cr-4 HobbesDescartesHumeH. RuinBerkeleyJ. St. Mill    
 
FRANZ NAUEN
Die Erkenntnislehre William Hamiltons
[3/4]

"Hamilton hat nirgends den Begriff dessen, was ein Objekt ausmacht, genauer untersucht, geschweige denn eindeutig festgestellt. Er klammert sich an ihn wie an eine bei seinen Lesern als selbstverständlich vorausgesetzte Allgemeinvorstellung. Wie vereint sich die  Objektivität der primären Qualitäten, die den Dingen anhaften, damit, daß sie doch wieder nichts anderes als bloße  Produkte unseres Verstandes sein sollen?"


2. Abschnitt
Das Erkennen und sein Gegenstand
[zweite Fortsetzung]

4. Kapitel
Der Stufengang der Erkenntnis

I. Hamiltons Theorie der Perzeption:
der Gegenstand der sinnlichen Wahrnehmung


1. Die möglichen Theorien
über die Wahrnehmung

Die Lehre über den  Gegenstand der sinnlichen Wahrnehmung leitet HAMILTON so ein:
    "Die Wahrnehmung als Gegenstand der psychologischen Betrachtung ist von der größten Bedeutung in der Philosophie: denn die Lehre über den Gegenstand und die Operation dieses Vermögens gibt die unmittelbaren Data zur Bestimmung der großen Frage betreffs der Existenz oder Nicht-Existenz einer Außenwelt, und es gibt im ganzen Bereich der Philosophie kaum ein Problem von irgendeiner Bedeutung, dessen Lösung sie nicht unmittelbar berührt."
Die Wahrnehmung (perception) oder das präsentative Vermögen haben wir bereits als die erste grundlegende Funktion des Erkennens erwähnt. Für uns kommt vorläufig nur die  äußere  Wahrnehmung, die HAMILTON meist als  perception  von der inneren, dem Selbstbewußtsein (self-consciousness) unterscheidet, in Betracht. Bei der Bestimmung des Gegenstandes der Perzeption haben wir von einer ursprünglichen Bewußtseinstatsache auszugehen. Als  natürlichen Realismus (natural realism) bezeichnet HAMILTON die Theorie, die diese Bewußtseinstatsache ohne Einschränkung hinnimmt. Die Mehrzahl der Philosophen leugnen im Gegensatz dazu entweder eine unmittelbare Erkenntnis der Außenwelt und lassen nur eine Repräsentation derselben in unserem Geist gelten, oder sie leugnen überhaupt die Erkenntnis einer äußeren Wirklichkeit. Demgemäß gibt es nur zwei "generisch mögliche Arten der repräsentativen Hypothese". Nach der einen erkennen wir die Außenwelt mittelbar (z. B. BERKELEYs  theologischer Idealismus) oder wir nehmen nach der zweiten Theorie nur eine Modifikation des Ichs an, die wir fälschlich für etwas außherhalb von uns Existierendes halten (z. B. FICHTEs  anthropologischer Idealismus). Eine ausführliche Übersicht gibt HAMILTON in den "Dissertations"; zusammengefaßt erscheint dieselbe im ersten Band der "Vorlesungen" und in den "Discussions". Als  Nihilisten  werden die Philosophen aufgeführt, welche die Dualität des Bewußtseins vollständig zurückweisen. als  hypothetische Dualisten, kosmothetische Idealisten (dieser Ausdruck ist der bei weitem üblichste) werden jene bezeichnet, die diese Grundtatsache nur teilweise ablehnen. Gegen diese Gruppe, die er in den "Dissertations" als  Repräsentationisten  bezeichnet (weil sie die  repräsentative Theorie  vertreten) richtet sich fast ausschließlich seine Polemik; am schärfsten sind seine Ausführungen gegen BROWN als Vertreter dieser Theorie. Die  Repräsentationisten  sind  Idealisten,  insofern sie der Ansicht sind, wir könnten nichts anderes als subjektive Erscheinungen erkennen. Da sie aber an der Realität der Außenwelt festhalten, welche die  absoluten Idealisten  leugnen, müssen sie von diesen als  kosmothetische Idealisten  unterschieden werden.  Hypothetische Realisten  oder  hypothetische Dualisten  heißen sie deshalb, weil sie zum Unterschied von den  natürlichen Realisten  oder  Dualisten  die Existenz einer Außenwelt nicht
    "direkt auf das natürliche Zeugnis des Bewußtseins als ein erkanntes Etwas (as something known) annehmen", "sondern sich bemühen, ihre unbekannte Existenz auf eine Haupt, und verschiedene Hilfshypothesen zu gründen".
Neben den  hypothetischen Dualisten  führt HAMILTON als zweite Hauptgruppe, welche die Dualität des Bewußtseins teilweise zurückweist, die  Monisten  auf. Diese zerfallen in:
    1. die Anhänger der Theorie von der  absoluten Identität von  Geist und  Materie, die beide nur als verschiedene Erscheinungsweisen der einen gemeinsamen Substanz ansehen;

    2. die  absoluten Idealisten, die den Geist für das Ursprüngliche und die Materie für sein Produkt halten, und

    3. die   Materialisten, die im Objekt das Ursprüngliche sehen, aus dem sich der Geist entwickelt.
Mit der Abgrenzung dieser einzelnen Theorien voneinander hängt eine langwierige Auseinandersetzung mit BROWN über den  Realismus  REIDs und eine mitunter gereizte Bekämpfung des ersteren zusammen, deren sachlicher Wert uns nicht in einem entsprechenden Verhältnis zur aufgewandten Bemühung zu stehen scheint. Mit der Heranziehung der philosophiegeschichtlichen Anschauungen REIDs, mit Auszügen aus seinen Briefen und Werken sucht HAMILTON seinen  natürlichen Realismus  gegen BROWN, der REID für einen Idealisten hält, zu erweisen. Diese Ausführungen laufen darauf hinaus, die  Tatsache  über jeden Zweifel erhaben zu stellen, daß REID in demselben Sinn wie HAMILTON die Existenz der Außenwelt durch einen natürlichen Glauben verbürgt hält. BROWN behauptet freilich auch die Wirklichkeit einer äußeren Wet aufgrund "eines unwiderstehlichen Glaubens an ihre unerkannte Realität"; der Unterschied, der für HAMILTON geradezu die Lebensfrage der Philosophie darstellt (11), liegt darin, daß wir nach BROWN unmittelbar von nichts als von unseren subjektiven Zuständen wissen, während REID nach HAMILTONs Auffassung eine unmittelbare Erkenntnis des Nicht-Ichs lehrt. Hier kann man gegen HAMILTON einwenden, auch nach ihm  wüßten  wir nichts von der Außenwelt, wir  glaubten  an ihre Existenz nur aufgrund des Bewußtseinszeugnisses. Dabei ist allerdings nicht außer Acht zu lassen, daß HAMILTON sehr oft von einer  unmittelbaren Erkenntnis  der Außenwelt spricht, die ihm aber mit seinem  natürlichen Glauben  zusammenfällt, - eine unklare Vermengung, die an dem wunderlich ernsthanften Kampf gegen BROWN die Hauptschuld trägt. Der einzige Ertrag desselben ist eine genaue Scheidung von  drei möglichen Arten der repräsentativen Theorie,  die einen Durchblick in HAMILTONs philosophiegeschichtliche Auffassungen gestattet. Nach der  ersten  Theorie ist das repräsentative Objekt keine Modifikation des Geistes. Die Vertreter dieser Ansicht bemühen sich, das Objekt und den Geist als zwei verschiedene Gegebenheiten zu unterscheiden. Nach der  zweiten  ist es eine Modifikation des Geistes, und als solche von einem Bewußtseinsakt nur hinsichtlich seiner  Apprehension,  aber nicht seiner Existenz nach abhängig. Diese Auffassung hält also noch am Gegensatz zwischen dem Objekt der Wahrnehmung und dem Wahrnehmungsakt fest, wenngleich jenes nicht außerhalb von diesem existieren kann. Das Objekt ist an den Akt in dem Sinne gebunden, daß der Wahrnehmungsakt gleichsam das Objekt erzeugt. Nach der  dritten  Theorie fallen das repräsentative Objekt und der Bewußtseinsvorgang in ein und demselben Akt zusammen. Danach sind sie nicht nur ihrer Existenz nach voneinander abhängig, sondern sie können auch hinsichtlich der Apprehension nicht unterschieden werden. Sie sind in jeder der beiden Beziehungen miteinander identisch. Alle drei Theorien haben in der Geschichte der Philosophie ihre Anhänger gefunden. Die  erste  nimmt die verschiedenartigsten Ausprägungen an je nach der Bestimmung des  tertium quid [unbekanntes Element in Verbindung mit zwei bekannten - wp], das die Außenwelt repräsentiert. Dieses kann materieller oder immaterieller Art, vom äußeren Gegenstand in dem Medium zwischen ihm und den erkennenden Geist oder von Gott im menschlichen Geist hervorgebracht sein usw. Mit der  zweiten  und  dritten  Theorie ist die Anschauung der  Neuplatoniker  vereinbar, wonach die Beziehung der Repräsentation zum Objekt unerklärlich ist, oder die Meinung der  Cartesianer,  daß dieselbe durch göttlichen Beistand bewirkt wird, oder schließlich LEIBNIZ' Lehre von der prästabilierten [vorgefertigten - wp] Harmonie.

REID scheint die  dritte  Form der  repräsentativen Theorie  nicht verstanden zu haben, was mit früher besprochenen Irrtümern zusammenhängt. Daraus ergibt sich insbesondere sein Mißverstehen der Lehre ARNAULDs. BROWN, der die  dritte  Form der  repräsentativen Theorie  vertritt, scheint sich des Unterschieds derselben von der zweiten nicht bewußt gewesen zu sein. Die Möglichkeit einer  intuitiven  Erkenntnis scheint er vollends gar nicht in Betracht gezogen zu haben. Über den unwiderstehlichen Glauben an die Realität der Außenwelt gibt es nach BROWN keinen Vernunftgrund, kraft dessen die Existenz der Materie bewiesen werden könnte. Die Logik des Idealisten ist nach ihm unangreifbar. Diese Worte könnten mit demselben Recht gegen HAMILTON und  seinen  REID gewandt werden; denn auch für sie gibt es außer dem  unwiderstehlichen Glauben  "keinen Vernunftgrund, kraft dessen die Existenz der Materie (12) bewiesen werden könnte", nur nimmt jener Glaube bei ihnen die Rolle eines unmittelbaren Wissens ein. Bei all diesen Darlegungen gegen den  kosmothetischen Idealismus,  insbesondere gegen BROWN, läßt HAMILTON sich nur zu oft von einem rein polemischen Motiv leiten, das ihm zuletzt seine eigenen Grundüberzeugungen seltsam verwirrt. So verliert jener einleuchtende Vergleich zwischen dem, was das Bewußtsein unmittelbar aufweist und dem, was es bezeugt, in der Lehre über die Perzeption jeden Sinn; denn die Gewißheit von der Existenz des Ichs und des Nicht-Ichs ist grundsätzlich bei trotz jener gelegentlichen Polemik gegen REID und STEWART die gleiche. Denn sonst müßte er selbst auf dem Boden eines wenn auch noch so gemäßigten  Repräsentationismus  stehen. In den weiteren Zusammenhang dieser Ausführungen verficht er den Unterschied von  reiner Perzeption  und  reiner  Sensation (perception proper und sensation proper), indem er an REID anknüpft.
    "Unter Perzeption versteht  Reid die objektive Erkenntnis, die wir von einer äußeren Realität durch die Sinne haben, unter Sensation das subjektive Gefühl der Freude oder des Schmerzes, welches die organische Sinnestätigkeit begleitet."
Beide faßt er unter dem Namen  Perzeption  zusammen, wodurch er oft unklar wird. Es ist dieselbe Unterscheidung, die MALEBRANCHE zwischen  idée  und  sentiment  macht; ebenso finden wir sie bei DESCARTES und den Scholastikern. Um diese beiden Elemente der äußeren Wahrnehmung voneinander zu unterscheiden, bezeichnet sie HAMILTON als  perception proper  und  sensation proper;  das  erste  stellt den  objektiven,  das  zweite  den  subjektiven  Gehalt der Wahrnehmung dar. Die Perzeption ist eine besondere Art der Erkenntnis, wie die Sensation eine besondere Art des Gefühls ist. Wie Erkenntnis und Gefühl stets zusammen sind, so sind auch diese beiden besonderen Arten ungetrennt in demselben Akt gegenwärtig. Dieses Zusammenbestehen wird durch ein Gesetz geregelt, das sich auch bei KANT in seiner "Anthropologie", § 19 findet, und das HAMILTON so ausdrückt:
    "Erkenntnis und Gefühl, Perzeption und Sensation stehen, obwohl sie immer zusammen sind, in einem umgekehrten Verhältnis zueinander."
Dieses Gesetz findet er bei einem Vergleich der verschiedenen Sinne untereinander und der Artunterschiede der Wahrnehmungen desselben Sinnes bestätigt. Dabei zeigt sich, daß die Perzeption im Gesichts- und Gehörssinn, die Sensation im Geschmack und Geruch überwiegt. Der Tastsinn nimmt insofern eine besondere Stellung ein, als er eine Mehrheit von Sinnen in sich vereint.

Auf dem Standpunkt des  kosmothetischen Idealismus  kann man keinen Unterschied zwischen Sensation und Perzeption machen, der nur dann einen Sinn hat, wenn man diese als Wahrnehmung eines Objektiven und das sie begleitende subjektive Gefühl auseinanderhält. Daß REID beide unterscheidet, ist allein ein Beweis dafür, daß er den  Repräsentationismus  abweist.


2. Die Einwände gegen die Lehre
des natürlichen Realismus

Bevor HAMILTON zu einer systematischen  Kritik des Repräsentationismus  übergeht, legt er die Gründe dar, welche die Philosophen bestimmen, eine sogar von den  absoluten  Idealisten und Skeptikern anerkannte Bewußtseinstatsache zurückzuweisen. Im Anschluß daran gibt er eine  Kritik  dieser  Einwände  gegen den  natürlichen Realismus,  die in erster Linie die  repräsentative Theorie,  weiterhin den  Idealismus  überhaupt trifft.

I. Der  erste und höchste Grund,  der dafür geltend gemacht werden kann, daß das in der Wahrnehmung unmittelbar erkannte Objekt eine Modifikation des Geistes selber ist, ist dieser: Die Wahrnehmung ist eine Erkenntnis oder ein Akt des Erkennens; ein solcher Akt ist dem Geist immanent. Die Voraussetzung, daß wir etwas außerhalb unseres Geistes Existierendes erkennen, wäre gleichbedeutend mit der Annahme, es gebe einen Akt des Geistes, der über sich selbst hinausgeht. Aber jede Tätigkeit setzt die Existenz voraus und nichts kann da wirken, wo es nicht ist. Außerhalb seiner selbst zu wirken bedeutet darum außerhalb seiner selbst zu sein, was vernunftwidrig ist.

Kritik Hamiltons. 1. Gegenüber diesem Argument, das allen Beweisen der Philosophen zugrunde liegt, die meinen, daß der Geist nur seiner eigenen Zustände bewußt werden kann, kann manzugeben, daß wir "weder beweisen, noch gar begreifen können", wie es möglich ist, daß das Ich unmittelbar das Nicht-Ich erkennt und seiner bewußt werden kann. Aber unsere Unwissenheit ist kein stichhaltiger Grund, die Möglichkeit der Tatsache zu leugnen.
    "Als eine Tatsache und zwar als eine ursprüngliche Tatsache des Bewußtseins, müssen wir betreffs des Warum und Wie ihrer Realität unwissend sein, denn wir haben keinen höheren Begriff, durch den wir sie begreifen könnten, und wenn sie keinen Widerspruch einschließt, sind wir philosophisch gebunden sie anzunehmen."
2. Das Argument: Nichts kann außerhalb seiner selbst wirken, weil nichts außerhalb seiner selbst existieren kann, beweist zuviel. Denn danach könnten wir weder unser eigenes Handeln, noch irgendeine Verursachung begreifen. Nach demselben Grundsatz müßten wir leugnen, daß der Geist die Macht hat, irgendeine Muskelbewegung des Körpers zu bestimmen.

3. Ein innerer Widerspruch, der zugleich den Sinn einer Repräsentation absurd erscheinen läßt, liegt darin, daß die kosmothetischen Idealisten meinen: wir seien der Außenwelt durch stellvertretende Bilder in unserem Geist gewiß, die sie nur erklären können, wenn sie eine Einwirkung der Außenwelt auf unseren Geist zugeben, während für sie die Unbegreiflichkeit einer über den Geist hinausreichenden und die Materie unmittelbar erfassenden Erkenntnis ein genügender Grund ist, ein einfaches Datum des Bewußtseins zu verwerfen.

II. Der Geist kann die Materie nicht unmittelbar erkennen, weil beide ganz entgegengesetzter Natur sind. Was aber unmittelbar erkennt, muß von einer  dem,  was erkannt wird, entsprechenden Natur sein.

Kritik. Der Einfluß des Grundsatzes läßt sich nach HAMILTON durch die ganze Geschichte der Philosophie verfolgen. Er ist aber ganz willkürlich, denn ebenso könnte man mit ANAXAGORAS, HERAKLIT, ALKMÄON annehmen, daß die Erkenntnisbeziehung keine Ähnlichkeit oder Gleichheit, sondern eine Entgegensetzung von Subjekt und Objekt erfordert. Jene erste Annahme, der wir fast in allen philosophischen Schulen (13) begegnen,
    "ist nichts mehr als ein irrationaler Versuch, zu erklären, was in sich selbst unerklärlich ist. Wie das Ähnliche oder das Selbige seiner selbst bewußt ist, ist nicht im Geringsten weniger unbegreiflich, als wie ein Gegensätzliches das andere unmittelbar wahrnimmt."
Solche Sätze dürfen nicht a priori behauptet werden, da das, "was dem Geist möglich oder unmöglich ist", nur aufgrund der Beobachtung und Verallgemeinerung  a posteriori  festgestellt werden kann. Zudem widerspricht gerade die erste Tatsache unserer Erfahrung der Behauptung, der Geist könne die Materie nicht unmittelbar erkennen, weil beide von entgegengesetzter Natur sind: denn das erste Datum des Bewußtseins ist, daß wir in der Wahrnehmung gleicherweise und zugleich eine intuitive Erkenntnis des Ichs und des Nicht-Ichs haben.

III. Der Geist kann nur das unmittelbar erkennen, was ihm unmittelbar gegenwärtig ist. Da aber die äußeren Gegenstände nicht in den Geist gelangen können und der Geist ebensowenig aus sich heraus zu ihnen gehen kann, so ist eine unmittelbare Erkenntnis derselben ausgeschlossen. Dies ist nach HAMILTON der Grund, auf den sich die Repräsentationstheorie stützt; diesen haben REID und STEWART allein berücksichtigt.

Kritik. Dieser Einwand kann auf dreifache Weise zurückgewiesen werden. Zunächst kann man leugnen, daß die äußere Wirklichkeit nicht selbst in den Geist kommt. SERGEANT hält wirklich in der Polemik gegen LOCKE dafür, daß das äußere Ding unmittelbar im Geist ist; womit er die Bemerkung des VARRO bestätigt: es sei nichts so unsinnig, das nicht einmal von einem Philosophen behauptet worden wäre. Ebenfalls in das Gebiet des Unbeweisbaren gehört die ernster zu nehmende Auffassung, daß das Sehen durch einen empfindenden Ausfluß aus dem Auge bewirkt wird. REID und STEWART huldigen der dritten Ansicht, wonach die unmittelbare Erkenntnis des äußeren Objekts keine Folge der natürlichen Beziehung desselben zum Geiste, sondern eine Folge der göttlichen Tätigkeit ist. Das ist die Deutung, die STEWART der Lehre REIDs gibt. Diese ausdrückliche Ableitung der unmittelbaren Erkenntnis aus dem Cartesianischen Prinzip der Gelegenheitsursachen ist nach HAMILTON auch bei REID durchaus begründet, da es nach ihm wie nach DESCARTES nur eine einzige reale wirkende Ursache, nämlich Gott, gibt. - Gegen diese Erklärung ist nun aber zu bemerken, daß sie einmal durchaus  hypothetisch, mystisch  und  hyperphysisch  ist, da sie ohne zwingenden Grund das Feld unserer Erfahrung überschreitet; zum andern hebt sie geradezu die Lehre REIDs und STEWARTs von der unmittelbaren Erkenntnis der Außenwelt auf. Denn wenn Gott uns die Fähigkeit der unmittelbaren Erkenntnis der Außenwelt verliehen hat, ist es unnötig, eine unmittelbare Vermittlung der Gottheit anzunehmen, um den Erkenntnisakt wirksam zu machen. Wenn wir aber die Wirklichkeit nur insofern kennen, wie unsere Erkenntnis durch die Tätigkeit Gottes bewirkt wird, so haben wir keine unmittelbare, sondern eine bloß mittelbare Erkenntnis derselben.

Die Möglichkeit einer unmittelbaren Wahrnehmung der äußeren Dinge kann zwar niemals erklärt, wohl aber verständlich gemacht werden. Es ist eine Materialisierung des Begriffs der Seele, wenn wir ihr einen besonderen Ort im Körper zuschreiben. Über die Art der Verbindung von Leib und Seele wissen wir nichts. Wir wissen nichts darüber, ob die Sinne Instrumente oder Media, oder ob sie bloß partielle Ausgänge (partial outlets) für den mit dem Körper verbundenen Geist sind; nur soviel wissen wir, daß der Gegenstand der Wahrnehmung die körperliche Wirklichkeit ist. Das ist nun nicht so zu verstehen, als nähmen wir die materielle Wirklichkeit absolut und so, wie sie in sich ist, wahr außerhalb aller Beziehung zu unseren Organen und Vermögen. Vielmehr ist das ganze und wirkliche Objekt der Wahrnehmung der äußere Gegenstand in Bezug zu unserem Sinn und unserer Erkenntnisfunktion. Wenngleich es aber ein modifiziertes und relatives Nicht-Ich ist, das wir wahrnehmen, so ist es doch etwas vom Ich Verschiedenes.

Die Lehre von einer unmittelbaren Wahrnehmung der Außenwelt ist um nichts unbegreiflicher als die von der unmittelbaren Erkenntnis der Ideen eines MALEBRANCHE oder BERKELEY. Denn in beiden Fällen ist es das Nicht-Ich, das wir wahrnehmen, in beiden Fällen ist uns aber diese Verbindung von Ich und Nicht-Ich um nichts deutlicher gemacht, sondern gleicherweise unbegreiflich. Was ist nun aber das Nicht-Ich, die Außenwelt, die wir erkennen? Es ist töricht anzunehmen, daß wir uns in der Gesichtswahrnehmung bestimmt entfernter Gegenstände (z. B. des Mondes oder der Sonne) unmittelbar bewußt sind, oder daß diese entfernten Objekte sich im Geist repräsentieren. Was  unmittelbar  wahrgenommen wird, steht in einer notwendigen Beziehung zu den Sinnen, und so sind alle unsere Sinne nur Modifikationen des Tastsinns. Durch das Auge nehmen wir unmittelbar nur die Sonnenstrahlen in einer Beziehung und Verbindung zur Retina wahr.

IV. Der Einwand Humes. In der "Enquiry concerning human understanding", § XII (Of the Adademical or Sceptical Philosophy) führt HUME aus, daß alle Menschen die ihnen von den Sinnen dargebotenen Bilder für die äußeren Objekte halten und fährt dann fort:
    "Aber diese allgemeine und ursprüngliche Meinung aller Menschen wird durch den leisesten Anflug von Philosophie bald zerstört, die uns lehrt, daß nichts je dem Geist gegenwärtig sein kann als nur ein Bild oder eine Auffassung, daß die Sinne nur die Einlaßpforten sind, durch welche diese Bilder übermittelt werden, und daß sie nicht imstande sind, einen unmittelbaren Verkehr zwischen dem Geist und dem Gegenstand zu bewirken. Der Tisch, den wir sehen, scheint kleiner zu werden, wenn wir uns von ihm entfernen; der wirkliche Tisch dagegen, der unabhängig von uns existiert, erleidet keine Veränderung. Es war daher nur sein Bild, das dem Geist gegenwärtig war. Dies sind die klaren gebieterischen Aussagen der Vernunft, und kein Besonnener hat je daran gezweifelt, daß die Daseinsformen, die wir im Auge haben, wenn wir sagen  dieses Haus  und  jener Baum,  nur Auffassungen in unserem Geiste sind und schwankende Abbilder oder Vertreter anderer Daseinsformen, die sich gleich und selbständig bleiben."
Kritik. Dieser Einwand beruth auf einem Mißverständnis betreffs des wirklichen Gegenstandes der Wahrnehmung. Bei einer Gesichtswahrnehmung machen diesen die reflektierten Strahlen in Berührung mit dem Auge aus. Es ist also klar, warum der Gegenstand der Wahrnehmung gewisse Veränderungen erleidet, je nachdem wir ihn in unmittelbarer Nähe oder in gewisser Entfernung erblicken.

Diese Gegenargumentation HAMILTONs ist nicht nur schwächlich, sie verfehlt gänzlich den Nerv des HUMEschen Gedankenganges. HUME will den  natürlichen Instinkt,  der uns zu dem Glauben verleitet, wir nähmen unmittelbar eine äußere Wirklichkeit wahr, bei dem er sich nicht beruhigen will und als Philosoph nicht beruhigen kann, auf seine Berechtigung untersuchen. Er findet dabei, es sei widersinnig, diesem blinden Trieb allein zu folgen; es sei vielmehr nötig die Aussage unserer Sinne durch unsere Vernunft zu ergänzen. Wenn wir uns nur dem  unfehlbaren und unwiderstehlichen Naturinstinkt  überlassen würden, so würden wir zu einer Anschauung geführt, "die wir als dem Irrtum unterworfen, ja als irrtümlich erkennen würden". Denn es gibt keinen Zweifel: wir glauben wirklich, daß wir Gegenstände, die sich in einer gewissen Entfernung von uns befinden, unmittelbar wahrnehmen. Warum soll dieser Glaube sinnlos sein, da doch die Existenz der Außenwelt auch nur auf einem Glauben ruht? Nach welchem Maßstab wird der Unterschied dieser beiden  beliefs  gewertet? Warum verwirft HAMILTON den einen und gründet auf den andern die Entscheidung über das Problem, das "im ganzen Bereich der Philosophie" von der größten Wichtigkeit sein soll? Auch ist es verwunderlich, wenn das Nicht-Ich, die Außenwelt, die wir wahrnehmen, sich auf reflektierte Sonnenstrahlen reduziert, nachdem in langen Erörterungen immer wieder die Erkenntnis einer Welt äußerer Dinge behauptet wurde.

V. Nach  Fichte  können wir keine unmittelbare Erkenntnis einer Außenwelt haben. Denn da dem Ich das Wollen eigentümlich ist, so müssen die Objekte des Willens innerhalb der Sphäre des Ichs liegen.
    "Eine äußere Wirklichkeit kann nicht innerhalb des Ichs liegen; wir müssen darum im Geiste eine Repräsentation dieser Wirklichkeit, die von ihr selbst verschieden ist, annehmen."
Kritik. Es ist richtig, daß der Wille sich nur auf  die  Dinge richten kann, von denen das Ich eine Kenntnis hat.
    "Aber daraus folgt nicht, daß das Objekt, auf das sich die Erkenntnis bezieht, zur selben Zeit mit ihr im Ich gegenwärtig sein muß."
Ferner übersieht FICHTE den Unterschied zwischen jenen Erkenntnissen, die den Willen unmittelbar bestimmen und den anderen Erkenntnisweisen (kinds of knowledge). Da jeder Willensakt auf ein Zukünftiges gerichtet ist, so ist als Bedingung desselben eine mittelbare Erkenntnis notwendig; dies beweist aber nicht, daß jede Erkenntnis mittelbar ist.


3. Kritik des Repräsentationismus

Die Anhänger der  repräsentativen  Theorie stützen die Erkenntnis der Existenz einer Außenwelt auf eine Hypothese, weil sie nach ihrer Meinung sonst unverständlich bliebe. Diese Hypothese: wir erkennen unmittelbar Bilder der Dinge und durch sie die Dinge selbst, genügt keineswegs den Bedingungen, die eine rechtmäßige Hypothese zu erfüllen hat. (14)

1. Sie ist zunächst unnötig.
    "Sie kann nicht zeigen, daß die Tatsache einer unmittelbaren Wahrnehmung, wie das Bewußtsein sie gibt, nicht angenommen werden sollte; sie ist darum unfähig, ihre eigene Notwendigkeit zu erweisen, um die Möglichkeit unserer Erkenntnis der äußeren Dinge zu erklären."
Daß wir nicht fähig sind zu verstehen, wie der Geist irgendetwas vom Ich Verschiedenes erkennen kann, ist kein Grund daran zu zweifeln, daß die Tatsache besteht. "Wir müssen unsere Existenz, unsere Erkenntnis auf Glauben hinnehmen." Die Annahme, daß das Ich das, von dem es nichts weiß, darstellen sollte, ist ebenso unbegreiflich wie die Auffassung des  Realisten  und erklärt die Erkenntnis des Nicht-Ichs ebenso wenig. Beide Theorien bleiben bei einem Unerklärbaren stehen.

2. Die zweite Bedingung, die eine Hypothese erfüllen muß, besteht darin, daß sie nicht das umstürzen darf, das sie erklären soll. Die  Repräsentationstheorie  will eine Bewußtseinstatsache erklären und erklärt sie damit, daß sie ihre Wahrhaftigkeit zurückweist. Dadurch wird aber jedes Wissen aufgehoben. Denn in der Wahrhaftigkeit des Bewußtseins ist unser Wissen gegründet: "die Wahrheit des Bewußtseins ist die Bedingung der Möglichkeit allen Wissens." "Wenn das System der Realisten fällt, so fällt es nur mit der Philosophie."

3. Es ist weiterhin eine Bedingung einer zur Recht bestehenden Hypothese, daß die Tatsache oder die Tatsachen, zu deren Erklärung sie ausgedacht worden ist, nicht selber hypothetisch sind. Wenn der Glaube an die Tatsächlichkeit der Außenwelt wahr ist, so macht sich die Hypothese überflüssig; "wenn er falsch ist, so ist keine Tatsache da, die sie erklären soll." Der  hypothetische Realist  fragt: Wie kann das Ich die äußere Wirklichkeit erkennen? Dabei setzt er ihre Existenz voraus, indem er sich zuletzt auf den  common sense,  auf die  beliefs  desselben Bewußtseins beruft, dessen Wahrhaftigkeit er in Zweifel gezogen hat. Auf die Repräsentation der Außenwelt im Ich kann er sich nicht berufen. Wer sagt ihm, daß das Bild in seinem Innern  eine Außenwelt  repräsentiert? Wir können erst dann davon sprechen, daß ein Ding ein anderes repräsentiert, wenn das Ding, das repräsentiert werden soll, unabhängig von seiner Repräsentation erkannt wird. Der konsequent  kosmothetisch  Idealist wird deshalb konsequent zum  absoluten  Idealismus geführt, da er die Wirklichkeit der Außenwelt nur auf etwas Problematisches: auf ihr Vorgestelltsein im Ich gründen kann.

4. Die Hypothese verletzt auch die Bedingung, die Phänomene, die sie erklären soll, so wie sie sich in ihrer Ganzheit darstellen, zu erklären. Denn sie teilt das vollständige Phänomen, das uns im Bewußtsein gegeben wird, in zwei Fragmente auf. Davon nimmt sie das eine: die Existenz der äußeren Welt an, das zweite: die unmittelbare Erkenntnis derselben, weist sie zurück. Die Existenz der Außenwelt können wir aber nur insofern behaupten, als wir sie unmittelbar kennen. "Die unmittelbare Erkenntnis" (der Außenwelt) "ist die  ratio cognoscendi [Gründe des Erkennens - wp] und darum für uns die  ratio essendi [Gründe des Seins - wp] eines materiellen Universums." Also: Denknotwendigkeit bedeutet Seinsnotwendigkeit. Mein richtig verstandenes Denken meint ein Sein, das mit ihm gesetzt ist.
    "Beweist mir, daß ich unrecht habe bezüglich meiner Anschauung einer Außenwelt, und ich will Euch sofort zugeben, daß ich keinen Grund habe zu meinen, ich hätte recht betreffs der Existenz jener Welt."
Von den drei Arten der repräsentativen Theorie verletzt die dritte am schärfsten das Bewußtseinsphänomen, das sie erklären soll. Die erste bewahrt es insofern, als sie wenigstens die numerische, wenn auch nicht immer die substanzielle Differenz zwischen dem wahrgenommenen Objekt und dem wahrnehmenden Geist unangetastet läßt. Die zweite läßt zumindest den Gegensatz zwischen dem wahrgenommenen Objekt und dem Wahrnehmungsakt bestehen. In der dritten Form, die BROWN vertritt, wird nicht nur das erkannte und als existierend erkannte Objekt geleugnet, das als Nicht-Ich enthüllte Objekt wird sogar mit dem geistigen Ich identifiziert: "obwohl als dauernd gegeben, wird es mit der vergänglichen Energie des Denkens selbst gleichgesetzt."

5. Der kosmothetische Idealismus verstößt weiter gegen die Bedingungen einer wissenschaftlichen Hypothese, indem er das Erfahrungsfeld überschreitet, da seine Außenwelt in sich völlig unerkannt bleibt und eine bloße hyperphysische Behauptung ist.

6. Die Hypothese ist endlich nicht einfach, sondern ist nur durch Hilfshypothesen, ja durch die Berufung auf Wunder haltbar. Denn entweder wird der kosmothetische Idealismus zu einem absoluten Idealismus gedrängt, zu der Annahme also: daß wir nur das Ich und seine Zustände kennen. Dabei bliebe es unverständlich, wieso der Geist dazu kommt, etwas zu repräsentieren, von dessen Existenz er nichts weiß. Oder, um diese Absurdität zu vermeiden, sieht sich der Idealist gezwungen, auf die göttliche Vermittlung, die prästabilierte Harmonie, das Schauen aller Dinge in Gott zurückzugreifen. So setzt die Hypothese ein Wunder voraus, um sich selbst verständlich zu machen. Diese verschiedenen Formen bezeichnet er aber doch ausdrücklich als philosophischer als den absoluten Idealismus. So weit führt ihn die Polemik gegen BROWN, daß er sich selber ausdrücklich widerspricht; denn in einer früheren Vorlesung hatte er FICHTEs Idealismus vor BERKELEYs  theologischem Idealismus  als einer philosophischen Theorie den Vorzug gegeben. (15)


4. Der Gegenstand der sinnlichen
Wahrnehmung.

Die Frage nach dem  Gegenstand der sinnlichen Wahrnehmung  stellt uns vor zwei weitere Probleme. Da dieser nach HAMILTON in unmittelbarer Beziehung zu unseren Organen steht, so fragt es sich zunächst: ob alle Sinne in den Tastsinn aufgelöst werden können? HAMILTON hält, wie er sagt, an DEMOKRITs Behauptung fest, daß alle unsere Sinne bloß Modifikationen des Tastsinns sind, wenn wir unter diesem "die Berührung des äußeren Objekts der Wahrnehmung mit dem Sinnesorgan verstehen". Damit wird eindeutig bestimmt, was der Ausdruck: "Gegenstand der sinnlichen Wahrnehmung" allein besagen kann. REID meinte, "wenn zehn Menschen nach der Sonne oder dem Mond sehen würden, so erblickten sie alle dasselbe individuelle Objekt". Das Gegenteil ist richtig. Da wir nichts anderes als gewisse Modifikationen des Lichts in unmittelbarer Beziehung zu unserem Gesichtsorgan wahrnehmen, so erblicken wir bereits verschiedene Objekte, je nachdem wir mit dem rechten oder linken Auge abwechselnd sehen.
    "Nicht nur die Wahrnehmung, sondern durch einen Vernunftschluß (process of reasoning) verknüpfen wir die Sinnesobjekte mit Existenzen jenseits der Sphäre der unmittelbaren Erkenntnis. Es genügt, daß uns die Wahrnehmung die Erkenntnis des Nicht-Ichs am Endpunkt des Sinnes (at the point of sense) gibt. Wenn man ihr die Kraft zuschreibt, uns unmittelbar über äußere Dinge zu unterrichten, die nur die Ursachen des Gegenstandes sind, den wir unmittelbar bemerken, so macht man sich entweder eines positiven Irrtums oder einer Sprachverwirrung schuldig, die aus einer unzureichenden Unterscheidung der Erscheinung entspringen."
Solche Behauptungen, die sich bei REID und STEWART sehr häufig finden, sind geeignet, "die Lehre von der unmittelbaren Erkenntnis der Außenwelt in einen schlechten Ruf zu bringen" (to throw discredit on the doctrine of an intuitive perception).
    "Ich möchte es darum als einen Fudamentalsatz der Lehre einer unmittelbaren Wahrnehmung feststellen, ... daß alle unsere Sinne nur Modifikationen des Tastsinns sind, in anderen Worten, daß das äußere Objekt der Wahrnehmung immer in Berührung mit dem Sinnesorgan ist."
Die zweite Frage, die sich erhebt, ist diese: begreift der Tastsinn eine Mehrheit von Sinnen in sich? Dieser Sinn nimmt, wie wir bei der Betrachtung des Verhältnisses der Perzeption zur Sensation gesehen haben, eine Ausnahmestelle gegenüber den übrigen ein. Unter ihm fassen wir mehrere Sinnesempfindungen zusammen, die wir auf keinen besonderen Sinn zurückführen können. Der spezielle Tastsinn hat seinen Sitz am Ende der Nerven und zwar unmittelbar unter der Hautfläche. Wir danken ihm die Kenntnis der Gestalt eines Körpers, ebenso unterrichtet er uns über seine Oberfläche, über seine Beschaffenheit, über seine Ruhe oder Bewegung.

Die Objekte, die wir in gewisser Entfernung von uns wahrnehmen, sind nicht das Produkt unseres Präsentativen Vermögens, sondern sie stellen eine Synthesis zwischen diesem und unserer Verstandesfunktion dar, die HAMILTON nicht näher darlegt. Indem HAMILTON in diesem Punkt einen unkritischen Realismus abzuweisen sucht, bemüht er sich zugleich seine Lehre vom Gegenstand der sinnlichen Wahrnehmung mit seiner Auffassung, daß uns nur Erscheinungen gegeben sind, auszugleichen. Wir erkennen nicht das  entfernte Objekt,  sondern nur gewisse Modifikationen eines von unserm Ich verschiedenen Nicht-Ichs, als deren Grund wir eine außerhalb von uns existierende Substanz zu denken haben. Welchen Erkenntniswert dieser Schluß auf eine solche Substanz hat, tritt nirgends klar hervor. Damit hängt auch zusammen, daß der idealistische Zug nur in der gelegentlichen Polemik gegen REID stärker betont wird, sodaß ihm in den Darlegungen über die Wahrnehmung und ihren Gegenstand nicht die prinzipielle Bedeutung, wie sie die realistische Betrachtungsweise behauptet, zukommt.

Mit dem Begriff des Körpers verbinden wir als sein wesentliches Merkmal den der  Ausdehnung.  HAMILTON verneint die Frage, ob wir die Erkenntnis derselben dem Tastsinn zu verdanken hätten: er glaubt, daß uns der Gesichtssinn "eine ursprüngliche Erkenntnis der Ausdehnung gibt". Durch das Gesicht nehmen wir Farben wahr, die wir voneinander unterscheiden. In dieser Unterscheidung soll die Wahrnehmung der Ausdehnung enthalten sein. Obwohl gewisse Beobachtungen dagegen zu sprechen scheinen, daß uns auch der Tastsinn neben dem Gesichtssinn eine Kenntnis der Ausdehnung gibt, so läßt er diese Frage unentschieden. Doch will er dem Gesichtssinn
    "auschließlich die Kraft zuschreiben, uns unsere empirischen Begriffe des Raumes zu geben. Die nähere Erläuterung setzt jedoch eine Bekanntschaft mit der Lehre vom reinen Raum, dem Raum a priori als einer Form des Denkens voraus."
Die Auffassung der Tiefendimension ist nach BERKELEY erworben, nicht ursprünglich. HAMILTON nimmt BERKELEYs Gründe an, erwähnt aber aus ADAM SMITHs "Essays on Philosophical Subjects", den er bei diesen Darlegungen des öfteren ausführlich zitiert, den Analogiebeweis, der gegen BERKELEYs Theorie spricht: daß nämlich bei niederen Tieren die Wahrnehmung der Entfernung ursprünglich und kein Produkt der Erfahrung sein soll.

Nach diesen die Lehre vom Gegenstand der sinnlichen Wahrnehmung abschließenden Bemerkungen haben wir nur noch die  Hauptunterscheidungspunkt  dieser Lehre von der REIDs und seines Anhängers STEWART hervorzuheben.

Der  erste  betrifft den eigentlichen Gegenstand der Perzeption als eines sinnlichen Vermögens und der Quelle einer unmittelbaren Erkenntnis. Der  zweite,  der hier zum ersten Mal hervorgehoben wird, bezieht sich auf den Akt der Wahrnehmung, näherhin auf "die Zahl und Folge der elementaren Erscheinungen" desselben. Um einen Akt der Wahrnehmung hervorzubringen, müssen die körperliche Realität und das Sinnesorgan in Berührung gebracht werden. Die  Impression  geht der Perzeption voraus. Darin stimmen alle Philosophen überein. HAMILTON ist aber nicht der Meinung, daß die Impression nach dem Gehirn fortgepflanzt werden muß, damit eine Erkenntnis des Objekts im Geiste stattfindet, wenn hiermit eine chronologische Reihenfolge gemeint sein soll.
    "Es ist ... richtiger dafür zu halten, daß die körperliche Bewegung und die geistige Wahrnehmung gleichzeitig sind; und anstatt anzunehmen, daß der geistige Vorgang beginnt, nachdem der körperliche aufgehört hat, - statt anzunehmen, daß der Geist mit dem Körper nur am zentralen Ende des Nervensystemms verbunden ist, ist es einfacher und philosophischer vorauszusetzen, daß er mit dem Nervensystem in seinem ganzen Umfang verbunden ist. Die Art dieser Verbindung ist natürlich unbegreifbar: aber die letztere Hypothese ist nicht unbegreiflicher als die erste; und während sie das Zeugnis des Bewußtseins auf ihrer Seite hat, ist sie andererseits nicht den vielen ernsten Bedenken ausgesetzt, die gegen die erste sich erheben."
Hielten wir an dieser fest, so wäre nämlich die unmittelbare Erkenntnis der äußeren Wirklichkeit aufgehoben, da wir, falls der geistige Vorgang wirklich als ein Zweites auf die körperliche Affektion erfolgen würde, nur unsere subjektiven Zustände wahrnähmen. Was nun die weitere Frage betriff, ob einer  perception proper  immer eine  sensation proper  vorausgeht, wie REID und STEWART behaupten, so ist eine solche Meinung noch
    "offensichtlicher irrig als die erste Behauptung, die das Vorangehen eines organischen vor einem geistigen Vorgang berührt."
Wenn wir REID an einer Stelle (Intellectual Powers, Works, Seite 310) wörtlich nehmen würden, so wäre seine  perception  nur ein instinktiver Glaube, der auf eine Sensation folgt, und der nichts weiter besagt, als daß irgeneine unbekannte äußere Eigenschaft die Ursache der Sensation ist. Aber es geht nicht an,
    "Reids  Ausdrücke immer sehr streng zu interpretieren; denn wir sind oft genötigt, seine Philosophie vor den Folgen seiner schwankenden und zweideutigen Sprache zu retten."
Im vorliegenden Fall ist kein Grund vorhanden, seiner Meinung beizutreten. Tatsächlich existieren beide - die Perzeption und die Sensation - nur insofern, als sie zusammen existieren.
    "Sie existieren nicht immer zusammen in demselben Stärkegrad, aber sie sind gleich ursprünglich; und wir können die wissenschaftlich nur durch einen Akt einer nicht eben leichten Abstraktion (an act, not of the easiest abstraction) voneinander unterscheiden."

5. Die Lehre von den Qualitäten

Es ist auffallend, daß in den systematischen Darlegungen über den Gegenstand der Wahrnehmung, sowohl in den "Vorlesungen" als auch in den "Discussions" die Lehre von den  Qualitäten  von HAMILTON übergangen wird. Und doch hält er es an letzterem Ort für notwendig, darauf hinzuweisen, daß seine Philosophie der Perzeption sich nur halten läßt, wenn man di von ihm vorgeschlagene Unterscheidung der Qualitäten anerkennt. Ob er dieser auch später dieselbe Bedeutung beigemessen hat, erscheint jedoch trotz dieser Bemerkung sehr fraglich, da er in seinen "Vorlesungen" mit einem Wort näher auf sie eingeht. Zu einer klaren Abrundung der Darlegungen über die Wahrnehmung und ihren Gegenstand trägt sie auch kaum bei. HAMILTON hat sie in den "Dissertations" zu REIDs Werken nach einer historischen Einführung in einem systematischen Zusammenhang entwickelt.

Er unterscheidet drei Arten von Qualitäten: die  primären  oder  objektiven,  die  sekundoprimären  oder  subjektiv-objektiven  und die  sekundären  oder  subjektiven  Qualitäten. Ohne in alle Einzelheiten dieser Lehre einzugehen, stellen wir das Wichtigste kurz zusammen und wollen es sodann von seiner bisher entwickelten Gesamtauffassung beleuchten.

Nur die  primären  Qualitäten können a priori deduziert, d. h. aus dem bloßen Begriff der Materie abgeleitet werden, da sie die Bedingungen sind, unter denen der Begriff des Körpers gebildet werden kann. "Der Raum oder die Ausdehnung ist eine notwendige Form des Denkens." Wir können ihn, indem wir ihn denken, nur als existierend begreifen. Aber wir sind nicht genötig, die Realität eines den Raum erfüllenden Dinges zu denken. Während also der Begriff des Raums angeboren (native) oder a priori ist, ist der Begriff dessen, was den Raum erfüllt, zufällig oder a posteriori. Wenngleich demnach der Begriff des Körpers als eines zufällig den Raum erfüllt, zufällig oder a posteriori. Wenngleich demnach der Begriff des Körpers als eines zufällig den Raum erfüllenden Etwas  empirisch apprehendiert  wird, so ist damit noch nichts über die apriorischen Bedingungen gesagt, unter denen wir überhaupt den Begriff des Körpers bilden. Diese apriorischen oder  allgemeinen Bedingungen des Körpers (catholic conditions of body) lassen sich nach zwei Gesichtspunkten feststellen. Zum möglichen Begriff des Körpers gehört
    1. das  Raumerfüllen: die dreifache Ausdehnung (trinal extension),

    2. das  Enthaltensein im Raum: die  absolute Undurchdringlichkeit (ultimate incompressibility).
Aus diesen beiden Bedingungen der Materie lassen sich die  notwendigen Bestandteile (constituents) unseres Begriffs derselben, die primären Qualitäten des Körpers entwickeln. Unter die  erste  fallen die  Teilbarkeit (divisibility),  Größe, (Dichte und Dünnheit: densitiy und rarity) und  Gestalt;  unter die  zweite: Beweglichkeit  und  Lage.  Nur die primären Qualitäten können a priori abgeleitet werden.
    "Die primären Qualitäten der Materie entwickeln sich so mit strenger Notwendigkeit aus dem einfachen Datum der den Raum erfüllenden Substanz. In gewisser Weise und im Gegensatz zu den andern sind sie deshalb Begriffe a priori und  pro tanto [nicht ausschlaggebend - wp] als Produkte des Verstandes anzusehen."

    Die andern lassen sich nicht deduzieren, d. h. aus einem gegebenen Begriff ableiten. Sie können nur induziert werden, d. h. sie werden durch Verallgemeinerung aus der Erfahrung gewonnen. Sie sind deshalb "Begriffe a posteriori und in letzter Instanz bloß Produkte des Sinnes."
Die  sekundoprimären  Qualiten sind zufällige Modifikationen der primären. Da sie diese voraussetzen, so beziehen sie sich auf deren notwendige Form: den Raum und die Bewegung im Raum. Sie lassen sich alle unter die Kategorie des  Widerstandes  bringen. Insofern sie die primären Qualitäten voraussetzen, nehmen sie gewissermaßen an deren Natur teil, sind sie Empfindungen, nicht Sensationen. Auf der anderen Seite aber wird dieses objektive Element immer von einer sekundären Qualität begleitet. Sie erscheinen so zugleich als objektive Grade des Widerstandes, der unserer Bewegungsenergie entsteht und als subjektive Weisen des Widerstandes, insofern er unseren sinnlichen Organismus affiziert. Deshalb können sie nach zwei Gesichtspunkten, einem  physikalischen  und einem  psychologischen  eingeteilt werden Ohne auf die Induktion genauer einzugehen, mag die Aufzählung der wichtigsten Qualitäten, die von HAMILTON als sekundoprimäre bezeichnet werden, genügen. Sie zerfallen in physikalischer Hinsicht in  drei  Hauptklassen, die "den verschiedenen Quellen in der äußeren Natur, aus denen der Widerstand oder der Druck entspringt", entsprechen: der  Koattraktion, Repulsion  und  Trägheit (inertia). Den Widerstand der  Koattraktion  unterscheiden wir als  Schwere  und  Kohäsion [Haftkraft - wp], die beide wieder Unterteilungen zulassen; den Widerstand der  Repulsion  als  relative (16)  Undurchdringlichkeit  bzw.  Durchdringlichkeit  und als  elastisch  bzw.  unelastisch,  den Widerstand der  Trägheit  als  beweglich  und  unbeweglich.  Vom  psychologischen  Standpunkt aus stellen sich diese Qualitäten als Gradabstufungen einer  quasi-primären Qualität  und als Arten der sekundären Qualität dar, insofern sich beide unter den gemeinsamen Oberbegriff des  relativen Widerstandes  (relative resisting) bringen lassen.
    "Da uns jedoch die Sprache keine Ausdrücke gibt, durch welche diese Teilungen und Unterteilungen unzweideutig bezeichnet werden können, so werde ich nicht versuchen, die Einteilung auszuführen, die übrigens im einzelnen klar ist."
Die  sekundären  Qualitäten sind,
    "insofern sie apprehendiert werden, nur subjektive Affektionen und gehören zu den Körpern nur, soweit wir diese mit Kräften ausgestattet denken, die verschiedenen Teile unseres Nervensystems zu der bestimmten Bewegung oder Erregung, deren sie fähig sind, besonders zu determinieren."
Wir erkennen nur diese subjektive Erregung, dagegen bleibt ihre äußere Verursachung der Wahrnehmung völlig verschlossen. Den Ausdruck  subjektive Qualitäten  beschränken wir auf unsere subjektiven Affektionen und nicht auf die verborgenen (occult) Kräfte, welche sie hervorbringen. Die Verschiedenheit dieser Qualitäten hängt hauptsächlich von den verschiedenen Teilen unseres Nervensystems ab Wir unterscheiden die  "idiopathischen Affektionen"  unserer einzelnen Sinnesorgane:  Farbe, Schall, Geruch, Geschmack,  ferner die  Gefühle,  die uns  Hitze, Elektrizität  usw. einflößen und schließlich die  Muskelempfindungen,  welche die Wahrnehmung der sekundoprimären Qualitäten begleiten. Auf diese Ableitung der Qualitäten folgen längere Darlegungen über ihr Verhältnis zueinander, von denen wir das Folgende herausgreifen.

Die primären Qualitäten sind bloß die Attribute der Körper als Körper. Die sekundoprimären und sekundären sind wirkliche Qualitäten, sie sind die Attribute des Körpers als dieser oder jener Art von Körpern. Unter den primären begreifen wir Arten des Nicht-Ichs, unter den sekundoprimären Arten sowohl des Ichs als des Nicht-Ichs. Unter den sekundären erfassen wir Arten des Ichs, aus denen wir Arten des Nicht-Ichs erschließen können.
    "Die primären werden erfaßt, wie sie in den Körpern sind; die sekundären, wie sie in uns sind; die sekundoprimären, wie sie in den Körpern, und wie sie in uns sind." (17)

    "Die primären Qualitäten werden unmittelbar in sich selbst erkannt; die sekundo-primären sowohl unmittelbar in sich als auch in ihren Wirkungen auf uns, die sekundären nur mittelbar in ihren Wirkungen auf uns." (18)
Nach all dem sind die Apprehensionen der primären Qualitäten Perzeptionen, keine Sensationen, die der sekundären Qualitäten sind Sensationen, keine Perzeptionen und schließlich die der sekundoprimären Qualitäten sind beides zugleich. In der Auffassung der primären Qualitäten soll der Geist "vorzüglich und hauptsächlich aktiv" sein; "er fühlt nur, insofern er weiß". Bei der Auffassung der sekundären Qualitäten hingegen verhält er sich "vorzüglich und hauptsächlich passiv";
    "er weiß nur, insofern er fühlt. Fassen wir dagegen sekundoprimäre Qualitäten auf, so verhalten wir uns zugleich aktiv und passiv."
REIDs Ansicht setzt sich deutlich durch, wenn HAMILTON ausführt, in der primären Qualität ginge eine Sensation der sinnlichen Affektion als Bedingung der Perzeption, als einer geistigen Apprehension vorauf; doch soll diese Sensation, "die Bedingung der Perzeption, nicht selbst durch die objektive wahrgenommene Qualität verursacht" sein. In Bezug auf das Denken werden die primären Qualitäten "als Existenzweisen der Materie" (modes of matter) als notwendig und allgemein (necessay and universal), die sekundoprimären als zufällig und gemeinsam (contingent and common), die sekundären als zufällig und besonders (contingent and peculiar) erfaßt. Und schließlich:
    "unsere Begriffe von den primären Qualitäten sind klar und deutlich, der sekundoprimären sowohl als sekundärer, wie als quasi-primärer Qualitäten klar und deutlich, der sekundären als subjektiver Affektionen, klar und deutlich, als objektiver dunkel und verworren."
MILL erblickt in der Lehre einer unmittelbaren Erkenntnis der primären Qualitäten einen schroffen Widerspruch zu der von HAMILTON behaupteten Relativität des Erkennens in der Form, wie er sie in den "Discussions" entwickelt. Es sei geradezu HAMILTONs Auffassung, daß wir die  Dinge-ansich  erkennen - nur mit dem selbstverständlichen Zusatz, insofern wir ein Erkenntnisvermögen hätten, das zu ihnen ihn Beziehung tritt. Diese Kritik ist nicht zutreffend. Denn nach HAMILTON erkennen wir unmittelbar nur, was überhaupt mit unseren Sinnen in direkter Beziehung existiert; die  Körper,  die  Objekte  als Gegenstände, die gänzlich außerhalb von uns und unabhängig von uns existieren, sind, wie er ausdrücklich im Gegensatz zu REID und dessen Anhänger STEWART hervorhebt, Verstandesobjekte. Freilich ist hiermit die Auffassung von einer durch uns erkannten Existenz der Außenwelt als einer Welt äußerer Dinge schwer zu vereinen. Aber diese Inkongruenz entspringt letzten Endes aus dem auch von MILL gerügten überaus schwankenden Wortgebrauch, den wir bei HAMILTON feststellen müssen. Vor allem erscheint sie uns als die Folge des gänzlichen Mangels einer klaren und bestimmten Abgrenzung der Begriffe  subjektiv  und  objektiv.  HAMILTON hat nirgends den Begriff dessen, was ein Objekt ausmacht, genauer untersucht, geschweige denn eindeutig festgestellt. Er klammert sich an ihn wie an eine bei seinen Lesern als selbstverständlich vorausgesetzte Allgemeinvorstellung. Wie vereint sich die  Objektivität  der primären Qualitäten, die den Dingen anhaften, damit, daß sie doch wieder nichts anderes als bloße  Produkte unseres Verstandes  sein sollen? HAMILTON spricht nirgends davon, daß die von ihm vorausgesetzte  Objektivität  im Charakter der Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit gewisser Sätze wie bei KANT gründet. Bei ihm scheint sie mitunter mit dem kantischen Begriff geradezu zusammenzufallen, doch sagt er sie auch dann stets mit der Nebenbedeutung aus, daß sie eine außer und neben uns bestehende Existenz einer  Außenwelt  bezeichnet. Wohl erkennen wir, um an das bekannte Beispiel noch einmal anzuknüpfen, nur die Sonnenstrahlen, aber es ist nach HAMILTON selbstverständlich, daß wir das  entfernte Objekt,  die Sonne, als etwas außer uns Existierendes erfassen, ebenso wie andere  äußere Körper,  etwa den Baum, das Haus usw. Sobald er sich dieser  Objektivität  als einer Voraussetzung bewußt ist, interpretiert er sie als einen notwendigen Verstandesschluß, zu der unmittelbar wahrgenommenen Erscheinung ihre Ursache aufzusuchen. Diese durchgängige Unklarheit färbt sich auch auf die Lehre über die primären Qualitäten ab. Einen Widerspruch zur  Relativität des Erkennens  in dem Sinn, wie ihn MILL behauptet, vermag ich nicht darin zu sehen, da der unmittelbar erkannte Gegenstand der Perzeption eben nicht das in einem seltsamen Schimmer gelassene  entfernte Objekt,  sondern die Erscheinungsweise des Nicht-Ichs ist.
LITERATUR: Franz Nauen, Die Erkenntnislehre William Hamiltons, Straßburg 1911
    Anmerkungen
    11) BROWNs Lehre führt zum "unbedingten Skeptizismus" "bezüglich des Charakters unseres intellektuellen Seins"; denn verwerfen wir  eine Bewußtseinstatsache, so müssen wir  alle verwerfen:  falsus in uno, falsus in omnibus [falsch in einem, falsch in allen - wp]. Dagegen beruth REIDs Stellung unter den Philosophen auf der Überwindung des Skeptizismus.
    12) Materie, Außenwelt, Nicht-Ich, äußere Wirklichkeit werden von HAMILTON stets als gleichbedeutend gebraucht. In "Lectures on Metaphysics" überwiegt der Ausdruck Nicht-Ich.
    13) HAMILTON unterscheidet zwei Formen derselben:  1. daß das Erkennende und Erkannte einander ähnlich sein müssen; darauf führt er die  intentionalen species der Scholastiker und die  Ideen MALEBRANCHEs und BERKELEYs zurück. Auf die 2. Form, daß beide gleich sein müssen, glaubt er die "logoi gnostika" der Neuplatoniker, die "präexistierenden species" des AVICENNA, die  Ideen des DESCARTES, ARNAULD, LEIBNIZ, BUFFIER, CONDILLAC, die  Phaenomena KANTs und die  external states BROWNs zurückführen zu können.
    14) Vgl. außer den im Folgenden zitierten Stellen "Metaphysics" I, Seite 169f, wo HAMILTON über die Bedingungen einer zu Recht bestehenden Hypothese handelt.
    15) "Metaphysics" II, Seite 30, führt HAMILTON aus, FICHTEs Idealismus (und dasselbe gilt natürlich auch vom BROWNschen) verletze zwar stärker die Wahrhaftigkeit des Bewußtseins, aber er nennt diese  feinere Form einfach und philosophischer als jene, die nur wie z. B. die BERKELEYs durch Hilfshypothesen gestützt werden kann.
    16) So genannt im Gegensatz zur "ultimate Incompressibility" der primären Qualitäten.
    17) Diese und ähnliche Stellen (wie z. B. besonders die unmittelbar folgende!) scheinen die Auffassung MILLs, HAMILTON sei davon überzeugt, daß wir  Dinge ansich erkennen, auf die wir in diesem Kapitel noch näher eingehen werden, zu rechtfertigen. Doch ist nicht zu vergessen, daß der Begriff des  Nicht-Ichs bei HAMILTON ein sehr schillernder und gar nicht deutlich abgegrenzter Begriff ist. Außerdem müssen solche Stellen in den allgemeinen Zusammenhang der Lehre von der Wahrnehmung und ihres eigentlichen Gegenstandes gesetzt werden. Und schließlich ist zu bedenken, daß HAMILTON diese Lehre von den Qualitäten in einem systematischen Zusammenhang seiner Anschauungen später, wie z. B. in seinen Vorlesungen, nicht behandelt zu haben scheint.
    18) Hier rechnet er also zu den sekundären Qualitäten die unseren Sensationen entsprechen  verborgenen Kräfte in den Körpern.