ra-2F. LifschitzH. AlbertF. LifschitzG. CohnL. Brentano    
 
LUDWIG STEPHINGER
Zur Methode der
Volkswirtschaftslehre

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"Der allgemeinste formale Zweck der wissenschaftlichen Begriffsbildung ist Überwindung der unübersehbaren Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit; diese ist für das menschliche Erkennen extensiv unübersehbar, da wir weder einen Anfang in der Zeit, noch eine Grenze im Raum zu erkennen vermögen; sie ist es auch intensiv, denn auch der kleinste Teil der Wirklichkeit ist in seiner individuellen Eigenart unübersehbar vielfach geeigenschaftet; nimmt man hierzu noch die Unendlichkeit der Beziehungen, in die alle Teile der Wirklichkeit zueinander treten können, so zeigt sich, daß die Aufgabe der Begriffsbildung niemals im Abbilden, sondern nur im Umformen bestehen kann; Begriffe können darum nicht die Wirklichkeit darstellen wollen, wie sie ist, sondern sie können nur für die Wirklichkeit gelten wollen."

"Wenn die Wissenschaften normative Elemente anstreben, um in ihnen direkt zu Werten Stellung zu nehmen, so werden dabei allerdings normative Elemente im Rahmen der Wissenschaft selbst geschaffen, doch müssen dieselben dann in Beziehung zur Philosophie treten, da der Versuch zu einer wissenschaftlichen Normgebung auf dem Boden der reinen Empirie nicht möglich ist."

Einleitung

Studien, welche sich die Methode der Volkswirtschaftslehre zum Gegenstand nehmen, haben sich jedenfalls an die Auffassungen zu wenden, welche von den Schriftstellern dieser Wissenschaft durch die Art ihrer Begriffsbildung und des von ihnen verfolgten Wissenszweckes tatsächlich zum Ausdruck gebracht worden sind.

Aber selbst eine referierende Behandlung der Frage im Sinne eines rein empirisch-historischen Verfahrens würde eine Einbeziehung philosophischer Überlegungen notwendig machen, da die formale Seite des Problems eine erkenntnistheoretische Erwägung bildet und schon das Bedürfnis allgemein verständlicher Ausdrucksmittel könnte nur durch Zuhilfenahme der Logik gedeckt werden; ist doch die Beantwortung der auch für eine nur referierenden Behandlung grundlegenden Frage nach dem Begriff der Methode selbst niemals anders als durch eine Philosophie zu gewinnen, die als  Wissenschaftslehre  auftritt.

Indessen führt die Aufsuchung der tatsächlich geübten Methoden von selbst schon zu einer Vergleichung und damit zur Kritik; diese aber ist nur möglich durch eine Volkswirtschaftslehre im Verein mit der Philosophie.

Eine solche Orientierung an der Philosophie erscheint nun gerade jetzt besonders aussichtsreich. Die in der neuesten Philosophie ausgebaute neukantische Richtung bekämpft die Metaphysik des Materialismus in gleicher Weise wie den Historismus insoferne mit entscheidendem Erfolg, als sie sich nicht nur kritisierend betätigt, sondern höchst positive Gesichtspunkte schafft zur Neugewinnung einer Logik, die anstelle einer veralteten, nur naturwissenschaftlich orientierten Logik auch denjenigen begirffliche Gebilden zu einer Erkenntnis ihrer logischen Struktur und ihres Wissenszweckes verhilft, die prinzipiell als jenseits der "Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung" gelegen erkannt werden müssen.

Diesen Erfolg, ebenso wie auch die weiteren Aufgaben und Ziele der genannten philosophischen Richtung kennzeichnet WINDELBAND (Lehrbuch der Geschichte der Philosophie, 3. Auflage, Seite 541f) folgendermaßen:
    "Es gilt die Einseitigkeit zu durchbrechen, welche der Logik seit ihren griechischen Ursprüngen in der Richtung anhaftet, daß als Ziel und Norm ihrer Gesetzmäßigkeit formell das Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen und sachlich die Erkenntnis der Natur gilt. Unter diesen Voraussetzungen standen nicht nur die extremen Richtungen der mathematisierenden Logik, sondern auch die bedeutenden Werke von JOHN STUART MILL und STANLEY JEVONS, welche wesentlich als logische Theorie der Naturforschung zu charakterisieren sind. Demgegenüber zeigen die Bearbeitungen der logischen Wissenschaft von LOTZE und SIGWART, bei dem letzteren besonders in der zweiten Auflage, ein sehr viel universelleres Gepräge und im Zusammenhang mit der Bewegung des historischen Idealismus, der sich sachlich an die FICHTEsche Weltanschauung anlehnt, bahnt sich ein tieferes Verständnis der Historik an, wie es sich in RICKERTs Untersuchungen über die  Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildungen  ankündigt."
Die Gefahr, im Banne der alten naturwissenschaftlichen Logik zu verbleiben, ist für die Wissenschaft aller Sondergebiete besonders dadurch gegeben, daß auch der alltägliche, ebenso wie der wissenschaftliche Sprachgebrauch auf naturwissenschaftliches Denken, aus dem er vielfach entstanden ist, hinweist. So denken offenbar viele volkswirtschaftliche Schriftsteller bei ihren Begriffen von der "Natur" und dem "Wesen" der volkswirtschaftlichen Erscheinungen an die Aufgabe, allgemein  umfassende  Begriffe geben zu sollen, während sie doch nur nach allgemein  geltenden  Begriffen zu streben hätten; darum die hohe Meinung von der wissenschaftlichen Bedeutung, die einer "Regelmäßigkeit" oder dem "Gesetz der großen Zahl" innewohnen soll.

Die Beibehaltung des Wortes  Gesetz  auch für "empirische Gesetzmäßigkeiten", die Erwartung, der Volkswirtschaftslehre ihre größte Ausgestaltung gerade durch eine "isolierende" Behandlung ihres Stoffes und Auffindung eines Wirtschaftssubjekts als "Atom" für diese Abstraktionen geben zu können, sind schon äußere Kennzeichen der innerlich naturwissenschaftlichen nationalökonomischen Denkweise.

Daneben kommt die gekennzeichnete philosophische Richtung noch einem anderen Bedürfnis entgegen. Weder die ersten Anfänge der historischen Juristenschule in Deutschland, noch die ersten Vertreter der volkswirtschaftlichen historischen Richtung haben das gewaltige Bedürfnis nach Orientierung am Empirischen in ihren vom Suchen nach historischem Sinn getragenen Ausführungen voll zu befriedigen vermocht und sie haben namentlich weder die formale Notwendigkeit historischen Sinnes klar nachgewiesen, noch dieser Ideenrichtung bestimmte Ziele geben können. Daher kam die geringe Befriedigung, welche besonders die mehr dem Systematischen zustrebenden Gelehrten an  dieser  historischen Richtung fanden, die ihnen mit Historismus und haltlosem Relativismus identisch erschien.

Ein neues Fundament und zugleich neue Ziele ergeben sich nun aus der neukantischen philosophischen Bewegung wenigstens nach der rein formal logischen Seite des Problems, indem sie die Philosophie zur  Wertwissenschaft  ausgestaltet und dadurch auch der Volkswirtschaftslehre formelle Anhaltspunkte dafür gibt, welches Ziel eine Wissenschaft verfolgen muß, wenn sie als "Kulturwissenschaft" verfahren will. Aus seiner Erkenntnis folgt vor allem die Notwendigkeit, daß die empirische Wissenschaft selbst darauf verzichtet, praktische Ziele aufzustellen; wenn sie eine spezielle, ihr zufallende Aufgabe hat, wie die Volkswirtschaftslehre im Hinblick auf den wirtschaftlichen Wert, so muß sie sich damit bescheiden, daß die hieraus folgenden Ziele stets nur von relativer Geltung sein können und einer Nachprüfung an einem System allgemeiner Kulturwerte bedürfen.

Ein allgemeingültiger Zweck aber kann einer empirischen Wissenschaft gegeben werden von der Philosophie, der Volkswirtschaftslehre also von einer  Sozialphilosophie  als dem  Inbegriff volkswirtschaftlicher Normen. 

Mit diesen allgemeinen Andeutungen ist auch schon in Umrissen gekennzeichnet, wie die gegenwärtige Untersuchung der Methode der Volkswirtschaftslehre verfahren muß; die folgenden Darlegungen werden zuerst die hier am wichtigsten erscheinenden Grundgedanken aus den Werken RICKERTs geben, besonders aus "Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung" 1896 - 1902) und "Geschichtsphilosophie" (Festschrift für KUNO FISCHER, II. Bd. 1905, Seite 51 - 135).

Eine kurze Darstellung dieser allgemeinen logischen Gesichtspunkte voranzuschicken erscheint notwendig, weil die von dem genannten Philosophen geschaffene Terminologie wohl noch nicht als allgemein bekannt vorausgesetz werden kann und weil diese Bezeichnungen auch schon bei der Erörterung der von volkswirtschaftlichen Schriftstellern tatsächlich geübten Methoden verwendet werden müssen. Inwieweit bei den einzelnen dabei zu schildernden Gedanken die Priorität speziell RICKERT oder anderen Philosophen (NAVILLE, WINDELBAND, SIMMEL usw.) zukommt, wird hier nicht berücksichtigt; dies darzulegen ist Aufgabe der Geschichte der Philosophie, nicht aber einer kleinen Spezialschrift.

Nach dieser Darstellung der RICKERTschen Methodenlehre werden einige für die Erkenntnis tatsächlich verwendeter methodischer Gedanken geeignete Beispiele aus der Geschichte der Volkswirtschaftslehre in ihren charakteristischen Zügen vorgeführt.

Den Rest der Arbeit bildet ein Versuch, aus den Anregungen, die in der genannten Methodenlehre gegeben sind, Gesichtspunkte der Beurteilung für den Wissenszweck und die Methode der Volkswirtschaftslehre zu finden.


I. Kapitel
Die Methodenlehre Rickerts

Der allgemeinste formale Zweck der wissenschaftlichen Begriffsbildung ist  Überwindung  der unübersehbaren  Mannigfaltigkeit  der Wirklichkeit; diese ist für das menschliche Erkennen  extensiv  unübersehbar, da wir weder einen Anfang in der Zeit, noch eine Grenze im Raum zu erkennen vermögen; sie ist es auch  intensiv,  denn auch der kleinste Teil der Wirklichkeit ist in seiner individuellen Eigenart unübersehbar vielfach geeigenschaftet; nimmt man hierzu noch die Unendlichkeit der Beziehungen, in die alle Teile der Wirklichkeit zueinander treten können, so zeigt sich, daß die Aufgabe der Begriffsbildung niemals im Abbilden, sondern nur im  Umformen  bestehen kann; Begriffe können darum nicht die Wirklichkeit darstellen wollen, wie sie ist, sondern sie können nur für die Wirklichkeit  gelten  wollen.

Das Abbilden von Wirklichkeit vollzieht sich in der Vorstellung und daher sind die Vorstellungen unendlich vielgestaltig wie die Wirklichkeit selbst und für wissenschaftliche Zwecke unverarbeitet nicht zu gebrauchen; sie sagen von einem Ding nichts aus, sondern stellen Erlebnisse dar, die weder wahr noch falsch sind; erst das Urteil hat die Möglichkeit, der Anforderung, wahr zu sein, zu genügen und dieses ist daher die Grundlage des Begriffes. Es müssen aufgrund eines Verlaufs von mehrern Vorstellungen Aussagen über einen Teil der Wirklichkeit gewonnen werden, die ansich in unendlich großer Anzahl möglich sind. Aus diesen in unbegrenzter Zahl möglichen Urteilen sind nun die für einen Begriff wesentlichen auszuwählen und dieser Komplex wesentlicher Urteile gibt, kritisch gewählt und wissenschaftlich zur Bestimmtheit entwickelt, den Begriff.

Jeder wissenschaftliche Begriff muß darum die Möglichkeit geben, aus ihm, nur durch Setzung der nötigen Sprachzeichen, ein allgemeingültiges Urteil oder einen Komplex von solchen entstehen zu lassen. Das Prinzip der Auswahl dieser wesentlichen Urteile ergibt der bei Bildung des Begriffs verfolgte Wissenszweck und die formale Eigenart dieses Wissenszwecks bestimmt daher die logische Art der Begriffsbildung; diese Art der begrifflichen Verarbeitung der Wirklichkeit ist die  Methode  und die Frage nach der Methode der Wissenschaft ist darum gleichbedeutend mit der Frage  nach dem wissenschaftlichen Sonderzweck,  den die Wissenschaft bei der Auswahl des Wesentlichen zum Zweck der Begriffsbildung verwendet. Bei der Darstellung der Ziele, welche die Wissenschaften bei der Begriffsbildung verfolgen, kann die Logik  nur Ideale  aufstellen, die zwar darum nicht weniger gültig sind und bindende Normen darstellen, aber von den einzelnen Wissenschaften nur teilweise voll erreicht werden können.


1. Die generalisierende Begriffsbildung

Die generalisierende Begriffsbildung, welche besonders das Ideal der Wissenschaften ist, die wir als Naturwissenschaften zu bezeichnen pflegen, kommt ihrem Zweck nach, wenn sie von der Wirklichkeit das aussagt und begrifflich darstellt, was als das  Gemeinsame  ihrer Teile gefunden wird, ohne Rücksicht darauf, wo oder wann diese Teile individuell und tatsächlich existieren. Durch dieses Absehen von besonderen Zeit- und Raumbestimmungen erhält der generelle Begriff die unbedingte Allgemeinheit seines  Umfangs,  wodurch die extensive Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit überwunden und vereinfacht wird; in seinem  Inhalt  überwindet dieser Begriff die intensive Unübersehbarkeit; da der Inhalt nämlich nur das Gemeinsame enthält, wird durch ihn der individuelle Charakter der Wirklichkeit und ihre Anschaulichkeit zerstört, in diesen beiden Momenten aber war die intensive Unübersehbarkeit der empirischen Anschauung begründet.

In dieser Fassung enthalten die generellen Begriffe als die Wirklichkeit nicht mehr wie sie ist, sondern sie gelten nur für sie; durch diese auf dem Weg der Vereinfachung durch Auswahl des Gemeinsamen gewonnene Umformung ist aus der Wirklichkeit jene "Natur" geworden, wie sie das Objekt der Naturwissenschaft darstellt, so daß also  Natur  in diesem  logischen  Sinne, den auch bereits KANT hat, nichts anderes bedeutet, als die  Wirklichkeit, betrachtet mit Rücksicht auf das Allgemeine. 

Die Generalisation der Kausalzusammenhänge aber ergibt das  Naturgesetz  und nur in diesem Sinne wird in den folgenden Ausführungen das Wort "Gesetz" gebraucht werden; es besagt:
    Wenn irgendwo oder irgendwann ein Erkenntnisobjekt als ein unter einen bestimmten Begriff fallendes erkannt wird, so trifft auf dieses Objekt all das zu, was mit Gesetzmäßigkeit, das heißt mit unbedingt allgemeiner Kausalität aus diesem Begriff gefolgert werden kann.
Über die individuelle Wirklichkeit aber und das tatsächliche Zutreffen des im Begriff Enthaltenen besagt ein Naturgesetz nichts, es bleibt grundsätzlich mit Rücksicht hierauf "hypothetisch"; und nur die allgemeine Voraussetzung wird gemacht, daß überhaupt etwas geschieht, das sich unter den Begriff bringen läßt.

Je weiter die generalisierende Begriffsbildung in den Körperwissenschaften fortschreitet, umso mehr sucht sie beim Streben nach Einsicht in den naturgesetzlichen Zusammenhang der Dinge an die Stelle von Dingbegriffen Begriffe von gesetzmäßig entstehenden und vergehenden Vorgängen, als  Relationsbegriffe  zu setzen. Die generalisierenden Wissenschaften können dabei so aufeinander bezogen werden, daß immer eine Spezialwissenschaft die von einer anderen Wissenschaft noch als Dingbegriffe belassenen Begriffe ihrerseits in Relationsbegriffe überführt. Als letztes  logisches Ideal  bleiben dann schließlich nur noch "letzte Dinge", von denen Vergänglichkeit, Gewordensein, Teilbarkeit und quantitative Verschiedenheit verneint werden kann und muß; diese letzten Dinge,  die Atome  im  logischen  Sinn, sind, wenn auch der Zahl nach empirisch unübersehbar, infolge absoluter Gleichheit und Einfachheit mathematisch erfaßbar und ihre Beziehungen können in ein System mathematisch formulierbarer  Bewegungsgesetze  gebracht werden. Insofern diese Atome keine empirische Anschaulichkeit mehr besitzen und ihr Begriff sich nur aus Urteilen zusammensetzt, können auch sie als Relationsbegriff gedacht werden. Mit dem auf den Atombegriff aufgebauten festen System über- und untergeordneter Begriffe ist die Wirklichkeit in ein  System von Naturgesetzen  umgeformt, in dem jedes individuelle Ding nach Maßgabe dessen, was es mit anderen gemeinsam hat, seinen Platz findet.

Da ber in den empirischen Wissenschaften die Bildung reiner Relationsbegriffe nirgends vollständig durchgeführt ist, so sind damit noch Reste der anschaulichen und individuellen Wirklichkeit vorhanden und es kommt so ein Moment in ihnen zur Geltung, das in seiner formalen Eigenart noch später zu erörtern sein wird, nämlich das Moment  des Historischen  in der  rein logischen  Bedeutung dieses Wortes. So sind z. B. im Vergleich zu einem rein mechanischen Begriff der Körperwelt physikalische Begriffe bereits Gebilde, die Anschauliches enthalten, noch mehr enthält schon die Chemie, und die Biologie enthält das geschichtliche Moment noch in einem anderen Sinne in der Darstellung der Entwicklungsstadien.

Doch ändern diese im logischen Sinne historischen Bestandteile der Naturwissenschaften nichts am allgemeinen methodologischen Prinzip und das generalisierende Verfahren bei der Bildung der Begriffe wird ebensowenig verändert, wenn man den Bereich des Psychischen neben dem der Körperwelt mit Rücksicht auf das Gemeinsame begrifflich sondert. Die  Psychologie  ist eine  generalisierende Wissenschaft,  und wenn ihr Verfahren auch gewisse Eigentümlichkeiten gegenüber den Begriffen der Körperwelt aufweist, so ist doch der Unterschied von Physisch und Psychisch kein Prinzip für eine Veränderung der Methode.


2. Die individualisierende Begriffsbildung

Wenn die generalisierende Begriffsbildung durch Auswahl des Gemeinsamen die empirische Wirklichkeit in ihrer Individualität zerstört, so muß sie überall da versagen, wo gerade  das Individuelle ein wissenschafltiches Interesse  besitzt; in diesem Fall muß eine prinzipiell andere Art der Begriffsbildung zur Verwendung kommen, nämlich die wissenschaftliche Umformung der Wirklichkeit durch  Auswahl  und Darstellung des  Besonderen  und hierdurch wir die Wirklichkeit  zur Geschichte im logischen Sinne. 

Daß die individualisierende Begriffsbilung, wenn sie das im logischen Sinne Historische darstellen will, ein Prinzip der Auswahl nötig hat, zeigt schon ein Blick auf die unübersehbare Unendlichkeit all der Wirklichkeit, die historisch im Sinne von "tatsächlich" genannt werden könnte. Allerdings ist es das hauptsächlichste unterscheidende Moment, das die Geschichte von den generalisierenden Wissenschaften trennt, daß sie nämlich Tatsächliches zum Objekt hat; sie stellt in gewissem Sinne dar, was ist und war und ihre Begriffe sind alle potentielle  Existenzial urteile; aber es wird nicht jedes tatsächliche Individuum zu einem historisch wesentlichen Individuum. Ansich ist ja alles Wirkliche individuell, allein es kommt uns die Einzigartigkeit eines Teils der Wirklichkeit erst zu Bewußtsein, wenn dieser Teil auf einen Wert bezogen wird; dies läßt erst das Individuum in diesem engeren, logisch historischen Sinn entstehen; dieses  Individuum  unterscheidet sich sodann von anderen dadurch, daß es im Hinblick auf  diesen Wert Bedeutung  besitzt und daß es insofern  unteilbar  ist, als eine Teilung seine Einheitlichkeit und damit die Bedeutung aufheben würde.

Die Tatsache, daß ein Individuum als psychisch erkannt wird, erhebt dasselbe noch nicht zum historischen Individuum; durch die Beziehung auf  einen allgemeingültigen  Wert aber wird jedes Individuum, gleichviel ob physisch oder psychisch, zu einem geschichtswissenschaftlich wesentlichen Objekt. Im gewöhnlichen Leben vollzieht jeder praktisch wertende und wollende Mensch die Unterscheidung in verschiedene Arten von Individuen; es drückt sich dies dadurch aus, daß man unter Individuum einen Menschen zu verstehen, die Individualität anderer Objekte aber meist zu übersehen pflegt.

Die individualisierende Begriffsbildung wählt aber nur das Individuum durch Beziehung auf einen  allgemein  geltenden Wert aus und erkennt es dadurch als wesentlich, eine praktische Wertung indessen wird dabei nicht vorgenommen.

Ist dieser individuelle Begriff der wissenschaftliche Ausdruck für ein in sich geschlossenes bedeutungsvolles Ganzes, so darf dabei aber nicht das historische Individuum als etwas Vereinzeltes aufgefaßt werden. Jedes solche Individuum ist vielmehr ein Glied eines  größeren historischen Ganzen,  und als größtes historisches Ganzes ist die Welt als  historisches Universum  zu denken; das historische Ganze ist zwar umfassender als seine Teile, seinem Inhalt nach aber ebenso wenig generell, wie die Individuen, die seine Glieder bilden.

Die individuelle Einheit erhält der individualisierende Begriff durch die Bedeutung, die ihm die Beziehung auf den allgemein geltenden Wert verleiht. Die Darstellung des Objekts aber inmitten seines historischen Zusammenhangs unterscheidet die Geschichte sowohl von der Naturwissenschaft, die ihre Objekte aus ihrem Zusammenhang loslöst zum Zweck einer neuen Zusammenfassung nach dem Prinzip des Zusammenschlusses des Gemeinsamen, als auch von der Kunst, die ihre Objekte zur anschaulichen Darstellung bringt und zu diesem Zweck aus ihrem Zusammenhang isoliert.

Daraus geht auch hervor, daß das Zerlegen in Atome nur ein Ideal der generalisierenden, niemals ein Ziel der individualisierenden Begriffsbildung ist.

Der Zusammenhang der Individuen des historischen Universums ist der der gegenseitigen Bedingtheit; die  durchgängig Ursächlichkeit und Bewirktheit aller Wirklichkeit  findet sowohl in den Naturwissenschaften, als auch in der Geschichte ihren Ausdruck; die Art der begrifflichen Formulierung der Kausalzusammenhänge wird aber von generalisierender und individualisierender Begriffsbildung prinzipiell verschieden vorgenommen. Die generalisierende Begriffsbildung betrachtet die Wirklichkeit mit Rücksich auf das den Erkenntnisobjekten Gemeinsame; daher kommt bei ihr das Kausalitätsprinzip zum Ausdruck in Gestalt des Kausalgesetzes, das unbedingt allgemein gilt und in hypothetischer Formulierung auftritt, eben zu dem Zweck, um vom Vorkommen in besonderen Raum- und Zeitteilen abzusehen.

Die individualisierende Begriffsbildung wählt diejenigen  individuellen Kausalzusammenhänge  als wesentlich aus,  die durch Bedeutung Interesse  erregen; darum kann die Geschichte die Aufstellung von Gesetzen niemals als Ziel haben; die Unmöglichkeit der Gesetzesbildung entsteht also für die Geschichte nicht etwa aus dem Umstand, daß sie es mit dem Handeln freier Menschen zu tun hat, sondern nur aus der Eigenart der individualisierenden Begriffsbildung.

Wenn nun durch diese Auswahl einige Kausalzusammenhänge als wesentlich, andere als zufällig erkannt werden, so bedeutet hier "zufällig" nichts anderes als "unwesentlich", denn zufällig im Sinne von "nicht aus einem Kausalgesetz herzuleiten" ist die ganze individuelle Wirklichkeit, zufällig dagegen in der Bedeutung von "ohne jede, auch ohne individuelle kausale Bedingtheit" ist in der Wirklichkeit nichts.

Wenn nun das generalisierende Verfahren die Kausalzusammenhänge von aller individuellen Verschiedenheit befreit, so gilt für die Ursächlichkeit, die unbedingt allgemein formuliert ist, der Satz: causa aequat effectum [Ursache gleich Wirkung - wp]. Für die individuelle, also im logischen Sinn historische Kausalität dagegen trifft gerade das Gegenteil zu, hier ist der kausale Zusammenhang stets eine  Kausalungleichung. 

Es kann darum auch nie von einem begrifflich individuell gefaßten Teil der Wirklichkeit gesagt werden, er folge aus einem Kausalgesetz, da dies eine Vermischung zweier durchaus heterogener Begriffe wäre, der individuelle historische Effekt ist dem Kausalgesetz gegenüber eine "Zufälligkeit".

Berichtet die Geschichte von der kausalen Wirkung eines historischen Ganzen, dessen Umfang sich vielleicht zufällig mit dem Umfang eines naturwissenschaftlichen bzw. generalisierenden Begriffes deckt, so darf diese Zufälligkeit der Identität des Umfangs nicht zur Verwechslung von  Gattung  und  Gattungsbegriff  führen. Die kausale Wirkung der wirklichen Gattung ist immer etwas Individuelles, während aus dem Begriff der Gattung ein Naturgesetz hergeleitet werden kann.

Die Kausalungleichung der individuellen Zusammenhänge findet begrifflich in verschiedenen  Stadien der Entwicklung  ihren Ausdruck. Zuerst schreitet die Betrachtung von der Erfassung des beharrenden Seins fort zu der des  Werdens,  sodann sind die Stufen der Entwicklung erfaßbar als  Veränderungsreihen,  die die Wiederholung ausschließen; schon im Wort  Entwicklung  liegt ferner ein im  erkenntnistheoretischen  Sinne  teleologisches  Moment, da man bei Entwicklungen an die Verwirklichung eines Ganzen denkt, auf das die Entwicklung begrifflich hingeordnet wird. Diese drei Momente sind aber prinzipiell auch im Bereich der generalisierenden Begriffsbildung möglich; die spezifisch historische Auspräung erhält der Begriff der Entwicklung dadurch, daß eine Veranlassung entsteht, den realen Werdegang in  seiner Individualität  wesentlich werden zu lassen; und diese Veranlassung wird gegeben, sobald ein individueller Werdeprozeß  auf einen Wert bezogen  wird.

Über die Aufgabe eines Historikers geht es aber hinaus, wenn etwa durch Zugrundelegung eines im Sinne einer metaphysischen Auffassung teleologischen Gesichtspunktes eine Beurteilung der Stufen der Entwicklung vorgenommen, der Entwicklungsvorgang als Repräsentant einer Wertsteigerung oder Wertabnahme, eines mit der zeitlichen Folge notwendig eintretenden Fort- und Rückschrittes aufgefaßt oder der Wert als eine transzendente Ursache gedacht wird, die ihre eigene Verwirklichung hervorbringt. Dies alles überschreitet die Grenzen empirischer Wissenschaft, da nur eine Philosophie der Geschichte zu transzendenten Werten Stellung nehmen kann.

Die Fülle der in einem wirklichen Entwicklungsverlauf enthaltenen Individuen wird nach Maßgabe ihrer Bedeutung für den die Auswahl ergebenden allgemein gültigen Wert wesentlich, aber doch in einem verschiedenen Grad. Die direkte oder indirekte Beziehungsmöglichkeit läßt eine Unterscheidung in  primäre  und  sekundäre  historische Individuen möglich werden.

Neben diesem bisher geschilderten Ideal der individualisierenden Begriffsbildung, dem absolut Individuellen und daher im logischen Sinn absolut Historischen, kommen aber in einer geschichtlichen Darstellung auch Begriffe zur Verwendung, bei denen die individuelle Struktur nicht so klar zutage tritt; auch sind als  Mittel  zum Zweck individualisierender Begriffsbildung Begriffe nötig, die eventuell generelle sind. Das methodologische Prinzip einer individualisierenden Wissenschaft könnte aber nur dann eine Veränderung erfahren, wenn sie die Bildung genereller Begriffe als eines der Ziele ihrer Begriffsbildung erkennen müßte.

Vollständig auf allgemeine Begriffe verzichten kann keine Wissenschaft;  allein die allgemeinen Begriffe, die in der Geschichte enthalten sind, stellen einen  Umweg der Begriffsbildung  dar, wie er besonders zum Zweck der Gewinnung eines Einblicks in den individuellen kausalen Zusammenhang eventuelle auch die Heranziehung von Kausalgesetzen nötig macht.

Zunächst muß hervorgehoben werden, daß in der Geschichte Begriffe vorkommen, die nur  allgemein zu sein scheinen,  wie griechisch, deutsch, die sich aber bei näherer Betrachtung als individuelle Gebilde erweisen, denn die Individuen, auf die solche Begriffe angewendet werden können, sind nicht etwa Gattungsexemplare. Diese Begriffe sind ihrem Inhalt nach meist an wenigen Individuen gewonnen und zeigen sich schon dadurch als historische Begriffe, daß ihr Inhalt mit dem Umfang wächst. Die diese Begriffe ausmachenden Urteile sind erst nach und nach durch individuelle historische Ereignisse enstanden und der Begriff stellt daher meist den endgültigen oder vorläufigen Abschluß des Entwicklungsprozesses dar.

Mit wirklich allgemeinen Begriffen hat es auch die Geschichtswissenschaft zu tun bei den  allgemeinen Elementen der Begriffe,  bei den allgemeinen Werten, die die Auswahl des Wesentlichen leiten, beim allgemeinen geschichtlichen  Zusammenhang  der historischen Individuen und endlich bei den historischen  Gruppenbegriffen. 

Von diesen vier Arten des in der Geschichte vorkommenden Allgemeinen kommen die Begriffselemente deswegen trotz ihres allgemeinen Charakters in die Geschichtswissenschaft, weil der Historiker zum Zweck der Verständigung über das Mitzuteilende allgemeine Wortbedeutungen wählen muß; denn selbst Eigennamen sind nur Stellvertreter für einen Komplex von Worten mit allgemeiner Bedeutung; jedes Urteil bedarf, um ohne weiteres verständlich zu sein, allgemeiner Wortbedeutungen, der Historiker wird es sogar stellenweise für notwendig halten, im Interesse größerer Bestimmtheit an die Stelle unbestimmter allgemeiner Wortbedeutungen naturwissenschaftliche Allgemeinbegriffe zu setzen. Doch schließen sich diese allgemeinen Elemente im historischen Begriff zusammen und geben einen Begriffsinhalt, der sich nur an einem individuell wesentlichen Objekt findet.

Auch die Allgemeinheit der leitenden  Wertideen  verändert das Prinzip der individualisierenden Art der Begriffsbildung nicht; diese Werte sind nur insofern allgemein, als sie allgemein  gelten,  und es ist auch gar nicht die Aufgabe der Geschichte, sie aufzustellen. Das historische Individuum wird nicht diesem Wert als Gattungsexemplar eingeordnet; es wird durch Beziehung auf diesen Wert zwar allgemein bedeutend, aber gerade darum individuell und einzigartig bedeutsam.

Der  kausale Zusammenhang  der historischen Individuen ferner liegt durchaus im Bereich individualisierender Begriffsbildung; denn die  Umwelt,  mit der das historische Individuum durch diese kausalen Zusammenhänge verbunden ist, ist selbst ein Stück individuellen Begriffsbildung. Die  Einordnung  des historischen Individuums  in die Umwelt  ist keine Unterordnung unter allgemeine Begriffe; denn am Begriff der Umwelt hat nur der Umfang eine Allgemeinheit, der Inhalt ist nicht weniger individuell als der der Teile der als historisches Ganzes zu denkenden Umwelt.

Die gelegentliche Heranziehung genereller Begriffe zur Erklärung individueller kausaler Zusammenhänge ist, wie bereits gesagt, nur ein Umweg, den die Begriffsbildung einschlägt; hierbei werden die letzten Elemente der Begriffe gesondert betrachtet und für sie die Ursachen aufgesucht. Sind die in Gestalt allgemeiner Wortbedeutungen erscheinenden Ursachen und Wirkungen sodann in ihrem Kausalzusammenhang erfaßt und allgemein verständlich gemacht, so schließt sich der individuelle Begriff wieder zusammen, denn er ist es, der das eigentliche Ziel jeder im logischen Sinn historishen Darstellung bildet.

Bei den  Gruppenbegriffen  findet sich allerdings eine Allgemeinheit, welche Individuen im Hinblick auf eine gemeinsame Bedeutung vereinigt. Wenn nämlich Teile der Wirklichkeit nur durch eine gemeinsame Bedeutung wesentlich sind, sonst aber zur individuellen Darstellung sich nicht eignen, so werden wie in einen Gruppenbegriff zusammengeschlossen, wie z. B. die Soldaten einer Schlacht, die Bürger einer Stadt und dgl. Doch liegt hier natürlich keine generalisierende Begriffsbildung vor. Die Gruppe selbst ist ja durchaus individuell und ihr Begriff ist mit allen Kriterien individualisierender Begriffsbildung ausgestattet, nur kann er nicht im gleichen Grad, wie die absolut historischen Individuen als historisch gelten, sondern ist ein  relativ historischer Begriff. 

In ähnlicher Weise, wie in den generalisierenden Wissenschaften sich da historische Bestandteile zeigen, wo die Bildung von Relationsbegriffen noch nicht vollständig durchgeführt war, zeigt sich in der im logischen Sinne historischen Wissenschaft dieser den generalisierenden Begriffen nicht unähnliche Bestandteil in Gestalt der Gruppenbegriffe, so daß eine viergliedrige Reihe von Begriffsarten entsteht:
    Als äußerste Gegensätze stehen sich gegenüber der  generalisierende  und der  individualisierende  Begriff in ihrer idealen Vollkommenheit. Dazwischen findet sich in den generalisierenden Wissenschaften der  relativ allgemeine  Begriff, wie er in den Körperwissenschaften überall entsteht, wo noch Dingbegriffe vorhanden sind und in den individualisierenden Wissenschaften der  relativ historische  Gruppenbegriff. Diese Mittelglieder stellen beiderseits eine gewisse Abschwächung der als Extreme geltenden Arten der Begriffsbildung dar, doch ist durch sie nicht etwa ein Übergang geschaffen, der den prinzipiellen Unterschied der individualisierenden von der generalisierenden Begriffsbildung aufhebt.

    Es muß darum der Gruppenbegriff noch etwas genauer als individueller Begriff gekennzeichnet werden. Ein Gruppenbegriff ist nicht ohne weiteres an seiner Wortbezeichnung zu erkennen, eine durchaus individuell erscheinende Bezeichnung kann einen relativ historischen Begriffsinhalt bedeuten wollen. So kann es vorkommen, daß historische Individuen nur insoferne wesentlich sind, als sie die Vertreter einer an einer Gruppe haftenden Eigenart und als solche als Typen gedacht sind; dies ist der Fall, wenn beispielsweise eine Rechnung typisch für die Lebenshaltung einer Klasse gelten soll; ja es kann sogar ein Eigenname so verwendet werden, wenn dessen Träger als Typus eine Gruppe charakterisieren soll. Gewöhnlich wird allerdings schon die Bezeichnung den dem Umfang nach allgemeinen Charakter des Begriffs erkennen lassen.
Der Inhalt des Gruppenbegriffs ist aber nur insofern allgemein, als er auf eine Mehrheit von Individuen Bezug hat, da aber nicht diese Individuen selbst, sondern die Eigenart der von ihnen gebildeten Gruppe das Wesentliche ist, so ist auch der Inhalt des Gruppenbegriffes ein individueller.

Sind die relativ historischen Bestandteile der generalisierenden Wissenschaften als relativ allgemein zu bezeichnen, so stellen sich diese allgemeinen relativ historischen Gruppenbegriffe als  relativ individuell  dar. Dies ist insofern kein Widerspruch, als hier zwischen der stets absoluten und niemals als relativ zu denkenden Individualität der Wirklichkeit und der Individualität des individualisierenden Begriffs unterschieden werden muß. Sogar der absolut historische Begriff einer Persönlichkeit kann so verstanden werden, daß er Allgemeines enthält, indem er nämlich das einer Reihe von individuellen Zuständen der Person Gemeinsame in sich zusammenfaßt.

Das Entscheidende für den historischen Begriff aber, mag er nun absolut oder relativ historisch sein, ist immer die Einheit der Bestandteile und darum ist das spezifische Merkmal des historischen Begriffes  das Band, das diese Einheit konstituiert. 

Der generelle Begriff faßt seinen Inhalt zusammen, weil er Gemeinsames enthält und allgemein gilt; der relativ historische Begriff hingegen faßt die Elemente seines Begriffs zusammen, weil sie in ihm eine mit Rücksicht auf den die Auswahl des Wesentlichen leitenden allgemeinen Wert bedeutungsvolle Individualität ausmachen; darum ist das Band, das die Einheit der historischen Begriffselemente bildet, die einzigartige, auf die  Verwirklichung eines Wertgedankens abzielende Bedeutsamkeit,  wie sie indessen nur einem Individuum, allerdings auch einem relativ individuellen Erkenntnisobjekt zukommen kann. Dabei kann und darf niemals a priori behauptet werden, daß die eine oder die andere Art des Historischen allein ausschlaggebend für Darstellung und Verständnis des geschichtlichen Stoffes sei. Wird behauptet werden, daß die eine oder die andere Art des Historischen allein ausschlaggebend für Darstellung und Verständnis des geschichtlichen Stoffes sei. Wird behauptet, daß  nur relativ historische  Begriffe anzustreben seien, weil nur das, was "typisch" und von allgemeiner Bedeutung sei, eine wissenschaftliche Darstellung möglich mache und verdiene, so wird übersehen, daß es keinen logischen Grund gibt, dem absolut Historischen weniger Bedeutung beizumessen. Hier hat nur das  sachliche  Bedürfnis der Verarbeitung und Verständlichmachung des Stoffes zu entscheiden und dieses verlangt die Darstellung eines absolut historischen Individuums, etwa einer Persönlichkeit und seiner individuellen Effekte überall da, wo dieselben von einem leitenden Wertgesichtspunkt aus wesentlich werden. Nun kann z. B. von einem Ereignis behauptet werden, daß es auch ohne die tatsächlich stattgehabten individuellen Bewirkungen eingetreten wäre, da mangels  dieser  Individuen andere wirkend geworden wären, denn die Zeit, die Verhältnisse seien dafür reif gewesen. Diese Behauptungen sind aber schon aus formalen Bedenken abzulehnen, sobald sie allgemein gelten wollen, weil die Geschichte bei Ausschaltung der wirkend gewesenen Persönlichkeiten und bloßer Beschränkung auf allgemeine Begriffe nie weiter gelangen könnte, als zu allgemeinen Behauptung, eventuell zur Konstruktion all der  Möglichkeiten,  wie sich das, wozu die Verhältnisse reif geworden waren, hätte ereignen  können.  Gerade an diesen Überlegungen hat aber der Historiker durchaus nicht sein erstes und eigentliches Interesse, er will und soll ja nur die tatsächlichen Ereignisse in ihrem einmaligen, unwiederholbaren Verlauf schildern und dazu können sich absolut historische Begriffe gegebenen Falles als unentbehrlich erweisen.

Wenn auch die Person als abhängig von ihrem  Milieu,  als dessen Produkt, aufgefaßt wird, so hat die Geschichte doch nur ein Interesse an dem, was die Persönlichkeit selbst bedeutet und individuell bewirkt hat. Die Individualität einer Persönlichkeit kann übrigens niemals nur das leicht nachzurechnende Produkt ihrer Umwelt sein, denn sonst müßten dieselben Zeitumstände auch lauter gleiche Individuen hervorbringen.

Die Behauptung endlich, daß nur allgemeine Begriffe eine wirklich wissenschaftliche Darstellung ermöglichen, ist absolut unerweisbar und würde dazu führen, das sachliche Interesse am Stoff willkürlich einer vorher gebildeten Methode unterzuordnen und den Stoff so zurechtzuschneiden, daß er in die Methode hineinpaßt.

Durch die relativ historischen Begriffe wird auch  nicht die Möglichkeit historischer Gesetze  in die Geschichte gebracht, wie es sein müßte, wenn die Gruppenbegriffe generalisieren gebildet wären. Würde aus einem historischen Material ein genereller Begriff abgeleitet, so würde aus ihm nichts zu entnehmen sein, da ja alles Bedeutungsvolle und Individuelle vorher beseitigt werden müßte, um zu einem Gattungsbegriff gelangen zu können.

Der Gedanke, historische Gesetze finden zu wollen, ist in sich widerspruchsvoll, denn da die Geschichte stets eine  im erkenntnistheoretischen Sinne teleologische  Entwicklung in ihrem einmaligen Ablauf darzustellen hat, in der sich nichts wiederholt, sondern stets ein Neues, bisher nicht Dagewesenes auf das frühere Stadium folgt, so daß sich alles in  Kausalungleichungen  abspielt, so kann für diese Vorgänge nichts zu gewinnen sein aus Kausalgesetzen, die ja nur das Gemeinsame mehrerer Entwicklungen darstellen und deren Prinzip die Kausalgleichung, die über Zeit und Raum erhabene Gleichheit von Ursache und Wirkung ist.

Um zu einem solchen Gesetz zu gelangen, fehlt der Geschichte das Material, die Mehrheit von Entwicklungen, denn sie hat es im historischen Ganzen stets nur mit einem einmaligen Prozeß zu tun, der immer ein absolut historisches Individuum ist. Aber auch die Biologie, die mit Begriffen arbeitet, deren Umfang nicht hinter dem der generalisierenden Begriffe zurückbleibt, kann keine Gesetze aufstellen, sowie sie historisch verfährt; sie müßte denn vorher ihre Begriffe des relativ individuellen Charakters entkleiden und würde damit aufhören, historisch zu verfahren.

Wohl können allgemeine Begriffe von Kulturstadien gebildet und diese dann so in Beziehung gebracht werden, daß sich ein Gesetz der Kulturentwicklung ergeben könnte; logisch ist dagegen kein Bedenken vorhanden, doch würde diese Art des Verfahrens das Gebiet der historischen Begriffsbildung verlassen und zu einer generalisierenden Gesellschaftswissenschaft oder "Soziologie" führen, doch ist damit die Möglichkeit einer solchen Wissenschaft nur insofern behauptet, als prinzipielle logische Bedenken nicht gegen sie sprechen.

Werden bei Teilen einmaliger Entwicklungsreihen gewisse gleiche Massenerscheinungen beobachtet, die in einem kausalen Zusammenhang stehen und werden solche Konstruktionen benützt, um der geschichtlichen Darstellung eine breitere Unterlage zu geben, so muß doch festgehalten werden, daß auch hieraus nicht Gesetze entstehen, die innerhalb der individuellen Werdegänge wirkend werden könnten. Die genannten Teile könnten  nur begrifflich isoliert  werden, um eine allgemeine Darstellung zu ermöglichen. Im wirklichen Ablauf aber werden stets auch Faktoren mitspielen, die als absolut historische Individuen begrifflich gefaßt werden müssen und man  würde sich der Darstellung von Unrichtigkeiten aussetzen,  wenn man irgendetwas Wesentliches übersehen würde, nur um die Allgemeinheit der Darstellung nicht zu stören.

Wenn hier wirklich historische Gesetze aufgestellt werden könnten, so müßten diese Gesetze auch wirklich  alles historisch Wesentliche enthalten.  Für den Historiker führt aber die Gleichheit der Vorgänge nicht zu einer vereinfachenden Reduktion auf das Gemeinsame, sondern es erwächst zu der Aufgabe, alles wesentliche Individuelle beizubehalten, auch noch die, diese Gleichheiten festzuhalten und zu erklären.

Mit dem Versuch solche Allgemeinheiten zu benützen, um von ihnen auf die Zukunft zu schließen, hat der Historiker als solcher jedenfalls nichts zu tun. Das Konstatieren von "Entwicklungstendenzen" kann nur dann sinnvoll erscheinen, wenn man sich dabei bewußt bleibt, daß es nur ganz unsichere Vermutungen sind, wozu man berechtigt ist und daß diese Vermutungen nur mehr oder minder sicher zu erwartende Möglichkeiten ausdrücken können. So wichtig es ist, diese Möglichkeiten zu kennen, so würden sie andererseits, wenn sie zu gesetzmäßig eintretenden Ereignissen, also zu unabwendbaren Notwendigkeiten gemacht würden, allem Wollen und Handeln seinen Sinn nehmen.  Das naturgesetzliche Müssen hebt jedes Sollen und Wollen auf. 

Eine nähere Umschreibung des sachlichen Begriffs der Geschichte ergibt die Feststellung, daß der Historiker bei seinem Material  vornehmlich psychische Vorgänge  vorfindet. Zwar kann aus dieser Tatsache  keine methodologische Besonderheit  für die historische Begriffsbildung abgeleitet werden; es kann auch nicht zugegeben werden, daß die Psychologie eine besondere Bedeutung, etwa die eines durchgängigen naturwissenschaftlichen Unterbaus für die Geschichte erlangen kann. Der Historiker muß allerdings ein "guter Psychologe" sein; aber bei dieser Forderung ist an etwas prinzipiell anderes zu denken, als man unter wissenschaftlicher Psychologie zu verstehen pflegt; letztere ist eine generalisierende Wissenschaft und hat zum Zweck, allgemeine, psychologische, naturwissenschaftliche Begriffe zu bilden; diese allgemeinen Begriffe aber haben für das Verständnis und das innere Nacherleben eines psychischen geschichtlichen Vorgangs nicht mehr Bedeutung, als etwa das Fallgesetz für das geschichtliche Verständnis und das Nacherleben jenes historischen Ereignisses, als die beiden Ratschreiber MARTINIZ und SLAVATA aus den Fenstern der Hofburg zu Prag in die Spieße der unten harrenden Menge geworfen wurden.

Sollte die Psychologie wirklich etwas mehr bedeuten, so müßte man versuchen, eine Art "historischer Psychologie" zu schaffen und hierbei wäre es die Aufgabe eines solchen "historischen Psychologen", sein Verständnis durch Beobachtung individueller psychischer Vorgänge zu bilden; er müßte auf diesem Weg versuchen, ein "Menschenkenner" zu werden, um Individuelles möglichst getreu nacherleben zu können; selbstverständlich ist damit nicht gesagt, daß diese historische Psychologie überhaupt möglich oder notwendig ist. Es soll nur zugegeben werden, daß dieser theoretisch konstruierte Fall nicht den logischen Widerspruch enthielte, wie der Versuch, die naturwissenschaftliche Psychologie zum besseren Verständnis der Geschichte zu verwenden.

Wenn also der Psychologie höchstens die Rolle einer Hilfswissenschaft, in durchaus gleicher Weise, wie auch den anderen Naturwissenschaften zufallen kann, so ist aber damit nicht gesagt, daß die Tatsache des Vorherrschens psychischen Materials in der Geschichte ganz zusammenhanglos mit dem Wesen ihrer Begriffe ist. Wenn nämlich auch nicht jeder psychische Vorgang auch ein Werten ist, so ist doch die  Voraussetzung  dafür, daß ein Werten stattfinden kann,  das Vorhandensein eines psychischen Wesens.  Da aber gerade die Beziehungsmöglichkeit auf Werte die Eigenschaft des geschichtlich Wesentlichen entstehen läßt, so muß das in der Wertbeziehung liegende Moment dem Psychischen eine nähere Beziehung zur Geschichtswissenschaft geben als dem Körperlichen.

Zunächst hat die Geschichtswissenschaft mit anderen Wissenschaften gemeinsam, daß sie ein Objekt nur  für  ein psychisches Wesen darstellt. Ferner können die Subjekte, die selbst in der zu schildernden Wirklichkeit zu den Werten Stellung nehmen, nur psychische Wesen sein; sie bilden den Mittelpunkt des geschichtlichen Interesses und die übrigen Teile der Darstellung erhalten durch sie ein doppeltes Interesse, da sie nicht nur auf die leitenden Werte der Darstellung, sondern auch auf diese geistigen, selbst Stellung nehmenden Individuen zu beziehen sind; diese letzteren sind  historische Zentren,  ohne die eine historische Darstellung überhaupt nicht entstehen kann.

Ist gar kein geistiges Wesen dem Stoff angehörig, so tritt der Historiker selbst außerhalb seiner Eigenschaft als erkennendes Subjekt auch in einen  geschichtlichen  Zusammenhang mit den anderen Individuen und damit auch als Glied in das umfassendste Objekt der historischen Darstellung oder in das Ganze der historischen Entwicklungsreihe; in diesem Fall ist der Historiker auch das historische Zentrum der Darstellung, da die leitenden Werte der Darstellung dann mit denen zusammenfallen, mit denen der Historiker auch wollend Stellung nimmt.

Wenn die selbst Stellung nehmenden geistigen Individuen im historischen Stoff selbst auftreten, so sind stets sie die historischen Zentren. Dabei können zwei Fälle in Betracht kommen.

Sind die Werte der historischen Individuen auch die des Darstellers, so müssen diese Individuen von selbst die historischen Zentren werden. Sind diese Werte aber nur diesen Individuen eigen, so muß der Historiker sich durchaus in diese Werte für die Zwecke der Darstellung zu versetzen suchen, denn nur so wird es ihm gelingen, das Individuum, wie dessen Umwelt und Entwicklung richtig zu verstehen und darzustellen.

Ein Verwenden anderer Werte als der des historischen Individuums könnte nur stattfinden, wenn die Objekte mit Hilfe eines Wertmaßstabes beurteilt werden sollen, doch geht das über das Gebiet der Geschichtswissenschaft hinaus. Es ist also jedes historische Individuum auf geistige Wesen bezogen; diese geistigen Wesen müssen ferner unter den Objekten vorkommen, aus denen das letzte Ganze der historischen Darstellung besteht und endlich müssen diese Wesen auch die geistigen historischen Zentren sein, auf die alle anderen Objekte zu beziehen sind.

Diese Überlegungen zeigen, wie man bei der Geschichte und den anderen Kulturwissenschaften dazu kommen kann,  den Namen Geisteswissenschaften  zu verwenden. Doch ist dieser Name im logischen Interesse abzulehnen; er ist nicht bezeichnend, da geistiges Leben auch in der Psychologie, dort aber generalisierend verarbeitet wird; sachlich ist das Wort zu eng, da die Geschichte auch körperliche Realitäten darzustellen hat; er ist aber zugleich zu weit, da die Geschichte nicht die Aufgabe hat, alles geistige Leben darzustellen, sondern nur eben soweit es historisch wesentlich ist.

Alles bisher über den individualisierenden Begriff Gesagte kennzeichnet seine logische Seite. Eine  sachliche Begriffsbestimmung  der im logischen Sinne als historisch zu bezeichnenden Wissenschaften hat in erster Linie Aufschluß zu geben über den Inhalt des sachlichen Begriffs des historischen Zentrums.

Da dieser Begriff gewonnen wurde als der eines vorhandenen geistigen Individuum, so ist nun auch zu untersuchen, welcher  sachliche Begriff sich von diesen Werten  ergibt.

Es sind dies Werte, die für alle gelten wollen und zwar entweder solche, die tatsächlich allgemein anerkannt werden, also  faktische  Werte oder es sind  normative  Werte, d. h. solche, die Menschen zur Anerkennung zugemutet werden; es handelt sich dabei, soweit die empirischen Wissenschaften in Frage kommen, auch nur um Werte von  empirischer  Allgemeinheit; mit überempirischen Werten braucht sich nur eine philosophische Abhandlung zu befassen; natürlich sind diese Werte menschliche Werte, so daß auch immer und überall Menschen im Zentrum der Wirklichkeit stehen; dann müssen diese Werte aber bei Menschen vorkommen, die in  irgendeiner Gemeinschaft  leben, also bei Wesen, die im weitesten Sinne des Wortes sozial genannt werden können. Hierbei ist freilich auch an Gemeinschaften zu denken, die eventuell nur durch ein ideelles Band zusammengehalten sind, z. B. Wissenschaft, Kunst und dgl. und deren Glieder eventuell weithin über Zeit und Raum zerstreut sein können. Im Zentrum jeder geschichtlichen Darstellung steht daher das durch seine Eigenart  bedeutsame seelische Leben einer menschlichen Gemeinschaft.  Aus diesem Moment des Sozialen darf indessen nicht gefolgert werden, daß soziales Leben nicht individualistisch dargestellt werden könne; dies könnte nur behauptet werden, wenn das Individuum mit dem Atom, die Gattung mit dem Gattungsbegriff verwechselt würde, es handelt sich hier vielmehr um soziale Individuen, die in einem durchaus individuellen sozialen Zusammenhang stehen.

Doch hat man diese geistigen, sozialen, allgemeinen Werte auch generalisierend darzustellen versucht, aber es vermag eine solche, beispielsweise soziologische Darstellung doch  niemals  das Kulturleben der menschlichen Gemeinschaften  erschöpfend  darzustellen.

Werte, die in der bloßen Bestätigung allgemeiner Naturtriebe aktuell werden, lassen das historisch bedeutsame Individuum noch nicht entstehen; denn wenn diese Werte auch sehr allgemein sind, so bleibt ihre Verwirklichung doch mehr Sache der einzelnen Individuen; bei den geschichtlich wirkenden Werten muß es sich vielmehr um Werte handeln, die für alle eine Bedeutung haben und die daher eine  gemeinsame Angelegenheit  aller Mitglieder einer  sozialen Gemeinschaft  sind.

Die Summe dieser Werte nennt man, um sie vom Begriff des Natürlichen zu trennen,  Kultur  und hier werden dann  alle  Werte zu normativ allgemeinen, wenn man bedenkt, daß die Kultur die gemeinsame Aufgabe im Leben aller Völker darstellt; zum Begriff der Kultur gehört dann aber auch notwendig  das Begriffselement der allmählichen Entwicklung.  Menschliche Gemeinschaften, deren Leben im Hinblick auf Kulturwerte betrachtet, im Laufe der Zeit keine wesentlichen Veränderungen aufweist, erregen das eigentliche historische Interesse niemals; Kultur ist da, wo das Leben der Gemeinschaften so abläuft,  daß die Tätigkeit eines jeden Stadiums die Tätigkeit der vorangegangenen Stadien zur Voraussetzung hat und auf ihrer Grundlage in der Weise weiterbaut, daß zwischen den verschiedenen Stadien stets ein mit Rücksicht auf die allgemeinen Werte wesentlicher individueller Unterschied besteht; historische Entwicklung ist überall da, wo sich in diesem Sinne Kulturleben abspielt. 

Dieser Begriff der Kultur bezeichnet also sachlich etwas allgemein Gepflegtes und daher auch allgemein Gewertetes, im Gegensatz zu der sich selbst und ihrem Wachstum überlassenen Natur. Es fallen unter den Begriff der Kulturobjekte dann auch Körper, die in den Bereich der Kulturtätigkeit einbezogen sind. Auch umfaßt dieser Begrif das staatliche Leben und die Kulturgeschichte ist sodann nicht in Gegensatz zur politischen Geschichte zu bringen, sondern begreift diese in sich. Die Kulturmenschheit ist dann das umfassendste historische Zentrum oder der denkbar größte zentrale historische Zusammenhang.

Die Darstellung der einmaligen individuellen Entwicklung dieses letzten historischen Ganzen ist eine Aufgabe, die jedenfalls die Kenntnis aller bisher entwickelten Kulturwerte zur Voraussetzung hat; es ist dabei zu bedenken, daß es Völker geben kann, bei denen sich Werte ausgebildet haben, die bei uns unbekannt oder unverständlich sind, so daß der Begriff einer einheitlichen Kulturmenschheit und ihrer Geschichte problematisch wird.

Nach dem Gesagten fügt sich zum bereist früher entwickelten logischen Gegensatz zwischen Natur und Geschichte noch ein  sachlicher  Gegensatz an zwischen Natur und Kultur.

Methodisch  ist Natur die Wirklichkeit mit Rücksicht auf das Allgemeine und Geschichtswissenschaft die Wissenschaft vom Besonderen der Wirklichkeit.

Sachlich  ist Natur die Wirklichkeit, abgesehen von allen Wertbeziehungen und steht dann im Gegensatz zur Kultur.

Diese beiden Gruppen von Gegensätzen bilden die äußersten Extreme und die vier verschiedenen Begriffe, die sachlichen: Natur und Kultur und die logischen: generalisierende und individualisierende Begriffsbildung können noch in anderer Weise verbunden werden. Man kann die ganze Wirklichkeit zur Natur umformen und dann wird sich aus der generalisierend verarbeiteten Kultur eine Wissenschaft entwickeln, wie sie schon als "Soziologie" versucht worden ist.

Überträgt man den historischen Entwicklungsgedanken auf die bedeutungslose Natur, so entsteht die historische Biologie. Ferner kann sich für die faktischen Wissenszweige die Möglichkeit ergeben, daß alle Natur- und Kulturobjekte, die in ihm enthalten sein können, gemeinsam nach einer Methode behandelt werden, es kann aber auch der Stoff einheitlich, die Methode eine Mischform sein.

Bei der Erforschung von Kulturvorgängen können sich namentlich individualisierende und generalisierende Begriffsbildungen miteinander vermengen, so daß nur eine sorgfältige Analyse sie zu scheiden vermag.

Neue Gebilde entstehen auch durch praktische Aufgabe, die mit einer Wissenschaft verfolgt werden, wenn man nämlich versucht, ihr einen normativen Charakter zu geben; doch wird dadurch über den rein erfahrungswissenschaftlichen Betrieb hinausgegangen.

Wenn die Wissenschaften normative Elemente anstreben, um in ihnen direkt zu Werten Stellung zu nehmen, so werden dabei allerdings normative Elemente im Rahmen der Wissenschaft selbst geschaffen, doch müssen dieselben dann  in Beziehung zur Philosophie treten,  da der Versuch zu wissenschaftlicher Normgebung auf dem Boden reiner Empirie nicht möglich ist.

Stets muß indessen festgehalten werden, daß im Material der Wissenschaft ein prinzipieller Unterschied besteht, insofern die Kulturvorgänge sich durch ihre Bedeutung für den Menschen aus der Gesamtentwicklung heraushebn und um dieser Bedeutung willen auch eine wissenschaftliche Erforschung verlangen, die sie nicht unter ein System allgemeiner Begriffe bringt, sondern in ihrem einmaligen, individuellen Werden verfolgt; im Vergleich zu diesem  prinzipiellen Gegensatz  erscheinen die übrigen Unterschiede, wenigstens der rein empirischen wissenschaftlichen Arbeit, die keine Normbegriffe anstrebt, unwesentlich; die vorhandenen Mischformen aber sind kein Argument gegen die dargelegte Einteilung.

Dabei wird aber die Darstellung der auf normativ allgemeine Werte bezogenen Wirklichkeit stets eine individualisierende Begriffsbildung fordern und zwar in dem Maße, in dem die normativ allgemeinen Werte unsere Anerkennung fordern; auch durch das Verlassen des praktischen Standpunktes zugunsten der rein theoretischen Betrachtung wird hieran nichts geändert.  Das Bedürfnis nach einer geschichtlichen Kenntnis  bleibt vielmehr auch für den theoretischen, die Objekte nur auf normativ allgemeine Werte beziehenden Menschen bestehen und er muß daher an den Kulturvorgängen ein rein wissenschaftliches Interesse haben, das durch generalisierende Begriffe nicht befriedigt werden kann. Es knüpft sich vielmehr mit Notwendigkeit an sie die rein theoretische Frage, wie sie in ihrer individuellen Gestaltung geworden sind, welche verschiedenen  individuellen Stadien  sie im Laufe der Zeit durchgemacht haben und welche  individuellen Ursachen ihren einmaligen, individuellen Werdegang  bestimmten.

Schließlich haben die methodologischen Untersuchungen auch gezeigt, daß man vom logischen Gesichtspunkt aus keinen Grund hat, der Geschichte irgendein Gebiet als ihr eigentliches Arbeitsgebiet zuzuweisen. So ist es namentlich ebenso unrichtig, die politische Geschichte überhaupt aus der Reihe der Wissenschaften zu streichen, wie es auch falsch ist, sie als eigentliche Geschichte zu proklamieren.

Um nun diese methodologischen Grundsätze auf die Volkswirtschaftslehre anwenden zu können, ist es notwendig, wenigstens an den Werken einiger nationalökonomischer Schriftsteller charakteristische Merkmale aufzusuchen, welche angeben, in welcher Weise von ihnen die Aufgabe der Volkswirtschaftslehre methodisch aufgefaßt worden ist.
LITERATUR Ludwig Stephinger, Zur Methode der Volkswirtschaftslehre, Karlsruhe 1907