ra-2p-4C. GöringF. StaudingerA. MeinongH. CohenR. Eucken    
 
THOMAS ACHELIS
Über die sogenannte reine
Erfahrung des Empirismus


"Erfahrung ist nicht etwas schlechthin Gegebenes, sondern vielmehr ein höchst veränderliches  Produkt,  dessen Entstehung der steten Beziehung auf ein apperzipierendes Subjekt nicht entraten kann. Dieser Gesichtspunkt begründet erst die Existenz einer echten Erkenntnisquelle, und gerade dieser ist es, der vielfach in der weiteren Ausbildung des Begriffs allzu sehr vernachlässigt ist."

"Erfahrung ist das  Produkt  des Verstandes aus Materialien der Sinnlichkeit. Überall ist es erst die Kombination und Einordnung der sinnlich zugeführten Eindrücke, welche nach  Kant  eine wahre Erfahrung und Erkenntnis ermöglicht; diese ist mithin nicht als solche durch den Gegenstand schon gegeben, sondern wird erst durch  uns  konstruiert."

"In unserer Selbstbeobachtung treffen wir nicht irgendeine frei umherflatternde Empfindung an, die sich herrenlos im Äther bewegte, bis es der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit etwa gelingt, sie als vorhanden zu konstatieren, sondern in Wahrheit begegnen wir diesem Zustand überall nur als dem Eigentum oder Erlebnis irgendeines  Wesens."

Leider glaubt ein voreiliger Optimismus, die Zeit der heftigen literarischen Fehden sei in der Nacht des Mittelalters für ewig begraben; aber der Kampf auf Leben und Tod unter den Vertretern verschiedener Weltanschauungen tobt noch immer und manchmal scheint es, als ob die altbekannte  rabies theologica  [geistliche Wut - wp] nur ihr Gewand gewechselt habe, um angepaßt an moderne Verhältnisse ihrer unersättlichen Streitlust zu frönen. Es liegt uns fern in einer historischen Darstellung den vielfach verschlungenen Gründen dieser traurigen Erscheinung nachzugehen: Nur möchte es angezeigt erscheinen, gegenüber der Zuversichtlichkeit und Siegesgewißheit, mit welcher der Empirismus in neuerer Zeit aufzutreten pflegt, einige nicht unerhebliche Bedenken geltend zu machen.

Bekanntlich ist es nach dem freilich gründlichen und selbstverschuldeten Bankrott der Identitätsphilosophie die Erfahrung gewesen, welche, vorzugsweise in naturwissenschaftlichen Kreisen ausgebildet, jetzt den Grund- und Eckstein für die neue Aera des wissenschaftlichen Denkens bilden sollte. Jeder auch noch so harmlose Neuling auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie wußte davon ruhmredig zu erzählen, daß nur in diesem Prinzip eine wahre Erneuerung an Haupt und Gliedern gefunden werden könnte. Wie nun durch die bewunderungswürdigen Entdeckungen der Naturwissenschaft der Stoff dieser Erfahrung sich täglich ins Unendliche vermehrte, so schien umso dringender eine Reduzierung dieses ungeheuren Komplexes auf die wesentliche Quintessenz, d. h. in diesem Fall auf die eventuelle philosophische Verwendbarkeit geboten. So ergab sich zunächst eine methodologische Sichtung des angehäuften Materials, der sich dann naturgemäß eine  erkenntnistheoretische  Würdigung desselben anschloß. Auch unserer Darstellung mögen diese Gesichtspunkte als Leitfaden dienen.

Die kantische Frage: Wie ist Erkenntnis oder Erfahrung überhaupt  möglich?  ist meistens als eine scholastische Verirrung gefaßt, die nur die Rettung, bzw. Sicherstellung der Glaubensobjekte vor der zersetzenden und negierenden Macht des Verstandes bezweckt habe. Vielleicht mit vollem Recht; doch liegt, falls man diesen unmittelbaren Zusammenhang außer Acht läßt, eine andere allgemeine Deutung nahe, welche für die Entwicklung jenes Begriffs sehr bedeutsam geworden ist. Erfahrung ist nämlich nicht etwas schlechthin Gegebenes, sondern vielmehr ein höchst veränderliches  Produkt,  dessen Entstehung der steten Beziehung auf ein apperzipierendes Subjekt nicht entraten kann. Dieser Gesichtspunkt begründet erst die Existenz einer echten Erkenntnisquelle, und gerade dieser ist es, der vielfach in der weiteren Ausbildung des Begriffs allzu sehr vernachlässigt ist. Nachdem man die gewöhnlichen Irrtümer des Vorstellens und Wahrnehmens aus der Sphäre der Erfahrung verwiesen hatte, einigte sich der größte Teil der empirischen Forscher dahin, unter diesem Prinzip die durch wiederholte Beobachtungen und Experimente festgestellte Kenntnis vom Zusammenhang der Dinge zu verstehen. Dadurch war die psychologische Genesis dieser Faktoren völlig klar gelegt; um also dieser Theorie wissenschaftlich beglaubigtes Ansehen zu verschaffen, mußte konsequenterweise die notwendige Herleitung aus der gewöhnlichen Auffassung der Außenwelt deduziert werden. Nun beginnt alle Erkenntnis mit der Wahrnehmung; aber diese, als objektiv und subjektiv höchst trügerisch, konnte nicht als Fundament des neuen Gebäudes dienen: ja auch dann nicht, wenn sie durch absichtlich geschärfte Aufmerksamkeit alles subjektive Befangenheit ablegte und sich nur zuwartend dem Eindruck des Geschehenden gegenüberstellte. Denn wie AVENARIUS argumentiert: "Der Begriff der Erfahrung ist weiter als der der Wahrnehmung. Diese bietet immer nur ein einzelnes Wahrgenommenes; ihre Aussage, als Urteil gedacht, gibt den Gegenstand nur, wie er sich unter der Beschränkung der Wahrnehmungsfähigkeit und des jeweiligen äußeren und inneren Standpunktes dem Wahrnehmenden darstellt, läßt mithin die Möglichkeit zu, daß ihr Inhalt nach der einen Seite der Ergänzung, nach der andreen aber der Berichtigung bedarf. Es müssen daher zur Beurteilung des einzelnen Wahrgenommenen die Aussagen anderer Wahrnehmungen, in gewissen Fällen sogar Schlüsse aus solchen herbeigezogen werden, um die sozusagen individuellen Lücken und Mängel der Einzelwahrnehmung zu beseitigen. (AVENARIUS, Philosophie als Denken der Welt gemäß etc., Seite 43) Diese Methode nun ist je nach der Art und dem Stand der betreffenden Wissenschaft natürlich eine höchst verschiedene; am schnellsten kommen solche Disziplinen zum Ziel, denen im Experiment oder in der möglichst umfassenden Vergleichung analoger Fälle eine direkte Handhabe für ihre Untersuchung zu Gebote steht, also vor allem die naturwissenschaftlichen Fächer. Ähnlich steht es, um nu an ein wenig bekanntes Beispiel zu erinnern, mit der  Ethnologie,  die durch die massenhafte Häufung des Materials schon einigermaßen sicher die Mittel bietet für die Ausscheidung des spezifisch Subjektiven. Schwieriger gestaltet sich das Verhältnis in den rein geistigen Sphären, z. B. in der Linguistik, wo erst vielfach fehlgeschlagene Versuche der Untersuchung den richtigen Weg eröffneten. Dennoch ist selbst für die anscheinend untrüglichsten Beobachtungen durch die bekannte Theorie der mittleren Fehler die absolute objektive Unzulänglichkeit des Verfahrens genügend hervorgehoben. Aber zugegeben daß durch ein unendlich verfeinertes System von ineinandergreifenden Mechanismen (normale Beschaffenheit des Subjektis, scharfe und wiederholte Auffassung des Objekts und schließlich die sachgemäße Kritik dieser Apperzeption selbst) in aufsteigender Elimination alle falschen Zutaten individueller Art entfernt seien, was ist dann mit dem Ausdruck  des durch den Gegenstand allein Gegebenen  gewonnen? (AVENARIUS, a. a. O., Seite 28) Es ist hierbei der schon oben berührte Standpunkt wirksam, daß die reine Erfahrung etwas völlig Gegebenes sei, das sich nur schwer unter den vielen Verfälschungen und Entstellungen seitens des Subjekts entdecken läßt. Ja AVENARIUS verfährt in diesem Sinne ganz konsequent, wenn er nicht nur die anthropomorphen  Zumischungen  der willkürlichen Wertschätzung oder der mythologischen Hypstasierung der Kräfte verwirft, sondern auch die apriorischen Urteilsformen unseres Intellekts, wie die Kausalität, als nicht in der wirklichen Erfahrung gegeben ansieht. Die Berufung auf KANT scheint nicht ganz triftig, da dieser, obwohl er jene Funktionen ganz und ausschließlich dem Subjekt vindizierte, doch eben den Begriff der Erfahrung nicht in einer solchen Isolierung des fraglichen Gegenstandes vom Bewußtsein erfüllt dachte, sondern umgekehrt in die synthetische Einheit der Apperzeption legte, also in einen  toto genere  [völlig - wp] subjektiven Faktor. Wie eine kurze Zusammenstellung der vieldeutigen Ausdrück von der kantischen Auffassung dieses Momentes beweist (Vgl. GÖRING, Über den Begriff der Erfahrung, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 1, Seite 460f), ist freilich der endgültige Wert dieses Erkenntnismaterials sehr ungleich bestimmt. Aber in fast allen Bezeichnungen kehrt doch in mehr oder minder scharfer Schattierung die ursprüngliche Bezeichnung wieder, welche KANT diesem Gegenstand gewidmet hatte: Erfahrung ist das  Produkt  des Verstandes aus Materialien der Sinnlichkeit. Überall ist es erst die Kombination und Einordnung der sinnlich zugeführten Eindrücke, welche nach KANT eine wahre Erfahrung und Erkenntnis ermöglicht; diese ist mithin nicht als solche durch den Gegenstand schon gegeben, sondern wird erst durch  uns  konstruiert. Wir können also, falls wir dem Vorwurf der Oberflächlichkeit entgehen wollen, nicht umhin, kurz auf die Frage einzugehen, was die Philosophie unter dem  in der Erfahrung gegebenen Gegenstand  zu verstehen hat.

Bislang ist der Beweis von der gänzlichen Nichtigkeit der sogenannten materialen Außenwelt, wie ihn schon BERKELEY geliefert hat, unseres Wissens durch keine noch so exakte Beobachtung als hinfällig und rein  spekulativ  widerlegt worden. Umgekehrt: je mehr man sich in erkenntnistheoretische Untersuchungen vertiefte, desto mehr verschwand die angebliche Solidität des Außen und wurde zu einer Erscheinung des Innen; die äußere Welt löste sich mithin auf in einen Komplex von immanenten Vorstellungen. Diese entsprechend ihrer durch äußere oder innere Reize veranlaßten Genesis methodisch wieder aufzubauen, also einen Versuch zu machen, wie die Welt gedacht werden  muß,  galt als die einzige Forderung logischer Präzision. Ob andererseits dieses innere Weltbild mit portrait-ähnlicher Treue ein fremdes Geschehen außerhalb des empfindenden Bewußtseins wiederholt, wurde mit Recht zunächst als irrelevant, dem weiteren Fortgang der Untersuchung sogar nicht förderlich erachtet. Selbst als Abbild konnte ja das Denken nicht den Tatbestand so wieder aufzeichnen, wie er ansich war, sondern nur wie er ihm erschien, mit anderen Worten: diese Reproduktion lieferte nie ein Sein, sondern nur ein System von Urteilen und Begriffen. Sehr präzise hat AVENARIUS so die Philosophie als Denken der Welt bezeichnet, aber welche Rolle soll in dieser Arbeit der Gegenstand der Erfahrung spielen? Dieser die Fehlschlüsse und Mißgriffe des Denkens reflektierende Faktor ist doch eingestandenermaßen nicht  ansich  gegeben, als bestehendes Objekt schon vor und neben dem Bewußtsein vorhanden, sondern erst in stetiger Umwandlung in der Vorstellung  entstehend.  Und auch dieser fortlaufende Prozeß, der die vielfachen subjektiven Zumischungen (wie sie AVENARIUS nennt) eliminieren soll, wird  durch uns,  nicht durch diesen angeblich äußeren Gegenstand beherrscht, der sich gleichsam immer klarer und reiner der aufmerksamen Erkenntnis entschleierte; vielmehr handelt es sich in all diesen Fragen lediglich um die normale  psychische  Notwendigkeit, mit der wir das Geschehen eines Ereignisses oder das Sein eines Dings logisch widerspruchslos denken. Dieser innere Zwang rührt aber, wie wir sehen werden, gar nicht von der etwaigen Materie des fraglichen Dings, sondern von allgemein formalen Gesetzen her, die sich als solche nicht in der Erfahrung aufzeigen lassen. Um an einem bekannten Beispiel diese Gedanken zu veranschaulichen, so behauptet ja die empiristische Psychologie in der Empfindung und Bewegung die beiden letzten, für die Wissenschaft erreichbaren Tatsachen des psychischen Mechanismus entdeckt zu haben; über diese hinaus führt der Weg in die Irrgänge einer haltlosen und in sich widersprechenden Spekulation, die in den Begriffen der Substanz, des Ich usw. die eigentlichen Kernpunkte des ganzen Getriebes erfaßt zu haben vermeint. Hieran hat sich dann, wie bekannt, die  positivistische  Richtung eines COMTE, MILL und TAINE angeschlossen, die das Ich zu einem sogenannten Faden des Bewußtseins verflüchtigen. Wir möchten behaupten, daß hier eine seltsame Verkehrung des wirklichen Verhältnisses vorliegt; denn tatsächlich treffen wir in unserer Selbstbeobachtung nicht irgendeine frei umherflatternde Empfindung an, die sich herrenlos im Äther bewegte, bis es der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit etwa gelingt, sie als vorhanden zu konstatieren, sondern  re vera  [in Wahrheit - wp] begegnen wir diesem Zustand überall nur als dem Eigentum oder Erlebnis irgendeines  Wesens,  dessen genaue Bezeichnung freilich zunächst gänzlich irrelevant ist. Diese Beziehung auf ein Agens ist nicht, wie immer vorgegeben wird, ein möglicher oder notwendiger  Schluß  unsererseits, sondern eine gegebene, weil stetig so erprobte  Tatsache  der inneren Erfahrung. Erst nachher, erst nach dieser Kenntnisnahme steht es dem zergliedernden Denken frei, dieses Verhältnis beliebig zu lösen und dasjenige, was  de facto  nur als  Produkt  aufgefunden wurde, als für sich bestehend zu betrachten und umgekehrt, dasjenige, was sich jeder psychischen Wahrnehmung unvermeidlich aufdrängte, als  unseren  Zusatz zu jener ursprünglichen Perzeption hinzustellen. Freilich ist es uns möglich, in ausführlicher Argumentation jenen einfachen Tatbestand hinterher logisch zu erhärten und gleichsam die Wirklichkeit übertrumpfend zu beweisen, daß es sich eben nicht anders verhalten  kann,  daß also jede Empfindung  eo ipso  [schlechthin - wp] ein empfindendes Subjekt voraussetzt, als dessen Akt sie sich erst widerspruchslos denken läßt; aber diese  ex post  geschehende Rechtfertigung begründet nur unsere obige Behauptung, daß dieser logische Apparat sich erst in Bewegung setzt aufgrund und zufolge jener ursprünglichen, noch durch keine kritische Reflexion irgendwie beeinflußten Wahrnehmung. Wenn wir nicht eben ausnahmslos Empfindung als Zustand irgendeines Bewußtseins anträfen, so würde es suns schließlich auch nicht gelingen, dieses Bedürfnis als das logisch und sachlich korrekte zu erweisen. Jenes also ist das wirklich  Gegebene,  weit von aller subjektiven Laune und Willkür Unabhängige, und dieses psychische Faktum könnte man unbedenklich die  reine  Erfahrung nennen; verfälscht wird sie erst durch die Abstraktionen unseres Vorstellens, das zu beliebigen Zwecken dieses objektive Verhältnis verschiebt. Hierin hat HERBART unzweifelhaft Recht, der es ja als eine Hauptaufgabe der Philosophie ansah, die Widersprüche der Erfahrung, d. h. des gewöhnlichen Wissens aufzudecken und zu lösen. Nur hätte diese Funktion generell jeder Wissenschaft zugesprochen werden können. Ebenso müssen alle mythologischen Zutaten unserer Phantasie rücksichtslos geopfert werden, um auf den eigentlichen Tatbestand der Wirklichkeit zu kommen; höchstens als intelligible Scheinbilder, vielleicht einer notwendigen Jllusion entsprossen, oder als ästhetisch wirksame Momente dürfen sie eine gewisse Bedeutung beanspruchen. Aber was vor den beliebigen Zergliederungen unseres Vorstellens liegt, ist nicht der sogenannte  Gegenstand  oder das Ding, da dies ja nur unser subjektives Produkt ist, sondern die lebendige und wirksame Kraft, welche uns den Reiz aus einer anderen Welt, nämlich des Nicht-Ich übermittelt. Diese ist schon deshalb nicht, wie man immer behauptet,  unsere  Erfindung, an die wir personifizierend die strenge Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen anknüpfen, weil diese Kraft oder das Atom-Wesen (der Name macht ansich nichts aus) uns aus der Nacht des Solipsismus erretet, uns aufsucht und anregt. Freilich hat sich vielfach, namentlich in einseitig naturwissenschaftlichen Kreisen eine andere Anschauung gebildet; man spricht gern von unverbrüchlichen Gesetzen, welchen alle Dinge zu gehorchen hätte, von einem, jegliches Geschehen ausnahmslos beherrschenden Mechanismus usw. Schon LOTZE hat bereits diesen Irrtum des abstrahierenden Denkens entwickelt und auf die Gefahr wissenschaftlicher Systematik hingewiesen, die, entsprechend der antiken Denkart, die Geschöpfe der subjektiven Tätigkeit zu realen Faktoren der Welt verfestigt. Unter den Gesetzen kann doch widerspruchslos nur die eigene Natur der Wesen und Kräfte verstanden werden, welche sich in wechselnden und doch bestimmten Formen ihr gegenseitiges Verhältnis vorschreiben; dieses System von Beziehungen wird nun, nachdem wir es für unsere Anschauung erdacht haben, als die erste und allein wirksame Ursache jeglicher Veränderung ausgegeben, jene Gesetze werden (völlig platonisch) zu idealen Musterbildern potenziert, denen sich dann jedes Geschehen zu fügen hat. Offenbar eine völlig scholastische Verdrehung des wirklichen Weltlaufes; zuerst sind nicht allgemeine Gesetze, welche, jeglicher realen Anwendung auf ein Etwas ermangelnd, nur eine gänzlich undefinierbare Scheinexistenz in einer Welt des Ansich führen könnten, sondern zuerst und überhaupt sind nur Wesen, die in einem festen und unlösbaren Konnex einer immanenten Wechselwirkung miteinander stehend den  Schein  eines  für sich  bestehenden Mechanismus erzeugen. Sobald man freilich diese Formen unserer Anschauung als reale Mächte ansieht, und die sogenannten Dinge als die Substrate, an und in denen sie erscheinen, ist der Begriff der Erfahrung und des in derselben Gegebenen rettungslos verdorben und zur Quelle aller anderen Irrtümer geworden.

Diese methodische Bearbeitung nun des uns durch die Sinne zugeführten Materials geschieht keineswegs letzten Endes durch Grundsätze, welche schon latent in jener Erfahrung liegen und nur durch die schärfere Zergliederung der Wissenschaft entdeckt werden: vielmehr sind  wir  es, die gewissen apriorischen formalen Prinzipien der eigenen Natur folgend, diesen Läuterungsprozeß vornehmen. Wie man sich auch die Entstehung jener allgemeinen Wahrheiten denken mag, so viel ist klar, daß sie nicht, selbst nicht der peinlichst genauen Beobachtung der äußeren Welt entlehnt sein können: denn sie sollen ja gerade, wie z. B. das Gesetz der Kausalität, zur Interpretation des  sonst  unverständlichen Zusammenhangs der Erscheinungen dienen. Es ist daher völlig konsequent, wenn Denker streng naturwissenschaftlicher Richtung, wie SCHULTZE, den Besitz dieser Prinzipien nicht in die Erfahrung setzen, sondern vor dieselbe, als  das Apriori des kritischen Empirismus  (Philosophie der Naturwissenschaften, Bd. 2, Seite 21f). Freilich ist ohne weiteres zuzugeben, daß diese ursprünglichen Faktoren unserer ganzen Erkenntnis nicht mit bewußter und ungetrübter Klarheit von Anbeginn unserer Existenz uns vorschweben, sondern vielmehr zunächst rein instinktiv funktionierend, in ihrer Wirksamkeit erst durch die ausdrückliche Aufmerksamkeit psychologischer Forschung erfaßt werden. Die empirische Vorstellungswelt muß erst die Aktualität dieser apriorischen, schon für die embryonale Entwicklung des Individuums maßgebenden Anlagen anregen, sonst würden sie tot und leer bleiben. So faßt SCHULTZE präzise das Verhältnis des Apriori zur Erfahrung im folgenden Schema zusammen: "Das Apriori ist nicht  aus,  also  von  der Erfahrung, jedoch in der Erfahrung entfaltet und aktuell nicht ohne Erfahrung." (a. a. O., Seite 27) Gewöhnlich wird nach der bekannten Teilung KANTs die Materie der Erfahrung, die Form dem Apriori zugeschrieben, wozu indessen LOTZE richtig bemerkt, daß diese Fassung dem wirklichen Sachverhalt nicht genau entspricht. denn eben die einfachen Empfindungen sind ja nichts Substanzielles in und an den Dingen, sondern die Zustände unseres Bewußtseins (Logik, Seite 520). Jedenfalls ist aber für die allgemeine Verknüpfung der Erscheinungen nach dem Gesetz der Identität und Kausalität die Herleitung aus einer individuellen Erprobung ihrerseits in der jeweiligen Vorstellungswelt völlig hoffnungslos, und es bleibt vorderhand nichts anderes übrig, als sie schlechthin als allgemeine und notwendige Funktionen des Bewußtseins aufzufassen, die immer und überall als Reaktionen derselben gegen irgendwelche Reize der Außenwelt auftreten. Ihre weitere Herleitung (vgl. übrigens ULRICI, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 81, Seite 161f) kann uns hier zunächst nicht weiter beschäftigen, wir konstatieren nur unter Berufung auf die schneidige Kritik HUMEs das völlige Mißlingen einer empirischen Entwicklung des  propter hoc  [darum - wp] aus dem  post hoc  [danach - wp]. Hier treffen sich zwei völlig verschiedene (die psychische und die mechanische) Welten, die nur eine harmlose Betrachtung als  aus  einander hervorgehend hinstellen kann; aus der unscheinbarsten und ärmlichsten Kombination zweier Tatsachen erhellt sich für jeden Unbefangenen die Einsicht, daß hier die vielgerühmte Kraft der Erfahrung versagt, ja daß überhaupt hier nicht eher von einer wissenschaftlichen Erfahrung gesprochen werden kann, als bis  wir  jene beiden, vorher ganz beziehungslosen Momente in ein reziprokes Verhältnis von Grund und Folge gesetzt haben. Danach scheint es uns unmöglich, trotz eines peinlich genauen Eliminationsverfahrens jemals für die Erkenntnis eine völlig reine Erfahrung zu produzieren, den Gegenstand zu erfassen, wie er gegeben ist; sowohl der inkommensurable Charakter unserer Vorstellungswelt, die in ihren Verzweigungen völlig ins Unendliche ausläuft, als die unumgänglich subjektiv modifizierte Form derselben verhindern die Realisierung dieses sichselbst widersprechenden Gedankens (vgl. SCHUSTER, "Gibt es unbewußte und vererbte Vorstellungen?", Seite 37f). Aber auch die  Wertschätzung,  mit der solche der reinen Erfahrung entnommene Urteile und Begriffe allen übrigen apriorischen Elementen gegenüber gestellt werden, regt allerlei triftige Bedenken an. Freilich soll auch hier die Bedeutung einer streng exakten Forschung nicht bestritten werden, die es sich angelegen sein läßt, die phantastischen Zutaten individueller Stimmung aus dem Kreis ernster wissenschaftlicher Methodik zu verbannen und nur dasjenige als wirklich wahr anzuerkennen, was sich, wie WUNDT sich ausdrückt, in aller Wahrnehmung als gegeben bewährt (Logik, Seite 382). Die Geschichte der Wissenschaften selbst legt ein beredtes Zeugnis für den rastlosen Eifer ab, mit der die fortschreitende Untersuchung die zufälligen, auf trügerischer Beobachtung oder auf einer, wie es häufig heißt, notwendigen Jllusion basierenden Kombinationen gradatim in ihrer Nichtigkeit erfaßt und nachweist. Und es kann verständlich erscheinen, wie gerade die Naturwissenschaft, im Haß gegen jede spekulative Richtung aufgewachsen, sich vorurteilsvoll gegen alle Versuche verhält, der Weltanschauung in ihrer letzten Begründung einen, über die gewöhnliche Induktion hinausreichenden Halt zu verleihen. Die Dialektik hatte sich zu grimmige Gegner geschaffen, als daß transzendentalen Untersuchungen mehr als ein souveränes Lächeln geschenkt wurde. Alles Heil wurde von der Selektionstheorie erhofft, die gestützt auf die Prozesse der Anpassung und Vererbung, allen unbequemen apriorischen Fragen glücklich entronnen zu sein vermeinte. Daß sie dennoch diesen Konnex nicht zu beseitigen vermochte, lehrt eine flüchtige Überlegung; denn die durch Übung erklärten und durch Vererbung weiter vermittelten Gewohnheiten der menschlichen Anschauung führen doch letzten Endes auf eine gegebene, nicht erst erlernte psychische Fähigkeit des Subjekts zurück, bestimmten Reizen der Außenwelt gegenüber in adäquater Weise zu reagieren. Diese Disposition (oder wie man sich sonst ausdrücken mag) ermöglicht überhaupt erst einen zusammenhängenden Fortschritt des Erkennens, das nicht mit der Seele als  tabula rasa  anfängt, sondern mit der, sei es auch noch so dürftig und primitiv funktionierenden Kraft, Eindrücke wahrzunehmen und eventuell zu reproduzieren. Dies ist ein schlechthin  apriorisches  Besitztum des menschlichen Geistes, das ihm nicht hinterher beiläufig zufallen kann, als ob er eine Zeitlang als reiner Behälter für allerlei ihm fremde Eindrücke zu existieren vermöchte; alle Prinzipien vielmehr der darwinistischen Argumentation, wie Anpassung, Übung, Anerziehung usw. setzen jene Funktion als ganz unentbehrlichen Faktor voraus. So hat man sich dann auch in letzter Zeit gewöhnt, z. B. die Kausalität nicht mehr als ein allmählich erstandenes Gut zu betrachten, das uns durch die Empirie überliefert würde, sondern als das die ganze Erfahrung und Erkenntnis schaffende und stützende Prinzip. Die Einsicht beginnt immer mehr sich Bahn zu brechen, daß die sogenannten Aussagen der Erfahrung erst das Rohmaterial für die Konstrukton einer Weltanschauung liefern, ja, daß die dürftigsten Verbindungen von Wahrnehmungen immerfort der synthetischen Verknüpfung durch das Ich bedürfen. Andererseits kann man unbedenklich denjenigen zustimmen, welche, des fruchtlosen Haders zwischen Empiristen und Aprioristen müde, vor einer voreiligen Abschätzung des Wertunterschiedes beider Elemente warnen und mit Recht darauf hinweisen,
    "daß das Empfindungsmaterial ohne die ordnende Hand der Stammformen ein bloßes Chaos, keine objektive Vorstellungswelt bilden würde, und daß umgekehrt die Stammformen als bloße Funktionen ohne jenes Empfindungsmaterial gar nicht in Wirksamkeit treten und aus sich heraus ohne jenes gar keinen Inhalt entwickeln würden, da sie lediglich Formen sind (SCHULTZE, a. a. O., Bd. 2, Seite 34).
Nichtsdestoweniger ist eine gewisse Entscheidung innerhalb bestimmter Grenzen tunlich und auch für uns hier unvermeidlich. Die bekannte Formulierung KANTs: Erfahrung gibt nur komparative Allgemeinheit, lehrt nur, wie und was, nicht aber, daß es gar nicht anders sein kann, ist für den modifizierten Skeptizismus mancher Forscher maßgebend geblieben, die sich mit approximativer Wahrscheinlichkeit begnügen. So sehr sich dies für das Detail des Erkennbaren, wie für alle Gegenstände empfehlen mag, welche sich der strengen Beweisführung entziehen, so ungeeignet ist doch dieser Mangel an Vertrauen für die Fassung der Fundamentalprinzipien des Denkens überhaupt. Dahin gehört unseres Erachtens der z. B. von MILL geäußerte Zweifel an die universelle Gültigkeit der Kausalität, oder was wir lieber dafür einsetzen würden, der Wechselwirkung; einmal ist jener tiefsinnige Einwand überflüssig, als er an die, auch sonst durchweg bekannte und zugestandene Tatsache der Subjektivität aller menschlichen Erkenntnis erinnert, sodann aber schädlich, insofern der Phantasie recht prägnant die Eventualität vorgerückt wird, in anderen Sphären könnten ganz andere Gesetze, als z. B. das der Ursache und Wirkung zu Recht bestehen. Da dies aber mit zu den Grundüberzeugungen unseres Selbst, von der wir gar nicht zu abstrahieren vermögen und uns nun eine Welt ohne diesen regulierenden Faktor vorzuzauber imstande wären, gehört, so wird durch diese mutwillige Spieler die Basis und der Ausgangspunkt unserer Untersuchung nutzlos gefährlicher Mißachtung ausgesetzt. Jeglicher Versuch aber, durch empirische Experimente z. B. die Triftigkeit des Identitätsgesetzes erhärten zu wollen, richtet sich selbst. Die Anwendung dieses Fundamentalsatzes auf unsere Erfahrung kann nicht in dem Sinne erfolgen, die Wahrheit desselben durch das ausnahmslose Eintreffen der von ihm ausgesprochenen Forderungen  ad oculos  [vor den Augen - wp] zu demonstrieren, sondern nur so, daß erst vermöge jenes Kriteriums das wüste Chaos der nur möglichen Erfahrung zu einem wohlgegliederten, kausal verknüpften System wirklicher Kenntnisse umgeschaffen wird. Denn sollte erst diese induktive Rechtfertigung uns Beruhigung bringen, so würden wir selbstredend in unserer Argumentation fortwährend  petitiones principii  [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp], indem wir die Gültigkeit und Wirksamkeit des kontroversen Gesetzes stillschweigend in jeder Behauptung zuzugestehen gezwungen sein würden. Wie sich in ähnlicher Weise die mathematischen Entwicklungen in ihrer allgemeinsten Grundlage auf ein apriorisches Verfahren unseres Geistes begründen, der in diesen Konstruktionen seine eigenen Formen sinnfällig auseinanderbreitet, kann wohl an dieser Stelle als bekannt vorausgesetzt werden, es bleibt bei der kantischen Beweisführung, daß jene synthetischen Urteile die Apriorität unserer Anschauung erweisen und dies wieder, weil sie auf der transzendentalen Apperzeption unseres Bewußtseins beruhen (vgl. COHEN, Kants Theorie der Erfahrung, Seite 117f). Wohl aber ist es möglich, wie LOTZE bemerkt, daß über den Umfang der allgemeinen und notwendigen Sätze Streit entstehen kann, indem eine ungenügende Beobachtung diese Prädikate voreilig an Aussagen knüpft, die vielleicht wahrscheinlich und tatsächlich richtig, aber nicht streng selbstverständlich sind (Logik, Seite 528). Insofern vermag wohl eine Sichtung des Echten vom Scheinbaren aufgrund von  ad hoc  angestellten Prüfungen erfolgen, ohne daß damit die Integrität der ursprünglichen Anschauungsformen unseres Verstandes in Frage käme. Sehr fruchtbringend kann daher die psychologische Untersuchung und Zergliederung der Elemente unserer Weltansicht ausfallen, indem sie die zufälligen subjektiven Zutaten vom faktischen Bestand des objektiv Gegebenen sorgfältig sondert, aber nie wird diese Kritik erst die universelle Geltung der allgemeinsten logischen Formen erweisen können. So gesteht WUNDT unumwunden zu, daß das letzte und entscheidende Kriterium der Gewißheit kein tatsächliches, sondern ein logisches ist (Logik, Seite 385). Und dies meinen wir im weitesten Sinn; denn dadurch, daß z. B. die kritische Philosophie uns die Apriorität der räumlichen Anschauung dartut, bringt sie nur das einfache Faktum klar zur Erkenntnis, daß wir in unserem gesamten Vorstellen nichts anderes, als räumlich verfahren  können.  Sie erweist also die Notwendigkeit dieses Tuns aus der  realen  Notwendigkeit, d. h. aus der Anlage unserer Organisation, welche uns diese Form schlechterdings aufnötigt. Denkwidrig, weil mit den bestehenden psychischen Verhältnissen unvereinbar, würde danach die rein intensive, unräumliche Vorstellung sein, gänzlich unrealisierbar, obgleich als nacktes Postulat, als bloßes Abstraktum eine mögliche Behauptung. Bewegung und Empfindung werden als die letzten Grenzpunkte für die menschliche Forschung mit Recht aufgestellt, und es ist völlig vergeblich, weil in sich widersprechend, über diese festen Marksteine sich in eine  terra incognita  zu wagen, etwa mit den häufig geäußerten Wendungen, daß beides doch nur Äste ein und desselben Stammes sind, tatsächlich derselben Wurzel entspringend, vielleicht eins, nur für die beschränkte menschliche Auffassung verschieden. Es wäre in der Tat für die, solchen Experimenten geneigte, monistische Philosophie gut, sich der verhängnisvollen Schicksale zu erinnern, welche in der Geschichte der deutschen Systeme diese sogenannten transzendenten Entdeckungen mit Recht erlitten haben; mag man sich noch so sehr über diese  Beschränkung  der menschlichen Natur entrüsten, welche die Dinge nicht so zu sehen erlaubt, wie sie  ansich  sind, sondern sie mit einem falschen Schimmer umkleidet, alle diese rhetorischen Expectorationen [Erwartungen - wp] ändern an der Wirklichkeit dieses Tatbestandes nichts. Weil mithin räumliches Auffassen das unverbrüchliche Erbteil unserer Natur ist, so müssen auch alle Dinge und Zustände uns in diesem Bild erscheinen (ganz abgesehen davon, ob sie ansich diesen Charakter tragen oder nicht), nicht aber deshalb, weil wir uns empirisch in jedem einzelnen Fall überzeugt hätten, daß wirklich immer jedes psychische Gebilde diese durchgängige Signatur trägt. Nicht aus einer peinlich genauen Induktion, sondern aus einer transzendentalen Deduktion geht die Unumstößlichkeit dieses metaphysischen Theorems hervor. Allgemein nennen wir daher diese Veranlagung, weil  jedes  schaffende Bewußtsein (das wir uns nach unserem Analogon vorstellen können, und ein andrees ist uns nicht zugänglich) diese Form des Auffassens anzuwenden gezwungen ist; selbst die gesteigerte Intelligenz eines Engels wäre nach unserem Dafürhalten in diesen Rahmen räumlichen Anschauens gebannt, ebenso wie die unvollkommene Weltansicht, die sich die primitivsten Exemplare der niederen Tiergattung entwerfen mögen. Oder nehmen wir den Satz der Identität, so ergibt sich die Allgemeingültigkeit desselben für jegliches Bewußtsein von selbst. Und nicht minder seine strikte  Notwendigkeit;  denn es ist uns schlechterdings unmöglich, auch nur die dürftigsten Kombinationen eines Urteils, die gewöhnlichsten Verflechtungen eines Gedankens zu bilden, ohne immerfort jenen Satz als das sichere Fundament jeder Operation zu benutzen. Daß also  A  nicht gleich  B  sein kann, ist nicht etwa eine Frucht kontinuierlicher empirischer Experimente, die uns gradatim erlaubten, mit zur Gewißheit sich steigernden Wahrscheinlichkeit jenes Denkgesetz als prinzipiell unumstößlich zu bezeichnen, sondern jede, auch die fragmentarischste Bearbeitung des Erfahrungsmaterials ist beherrscht und getragen von diesem kosmischen Kanon. Wie es mit der Herleitung desselben beschaffen sein mag, ob wir vorziehen, es als durch seine eigene Wahrheit absolut  evident  oder als durchaus  denknotwendig  (durch seine logische Unwidersprechlichkeit) hinzustellen (beide Deduktionen sind bekanntlich versucht), jedenfalls ist eine empirische Induktion durch eine arithmetische Progression der beobachteten Fälle absurd. Ja selbst die bisweilen beliebte Modifizierung, daß uns durch  innere  Erfahrung die strenge Universalität der apriorischen Wahrheiten erst zuteil würde, verhüllt einen gefährlichen Irrtum; sie läßt es möglich erscheinen, daß für eine minder angestrengte Aufmerksamkeit diese Entdeckung ausbleiben könnte und daß jedenfalls die subjektive Anerkennung derselben an diese spezifische Wahrnehmung geknüpft ist. Beides ist unseres Erachtens unrichtig; denn beide Behauptungen setzen voraus, daß eben die Gültigkeit jener allgemeinen Formen erst  entstände  durch die zufällige Erfahrung, welche einem Individuum von ihnen widerfährt, während ihre Apdiktizität [Gewißheit - wp] schon vor jeder bewußten Denkaktion unbestritten feststand (weil sie eben instinktiv fortdauernd respektiert wurde), nur daß sie nicht in das klare Licht der reflektierten Erkenntnis übergeführt war. Nur soviel läßt sich feststellen, daß die  subjektive  Würdigung allerdings erst Sache der speziellen Erfahrung ist, aber eben damit ist ja zugestanden, daß  vorher  schon der  objektive  Tatbestand jedem Zweifel entrückt sein muß. Für jene Beziehung plädiert WUNDT, indem er sagt, auch der verzweifelte Apriorist muß bekennen, daß er sich schließlich auf Erfahrung und nur auf Erfahrung stützt, während der Empirist zugestehen muß, daß jede Erfahrung zunächst eine innere, also ein Ereignis unseres Denkens ist (Logik, Seite 364). Nur muß man sich immerfort bewußt bleiben, daß diese innere Erfahrung durchaus nicht ein lediglich subjektives, intellektuelles Phänomen ist, sondern allererst begründet und hervorgerufen wird durch ganz bestimmte Beziehungen zum Objektiven und Realen. Wer dies nun freilich wiederum nur in den sogenannten Erscheinungen und Gegenständen findet, dem ist, da die Brücke von diesen zu den eigentlichen Dingen bekanntlich Dezennien abgebrochen ist, keine weitere Deduktion möglich, er muß das Objektive in der richtigen Auffassung des Subjektiven allein suchen. Wer sich aber klar gemacht hat, daß über die Schöpfungen des Denkens hinaus noch  ursprüngliche  Akte vorhanden sind, die uns durch unmittelbare, in der Wechselwirkung gegebene Berührung mit anderen Wesen oder Kräften in direkte, nicht erst durch die Vorstellung vermittelte Beziehung setzen, dem ist der Zugang aus dem rein Subjektiven zum Objektiven noch unverschlossen. Jedenfalls aber möchte sich soviel für jede vorurteilsfreie Prüfung erhellen, daß jede Theorie der reinen Erfahrung, sofern sie sich nicht auf eine Elimination der vulgären Irrtümer beschränkt, sondern den Gesamtbau unserer Weltanschauung  ab ovo  [vom Ei weg - wp] aus der genetischen Sichtung des Materials konstruieren will bis in die letzten Fundamente hinein, sich selbst überschlägt und gleich der  tabula rasa  der Sensualisten aus der Seele eine unbeschriebene Tafel macht, in die erst die geheimnisvolle und doch zweckmäßig funktionierende Macht der Beobachtung und Wahrnehmung ihre Eindrücke einzeichnete.
LITERATUR - Thomas Achelis, Über die sogenannte reine Erfahrung des Empirismus, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Neue Folge, Bd. 82, Halle 1883