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THOMAS HOBBES
(1588 - 1676)

Von Vernunft und Wissenschaft

Von der Sprache
"Wer Schlüsse einfach hinnimmt und dabei den Urhebern vertraut, ohne sie von den ersten Daten jeder Rechnung - die durch Definition festgesetzten Bedeutungen von Namen - herzuleiten, bemüht sich vergebens und weiß überhaupt nichts, sondern glaubt nur."

 Denken  heißt nichts anderes als sich eine Gesamtsumme durch  Addition  von Teilen oder einem Rest durch  Subtraktion  einer Summe von einer anderen vorstellen. Geschieht dies durch Wörter, so ist es ein Vorstellen dessen, was sich aus den Namen aller Teile für den Namen des Ganzen, oder aus den Namen des Ganzen und eines Teiles für den Namen des anderen Teiles ergibt. Und obwohl man in manchen Fällen, wie bei den Zahlen, andere Rechnungsarten als  Addieren  und  Subtrahieren  nennt, wie  Multiplizieren  und  Dividieren,  so handelt es sich dabei doch um dasselbe, denn Multiplizieren ist nur ein Zusammenzählen von gleichen Dingen und Dividieren ein Abziehen eines Dings sooft wie möglich.

Diese Rechnungsarten sind nicht nur Zahlen eigen, sondern allen Arten von Dingen, die zusammengezählt oder auseinander entnommen werden können. Denn wie die Arithmetiker lehren, mit  Zahlen  zu addieren und zu subtrahieren, so lehren dies die Geometriker mit  Linien,  festen und künstlichen  Figuren, Winkeln, Proportionen, Zeiten,  Graden von  Geschwindigkeit, Kraft, Stärke  und Ähnlichem. Dasselbe lehren die Logiker mit  Folgen aus Wörtern  indem sie zwei  Namen  zusammenzählen, um eine  Behauptung  aufzustellen, zwei  Behauptungen  um einen  Syllogismus  zu bilden,  viele Syllogismen,  um einen  Beweis  zu führen, und von der  Summe  oder der  Schlußfolgerung  aus einem  Syllogismus  ziehen sie eine  Aussage  ab, um die andere zu finden.

Schriftsteller, die über Politik schreiben, addieren  Verträge  um die  Pflichten  der Menschen zu finden, und Richter  Gesetze  und  Tatsachen,  um herauszufinden, was bei Handlungen von Privatleuten  recht  und  unrecht  ist. Kurz: Wo  Addition  und  Subtraktion  am Platze sind, da ist auch  Vernunft  am Platze, und wo sie nicht am Platze sind, hat  Vernunft  überhaupt nichts zu suchen.

Auf Grund von allem, was bisher gesagt wurde, können wir definieren, das heißt bestimmen, was mit dem Wort  Vernunft  gemeint ist, wenn wir sie zu den Fähigkeiten des Geistes rechnen. Denn  Vernunft  in diesem Sinne ist nichts anderes als  Rechnen,  das heißt Addieren und Subtrahieren, mit den Folgen aus den allgemeinen Namen, auf die man sich zum  Kennzeichnen  und  Anzeigen  unserer Gedanken geeinigt hat. Ich sage  Kennzeichnen,  wenn wir bei uns selbst rechnen und  Anzeigen,  wenn wir unsere eigenen Berechnungen anderen beweisen oder darlegen wollen.

Und wie in der Arithmetik Ungeübte irren müssen und selbst Professoren sich oftmals täuschen und falsch rechnen können, so können auch bei anderen Gegenständen des Denkens die fähigsten, aufmerksamsten und geübtesten Leute sich täuschen und zu falschen Schlüssen kommen. Nicht als ob nicht die Vernunft immer rechte Vernunft wäre, so gut wie die Arithmetik eine sichere und untrügliche Kunst ist: Die Sicherheit ergibt sich aber weder aus der Vernunft eines einzelnen noch aus irgendeiner Anzahl von Menschen - ebensowenig wie eine Rechnung deshalb richtig durchgeführt worden ist, weil sie von einer großen Anzahl von Menschen übereinstimmend für richtig befunden wurde. Und deshalb müssen die Parteien bei einem Streit über eine Rechnung durch eigene Übereinkunft die Vernunft eines Schiedsrichters oder Richters, zu dessen Urteil sie beide stehen wollen, als rechte Vernunft einführen, oder ihr Streit muß entweder zu Handgreiflichkeiten führen oder unentschieden bleiben, da es keine von der Natur eingesetzte rechte Vernunft gibt.

Dies gilt für alle Arten von Streitigkeiten. Und wenn Leute, die sich für klüger als alle anderen halten, ein Geschrei anstimmen und die rechte Vernunft zum Richter fordern, jedoch nichts anderes wollen, als daß die Dinge nach keines anderen Vernunft als ihrer eigenen entschieden werden sollten, so ist da für die menschliche Gesellschaft genau so unerträglich, wie wenn man im Spiel, nachdem der Trumpf festgesetzt worden ist, immer gerade die Farbe als Trumpf benützen wollte, von der man die meisten Karten auf den Hand hat. Denn genau so handeln diejenigen, welche jede Leidenschaft, die in ihnen gerade die Oberhand hat, als die rechte Vernunft angesehen haben wollen - und das bei ihren eigenen Streitigkeiten: indem sie die rechte Vernunft für sich beanspruchen, verraten sie, daß sie ihnen fehlt.

Nutzen und Zweck der Vernunft bestehen nicht darin, daß man die Summe und Wahrheit einer oder mehrerer Folgen findet, fern von den ersten Definitionen und festgesetzten Bedeutungen von Namen, sondern darin, daß man bei diesen beginnt und von einem Schluß zum anderen fortschreitet. Denn die letzte Schlußfolgerung kann nicht gesichert sein, ohne daß alle Behauptungen und Verneinungen gesichert sind, auf die sie sich gründete und von denen sie abgeleitet wurde.

Wenn ein Familienvater beim Aufstellen einer Rechnung die Summen aller einzelnen Rechnungen zusammenzählt, ohne darauf zu achten, wie jede einzelne Rechnung von den Ausstellern addiert worden war, noch darauf, wofür er bezahlt, so nützt er sich dabei nicht mehr, als wenn er mit der Aufstellung einer ungefähren Rechnung einverstanden wäre und dabei der Geschicklichkeit und Ehrlichkeit der Aussteller vertraute.

So verhält es sich auch beim Nachdenken über alle anderen Dinge: Wer Schlüsse einfach hinnimmt und dabei den Urhebern vertraut, ohne sie von den ersten Daten jeder Rechnung - die durch Definition festgesetzten Bedeutungen von Namen - herzuleiten, bemüht sich vergebens und weiß überhaupt nichts, sondern glaubt nur.

Wenn jemand rechnet, ohne dabei Wörter zu gebrauchen, was bei einzelnen Dingen möglich ist, wenn wir z.B. auf Grund der Beobachtung eines Dinges auf das, was wahrscheinlich vorhergegangen war oder folgen wird, schließen, und das, was wir als vermutliche Folge annahmen, nicht eintrifft, oder das, was wir als vermutlichen Vorgang annahmen, nicht vorhergegangen war, so spricht man von  Irrtum.  Ihm unterliegen selbst die klügsten Leute. Aber wenn wir in Wörtern von allgemeiner Bedeutung denken und dabei zu einer allgemeinen Schlußfolgerung kommen, die falsch ist, so ist dies in Wirklichkeit eine  Widersinnigkeit  oder ein sinnloser Ausdruck, obwohl dies gewöhnlich  Irrtum  genannt wird.

Denn Irrtum ist nur eine Täuschung bei der Annahme, daß etwas vergangen sei oder in der Zukunft liege, bei dem jedoch, obwohl es nicht vergangen war oder in der Zukunft lag, keine Unmöglichkeit zu erkennen war. Stellen wir jedoch eine allgemeine Behauptung auf, so kann man sie sich nicht als möglich vorstellen, wenn sie nicht wahr ist. Und Wörter, durch die wir nur den Schall erfassen, nennen wir  widersinnig, nichtssagend  und  sinnlos.  Und sollte mir deshalb einer mit einem  runden Viereck  und  Akzidenzien von Brot und Käse  oder mit  immateriellen Substanzen  kommen, oder mit einem  freien Untertanen,  einem  freien Willen  oder irgend einer anderen  Freiheit  außer der des Freiseins von einem hindernden Widerstand, so darf ich nicht sagen, er befinde sich in einem Irrtum, sondern seine Worte seien ohne Bedeutung, das heißt widersinnig.

Ich habe vorher gesagt, der Mensch übertreffe alle anderen Tiere in der Fähigkeit, nach den Folgen eines beliebigen Dings zu fragen, das er sich vorgestellt hat, und danach, was sich damit bewirken läßt. Und nun gehe ich auf diese andere Stufe derselben Überlegenheit ein, nämlich auf die Fähigkeit, auf Grund der von ihm gefundenen Folgen mit Hilfe von Wörtern allgemeine Regeln,  Theoreme  oder  Denksätze  genannt, aufzustellen. Er kann also nicht nur in Zahlen denken oder rechnen, sondern auch in allen anderen Dingen, die man zusammenzählen oder voneinander abziehen kann.

Aber dieses Privileg wird durch ein anderes abgeschwächt, nämlich durch das Privileg des Widersinns, dem kein anderes Lebewesen ausgesetzt ist als allein der Mensch. Und die Menschen, die ihm am meisten ausgesetzt sind, sind die Professoren der Philosophie. Denn es ist völlig richtig, was CICERO an einer Stelle über sie sagt, nämlich, nichts könne so widersinnig sein, als daß es nicht in den Büchern der Philosophen zu finden wäre. Und der Grund liegt auf der Hand. Denn keiner von ihnen stellt Definitionen oder Erklärungen der Namen, die er benützen will, an den Anfang seines Denkens. Diese Methode wurde nur in der Geometrie angewandt, wodurch ihre Schlußfolgerungen unbestreitbar geworden sind.

1. Die erste Ursache absurder Schlüsse liegt meines Erachtens im Mangel an Methode. Sie gehen nämlich beim Denken nicht von Definitionen aus, das heißt, von festgesetzten Bedeutungen ihrer Wörter - als könnten sie rechnen, ohne den Wert der Zahlwörter  eins, zwei  und  drei  zu kennen!

Und da alle Körper auf Grund verschiedener Betrachtungsweisen in Rechnung gestellt werden, und da diese Betrachtungsweisen verschieden benannt werden, entstehen aus der Verwirrung und unpassenden Verbindung ihrer Namen zu Aussagen verschiedene Widersinnigkeiten.

Und deshalb

2. liegt meines Erachtens die zweite Ursache von falschen Behauptungen in dem Umstand, daß man  Akzidenzien  die Namen von  Körpern  oder  Körpern  die von  Akzidenzien  gibt. Dies tun z.B. diejenigen, welche sagen, der  Glaube sei eingegossen  oder  eingeblasen  - dabei kann außer einem Körper nichts in etwas  gegossen  oder  geblasen  werden - und  Ausdehnung  sei ein Körper und  Erscheinungen  seien  Geister  usw.

3. Die dritte Ursache sehe ich darin, daß man den  Akzidenzien  (Qualitäten, bzw. Eigenschaften) unserer  eigenen Körper  die Namen der  Akzidenzien außerhalb von uns liegender Körper  gibt. Dies tun z.B. diejenigen, welche sagen, die  Farbe sei in dem Körper, der Schall sei in der Luft  usw.

4. Die vierte Ursache sehe ich darin, daß man Namen oder  Ausdrücken  die Namen von  Körpern  gibt. Dies tun z.B. diejenigen, welche sagen, es gebe  allgemeine Dinge, ein Lebewesen sei eine Gattung  oder  ein allgemeines Ding  usw.

5. Die fünfte Ursache sehe ich darin, daß man  Namen  und  Ausdrücken  die Namen von  Akzidenzien  gibt. Dies tun z.B. diejenigen, welche sagen, die  Natur eines Dinges sei eine Definition, eines Menschen Befehl sei sein Wille  und dergleichen.

6. Die sechste Ursache sehe ich im Gebrauch von Metaphern und bildlichen Ausdrücken an Stelle eigentlicher Wörter, Denn obwohl man zum Beispiel in der Alltagssprache berechtigt sagt,  der Weg gehe oder führe hierhin oder dorthin  oder  das Sprichwort sage dieses oder jenes,  obwohl Wege weder gehen noch Sprichwörter sprechen können, so dürfen doch beim Rechnen oder Suchen nach Wahrheit solche Ausdrücke nicht zugelassen werden.

7. Die siebte Ursache sehe ich in Namen, die nichts bedeuten, sondern von den Schulen übernommen und mechanisch gelernt worden sind wie  hypostatisch, transsubstantiell, konsubstantiell, ewiggegenwärtig  und ähnliches Kauderwelsch der Scholastiker.

Wer diese Dinge vermeiden kann, wird sich nicht leicht in Widersinnigkeiten verwickeln, es sei denn, durch die Länge einer Rechnung, in der er vielleicht vergessen hat, was vorausgesetzt war. Denn alle Menschen denken von Natur aus gleich und gut, wenn sie gute Prinzipien haben. Denn wer ist so dumm, daß er auf einem Fehler, den er in der Geometrie gemacht hat, auch dann noch beharrt, wenn ihm ein anderer seinen Fehler zeigt?

Hieraus ergibt sich, daß uns die Vernunft weder angeboren ist wie Empfindung und Gedächtnis, noch durch bloße Erfahrung erworben wird wie die Klugheit. Sie wird vielmehr durch Fleiß erlangt: zuerst durch passendes Belegen mit Namen, zweitens durch Aneignung einer guten und systematischen Methode des Fortschreitens von den Elementen, den Namen, zu Behauptungen, die dadurch entstehen, daß man einen Namen mit einem andern verbindet, und ebenso zu Syllogismen, den Verbindungen einer Behauptung mit einer anderen, bis wir alles kennen, was aus den Namen folgt, die dem in Frage stehenden Gegenstand zugehören.

Und eben dies nennt man  Wissenschaft.  Und während Empfindung und Erinnerung nur Kenntnis von Tatsachen ist, das heißt von etwas Vergangenem und Unwiderruflichem, ist  Wissenschaft  die Kenntnis dessen, was aus einer Tatsache für eine andere folgt und wie die eine von einer anderen abhängt. Durch sie erkennen wir aus dem, was wir gegenwärtig tun können, wie etwas anderes oder dasselbe zu einem anderen Zeitpunkt anzufassen ist, wenn wir wollen. Denn sehen wir, durch welche Ursachen und auf welche Weise etwas zustande kommt, so sehen wir auch, wie wir die gleichen Ursachen veranlassen können, die gleichen Wirkungen hervorzubringen, wenn sie in unsere Gewalt kommen.

Deshalb besitzen Kinder überhaupt keine Vernunft, solange sie noch nicht sprechen können, werden aber dennoch wegen der offenkundigen Möglichkeit, daß sie künftig Vernunft besitzen, vernünftige Wesen genannt. Und obwohl die meisten Menschen ein wenig denken können, wie z.B. in gewissem Maße beim Zählen, so nützt ihnen dies im täglichen Leben doch wenig. In ihm richten sie sich nach ihrer verschiedenen Erfahrung, Schnelligkeit des Gedächtnisses und ihren Neigungen zu verschiedenen Zielen, die einen besser, die anderen schlechter, besonders aber nach ihrem Glück oder Unglück und den Irrtümern, die sie voneinander übernehmen. Denn von  Wissenschaft  oder sicheren Regeln für ihr Handeln sind sie so weit entfernt, daß sie gar nicht wissen, was dies ist.

Geometrie hielten sie für Hexerei, und in den anderen Wissenschaften verhalten sich diejenigen, welche nicht in die Anfangsgründe eingeweiht wurden und einige Fortschritte gemacht haben, damit sie sehen können, wie sie erworben und geschaffen werden, wie Kinder, die keine Ahnung von Zeugung haben und denen von den Frauen eingeredet wird, ihre Brüder und Schwestern seien nicht geboren, sondern im Garten gefunden worden.

Aber wer keine  Wissenschaft  besitzt, ist mit seiner natürlichen Klugheit dennoch in einer besseren und würdigeren Lage als Menschen, die durch falsches Denken oder im Vertrauen auf Leute, die falsch denken, auf falsche und absurde allgemeine Regeln kommen. Denn Unkenntnis von Ursachen und Regeln führt die Menschen nicht so weit von ihrem Weg ab wie das der Fall ist, wenn sie sich auf falsche Regeln stützen und Dinge für Ursachen dessen halten, wonach sie trachten, welche dies nicht sind, sonder eher Ursachen des Gegenteils.

Um abzuschließen: Klare Wörter sind das Licht des menschlichen Geistes, aber nur, wenn sie durch exakte Definitionen geputzt und von Zweideutigkeiten gereinigt sind. Die  Vernunft  ist der  Schritt,  die Mehrung der  Wissenschaft  der Weg und die Wohlfahrt der Menschheit das  Ziel.  Und im Gegensatz dazu sind Metaphern und sinnlose und zweideutige Wörter wie  Irrlichter,  und sie dem Denken zugrunde legen heißt durch eine Unzahl von Widersinnigkeiten wandern, und an ihrem Ende stehen Streit und Aufruhr oder Ungehorsam.

Wie reiche Erfahrung  Klugheit  ist, so ist Reichtum an Wissenschaft  Weisheit.  Denn obwohl wir gewöhnlich den Namen Weisheit für beides anwenden, so unterschieden doch die Römer immer zwischen  prudentia  und  sapentia  wobei sie das erste der Erfahrung, das letzte der Wissenschaft zuschrieben. Aber stellen wir uns, um den Unterschied klarer zu machen, einen Mann vor, der eine hervorragende natürliche Anlage zum geschickten Gebrauch seiner Waffen besitzt, und daneben einen anderen, der zu dieser Geschicklichkeit noch die Wissenschaft hinzugelernt hat, auf welche Weise er in jeder Haltung oder Auslage treffen oder von seinem Gegner getroffen werden kann. Die Fähigkeit des ersten verhielte sich dann zu der Fähigkeit des zweiten wie die Klugheit zur Weisheit; beide sind nützlich, aber die letzte ist unfehlbar. Aber wer nur der Autorität von Büchern vertraut und den Blinden blindlings folgt, gleicht dem, der im Vertrauen auf die falschen Regeln eines Fechtmeisters sich in seinem Dünkel an einen Feind heranwagt, der ihn dann entweder tötet oder entehrt.

Die Zeichen der Wissenschaft sind teils sicher und unfehlbar, teils unsicher. Sie sind sicher, wenn jemand, der angeblich die Wissenschaft von einem Gegenstand beherrscht, diese lehren, das heißt, ihre Wahrheit einem anderen klar und deutlich demonstrieren kann. Sie sind unsicher, wenn nur einige einzelne Ergebnisse seiner Behauptung entsprechen und in vielen Fällen so zustande kommen, wie sie nach seinen Angaben zustande kommen müssen. Diese Zeichen der Klugheit sind alle unsicher, denn es ist unmöglich, durch Erfahrung zu beobachten und sich an alle Umstände zu erinnern, die einen anderen Ausgang bewirken können.

Aber es ist in allen Handlungen, bei denen man nicht nach einer unfehlbaren Wissenschaft vorgehen kann, ein Zeichen von Narrheit, die man allgemein verächtlich Buchstabengelehrtheit nennt, wenn man sein eigenes natürliches Urteil aufgibt und sich von den allgemeinen Sätzen anleiten läßt, die man in Büchern gelesen hat und die vielen Ausnahmen unterliegen. Und selbst unter den Männern, die in den staatlichen Ratskollgien so gerne ihre Belesenheit in Politik und Geschichte zur Schau tragen, gibt es nur wenige, die dies auch in ihren häuslichen Angelegenheiten tun, wo es um ihre Sonderinteressen geht, denn für ihre Privatangelegenheiten besitzen sie genügend Klugheit. In der Öffentlichkeit ist es ihnen aber mehr darum zu tun, als gescheit zu gelten, als um den Erfolg der Unternehmungen anderer.
LITERATUR, Thomas Hobbes, Von der Sprache / in Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, Frankfurt/Berlin/Wien 1966