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BERTHOLD KERN
Das Erkenntnisproblem
und seine kritische Lösung

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"Die Empfindung soll uns ohne unser Zutun, in passiver Rezeptivität, gegeben, ein ursprüngliches Element unserer Erkenntnis und als solches ihrem Wesen nach verschieden von allen übrigen Erkenntnisbestandteilen sein, das spezifische Kennzeichen der Sinnlichkeit im Gegensatz zu den begrifflichen Erzeugnissen des Denkens, - das ist die traditionelle, von Kant nur aufgenommene Meinung, und sie ist von Anfang bis Ende falsch."

"Die Empfindung ist kein ursprüngliches Element unserer Erfahrung. Ihre vermeintliche Unmittelbarkeit, qualitative Einfachheit und passive Natur ist vielmehr ein bloßes traditionelles Dogma und die prüfungslose Beibehaltung jenes Dogmas, welches die Empfindung als ein unauflösliches Erkenntnis- oder Vorgangselement bewertet, trotzdem daran schon genügsam gerüttelt worden ist, kann nicht mehr gerechtfertigt werden."

"Wir sehen, daß sich schon bei scheinbar einfachsten Sinnesvorgängen ein höchst verwickelter Prozeß abspielt, und können kaum annahmen, daß diesem in psychologischer Hinsicht ein einfaches und unauflösbares Element entspricht; wir werden vielmehr recht deutlich darauf hingewiesen, daß das, was wir Empfindung nennen, das spezifische Ergebnis einer Beurteilung der ihr zugrunde liegenden Verhältnisse ist. Im Denken werden diese Verhältnisse beurteilt, werden ihnen die unterscheidenden Merkmale des Lichts, der Farbe, des Tones, des Geräusches, der Wärme usw. beigelegt, werden jene bestimmten und anschaulichen Begriffe gewonnen, die wir als Empfindungen zu bezeichnen pflegen."

"Ziehen wir ferner in Betracht, daß ein sehr großer Teil unserer Denkhandlungen - ich erwähne nur die Urteile und Schlüsse des alltäglichen Lebens, das Lesen, Schreiben, Sprechen - sich schließlich fast ohne Bewußtsein rein automatisch vollzieht, so können wir kaum noch Bedenken tragen, auch die Empfindung als automatisch gewordenes Urteil, als einen im Urteil gewonnenen Begriff anzuerkennen. Ihre Anschaulichkeit ist lediglich ein Ausdruck für die eingeübte Unmittelbarkeit dieser Art von Begriffsbildung."

"Der vermeintliche Wahrnehmungsakt ist ein bloßer begrifflicher Ausdrucksakt. Damit fällt jeder zweideutige Charakter von Empfindung und von Wahrnehmung gleichermaßen fort. Dasselbe gilt natürlich auch für den nur an Inhalt reicheren Begriff der Erfahrung. Diese Klarstellung des Begriffsinhalts ist wesentlich für die Ausschaltung all der Fehler, welche sich mit den Ausdrücken der inneren Wahrnehmung und Erfahrung auch noch heute verbinden."


II. Abschnitt
Der Erkenntnisinhalt und seine Analyse

1. Die Erfahrung

KANT ist der Erste, welcher nicht von dem Weg ausgeht, auf dem wir zur Erkenntnis gelangen, und nicht vom Organ, dem menschlichen Verstand, durch welches wir sie gewinnen, auch nicht vom Zweck, zu dem wir ihrer bedürfen, oder vom Dogma, das durch sie gerechtfertigt werden soll, sondern der Frucht, die in ihrer Entwicklung uns gereift ist, vom fertigen Inhalt unserer Erfahrung. Das ist die Eigenart seiner Methode, die damit einen durchaus neuen Weg einschlägt. Er erkennt die Selbständigkeit des Problems, die über allen Sonderwissenschaften liegt, er erkennt seine Gliederung, die den Ursprung, den Wahrheitswert und den Geltungsbereich der Erkenntnis umfaßt, und er erkennt den inneren Zusammenhang dieser Teile untereinander. Bis zu diesem Umfang erweitert sich bei der Bearbeitung sein Gesichtskreis, seine Fragen und seine Antworten. Nicht mehr wie die Rationalisten will er die Erfahrungstatsachen in Vernunftwahrheiten umsetzen und nicht mehr wie die Sensualisten den Weg der Erfahrung untersuchen, um schließlich an der Subjektivität des Denkens oder der Sinne hängenzubleiben, sondern er wendet sich an den Inhalt der vollentwickelten Erfahrung, um zu untersuchen, welche Bestandteile in ihm enthalten sind, und diese Bestandteile nach ihrem Ursprung, Wert und Zusammenhang zu bestimmen. Dieser Inhalt brauchte keineswegs ein vollständiger, die Erfahrung keineswegs eine abgeschlossene oder unveränderliche zu sein; beliebige Stücke ihres Inhaltes waren ja ausreichend, um ermitteln zu lassen, aus welchen grundsätzlichen Elementen sie besteht. Es war auch kein allgemeiner Begriff der Erfahrung, aus dem er deduzierte, sondern ihr Gehalt an Erkenntnissen, ein induktiv gewonnenes Ergebnis der Menschheitsentwicklung, war ihm das Objekt, über dessen Wesen er sich klar werden wollte aus seiner elementaren Beschaffenheit. Die Methode, deren er sich hierbei bediente, war auch ihrerseits eine empirische: Analyse, Induktion und logisches Experiment und innerhalb dessen die berechtigten und unentbehrlichen Deduktionen.

Und an die Erfahrung durfte er sich damit wenden; denn daß wir mittels der Erfahrung im alltäglichen Leben wie in der Wissenschaft sogar die Natur zu meistern und zu beherrschen imstande sind, das war auch der damaligen Zeit nicht unbekannt, und hierin lag genug der Gewähr, daß die Erfahrung kein bloßer subjektiver Trug ist, mochte sie zugleich auch ein erkenntnistheoretisches Problem sein. Zu betonen ist dabei nur der Unterschiede zwischen dem Inhalt der Erfahrung und dem Gegenstand der Erfahrung. Gegenstand der Erfahrung ist die Welt ohne Beziehung auf unser Bewußtsein, Inhalt unserer Erfahrung dagegen die Welt, soforn sie für uns Erkenntnis- und Bewußtseinsinhalt geworden ist. Der Gegenstand der Erfahrung kennzeichnet die Aufgabe der Natur- und Geisteswissenschaften, das Wesen der Erfahrung ist das Problem der Erkenntnistheorie, ihr Tatbestand deren berechtigte Grundlage.

So war es gewissermaßen ein Querschnitt durch den Tatbestand der Erfahrung, den KANT gleichsam makroskopisch und mikroskopisch durchmusterte und anatomisch zergliederte, um seine elementaren Bestandteile zu ermittelnn und die Struktur des gesamten Gewebes zu bestimmen. Bei seiner Zergliederung stoßen wir unter anderem auf sinnliche Vorstellungen von dinglichen Gegenständen, die mit allerlei Eigenschaften behaftet sind und untereinander in bestimmter räumlicher und im Fluß des Geschehens auch in zeitlicher Ordnung und in allerlei anderen gesetzmäßigen Beziehungen stehen. Führen wir die Analyse durch, so erhalten wir letzte Elementarbestandteile, unter denen KANT sinnliche Empfindungen, Formen der Anschauung und reine Stammbegriffe des Denkens unterschieden hat. Die Formen der Anschauung beherrschen die räumliche und zeitliche Ordnung, die begrifflichen Formen des Denkens das systematische Gefüge des Empfindungs-, Anschauungs- und Denkinhaltes. Setzen wir anstelle des Seinszustandes das Werden der Vorstellungen, so erhalten wir ein Bild dessen, was wir Wahrnehmen und Denken nennen, und wenn wir den Wechsel der Vorstellungsinhalte verfolgen, so finden wir im Inhalt der Erfahrung auch noch eine dem Geschehen eigene Ordnungsform, die wir Gesetz nennen.

Mit dem Hergebrachten entscheidend zu brechen, war KANT noch nicht vergönnt. Die geschichtliche Trennung von Sinnlichkeit und Verstand, von Wahrnehmung und Denken steckte ihm noch ihm Blut. Sie wurde bei ihm zur scharfen Unterscheidung und inhaltlichen Gegenstellung von Empfindung und Begriff, insofern er auf die Elementarbestandteile der Erfahrung zurückging. Für die Bewertung der Erkenntnis wurde diese Scheidung von ausschlaggebender Bedeutung. Erfahrung wurde ihm dadurch zum "Produkt des Verstandes aus Materialien der Sinnlichkeit". Den Empfindungen sprach er den Ursprung aus den Dingen, allem übrigen Erfahrungsinhalt den Ursprung aus der Sinnlichkeit und dem Verstand zu. Den Empfindungen als dem Material der Erfahrung setzte er so die Form der Erfahrung gegenüber und fragte darüber hinaus mit verneinendem Ergebnis, ob wir aus dem Verstand allein Erkenntnisse über eine außerhalb von uns liegende, d. h. von unserem Denken unabhängige Wirklichkeit gewinnen können. Außer den Empfindungen, die zwar ihren Ursprung in den Dingen haben, ihre Beschaffenheit aber durch die Sinne erhalten, liefert ihm die Sinnlichkeit als solche, unabhängig von den Dingen, die Vorstellungen von Raum und Zeit als reine Anschauungen, als Formen der Sinnlichkeit, und der Verstand die reinen Stammbegriffe der Einheit, der Realität, der Substanz, der Ursache und Wirkung usw., all das aber als lediglich subjektive Gebilde, die abhängig sind von unserer menschlichen Organisation und den Inhalt unserer Erfahrung zur bloßen "Erscheinung" machen. Den Empfindungsinhalt wandelt unser Denken selber zu seienden Gegenständen um, deren empirische Realität lediglich in der Gesetzmäßigkeit und der Allgemeingültikeit jenes sie erzeugenden Denkvorgangs begründet liegt. Damit trat das "Ding-ansich" als Grenzbegriff, als hypothetisches und noch notwendig anzunehmendes, jedenfalls aber unerkennbares Etwas der Erscheinung gegenüber und mit ihm eine transzendente Wirklichkeit im Unterschied zum Inhalt unserer Erfahrung. Denselben Gedankengängen mußte sich auch die innere Erfahrung fügen, die von einem inneren Sinn abhängig wurde. Die eingeborenen Ideen der Rationalisten wurden bei KANT zur Anlage und Organisation von Sinnlichkeit und Verstand. Und schließlich wurde so auch der Gesamtinhalt unserer Erkenntnis, soweit er sich über unsere eigenen Anschauungs- und Denkformen hinauserstreckt, zu einem Produkt aus den Wirkungen der Dinge-ansich auf unsere Sinne und aus den Zutaten, welche Sinnlichkeit und Verstand dazu lieferten in der Form von Raum und Zeit, von Denkbegriffen, von Gesetzesvorstellungen und von weiteren intellektuellen Konstruktionen, deren objektive Gültigkeit KANT aus seinem transzendentalen Prinzip herleiten mußte, aus einer transzendentalen Apperzeption, einem Bewußtsein überhaupt, einem transzendentalen Ich.

Dieses lediglich auf logische Notwendigkeit gegründete transzendentale Prinzip konnte jedoch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Denkinhalt und realer Wirklichkeit, nach dem Geltungswert und Wahrheitswert unserer Erkenntnis nicht befriedigen, sie schob das eigentliche Erkenntnisproblem nur zurück in eine logische Wolke, an der es seine Grenze, aber keine Lösung fand. Seine Lösung wurde durch die Fehler KANTs unmöglich gemacht, und die unvermeidliche Folge war eine Erneuerung der spekulativen Lösungsversuche, wenn auch nunmehr auf kritischer Grundlage. Als Vorbedingung jeder weiteren Verfolgung des Erkenntnisproblems ist daher die Erkenntnis und Ausschaltung der Fehler KANTs anzusehen, um die sich die jüngste Zeit mit so außerordentlicher Energie und tiefsinniger Scholastik bemüht hat und noch immer bemüht. Zwar wird hiermit allein die Lösung des Problems noch nicht erreicht, aber doch der Weg zu ihr wieder freigemacht.

Der Dualismus von Denken und Welt bleibt der gordische Knoten im Erkenntnisproblem. Nicht ihn gelöst zu haben, wohl aber den einzig möglichen Weg zu seiner Lösung betreten zu haben, ist der Fortschritt und das Verdienst des nachkritischen Idealismus gewesen. Eins von beidem mußte aufgehoben werden, das Denken oder die Annahme einer vom Denken unabhängigen Welt und mit ihr der Unterschied zwischen Sinnlichkeit und Denktätigkeit, diese geradezu unerschöpfliche Quelle inhaltsleerer Widersprüche. Daß Ersteres undenkbar ist, ist unmittelbar klar; daß Letzteres aber möglich ist, wollten FICHTE und HEGEL zeigen, wie es in vorkritischer Zeit auch BERKELEY und COLLIER bereits in sehr analoger Weise getan haben. Sie alle haben in ihrer Art das Erkenntnisproblem auf gleichen Wegen widerspruchslos gelöst, nur daß die Lösung für die positiven Wissenschaften nicht verwertbar und für letztere jene Wege nicht gangbar waren.

All Angriffe, die jemals gegen KANTs Erkenntniskritik gerichtet worden sind und gerichtet werden konnten, richten sich in ihrem inhaltlichen Kern gegen seine Bewertung der "Empfindung" und gegen sein "Ding-ansich". Beides steht in enger Beziehung zueinander. Insbesondere die Empfindung bildet denjenigen Punkt, an dem KANTs kritische Untersuchungen aufgehört, an dem sie gar nicht angesetzt haben. Und doch ist sie der Eckstein seines ganzes Systems und die Quelle all seiner Schwierigkeiten, die mit einer richtigen Bewertung der Empfindung ohne weiteres verschwinden.

Die Empfindung soll uns ohne unser Zutun, in passiver Rezeptivität, gegeben, ein ursprüngliches Element unserer Erkenntnis und als solches ihrem Wesen nach verschieden von allen übrigen Erkenntnisbestandteilen sein, das spezifische Kennzeichen der Sinnlichkeit im Gegensatz zu den begrifflichen Erzeugnissen des Denkens, - das ist die traditionelle, von KANT nur aufgenommene Meinung, und sie ist von Anfang bis Ende falsch.

Fragen wir zunächst nach den Gründen für die scharfe Unterscheidung zwischen Empfindung und anderem Gedankeninhalt, so wird meistens die Lebhaftigkeit, die Plötzlichkeit und wechselvolle Veränderlichkeit des sinnlichen Eindrucks betont. Das mag im allgemeinen richtig sein, trifft aber durchaus nicht für alle Fälle zu, ohne daß dadurch die Unterscheidung und ihre Sicherheit beeinträchtigt wird. Der Unterschied ist ein anderer. Er liegt für die Empfindung im Gefühl unserer Abhängigkeit und in ihrer Anerkennung. Sobald wir uns von dieser Abhängigkeit, von diesem eigentümlichen Zwang überzeugen, dem eine Vorstellung unterliegt, nennen wir deren Inhalt Empfindung. Können wir uns von dieser Abhängigkeit nicht überzeugen, dann betrachten wir einen Vorstellungsinhalt als eine bloß subjektive Erscheinung ohne Allgemeingültigkeit, als ein Wahn- oder Phantasiegebilde, als einen Traum oder als Irrtum oder als Erinnerung. Schon das beweist hierbei den Tatbestand eines Urteils. Unsere Aussage "Empfindung" im Gegensatz zu den empfindungslosen Vorstellungen enthält bereits ein Existentialurteil. Und dieses Urteil ist ein ausgesprochen logisches, ein Urteil, welches die Abhängigkeit aufgrund irgendwelcher logischer Erwägungen anerkennt. Diese Erwägungen brauchen nicht immer logische Schlüsse zu sein. Meist sogar sind sie nur die unmittelbare Gewißheit, daß wir auf eine Abhängigkeit stoßen, die wir nicht selbst erzeugt haben. Ebenso häufig ist das Urteil ein gewohnheitsmäßiges, ein eingeübtes. Das alles sind aber nur Gradunterschiede, nicht Artunterschiede hinsichtlich der Beschaffenheit jenes Urteils. Wir täuschen uns deshalb leicht, wenn unsere Urteilsfähigkeit beeinträchtigt ist. So gehören im Schlaf, im Traum, bei geistiger Ermüdung Täuschungen dieser Art zu den alltäglichen und charakteristischen Vorkommnissen. Reihen wir diesen Tatsachen nun noch die Beobachtungen bei Geisteskranken an, so sehen wir hier mit ganz besonderer Regelmäßigkeit derartige Täuschungen in der Form von Halluzinationen auftreten, sobald die allgemeine Urteilsfähigkeit beeinträchtigt ist. Subjektive Vorstellungen jeder Art werden dann leicht als wirkliche Empfindungen und Wahrnehmungen aufgefaßt.

Ferner ist die Empfindung kein ursprüngliches Element unserer Erfahrung. Ihre vermeintliche Unmittelbarkeit, qualitative Einfachheit und passive Natur ist vielmehr ein bloßes traditionelles Dogma und die prüfungslose Beibehaltung jenes Dogmas, welches die Empfindung als ein unauflösliches Erkenntnis- oder Vorgangselement bewertet, trotzdem daran schon genügsam gerüttelt worden ist, kann nicht mehr gerechtfertigt werden. Ohne der physiologischen Mißdeutung von KANTs Erkenntniskritik zu verfallen, kann man doch davon ausgehen, daß die psychologische Empfindung in der Darlegung der entsprechenden physiologischen Vorgänge und ihrer Bedingungen vermöge der größeren Breite der räumlich materiellen Anschauungsweise eine durchaus verwertbare Erläuterung findet. Wenn wir daraufhin die Verhältnisse von Reiz und Reaktion, die nervösen Aufnahmeapparate und Leitungsvorgänge und deren Kombinationen und dazu den Einfluß der spezifischen Energie der Sinnesnerven untersuchen (1), so sehen wir, daß sich hier schon bei scheinbar einfachsten Sinnesvorgängen ein höchst verwickelter Prozeß abspielt, und können kaum annahmen, daß diesem in psychologischer Hinsicht ein einfaches und unauflösbares Element entspricht; wir werden vielmehr recht deutlich darauf hingewiesen, daß das, was wir Empfindung nennen, das spezifische Ergebnis einer Beurteilung der ihr zugrunde liegenden Verhältnisse ist (2). Im Denken werden diese Verhältnisse beurteilt, werden ihnen die unterscheidenden Merkmale des Lichts, der Farbe, des Tones, des Geräusches, der Wärme usw. beigelegt, werden jene bestimmten und anschaulichen Begriffe gewonnen, die wir als Empfindungen zu bezeichnen pflegen. Noch klarer wird dies, wenn wir über die einfachsten und engsten Empfindungsqualitäten hinausgehen. Glanz, Rauhheit und Glätte, Härte, Schwere z. B. sind anscheinend unmittelbare Wahrnehmungen einfachster Art, und doch ist hier schon die psychologische Analyse imstande, in jedem einzelnen von ihnen eine große Summe von Urteilen nachzuweisen. Die Übung allein läßt die Empfindungs-, Bewegungs- und Erinnerungskomplexe, die ihnen zugrunde liegen, zu einem scheinbar elementaren Begriff zusammenfassen. Die Gefühlsempfindungen (STUMPF) wie Schmerz, Ermüdung, Kitzel, Jucken und dgl. sprechen in demselben Sinn; bei ihnen tritt dem sinnlichen Urteil sogar noch ein Werturteil hinzu, welches ihre Bedeutung für das Wohl und Wehe des eigenen Ichs mitumfaßt.

Bei all dem ist aber festzustellen, daß nicht die Empfindung als solche, nicht der Anstoß zu ihrer Entstehung ein Denkakt ist, sondern nur die Auslegung, die wir einem solchen Anstoß geben, die Art, in welcher wir die Tatsache beschreiben, daß unser Denken auf bestimmte Formen der Abhängigkeit, der Beeinflussung durch objektive Momente gestoßen ist, die Tatsache, daß unser Denken zur Außenwelt in gesetzmäßigen Beziehungen steht. Die Erkenntnis dieser gesetzmäßigen Beziehungen offenbaren wir in den scharf bestimmten Begriffen, die wir "Empfindung" nennen. Diese Empfindung ist aber nichts Passives, nicht ein Gegebenes, die sinnliche Wahrnehmung nichts Andersartiges im Vergleich zum begrifflichen Denken, sondern eine gleichartige und gleichberechtigte und gleichwertige Erkenntnis, eine aktive Denkhandlung wie jede andere. Ziehen wir ferner in Betracht, daß ein sehr großer Teil unserer Denkhandlungen - ich erwähne nur die Urteile und Schlüsse des alltäglichen Lebens, das Lesen, Schreiben, Sprechen - zufolge ungemessener Übung sich schließlich fast ohne Bewußtsein rein automatisch vollzieht, so können wir kaum noch Bedenken tragen, auch die Empfindung als automatisch gewordenes Urteil, als einen im Urteil gewonnenen Begriff anzuerkennen. Ihre Anschaulichkeit ist lediglich ein Ausdruck für die eingeübte Unmittelbarkeit dieser Art von Begriffsbildung, welche zugleich das Urteil des realen Seins ihres Inhalts (wie jeder Existentialbegriff) enthält.

Mit dieser Einsicht fällt zunächst der Dualismus unserer Erkenntnis fort, wie ihn nur die mißverständliche Auffassung der Empfindung geschaffen hat. Unsere Erkenntnis ist einheitlich. (3) Sie ist von Anfang bis Ende ein At der Beschreibung dessen, was wir als Wirklichkeit mit unseren Begriffen anfassen und erfassen, in ihren Grundlagen einfache Einzelbeschreibung, in ihrem wissenschaftlichen Ausbau systematisch und einheitlich geordnete Beschreibung, und Wissenschaft in ihrer Entwicklung und ihrem Fortschritt ist eine steigende Präzision und Anpassung dieser Beschreibung an die Wirklichkeit. Damit fällt auch die Abhängigkeit unserer Erkenntnis von unserer Organisation ganz und gar außer Betracht. Das einheitliche Erkenntnismmittel, mit dem wir die Wirklichkeit in uns aufnehmen, ist der sie beschreibende, sie in ihrem wahren Sein und Geschehen beschreibende Begriff. Mit jener steigenden Anpassung an die objektive Wirklichkeit wird unsere Erkenntnis ganz und gar abhängig von dem Gegenstand, auf dessen Erfassung sie abzielt, sie wird aus einer subjektiven zu einer objektiv bedingten, und unsere geistige Anlage wird, ebenso wie die körperliche Organisation, auf dem Weg der Menschheitsentwicklung ein Ergebnis der Erkenntnis ihres Gegenstandes.

Welche Bewandtnis hat es nun mit den Vorstellungen des Raumes und der Zeit, die KANT als reine Anschauungen sowohl von den Empfindungen als von den Begriffen gesondert hat? KANTs Ausführungen über die Stellung dieser Vorstellungen im System der Erkenntnis kann man für seine Grundstellung gegenüber den Empfindungen als durchaus richtig anerkennen, aber diese Grundstellung ist verfehlt. Fur uns - nach der Einreihung der Empfindung in die Begriffe und der Anschauung in das Denken - erledigt sich jene Frage ganz von selbst. Ob dabei die Raum- und Zeitvorstellungen angeboren sind oder ob sie erst in der Erfahrung erworben werden, diese rein psychologische Frage und die daran angeschlossenen nativistischen und empiristischen Theorien bleiben für unsere Erörterung völlig außer Betracht. Sie berühren ja gar nicht, wie auch KANT eingesehen und besonders betont hat, das eigentliche Erkenntnisproblem, für welches der Vorgang des Erkennens und die Art seiner Entwicklung durchaus abseits liegen. Die erkenntnistheoretische Frage richtet sich grundsätzlich immer nur auf den Ursprung und die Grundlagen der Erkenntnis. Demgemäß ist die erkenntnistheoretische Frage die, ob jene Grundlagen in unserem Denken oder in einer diesem gegenüberstehenden und von ihm unabhängigen Wirklichkeit zu suchen sind. Mit anderen Worten: ob Raum und Zeit Hilfsmittel (Formen) unseres Denkens sind, mittels derer wir uns den Gegenstand der Erkenntnis zugänglich machen, ihn ergreifen und unserem Erkenntnisbestand als nunmehrigen Erkenntnisinhalt einverleiben, oder ob sie Gegenstände der Erkenntnis sind (im Sinne von Dingen-ansich oder von Eigenschaften oder Verhältnissen solcher Dinge-ansich).

Für mich ist diese Frage, wie erwähnt, bereits endgültig erledigt. Wir bilden die Begriffe Raum und Zeit in unserem Denken, weil der Gegenstand der Erkenntnis es so erfordert. Das war ja das Ergebnis meiner Analyse der Erfahrung. Im Inhalt der Erfahrung haben wir die beiden Begriffe aufgefunden, den objektiven die Wirklichkeit richtig auffassenden Geltungswert der Erfahrung haben wir als Tatsache anerkannt und deshalb den Ausgangspunkt von ihr genommen, also müssen auch die Erkenntnisbegriffe, die wir im Erfahrungsinhalt auffinden, einen objektiven, der Wirklichkeit Rechnung tragenden Geltungswert haben, und sie müssen ihn deshalb haben, weil jene Wirklichkeit es zuläßt und uns dazu erzieht, sie so aufzufassen, wie wir es in der fortschreitenden Entwicklung der Erfahrung und vermöge derselben gelernt haben.

Werfen wir von hier aus nun einen Blick auf den gegenwärtigen Streit der Parteien über den Raumbegriff, so sehen wir, wie alle Parteien gleichmäßig Recht haben und der ganze Streit in sich zusammenbricht. Wenn KANT seinerzeit den Raum als reine Form unserer Anschauung gekennzeichnet hat, als die Art, in welcher wir Gegenstände als außerhalb von uns seiend denken und untereinander in eine gesetzmäßige Ordnung bringen, als Bedingung, unter der allein uns äußere Anschauung möglich ist, wenn STUMPF, auf der entgegengesetzten Seite stehend, den Raum als echte Empfindung ansieht und auch die dritte Dimension, seine Tiefe, auf unmittelbare sinnliche Gesichtsempfindung bezieht, und wenn vermittelnde (besonders die physiologischen) Ansichten den Raum zum Teil auf eine unmittelbare Empfindung, zum Teil (und insbesondere die dritte Dimension) auf kombinierendes Denken zurückführen, so ist das alles uneingeschränkt richtig. Unrichtig ist nur der Schein, als ob diese Meinungen etwas Verschiedenartiges aussagen würden. Genau dasselbt gilt auch von der Zeit. Ich wiederhole dabei nur einen bereits oben von mir ausgesprochenen Satz: wenn die Extreme so nahe beieinander liegen, so deutet das immer mit Sicherheit auf eine Wurzel hin, in der sie auch wieder ihre Rechtfertigung und ihre harmonische Lösung finden.

Mit Bezug auf diese erkenntnistheoretische Streitfrage ist das Ergebnis der vorstehenden Erörerterungen, daß Raum und Zeit Begriffe sind, die ebensowohl dem Denken als auch der Empfindung zurechnet werden können. Denken wie auch Empfinden sind aktive Funktionen unserer Geistestätigkeit, die bestimmt sind, den Gegenstand der Erkenntnis zu erfassen und zu begreifen, ihn im Sinne KANTs zum Gegenstand unserer Erfahrung zu machen. Vom Gesichtspunkt des Denkens aus sind Raum und Zeit logische Methoden der Ordnung und Veranschaulichung unseres Empfindungsinhaltes. Ihre Anschaulichkeit liegt darin begründet, daß sie durch steten Gebrauch, durch Übung und Gewöhnung, uns durch und durch vertraut, unserem Denken gewissermaßen zur zweiten Natur geworden sind und damit den Charakter von unmittelbaren Empfindungen angenommen haben. Vom Gesichtspunkt der Empfindung aus sind sie Grundlagen unseres reflektierenden Denkens. Vom Gesichtspunkt der Erfahrung aus betrachtet sind sie Eigenschaften der Gegenstände unserer Erfahrung. Das alles bedingt keinen Unterschied ihres erkenntnistheoretischen Wesens, sondern fällt im tiefsten Grund unserer Erkenntnis in eins zusammen. Was den Unterschied und die scheinbaren Gegensätze in ihrer Auffassung bedingt, ist lediglich die Relativität unserer Begriffe, welche bei derartigen Streitfragen gar nicht genug betont und beachtet werden kann, ihre Relativität in Bezug auf den Gesichtspunkt, von dem aus wir den Erkenntnisinhalt beurteilen und seine Teile mit anderen Teilen in Beziehung setzen.

Ähnlich wie in Bezug auf den Raum ist auch in Bezug auf die Zeit die Frage aufgeworfen worden ob sie zum Denken oder zur Empfindung gehört. Mag auch die einfache Sukzession von Vorgangsteilen ein objektives Verhältnis sein, so ist doch ihre Auffassung als "Folge in der Zeit" schon ein psychologisch zusammengesetzter Denkakt, der nur deshalb den Schein einer Empfindung hat, weil er uns durchaus vertraut geworden ist. Umso mehr sind die objektive und die absolute Zeit Vorstellungen von hochgradig zusammengesetztem Inhalt, den wir unbedingt als Ergebnis des konstruierenden Denkens zu betrachten haben. Beides ist im Wesen dasselbe, in einer Hinsicht eine unmittelbare Beziehung auf den Gegenstand der Erkenntnis, in der anderen eine logische Methode von verwickelterem Inhalt und deshalb von weniger unmittelbarem Bezug.

Der inhaltsreiche Streit um die Einschätzung der Raum- und Zeitanschauung, der seit KANTs Kritik der Geister so lebhaft beschäftigt hat, in welchem die für jede Ansicht vorgebrachten Gründe kaum anfechtbar sind, hat einen besonderen Wert dadurch zu beanspruchen, daß er gewichtsvoll zeigt, wie diese beiden Begriffe gerade auf dem Übergang zwischen sinnlicher Wahrnehmung und Denken stehen, daß er diesen Übergang mit voller Deutlichkeit hervortreten läßt und damit die Identität von Empfindung und Begriff, von Wahrnehmen und Denken, von Sinnlichkeit und Verstand, alles in allem die Wesenheit unserer Erkenntis von rückwärts her noch einmal zu beweisen imstande ist. Mit dem Streit um die Bewertung von sinnlicher Wahrnehmung und Denken hat die wissenschaftliche Philosophie bei den Griechen begonnen, sie hat ihn ununterbrochen fortgesetzt, und heute ist er ebensowenig geschlichtet wie jemals zuvor. Das konnte nicht anders sein; denn beides ist seinem Ursprung, Wesen und Wert nach ein und dasselbe.

Für KANT war das Ergebnis, zu dem er hinsichtlich des Raumes und der Zeit gelangt war, von den einschneidensten Folgen. Ihre Auffassung als subjektive, wenn auch allgemeingültige Formen unserer Anschauung und als notwendige Bedingungen, unter denen allein uns Wahrnehmungen möglich sind, und der Gegensatz, in den er sie zu einer von unserem Wahrnehmen unabhängigen, an und für sich seienden Art der Wirklichkeit stellte, haben KANT bestimmt, unsere empirische Wirklichkeit, die Welt unserer Erfahrung, als Erscheinung zu bezeichnen und sie einer intelligiblen und notwendigerweise unerkennbaren Welt gegenüberzustellen.

Des Weiteren glaubte er eine äußere und innere Wahrnehmung unterscheiden oder vielmehr an dieser bereits üblich gewesenen Unterscheidung festhalten zu müssen, sogar mit der gänzlich unberechtigten Unterschiebung eines inneren Sinnes im Unterschied zum äußeren Sinn. Der innere Sinn, wie ihn KANT unter Benutzung dieses schon alten (seit LOCKE viel gebrauchten) Wortgefüges aufgestellt hat, ist zwar gegenwärtig aus der Erkenntnistheorie wieder verschwungen, aber die durch ihn geschaffene Verwirrung besteht noch fort. Dieser innere Sinn mußte zwecks Wahrnehmung von Bewußtseinsvorgängen vom Bewußtsein affiziert werden und gab dann den so gewonnenen Sinnesinhalt in zeitlicher Form dem Bewußtsein als Erscheinung zurück mit der Anweisung, ihn nunmehr auch wieder auf das eigene und zwar seelische Subjekt zu beziehen, welches dadurch gleichfalls zur Erscheinung gestempelt wurde (4).

Der verwirrende Gedankenschwulst, der in diesem inneren Sinn zutage trat und auch noch weitere Wellen warf, ist dann auch, bis heute fortwirkend, im Begriff der inneren Wahrnehmung noch erkennbar. Rechtmäßigerweise jedoch darf innere Wahrnehmung nichts anderes bedeuten, als daß wir einen Bewußtseinsinhalt auf das eigene Ich in dessen seelischer Auffassung beziehen, nicht aber daß Vorgänge unseres seelischen Ichs (im Unterschied zu äußeren Gegenständen) zu unserer Wahrnehmung gelangen. Diese beiden Ausdrucks- und Gedankenwendungen sind erkenntnistheoretisch Gegensätze.

Der Begriff der inneren Wahrnehmung weist sich bei näherer Betrachtung ganz anders aus. Wir nehmen uns nicht selber wahr, sondern wir engen nur unsere Aufmerksamkeit ein und geben ihr die bloße Richtung auf das subjektive Erleben. Die Physiologie würde sagen: wir verfolgen nur unsere Gehirnvorgänge und vernachlässigen die peripheren. Über diese inneren Erlebnisse machen wir dann, auch uns selber gegenüber, nur Aussagen und zwar in der elementarsten Form prädikativer Urteile. Der vermeintliche Wahrnehmungsakt ist ein bloßer begrifflicher Ausdrucksakt. Übrigens war uns ja auch die sinnliche Empfindung bereits zu einer begrifflichen Aussage über gewisse Abhängigkeitsarten unseres Denkens geworden. Damit fällt jeder zweideutige Charakter von Empfindung und von Wahrnehmung gleichermaßen fort. Dasselbe gilt natürlich auch für den nur an Inhalt reicheren Begriff der Erfahrung. Die Unterscheidung einer äußeren von einer inneren Erfahrung darf erkenntnistheoretisch nur soviel besagen, daß von den Erfahrungsinhalten ein gewisser Teil unter räumlicher Ausdeutung nach außen verlegt, als Außenwelt vergegenständlicht wird, ein anderer Teil dagegen nicht. Der letztere behält demgemäß seine unentwickelte Stellung als bloßer Bewußtseinsinhalt bei. Diese Klarstellung des Begriffsinhalts ist wesentlich für die Ausschaltung all der Fehler, welche sich mit den Ausdrücken der inneren Wahrnehmung und Erfahrung auch noch heute verbinden.

Während Raum und Zeit adäquate Denkmittel sind, um uns Geschehensinhalte zur systematischen Erkenntnis zu bringen, sie zu Gegenständen einheitlich geordneter, die Einzelheiten zum Ganzen und im Ganzen erfassender und zugleich gehörig analysierender Erfahrung zu machen, betrachtete KANT im Fahrwasser der Rationalisten dies als eine Veränderung und menschliche Verfärbung des Geschehensinhaltes, kennzeichnete unseren Erfahrungsinhalt als wahrheitstrübende Erscheinung und kam hierdurch zu der zwar folgerichtigen, aber gerade deshalb gleichermaßen verfehlten Theorie, daß auch unsere eigenen Bewußtseinsvorgänge nur ebensolche Erscheinungen sind, hinter denen sich ein anderes, uns nicht erkennbares (intelligibles) Geschehen verbirgt. Dieses intelligible Geschehen wurde ihm mittels des dogmatischen Seelenbegriffs nun auch zum intelligiblen Sein und zum intelligiblen Ich. Schalten wir dagegen die ganze Reihe dieser Fehler aus, so bleiben unsere Bewußtvorgänge das, was sie als solche sind, das "Ansich", welches wir unmittelbar erleben, uns nur die äußere Welt tritt ihnen gegenüber als räumlich verarbeiteter Erlebnisinhalt, räumlich verarbeitet zu dem Zweck, unserem Bewußtseinsinhalt eine Unabhängigkeit vom Einzelbewußtsein, Allgemeingültigkeit für jedes Denken in der Form von gegenständlicher Selbständigkeit zu verleihen, - auch dies in erkenntnismäßiger Anpassung an die Wirklichkeit.

Doch steht uns hier KANTs Lehre vom Ding-ansich noch im Weg. Schon nach dem Vorstehenden ist gar nicht mehr einzusehen, was ein solches Ding-ansich noch bedeuten soll. Es wäre ein undenkbares Etwas, entkleidet jeglicher Begriffe. Aber unsere Denkbegrifffe verhüllen doch nicht jenes Etwas, sondern sie dringen in dasselbe ein und stellen seinen Inhalt fest. Auch sein Ding-ansich kann ja KANT nur durch Begriffe kennzeichnen. Man denke nur darüber nach, welche Unmassen an Begriffen, Urteilen und Schlüssen in jenem Ding-ansich enthalten und wieder zum Vorschein kommen, wenn wir seinen bloßen Begriffsinhalt entwickeln wollen. KANT verdoppelt unseren Erfahrungsinhalt, indem er ihm einfach einen gleichlautenden Inhalt mit negativem Vorzeichen gegenüberstellt. Das ist das Wesen seines Dings-ansich, mit dem er nichts anderes als eine begrifflose (deshalb unbegreifliche und unerkennbare) Kopie des Dings unserer Erfahrung meint. Natürlich kann er dieses Ding ansich nur negativ bestimmen als das, was es nicht sein soll. So wird es ihm zu einem logischen Grenzbegriff, an dem unser Denken zerschellt und zerschellen muß, um dem Glauben Platz zu machen. Dieser Glaube rein negativen Ursprungs wird nun nachträglich doch wieder mit bestimmten Begriffen gefüllt, nur daß sie den Namen von Ideen erhalten und aus praktischen Bedürfnissen begründet werden.

Auch in der geschichtlichen Folgezeit der kritischen Philosophie ist KANT immer und immer wieder entgegengehalten worden, daß er, der den Begriff des seienden Gegenstandes als ein Erzeugnis unseres Denkens erwiesen hatte, die Vorstellung von einem Ding, vvon einem Eigensein, von einer (unerkennbaren) Wirklichkeit jenseits des Bereichs des Denkens gar nicht mehr bilden, sondern höchsten von einem "Ansich der Dinge" reden darf, unter welchem der objektive Idealismus der späteren Zeit den Inbegriff der geisigen Vorgänge versteht. Aber KANT war, trotzdem er sein transzendentales Ich ausdrücklich als einen bloßen logischen und methodischen Begriff gefaßt hatte, doch durchaus in dem Gedanken an ein Sein jenseits des Denkens, an die Seele als Träger des Denkens befangen. Ein folgerichtiges Ebenbild jenes transzendenten Trägers des Denkens war ihm das ebenso verfehlte Ding ansich als unerkennbarer Urstamm der vermeintlichen Erscheinungswelt. Dem mystischen Träger des Denkens mußte ein mystischer Träger des Naturgeschehens entsprechen. Und ebenso muß immer - wohin auch sonst die Denkrichtung führen mag - einem absoluten Geist (als Schöpfer der Welt) eine absolute Welt (als seine Schöpfung) entsprechen. Nur die Aktualitätstheorie, die das Geschehen als Weltvorgang nicht überschreitet, vermag jenem Doppelsein zu entgehen. Allerdings hat auch KANT seiner intelligiblen Welt der Dinge-ansich später mehr und mehr den Charakter einer immateriellen Welt zugesprochen, und im Willen das intelligible Wesen der Dinge-ansich gesucht. Aber die Verwechslung zwischen einem Ansich der Dinge und einem Ding-ansich hat er damit nicht beseitigt. Schalten wir diese Verwechslung aus und fragen nach jenem wirklichen Ansich, so tritt - im Gefolge der vorher von mir gegebenen Erörterungen - zumindest so viel mit völliger Bestimmtheit hervor, daß wir unsere geistigen Vorgänge unbeirrt als ein wahres Ansich ansehen müssen.

Nur um jene beiden Grundfehler, die Empfindung und das Ding-ansich, hat es sich in der vorstehenden Widerlegung gehandelt. Alles, was KANT in Unabhängigkeit von ihnen und trotzt ihrer geleistet hat, bleibt wahre und unantastbare, wenn auch unvollendete, Erkenntnis. In diesem Sinne einer unvollendeten Erkenntnis ist auch noch das Nachfolgende aufzufassen, als ein vorläufiges Ergebnis von KANTs Kritik, das nur noch einer durchgreifenderen Auflkärung bedarf und einer solchen tatsächlich auch zugänglich ist.

Wir haben eine Wissenschaft der Logik, wir haben eine Wissenschaft der Mathematik und der mathematischen Physik. Deren Begriffe, Axiome und Gesetze wenden wir auf die Natur, auf den Gegenstand unserer Erkenntnis an. Mit welchem Recht? Mit welchem Geltungswert? Wie kommen wir zur Beziehung jener subjektiven Denkform auf den objektiven Gegenstand? Für all das gilt dieselbe Antwort: weil wir den Gegenstand unserer Erkenntnis erst in der Erfahrung und vermöge der Erfahrung erzeugen, weil die Natur ihrer Form nach ein Erzeugnis unseres Denkens ist, dessen Formen und Gesetze wir ihr selbsttätig aufprägen, in sie hineindenken und zum Kern ihres inneren Zusammenhangs machen. Diese Formen und Gesetze können den objektiven Gegenstand, dessen Inbegriff wir Natur nennen, nur aufgrund dessen bestimmen, weil sie selber ihn seinem Begriff und seiner Form nach erst erzeugen, und ihn nur dadurch erzeugen, daß sie notwendige, allgemeingültige, jedes Denken bindende Bedeutung haben. Begriffe wie Zeit, Raum, Substanz, Existenz, Ursache und Wirkung, Gesetz usw. gestalten den subjektiven Inhalt unseres Denkens zum objektiven, an und für sich seienden Gegenstand um. Von der Objektivität wird so die Realität getragen.

Nun bedarf aber diese Objektivität und Allgemeingültigkeit unserer Denkformen noch der Begründung. KANT konnte sie nicht anders geben als durch die Zuflucht zu einem "transzendentalen Prinzip", zu einem "Bewußtsein überhaupt", dessen Begriff er aber völlig unbestimmt gelassen hat als bloßen logisch erforderlichen Grenzbegriff, als Bedingung für die Möglichkeit objektiv gültiger Erfahrung.

Immerhin ist mit all dem gezeigt, in welcher Weise wir die Wirklichkeit in uns aufnehmen. Das Mittel hierzu ist der sie beschreibende Begriff. Mittels seiner beschreiben wir sowohl das Einzelne, als auch die Verhältnisse, in denen die Einzelheiten zueinander stehen. Für das zeitliche Geschehen tritt als Mittel der Beschreibung dem Begriff noch das Gesetz zur Seite, welches die Zusammenhänge des Geschehens auf einen einheitlichen Ausdruck bringt. So wird der Begriff der Erkenntnis zu dem einer einheitlich geordneten Beschreibung, die auf der untersten Stufe mit der Beschreibung des Einzelnen beginnt, mit dessen Ordnung nach bestimmten Gesichtspunkten fortschreitet und auf der höchsten Stufe zu einem einheitlich in sich geschlossenen System der Erkenntnis gelangt, welches wir in seinem Inbegriff Erfahrung nennen. Das hat die kritische Analyse der Erfahrung ergeben. Der Weg, auf dem wir dazu gelangen, ist der Weg des Denkens. In ihm und mittels seiner bilden wir die zur Beschreibung geeigneten Begriffe und Gesetze und setzen sie zueinander in einen einheitlichen Zusammenhang durch Beziehung und Verallgemeinerung in steter Anpassung an die zu beschreibende Wirklichkeit.

Ist nun mit dem bisher gewonnenen Ergebnis, wie es vorstehend zusammengefaßt ist, das Erkenntnisproblem gelöst oder auch nur in seinen Grundlagen erschöpft? Diese Frage ist unbedingt zu verneinen. Warum sie zu verneinen ist, ergibt sich allein schon aus einem Blick auf die nachkritische Entwicklung der Philosophie und ihre Verirrungen. Während die vorkritische Philosophie stets nur an die Peripherie des Problems getastet, den einen und den anderen Punkt ergriffen und die Grenze des Suchens, Meinens und Erratens nicht überschritten hatte, auf wechselnden Grundlagen nur bis zu Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten durchgedrungen war, hatte KANT mit sicherem Griff den Kern des Problems erfaßt, durch die Analyse des Erfahrungsinhalts den Weg zu ihm sich freigemacht und trotz mancher Fehler so viel nachgewiesen, daß Erkenntnis ein Produkt aus Wirklichkeit und Denken ist, den objektiven Geltungswert dieses Denkens kenntlich gemacht und den relativen Wahrheitswert auch dieser Art von Erkenntnis außer Zweifel gestellt. Gescheitert war er nur an der völligen Auflösung der beiden Grenzpunkte des Problems, am Grund für die Allgemeingültigkeit unserer Erkenntnis einerseits und am Zusammenhang des Denkens mit der Wirklichkeit andererseits. Dies waren die beiden Angriffspunkte für die nachkritische Spekulation. Und es konnte nur auf Spekulation, wie sie die vorkritischen Zeiten beherrscht hatte, hinauslaufen, weil die Erfahrung noch nicht die inhaltlichen Unterlagen bot, um jene Grenzpunkte kritisch zu behandeln und aufzulösen.

KANT hat nicht eigentlich nach dem Grund für die Allgemeingültigkeit unserer Erkenntnis gesucht, sondern hat für diese Allgemeingültigkeit, die in der Tatsache der Erfahrung enthalten ist, nur einen logischen Ausdruck gefunden in der transzendentalen Apperzeption, die zunächst nichts weiter bedeutet, als einen methodisch notwendigen Hilfsbegriff für die Anknüpfung der Gesetzmäßigkeit des Denkens überhaupt an ein einheitliches Prinzip. Dieser Ausdruck hat zwar auch bestimmtere Formen angenommen und zu den Begriffen eines Bewußtsein überhaupt und eines überpersönlichen Allgemeinbewußtseins geführt. Auch mit diesen Begriffen ist aber KANT nicht über einen rein logischen Begriffsinhalt ohne jede metaphysische Realität hinausgegangen. Nicht einmal ein menschliches Gattungsbewußtsein hat KANT damit gemeint, sondern eine völlig inhaltsleere, nur formale Bedingung für die Möglichkeit irgendeiner Allgemeingültigkeit von Erfahrungsinhalten.

Allerdings hat der Ausdruck in der empiristischen Richtung der Philosophie Abschwächungen erfahren, die ihn im Sinne von KANTs empirischem Bewußtsein deuten, als einheitlich zusammengefaßte und aufgerechnete Summe aller Denk- und Bewußtseinsvorgänge unter Berücksichtigung ihres in der wissenschaftlichen Erfahrung zutage tretenden Zusammenhangs jenseits der einzelnen Individuen. Aber damit schon wird die Allgemeingültigkeit des Erfahrungsinhalts abgeschwächt zu einer beschränkten Gültigkeit, zu einer subjektiven Geltung nur für den zufälligen Komplex bestimmter Träger dieser Erfahrung, und unsere Erkenntnis wird abgeschwächt zu einem praktisch vielleicht ganz brauchbaren, aber von Wahrheit möglicherweise weit entfernten Gebilde. Das ist ja auch tatsächlich der Standpunkt, der nur auf praktischem Nutzen abzielenden Empirie unserer Tage.

KANT dagegen hatte ein Erkenntnisprinzip im Sinn, durch das jedes denkende Ich, welcher Art es auch sein mag, gesetzmäßig bestimmt wird. Um ein solches Erkenntnisprinzip zu finden, wäre der richtige und unantastbare Weg der Weg unmittelbar zum Objekt, zum Ansich der Dinge, zur Wirklichkeit als solcher gewesen, d. h. zu einer Wirklichkeit, die jedes Denkens bindet. Aber KANT hatte sich den Weg zu ihr abgeschnitten, nachdem er zwischen sie und das Denken die Empfindung mit ihrem Subjektivitäts- und Zufälligkeitscharakter eingschoben hatte. Deshalb konnte er die Objektivität nur am Gegenpol, im Denken, aufsuchen und lediglich formell und logisch bestimmen, ohne zu ahnen, daß hiier die beiden Pole seines Erkenntnissystems sich zum Kreis geschlossen haben, daß in unserer Erkenntnis jene Wirklichkeit und unser sie beschreibendes Denken sich unmittelbar berühren (Wirklichkeit übrigens immer nur als ein zunächst gänzlich unbestimmtes Etwas betrachtet, auf welches hin und aus welchem her unser Denken seine Richtung nimmt und welches diesem seine Wege weist).

In ihrer Abhängigkeit von KANT nahm aber die nachkritische Philosophie von seinem transzendentalen Bewußtseinsbegriff ihren Ausgangspunkt, deutete ihn nach alten Mustern um und füllte ihn mit einem positiven Inhalt, der den Weg zum Absoluten im Sturmlauf nahm. Das war auf zweierlei Weise möglich: zum absoluten Ich (der Weltseele) als Träger jenes Bewußtseins und aller Einzelbewußtseine und als Quelle ihres gesamten Inhaltes, der dadurch unmittelbar Realität und objektive Gültigkeit erlangte; oder zum absoluten, substantiellen, an und für sich seienden Begriff als dem vernünftigen Element allen Denkens und Seins, der die Wirklichkeit und objektive Gültigkeit in sich selber trägt, sich mit eigener innerer Gesetzlichkeit entwickelt, das Bewußtsein erzeugt und sich schließich zur absoluten, sich selber wissenden Weltvernunft läutert, die nun ihrerseits als unpersönliches Einheitsbewußtsein die Gesamtheit aller Denk- und Seinsinhalte in sich schließt. Für Ersteres war der Prototyp FICHTE, für Letzteres der Abschluß HEGEL. Bei beiden fällt, in rein dialektischer Beweismethode, das Subjektive und das Objektive in eins zusammen, wenn auch von entgegengesetzten Grundlagen her, bei FICHTE mittels Abhängigkeit des Objektiven vom Subjektiven, bei HEGEL umgekehrt.

Diesem auf die Spitze getriebenen Idealismus trat selbstverständlich schroff der Materialismus entgegen, der für die Allgemeingültigkeit unserer Erkenntnis den Grund in der absoluten Existenz der materiellen Objekte sah und in der absoluten Abhängigkeit der Erkenntnis von ihnen, d. h. in ihren unsere Erkenntnis bestimmenden Einwirkungen auf die Sinnesorgane und die Gehirnfunktionen. Nur konnte er die Brücke von den Gehirnfunktionen zum Denken und zur Erkenntnis nicht finden und stieß damit ebenso hilflos auf den anderen Grenzpunkt des Erkenntnisproblems, an dem auch KANT gescheitert war, ohne ihn endgültig auflösen zu können. Gerade hierbei aber zeigt sich mit vollster Klarheit, welche Aufgabe in jenem Grenzpunkt der Lösung harrte. Es war die Frage des Zusammenhangs zwischen Körper und Seele. Es zeigt sich hierbei wiederum, wie beide Probleme in unmittelbarer Beziehung zueinander stehen, wie das eine ohne das andere nicht gelöst werden kann, wie die Lösung des einen die Lösung des andern bedingt und erfordert.

Bleiben wir aber vorerst noch bei der Frage stehen, die KANT mit seinem transzendentalen Prinzip aufgeworfen hat und beantwortet zu haben glaubte, bei der Frage nach dem Grund für die Allgemeingültigkeit unserer Erkenntnis. KANTs Antwort war eine dialektische, es war die Aufstellung des transzendentalen Prinzips. Es war kein Wunder, daß auch die Folgezeit diese Frage, wie vorstehend gesagt, rein dialektisch behandelte und auf diesem Weg ihre Lösung, die bei KANT eine rein formelle war, auch inhaltlich zu gewinnen suchte. Grundsätzlich ist gewiß gegen diese Methode nichts einzuwenden, und tatsächlich hat sie in dieser Frage auch zur Klärung wesentlich beigetragen, insofern sie zeigte, daß es ohne innere Widersprüche möglich ist, die materielle Welt zugunsten einer immateriellen Weltauffassung aufzuheben, sie als Produkt des Denkens zu erörtern. Aber die Gefahren der dialektischen Methode sind in derart allgemeinen und hochstehenden Fragen zu groß, ihre Überzeugungskraft für die weiteren Kreise zu schwach, um einen dauernden Einfluß auf das allgemeine Denken, insbesondere auf die Einzelwissenschaften gewinnen und diesen Einfluß behaupten zu können. Es ist angesichts jener Gefahren auch berechtigt, solchen Ergebnissen skeptisch gegenüberzustehen und auf den sicheren Hort der Erfahrung zurückzugehen, eine Lösung von ihr aus und innerhalb ihrer von unten, nicht von oben her zu erwarten, sie anzustreben und vorzubereiten. Und tatsächlich hat die spätere Folgezeit im Inhalt der Erfahrung auch Anhaltspunkte und Grundlagen gewonnen, welche die Lösung gerade jener Frage anzubahnen geeignet sind. )

Ich habe oben nach KANT gesagt und war vorläufig dabei stehen geblieben, daß wir den Gegenstand der Erkenntnis erst in der Erfahrung und vermöge der Erfahrung erzeugen. Erfahrung als solche ist aber ein Prozeß und zwar ein Prozeß, den nicht nur die individuelle Erfahrung, sondern auch die allgemein menschliche Erfahrung zu durchlaufen gehabt hat. Es is der neuzeitliche Entwicklungsgedanke, der hier einsetzt und der aus einem ursprünglich nur ahnenden Gedanken im Sturmlauf zu einer wohlbegründeten und umfassenden Erkenntnis geworden ist. Auch die menschliche Organisation hat, wie bereits erwähnt, und mit ihr die geistige Anlage eine Entwicklungsbahn durchzumachen gehabt, die von den unscheinbarsten Ursprüngen bis zu ihrem gegenwärtigen Zustand hinaufgeführt hat. Mag im individuellen Leben auch diese Anlage ererbt sein, phyogenetisch ist sie ein Ergebnis der natürlichen Bedingungen unserer Umgebung, ein Erziehungsergebnis, für welches der Lehrmeister die Welt in ihrem objektiven Bestand gewesen ist. Der objektive Weltinhalt ist der Mutterboden, aus dem unsere geistige Anlage hervorgesprossen ist, aus dem unsere Erfahrung aufgekeimt ist und unter dessen bestimmenden und erziehendem Einfluß unser Denken seine Formen und Gesetze gewonnen, entwickelt, geübt und korrigiert hat und auch wohl weiter korrigieren wird. Die Abhängigkeit unseres Denkens vom Gegenstand der Erkenntnis - das ist es, was ich hiermit zum Ausdruck bringen will. In diesem Grundsatz verbürgt sich die Objektivität, die Allgemeingültigkeit und die Gleichartigkeit allen Denkens, wessen Ursprung es auch sein mag. Das ist die empirische Auflösung des transzendentalen Prinzips, welches KANT mit Recht als innersten Kern seiner kritischen Untersuchungen erkannt und mit vollendetem Tiefsinn als logische Bedingung der Erfahrung und zugleich als Grenze seiner Kritik bezeichnet hat, dasa ist der empirische Ausdruck für die Notwendigkeit und die Allgemeingültigkeit unserer Denkformen und Denkgesetze, die KANT seinerzeit nur auf ein logisches Prinzip zurückzuführen vermochte. In echt kritischer Beschränkung hat er niemals eine weitere Erklärung des transzendentalen Prinzips versucht, das ja bei ihm lediglich eine methodische Bedeutung hatte, sondern mit Entschiedenheit grundsätzlich abgelehnt und damit seine Kritik vor transzendenten Spekulationen rechtmäßig bewahrt. Erst seinen Nachfolgern war es vorbehalten, diese Grit grundsätzlich abgelehnt und damit seine Kritik vor transzendenten Spekulationen rechtmäßig bewahrt. Erst seinen Nachfolgern war es vorbehalten, diese Grenze zu verkennen und zu überschreiten.

Die vorstehend gegebene Auflösung trägt aber trotz ihres empirischen Charakters jenem logischen Charakter des transzendentalen Prinzips und dem des Bewußtseins überhaupt durchaus Rechnung. Sie ergibt ihm keinen empirischen oder transzendentalen Inhalt, sondern schlägt nur die Brücke zwischen ihm und dem Objekt. Im Sinne KANTs rein logisch ausgedrückt, ist der Gewinn der, daß jenes oberste Prinzip, welches über jedes bestimmte Bewußtsein, auch über ein menschliches Gattungsbewußtsein weit hinausragt, nunmehr unmittelbar an das transzendentale Objekt geknüpft wird. Dieses letztere ist es, in welchem das "Bewußtsein überhaupt" seine logische Wurzel und seinen logischen Halt besitzt und aus welchem es seine unbegrenzte Allgemeinheit entnimmt als logische Bedingung für die ebenso unbegrenzte Allgemeingültigkeit der logisch darauf bezogenen Erkenntnisse.

Hiermit aber haben wir mehr erreicht als die bloße Auflösung des transzendentalen Prinzips. Wir haben den Grund gefunden für die Anwendbarkeit unseres Denkens auf das Objekt, den Grund dafür, daß die objektive Wirklichkeit und innerhalb deren insbesondere die Natur sich unserem Denken fügt, daß sie ihm zugänglich ist, in der Erfahrung von ihm bezwungen und mittels der Erfahrung von uns beeinflußt werden kann. Nicht fremd und andersartigen Ursprungs stehen Denken und Objekt sich gegenüber, sondern beide sind eins, unser Denken ein Erzeugnis des Objekts wie unsere körperliche Organisation ein Erzeugnis der Natur ist. Der Standpunkt hat sich umgekehrt. Nicht mehr, daß der Gegenstand der Erkenntnis vom Denken erzeugt wird, sondern dieser Gegenstand hat die besondere Beschaffenheit unseres Denkens erzeugt, gezüchtet, von Generation zu Generation weiter entwickelt - in Übereinstimmung mit sich selbst und zur Übereinstimmung mit ihm selbst und dies auf dem Weg und durch Vermittlung der Erfahrung, mit Belohnungen und mit Strafen. Auch hier gilt die Relativität der Begriffe: was von dem einen Gesichtspunkt aus Erzeugnis ist, wird vom andern aus zum Erzeuger (5).

Unser Verstand entwickelt sich anhand der Erfahrung und richtet sich nach der Wirklichkeit, die wir mit unserem Denken zu erfassen und zu begreifen bemüht sind. Daher rührt die relative Wahrheit unserer Erkenntnis und die Übereinstimmung unseres Erkenntnisinhalts mit dem Wirklichkeitsinhalt der Welt; steigende Anpassung an die objektive Wirklichkeit ist ja auch jetzt noch das Ziel unserer Erkenntnis, die ihrer Abhängigkeit von jener sich durchaus bewußt ist und den Abhängigkeitsverhältnissen immer reger nachspürt, um die Übereinstimmung immer fester zu verknoten. Mit diesem Ergebnis fällt die alte, seit KANT so sehr in den Vordergrund getretene Idee, die Welt unserer Erkenntnis sei ein bloßer Inhalt von Erscheinungen mehr oder weniger subjektiven Gepräges und von frei erfundenen Begriffskonstruktionen unseres Denkens, immer mehr in die wohl verdiente Versenkung zurück.

Auch diese Erkenntnis bedeutet aber keineswegs das Ende der Fragen. Vielmehr tritt gerade aus ihr mit umso größerem Gewicht die Frage nach dem Zusammenhang des Denkens mit der Wirklichkeit hervor. Das war der zweite Grenzpunkt, an welchem KANT bei der Auflösung des Erkenntnisproblems hatte Halt machen müssen. Er hatte die Empfindung als "gegeben" angesehen und nicht vermocht, dieses Gegebensein irgendwie erkenntnismäßig aufzulösen. Ich selber habe es übersetzt in die Erkenntnis, daß nicht die Empfindung als solche uns gegeben ist, sondern daß sie ein Urteilsergebnis ist, mittels dessen wir die Wirklichkeit auffassen und beschreiben. Nichtsdestoweniger bleibt die Frage offen, wieso wir mit dem Urteil die Wirklichkeit erfassen, in welcher Weise Urteil und Wirklichkeit miteinander in Beziehung treten.

Verstehen wir unter der Wirklichkeit geistige Vorgänge, ein immaterielles Geschehen, so ist die Lösung leicht, weil Gleichartiges und Gleichartiges in gegenseitiger Beeinflussung zusammentreffen. Das einheitliche Element des Geistigen ist für den Erkenntnisvorgang der Begriff, der Begriff wird im Urteil gewonnen, und der begriffsbildende Urteilsvorgang ist dasjenige, was wir Denken nennen (6). Im Denken können wir so ohne Weiteres den Begriff und den Zusammenhang der Begriffe erfassen und mittels Begriffs und Urteil in den Inhalt eines geistigen Bestandes und Geschehens eindringen und ihn unverändert, analysierend oder zusammenfassend, wiedergeben. Wie aber, wenn wir einer ungleichartigen, nicht begrifflichen Wirklichkeit gegenüberstehen? Sollte vielleicht die materielle Welt auch nur eine begriffliche Wirklichkeit sein? Daß die Wirklichkeit, sofern sie einen Inhalt unserer Erkenntnis bildet, eine solche begriffliche ist, bedarf ja keiner weiteren Erörterung. Gibt es aber eine andere, eine nicht begriffliche und nicht von einem Denken abhängige Wirklichkeit, wie es z. B. vom Materialismus und überhaupt vom naiven Denken behauptet wird, dann muß sie uns, wie KANT durchaus richtig sagte, durchaus unerkennbar bleiben, und das, was wir Erkenntnis nennen, ist ein bloßes Phantasma und trotz aller Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit keine Erkenntnis jener Wirklichkeit. Was bedeutet also diese auch von KANT noch vorausgesetzte und in seinem "Ding-ansich" festgehaltene Wirklichkeit?

Das ungefähr waren die Fragen, an welche das nachkritische Denken mit unvergleichlicher Energie und Zähigkeit den Hebel ansetzte. Daraus entsprangen mit logischer Notwendigkeit diejenigen Gedankenrichtungen, die in FICHTE und HEGEL ihre höchste Entwicklung gefunden haben. Sie hatten den Mut, jene ganze Wirklichkeit, die vermeintlich anderer als seelisch geistiger Art sein sollte, gänzlich aufzuheben und allem Wirklichkeitsinhalt unterschiedslos die Beschaffenheit von geistigen Inhalten zuzusprechen, die bei HEGEL sogar streng logischen Charakter hatten. Sie hatten nur die Anforderung zu erfüllen, diesem geistigen Inhalt in allen seinen Teilen und Beziehungen einen einheitlichen Zusammenhang zu wahren und zugleich dessen objektive Gültigkeit zu erweisen. Beides erreichten sie durch die Beziehung auf ein einheitliches, den gesamten Weltinhalt umfassendes und auch die Einzelbewußtseins in sich einschließendes Prinzip, welches ihnen im geschichtlichen Gottesglauben ja bereits vorgelegen hat. In jenem Prinzip, das als Gott, als Weltvernunft, als absoluter Geist gefaßt wurde, war der innere Zusammenhang und die Allgemeingültigkeit seiner Erzeugnisse von vornherein gewährleistet; denn jene Erzeugnisse waren ja die seiende und werdende Wirklichkeit von absoluter Realität. Damit schien das große Ziel KANTs, zwischen dem Ansich der Wirklichkeit und unserer, dem Denken entstammenden Erkenntnis das vermittelnde Bindeglied und den Grund ihrer Übereinstimmung aufzufinden, in einfachster und vollkommenster Weise erreicht. FICHTE hatte es leichter; indem er von einem absoluten Ich ausging, brauchte er nur dessen Tätigkeit in anthropomorphistischer Dialektik auszumalen, um darin alles erläutert und erklärt zu finden. HEGEL dagegen, der den Begriff zur Grundlage machte, mußte schon diesem den Logos beilegen, der doch nun einmal das Wesen des Geistigen kennzeichnet, und diesen Logismus auch festhalten und durchführen, um zu einer allumfassenden Weltvernunft zu gelangen. Die Welt selber wurde bei ihm so zu einem sich entwickelnden System der Vernunft.

Wenn ich oben angedeutet habe, daß die beiden Gegenpole des kantischen Erkenntnissystems, das transzendentale Prinzip einerseits und das Ding-ansich andererseits, und ebenso die beiden Grenzpunkte des Erkenntnisproblems, der Grund für die Allgemeingültigkeit unserer Erkenntnis einerseits und der Zusammenhang des Denkens mit der Wirklichkeit andererseits, sich unmittelbar berühren und zum Kreis schließen, so konnte ich dies kaum besser erläutern als dadurch, daß sie beide gleichmäßig auf FICHTEs und HEGELs System hinführen, und daß diese idealistischen Systeme den Kreis wirklich zu schließen imstande waren.

Doch auch wenn sich diese Gedanken einen großen Schülerkreis erworben haben, so leicht war es nicht, den Glauben an eine vom Denken unabhängige Welt zu erschüttern. Schon SCHELLING, der die Lehre FICHTEs aufnahm, schwächte sie wesentlich ab, indem er spinozistische Gedanken mit ihr verwob und der Natur wieder mehr ein selbständiges Recht zuteil werden ließ. Das Wesen zwar ist ihm in Natur und Geist dasselbe; was in jener bewußtlos sich vollzieht, gelangt im Geiste zum Bewußtsein. Im Absoluten sind sie identisch, aber auch nur im Absoluten, dessen Erscheinung in zwei Reihen, in die objektive Natur und den subjektiven Geist, auseinandergeht; in den Erscheinungen selbst aber soll beides in verschiedenem Maß gemischt und verknüpft sein, zumal im lebenden Organismus. Insofern SCHELLING es unternahm, nun auch im Einzelnen die gesamte Natur als das objektive System der Vernunft, nach Art eines lebenden und denkenden Einheitsorganismus, ihr Werden als dynamische und teleologische Vernunftentwicklung zu erweisen, stellen seine Ausführungen ein doppelsinniges Gemisch von idealistischen und realistischen Gedanken dar.

Noch mehr als SCHELLING wenden sich HERBART zum Realismus zurück, indem er am Ding-ansich außerhalb des Bewußtseins festhält und es in eine Vielheit von einfachen und unveränderlichen, aber qualitativ verschiedenen Realen zerlegt. Deren Qualität selbst ist uns unerkennbar, aber ihre Beziehungen zueinander und zu uns können wir in der Erfahrung feststellen. Diese Beziehungen und deren wechselnde Ansicht bestimmen unser Denken nach Inhalt und Form, so daß auch die formalen Begriffe uns aus der Erfahrung gegeben sind. Der volle Rückschlag zum materialistischen Realismus sollte diesem Beziehungsrealismus bald genug folgen, aber die von HERBART vertretene Realität der Beziehungen ist ein durchaus haltbarer Grundgedanke, der für unsere Erkenntnis von geradezu ausschlaggebender Bedeutung ist.

Hatte HERBART die Alleinherrschaft des subjektivistischen Vernunftprinzips, wie sie sich im unmittelbaren Anschluß an KANT unter einseitiger Betonung der idealistischen Seite seiner Lehre bei den meisten Vorkämpfern seiner Schule und ganz besonders bei FICHTE entwickelt hatte, mit Nachdruck zu brechen und dem realistischen Element wieder Geltung zu verschaffen versucht, wenn auch auf eigenen und umgestaltenden Wegen und mit dem Zugeständnis der bloßen Relativität unseres Erkenntnisinhaltes, so geriet später die immanente Philosophie wieder ganz in das Fahrwasser der Bewußtseinsherrschaft. Im Gegensatz zu aller jenseits der Erfahrung liegenden Metaphysik will sie eine Wissenschaft der reinen Erfahrung sein, diese Erfahrung aber untersucht sie nur unter dem Gesichtspunkt des Bewußtseins und erblickt im Gegenstand der Erfahrung lediglich einen Vorstellungsinhalt und in diesem die alleinige Wirklichkeit, deren Erkenntnis sie durch die Analyse des im Bewußtsein Gegebenen zu erreichen glaubt. Nichtsdestoweniger sieht sich z. B. SCHUPPE veranlaßt, zwecks Begründung der objektiven Gültigkeit des individuellen Erkenntnisinhalts das Wirklichkeitsganze am Begriff eines überindividuellen "Bewußtseins überhaupt" (als Gattungsbegriff gefaßt) zu orientieren.

Unter vielen anderem dem Positivismus zuneigenden Forschern will so auch MACH nur von der Erfahrung ausgehen und sich lediglich auf die reine Erfahrung beschränken. Er löst die Bewußtseinsinhalte vom Subjekt gänzlich los und sieht in den Empfindungen die selbständigen Elemente der Wirklichkeit. Bewußtsein und Denken stellen in dieser Wirklichkeit nur eine besondere Art des Zusammenwirkens jener Elemente dar, die denkenden Subjekte sind selber nur Komplexe solcher Elemente. Mit allen Empiristen und Positivisten teilt MACH dabei die heute wieder so gangbare Überschätzung des Erkenntniswerts der Empfindungen und die irrtümliche Ansicht von deren elementarer Beschaffenheit und ihrem passiven Gegebensein. Aus der Gesamtheit des MACHschen Wirklichkeits- oder Erfahrungsinhalts geht - entgegen der grundsätzlichen Tendenz dieses strengen Vertreters einer reinen Erfahrung - eine merkwürdige Beziehung zu HEGEL hervor. Der Unterschied, auf seine Grundlinie zurückgeführt, liegt eigentlich nur darin, daß bei HEGEL ein logisches System von Begriffen und Begriffsentwicklungen, bei MACH ein mechanisches System von Empfindungen mit ihren Zusammenhängen und Zusammenhangsveränderungen den Weltinhalt und das Weltgeschehen darstellt; bei jenem erzeuggt und beherrscht das logische Prinzip die Bewegung des Begriffs, bei diesen das mechanische Prinzip (im Zusammenwirken der Empfindungen) das logische Denken, dem eine eigene Gesetzlichkeit danach nicht zukommt.

Im Gegensatz zu solchen energischen Rückwendungen zur Erfahrung und Beschränkungen auf das Gegebene, zur Übermacht der positiven Wissenschaften und zur mikroskopischen Arbeitsweise der neueren Psychologie und Erkenntnistheorie ist es der allerneuesten Zeit vorbehalten gewesen, auch innerhalb streng wissenschaftlicher Philosophie vom bloßen Bewußtseinsinhalt wiederum auf FICHTEs absolutes Ich zurückzukommen. So haben unter metaphysischer Realisierung des vielerwähnten Beziehungsbegriffs eines überindividuellen Allgemeinbewußtseins MÜNSTERBERG ein allumfassendes Über-Ich und LIPPS ein ebensolches Welt-Ich (Weltgeist, Weltbewußtsein) als alleinigen Inbegriff aller Wirklichkeit auf modernen Grundlagen von Neuem aufgestellt. Es zeigt sich dabei, daß die Aufhebung einer vom Denken unabhängigen Wirklichkeit durch FICHTE und HEGEL doch eine nachhaltige Wirkung ausgeübt hat, auch wenn sie sich in andere Formen kleidet. LIPPS insbesondere, der die Philosophie in einem psychologischen Sinn als Erfahrungswissenschaft auffaßt, gelangt neuerdings zu einem extremen Gipfelpunkt der subjektivistischen Weltauffassung.
    "Nicht ein Stück des Wirklichen ist Ich, denn solche Stücke gibt es nicht, sondern das Wirkliche, die einheitliche Weltsubstanz selbst, ist, nämlich an einem Punkt und weiterhin an vielen Punkten, Ich oder Bewußtsein." (7)
Das ist die stete Wiederholung eines Gedankens, von dem ja schon die altindischen Upanischaden Zeugnis ablegen in der Lehre, daß es in Wahrheit nur ein ewiges Wesen gibt, welches ich, ganz und ungeteilt, in meinem Innern als mein eigentliches Selbst, als den Atman fühle und finde. (8) Fügen wir dem noch die aus derselben Quelle herstammende Lehre hinzu, daß die ganze räumliche, folglich vielheitliche Weltordnung nur auf einer durch die Beschaffenheit unseres Intellekts uns eingeborenen Jllusion beruth, daß nur jenes ewige über Raum und Zeit, Vielheit und Werden erhabene Wesen, welches in allen Gestalten der Natur zur Erscheinung kommt, die wahre Wirklichkeit darstellt, so sehen wir, wie ein und derselbe Streit die ganze Philosophie in ewigen Wechsel durchzieht, der Streit um das Verhältnis unseres Denkens zur Wirklichkeit, und wie keine Art des reinen Denkens imstande gewesen ist, diesem Streit ein Ende, dieser Frage eine Lösung oder auch nur in ihrer Lösung näher zu bringen imstande war.

Sollte es nicht dennoch möglich sein, diese Frage aus dem schwingenden Kreis in eine Bahn zu leiten, welche gradlinig zu einer Lösung führt? Die idealistische Richtung des spekulativen Denkens, welche die materielle Wirklichkeit zum Denkgebilde stempelt, ist ja von jeher in der Geistesbewegung der Menschheit die überragende Macht gewesen und hat in neuester Zeit bemerkenswerterweise auch die naturwissenschaftlichen Denker machtvoll an sich gezogen, und sie hat in der Tat eine starke Stütze in der unmittelbaren Gewißheit, mit der wir uns der Wirklichkeit unserer geistigen Vorgänge bewußt sind. Das spekulative Denken der Jahrtausende menschlicher Geistesarbeit hat das unauslöschliche Verdienst, gezeigt zu haben, daß es ohne innere Widersprüche möglich ist, die Welt und das Weltgeschehen als ein System von lediglich geistigen Bestandteilen zu denken, derart, daß auch die materielle Welt als einheitlich zusammenhängender Inhalt von Begriffen ihren Ursprung lediglich im gesetzmäßigen Denken hat, daß restlos in Gesetz und Begriff das Wesen der Welt sich auflösen läßt. Mag dies unser Denken auch auf die härtesten Proben stellen, wenn es nicht anders sein könnte, so müßte es eben geleistet werden und würde geleistet werden. Das beweisen die großen idealistischen System des abgelaufenen Jahrhunderts und darin liegt ihre Größe. Aber daß es nicht anders sein kann, das haben sie noch nicht bewiesen, und darum hat der Zeitgeist seinen Rücklauf zu KANT genommen, der doch auf dem sicheren Grund der Erfahrung und der Kritik gebaut, wenn auch nicht den Bau der Erkenntnis zum Abschluß gebracht hat. Nachdem die neuere Philosophie auch seine Fehler erkannt und aus dem Unterbau die Irrtümer ausgemerzt hat, unternimmt sie von Neuem den Versuch des Weiterbaus. Es dreht sich nur um die Art der Ausführung. Das etwa kennzeichnet den gegenwärtigen Stand und Stillstand des Erkenntnisproblems.

Überblicken wir die Vergangenheit und die Entwicklung des menschlichen Wissens, so finden wir einen Weg, der ständig ohne Niederlagen und ohne allzu große Abirrungen unser Wissen vorwärts geführt hat. Das ist der einfache, wenn auch langsame und mühselige Weg der Erfahrung. Sollte nicht auch hier, bei der Frage, die uns vorliegt, die Erfahrung und ihre kritische Wertung imstande sein, uns weiter zu führen? Aber die Erfahrung baut von unten, nicht von oben her, und die Frage nach dem Verhältnis zwischen Denken und Wirklichkeit liegt für sie noch zu hoch, um von ihr unmittelbar angegriffen werden zu können. Steigen wir deshalb mit der Frage nach abwärts, so wird sie zunächst zu einer Frage nach dem Wesen jener Wirklichkeit. Ist dieses Wesen ein geistiges oder ein stoffliches oder, wie KANT noch dachte, ein anderes, uns unerkennbares Wesen? Ich glaube, dargelegt zu haben, daß wir die Resignation auf Unerkennbarkeit noch nicht zum Grundsatz zu nehmen brauchen und daß die Stofflichkeit ein Denkbegriff ist, mittels dessen wir die Wirklichkeit in eine feste Ordnung zu bringen und ihre Objektivität gegenüber dem Einzeldenken zum Ausdruck zu bringen gelernt haben. Aber gerade dieser, der Stoffbegriff, setzt einen Unterschied zwischen geistigen und anderen Elementen unserer Erkenntnis, nach dessen Grund und Art wir fragen müssen. Stellen wir die Frage so, dann liegt auch diese Frage noch zu hoch für das Einsetzen der Erfahrung. Die Hypothesen über Geist und Stoff und deren gegenseitiges Verhältnis zeigen zur Genüge, wie weit sie noch von der Bestätigung und Berichtigung durch die Erfahrung entfernt sind. Engen wir auch diese Frage noch ein und steigen mit ihr in niedrigere Denkgebiete abwärts, dann gelangen wir zu unserem eigenen individuellen Wesen, in welchem geistige und stoffliche Vorgänge so unmittelbar nebeneinander liegen und so unmittelbar ineinander greifen, daß sie und ihr gegenseitiges Verhältnis unserer Beobachtung unmittelbar zugänglich sind. Und hier liegt der Punkt, an welchem unsere Erfahrung einzugreifen imstande ist und tatsächlich auch bereits eingegriffen hat. Es ist in der üblich gewordenen Redeweise das Verhältnis zwischen Seele und Körper.

Das ist durchaus folgerichtigt die Frage unserer Zeit, und die Vorbedingung zu ihrer Lösung sind Errungenschaften der allerjüngsten Wissenschaftsperiode. Auch in früheren Perioden ist ja diese Frage bereits oft genug zum Gegenstand der Erörterung gemacht worden. Aber unsere Erfahrung war noch nicht genug herangereift, um sie lösen zu können. Lediglich ihre spekulative Behandlung war deshalb der gangbare Weg. Welche Wendungen er genommen hat, habe ich in einer geschichtlichen Skizze gezeigt. Jetzt dagegen haben einerseits die empirische Psychologie und andererseits die Gehirnphysiologie die Unterlagen geschaffen, von denen aus jene Frage weiter verfolgt werden kann, ohne allzuviel vom Boden der Erfahrung abzuschweifen.

LITERATUR - Berthold Kern, Das Erkenntnisproblem und seine kritische Lösung, Berlin 1911
    Anmerkungen
    1) Ich habe dies eingehend getan in meinem Werk "Das Problem des Lebens in kritischer Bearbeitung", Berlin 1909. II. Abschnitt, Seite 60-92.
    2) Unter den Philosophen faßt auch Alois Riehl (Der philosophische Kritizismus, Bd. 2, 1879, Seite 39f) unter eingehender Begründung die Empfindung als einen Urteilsakt auf und nennt sie im Unterschied zum begrifflichen ein sinnliches Urteil. Ähnlich Höffding, Palagyi, ferner Helmholtz, Exner u. a.
    3) Übrigens hat ja auch Kant selber schon an die Möglichkeit gedacht, daß vielleicht die beiden Stämme der menschlichen Erkenntnis: Sinnlichkeit und Verstand, aus einer gemeinschaftlichen (aber uns unbekannten) Wurzel entspringen (Kr. d. r. V. am Schluß der Einleitung).
    4) Kr. d. r. V. Allgemeine Anmerkungen zur transzendentalen Ästhetik II (der zweiten Auflage) am Schluß. Ausgabe der Akademie der Wissenschaften, Bd. III, Seite 70. - Anthropologie I, § 13. - Lose Blätter aus Kants Nachlaß, mitgeteilt von Reicke, I. Heft, 1889, Seite 201. - - - Von den neueren Exegeten Kants ist der innere Sinn vielfach gerechtfertigt worden und durchaus mit Erfolgt, sofern er als integrierender Bestandteil seines Erkenntnissystes aufgefaßt wird. Aber dieses Erkenntnissystem steht hier gerade in Frage. Mit dieser Verwerfung von Kants Unterscheidung zwischen Sinnlichkeit und Verstand fällt ohne weiteres auch der innere Sinn.
    5) Schon bei Kant tritt dieses Wechselverhältnis unverkennbar zutage, wenn er vom Begriff des "Gegenstandes" Gebrauch macht, wobei der Gegenstand bald als Ausgangspunkt bald als Ergebbbbnis der Erkenntnis gedacht werden muß.
    6) Ich gebe zu, daß alle diese Begriffe, Denken, Urteilen und der Begriff selber, sehr verschiedenartigen Auffassungen unterliegen. Für den hier vorliegenden Zweck aber ist das ohne Bedeutung, und die obige Auffassung steht jedenfalls nicht vereinzelt da.
    7) Theodor Lipps, Naturphilosophie. Enthalten in "Die Philosophie im Beginn des 20. Jahrhunderts", zweite Auflage, 1907, Seite 132.
    8) Vgl. Paul Deussen, Sechzig Upanischaden der Veda, 1897, Seite 10.