen Pragmatisten. In der Pragmatistendiskussion stellte F. C. SCHILLER die folgende Behauptung auf:
Außer dieser fundamentalen Tatsache ist noch eine andere zu erwähnen, diejenige nämlich, daß unser Geist ein Bedürfnis der Harmonie hat, ein Bedürfnis der Harmonie unserer Kenntnisse untereinander und der Kenntnisse mit unseren Handlungen; die Hauptsache aber ist die Harmonie der ganzen Wahrheit mit sich selbst, das was man gewöhnlich die Notwendigkeit des Prinzips des Widerspruchs nennt. Diese Prämissen angenommen, können wir nach SCHILLER folgendermaßen die Genesis der Wahrheit in der menschlichen Seele erklären.
2. Sie muß für uns, für unsere Handlungen ein Interesse, einen besonderen Nutzen darstellen. 3. Dann wünschen wir, daß sie wahr sein soll; wir setzen sie als wahr voraus, um sie in der Praxis anzuwenden, und wenn sie dabei wirklich nützlich ist, halten wir sie wenigstens einstweilen für wahr, denn es genügt nicht, wenn eine Behauptung momentan oder scheinbar nützlich ist, um sie definitiv als wahr zu erklären. 4. Die neue Behauptung muß mit allen von uns schon erworbenen Kenntnissen übereinstimmen und diese Übereinstimmung muß dauerhaft sein. 5. Das ist aber noch nicht genügend; die Wahrheit eines einzelnen Menschen wird doch zu einem sozialen Produkt; unsere Kenntnisse daher mit den Kenntnissen unserer Mitmenschen in Übereinstimmung sein.
2. Jede Erkenntnis, so theoretisch sie nur sein mag, hat einen praktischen Wert; sie ist dahe eine moralische Handlung. 3. Der Humanismus rehabilitiert den Irrationalismus, nicht in dem Sinne, daß er an der Vernunft zweifelt; er stellt sich nur dem Rationalismus gegenüber, dieser oberflächlichen Doktrin, die glaubt, im Menschen eine reine Vernunft zu finden, eine Vernunft, die sich durch sich selbst bestimmt, unabhängig von jeder affektiven Emotion. Der Humanismus bringt die Recht der nicht-intellektuellen Faktoren zu Ehren. 4. Der Humanismus baut alles auf der ursprünglichen Erfahrung des gesunden Menschenverstandes auf; diese Erfahrung hat für ihn nicht weniger Realität, als die höhere rationale Realität der rationalen Systematik, ja noch mehr die Realität der letzteren ist von der Realität des uns ursprünglich Gegebenen abhängig. 5. Die Wahrheit ist nicht etwas Statisches, sondern Dynamisches; die Wahrheit ist etwas, was in der Aktivität geschaffen wird. 6. Der Humanismus verwirft den Begriff der unerkennbaren Materie. Die Substanz ist für ihn die Aktivität des Wesens in seiner Aktualität; sie ist die Vervollkommnung des Wesens. Dem Pragmatismus wurde zum Vorwurf gemacht, daß er als Kriterium der Wahrheit irgendeiner Aussage die Resultate ansieht, die diese Aussage bei ihrer Anwendung in der Praxis gibt. Andererseits wurde die Diskussion in der Weise geführt, wie sie zwischen den Anhängern der Transzendentalphilosophie, die aprioristischen Urteile annimmt, und zwischen den Psychologisten, die alle Urteile aus der Erfahrung ableiten. Wir haben schon oben darauf hingewiesen, daß die streitenden Seiten dieselben Probleme von verschiedenen Standpunkten, vom logischen, erkenntnistheoretischen und metaphysischen, behandelten; aber außerdem wurden in der Diskussion noch solche Motive, denen wir in Streitfragen zwischen den Idealisten und Realisten einerseits und Spiritualisten und Materialisten andererseits zu begegnen gewohnt sind. All dies wurde nicht mit einer solchen Klarheit formuliert, daß wir imstande wären, hier eine Analyse von diesen Kontroversen zu geben; das ist aber eine Arbeit, die kaum ohne Einblick in die eingehenden Protokolle der Diskussion möglich ist. Um aber mehr Licht in die hier zu behandelnden Probleme zu bringen, werden wir auch diese Streitfragen kurz streifen, allerdings werden wir uns dabei mit einigen Zitaten aus einem Werk BERGSONs begnügen. Zunächst wollen wir den Begriff der Wahrheit, wie er seitens des kritischen Idealismus behandelt zu werden pflegt, klarmachen; wir werden dabei die interessante Schrift von DRIESCH "Naturbegriffe und Natururteile" zu Hilfe nehmen. Was ist Wahrheit? Im obengenannten Werk gibt DRIESCH eine Definition, die übrigens, wie der Verfasser bemerkt, nur für seine Ziele genügt, da er ein naturwissenschaftliches und naturphilosophisches Buch schreibt; für unsere Zeile wird diese Definitioni auch genügen; also
Die Kategorien verbürgen irgendwo und irgendwann einen ruhenden Pol. Hier wird der Mensch also in einem tiefen Sinn wahrlich das Maß aller Dinge, nicht nur anthropozentrisch, ja "egozentrisch" muß eine unmetaphysische, vollständige Naturbewältigung sein und sie kann es." (ebd. Seite 32)
Wir sprachen oben von der Wahrheit, von einem Kriterium der Wahrheit, d. h. von der Wahrheit dessen, was wir fühlen, erkennen. Es existiert eine Ordnung der Phänomene, die wir erkennen, aber wie wird diese Ordnung von den Idealisten einerseits, von den Realisten andererseits vorgestellt? Hören wir, was BERGSON darüber in seinem unlängst in deutscher Übersetzung erschienen Werk "Materie und Gedächtnis" sagt:
Sehen wir jetzt, wie sich BERGSON zu den Kontroversen zwischen Materialismus und Spiritualismus verhält; wir müssen aber davon Abstand nehmen, die Begriffe der "reinen Empfindung" und des "reinen Gedächtnisses", die BERGSON in seinem Werk eingehend behandelt, zu erläutern:
Aber dank einer seltsamen Verblendung ist der Spiritualismus dem Materialismus auf diesem Weg gefolgt. In der Absicht durch alles, was er der Materie wegnahm, den Geist zu bereichern, hat er niemals geschwankt, die Materie aller Eigenschaften, die sie in unserer Empfindung besitzt, zu berauben und diese Eigenschaften zu subjektiven Trubbildern zu machen. Er hat in solcher Weise zu oft die Materie zu einer mysteriösen Wesen gemacht, und da wir von diesem Wesen nur seinen Schein kennen, könnte man erwarten, daß dieses Wesen ebenso wie andere Phänomene auch Gedankenphänomene hervorzurufen imstande wäre. In Wirklichkeit gibt es nur ein Mittel, und dieses Mittel ist das einzige, den Materialismus zu widerlegen: wir müssen annehmen, daß die Materie durchaus so ist, wie sie zu sein scheint. Damit wird man aus der Materie alles Virtuelle, alle verborgenen Eigenschaften ausschließen; die Phänomene des Geistes werden aber dabei ihre unabhängige Realität erhalten. Aber dazu müßte man der Materie die Eigenschaften lassen, die Materialisten und Spiritualisten von ihr loslösen wollen, die einen um aus ihnen Vorstellungen des Geistes zu machen, die anderen um in ihnen eine nur zufällige Bekleidung der Ausdehnung zu sehen. Das ist gerade der Standpunkt des gesunden Menschenverstandes der Materie gegenüber, und der gesunde Menschenverstand glaubt daher an den Geist. Es schien uns, daß die Philosophie diesen Standpunkt des gesunden Menschenverstandes annehmen muß, indem sie ihn jedenfalls in einem Punkt korrigiert (Matiére et mémoire, Seite 65 bis 67). Wir haben hier einen Standpunkt, der wie der Pragmatismus, den gesunden Menschenverstand wieder in seine Rechte bringen will; aber diese Philosophie gibt uns eine viel tiefere Analyse, sie versucht nicht, wie es bei einigen Pragmatisten geschieht, erkenntnistheoretische Probleme mittels metaphysischer Spekulation zu lösen. Wir können hier nicht die Stellung, die BERGSON in diesen Fragen einnimmt, eingehend auseinandersetzen (3). Wir wollen nur auf den Unterschied hinweisen, den BERGSON zwischen "esprit" und "intelligence" macht. "Intelligence" ist eine Spezialform des Geistes, die gegen die träge Materie gekehrt ist, dank dieser Fähigkeit kann sich der Mensch im Diskontinuierlichen, Unbewegten, zurechtfinden. Die "intelligence" aber kann nichts der Bewegung, dem Leben Entsprechendes geben. Der formale Wahrheitsbegriff, den der Rationalismus zu geben imstande ist, befindet sich im Bereich der "Intelligence", das, was der Pragmatismus in seinem Begriff der Wahrheit geben wollte, ist etwas anderes. In diesem Begriff steckt schon etwas von einer absoluten Wahrheit; man kann ier eher vom Wert eines Erlebnisses sprechen, und soweit ich der Diskussion zu folgen imstande war, sind sich hier die Pragmatisten nicht ganz im klaren; in dieser Richtung ist kaum ein Begriff der Wahrheit zu konstruieren: "La pensée demeure incommensurable avec le langage" [Der Gedanke bleibt inkommensurabel mit der Sprache - wp] - mit diesem schönen Ausdruck von BERGSON kann man darauf antworten. Diese Vermengung verschiedener Probleme zeigt, daß der Rationalismus bei den Pragmatisten keine richtige und sachgemäße Beurteilung finden kann; man kann daher bei einigen von ihnen den Ausdruck finden, daß KANTs Werke eine Sammlung von bric á brac [Krimskrams, Schnickschnack - wp] sind (4). SCHILLER hat auch in seinem Vortrag eine zu große Mißachtung gegen fremde Gedanken gezeigt, ein solches leichtfertiges Verhalten gegen die mühevolle Arbeit des menschlichen Denkens wirkt nicht anziehend und spricht nicht von Tiefe und Ernst der Kritiker. KANT kann nicht einfach zur Seite geschoben werden; KANT kann nur überwunden werden, indem man die wichtigen erkenntnistheoretischen Ergebnisse seiner philosophischen Arbeit anerkennt; und nur diese Überwindung, aber nicht ein geringschätziges Verhalten gegenüber den Gedanken anderer kann zu einem wirkliche Auffrischen und Beleben der Philosophie, zu einem Aufbau einer neuen Metaphysik führen. Die Behauptung der Pragmatisten vom Erfolg als Kriterium der Wahrheit hat besonders viel Sturm hervorgerufen - wir verstehen nicht, warum; man muß sich noch verständigen, was unter Erfolg, unter "sich bewähren" zu verstehen ist; der Satz von PROTAGORAS "der Mensch sei das Maß aller Dinge", in welchem alle diese Behauptungen ihre Quelle haben, kann einen viel tieferen Sinn haben, als denjenigen, den man ihm gewöhnlich zuzuschreiben gewohnt ist; man vergleiche die oben zitierte Stelle aus dem Werk von DRIESCH. Es scheint uns nicht, daß hier die am wenigsten verteidigte Position des Pragmatismus zu suchen ist. Ein Redner sagt auf dem Kongreß, die Pragmatisten zeigen nicht nur eine Oberflächlichkeit im Denken, sie begehen auch noch eine Taktlosigkeit; jetzt, wo in der Philosophie ein Zug nach einer gesunden Metaphysik herrscht, sei es eine Sünde, eine solche Strömung wie die pragmatische ins Leben zur rufen (5), dem Redner wurde lebhafter Beifall gezollt; wir wissen nicht, inwiefern die Kenntnisse des Redners in der philosophischen Strömung, die er kritisiert, reichen; uns scheint, daß wenn der Pragmatismus irgendwelche Erfolge zu notieren hat, er dieselben seiner vielleicht nicht deutlich hervorgehobenen Metaphysik zu verdanken hat; Philosophie kann weder aus einer Erkenntnistheorie, noch aus reiner Logik bestehen; die Erkenntnistheorie muß doch ihr Fundament haben, wir haben oben darauf hingewiesen. Aber ist denn der Weg zur Metaphysik der einzige, der von KANT zu FICHTE, zu SCHELLING, zu HEGEL führt? Gibt es denn nicht noch andere Wege? Man kann sich doch noch eine andere Evolution vorstellen. Die Reaktion gegen den Materialismus, die mit dem Neuauftreten der kantischen Lehre anfängt, kann, indem sie das Wertvolle von der kritischen Arbeit des Empiriokritizismus und der immanenten Philosophie und der kritischen Arbeit solcher Naturforscher wie MACH, OSTWALD, DRIESCH sich zu eigen macht, zu einem Beleben der Philosophie, zur Schöpfung einer neuen Metaphysik, die enge Fühlung mit allen Teilen des menschlichen Wissens hat, führen. Eine solche Bewegung wird parallel der gegenwärtigen Entwicklung der Philosophie in Frankreich verlaufen. BOUTROUX hat seinen schönen Vortrag über die Philosophie in Frankreich seit 1867 mit folgenden Worten geschlossen:
In dem Maße aber, wie diese speziellen Wissenschaften ihren Gegenstand vertiefen, begegnen sie den epistemologischen, kosmologischen, praktischen Problemen, den Problemen, die die Philosophie als Einheit interessieren; und so ist vielleicht nicht viel gewagt, wenn man annimmt, daß die Philosophie und die philosophischen Disziplinen, nachdem sie einander als radikal antagonistisch angesehen haben, zu einer Annäherung streben: die speziellen philosophischen Wissenschaften, indem sie anerkennen, daß sie nicht imstandes sind, ohne sich zu verstümmeln und zu verunstalten, alles das vermeiden, was die Metaphysik berührt, die Metaphysik ihrerseits, indem sie sich immer mehr und inniger die Methoden und die Resultate der Wissenschaften aneignet." ![]()
1) Ich folge hier einem eingehenden Referat von LÉARD über dieses Werk von SCHILLER in der Revue de Philosophie, 1905, Vol. VI, Seite 463. 2) Vgl. DRIESCH, "Bergson als biologischer Philosoph", Zeitschrift zum Aufbau der Entwicklungslehre, 1907 3) Für den Leser, der sich dafür interessiert, möchten wir die Hauptschriften dieses Philosophen anführen: 1. "Essai sur les données immédiates de la conscience", 2. "Matiére et mémoire", 3. "Evolution créatrice", außerdem sind noch zwei Aufsätze in der Revue de Metaphysique et de Morale zu empfehlen: "Introduction dans la métaphysique" (1903) und "Le paralogismue psycho-physiologique" (1904). 4) Ich kann mich leider nicht erinnern, in welcher französischen Zeitschrift ich diese Meinung eines englischen oder amerikanischen Pragmatisten gelesen habe. 5) Ich zitiere hier nicht wörtlich, aber dem Sinn nach. |