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Die Erkenntnislehre William Hamiltons [4/4]
2. Abschnitt Das Erkennen und sein Gegenstand [dritte Fortsetzung] 4. Kapitel Der Stufengang der Erkenntnis II. Die weiteren Stufen der Erkenntnis der Gegenstand der sinnlichen Wahrnehmung 1. Das Selbstbewußtsein Als ein Zweig des präsentativen Vermögens schließt sich an die äußere Perzeption, die unmittelbare Erkenntnis der Außenwelt oder der Materie, die innere Perzeption, das Selbstbewußtsein, die unmittelbare Erkenntnis des Geistes, an. Beide Erfahrungsquellen sind bloße Modifikationen des Bewußtseins: des rezeptiven oder präsentativen Vermögens zu unterscheiden. Die hauptsächlichsten, das Selbstbewußtsein betreffenden Fragen haben wir bereits bei der allgemeinen Betrachtung des Bewußtseins erörtert. Durch die Perzeption erkennen wir die Phänomene der äußeren Welt unter den Formen des Raums und der Zeit, durch das Selbstbewußtsein die Phänomene der inneren Welt unter den Formen der Zeit und des Ichs. Ohne eine Form können wir nichts erkennen. Daß die Formen angeboren sind und nicht erworben werden, ist in ihrer Notwendigkeit begründet.
Der Raum ist eine notwendige Form des Geistes. Also ist der Geist selber ausgedehnt? Einer Bejahung dieser Frage läge der durch nichts bewiesene Satz zugrunde, daß die Qualitäten des erkennenden Subjekts denen des erkannten Objekts ähnlich sein müssen. Woher erkennen wir, daß Raum und Zeit notwendige Formen des Geistes sind? Diese Frage gibt HAMILTON Gelegenheit, auf den Unterschied der Induktion und Deduktion, die in den "Vorlesungen" als kritische Analysis bezeichnet wird, näher einzugehen. Durch Induktion stellen wir fest, was ist. Wir abstrahieren z. B. aus verschiedenen äußeren Wahrnehmungen den Begriff des Raumes, nachdem wir beobachtet haben, daß äußere Gegenstände, die uns die Perzeption darbietet, ausgedehnt sind. Durch einen solchen Prozeß, der nur komparative [auf einem Vergleich beruhend - wp] Allgemeinheit lehren kann, haben wir nur "die Möglichkeit eines Begriffs des Raumes, aber nur des Raumes als eines komparativ allgemeinen (general) und zufälligen Begriffs erklärt; denn wenn wir der Meinung sind, daß dieser Begriff im Geist nur als das Ergebnis eines solchen Prozesses existiert, müssen wir ihn als a posteriori [nachher - wp] erworben (adventious) und deshalb für zufällig halten. Die kritische Analyse dagegen zeigt uns, was notwendig ist, weil wir es nur so, wie es sich uns zeigt, denken können. Das für uns Notwendige ist aber nur für uns, also subjektiv notwendig; "denn nur in den Erscheinungen des Geistes können wir einer absoluten Notwendigkeit bewußt werden." In der äußeren Wirklichkeit erkennen wir nichts als notwendig. Daß ein Ding anfangen kann zu sein, ohne eine Ursache zu haben, halten wir für unmöglich. Warum? Weil wir den Begriff eines absoluten Anfangs nicht fassen können. Daß ein Stein in die Luft aufsteigen kann, halten wir nicht für etwas Unfaßbares. Warum? Weil wir es hier mit einem Faktum, das durch Induktion und Beobachtung verallgemeinert ist, mit der Gravitation zu tun haben. Die Leugnung derselben verstößt nicht gegen ein Gesetz des Denkens. Nur die innere Erfahrung lehrt uns das Notwendige, die äußere gibt uns bloß das Aktuelle: das, was ist, ist nicht das, was sein muß. LEIBNIZ war der erste, der in seiner Polemik gegen LOCKE die Notwendigkeit als Kriterium der dem Geist angeborenen Wahrheit erkannt hat,
Das Vermögen der Rezeptivität, das von HAMILTON auch sehr bezeichnend faculty of acquisition [Vermögen der Erwerbung - wp] genannt wird, wird durch das Gedächtnis (memory proper, conservative faculty, retention) ergänzt. Alle Kenntnis, die wir erwerben, wäre nutzlos, wenn wir nicht das Vermögen hätten, sie zu bewahren. Doch ist hiervon das Vermögen, diese aufbewahrten Erkenntnisse ins Bewußtsein zu rufen: die Reproduktion zu scheiden. Für diese bildet das Gedächtnis die unerläßliche Bedingung, wie es selber wieder die Erfahrung oder Rezeptivität [Aufnahmefähigkeit, Empfänglichkeit - wp] voraussetzt. Die Reproduktion ist das Vermögen, das die schlummernden Inhalte in die Sphäre des Bewußtseins hebt und bei diesem Prozeß von gewissen Gesetzen, den Gesetzen der Assoziation beherrscht wird. Die Reproduktion ist von der Repräsentation zu unterscheiden, wenngleich es uns unmöglich ist, uns irgendwelche zum Bewußtsein gehobene Inhalte vorzustellen, ohne daß sie zugleich repräsentiert werden. Die Reproduktion bedeutet nichts anderes als "das Ergebnis der Gesetze, welche die Folge unseres geistigen Lebens beherrschen". Diese Gesetze lassen sich auf zwei zurückführen: auf das Gesetz der Simultaneität und das Gesetz der Affinität. Beide ergeben sich aus dem Grundgesetz der Reintegration [Wiedereingliederung - wp] oder der Totalität, das als letztes Prinzip nicht weiter zurückführbar ist.
Die Reproduktion unterscheiden wir als Suggestion, wenn sie spontan auftritt, von der Reminiszenz [Erinnerung - wp], die durch den Willen anderer in Tätigkeit versetzt wird. Unter dem Vermögen der Repräsentation (imagination) versteht HAMILTON die Kraft, die der Geist besitzt, lebhaft vor sich die Vorstellungen zu halten, die er durch den Akt der Reproduktion ins Bewußtsein zurückgerufen hat. Gedächtnis, Reproduktion und Imagination hängen eng miteinander zusammen, so daß wir uns ihrer wie ein und desselben Aktes bewußt werden. Diese Vermögen in Verbindung mit der Wahrnehmung liefern das Material, welches der Verstand zu seiner vergleichenden Tätigkeit bedarf. Der Verstand (elaborative faculty), "das Vermögen der Beziehungen oder der Vergleichung konstituiert das, was wir im strengen Sinn Denken nennen". Er setzt wenigstens zwei Glieder voraus, von denen er das eine bejaht oder verneint im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zum andern. Das Wesentliche der Verstandestätigkeit ist also das Beurteilen. Wie wir bereits erwähnt haben, schließt jeder Bewußtseinsak eine Beurteilung ein und zwar nicht nur das bejahende Urteil der bloßen Existenz, "sondern die Bejahung einer bestimmt gearteten oder beschränkten Existenz". Urteilen aber heißt Vergleichen. In jedem, selbst dem einfachsten Akt der Erkenntnis ist demnach ein Vergleich gesetzt. Unsere Verallgemeinerungen und Abstraktionen sind bloße Produkte dieses vergleichenden, beziehenden Vermögens. Daraus ergibt sich, daß Urteilen und Denken identisch mit Vergleichen sind. Die erste Tat des Vergleichens ist die Unterscheidung der Existenz von der Nicht-Existenz. Der zweite Akt der Vergleichung ist die Unterscheidung des Ichs und den Nicht-Ichs. Er schließt das Urteil ein, daß das eine nicht gleich dem andern ist. Auf einer weiteren Stufe des Vergleichens erfassen wir die Vielheit der äußeren und innere Wahrnehmung und beurteilen sie als ähnlich oder verschieden. Viertens vergleichen wir die Erscheinungen mit den angeborenen Begriff der Substanz. Die Beurteilung, die darin enthalten ist, ergibt die Gruppierung dieser Phänomene in verschiedenen Bündeln (bundles) als die Attribute verschiedener Subjekte. In der Außenwelt wird dadurch die Unterscheidung der Dinge, in der Innenwelt die der Kräfte konstituiert. Der fünfte Akt des Vergleichenes ist die Betrachtung aufeinanderfolgender Erscheinungen unter dem angeborenen Begriff der Kausalität und die Bejahung oder Verneinung ihrer gegenseitigen Beziehung als Ursache und Wirkung. Während dieser ganze Prozeß des Vergleichens und Beurteilens objektiv bedingt ist, folgt das Denken im Klassifizieren und Verallgemeinern, die beide ebenfalls ein Vergleichen einschließen "den Notwendigkeiten des denkenden Subjekts selbst"; dieser Prozeß der Vergleichung kann im Gegensatz zum ersten in gewissem Sinne als künstlich bezeichnet werden. Da der menschliche Geist nicht fähig ist, die unendliche Vielheit der Dinge in sich aufzunehmen, so kann er sie nur festhalten, indem er sie klassifiziert. Zur Bildung der Kollektivbegriffe (z. B. Armee, Wald, Stadt) gelangen wir durch das wiederholte Auftreten einzelner Begriffe (wie Soldat, Baum, Haus). "Ein Kollektivbegriff ist nur die Wiederholung von durchaus ähnlichen Begriffen". An die Klassifikation schließt sich die Zergliederung an, die einmal den Zwecken der Kunst und dann den Zwecken der Wissenschaft dient. Die wissenschaftliche Zergliederung nennt man Abstraktion. Als eine weitere gewissermaßen künstliche Art des Vergleichens erwähnt HAMILTON die Verallgemeinerung (generalisation). Diese besteht darin, daß wir mehrere Objekt vergleichen und sie nach Klassen ordnen, insfoern sie bestimmte Ähnlichkeiten aufweisen. Diese Klassifizierung können wir fortsetzen, bis wir schließlich zum allgemeinsten Begriff des Seins gelangen, der alle Objekte einschließt. Ähnlich wie HAMILTON gegen JAMES MILL gezeigt hat, daß wir bei der Perzeption zuerst das Ganze und erst allmählich die einzelnen Teile wahrnehmen, bemüht er sich jetzt, darzulegen, daß unser Erkennen von der Auffassung des Allgemeinen und der allgemeinsten Unterschied zu der des Individuellen und seiner Besonderheiten fortschreitet. Die höchsten Stufen der Vergleichung bilden das Urteil (judgement) (20) und der Schluß (reasoning). Beide sind in der Unvollkommenheit unserer Natur gegründet.
Der Apriorismus Hamiltons: die Philosophie des Bedingten. I. Die apriorischen Elemente der Erkenntnis Als regulatives Vermögen (regulative faculty), locus principiorum, bezeichnet HAMILTON "die Kraft des Geistes, aus sich gewisse notwendige Erkenntnisse hervorzubringen".
HAMILTON lehnt die Bezeichnung Reason für dieses Vermögen als vieldeutig ab. Gegen den Ausdruck common sense spricht besonders der Nebensinn eines gesunden, aber auf gewöhnliche, nicht eigentlich wissenschaftliche Gegenstände gerichteten Verstandes, den man meist damit verbindet. HAMILTON geht eine große Reihe Denker seit CICERO durch, um den rechtmäßigen Gebrauch dieses Terminus, wie er besonders von den Schotten verwandt wird, darzulegen. Doch will er ihn selbst nur mangels eines besseren gebraucht wissen. Die apriorischen Wahrheiten werden von ihm in der mannigfachsten Weise bezeichnet. Er führt neben mehreren griechischen und lateinischen Benennungen folgende auf: erste Prinzipien oder Prinzipien des common sense, selbstgewisse oder intuitive Wahrheiten, angeborene Begriffe, natürliche Erkenntnisse oder beliefs, metaphysische oder transzendentale Wahrheiten, erste oder ursprüngliche Gesetze des menschlichen Glaubens (belief), reine oder transzendental oder apriorische Erkenntnisse etc. In der Note A der "Dissertations" zu REID (On Common Sense) wird diese bunte Reihe durch eine große Zahl weiterer Termini vermehrt. Hier erhebt sich die Frage, ob die früher als natural beliefs oder Bewußtseinstatsachen schlechthin bezeichneten Wahrheiten, denen auch das Merkmal der Notwendigkeit zugesprochen wurde, mit den apriorischen Prinzipien, wie sie hier erörtert werden, zusammenfallen. Das argument from common sense wäre dann nichts anderes als ein allgemeines Vernunftprinzip. Andererseits soll es aber nicht so sehr eine Erkenntnis, sondern ein Gefühl sein, bei dem wir uns als ein Letztes beruhigen müssen. Wie kann es dann aber zu den Prinzipien gehören, die Wissenschaft und wissenschaftliches Erkennen möglich machen? Wir erinnern uns, daß HAMILTON der Dualität des Bewußtseins, die er als einen solchen natural belief eingeführt hat, zwei weitere "allgemeine Erscheinungen des Bewußtseins" anfügt, die nur durch experimentelle Beobachtung zu erweisen sind. Wenn hier also eine Unstimmigkeit vorliegt, so wird man auch die Gleichsetzung von natural belief und apriorischer Wahrheit beanstanden. Denn die Dualität des Bewußtseins ist doch kein apriorisches Prinzip in dem Sinn wie z. B. der Satz des Widerspruchs oder das Kausalgesetz, die HAMILTON als solche aufführt. Diesen ist es eigentümlich, daß sie eine allgemeingültige Erkenntnis begründen, was von jener Bewußtseinstatsache nicht gilt. Aus dieser Betrachtung, an die wir noch einmal bei der Würdigung der Stellung, die HAMILTON zu KANT einnimmt, anzuknüpfen haben, ergibt sich schon jetzt, daß nur eine äußerliche Harmonisierungstendenz die natural beliefs im Sinne der Common-Sense-Philosophie und die apriorischen Prinzipien gleichsetzen kann. Indem wir uns zu einer Ableitung der apriorischen Sätze wenden, heben wir zunächst das Einteilungsprinzip hervor, nach welchem sie in zwei grundverschiedene Klassen zerfallen. Das wesentliche Kriterium dieser Sätze ist ihre Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit, die sich durch Verallgemeinerung aus der Erfahrung niemals ableiten läßt, ist dem Geist angeboren, aber sie ist nicht immer "ein positives und unmittelbares Datum einer intellektuellen Kraft".
Es gibt nun aber andere notwendige Formen des Denkens, die von einer völlig verschiedenen Art als die bisher betrachteten sind.
Wenn wir uns einen Zeitabschnitt denken, etwa einen Augenblick, so können wir ihn uns nur als ein unendlich Teilbares vorstellen. Diese unendliche Teilbarkeit können wir aber in Gedanken nicht vollziehen. Jeder Zeitabschnitt muß aber entweder unendlich teilbar oder in bestimmt begrenzte Teilchen auflösbar sein. Ein Drittes gibt es nicht. "Eins ist notwendigerweise wahr; aber keins von beiden kann als möglich begriffen werden." Das Prinzip, das uns in seinen Anwendungen auf Raum und Zeit hier entgegengetreten ist, ist nichts anderes als das Gesetz des Geistes (law of mind), das ausspricht, "daß das Begreifbare in jeder Beziehung durch das Unbegreifbare gebunden ist." HAMILTON nennt dieses Grundgesetz das Gesetz des Bedingten (law of the conditioned). Raum und Zeit lassen sich also auf dieses Grundgesetz unseres Denkens wie zwei besondere Formen desselben zurückführen. Da uns aber nichts gegeben werden kann außer in einem räumlichen Nebeneinander oder in zeitlicher Folge, so ist damit ausgesprochen, daß wir nur das Bedingte erkennen können. Dem Bedingten, das allein Gegenstand unseres Erkennens sein kann, steht das Unbedingte gegenüber.
"Der Begriff des Unbedingten ist bloß negativ, - die Verneinung des Begreifbaren selbst." Bedingten in seinen Anwendungen Die Fruchtbarkeit seines "Law of the Conditioned" findet HAMILTON vor allem darin, daß "dieses Prinzip uns ... eine Auflösung der zwei großen intellektuellen Prinzipien der Ursache und Wirkung und der Substanz und Erscheinung (phaenomenon and accident) gewährt." Weder in dem von uns oft zitierten Aufsatz "Über die Philosophie des Unbedingten" (Discussions, Seite 1f), noch in den "Vorlesungen" ist er jedoch einer Ableitung des Substanzbegriffes nachgegangen. Dagegen führt er sie im philosophischen Appendix der "Discussions" unter dem Titel "Bedingungen des Denkbaren" aus. Er geht hier davon aus, daß die Relativität eine Grundbedingung des Denkbaren ist. Er unterscheidet sie als Relation des Erkennens, die den Gegensatz von Subjekt und Objekt, Ich und Nicht-Ich in sich schließt und als Relation der Existenz, welche die Beziehung von Substanz und Qualität ausmacht. Beide können nur als sich gegenseitig bedingend, als relative Begriffe gedacht werden. Wir können uns eine Qualität nicht absolut und für sich existierend denken, sondern
Den breitesten Raum in den Darlegungen über die apriorischen Wahrheiten nimmt die Ableitung des Kausalgesetzes aus dem Gesetz des Bedingten ein. "Wenn wir auf irgendetwas achten, das beginnt zu sein, so sind wir durch die Notwendigkeit unseres Verstandes gezwungen zu glauben, daß es eine Ursache hat." Was bedeutet aber der Ausdruck: "es hat eine Ursache?" Er bedeutet, daß wir uns alles, was entsteht, nur so vorstellen können, daß es früher unter einer anderen Form existiert hat. Wir können uns nicht begreiflich machen, daß irgendetwas aus Nichts entstanden sein soll, ebensowenig, daß irgendeine Existenz in Nichts übergehen könnte.
Es sind acht verschiedene Erklärungen des Kausalgesetzes möglich, die alle von Philosophen vertreten worden sind. Die achte und letzte, die Zurrückführung der Kausalität auf das Gesetz des Bedingten ist zuerst von HAMILTON selbst ausgesprochen worden. Die beiden ersten Erklärungen gehen wie auch die dritte und vierte davon aus, daß wir den Begriff der Ursächlichkeit durch die Erfahrung bilden. Und zwar gelangen wir zu ihm durch die äußere und innere Erfahrung, wie die erste Theorie behauptet oder nur durch die innere, wie die Vertreter der zweiten lehren. Beiden Theorien ist wieder gemeinsam, daß sie die Kausalität als einen ursprünglichen, nicht abgeleiteten Begriff betrachten. Gegen sie spricht: 1. die Tatsache, daß wir die Ursächlichkeit, den Vorgang, der eine Erscheinung zur Ursache einer andern macht, nicht wahrnehmen. Hierauf hat HUME vor allem aufmerksam gemacht. (22) Dies gilt für die innere Erfahrung ebenso wie für die äußere. 2. die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit, die wir dem Kausalurteil beilegen. Das zweite Bedenken richtet sich ebenso gegen die dritte und vierte Theorie, welche unseren Begriff der ursächlichen Verknüpfung durch objektive Induktion oder Verallgemeinerung aus der Erfahrung bzw. als das Produkt subjektiver Assoziationen, d. h. aus der Gewohnheit erklären wollen. Gegen alle diese Versuche, das Kausalgesetz aposteriorisch abzuleiten, "genügt es zu sagen, daß sie alle wertlos sind, da sie unvermögend sind, die Qualität der Notwendigkeit zu erklären, durch ... die das Kausalurteil charakterisiert ist." Dieses Phänomen der subjektiven Notwendigkeit" wird nur durch die apriorischen Erklärungsversuche gewahrt. Den vier folgenden Erklärungen ist es eigentümlich, daß sie das Kausalgesetz nicht aus der Erfahrung ableiten, sondern als ein Verstandesgesetz betrachten. Die fünfte Theorie sieht in ihm ein besonderes apriorisches Prinzip. Als Vertreter derselben führt HAMILTON DESCARTES, LEIBNIZ, REID, STEWART, KANT, FICHTE, COUSIN und "die Mehrzahl der neueren Philosophen" an. Diese Annahme, daß das Kausalgesetz ein apriorisches Prinzip ist, das sich nicht weiter zurückführen läßt, kann nur provisorisch gemacht werden. Sie wird erst dann die einzig notwendige Erklärung, wenn sich zeigen läßt, daß sich das als ursprünglich angenommene Gesetz nicht aus einem höheren ableiten läßt. Davon abgesehen, spricht gegen diese Theorie "eine Grundvoraussetzung der Philosophie". Das ist das "Gesetz der Ökonomie", welches verbietet, ohne Notwendigkeit Wesenheiten, Kräfte, Prinzipien oder Ursachen anzuhäufen, vor allem die Setzung einer unbekannten Kraft, wo eine erkannte Ohnmacht die Wirkung erklären kann. Als sechste Theorie wird BROWNs Ansicht erwähnt, die das Kausalgesetz auf den Glauben an die Gleichförmigkeit der Naturvorgänge reduziert. Diese erfordert nach dem Gesagten keine Widerlegung. Dasselbe gilt von der allgemein aufgegebenen Theorie, welche das Kausalgesetz auf das Prinzip des Widerspruchs zurückführt. Der Grundirrtum derselben besteht darin, daß sie die Realität der Ursächlichkeit, die erwiesen werden soll, stillschweigend voraussetzt. Nach dieser Kritik der bisherigen Erklärungsversuche unternimmt es HAMILTON, das Kausalgesetz aus dem Grundgesetz des Bedingten abzuleiten. Alles, was wir denken, denken wir unter der Kategorie der Zeit und der Existenz.
Zum Verständnis dessen, was HAMILTON meint, erscheint es ratsam, seine nähere Begründung in ihrer ganzen Breite hier folgen zu lassen. Was wir auch als existierend denken, können wir nur als in der Zeit existierend denken. Wir können nicht den Gegenstand unseres Denkens als nicht existierend in einem Augenblick vor dem gegenwärtigen denken, ebensowenig in einem Augenblick vor diesem usw. Wir können also keine Existenz in Gedanken vernichten, indem wir sie uns in einer möglichst weit zurückliegenden Vergangenheit denken. Was wir einmal als existierend gedacht haben, können wir niemals als nichtseiend begreifen. Dasselbe gilt auch für die Existenz in der Zukunft. Wir mögen uns die Vernichtung eines einmal als seiend gedachten Gegenstandes vorstellen, sie für möglich halten, wir können uns diese Möglichkeit nicht denken.
Als einen Vorzug dieser Theorie erwähnt HAMILTON den Umstand, daß sie kein besonderes Prinzip setzt, um das Kausalverhältnis zu erklären. Dadurch wird nicht nur dem Gesetz der Ökonomie genügt, sondern es soll auch der Skeptizismus durch seine Auffassung zurückgewiesen sein. Die Tatsache, die das Kausalgesetz erklärt, ist einfach diese: die Existenz kann nicht absolut beginnen. Wenn wir für diese ein besonderes Prinzip setzen, so müssen wir ebenso ein besonderes Prinzip des Verstandes annehmen, um die entgegengesetzte Tatsache der Endlosigkeit der Zeit zu begründen. Daraus ergäbe sich, daß uns unsere Natur im Grunde belügt, denn beide angenommenen Prinzipien widersprechen sich, wie sich die Erscheinungen widersprechen, die sie erklären sollen. Auf dem Standpunkt, den HAMILTON dagegen einnimmt, "werden diese einander widersprechenden Erscheinungen in das gemeinsame Prinzip einer Begrenzung unserer Vermögen aufgelöst". Wir erkennen, daß "unsere Vermögen schwach sind", nicht aber, daß sie uns täuschen. Weder spiegelt uns unsere Natur ein lügenhaftes Bild der Wirklichkeit vor, noch ist ihr Urheber ein Betrüger. Diese psychologische Ableitung des Kausalgesetzes geht von der Voraussetzung aus, daß dies nichts anderes als unsere Unfähigkeit ausdrückt, uns einen absoluten Anfang der Zeit zu denken. Diese Voraussetzung beschränkt natürlich auch die Lösung des Problems; in dieser wie in jener kommt zum Ausdruck, daß wir es hier nur mit einer psychologischen Tatswache und nichts anderem zu tun haben. Hiermit haben wir den eigentlichen Kernpunkt des HAMILTONschen Apriorismus berührt, der uns zugleich seine harmonisierende Tendenz erklärt. HAMILTON spricht von a priori, transzendental, von notwendigen Bedingungen eines aposteriorischen Wissens, ja er formuliert die Aufgabe der Philosophie gelegentlich in einem Sinn, den man als kantisch bezeichnen könnte (23), - aber er meint mit all dem etwas anderes, als was diese Wendungen im ursprünglichen Wortsinn bedeuten. Ihm ist das Apriori ein psychologisches Faktum: eine geistige Fähigkeit oder ein geistiges Unvermögen. Sein Apriorismus ist ein Psychologismus (24). Und darum ist er ein reiner Subjektivismus. Wir brauchen uns nur der verschiedenen Bezeichnungen für die angeborenen Begriffe, also für die apriorischen Elemente des Erkennens zu erinnern, um uns bewußt zu werden, wie hier und ebenso in der sachlichen Entwicklung des Gesetzes des Bedingten aus den subjektiven Denkformen des Raumes und der Zeit und in der Ableitung des Kausalprinzips stets die Gleichsetzung von subjektiv und apriorisch wiederkehrt. Wir machen nur auf besonders bezeichnende Wendungen noch einmal aufmerksam. HAMILTON spricht vom Kausalgesetz als einer "unvermeidbaren Notwendigkeit unserer Natur", er sieht in der Kausalität und der Substanzialität nichts anderes als "die beiden großen intellektuellen Prinzipien", als die "fundamentalen Gesetze unserer intellektuellen Natur", und er betont selbst ausdrücklich, daß alle Notwendigkeit subjektiv ist. Seine kritische Analyse ist ihm, wie wir gesehen haben, nichts anderes als die Aufweisung gewisser letztlich gegebener Tatsachen des Selbstbewußtseins. Auch hier hat der Mangel einer Klärung des Objektbegriffs verhängnisvoll gewirkt. HAMILTON interpretiert von vornherein das Kausalgesetz als subjektive Notwendigkeit, uns die Erscheinungen in der Verknüpfung von Ursache und Wirkung vorzustellen. Damit hat er aber selbst den Fehler gemacht, den er BROWN vorwirft: er hat seiner subjektivistischen Auflösung des Problems die Deutung desselben angepaßt. Unser kausales Urteil spricht aber nicht zunächst eine subjektive Notwendigkeit, sondern eine Verknüpfung von Gegenständen aus. Wie diese objektive Verknüpfung möglich ist, ist das Problem, das sich die kantische Philosophie gestellt hat; um die Voraussetzungen unseres Begriffs der Gegenständlichkeit dreht sich im Grunde die ganze kritische Erkenntnistheorie. Diese Frage hat aber die kritische Analyse HAMILTONs ganz übersehen. Er setzt das erkenntnistheoretische Apriori einer psychologischen Tatsächlichkeit gleich. Daher konnte es ihm sogar scheinen, daß selbst HUME, gegen den gerade KANT die objektive Geltung des Kausalgesetzes erweisen wollte, mit diesem in der Auffassung des Apriori übereinstimmt. (25) So drängt sich vor allem bei der Würdigung des Apriorismus HAMILTONs die Berechtigung des Vorwurfs auf, den MILL in die Worte kleidet:
Wir haben früher erwähnt, HAMILTON glaube mit KANT in der Lehre übereinzustimmen, unser Erkennen erfasse nur die Erscheinungen der Wirklichkeit, nicht diese selbst ansich. Es scheint, daß diese Behauptung, wenn wir von der subjektiv-psychologischen Tendenz HAMILTONs absehen, zu Recht besteht, da auch HAMILTON lehrt, daß uns alle Objekte nur unter den Formen von Raum und Zeit gegeben sind. Aber mit einer solchen Auffassung stehen gelegentliche Bemerkungen im Widerspruch, wonach Raum und Zeit auch "eine äußere oder objektive Realität" haben sollen: Diese Ansicht scheint er auch ausdrücken zu wollen, wenn er die Ableitung des Raumes als notwendige Form unseres Denkens eine psychologische nennt, die mit der physikalischen nichts zu tun hat. Wenn sich so kantische Gedanken in einer eigentümlichen Wendung bei HAMILTON finden, so zeigt dies doch zugleich, welch großen Einfluß KANTs Philosophie auf ihn ausgeübt hat, und es erscheint daher gerechtfertigt, die Stellung HAMILTONs zu ihr als Ganzes kurz darzulegen. HAMILTON hat seine Stellung zur kantischen Philosophie selbst im Anschluß an eine Kritik der Idee des Unbedingten bei KANT ausführlich auseinandergesetzt. Er behauptet, KANTs Lehre sei "in der Hauptsache (fundamentally) dieselbe wie seine eigene". Nach KANT sei das Unbedingte "kein Objekt des Wissens, aber sein Begriff sei als ein regulatives Prinzip des Geistes selbst mehr als eine bloße Verneinung des Bedingten". Er stimmt mit KANT darin überein, daß das Unbedingte unerkennbar und unbegreiflich ist: doch ist sein Begriff des Unbedingten lediglich die Verneinung des Bedingten, das nach ihm allein erkannt werden kann. Indem KANT die Erkenntnis des Unbedingten verwirft, verwirft er folgerichtig die rationale Psychologie, Ontologie und spekulative Theologie. Die Philosophie wird
Die Konsequenzen der Analyse KANTs führen zu einem absoluten Skeptizismus. Nach seinem eigenen Zugeständnis (on Kants own admission) ist die spekulative Vernunft ein Organ bloßer Täuschung. Die Idee des Unbedingten enthält nach KANT unlösbare Widersprüche und soll doch das rechtmäßige Produkt des Verstandes sein.
Das Verhältnis von Glauben und Wissen Die Philosophie des Unbedingten hängt in letzter Linie von der sittlich-religiösen Auffassung ihres Urhebers ab. Das zeigt sich vielleicht nirgends so deutlich wie in der Aufdeckung der praktischen Motive seiner Ableitung des Kausalprinzips aus dem Gesetz des Bedingten. Wenn wir ein positives und besonderes Prinzip der Kausalität voraussetzen, so setzen wir damit zugleich die Unmöglichkeit einer freien Verursachung. Dann gibt es keine Ursache, die nicht selbst eine Wirkung ist: die ganze Wirklichkeit löst sich in eine Kette ursächlich bedingter Glieder auf. Das wäre aber ein Bekenntnis zum Fatalismus, eine Leugnung der sittlichen Ordnung und damit eines Urhebers der moralischen Welt. Der Fatalismus bedingt den Atheismus. HAMILTON verwirft den Ausweg derer, welche die Kausalität als besonderes Prinzip auffassen, sie aber im Interesse unserer sittlichen Freiheit von unseren Willenshandlungen ausnehmen. Wir sind unvermögend, die Wirklichkeit als geschlossene Kette ursächlich sich bedingender Vorgänge und zugleich als Tat einer freien Verursachung zu denken. Beide Vorstellungen gründen darum in der Begrenztheit unseres Erkennens. Die Philosophie des Unbedingten ist der Ausdruck für die Unmöglichkeit einer theoretischen Einsicht in die Vereinbarkeit eines kausal bedingten Naturzusammenhangs mit unseren auf der Tatsächlichkeit einer sittlichen Ordnung gegründeten moralischen Überzeugungen. Indem sich die spekulativen Darlegungen so in einen innigen Zusammenhang mit HAMILTONs ethischer Auffassung stellen, verliert seine Deduktion des Kausalgesetzes für uns den Eindruck des Gekünstelten, den sie zunächst hervorrufen konnte. HAMILTON ist dann auch davon überzeugt, daß wenn sie sich in theoretischer Hinsicht als richtig erweist, sie
Diese philosophische Auffassung ist demnach mit dem religiösen Glauben durchaus vereinbar. Indem sie uns warnt, das Gebiet unseres Wissens mit dem unseres Glaubens gleichzusetzen, - da all unser Wissen nur vom Bedingten handelt -,
Das Kennzeichen des echten Wissens ist darum wie das Merkmal des echten Glaubens die Demut, die aus der Einsicht in die Begrenztheit des Bereichs unserer theoretischen Erkenntnis erwächst. So verschlingen sich die Fäden, die von hier zu den persönlichsten Lebensüberzeugungen führen. Glauben und Wissen erscheinen beide als selbständige Geistesmächte, die sich einem Gesamtzweck der sittlichen Persönlichkeit einordnen. Die Philosophie des Unbedingten ist ihr Ausgleich und ihre Versöhnung. Aber sie kann dies nur sein, indem die Postulate der praktischen Vernunft als der unzerstörbare Grund unserer sittlichen Lebensüberzeugungen vor aller theoretischen Spekulation sichergestellt bleiben. So bildet auch in der psychologistischen Denkweise HAMILTONs das innerste Motiv der Primat der praktischen Vernunft.
19) Unter das Gesetz der Affinität fallen folgende fünf Fälle: 1. einander ähnliche, analoge oder teilweise identische Objekte, 2. entgegengesetzte Gedanken, 3. einander berührende Objekte im Raum, 4. das Ganze und seine Teile, 5. Ursache und Wirkung. - Es bedarf kaum der Erwähnung, daß HAMILTON in diesem Zusammenhang den Ausdruck Gedanken viel weiter, als im gewöhnlichen Sinn faßt, er begreift darunter auch die Gefühle und Strebungen. 20) Urteil wird hier im genauen Sinn genommen für die Vergleichung zweier Begriffe und die Aussage ihrer Zusammengehörigkeit bzw. die Verneinung derselben. 21) Damit bleiben nur die logischen und arithmetischen Sätze als apriorische Wahrheiten übrig, die sich nicht in das Grundgesetz des Geistes auflösen lassen. 22) Doch soll diese Meinung HUMEs schon früher von ALGAZEL, den Scholastikern und insbesondere von MALEBRANCHE vertreten worden sein, von welchem HUME wahrscheinlich sowohl die Ansicht wie auch das Beispiel (mit den beiden Billiardkugeln) entlehnt hat. Vgl. hierzu BÄUMKERs "Beiträge zur Geschichte der mittelalterlichen Philosophie", Bd. 3, Heft 4, Seite 57, Münster 1900. 23) Vgl. Metaphysics I, Seite 62: hier wird die Philosophie als Erforschung der notwendigen Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit bestimmt. 24) Vgl. WINDELBAND in seiner Charakteristik HAMILTONs in der "Kultur der Gegenwart", Teil I, Abt. V: Geschichte der Neueren Philosophie, Seite 524, wo HAMILTONs Philosophie als "ausgesprochener Typus des Psychologismus" bezeichnet wird. 25) Metaphysics II, Seite 362 führt er HUME neben LEIBNIZ, REID und KANT als einen Denker auf, der überzeugt ist, daß "ein gewisser Teil unserer Erkenntnisse" seinen Ursprung in der Natur des denkenden Prinzips selbst" haben muß. 26) Praktische Philosophie im Sinne KANTs; HAMILTON spricht ebenso von praktischem Interesse; vgl. dagegen seine Bedenken eine Einteilung der Philosophie in spekulative und praktische Philosophie ("Discussions", Seite 16f). 27) Discussions, Seite 618; Metaphysics, Seite 411. Trotz aller formellen Ablehnung zeigt sich in diesen Erwägungen KANTs Einfluß wirksam. |