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Marx oder Kant? [2/5]
II. Die materialistische, besser ökonomische Geschichtsauffassung, - nach orthodoxer Lehre das innerste Heiligtum des Marxismus - steht in engstem Zusammenhang mit dem philosophischen Materialismus. Ist letzterer die zur Weltanschauung gesteigerte Naturwissenschaft, so bedeutet erstere den Versuch, die Geschichte zur Naturwissenschaft zu erheben. Was ist Naturwissenschaft? Diejenige Theorie der Körperwelt, welche die unendliche Fülle der uns umgebenden Erscheinungen durch Allgemeinbegriffe überwindet. Soweit diese Allgemeinbegriffe mehr als klassifikatorische Bedeutung haben, bestehen sie aus Urteilen, die unbedingte Allgemeingültigkeit beanspruchen. Solche Urteile h target="_blank">Naturgesetze (40). Naturgesetze behaupten Gültigkeit für die ganze räumlich-zeitliche Welt, obgleich wir nur einen kleinen Ausschnitt derselben beobachten können. Wie ist dies möglich gegenüber der unübersehbaren Mannigfaltigkeit der Dinge mit ihren stets wechselnden, nur durch die Anschauung zu erfassenden Verschiedenheiten? Dadurch, daß wir jene Verschiedenheiten auf meßbare Unterschiede zurückführen, welche den immer und überall gültigen Gesetzen der Mathematik unterfallen; dadurch, daß wir als Wissenschaftler quantifizieren, wo wir als naive Menschen qualifizieren. Die ideale Naturwissenschaft ist daher die Mechanik. Alle Naturwissenschaft strebt diesem Ideal zu, wie auch selbst die von ihm entferntesten (organischen) Naturwissenschaften die Lebensvorgänge durch mechanische Erklärungsgründe kausal zu verstehen suchen.
Dies ist das höchste Ergebnis der englischen und französischen Aufklärung: die "mechanische Naturauffassung" NEWTONs, die von KANT voll aufgenommen und erkenntnistheoretisch gesichert wurde, indem er sie von der Umklammerung durch den philosophischen Materialismus befreit hat. Nichts verbietet, auch die Welt der psychischen Erscheinungen der naturwissenschaftlichen Bearbeitung zu unterwerfen. Schon KANT nennt die Psychologie "den zweiten Teil der Naturlehre". Man könnte alsdann eine Individual- und eine Sozialpsychologie unterscheiden. Letztere vorausnehmend, haben die großen französischen Aufklärer von dieser noch nicht geschaffenen Wissenschaft etwas verlangt, was die vollendetste Naturwissenschaft nicht zu leisten imstande wäre: Den Gang der Menschheitsgeschichte, insbesondere die letzten Jahrhunderte westeuropäischer Kulturentwicklung kausal zu erklären. Für d'ALEMBERT (43) gibt es keine andere Wissenschaft als die eine allumfassende Naturwissenschaft. Alles menschliche Wissen ist in einer Anzahl von Naturgesetzen beschlossen von denen die besonderen auf allgemeinere zurückzuführen sind, bis zuletzt eine vollendete Wissenschaft alle möglichen Tatbestände aus einer einzigen Ursache hervorgehen sieht. Mittels dieser Gesetze könnte man aus der gut beobachteten Vergangenheit "ohne Mühe" die Zukunft ableiten. Von diesem Grundgedanken aus versuchte CONDORCET nach dem Vorbild der Mechanik, die Geschichte zur "Wissenschaft zu erheben (44), indem er die eine fundamentale Kraft aufgesucht hat, welche als einheitliche Ursache allem geschichtlichen Geschehen zugrunde liegt. Gelingt es diese Kraft aufzufinden, so verdichten sich die Regelmäßigkeiten des geschichtlichen Lebens zur Gesetzmäßigkeiten und die Geschichte kommt in die Lage, "ihre erhabene Aufgabe zu erfüllen", die Zukunft vorauszusagen. CONDORCET wurde damit der Vater der materialistischen Geschichtsauffassung. Inhaltlich erklärte er den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis für die einheitliche Ursache alles geschichtlichen Geschehens. Der Grad, in dem naturwissenschaftlicher Positivismus Theologie und Metaphysik verdrängt hat, war dann auch für seine Nachfolger, einen SAINT-SIMON, einen AUGUSTE COMTE, der bestimmende Beweger der Geschichte. "Tout régime social est une application d'un régime philosophique." [Die soziale Herrschaft ist eine Anwendung der philosophischen Herrschaft. - wp] (SAINT-SIMON) (45). Aber für SAINT-SIMON trat neben diesem geistigen Element bereits der ökonomische Faktor in den Vordergrund (46). Beeinflußt durch die Vorstellung des 18. Jahrhunderts, daß der Rassenkampf zwischen Franken und Galliern den Inhalt der französischen Geschichte ausmacht, erklärte SAINT-SIMON die ganze französische Geschichte der letzten Jahrhunderte zu einem Kampf zwischen Feudalität und Industrie, der in der Revolution gipfelt. Zunächst mit dem Königtum verbündet, habe die Industrie, um ihre Alleinherrschaft festzustellen, später das Königtum gestürzt. In den letzten Schriften SAINT-SIMONs sind die Fortschritte der Industrie die entscheidenden Kräfte in der Geschichte, denen die Fortschritte der Wissenschaft lediglich als Hilfskräfte zur Seite treten. An SAINT-SIMON schlossen sich THIERRY, MIGNET und GUIZOT an. Ideen, Lehren und Verfassungen "spiegeln" den ökonomischen Gesellschaftszustand wieder. Daher sind von allen Gesetzen die, welche das Eigentum betreffen, die wichtigsten; um diese Gesetze werden die politischen Kämpfe in letzter Linie geführt. Nach PROUDHON ist die Nationalökonomie der Schlüssel der Geschichte; letztere liefert die Tatsachen, erstere die Ursachen. So fidnen wir schon bei den Franzosen Geschichtskonstruktionen, die an die kühnsten Flüge der Marxisten erinnern. Nach LOUIS BLANC, "Geschichte der zehn Jahre", war der Sturz NAPOLEONs nicht ein Werk BLÜCHERs und WELLINGTONs, sondern der "Bourgeoisie"; sie öffnete den Fremden die Tore (47). Zunächst erschienen Feudalität und Bourgeoisie als diejenigen wirtschaftlichen Klassen, deren Kampf den Inhalt der Geschichte ausmacht. Aber seit den dreissiger Jahren trennte sich von der Bourgeoisie das Proletariat, das neben großstädtischem Bodensatz und entlassenen Soldaten das erste hoffnungslose Geschlecht einer großindustriellen Arbeiterschaft umfaßte. Diese Kreise erzwangen die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen durch die babouvistischen Aufstände von 1835 und 1838. STEIN, THIERRY und GUIZOT haben bereits den Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat als solchen erkannt und mit früheren Kämpfen zwischen Feudalität und Bourgeoisie in Vergleich gestellt (48). In diese Gedankenmassen trug MARX den Monismus HEGELs und steigerte sie damit zu einer einheitlich geschlossenen Theorie der Gesellschaft. Es liegt auf der Hand, wie sehr dem Wertnihilismus eines Marx diese Theorie willkommen sein mußte, nach welcher die "Idee" - insbesondere die ethische und politische Idee - sich stets "blamiert" hat. Damit war die Geburtsstätte der Geschichte aus der dunstigen Wolkenbildung am Himmel endgültig in die grobmaterielle Produktion auf der Erde verlegt (49). Bekanntlich ist nach MARX der technisch-ökonomische Faktor die Triebkraft aller politischen und geistigen Geschichte (50). Entscheidend für die Geschichte überhaupt ist die Geschichte des Arbeitsprozesses, hierfür wieder die Arbeitsmittel, welche sich zwischen Arbeiter und Arbeitsgegenstand einschieben und die Art und Weise der Arbeit bestimmen. Nicht was gearbeitet wird, sondern wie und mit welchen Arbeitsmitteln gearbeitet wird, unterscheidet die geschichtlichen Epochen (51). Die Produktionsform bewirkt die Scheidung der Gesellschaft in ökonomische Klassen. Alle Geschichte ist Klassenkampf (52). Die wichtigste Spezialanwendung der materialistischen Geschichtsauffassung betrifft den modernen Kapitalismus. Produktionsmittel und Produkte sind mit der Großindustrie vergesellschaftet worden, aber sie werden dem Privateigentum unterworfen - der Aneignungsform, welche der früheren kleinbetrieblichen Produktion Einzelner angemessen war. Im Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen Produktionsform und der privaten Aneignungsform liegt der Keim des Konflikts, der die bürgerliche Gesellschaft auseinander sprengt (53). Als Hilfsmittel für diese Konstruktion dient
2. die Verelendungstheorie: "Zunehmende Masse des Elends, des Druckes, der Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung" (54) Die Verelendungstheorie wird gestützt durch die Lehren von der "industriellen Reservearmee" und von den "Krisen aus Überfluß"; 3. die Katastrophentheorie: "Die Expropriateure [Ausbeuter - wp] werden expropriiert."
Die wunderbare Geschlossenheit dieser Gedanken beruth augenscheinlich auf der Tatsache, daß die französischen Bausteine in das Gerüst von HEGELs Dialektik eingebaut worden sind. ENGELS hat in späterer Zeit bereits Milderungen vorgenommen. BERNSTEIN hat diese Quintessenz des Marxismus völlig verwässert. Er bestreitet nicht mehr "die Eigenbewegung politischer und ideologischer Mächte"; er behauptet lediglich, daß die Entwicklung der ökonomischen Grundlagen des Gesellschaftslebens schließlich (?) doch den stärkeren Einfluß übt - bis zu welchem Grad, ist quaestio facti [Frage der Tatsachen - wp]. Hierdurch ist die Erklärung der gesellschaftlichen Phänomene aus einer einheitlichen Ursache preisgegeben. Es wird ausdrücklich der "Ideologie", die nicht von der Ökonomie bestimmt ist, ein selbständiger und gerade in neuerer Zeit erweiterter Spielraum eingeräumt. (55) Damit ist der historische Materialismus seitens des sozialdemokratischen Revisionismus - bis auf seinen Namen - beseitigt. Dagegen lebt die marxistische Geschichtskonstruktion bei bürgerlichen Nationalökonomen fort. So kommt STAMMLER der von ihm bekämpften Lehre weit entgegen, indem er die durchgängige Verbindung aller Sondererscheinungen nach einem allgemeinen Gesetz annimmt, wobei ihm augenscheinlich wieder die Analogie der Mechanik vorschwebt (56). SOMBART-Odysseus reicht den Lebensbecher den Seelen "der abgeschiedenen Toten". Mit CONDORCET erstrebt SOMBART die Erklärung des geschichtlichen Verlaufs durch eine einheitliche Ursache, welche bei ihm psychologisch-ökonomischer Art ist: "Verwertungsstreben des Kapitals", "kapitalistischer Geist", als ob nicht dieser kapitalistische Geist selbst auf eine ungeheuer verwickelte geistesgeschichtliche Ursachenreihe zurückweisen würde. Die Ethik ist ihm eine Verbrämung des wirtschaftlichen Fortschritts - wirkungslos und überflüssig, "rein dekorativ" (57). Politischen und ideellen Kausalien wird in der Vorrede des "Modernen Kapitalismus" die Pforte geschlossen, während sie später - sehr im Interesse glänzender Einzelausführungen - durch Hintertüren wieder hereinschlüpfen (58). K r i t i k : Die marxistische Geschichtsauffassung kann heute durch Beibringung empirischen Stoffes mühelos widerlegt werden. Es hieße Eulen nach Athen tragen, hierbei zu verweilen. In dieser Hinsicht haben "Genossen" wie BERNSTEIN und DAVID die Arbeit gründlich besorgt. Keine Akkumulation des Kapitals in den Händen weniger Kapitalmagnaten - vielmehr fortschreitender Großbetrieb der Industrie, des Handels und des Verkehrs durch jene Vergesellschaftung vieler kleiner Kapitalien, welche Heere von Aktionären aus dem Boden stampft. Der Kleinbetrieb tritt auf diesem Gebiet zwar in die zweite Linie, beschäftigt jedoch heute nicht weniger Menschen als früher. Dagegen steigt auf industrialistischem Boden der ländliche Kleinbetrieb in die Höhe. Keine fortschreitende Verelendung der Massen - vielmehr eine Verbreiterung der mittleren Einkommensstufen, Aufsteigen der oberen Arbeiterschicht zu bürgerlicher Lebenshaltung und Empfindungsweise, langsame Nachfolge der proletarischen Massen unter Rücklassung eines großstädtischen Bodensatzes. Abnehmende Geburtenziffer beschränkt die "industrielle Reservearmee" gerade auf westeuropäisch-kolonialem Kulturboden, insbesondere in gewerkschaftlichen Kreisen (59). Die akuten Krisen machen vielfach chronischen Krisen Platz; die eine "Weltkrise", die Vorläuferin des politischen Zusammenbruchs, auf die MARX und ENGELS bis an ihr Lebensende gehofft haben, wird mit der Verbreiterung des Weltmarktes zu Teilkrisen abgemildert. Keine Verschärfung der Gegensätze bis zur endlichen Katastrophe - vielmehr allmähliche Durchsetzung der bestehenden Ordnung durch sozialen Sauerteig: "Sozialkapitalismus". Dabei eröffnen sich dem Kapitalismus, den MARX in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts für "abgeschlossen" erklärt hatte, ungeahnte Zukunftsmöglichkeiten in Kartellen, Genossenschaften usw. Der Arbeiter steigt zum Mitbesitzer des nationalen Kapitals auf, das nicht nur als Ausbeuter, sondern auch als Nährmutter der Arbeit erscheint. Im Recht also blieb der Königsberger Alte, der zur Verwirklichung hochgespannter Menschheitsideale "Evolution statt Revolution" forderte. Unsere Sozialdemokraten sind trotz des allgemeinen Wahlrechts im deutschen Reich (nicht mehr in den süddeutschen Staaten) noch "inaktive Bürger", d. h. ohne jeden Einfluß auf die Führung des Staates. Aber sie sollen sich im Sinne KANTs unter Stärkung ihrer ökonomischen Grundlage zur "aktiven Staatsbürgern" emporarbeiten (60). Keine empirische Instanz ist jedoch imstande, den historischen Materialismus grundsätzlich zu beseitigen. Könnte man doch stets einwenden, daß der richtige Grundgedanke im einzelnen Fall unrichtig angewandt worden ist: MARX habe die Zukunft besser voraussagen sollen, z. B. den neudeutschen Kapitalismus, den Schutzzoll und die Kartelle. Dieser Einwand liegt umso näher, als der historische Materialismus zweifellos für die Erkenntnis der Vergangenheit befruchtend gewirkt und einem MARX selbst in den geschichtlichen Ausführungen des "Kapital" zu wertvollen Einsichten verholfen hat (61). Zwar verführte er manchen Marxisten zu tollen Seitensprüngen auf dem Boden der Religionsgeschichte, so z. B. wenn ENGELS im calvinistischen Prädestinationsgedanken einen "Ausdruck" der Tatsache findet, daß in der Handelswelt Erfolg und Bankrott nicht von der Tüchtigkeit des Einzelnen abhängt, sondern von Verhältnissen, die der Mensch nicht zu beherrschen vermag (62). Aber für die politische Geschichte brachte die möglichst weitgehende Berücksichtigung wirtschaflicher Kausalien gewiß einen Fortschritt, der für die Kunstgeschichte noch aussteht: Gerade die Fäden des künstlerischen und wirtschaftlichen Geschehens erscheinen vielfach eng zusammengeflochten. Bei TAINE finden sich in dieser Richtung zumindest Ansätze (63). Eine grundsätzliche Beseitigung des historischen Materialismus ist nur durch grundsätzliche Erwägungen möglich. Auch hier sind zunächst zwei wertvolle Bestandteile auszusondern, welche ein echt kantisches Gepräge aufweisen. a) Die ganze Welt der Erscheinung gehorcht, soweit wir sie als erkennende Menschen bearbeiten, der Kategorie der Kausalität - Natur wie Geschichte. Auch die menschlichen Handlungen unterliegen, sobald sie in die Erscheinung treten, dem ehernen Gesetz von Ursache und Wirkung, das in die Welt der inneren Motive zurückführt. Die "innere Verkettung der Vorstellungen", die man "Freiheit" nennt, sagt KANT, ist nichts anderes als die "Freiheit der Uhr, die einmal aufgezogen, ihre Bewegungen von selbst verrichtet". (64) In der Wissenschaft gibt es keine Wunder. Mit Recht verteidigt KAUTSKY die Geltung der Kausalität für alle Tatsachen unserer Erfahrung gegen BERNSTEIN, der das eherne Muß der Geschichte durch ethische Faktoren einschränken (?) möchte (65). Die "sittliche Freiheit", die wir als handelnde Menschen fordern, hat mit psychologischer Ursachlosigkeit nichts zu tun, vielmehr liegen - wie MAX WEBER ausführt - gerade sittliche Handlungen vielfach in ihrer psychologischen Verursachung besonders offen zutage, während Unberechenbarkeit (nicht Ursachlosigkeit) die Handlungen des Verrückten auszeichnet (66). Die Teleologie, welche nicht nur der Geschichtswissenschaft, sondern teilweise auch der Naturwissenschaft zur Bildung ihrer Begriffe dient (z. B. der Biologie zur Abgrenzung der Lebenserscheinungen), ist lediglich ein "heuristisches Prinzip" und als solches mit der allbeherrschenden Kausalität durchaus verträglich. In ähnlicher Weise bedient sich die Nationalökonomie, gleichviel ob Wirtschaftstheorie oder Wirtschaftsgeschichte, des teleologischen Begriffs der "Wirtschaft", d. h. der Güterversorgung zum Zweck der menschlichen Lebenserhaltung. Indem sie hierdurch ihr Gebiet gegen andere Wissenschaften abgrenzt, wird sie iner strengen kausalen Erklärung der sie interessierenden Vorgänge keineswegs untreu. Der Gegensatz von causa und telos, von dem SOMBART spricht, ist durch die "Kritik der Urteilskraft" längst beseitigt, ebenso wie jene "faule Teleologie", welche das telos zur metaphysischen Ursache erhebt. Desgleichen sind unsere eigenen praktischen Zielsetzungen der streng kausalen Seinswissenschaft der Geschichte fernzuhalten, die gerade bei MARX durch unausgesprochene Werturteile nicht selten verfälscht sind. b) Durchaus berechtigt ist ferner der Versuch, auch die gesellschaftlichen Phänomene einer naturwissenschaftlichen Betrachtung zu unterwerfen. Was aber könnte eine solche Naturwissenschaft leisten, was müßte sie erstreben? Die Naturwissenschaft isoliert den einzelnen Kausalzusammenhang und faßt ihn mit seinesgleichen - aufgrund der axiomatischen Gesetzmäßigkeit der Natur - zur "Gesetzen" zusammen. Diese Gesetze gelten immer und überall, aber nur im "luftleeren Raum", d. h. soweit störende Nebenursachen ausgeschaltet sind. So gelten sogar die Gesetze der Planetenbewegungen nur unter der Voraussetzung, daß nicht vom Weltraum her in das Sonnensystem eine Weltkatastrophe getragen wird, wie solche am Fixsternhimmel beobachtet worden sind. Es liegt auf der Hand, daß die "Isoliermethode" der nationalökonomischen Klassiker, wie sie z. B. DIETZEL wieder meisterhaft handhabt, ebenso wie die Wertpsychologie der Österreicher, durchaus in dieser Richtung geht. Was dem Naturforscher das Experiment, das leistet dem Nationalökonomen der "Idealtypus" des zu analysierenden Vorgangs; in beiden Fällen wird der ideale Vorgang, der im Leben nur selten, vielleicht nie in völliger Reinheit vorliegt, "isoliert (67). Der Nationalökonom stellt den "einheitlichen", "rein wirtschaftlichen" Kausalzusammenhang fest, welcher zum "Gesetz" verallgemeinert werden soll. Er sucht derartige Isolierungen in der Geschichte und freut sich z. B. als Rententheoretiker über die Kontinentalsperre NAPOLEONs, die als wissenschaftliches Experiment zu kostspielig wäre (68). Er verfährt hierbei - induktives und deduktives Verfahren handhabend (69) - wie der Naturforscher, ob auch der Idealtypus selbst eine durchaus teleologische Begriffsbildung ist. Sein Ziel ist die Aufstellung von Gesetzen, welche unbedingt, aber nur in einem isolierten Rahmen gelten; z. B. wäre die Feststellung, daß der Mehrertrag des fruchtbaren Grundstücks heuer durch Hagelschaden vernichtet worden ist, ein widersinniger Einwand gegen RICARDOs Rententheorie (70). Gleich dem Naturforscher interessiert ihn das historische Konkretum als "Fall" des Allgemeinbegriffs. Auch darin gleicht die Nationalökonomie der Naturwissenschaft, daß sie ihre allgemeinsten Sätze der Psychologie entnimmt, ähnlich wie die eine Naturwissenschaft auf die andere zurückgreift - auch darin, daß sie stets empirische "Wahrnehmungswissenschaft" bleibt, nicht wie die Logik und Mathematik zur reinen "Verstandeswissenschaft" gemacht werden darf (71). Anders der historische Materialismus. Ihn interessiert ein Konkretum: die einmalige, nicht wiederkehrende Wirtschafts- und Kulturentwicklung der Menschheit. Insbesondere beschäftigt ihn der zunächst auf gewissen Inseln im naturwissenschaftlichen Meer aufblühende, von dort aus allmählich Westeuropa und den Globus überspannende "Kapitalismus" - ein schlechthin einzigartiges Geschichtsgebilde. Dieses Konkretum will er "naturgesetzlich" erklären. Er scheitert bei diesem Unterfangen an einem der wichtigsten und zukunftsreichsten Gedanken der "Kritik der Urteilskraft": das Besondere (die "Spezifikation") ist irrational (72). Unserem "diskursiven" Verstand ist es unmöglich, über den Gegensatz des Allgemeinen und Besonderen hinwegzukommen. Was unter Gesetze fällt, kann aus Gesetzen nicht abgeleitet werden. Um die Beschränktheit des menschlichen Erkennens klarzulegen, verwendet KANT als erkenntnistheoretische Fiktion den Begriff eines göttlichen Schöpfergeistes (intellectus archetypus), der, indem er die Dinge denkt, sie zugleich schafft, für den das Besondere also rational wäre (73); aber gerade diese Art der Erkenntnis ist dem Menschen außer in der Mathematik versagt. Insbesondere ist der Kausalzusammenhang des einzelnen konkreten Vorgangs schlechthin irrational. Nach allen Seiten hin verzweigen sich von jedem einzelnen Geschehnis aus die Kausalstränge in die Tiefe der Zeit, in die Breite des Raums - nirgends einen Halt erlaubend, der nicht rein willkürlich wäre. Aufgrund der Wechselwirkung, in welcher alle Substanzen stehen, die zugleich im Raum wahrgenommen werden, umfassen die Kausalien irgendeines Einzelvorgangs in letzter Linie den ganzen vorhergegangenen Weltzustand. (74) Gerade darin der methodologische Vorzug der älteren französischen Materialisten, daß sie an die gesellschaftlichen Erscheinungen den Maßstab der "Mechanik" angelegt haben, den ENGELS ihnen vorwirft (75). Nur so konnten sie von ihrem Standpunkt aus die Irrationalität des Einzelnen überwinden. Das Einzelne war ihnen den Gesetzen gegenüber gleichgültig; da die Gesetze des Naturgeschehens ewig die gleichen sind, so war ihnen die Welt ein "ewiger Kreislauf". In diesem Gedankenkreis ist die Idee des "Fortschritts" ein Fremdgewächs. Sie verfälscht die Naturwissenschaft. Insofern stehen RICARDO und KARL MENGER methodologisch höher als MARX, da sie niemals das historische Konkretum aus ihren Gesetzen abgeleitet, vor allem niemals die Zukunft geweissagt haben. c) Wie kommt man über diesen Standpunkt hinaus zur Geschichtswissenschaft, die der historische Materialismus doch sein will? Nur dann, wenn es gelingt, aus der unendlichen Fülle der Erscheinungen gewisse Einzeltatsachen als "wesentlich" herauszuheben. So handelt zunächst der praktische Mensch, der diejenigen Dinge wertet, die den Bauch füllen. Aber diese praktischen Werte sind individuell. Mein Bauch ist nicht der Bauch der Vielen, vielleicht Allzuvielen. Daher sind diese höchst subjektiven Werte ungeeignet, einer Wissenschaft als allgemeinverbindliches Auswahlprinzip zu dienen. Eine solches Auswahlprinzip besitzt nur derjenige, dem ein übereindividueller, Allgemeingültigkeit fordernder "Kulturwert" feststeht. Aus der unendlichen Mannigfaltigkeit wertneutraler Veränderungen heben sich dann gewisse Vorgänge heraus, die der Verwirklichung jener wie immer gestalteten Kulturwerte dienen: Geschichte! Insofern sagt der alte ROSCHER mit Recht, daß nur die praktisch-sittliche Vernunft Geschichte versteht (76). Auf dieser Grundlage haben unsere großen Historiker gebaut. Auf derselben wird neuerdings in den Schriften WINDELBANDs, vor allem RICKERTs, MAX WEBERs u. a. eine Methodik der Geschichtswissenschaft geschaffen. Die Scheidung von Naturwissenschaft und Geschichte beruth danach auf einer Verschiedenheit der Methode, nicht des Gegenstands. Man scheidet bekanntlich das naturwissenschaftliche (nomothetische) vom geschichtswissenschaftlichen (idiographischen) Verfahren. Letzteres steht, sowohl was seine Voraussetzung als auch was seine Anwendung angeht, in einem unversöhnlichen Widerspruch zum historischen Materialismus. Wie die Naturwissenschaft, so ist auch die Geschichtswissenschaft von KANTs Kritik begründet worden, wenn auch bei ihm neben einer voll ausgebildeten Theorie der Naturwissenschaft nur erst die Keime einer kritischen Geschichtsphilosophie vorhanden sind. Um aus der ungeheuren Masse wertneutralen Geschehens einen allgemein wertvollen Verlauf herauszuheben, hierzu bedarf es der Vorstellung von der Geschichte als eines einmaligen, Kulturwerte verwirklichenden Wertverlaufs. Dieser Gedanke ist in KANTs Lehre von der "Gattung" als "moralischem Ganzen" vorgebildet und von FICHTE und HEGEL auf die Höhe geführt worden. Ihm liegt die Annahme eines letzten, überhistorischen, wenngleich in der Geschichte sich entfaltenden Wertes zugrunde - also jene Wertbejahung, der das Denken eines MARX von Grund auf entgegen ist. Wem die Geschichte überhaupt keine Werte verwirklicht, dem muß es folgerichtigerweise gleich bedeutsam erscheinen, ob FRIEDRICH WILHELM IV. z. B. die deutsche Kaiserkrone ablehnte, oder welche Kleider er bei diesem Anlaß getragen und was er vorher gefrühstückt hat. Die Verbindlichkeit der historischen Werte ruht also letzthin in KANTs "praktischem Glauben": das "Soll" des Pflichtgebots ist dem Gewissen die sicherste aller Tatsachen. Pflichterfüllung in die Welt hinaus aber wäre sinnlos, wenn die Menschheit nichts als eine "Rotte von Toren", ihr Handeln und Arbeiten ein Zickzack wäre. Aus dem Primat der praktischen Vernunft fließt der Glaube an die Macht des Guten in der Welt und damit die Idee des geschichtlichen Fortschritts in Richtung auf einen überempirischen Wert. Freilich ist die menschliche Erfahrung in ihrer raum-zeitlichen Begrenztheit unfähig, die Geschichte auf jenen Endzweck hin zu verstehen, wie es HEGEL versucht hat. Wir Menschen verstehen das Gesetz einer sittlichen Entwicklung nur, soweit es für uns Norm ist; wie es in der Welt sich verwirklicht, entzieht sich unserem Erkennen. Für uns ist also der Zweck (telos) niemals Realgrund irgendeines äußeren Tatbestandes. Daher hat auch die Geschichtswissenschaft eine rein empirisch-kausale Aufgabe. Aber die Auswahl der sie interessierenden Tatsachen erfolgt aufgrund von Werten, die zwar ebenfalls empirisch gegeben und dem geschichtlichen Wechsel unterworfen sind, deren Verbindlichkeit jedoch überempirisch verankert ist. (77) So läßt beispielsweise KANT dem wirtschaftlichen Egoismus und der durch ihn herbeigeführten Gemeinsamkeit der Interessen einen breiten Spielraum bei der kausalen Erklärung geschichtlicher Tatbestände. KANT kommt insofern der britischen Nationalökonomie weit entgegen. Aber das Spiel des wirtschaftlichen Egoismus interessiert doch nur insofern, als es für einen Kulturzweck (positiv oder negativ) in Betracht kommt: Beschaffnung des Sachbedarfs der Nation oder der Menschheit, wobei "Nation", "Menschheit" die Wertideen sind, die dem ihnen dienenden Wirtschaftsleben ein geschichtliches Interesse verleihen. Zur Feststellung des historischen Kausalzusammenhangs packt der echte Historiker die Kausalien, wo er sie findet und wie sie ihm als wesentlich erscheinen. Er klebt nicht ängstlich an einer "einheitlichen Kausalreihe", indem der leitende Wertgesichtspunkt Ursachen disparatester [unterschiedlichster - wp] Herkunft zur Einheit zusammenfaßt. Gerade darin besteht das Verdienst der deutschen akademischen Nationalökonomie seit ROSCHER und KNIES, die politische Ursache für die Wirtschaftsgeschichte erobert zu haben. Bei der Schilderung der preußischen Bauernbefreiung greift z. B. ein KNAPP unbekümmert auf politische Ursachenreihen zurück. Für die Frühgeschichte des angelsächsischen Kapitalismus betont MAX WEBER die sehr bestimmten Vorstellungen der Puritaner von dem, was ihrer nach dem Tode harrte - Vorstellungen, die ihr diesseitiges Handeln weithin bestimmt haben. Der geniale Geschichtsschreiber erfaßt die springenden Punkte des historischen Kausalzusammenhangs intuitiv - RANKE hat ihn "erraten" - und bringt ihn mit künstlerischem Pinsel dem Leser zum Nacherlebnis. SOMBART klagt, daß die Wissenschaft das Einzelne, das ein gesondertes Leben hat, in "eine tötende Allgemeinheit" hineinreißt. In der Tat verfährt so der Mathematiker, der Physiker, der Biologe - der die Geschichte zur Naturwissenschaft verfälschende Scheinhistoriker. Fern dagegen lag einem lebensstarken TREITSCHKE jenes Gefühl der "Resignation", das die eigene Arbeit "als die armseligste Art bezeichnet, wie wir ein Verhältnis zur Welt gewinnen können"; ihm und seinen Hörern erstand die Vergangenheit lebensvoller als dem Zeitgenossen selbst, für den sich Wesentliches und Unwesentliches oft noch verwirrend vermengt. Selbstverständlicherweise ist es dem Historiker unbenommen, Regelmäßigkeiten festzustellen, welche bei verschiedenen geschichtlichen Entwicklungsreihen wiederkehren: sogenannte "Entwicklungsgesetze", "Wirtschaftsstufen" nach MARX, LAMPRECHT, BÜCHER u. a. Diese Schemata sind jedoch, wenn von einem weiteren Kreis abstrahiert, äußerst blaß und nichtssagend; sind sie von einem engeren Kreis abgeleitet, so werden sie umso mehr von "Ausnahmen" durchbrochen. Man denke an das Schema von MARX, welches eigentlich von der Geschichte der britischen Baumwollindustrie abgeleitet ist. Wie anders verlief die Entwicklung des deutschen Kapitalismus (Kartelle)! Demgegenüber betont von BÜLOW mit Recht, daß der Kulturgehalt eines geschichtlichen Ereignisses in seinem individuellen Zügen zu liegen pflegt. (78) Der Logiker, welcher den Spuren des Historikers nachgeht, steht vor einem äußerst komplizierten Gebilde. Der Historiker bewegt sich bei der Feststellung historischer Kausalien vielfach in einer Parallele mit dem Kriminalisten. Wie dieser wirtschaftet er mit der Kategorie der "objektiven Möglichkeit", wie solche von KRIES auseinandergesetzt hat (79). Um die Wichtigkeit einer einzelnen Tatsache für den historischen Kausalzusammenhang festzustellen, frägt er, ob das Fehlen derselben den Gang der Entwicklung anders gestaltet hätte. Er unterscheidet Bedingungen und Ursache, indem er "Ursache" dasjenige nennt, was sich an den bedingenden, ursächlich in gleicher Weise notwendigen Umständen ändern mußte, damit ein Erfolg eingetreten ist. Die historische Kausalforschung ist vielfach eine Ergründung seelischer Beweggründe. Daneben kann der "historische Materialismus" dem Historiker als "heuristisches Prinzip" von Nutzen werden. Der Historiker arbeitet, um den einmaligen, nie dagewesenen und nie wiederkehrenden Kausalzusammenhang darzustellen, mit Allgemeinbegriffen. Gleichviel, ob es erfahrungsmäßige Regeln des täglichen Lebens, ob es naturwissenschaftliche Gesetze oder psychologische und nationalökonomische Verallgemeinerungen sind, niemals sind sie ihm Ziel, immer nur Mittel seiner Darstellung (80). Dem gegenüber ist die "einheitliche Kausalität" des HEGEL'schen Panlogismus oder des MARX'schen Materialismus unrealistische Geschichtsmetaphysik. Genau wie für HEGEL die Vernunft listigerweise sich des Menschen bedient, um ihren Zweck, das Selbstbewußtsein der Freiheit, zu verwirklichen, ebenso sind für MARX die Schauspieler der Geschichte nur willenlose Puppen, die von innneren Gesetzen, ohne es zu wissen, bewegt werden. Die eigentlichen Triebkräfte der Geschichte bleiben ihnen verborgen; sie "imaginieren" sich daher falsche oder scheinbare Triebkräfte. Ja für MARX wird das historische Ereignis geradezu zum "Traum" (81) Wer dächte hierbei nicht an die "Geschäftsführer des Weltgeistes", die nach HEGEL, ohne es zu wissen, Geschichte machen? MARX verläßt an diesem Punkt sogar zugunsten HEGELs seine materialistische Grundlage, indem der historische Kausalzusammenhang durch ein logisches Begriffsverhältnis ersetzt wird. Wenn der Kapitalismus seine "Negation", das Proletariat, erzeugt, um sodann in den Sozialismus als die "Negation der Negation" "umzuschlagen", so geht augenscheinlich das Denken dem Sein voran, statt das Sein dem Denken: "Begriffsemanatismus". Hier gilt es zu "scheiden". Man scheide zwischen Wert und Sein, zwischen der Logik, welche die apriorischen Normen des Denkens feststellt, und dem empirischen Realismus der Natur- und Geschichtswissenschaft. Man scheide zwischen Naturwissenschaft und Geschichte, zwischen Kausalität als allgemeingültiger Kategorie, dem naturwissenschaftlichen Kausalitätsgesetz und dem konkreten Kausalzusammenhang der Geschichte! Mit einem Wort: mehr "kritische" Philosophie, mehr KANT! ![]() ![]()
40) Rickert, Geschichtsphilosophie, Seite 90, aus "Philosophie im Beginn des 20. Jahrhunderts", Heidelberg 1905. "Die Notwendigkeit des Gesetzes bedeutet also nicht die Notwendigkeit einer individuellen Wirklichkeit, sondern die unbedingte Allgemeinheit eines Begriffs, genauer die notwendige Verknüpfung von Wirklichkeiten nur insofern, als das Gesetz sagt, es sei, wenn ein individuelles Objekt unter anderen Merkmalen auch die zeit, welche die Elemente des einen allgemeinen Begriffes sind, mit ihm überall und immer ein anderes Objekt real verbunden, das unter anderen Merkmalen auch die hat, welche die Elemente des andern allgemeinen Begriffs bilden können." 41) Kant, Kritik der Urteilskraft, § 70. 42) Rickert, Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Tübingen 1902, erstes Kapitel. Windelband, Geschichte der neueren Philosophie II, Leipzig 1899, Seite 85/86. 43) d'Alembert, Discours préliminaire der Enzyklopädie, in Übersetzung Zürich 1761, Seite 114, 144, 178, 354. 44) Condorcet, Esquisse d'un tableau historique des progrés de l'esprit humain, 1794, zweite Auflage 1797, Setie 249f. 45) Vgl. das vortreffliche Buch von Muckle, Saint-Simon, Jena 1908, Seite 138 und öfter. Auf die Zusammenänge zwischen Marx und der Schule Saint-Simons macht Bernstein wiederholt aufmerksam; vgl. z. B. Bernstein, Zur Geschichte und Theorie des Sozialismus, Berlin 1901, Seite 348/49. 46) Schon d'Alembert, a. a. O., Seite 384: "Die Ökonomie der wichtigste Teil der Politik." 47) Louis Blanc, Histoire des dix ans, Paris 1846, Bd. 1, Seite 19. 48) vgl. außer dem zitierten Buch von Stein: Muckle, Saint-Simon, a. a. O., Seite 329. 49) Marx, Die heilige Familie, Gesammelte Schriften, Bd. II, Seite 182. 50) Marx, Kapital I, Seite 336, Anm. 89: "Die Technologie enthüllt das aktive Verhalten des Menschen zur Natur, den unmittelbaren Produktionsprozeß seines Lebens, damit auch seiner gesellschaftlichen Verhältnisse und der ihnen entquellenden geistigen Vorstellungen. Selbst alle Religionsgeschichte, die von dieser materiellen Bais abstrahiert, ist - unkritisch." Der ursprünglich einfache Begriff des technisch-ökonomischen Faktors wird später erweitert und damit erweicht: Inbegriff der sachlichen Elemente der Wirtschaft. Vgl. Tugan-Baranowski, Theoretische Grundlagen des Marxismus, 1905, Seite 94f. 51) Weryho, Marx als Philosoph, Bern 1894, Seite 34. 52) So besonders scharf in der Einleitung zu "Der 18. Brumaire", 1852. 53) So scharf bei Engels, "Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft". 54) So am Schluß des berühmten Kapitels XXV des 1. Bandes des "Kapital". Übrigens schreibt Marx noch in den Bemerkungen zum "Gotha'schen Programmentwurf", Neue Zeit IX, I, Seite 561f, besonders Seite 571: "Das System der Lohnarbeit (ist) ein System der Sklaverei, die im selben Maß härter wird, wie sich die gesellschaftlichen Produktivkräfte der Arbeit entwickeln, ob nun der Arbeiter eine bessere oder schlechtere Bezahlung empfängt." 55) Bernstein, Voraussetzungen des Sozialismus, Stuttgart 1906, Seite 9/10. 56) Max Weber, "Rudolf Stammlers Überwindung der materialistischen Geschichtsauffassung", Archiv für soziale Gesetzgebung, Bd. 24, Seite 98/115, sowie Vorländer, Kant und der Sozialismus, Seite 19. Mit Recht erklärt Simmel in "Schmollers Jahrbuch", Bd. 20, Seite 578 zu Stammler, daß die technisch-ökonomischen Veränderungen in eine bestimmte Rechtsordnung einschlagen müssen, um eine bestimmte Wirkung hervorzubringen. Ihre Wirkungen wären beim Vorhandensein etwa einer sozialistischen Rechtsordnung total andere gewesen. 57) Sombart, Archiv für Sozialpolitik, Bd. X, Seite 37. 58) vgl. außer der Vorrede z. B. Bd. 1, Seite 392: Arithmetik, also Fortschritt der Spezialwissenschaft, Voraussetzung des homo lombardstradarius [der Mann aus Lombardstreet, wo die Londoner Börse steht, der unbeirrte, unfehlbare Kalkulator ohne jede nicht-wirtschaftliche Nebenregung ... - wp]. Ferner: Kapitalansammlung gefördert und gehemmt durch glückliche oder unglückliche Kriege, also politische Ursache (Seite 410-414). Verschiedene Entwicklung der königlichen Gewalt entscheidend für die Kapitalbildung, Seite 248. Wirtschaftliche Bedeutung der Kreuzzüge, also ideeller Motive, Seite 382 usw. 59) Sidney und Beatrice Webb, Theorie und Praxis der englischen Gewerkvereine, Bd. II, Seite 168. 60) Kant, Streit der Fakultäten, Abschnitt II, Seite 10: "In welcher Ordnung allein kann der Fortschritt zum Besseren erwartet werden?" (Rechtslehre § 46, Ausgabe Kirchmann, Seite 154) 61) vgl. u. a. "Kapital", Bd. 1, vierte Auflage, Seite 710; auch "Gesammelte Schriften", Bd. II, Seite 463: "Die absolute Monarchie hielt sich in Deutschland länger als in England und Frankreich aus Gründen wirtschaftlicher Rückständigkeit Deutschlands." Dagegen ein bezeichnender Fall falscher Prophezeiung: 1847 im "Elend der Philosophie", vierte Auflage 1907, Seite 188 heißt es: Der Freihandel zersetzt die Nationalitäten, treibt den Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie auf die Spitze, beschleunigt die soziale Revolution - vgl. dagegen England zu Beginn des 20. Jahrhunderts. 62) Maßvoller Lüttgenau, Natürliche und soziale Religion, Stuttgart 1894. 63) Hippolyte Taine, Philosophie de l'art, dritte Auflage, Paris 1882, insbesondere den Abschnitt über niederländische Kunst. Reiches Material enthält Dorn, Florentiner Wollindustrie. Aufgang: Veredelung nordischer Tuche durch die Färberzunft schafft Exportware besonders für den Orient. Vertreibung der Ghibellinen [Parteigänger des römisch-deutschen Kaisers in Italien - wp]. - Einseitiger Kapitalismus aufgrund der Wollindustre. Höhezeit 1400 - 1450; Türen des Baptisterium, Kuppel des Brunelleschini. Nur beste Farben für beste Waren erlaubt. Malerei des Quattrocento aufgrund einer für den Weltmarkt arbeitenden, großkapitalistischen Luxusindustrie. "Treibhauskultur der italienischen Städte". - Seite 1450 Beginn des Verfalls; das heimische Luxusbedürfnis tritt in den Vordergrund; trikotartige und geblumte Stoffe (Boticellis Primavera). Seite 1450 läßt der Zustrom billiger (deutscher) Wanderarbeiter nach. Verfall der bürgerlichen Arbeit und der ökonomisch-politischen Interessen. Ästhetische Lebensziele. Spätes Quattrocento. - Um 1500 Verfall der politischen Freiheit und des politischen Unabhängigkeitssinnes. Protest Macchiavellis, Savonarolas; höchster Protest die kurze Blüte der Hochrenaissance. Seite 1527 vollster wirtschaftlicher Verfall, Todeskampf der Freiheit und der Kunst. Vittoria Colonna und Michelangelo wachsen aus dieser Versumpfung in die Ewigkeit. - Man denke auch an die franziskanische Bewegung: riesige anti-kapitalistische Volksbewegung, Protest der Massen gegen den aufsteigenden Kapitalismus, also insbesondere italienische Bewegung. Riesige gotische Hallenkirchen. Giotto und die Giottesken - Ausdruck tiefster, innerer Erregung, intensiver Gefühlsausdruck in dramaturgischer Handlung. Vgl. u. a. Friedrich Glaser, Franziskanische Bewegung, Seite 71f (Stück 59 der Münchener volkswirtschaftlichen Studien). - Semper, Über den Zusammenhang der architektonischen Systeme mit allgemeinen Kulturzuständen und: Über Baustile, Kleine Schriften, Berlin und Stuttgart, 1884. 64) Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Kritische Beleuchtung der Analytik der reinen Vernunft (Ausgabe von Kirchmann, Seite 115). 65) vgl. Drill, Kant und Marx, 1906, Seite 165, dagegen Vorländer, "Kant und Marx" in der Hilfe vom 11. Februar 1906, daselbst Replik von Drill. Kautsky, Neue Zeit 1898/99 Bd. 1, Seite 4f. Unter den Universitätsnationalökonomen hat Brentano die kausale Bedingtheit des wirtschaftlichen Vorgangs stets mit Nachdruck hervorgehoben. (vgl. Brentano in der "Nation", vom 4. September 1897) 66) Max Weber, Kritische Studien zur kulturwissenschaftlichen Logik, Archiv, Bd. 22, 1906, Seite 151/153. 67) Über Idealtypen vgl. Max Weber, Die Objektivität sozialwissenschaftlichen und sozialpolitischen Erkennens, Archiv für soziale Gesetzgebung Bd. XIX, Heft 1, Seite 64f. 68) Lujo Brentano, Einleitung zu James Anderson, Drei Schriften über Korngesetze, Leipzig 1893, Seite XXIX. 69) Daß induktives und deduktives Verfahren keine Gegensätze enthalten, weist für die Nationalökonomie Dietzel nach. Theoretische Sozialökonomik, Leipzig 1895, Seite 99f. Vgl. auch Windelband, Kritische oder genetischer Methode, Präludien, zweite Auflage 1903, Seite 292f. 70) Ludwig Stephinger, Zur Methode der Volkswirtschaftslehre, Seite 29, 34, 39. 71) Diesen Unterschied arbeitet klar heraus ein älterer Kantianer: F. G. Schulze, Über das Wesen und das Studium der Wirtschafts- und Kameralwissenschaften, Jena 1826, Seite 19, 22, 36 (Großvater des Verfassers). 72) Windelband, Geschichte der neueren Philosophie, Leipzig 1899, Bd. II, Seite 153. 73) Emil Lask, Fichtes Idealismus, Tübingen 1902, Seite 34f. 74) Kant, Kr. d. r. V. in den "Analogien der Erfahrung" (Ausgabe Kirchmann, Seite 223f) 75) Friedrich Engels, Feuerbach, a. a. O., Seite 19 76) Rickert, Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Tübingen 1902, passim [öfter]. Max Weber, "Roscher und Knies", Teil 1 in "Schmollers Jahrbuch, Bd. XXVII, 4, Seite 38-40. Derselbe, Die Objektivität etc., a. a. O., Heft 1, Seite 47-56. 77) Vgl. hierfür Kants "Streit der Fakultäten". "Idee zur allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht", "Der mutmaßliche Anfang der Menschengeschichte", sowie Medicus, Kants Philosophie der Geschichte, 1902, Seite 65. Troeltsch, Das Historische in Kants Religionsphilosophie, Kant-Studien 1904. Vgl. auch Schlegel, Philosophisches Journal, hg. von Niethammer, 1795, Seite 165. "Die Geschichte der Menschheit befaßt sich mit der wirklichen Entwicklung des menschlichen Vermögens in der äußeren Welt und in der Zeit." 78) von Below, Zeitschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. V, Seite 240f. Derselbe, Historische Zeitschrift, Bd. 86, Seite 27, 33. 79) von Kries, Über den Begriff der objektiven Möglichkeit, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, 12. Jahrgang, 1888, Seite 198 und 205. 80) Rickert, Grenzen etc., a. a. O., Viertes Kapitel, Abschnitt 4, 5 und 6. Max Weber, Archiv, Bd. XXIV, Seite 97f. 81) Vgl. Marx, Deutsch-französische Jahrbücher 1^843, Seite 382/83. Brief an Ruge: "Wir entwickeln der Welt aus den Prinzipien der Welt neue Prinzipien. Wir sagen nicht: Laß' ab von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug; wir wollen dir die wahre Parole des Kampfes zuschreien. Wir zeigen nur, warum sie eigentlich kämpft, und das Bewußtsein ist eine Sache, die sie sich aneignen muß, wenn sie auch nicht will. Die Reform des Bewußtseins besteht nur darin, daß man die Welt ihr Bewußtsein inne werden läßt, daß man sie aus dem Traum über sich selbst aufweckt, daß man ihr ihre eigenen Aktionen erklärt. Unser Wahlspruch muß also sein: Reform des Bewußtseins nicht durch Dogmen, sondern durch die Analyse des mystischen, sich selbst unklaren Bewußtseins, trete es nun religiös oder politisch auf. Es wird sich dann zeigen, daß die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von dem sie nur das Bewußtsein besitzen muß, um sie wirklich zu besitzen. Es wird sich zeigen, daß es sich nicht um einen großen Gedankenstrich zwischen Vergangenheit und Zukunft handelt, sondern um die Vollziehung der Gedanken der Vergangenheit. Es wird sich endlich zeigen, daß die Menschheit keine neue Arbeit beginnt, sondern mit Bewußtsein ihre alte Arbeit zustande bringt." - Engels, "Der Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affenr, Neue Zeit 1896, Jahrgang 14/II, Seite 551: "Dem Kopf, der Entwicklung und Tätigkeit des Gehirns wurde alles Verdienst an der rasch fortschreitenden Zivilisation zugeschrieben; die Menschen gewöhnten sich daran, ihr Tun aus ihrem Denken zu erklären, statt aus ihren Bedürfnissen (die sich dabei allerdings im Kopf widerspiegeln, zu Bewußtsein kommen) - und so entstand mit der Zeit jene idealistische Weltanschauung, die namentlich seit Untergang der antiken Welt die Köpfe beherrscht hat." Engels, Brief an Franz Mehring vom 14. Juli 1893 (in "Geschichte der deutschen Sozialdemokratie", Stuttgart 1906, dritte Auflage, Bd. 1, Seite 386. |