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KARL FRIEDRICH STÄUDLIN
Geschichte und Geist
des Skeptizismus

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"Wenn man auch den Skeptizismus nicht als Zustand, sondern als  Kunst  betrachtet, so kann man doch nicht annehmen, daß der Skeptiker von dieser Kunst beständig bei sich selbst Gebrauch macht, sondern bloß, daß er imstande ist, damit jeden Gegner aus der Fassung zu bringen. Man kann, ja man muß sich also bei einem Skeptiker gewisse Überzeugungen und Grundsätze denken, nur daß man ihm zugleich die Fähigkeit zuschreiben muß, auch diese wankend machen zu können."

"Aller Skeptizismus beruth im Grunde auf der Behauptung, daß für unser Erkenntnisvermögen alle objektive Erkenntnis unmöglich ist, und die häufigen Irrtümer und Täuschungen, die sich als Fakta anbieten, braucht man nur als Zeugnisse, das Räsonnement  a priori,  zu bestätigen; denn, wenn sie auch zum  Beweis  nicht tauglich sind, so leisten sie doch bei der  Überredung  vortreffliche Dienste."

"Aller Skeptizismus gründet sich zuletzt auf die Behauptung, daß sich die  allgemeinen  Prinzipien nicht durch Vernunftgründe erweisen lassen. Denn die Vernunft kann keine Überzeugung hervorbringen als nur dadurch, daß sie den Zusammenhang des Urteils mit einem unbezweifelbaren Prinzip einsieht."


Vorrede

Der Skeptizismus fängt an, eine Krankheit des Zeitalters zu werden, und - was eine seltene Erscheinung in der Geschichte ist- sich unter mehrere Stände zu verbreiten und seine Wirkungen im Großen zu äußern.

Die neueste Revolution in der Philosophie ist durch ihn veranlaßt worden und hat ihn wieder zum Gegenstand einer tieferen philosophischen Untersuchung gemacht. Jene Revolution sollte ihn stürzen, nach einer neuen Entdeckung soll sie ihm kein Haar gekrümmt oder gar ihn vielmehr befestigt haben.

Indem man aber so viel vom Skeptizismus spricht und indem mancher sich wohl gar damit, als einer wahrhaft aufgeklärten Denkart brüstet, so findet man nur sehr wenige, welche recht wissen, was Skeptizismus ist, und so hört und liest man die verschiedensten und selbst widersprechendsten Äußerungen über den Geist, die Quellen, die Wirkungen desselben, so daß derjenige, welcher die Schriften der Skeptiker studiert hat und die verschiedenen philosophischen Denkarten genau voneinander zu unterscheiden gewohnt ist, oft nicht anders als darüber erstaunen kann.

Die angeführten Umstände haben mich veranlaßt, die Geschichte des Skeptizismus jetzt herauszugeben. Um aber meinen Zweck vollständiger zu erreichen, habe ich philosophische Abhandlungen über den Skeptizismus der Geschichte vorangeschickt.

Die Idee, diese Geschichte zu schreiben, ist bei mir nicht neu. Ich bin schon während meiner Universitätsjahre durch verschiedene Umstände und Zufälle auf dieselbe geleitet worden. Die ersten philosophischen Schriften, die ich las, waren im Geist der LEIBNIZ-WOLFFischen Philosophie geschrieben. Sei vergnügten meine junge Einbildungskraft, aber sie überzeugten mich niemals gänzlich. Die Schriften des SEXTUS und HUME fielen mir bald darauf durch einen Zufall in die Hände und versetzten mich eine Zeitlang in einen höchst peinlichen Zustand, indem sie mir Lehren bekannt machten, die mit meiner Ruhe und Sittlichkeit auf das Engste verwoben waren. In dieser Lage war mein unerschütterlicher Glaube an die Tugend, den ich größtenteils meiner Erziehung zu danken hatte, mein Anker, und der Glaube an Gott und die Unsterblichkeit schien mir immer damit durch Bande zusammenzuhängen, die ich zwar nicht deutlich sah, die aber auch die stärksten und gehäuftesten Zweifel nicht ganz bei mir zerreissen konnten. Mein Interesse an skeptischen Schriften blieb und wurde durch den ungewöhnlichen Grad an Scharfsinn und durch die ungeheure Masse von Kenntnissen, welche in vielen dieser Schriften vereinigt sind, nicht wenig genährt. Dieses Interesse und mein Wunsch, mir meinen moralischen Glauben deutlicher zu entwickeln und ihn fester zu gründen, hat mich für die damals erschienenen kantischen Schriften vorzüglich eingenommen, indem ich in denselben viele meiner Zweifel gelöst und Vieles, was ich mir vorher bloß dunkel gedacht hatte, aufgeklärt fand. In dieser Gemütslage faßte ich den Entschluß, eine Geschichte des Skeptizismus und psychologische Untersuchungen über den skeptischen Gemütszustand zu schreiben. Ich habe mehrere Jahre hindurch zu diesem Zweck gelesen und gesammelt, beobachtet und nachgedacht. Reisen und mehrmals veränderte Lagen haben mich bisher verhindert, meinen Plan auszuführen, aber dagegen über Manches belehrt, was zur besseren Ausführung desselben dienen konnte. Ich hatte übrigens in meiner gegenwärtigen Lage, die mich meist zu Beschäftigungen anderer Art hinzieht, die Ausführung meines Plans schon ganz aufgegeben. Die neueste Geschichte der Philosophie erinnerte mich wieder an denselben und eine hinlängliche Anzahl von Nebenstunden, die mir mein Amt übrig ließ, samt den Schätzen der hiesigen Bibliothek setzten mich in den Stand, das Werk jetzt dem Publikum vorzulegen. Ich erfülle damit zugleich ein Versprechen, das ich im Hinblick auf DAVID HUME in meinen "Ideen zur Kritik des Systems der christlichen Religion" getan habe.

Nach welchen Gesichtspunkte die Geschichte gearbeitet ist, bedarf hier nicht gesagt zu werden, da ich mich in der Schrift selbst darüber erklärt habe. Nur Folgendes muß ich hier noch bemerken. Der Hauptgesichtspunkt ist die Geschichte des Skeptizismus selbst, als einer Denkart, die mehr oder weniger philosophisch sein kann. Damit ist aber die  Literaturgeschichte desselben, die Geschichte der Skeptiker,  jedoch mit Auswahl, die  Geschichte der Widerlegungen des Skeptizismus  und hie und da der  Urteile und Meinungen über denselben  verbunden worden. Nur auf diese Art konnte einer Geschichte, die so viele Grübeleien und Spitzfindigkeiten umfassen mußte, das Ermüdende und selbst Erschöpfende für den Leser genommen werden, und nur auf diese Art konnte sie eine verhältnismäßige Vollständigkeit erhalten. An vielen Stellen habe ich auch philosophische Reflexionen eingestreut und die Geschichte des Skeptizismus in ihrer Verbindung mit der Geschichte der Philosophie zu zeigen gesucht. Wo ich nicht irre, so kann diese Geschichte zugleich als eine Geschichte der Lehre von den Gründen der menschlichen Erkenntnis gelten.

Hie und da fürchte ich dunkel geworden zu sein. Ich bitte die Leser, die Schuld zumindest nicht allein auf mich, sondern auch auf einen ungemein abstrakten und subtilen Gegenstand zu schieben. Zuweilen habe ich angesehenen und von mir wahrhaft geschätzten, lebenden Schriftstellern widersprochen, aber durchaus nie aus einer anderen Triebfeder, als aus Wahrheitsliebe, und sie können schon deswegen diesen Widerspruch nicht übel aufnehmen. Am Ende des Werks habe ich Manches kürzer abhandeln müssen, als ich mir vorgenommen hatte. Die Zeit, die mein Amt von mir fordert und die nahe Messe haben mir aber eine weitläufigere Ausführung nicht erlaubt.

Ich darf es gestehen, daß mich diese Schrift keine geringe Anstrengung gekostet hat. Ich habe beinahe überall aus den Quellen und ersten Hilfsmitteln selbst geschöpft und bin eben deswegen zuweilen auf andere Resultate gekommen, als sich bei denjenigen Schriftstellern finden, welche einzelne Gegenstände dieses Buches schon bearbeitet hatten. Das Lesen der Skeptiker gewährt zwar manches geistige Vergnügen, es macht mit vielen Schriftstellern bekannt, die zu den überschauendsten, geistvollsten und kenntnisreichsten gehören; es versetzt die Seele oft in einen Zustand der Ruhe und Resignation, der süß und wohltätig ist; es kann über Vorurteile, von welchen die Menge gefesselt wird, und sich zu zerrüttenden Leidenschaften hinreißen läßt, erheben - aber von der anderen Seite versetzt es auch bei längerer Fortsetzung die Seele in den Zustand einer unnatürlichen Anspannung, einer peinsamen Erschöpfung und Unruhe. Ich werde mich auch dafür hinlänglich entschädigt halten, wenn diese Schrift etwas beitragen kann, den Geist der Bescheidenheit und der gegenseitigen Duldsamkeit unter den Gelehrten durch die Vorhaltung so mancher für unsere Vernunftkräfte demütigenden Gründe und Beispiele zu befördern und den moralischen Glauben immer herrschender zu machen. Es wäre ganz gegen meine Absicht, wenn diese Schrift zur Beförderung des Skeptizismus selbst etwas beitragen sollte. Bei mir haben die vielen Untersuchungen, zu welchen sie mich veranlaßte, vielmehr die entgegengesetzte Wirkung hervorgebracht. Es ist überhaupt oft ein weit besseres Mittel, über einen Feind Meister zu werden, wenn man ihn in seiner ganzen Stärke kennen lernt, als wenn man sich unbestimmte furchtbare Begriffe von seiner verborgenen Stärke macht. Möge diese Schrift, in welcher alle Angriffe auf die Wahrheit und Gewißheit der menschlichen Erkenntnis übrigens neben den Verteidigungen, der entgegengesetzten Partie dargestellt sind, auch ein vernünftiges Wissen und Glauben befördern können!

Der würdige Herr Verleger dieser Schrift hat sie mit einer Vignette von der verdienstvollen Hand des Herrn LIPS in Weimar zieren wollen. Was die Nebeneinanderstellung eines HUME und KANT für eine Bedeutung hat, werden die Leser von selbst erraten.

Göttingen, den 9. Mai 1794



Über den Geist,
die Gattungen, die Quellen, die Wirkungen,
die Geschichte des Skeptizismus
und die Mittel gegen denselben.

Da die gewöhnlichen Begriffe vom Skeptizismus so schwankend und abweichend sein und ich nirgends die allgemeine Theorie desselben vollständig vorgetragen finde, so will ich hier mein Möglichstes tun, diesem Mangel abzuhelfen, jedoch ohne das zu antizipieren, was eigentlich in die Geschichte gehört. Vielmehr haben diese Abhandlungen unter anderem den Zweck, der Geschichte selbst bestimmte Erklärungen und Gesichtspunkte zugrunde zu legen.


I. Was ist Skeptizismus und welches sind
die verschiedenen Gattungen desselben?

Ein Hauptfehler in dieser Bestimmung ist immer der gewesen, daß man die verschiedenen Gesichtspunkte, unter welchen der Skeptizismus betrachtet werden kann und die verschiedenen Gattungen desselben nicht genau oder gar nicht voneinander unterschied. So geschah es häufig und geschieht noch jetzt zuweilen, daß man sich über verschiedene Definitionen stritt, da doch beide, wohlverstanden, gelten konnten, und daß man etwas in den alten Definitionen zu  verbessern  glaubte, indem man doch bloß die Definition einer anderen Gattung hinzusetzte.

Der  Skeptizismus  kann entweder als etwas  Subjektives  oder als etwas  Objektives  betrachtet werden.

Subjektiv  betrachtet ist er  entweder  ein Zustand des Gemüts, eine Denkart,  oder  eine Kunst, eine Fertigkeit, eine Methode.  Objektiv  wäre er ein  System  oder eine Reihe von Sätzen.

Der Skeptizismus als Zustand betrachtet ist eine solche Stimmung des Gemüts, da man über keinen Gegenstand etwas bejaht oder verneint und alles ohne Unterschied bezweifelt, selbst das, daß man Alles bezweifeln muß. Ein solcher Zustand ist ein  Ideal - er existiert in keiner Menschenseele. Der Mensch wird durch alle seine Anlagen gedrängt, etwas anzunehmen, wenn er auch noch so viel bezweifelt. Wenn er sich in jenen Zustand versetzen will, so befindet er sich  in einem Regressus ins Unendliche,  indem er in einer beständigen vermeintlichen Entfernung von aller Überzeugung immer etwas verwirft und wieder etwas neues dafür annimmt, immer Urteile und Grundsätze nur durch andere Urteile und Grundsätze zweifelhaft machen kann und so sein Ziel niemals erreicht. Aus diesem Bestreben aber entsteht zuletzt ein  schwebender  und  schwindelnder Zustand,  den der Mensch nicht lange aushalten kann und der doch nicht einmal jener  Zustand  des allgemeinen Zweifels ist, weil er sich von den vorhergehenden Zuständen nur durch den  schnellen Wechsel  der Empfindungen, Meinungen, Zweifel, Überzeugungen unterscheidet und auf der anderen Seite an eine gänzliche Ohnmacht der Denkkräfte grenzt. Selbst in einem Zustand des partiellen Zweifels, wenn er gewisse Gegenstände betrifft, kann sich der Mensch nicht sehr lange erhalten, z. B. im Zweifel über die Existenz der Körperwelt außerhalb seiner selbst und gewisser Empfindungen in ihm, über praktische Gegenstände. Selbst wenn er durch eine gewaltsame Spannung und durch eine Art von metaphysischer Schwärmerei sich in diesem Zustand zu erhalten suchen sollte, so wird er doch auf die Dauer nicht verhindern können, daß nicht seine Zweifel sich durch Kräfte, die ihnen von außen und innen entgegenwirken, durch den Einfluß der Neigungen, durch die Notwendigkeit zu handeln, in die er versetzt wird, gleichsam unwillkürlich zerstreuen, daß die Fesseln sich von selbst auflösen, die er gerne noch länger getragen hätte. Hiermit wird übrigens nicht geleugnet, daß nicht mancher Skeptiker durch  Selbsttäuschung  sich wirklich in diesem Zustand des allgemeinen Zweifels wähnte, noch auch, daß durch das Bestreben nach diesem Ideal sich der Seele des Menschen nach und nach eine  skeptische Stimmung  mitteilen kann, die sich bei ihm im Nachdenken über alle Gegenstände zeigt und auch in seinem Charakter und seiner Handlungsart eine große Veränderung hervorbringt.

Übrigens ist doch dieses Menschen unerreichbare Ideal des zweifelhaften Zustands eine Idee, welche für die Skeptiker nicht ohne Nutzen ist. Sie können sagen, daß sie sich demselben  nähern,  ohne es zu  erreichen,  wie sich der Tugendhafte dem Unerreichbaren moralischer Vollkommenheit nähert, und daß sie, obgleich sie nie zum Hauptzweck gelangen, doch auch in dieser Annäherung den untergeordneten Zweck der  Ataraxie,  der  Gemütsruhe  erreichen.

Der  Skeptizismus,  als  Kunst  betrachtet, ist eine Fertigkeit, bei Allem ohne Unterschied, was vorgestellt werden kann, Gründe  für  und  dagegen  von  gleichem Gewicht,  zu denken und anzuführen. Dies ist es, was die Alten  Skepsis  nannten, da sie sich hingegen über den Skeptizismus als Zustand gar nicht erklären. SEXTUS, der sicherste und stärkste Gewährsmann in diesem Punkt, sagt,  sie sei eine Fähigkeit, die Erscheinungen der Sinne  (Phänomena)  und die Vorstellungen des Verstandes  (Noumena)  einander  auf alle mögliche Art entgegenzusetzen (also nicht nur die Phänomena den Noumenis und umgekehrt, sondern auf die Phänomena Phänomenis und die Noumena Noumenis)  auf diese Art gelangen die Skeptiker, indem sie überall auf beiden Seiten ein gleiches Gewicht entdecken, zur Zurückhaltung allen Beifalls, und durch diese zur vollkommenen Gemütsruhe.  Eine solche Fähigkeit nun besitzt unsere Vernunft wirklich und kann es darin zu einer gewissen Fertigkeit bringen. Wo sie auch bei gewissen Sätzen keine gleich starken Gründe und Gegengründe unmittelbar vorbringen kann, so kann sie doch gegen alle Gründe der ganzen menschlichen Erkenntnis ein solches Mißtrauen erregen, daß dadurch jeder einzelne Teil derselben zweifelhaft wird. Freilich bedarf die skeptische Kunst selbst überall der Grundsätze, um Grundsätze zu bestreiten, aber sie ist immer bereit, die Waffen gegen sich selbst zu kehren, und wenn sie selbst angegriffen wird, so freut sie sich nur eines desto gewisseren Sieges, indem selbst die Möglichkeit des Angriffs die Ungewißheit aller Erkenntnis nur deutlicher zu erkennen gibt.

Der Skeptizismus  objektiv  betrachtet wäre nun ein Inbegriff all der Gründe und Gegengründe, durch welche die ganze menschliche Erkenntnis zweifelhaft gemacht werden kann. Man kann fragen und hat öfters gefragt:  Ob es ein System des Skeptizismus geben kann?  Wenn man die Gründe und Gegengründe, so wie SEXTUS in seinen  Pyrrhonischen Hypotyposen (I, 4) es getan hat, nach den verschiedenen Zweigen der philosophischen Erkenntnis und ihrer systematischen Einteilungen ordnet, so kann allerdings insofern der Skeptizismus ein System genannt werden; da er aber alle Gründe der menschlichen Erkenntnis und selbst diejenigen, auf welchen aller Unterschied und alle Unordnung der Wissenschaften und alle Einheit des Systems beruth, erschüttert, so kann er sich selbst freilich für kein System ausgeben. Eher kann man sich denselben als eine unabsehbare  Reihe  entgegenstehender Sätze vorstellen, von welchen jeder den anderen vernichtet. Weil aber der Dogmatismus, sein Hauptgegner, vorzüglich in den Systemen seinen Sitz hat, so muß er freilich mit ihm auf diesem Boden fechten, um durch systematischen Zweifel den systematischen Dogmatismus des gewisser zugrunde zu richten.

Eben deswegen, weil es eigentlich kein System des Skeptizismus geben kann, hat man auch Mühe, sich eine  skeptische Sekte  vorzustellen, wie man sich eine platonische, epikuräische, aristotelische vorstellt. Bei einer Sekte denkt man sich immer eine Übereinstimmung in gewissen Prinzipien und ein gemeinschaftliches Bestreben, sie geltend zu machen. Der Skeptiker aber bejaht und verneint kein Prinzip und geht gar nicht darauf aus, irgendeine bestimmte Denkart zu begründen, irgendeine Übereinstimmung der Menschen in ihren Grundsätzen hervorzubringen, und das geht so weit, daß selbst die Disharmonie der Menschen in dieser Hinsicht ein neuer Triumpf für ihn wird. Sobald man sich daher die Skeptiker als eine Sekte vorstellen will, so ist man in Gefahr, den Begriff des Skeptizismus aufzuheben. Da der Zustand eines allgemeinen Zweifels bloß ideal ist, so kann man auch dadurch den Begriff einer Sekte von Skeptikern nicht vollenden, daß man sich alle in einem solchen Zustand denkt. Es bleibt also nichts anderes übrig, als sich unter einer Sekte von Skeptikern lauter solche Subjekte zu denken, welche die Kunst, alles zweifelhaft zu machen, besitzen und nach der gänzlichen Zurückhaltung allen Beifalls, auch des inneren, streben.

Wenn man auch den Skeptizismus nicht als Zustand, sondern als  Kunst  betrachtet, so kann man doch nicht annehmen, daß der Skeptiker von dieser Kunst beständig bei sich selbst Gebrauch macht, sondern bloß, daß er imstande ist, damit jeden Gegner aus der Fassung zu bringen. Man kann, ja man muß sich also bei einem Skeptiker gewisse Überzeugungen und Grundsätze denken, nur daß man ihm zugleich die Fähigkeit zuschreiben muß, auch diese wankend machen zu können. Da aber dies immer nur durch andere Grundsätze geschehen kann, so müssen wir uns notwendig den Skeptiker  jedesmal  als von  gewissen Grundsätzen ausgehend  denken, nur daß er freilich das  einemal  von diesen, das  anderemal  von jenen Grundsätzen ausgehen kann. Aber alle Grundsätze, deren sich der Skeptiker bedienen kann, um jeden Satz zweifelhaft zu machen, haben doch etwas  Gemeinschaftliches  und lassen sich unter gewisse  Titel  bringen, welche man locos communes [allgemeine Themen - wp] (1) nennen kann. Nun wird freilich der wahre Skeptiker auch diese als zweifelhaft vorstellen, aber soll er ruhig - er wird doch niemals einen beharrlichen Zweifel in Anbetracht derselben in sich erregen können und sobald er von seiner Kunst Gebrauch machen will, so wird er doch immer von denselbigen ausgehen müssen. Auch muß man notwendig sich den Skeptizismus als von gewissen Grundsätzen ausgehend vorstellen, wenn man über den  Geist und die Natur desselben philosophieren  will. Dies begegnet auch wirklich dem SEXTUS im ersten Buch seiner  Hypotyposen,  wo er die Natur und den Charakter der Skepsis schildert und im Verlauf seines Werkes muß er mehreremale gleichsam wider Willen gestehen, daß die Skeptiker zumindest die  Erscheinungen  (phainomena) nicht bezweifeln, und sich im gemeinen Leben nach denselben richten. Zu diesem Geständnis wurden die Skeptiker gezwungen, weil man sie sonst für Wahnsinnige gehalten und weil sonst aller Grund zu handeln bei ihnen aufgehört hätte. SEXTUS nimmt hier etwas  Leidendes in der Seele  an, das den Menschen wider Willen zum Beifall zwingt.

Der Skeptiker gibt also  Erscheinungen  zu - aber das  bezweifelt  er, ob uns die Dinge so erscheinen, wie sie  wirklich sind.  Hier hört der Skeptizismus auf, ein Ideal zu sein, wie wir ihn bisher betrachtet haben. Hier ist ein  Grundsatz,  ein  Urteil von welchem er ausgeht, und von nun an wird  ein System  des  Skeptizismus  möglich, das aber freilich die Pyrrhonier nicht ausgeführt haben.

Aber es gibt nicht nur  Erscheinungen durch die Sinne,  sondern auch andere  Gefühle  und  Vernunftbegriffe,  deren wir uns  bewußt  sind. Auch das  Bewußtsein dieser Vorstellungen  können die Skeptiker  zugeben,  nur werden sie  das  bezweifeln, ob sie untereinander übereinstimmen und ob sich von denselben ein  Gebrauch für Objekte außerhalb von uns  machen läßt. SEXTUS erklärt nirgends deutlich, daß die Pyrrhonier das Bewußtsein  dieser  Vorstellungen zugeben, aber er  leugnet  es auch nirgends. Der Fall war hier anders als bei den Sinneserscheinungen und bei den praktischen Lebensregeln, welche nicht bezweifelt werden konnten, ohne daß die Pyrrhonier selbst vor dem großen Haufen als Wahnsinnige erschienen wären. Hierüber war also eine Erklärung nötig. Wenn übrigens SEXTUS das Bewußtsein dieser Vorstellungen nicht bestreitet, so bestreitet er  sie  doch  selbst,  wenn auch nicht alle, weil die Psychologie damals noch weit zurück war. Ohne die  Wahrheit  genau zu erklären, ohne ihre verschiedenen Gattungen zu unterscheiden, bezweifelt er überhaupt, ob es eine Wahrheit gibt, ob es ein Kriterium des Wahren gibt und bestreitet sogar alle  logischen Regeln,  die nichts mit den Objekten zu tun haben. Es liegt sogar in seiner Definition der Skepsis, daß die Skeptiker auch Noumena Noumenis entgegensetzen. Es ist also unrichtig, wenn man behauptet, daß die wahren Skeptiker immer nur die objektive Wahrheit bestritten haben. Anders verfuhren freilich die neueren Skeptiker, besonders HUME, weil sie überhaupt konsequenter waren und weil sie auf eine ausgebildetere Psychologie Rücksicht nehmen mußten.

Viele neuere Philosophen haben in der Tat den alten Pyrrhoniern einen weit philosophischeren und konsequenteren Skeptizismus zugeschrieben, als sie wirklich hatten. Sie haben überhaupt zum Teil Definitionen des Skeptizismus gegeben, welche den Begriff nicht erschöpfen und entweder nicht auf den älteren oder nicht auf den neueren Skeptizismus oder auf keinen von beiden passen. Wir wollen nur einige Beispiele anführen, deren Prüfung uns zugleich Gelegenheit geben wird, den Begriff weiter zu entwickeln.

WOLFF sagt: "Die Skeptiker leugnen eine allgemeine Wahrheit aus Angst einem Irrtum zu unterliegen und weigern sich deshalb etwas Allgemeingültiges zu sagen." Und er setzt hinzu, er wisse wohl, daß gewöhnlich behauptet wird, die Skeptiker haben an Allem, auch an den Faktis gezweifelt, aber das Gegenteil erhellt sich aus SEXTUS EMPIRICUS, der in einem besonderen Kapitel behauptet, daß die Skeptiker die Phänomena zugestehen, also auch ihre Beständigkeit anerkannt haben, obgleich sie aus Furcht, einen Irrtum zu begehen, die Ursachen der Phänomene nicht bestimmt und den Grund ihrer Beständigkeit nicht untersucht haben. Diese Definition ist wirklich richtiger, als manche, die in der Folge gegeben worden sind, nur ist das unrichtig, daß die Skeptiker die  allgemeinen Wahrheiten  bezweifeln und die  Fakta  überhaupt, ja sogar ihre Beständigkeit so uneingeschränkt zugegeben haben. Die Unbeständigkeit aller sinnlichen Erscheinungen war vielmehr ein Hauptmittel, dessen sich die Skeptiker bedienten, um Alles zweifelhaft zu machen. Auch hat WOLFF den Begriff "Fakta" nicht genau bestimmt. Er scheint darunter die sinnliche Erscheinung zu verstehen, aber nun bleibt immer noch die Frage übrig: Haben die Skeptiker auch andere Tatsachen des Bewußtseins, die ebensowenig als Tatsachen zu den  universalibus  gehören, zugestanden? Außerdem hätte es müssen in die Definition gelegt werden, daß die Skeptiker, indem sie die sinnlichen Erscheinungen zugeben, nichts, auch nicht im  Besonderen,  weder über die Existenz noch über die Beschaffenheit der Objekte  ansich  bestimmen.

KANT sagt irgendwo: "Der Skeptizismus ist das, ohne vorhergegangene Kritik, gegen die reine Vernunft gefaßte allgemeine Mißtrauen, bloß um des Mißlingens ihrer Behauptungen willen." Dies ist die richtige Definition  einer gewissen Gattung von Skeptizismus,  der aus einer gewissen  besonderen Quelle  entspringt, wovon wir in der Folge reden werden. Aber es ist nicht die Definition des Skeptizismus überhaupt, dessen zwei größte Repräsentanten SEXTUS und HUME, gerade von einer, zwar nicht so genauen und scharfsinnigen, aber doch immer sehr sorgfältigen und merkwürdigen Kritik des Erkenntnisvermögens ausgingen und in einem beinahe allgemeinen Skeptizismus endeten.

JAKOB, der vieles zur helleren Einsicht in den Geist des Skeptizismus beigetragen hat, erklärt sich so:
    "Alle Zweifel  betreffen entweder das  Dasein  der Objekte selbst und ihrer Beschaffenheiten oder die  Verknüpfung  derselben; und alle gründen sich entweder auf  die notwendige Unzulänglichkeit  unseres Erkenntnisvermögens, allgemeine und notwendige Beschaffenheiten der Objekte zu erkennen oder auf die  zufälligen subjektiven Einschränkungen  desselben, so daß alle Urteile des Skeptizismus unter folgenden Formeln enthalten sind:

      1) Man kann nicht wissen, ob  von uns  und unseren  Modifikationen verschiedene  Objekte  wirklich  sind und ob sie in einer solchen Verknüpfung stehen, als wir uns dieselbe vorstellen, weil es ganz unmöglich ist, daß Verstand oder Sinne oder beide zugleich uns darüber belehren können.

      2) Man kann nicht wissen, ob die Gegenstände so beschaffen und so verbunden sind, wie wir sie uns vorstellen, weil unsere Erkenntnisvermögen (Sinne und Verstand)  nach der Erfahrung  ganz unzuverlässig sind, und das Vermögen, welches das andere berichtigen soll, immer selbst wieder einer Berichtigung bis ins Unendliche nötig hat, wobei also niemals ein vollkommener Grad der Gewißheit möglich ist. Der Skeptizismus der ersteren Art ist ein  reines  dogmatisches Gebäude. Er sucht aus dem  Begriff des Erkenntnisvermögens  selbst die Unmöglichkeit einer Erkenntnis der Objekte darzutun, und wird also auf  Grundsätze a priori  gebaut."
Die zweite Art ist anfänglich ganz  empirisch.  Häufige Beobachtungen über die Schwäche und die Trüglichkeit der Erkenntniskräfte einzelner Subjekte reizen zur Bedachtsamkeit und Behutsamkeit im Urteilen. Diese macht, daß man sich nach allgemeinen Prinzipien und Kriterien der Wahrheit umsieht, und wenn man solche nach vielem Bemühen nicht finden kann, so entstehen Zweifel, ob die Erkenntniskräfte des Menschen überall ausreichen, sie zu finden, und nachdem man alle, seiner Einsicht nach, möglichen Wege, sie zu erforschen, umsonst versucht hat; so kommt man schließlich dahin, zu behaupten, daß das menschliche Erkenntnisvermögen sie gar nicht ausfindig machen kann, also auch gar  nicht mit gänzlicher Gewißheit über Objekte urteilen  kann. Beide kommen als auf verschiedenen Wegen zu  einem  Ziel, obgleich der letztere nie so weit kommen könnte, wenn er sich nicht mit dem ersteren zuletzt darin vereinigte, daß es unmöglich wäre, daß unser Erkenntnisvermögen mit Gewißheit Objekte erkennen kann. Dies ist aber eine transzendentale Behauptung und kann daher nicht anders, als  a priori  aus der Natur des Erkenntnisvermögens erwiesen werden. Denn wenn man auch noch so viele Schwächen an den Erkenntnisvermögen in der Erfahrung bemerkt, so kann man daraus doch nie auf die gänzliche Unmöglichkeit einer gewissen Erkenntnis der Objekte schließen. Daher beruth im Grunde aller Skeptizismus auf der Behauptung,  daß für unser Erkenntnisvermögen alle objektive Erkenntnis unmöglich ist,  und die häufigen Irrtümer und Täuschungen, die sich als Fakta anbieten, braucht man nur als Zeugnisse, das Räsonnement  a priori,  zu bestätigen; denn, wenn sie auch zum  Beweis  nicht tauglich sind, so leisten sie doch bei der  Überredung  vortreffliche Dienste. Da nun unser Erkenntnisvermögen, sofern es uns mit Objekten und deren Verknüpfung bekannt macht, entweder  Sinn  oder  Verstand  ist, so suchen die Skeptiker aus der Natur beider darzutun, daß sie uns unmöglich mit Objekten bekannt machen können. Ihr alleiniger Grund beruth nun darauf, daß alle Erkenntnisvermögen es nur mit  Vorstellungen  zu tun haben, daß Vorstellungen nie die Objekte selbst sind, und daß kein vernünftiger Grund da ist, von den Vorstellungen auf die Beschaffenheit der von den Vorstellungen ganz verschiedenen Objekte zu schließen, und gar vorauszusetzen, daß die Objekte ansich gerade so beschaffen wären, wie unsere Vorstellungen von denselben beschaffen sind. - - Die Skeptiker sind nicht so töricht, die sich ihnen aufdrängende Überzeugung der Sinne leugnen zu wollen, sie leugnen nicht, daß sie die Sinnenwelt und ihre Empfindungen und Begriffe ebensogut  wahrnehmen wie wir; sie leugnen nur  daß sich unsere Überzeugungen durch die Vernunft rechtfertigen lassen.  Sie leiten den Glauben und die feste Überzeugung von der Gewohnheit oder von der unmittelbaren Einwirkung einer Gottheit oder von anderen Dingen her; und es hat nicht wenig sehr eifrige Theologen gegeben, welche eine mächtige Stütze des Glaubens im Skeptizismus zu finden vermeinten und sich einbildeten, daß kein philosophisches System mit der christlichen Theologie besser harmoniert, als der Skeptizismus, da durch denselben die Schwäche der Vernunft so einleuchtend dargelegt wird. Man braucht nur an BERKELEY und HUET zu denken. - - Aller Skeptizismus gründet sich zuletzt auf die Behauptung, daß sich die  allgemeinen  Prinzipien nicht durch Vernunftgründe erweisen lassen. Denn die Vernunft kann keine Überzeugung hervorbringen als nur dadurch, daß sie den Zusammenhang des Urteils mit einem unbezweifelbaren Prinzip einsieht. Nun  leugnet  aber der Skeptizismus die Vernunftgewißheit der allgemeinen Grundsätze, folglich auch der Sätze, die von ihnen abhängen,  d. h. aller Urteile überhaupt.  Die  Gewißheit  also, welche  wir mit unseren Urteilen verknüpfen,  stammt niemals von der Vernunft ab. Wenn wir die allgemeinen Prinzipien und Grundsätze aus Vernunftgründen rechtfertigen wollten, so müßte es entweder a priori [im Voraus - wp] oder a posteriori [im Nachhinein - wp] geschehen. A priori ist es nicht möglich: denn allgemeine Sätze a priori müßten  angeborene Sätze  sein, ob sie aber mit den Objekten übereinstimmen, kann dann doch nicht  a priori  erkannt werden. A posteriori ist es noch weniger möglich, weil die  Erfahrung  keinen allgemein notwendigen Satz erzeugen kann. - Der Skeptiker erlangt seine ganze  Stärke  dadurch, daß er die Möglichkeit aller objektiven Erkenntnis  a priori leugnet,  und seinen mächtigsten Grund für diese Behauptung findet er in dem Satz:  "daß alle reale und objektive Erkenntnis zuletzt aus der Empfindung entspringt."  Mit ihm ist die Unmöglichkeit allgemeiner Grundsätze notwendig verbunden, und nachdem, mittels desselben, alle Prinzipien für ungültig und ungewiß erklärt sind, zerstört er zuletzt auch sich selbst, zum Beweis, daß gar nichts aus Vernunftgründen gewußt werden kann, als das eine, daß man nichts wissen kann. Diese lehrreiche Beschreibung des Skeptizismus, die nicht kürzer angeführt werden konnte, wenn wir verständlich werden wollen, möchte nur Folgendes zu wünschen übrig lassen. Es ist eigentlich nur eine Beschreibung von HUMEs Skeptizismus, der sich dem Dogmatismus nähert, auf den älteren paßt sie nicht. Es ist  wahrer Dogmatismus,  zu behaupten,  daß für unser Erkenntnisvermögen alle objektive Erkenntnis unmöglich ist - ein Satz, der in der Tat so viel Einsicht in die Natur unseres Erkenntnisvermögens voraussetzt, als sich der echte Skeptiker nie anmaßen wird. Er wird  die Möglichkeit,  daß Objekte außerhalb von uns existieren, ebensowohl zugeben, als die andere, daß unsere Erkenntnis mit denselben harmoniert, und daß nicht mehr und nicht weniger in denselben enthalten ist, als wir von denselben erkennen. Er wird weder jene Unmöglichkeit behaupten, noch diese Möglichkeit  leugnen,  weil es in der Tat keinen ärgeren Dogmatismus geben kann, als den, zu behaupten, daß etwas für uns  zu erkennen überhaupt unmöglich ist.  Der  Idealismus  ist kein Skeptizismus. BERKELEY, auf den sich unser Verfasser beruft, war nichts weniger, als  Skeptiker,  er schrieb vielmehr gegen sie - wiewohl er zur Entstehung des neueren Skeptizismus wider Willen viel beigetragen hat, wie wir in der Folge zeigen werden. Ebenso dogmatisch und dem älteren Skeptizismus fremd ist die Behauptung,  daß alle Erkenntnis ursprünglich durch Empfindung entspringt.  Daß sich die allgemeinen Prinzipien nicht durch Vernunftgründe rechtfertigen lassen, ist in dieser Deduktion des Skeptizismus doch nur von  Vernunftprinzipien, insofern sie sich auf äußerliche Objekte  beziehen, gezeigt. Aber wie die Skeptiker diese Prinzipien, unabhängig von aller äußerlichen Erfahrung, ansehen, ob sie eine Übereinstimmung unserer Vorstellungen mit den Tatsachen unseres Bewußtseins überhaupt, die sich doch nicht bloß auf sinnliche Objekte beziehen, zugeben, oder ob sie auch insofern alle objektive Wahrheit (die Vorstellungen werden hier selbst Objekte) leugnen, ob sie die  logischen Regeln  anerkennen oder nicht? - dies ist in dieser Deduktion nicht bestimmt. Und doch haben die älteren Skeptiker auch gegen diese Punkte ihre Zweifel gerichtet. Daß die höchsten Prinzipien der Vernunft sich nicht mehr durch Vernunftgründe  erweisen  lassen, dies muß der strengste Dogmatiker mit dem Skeptiker zugeben - nur daß der Dogmatiker sie als für sich klar  annimmt,  hingegen derjenige Skeptiker, den unser Verfasser voraussetzt, sie als ungewisse und schwankende Resultate eines veränderlichen Empfindungsvermögens ausgibt. In dieser Definition zeigt sich - was merkwürdig ist - wie in mehreren andern, ein unwillkürlicher Hang etwas dogmatisches in den Skeptizismus zu legen, welches meines Erachtens ein Beweis mehr ist, daß er nur als Kunst, nicht als wirkliche beharrliche Stimmung der Seele möglich ist.

Der neue AENESIDEMUS (2), der dem alten sehr unähnlich ist, stellt den Geist des Skeptizismus auf folgende Art dar:
    "Nach meiner Einsicht", sagt er, "ist der Skeptizismus nichts anderes, als  die  Behauptung, daß in der Philosophie weder über das Dasein und Nichtsein der Dinge ansich und ihrer Eigenschaften, noch auch über die Grenzen der menschlichen Erkenntniskräfte etwas nach unbestreitbar gewissen und allgemeingültigen Grundsätzen ausgemacht worden sei.

    Das Dasein der Vorstellungen und die Gewißheit all dessen, was unmittelbar im Bewußtsein selbst vorkommt und durch dasselbe gegeben ist, hat noch kein Skeptiker bezweifelt. Ebensowenig erklärt auch der Skeptizismus die Fragen, welche die menschliche Vernunft über das Dasein und Nichtsein der Dinge-ansich, über ihre realen und objektiven Eigenschaften und über die Grenzen der Erkenntniskräfte aufwirft, für  schlechterdings und ewig unbeantwortbar:  Er setzt über das, was die Vernunft im Feld der Spekulation leisten kann und vielleicht dereinst auch noch leisten wird, ganz und gar nichts fest. - Er zernichtet nicht alle Hoffnung, daß die Probleme, welche die Vernunft über das Dasein und die Beschaffenheit der Dinge-ansich aufwirft, einst werden aufgelöst werden können - Seine Zweifel  schränken sich auch nur auf dasjenige ein, was man in der Philosophie zu wissen vorgegeben hat,  und gehen die  übrigen Teile der menschlichen Einsichten, insofern solche nicht aus dem Philosophieren über das Ding-ansich schöpfen, gar nichts an. -

    Schon die Erklärungen, welche  Sextus  von der  epoche,  als dem wesentlichen Kennzeichen des Skeptizismus gibt, beweisen, daß ich den echten Geist desselben weder verschönert noch verschlimmert dargestellt habe. - Der Skeptizismus ist weder die  Folge einer gedankenlosen Gleichgültigkeit,  welche sich die Fragen der philosophierenden Vernunft über die Dinge-ansich und über die Grenzen der Macht und Ohnmacht der menschlichen Erkenntniskräfte noch nicht im Ernst vorgelegt hat, noch auch  das Produkt einer Verzweiflung der Vernunft an ihren eigenen Kräften,  welche durch die Unfähigkeit, den Schein von Wahrheit auflösen zu können, welche die Beweise der einander entgegengesetzten Systeme, Theorien und Hypothesen in der Philosophie umgibt, erzeugt wird; sondern vielmehr  die deutlichste und geprüfteste Überzeugung davon, daß alle Versuche, das, was die Dinge-ansich sein oder nicht sein sollen, zu bestimmen, so der Dogmatismus aufzuweisen hat, bisher fehlgeschlagen sind. - Ich wüßte nicht, daß jemals ein Skeptiker die Gültigkeit folgender Sätze bezweifelt hätte.

      1. Es gibt Vorstellungen in uns,  an welchen sowohl mancherlei Unterschiede voneinander vorkommen, als auch gewisse Merkmale angetroffen werden in Anbetracht welcher sie miteinander übereinstimmen.

      2. Der Probierstein alles Wahren ist die allgemeine Logik; und jedes Räsonnement über Tatsachen kann nur insofern auf Richtigkeit Anspruch machen, als es mit den Gesetzen der allgemeinen Logik übereinstimmt.

    Wenn Skeptiker die Gewißheit der Syllogistik bezweifelt haben, so haben sie eigentlich nur dies bezweifelt, daß die Syllogistik uns zu einer Kenntnis der Dinge-ansich verhelfen kann."
Diese Erklärung des Skeptizismus ist  neu,  so sehr der Verfasser sich auch auf ältere berühmte Autoritäten berufen mag. Nach dieser Erklärung gründet sich der Skeptizismus nicht auf die Natur unseres Erkenntnisvermögens, unserer Sinne und unseres Verstandes, sondern auf  die Geschichte der Philosophie.  Er ist eine  Überzeugung,  daß etwas  noch nicht geschehen ist,  zumindest in den uns bekannten Denkmälern philosophischer Forschungen noch  nicht  geschehen ist, was vielleicht einmal geschehen könnte. Er ist also mehr  eine  historische Behauptung, als eine systematische  philosophische  Denkart, also mehr etwas  Zufälliges,  das unter anderen Umständen auch anders sein könnte, als etwas  Notwendiges - eine Überzeugung, die schon deswegen nicht ganz unzweifelhaft und geprüft sein kann, weil sie doch bei einem jeden, der sie hat oder zu haben vorgibt, die Furcht übrig läßt, daß vielleicht in Versuchen, die ihm Unbekannt geblieben sind, welche der menschliche Verstand in entfernten Regionen angestellt hat, welche die Zeit verschlungen oder in Vergessenheit gebracht hat, etwas unwidersprechliches über die  Dinge-ansich  und die  Grenzen der menschlichen Erkenntniskräfte  festgesetzt worden ist. Der Verfasser macht die Philosophie über das Ding-ansich zum einzigen Gegenstand des Skeptizismus und schließt alle übrigen Teile der menschlichen Einsichten davon aus. Er beruft sich dabei auf SEXTUS und weiterhin auf HUME. - Aber hat SEXTUS nicht alle Teile der menschlichen Erkenntnis angegriffen? Hat HUME nicht die  Vernunft  selbst und ihre höchsten  Prinzipien  wankend gemacht? Ich enthalte mich, dies hier zu zeigen, da es die nachfolgende Geschichte erweisen wird. Auch das haben die Skeptiker geleugnet, oder vielmehr bezweifelt, daß die  allgemeine Logik der Probierstein alles Wahren sein soll.  Sie erkannten überhaupt gar keinen Probierstein des Wahren an, wie sich der Leser des SEXTUS aus dem zweiten Buch der  Hypotyposen  und seiner Schrift gegen die Logiker erinnern wird. SEXTUS bestreitet alle Regeln der Logik und zwar an und für sich, nicht mit der Einschränkung, daß er nur das bezweifelt, ob uns die Logik zu einer Kenntnis der Dinge-ansich helfen kann.

Tief ist PLATNER in den Geist des Skeptizismus eingedrungen. Er ist nach seiner Bestimmung die Denkart eines solche, der von der  objektiven Wahrheit  nicht überzeugt ist, der diese seine Nichtüberzeugung aus dem verdächtigen Anschein des menschlichen Erkenntnisvermögens rechtfertigt, ohne dartun zu wollen, daß es jedermann so verdächtig vorkommen muß. Der Skeptiker will die Nichtigkeit des Erkenntnisvermögens nicht erweisen, sondern erörtert nur die Ursachen, warum er in demselben den Maßstab der Wahrheit nicht anerkennt. Er hält  nichts für wahr,  als das  Dasein  unserer  sinnlichen  und  vernünftigen  Vorstellungen, die  Gegenstände  von  jenen  und die  Gründe  von  diesen  erklärt er für völlig unbekannt. Da aber mit beiden Gattungen von Vorstellungen eine  Unmöglichkeit,  sie zu  ändern,  und dem  Schein  derselben zu folgen, verbunden ist, so wird dadurch eine  vollkommene subjektive Überzeugung  hervorgebracht, die wir nicht vernichten oder unterdrücken können, der wir also gemäß  urteilen  und  leben. - Ein solcher Skeptizismus ist die einzige konsequente Denkart für die Philosophie - und die einzige konsequente Philosophie für die geoffenbarte Religion. Dies ist ohne Zweifel die Schilderung des echten konsequenten Skeptizismus, insofern er in einer Menschenseele existieren kann. Nur zweifle ich, ob PYRRHO und SEXTUS sich ihn so gedacht haben, was dieser Verfasser wirklich anzunehmen scheint. Ihre Zweifel sind zum Teil auch gegen die subjektive Überzeugung gerichtet, wie sich in der Folge noch deutlicher zeigen wird, und dies wird ganz begreiflich, wenn man annimmt, daß ihr Skeptizismus überhaupt mehr eine  Rolle,  eine  Kunst,  als ein  System  war und daß auch SEXTUS ihn beinahe nirgends psychologisch als Denkart entwickelt. Wo ich nicht irre, so muß PLATNER bei seiner Darstellung doch gewisse,  allen Menschen gemeinschaftliche, Erscheinungen und subjektive Überzeugungen  annehmen, welches die älteren Skeptiker bei jeder Gelegenheit bestritten haben. Nicht einmal in  Anbetracht der Gegenstände der reinen Mathematik,  wo es doch am ehesten zu erwarten war, würden sie eine allgemeine Einstimmigkeit der Köpfe zugegeben haben, wenn sie sich auch bloß deswegen auf ihre eigenen Zweifel gegen diese Gegenstände hätten berufen müssen. Selbst den Begriffen des Möglichen und Notwendigen, die allen Menschen gemeinschaftlich sind, würden sie vielleich ein  Dasein in ihrem Bewußtsein  zugestanden haben, aber sie würden wahrscheinlich aus ihrem ungewissen Ursprung Zweifel gegen dieselbe erregt und jede Anwendung dieser Idee auf was für Gegenstände mit Zweifeln bekämpft haben.

REINHOLD (3) fordert zum Wesen des philosophischen Skeptizismus auch schon in der weitesten Bedeutung dieses Ausdrucks, daß er von  Grundsätzen,  d. h. von Urteilen der Vernunft, die keines Beweises fähig oder bedürftig sind, ausgeht. Er sei, behauptet er weiter, der  philosophischen Überzeugung, daß man sein Urteil über gewisse Gegenstände auf immer zurückhalten muß.  Er setzt  dogmatisch  fest, daß über diese Gegenstände kein gründliches Urteil möglich und jedes mögliche Urteil grundlos ist, halte also über dieselbe sein Urteil zurück und befinde sich  insofern  im Zustand des Zweifels.  Das Fundament des philosophischen Skeptizismus,  oder den  Inhalt der Grundsätze,  von welchen er ausgeht, machen nicht die  logischen Regeln des Denkens  aus, sondern  gewisse allgemeine Tatsachen des Bewußtseins durch Gefühle und Begriffe vorgestellt. Die  Wahrheit seines Fundaments,  die der Skeptiker zugeben muß, besteht in der  Übereinstimmung  seiner logisch-richtigen Begriffe, von den wirklichen Tatsachen seines Bewußtseins mit  diesen Tatsachen selbst.  Die  Wahrheit,  mit der es der Skeptiker zu tun hat, betrifft also nicht die  logischen  Regeln, sondern einen  Gebrauch derselben,  der sie zwar voraussetzt, der aber nicht allein von ihrer Wahrheit abhängt. Der  Gebrauch dieser Regeln  setzt nicht nur eine Abwesenheit des Widerspruchs im Denken, sondern  einen Inhalt der Gedanken  voraus, der bloß durch die Tatsachen des Bewußtseins gegeben werden kann. Die  objektive Wahrheit  oder die Übereinstimmung der Vorstellungen mit den von ihr verschiedenen und unabhängigen Objekten, die der Skeptiker allein bekämpfen kann, kann er schlechterdings nie durch  logische Regeln allein  bekämpfen. Alle bisherigen Skeptierk haben die  objektive Wahrheit  für die  Übereinstimmung  der Vorstellung mit dem Ding-ansich erklärt. Diese Übereinstimmung haben die  Pyrrhonier  geleugnet und sich dabei  vorzüglich  auf die  Relativität  des Zeugnisses der  Organe  bei den empirischen Vorstellungen des äußeren Sinns berufen, wodurch jene Übereinstimmung unmöglich gemacht wird. Hierdurch würde freilich die  objektive Wahrheit  nur den  Wahrnehmungen der Sinne  abgesprochen. Allein um dieses Urteil auf alle, auch auf die  durch Vernunft vorstellbaren Merkmale realer Objekte,  auszudehnen, habe man nur den Begriff der  Substanz  durch das  Merkmal der Empfindbarkeit  denken dürfen. Was sodann nicht  empfindbar  ist, läßt sich als keine Substanz denken - wodurch dann die  objektive Wahrheit  auch den Vorstellungen durch eine Vernunft abgesprochen wird. Diese Darstellung hat das große Verdienst, daß dadurch genauer, als vorher geschehen war, bestimmt ist, worin die  subjektive Wahrheit  besteht, welche der Skeptizismus zugeben muß, sobald er systematisch und konsequent werden soll. Aber den  Pyrrhoniern  wird hier ein Skeptizismus zugeschrieben, den sie nicht gehabt haben. Die Pyrrohonier  leugneten die Übereinstimmung unserer Vorstellungen mit den Dingen ansich nicht,  sie  bejahten  sie auch nicht, sie  bezweifelten  sie. Daran wird  vielleicht  niemand zweifeln, daß dieses oder jenes Objekt uns erscheint, sagt SEXTUS, aber ob es so beschaffen ist, wie es erscheint, das ist die Frage. Also  eine Frage  war es, etwas das  erst gesucht,  d. h. nach dem skeptischen Sinn des Wortes, das bezweifelt wurde, war es, ob die Gegenstände so beschaffen sind, wie sie uns erscheinen. Auch das bezweifelten die  Pyrrhonier,  ob überhaupt  diesen Erscheinungen Gegenstände,  außerhalb von uns korrespondieren; vorausgesetzt aber auch, daß dem wirklich so wäre, so warfen sie den neuen Zweifel auf, ob uns diese Gegenstände nach ihrer  wahren Beschaffenheit  erscheinen, indem sie die verschiedenen Erscheinungen derselben Gegenstände bei verschiedenen Personen und unter verschiedenen Umständen einander entgegensetzten. Hieraus kann man mit Wahrscheinlichkeit schließen, daß die Pyrrhonier schon den Unterschied zwischen Objekten, wie sie  ansich  und wie sie  in der Erscheinung  beschaffen waren, zu machen wußten. Wie weit aber die Pyrrhonier die Skepsis getrieben haben, erhellt sich noch aus einem anderen Umstand in der angeführten Stelle des SEXTUS. Er drückt sogar  das  zweifelhaft, mit dem skeptischen Wörtchen isos [vielleicht - wp] aus, ob jedermann Erscheinungen zugibt. Wir werden also hier abermals darauf geleitet, daß der ältere Skeptizismus kein System, sondern eine Kunst war.

Die Definitionen des Skeptizismus, die wir bisher angeführt und beurteilt haben, leiten auf das Resultat, daß man, wenn man ihn als Denkart oder System betrachtet, verschiedene Gattungen desselben unterscheiden kann und muß: denn nichts von all dem, was die angeführten Verfasser  Skeptizismus  nennen, ist dieses Namens ganz unwert. Am richtigsten stellt man sich wohl diese  verschiedenen Gattungen  vor, wenn man sie als  Grade  denkt, die in größerer oder kleinerer Entfernung vom  Ideal des allgemeinen Skeptizismus  liegen. Dieses Ideal ist in keiner Menschenseele erreichbar; damit es aber realisiert werden kann, so kann man entweder mehr oder weniger von demselben hinwegnehmen, oder da es etwas  Letztes  etwas  Negatives  ist, mehr oder weniger zu demselben hinzuzusetzen. Also der erste oder niedrigste Grad des Skeptizismus wäre der, wenn man  Erscheinungen, Tatsachen des Bewußtseins  zugesteht, die unwiderstehlich zum  Beifall  und  Handeln  nötigen - übrigens sonst alles für zweifelhaft erklärt. Ein  zweiter Grad  wäre der, wenn man die  subjektive Wahrheit  zugesteht, und alle  objektive Wahrheit  bezweifelt, die Objekte mögen nun durch die Sinne oder die Vernunft vorstellbar sein. Da aber die subjektive Wahrheit entweder bloß in der Übereinstimmung unserer Gedanken  unter sich,  oder in der Übereinstimmung unserer  Vorstellungen  mit den  Tatsachen  des Bewußtseins, oder in  beiden  bestehen kann, so ist von sich selbst klar, daß dieser Grade wieder verschiedene Grade zuläßt, je nachdem man entweder mehr oder weniger von der subjektiven Wahrheit zugesteht. Ein  dritter Grad  des Skeptizismus wäre der, wenn man von einem  dogmatischen Leugnen  der Übereinstimmung unserer Vorstellung mit der wahren Beschaffenheit der Objekte außerhalb von uns ausginge und auf dieses Leugnen ein Bezweifeln der objektiven Wahrheit gründen würde. Auch dieser Grad kann wieder verschiedene andere Grade haben, je nachdem entweder alle Übereinstimmung unserer Vorstellungen mit den Objekten oder nur ein Teil derselben geleugnet wird, je nachdem man z. B. den Körpern nur die  qualitates secundarias  oder auch die  primarias  abspricht - die Kenntnis der Gottheit ansich ihrem Wesen nach, oder auch in ihrer Beziehung auf uns leugnet. Ein  vierter  Grad von Skeptizismus wäre der, wenn nicht die  Möglichkeit  der objektiven Wahrheit für uns, sondern nur die  Wirklichkeit  der erkannten  objektiven  Wahrheit  geleugnet  wird, aber so, daß man  hofft,  die Philosophie werde vielleicht einmal noch bestimmen können, was die die Dinge ansich sind. Insofern kann man den  hoffnungslosen  und den  hoffenden Skeptizismus  unterscheiden. Diese Gattung grenzt von der einen Seite an den vollendeten Skeptizismus der Alten, von der anderen an den Dogmatismus. Die alten Skeptiker stellten sich als solche dar, welche die  Wahrheit suchen,  ließen also die Hoffnung übrig, daß sie vielleicht einmal  gefunden  werden kann. - Hingegen unterscheiden sie sich doch dadurch, daß sie nicht  schlechthin leugneten,  daß etwas von objektiver Wahrheit bereits entdeckt ist, und daß sie ihre  Zweifel  nicht bloß auf die objektive Wahrheit einschränkten. Jene Gattung grenzt also schon aus diesem Grund an den Dogmatismus, aber außerdem noch deswegen, weil dabei die Überzeugung zugrunde liegt, von der jeder auch nur etwas vorsichtige Dogmatiker bei der Untersuchung der Wahrheit ausgehen wird, daß man so nach ihr forschen muß, wie wenn sie noch gar nicht entdeckt worden wäre und daß man sein Urteil bis zur vollendeten Untersuchung zurückhalten muß. Ebenso ließen sich nun noch mehrere Grade des Skeptizismus in größerer oder kleinerer Entfernung vom Ideal desselben denken. Wenn man eigensinnig darauf beharren wollte, daß nur eine gewisse bestimmte Denkart diesen Namen verdient, so würde man der Natur der Sache widersprechen, und eine Geschichte des Skeptizismus wo nicht unmöglich, so doch dürftig und uninteressant machen, daß sie kaum die Mühe der Bearbeitung verdient. Die skeptische Denkart hat ihrer Natur nach etwas Unstetes und Schwankendes, und diese Eigenschaft hat sie in dem Grad, daß selbst der echte philosophische Skeptiker, der von bestimmten und festen Grundsätzen ausgeht, sich oft am Ende geneigt fühlt, selbst jene Grundsätze zum Gegenstand des Zweifels zu machen.

Wir haben bisher verschiedene Gattungen des Skeptizismus  als verschiedene Denkarten  im menschlichen Gemüt unterschieden. Man kann noch andere Gattungen desselben unterscheiden, wenn man auf die  verschiedenen Quellen  und auf die  verschiedenen Gegenstände  desselben Rücksicht nimmt. Von jenen werden wir im folgenden Abschnitt besonders reden, über diese wollen wir hier noch einige Bemerkungen machen.

Die Gegenstände des Skeptizismus können eben so verschieden sein, wie die Gegenstände der menschlichen Erkenntnis überhaupt und die Geschichte lehrt, daß keiner derselben vom Skeptizismus unangetastet geblieben ist. Aber eben diese Lehrerin gibt auch das Resultat, daß der Skeptizismus von jeher  am meisten  unmittelbar gegen die Philosophie und  in dieser  am meisten gegen denjenigen Teil derselben gerichtet war, welcher die Objekte des Denkens außerhalb von unseren Vorstellungen betrifft. Eine solche Art des Angriffs konnte zugleich dazu dienen, die Gründe aller Wissenschaften ohne Unterschied zu erschüttern. Wenn der Skeptiker auch die  formale Wissenschaft, die Regeln des Denkens,  ja alle Tatsachen des Bewußtseins stehen ließ, so galt doch der Angriff auf die Philosophie in Anbetracht der Objekte allen Wissenschaften ohne Unterschied, die empirische Psychologie als Geschichte der Seelenwirkungen und Logik ausgenommen. Nun sind aber die Objekte unserer Vorstellungen entweder  sinnlich  oder  übersinnlich.  Von jenen handelt die  Naturwissenschaft  in ihrem weitesten Umfang, von diesen die  sogenannte  rationale Psychologie, die Theologie und die  Moral Daher sind von jeher die meisten und stärksten Angriffe des Skeptizismus gegen die metaphysischen Lehren von der Körperwelt, ihrem Ursprung, ihren Veränderungen, gegen die Ideen von Raum und Zeit, insofern wir uns die Körper in derselben denken, gegen die Lehre vom Wesen, vom Ursprung, von der Dauer der Seele, gegen die Lehren von der Existenz der Gottheit, ihren Eigenschaften und Werken, von freien moralischen, sich allgemeine und notwendige Gesetze vorschreibenden Wesen überhaupt, gerichtet gewesen. Hierin stimmen die älteren und neueren Skeptiker, die sonst in so manchen Stücken voneinander abweichen, miteinander überein. Auch wenn die älteren Skeptiker so viele Einwürfe gegen die Logik machen, so betreffen diese Einwürfe doch  mehr die Anwendung logischer Regeln auf Objekte,  als diese Regeln ansich. Obgleich aber die Hauptangriffe des älteren Skeptizismus auf die benannten Gegenstände gehen, so lassen sie sich doch die Mühe nicht verdrießen, ihre Kunst auch gegen andere Wissenschaften zu richten und die Anmaßungen der damaligen Dogmatiker in allen Feldern zu schlagen, worauf sich die neueren Skeptiker nicht eingelassen haben. Die Werke des SEXTUS sind  größtenteils gegen die Logiker, Physiker und Ethiker  gerichtet, aber auch die  Grammatiker, die Rhetoriker, die Geometer, die Arithmetiker, die Astrologen und die Musiker  hält er, wiewohl nicht so zahlreicher Angriffe wert.

Wenn man nun den Skeptizismus von den  Hauptobjekten,  die er immer gehabt hat, benennen und nach diesem  Gesichtspunkt  einteilen will, so kann man den  physischen,  den  logischen, den psychologischen, den moralischen und den theologischen  und zwar bei diesem noch den  atheistischen  von den  supernaturalistischen  unterscheiden. Diese Unterscheidung gehört aber nicht bloß zur  Methode,  sondern zur  Sache,  indem sich die  eine  dieser Gattungen  ohne die andere  bei manchen Philosophen gefunden hat, die, so dogmatisch sie auch in manchen Punkten gedacht haben, doch von der Zahl der Skeptiker nicht ausgeschlossen werden können. Einige Skeptiker haben mehr Mißtrauen in die Sinne und mehr Vertrauen auf die Vernunft, andere mehr Vertrauen auf die Sinne und mehr Mißtrauen in die Vernunft gesetzt. Jene konnten den physischen Skeptizismus ohne die übrigen Gattungen, diese den logischen, psychologischen, moralischen, theologischen Skeptizismus ohne den physischen verteidigen, ohne inkonsequent zu sein. Übrigens lehrt die Geschichte der Philosophie, daß die Skeptiker oft inkonsequent genug waren, um eine Art des Skeptizismus anzunehmen und eine andere zu verwerfen, indem doch beide zu ein und derselben Gattung gehörten. So hat es z. B.  atheistische Skeptiker  gegeben, die keine  supernaturalistischen  waren, d. h. solche, welche das Dasein Gottes aus Vernunftgründen durchaus bezweifelten, und aus übernatürlicher Offenbarung annahmen. Der  historisch  und  mathematische Skeptizismus  sind unter den bereits angegebenen Gattungen begriffen. Sie haben zwar ihre Verteidiger gefunden, sind aber nie so weit ausgebildet worden, als es die Sache selbst erlaubt hätte. Die Natur dieser verschiedenen Gattungen des Skeptizismus nun, so wie die mannigfaltigen Mischungen derselben in verschiedenen Zweiflern werden wir in der Geschichte selbst genauer beschreiben.
LITERATUR - Karl Friedrich Stäudlin, Geschichte und Geist des Skeptizismus vorzüglich in Rücksicht auf Moral und Religion, Leipzig 1794
    Anmerkungen
    1) Ich meine hier nicht gerade diejenige, welche SEXTUS anführt, die sich noch auf allgemeinere reduzieren lassen, aber etwas Ähnliches.
    2) Aenesidemus,  oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementarphilosophie. Nebst einer Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik, 1793, Seite 24f.
    3) REINHOLD, "Abhandlung über den philosophischen Skeptizismus" vor TENNEMANNs Übersetzung von HUMEs "Untersuchung über den menschlichen Verstand", Jena 1793.