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ARTHUR DREWS
Einführung in die Philosophie
[Die Erkenntnis der Wirklichkeit als Selbsterkenntnis]
[3/3]

"Daß der Inhalt meines Bewußtseins Bewußt-Sein ist, ideelles Sein oder die vorgestellte Welt als solche eine bloße Vorstellungswelt ist, pflegt als Satz der Phänomenalität, der Erscheinungsmäßigkeit des Bewußtseinsinhalts, oder als Satz der Immanenz, des Enthaltenseins des Seins im Bewußtsein, bezeichnet zu werden. Wir wollen ihn einfach den Satz des Bewußtseins nennen. Der Satz des Bewußtseins ist nur ein anderer Ausdruck für die sogenannte Selbstgewißheit des Bewußtseins; er besagt nur, daß das Bewußtsein sich seines eigenen Seins unmittelbar gewiß ist. So bildet dieser Satz jenes schlechthin Selbstverständliche und absolut Gewisse, mit welchem allein die Erkenntnistheorie, als die Voraussetzungstheorie aller übrigen Wissenschaften, beginnen darf."


DIE ERKENNTNISTHEORIE
[Fortsetzung]
Der Satz des Bewußtseins

Einen solchen Inhalt gibt es in dem Satz: Alles Sein, dessen ich mir bewußt bin oder das Inhalt meines Bewußtseins ist, ist Bewußt-Sein.

Bezeichne ich das Sein, sofern es Inhalt meines Bewußtseins ist, das Bewußt-Sein, als ideelles oder Vorstellungssein, das von meinem Bewußtsein unterschiedene Seine, was die objektive Erkenntnis erst begründet, als reales, wirkliches Sein oder Dasein, so kann ich sagen, daß ich meinem Bewußtsein beide Arten des Seins unmittelbar in eins zusammenfallen. Das ist aber nur die reine Selbstverständlichkeit und enthält weiter gar keinen besonderen Tiefsinn, denn hiermit ist eben nur ausgedrückt, daß alles reale Sein, das Gegenstand oder Objekt meines Bewußtseins ist, dies nur ist, sofern ich mir seiner bewußt bin. Auch das Objekt ist folglich als solches nichts anderes als mein eigener Bewußtseinsinhalt. Wenn ich von einem Gegenstand behaupte, daß er existiert, so liegt darin unmittelbar nur ausgedrückt, daß er in mir, als meine Vorstellung existiert; und auch die von meinem Vorstellen scheinbar unabhängige Existenz ist mir doch nur als meine Vorstellung gegeben. Sein, Existieren, Wirklichkeit, Realität heißt also zunächst nur soviel, wie von mir vorgestellt werden. Das ins Bewußtsein eingegangene Sein hat damit selbst die Form des Bewußtseins angenommen. Als diese Form hat bereits SCHOPENHAUER das Zerfallen in Subjekt und Objekt bezeichnet. Nun sind aber Subjekt und Objekt einander entsprechende Begriffe, von denen jeder den anderen voraussetzt und zu seiner Ergänzung fordert, da das Subjekt das vorstellende Bewußtsein ist, so ist auch das Objekt immer nur die Vorstellung dieses Subjekts, Sein als Vorstellung, ideelles Sein, Bewuß-Sein.
    "Die Welt" sagt Schopenhauer in den Eingangsworten seines Hauptwerkes, "ist meine Vorstellung: - dies ist eine Wahrheit, welche in Beziehung auf jedes lebende und erkennende Wesen gilt, wiewohl der Mensch allein sie in das reflektierte und abstrakte Bewußtsein bringen kann: und tut er dies wirklich, so ist die philosophische Besinnung bei ihm eingetreten. Es wird ihm dann deutlich und gewiß, daß er keine Sonne kennt und keine Erde, sondern nur ein Auge, das eine Sonne sieht, eine Hand, die eine Erde fühlt, daß die Welt, welche ihn umgibt, nur als Vorstellung da ist, d. h. durchweg nur in Bezug auf ein Anderes, das Vorstellende, welches er selbst ist." (4)
Der angeführte Satz, nach welchem alles, was Inhalt meines Bewußtseins ist, Bewußt-Sein, ideelles Sein oder die vorgestellte Welt als solche eine bloße Vorstellungswelt ist, pflegt als Satz der Phänomenalität, der Erscheinungsmäßigkeit des Bewußtseinsinhalts, oder als Satz der Immanenz, des Enthaltenseins des Seins im Bewußtsein, bezeichnet zu werden. Wir wollen ihn einfach den Satz des Bewußtseins nennen. Der Satz des Bewußtseins ist nur ein anderer Ausdruck für die sogenannte Selbstgewißheit des Bewußtseins; er besagt nur, daß das Bewußtsein sich seines eigenen Seins unmittelbar gewiß ist. So bildet dieser Satz jenes schlechthin Selbstverständliche und absolut Gewisse, mit welchem allein die Erkenntnistheorie, als die Voraussetzungstheorie aller übrigen Wissenschaften, beginnen darf. Ist er doch trotz seiner inhaltlichen Beschaffenheit selbst voraussetzungslos, die Voraussetzung aller Voraussetzungen, kann also auch nicht weiter durch Ableitung von irgendeinem anderen Satz bewiesen, sondern nur unmittelbar eingesehen werden. Ich brauche mir ja nämlich etwa bei der Vorstellung eines äußeren Gegenstandes nur des geistigen Vorgangs innezuwerden, durch welchen der Gegenstand in mir zustande kommt, so erkenne ich sofort, daß, was ich den Gegenstand nenne, nur ein Inhalt in meinem eigenen Bewußtsein ist, daß ich es folglich nicht mit dem Gegenstand selbst als solchem, sondern nur lediglich mit seiner Vorstellung zu tun habe. Und wie könnte es dann auch anders sein, da die ganze Wahrheit jenes Satzes eben nur auf seiner Selbstverständlichkeit beruth? Denn daß alles mir bewußt Seiende Bewußtsein ist, daß ich keine Gegenstände, sondern nur die Vorstellung von solchen vorstelle, das ist so gewiß, wie der Satz, daß zwei mal zwei gleich vier ist.

Von dem Satz des Bewußtseins nun gilt, daß er die Grundlage und den Ausgangspunkt aller erkenntnistheoretischen Untersuchung darstellt, zugleich den unverrückbaren Prüfstein oder Maßstab, an welchem alle ihre Aufstellungen gemessen und nach welchem sie beurteilt werden müssen. Keine Behauptung kann auf Wahrheit Anspruch erheben, die dem Satz des Bewußtseins widerspricht, keine Ansicht sich behaupten, die gegen die Selbstverständlichkeit verstößt, daß alles Sein, dessen wir uns bewußt sind, Bewußt-Sein und also kein reales Sein ist.

Damit erweist es sich sofort als widersinnig, wie der sogenannte naive Realismus sich zur Frage der Erkenntnis stellt.


Der naive Realismus

Unter naivem Realismus versteht man diejenige Ansicht, nach welchem wir die Wirklichkeit als solche zum Inhalt unseres Bewußtseins haben. Realismus heißt diese Ansicht, weil sie die Welt, wie sie uns unmittelbar im Bewußtsein, in unserer Erfahrung gegeben ist, für real, für den Inbegriff ansich existierender Dinge auffaßt. Naiv heißt sie, weil sie die Ansicht des naiven, von der erkenntnistheoretischen Überlegung noch unberührten Menschen darstellt. Sie geht also allem philosophischen Denken vorher, und ihre Eigentümlichkeit besteht darin, im Erkennen überhaupt noch kein Problem zu erblicken.

Der naive Realist hat noch keine Ahnung davon, daß das Objekt immer nur in Beziehung auf ein Subjekt da und folglich bloße Vorstellung ist. Er hält es für etwas Selbständiges, vom Subjekt Unabhängiges und Losgelöstes, was ist, auch wenn es nicht Inhalt meines Bewußtseins, von mir wahrgenommen, und zwar auch dann genau so ist, wie wenn es ein Gegenstand der Wahrnehmung ist. Er ist überzeugt, daß dieser Tisch, genau so, wie er ihn wahrnimmt, mit seinen sinnlichen Eigenschaften, seiner Farbe, seiner Härte usw. sich eben an dem Ort befindet, wo sein Blick ihn antrifft. Und wenn der Mond am Himmel aufgeht, so meint er, daß dieser Vorgang sich auch ansich in derselben Weise vollzieht, wie er es beobachtet. Ihm ist also das Objekt kein bloß Ideelles, sondern das Reale selbst. Er setzt das Sein mit dem Bewußt-Sein, die Wirklichkeit mit der Vorstellung, die ich von ihr habe, gleich, unterscheidet demnach noch nicht zwischen dem Ansich und dem Füruns der Dinge. Der naive Realist zweifelt nicht, daß es eine Wirklichkeit unabhängig vom Bewußtsein gibt, aber im Augenblick, wo er diese wahrnimmt, sich ihrer bewußt wird, fallen ihm deren Sein und sein Bewußtsein von ihr unmittelbar in eins zusammen, glaubt er, im Bewußtsein das Sein als solches vor sich zu haben. Das Wahrnehmungsbild ist ihm das Ding, nur als gesehenes, das Ding das Wahrnehmungsbild, unabhängig vom Gesehenwerden. Er setzt also das Ding mit seiner Wahrnehmung gleich und hält dessen Wahrnehmung selbst für das Ding. Der Tisch, den er wahrnimmt, ist nach ihm derselbe, wie, wenn er die Augen schließt, und er existiert alsdann auch in der gleichen Weise. Sein und Bewußtsein fallen also für ihn unmittelbar in eins zusammen, so zwar, daß das Bewußtsein im Sein gleichsam aufgeht und verschwindet. Das Bewußtsein umfängt gleichsam das Sein, um dabei aufgezehrt zu werden, wie Semele in den Armen des Zeus, und dadurch kommt das Sein zum Bewußtsein. Das Bewußtsein betastet oder bestrahlt das Sein, das selbst unberührt hiervon und unverändert verharrt, und erhebt es dadurch ins Bewußtsein. Alles Sein, was Inhalt des Bewußtseins ist, ist Bewußt-Sein (Vorstellung), besagt der Satz des Bewußtseins. Alles Sein, was Inhalt des Bewußtseins ist, ist bewußtes Sein, behauptet der naive Realist, ein Sein, nur mit dem Merkmal, daß es zugleich bewußt ist, eine Wirklichkeit, die als solche zugleich meine Vorstellung von ihr ist.

Aber das ist ja eine offenbare Mißdeutung des Satzes des Bewußtseins. Dieser Satz ist zweifellos gewiß und unanfechtbar, weil er tautologisch ist. Das Ausgangswort "Bewußt-Sein" bedeutet hier dasselbe, wie das, wovon es ausgesagt wird: Bewußt-Sein gleich Bewußt-Sein. Es ist genau, wie wenn ich sage: alle Körper sind ausgedehnt, wo das Aussagewort "ausgedehnt" den Subjektsbegriff "Körper" nach kantischer Ausdrucksweise nicht erweitert, sondern bloß erläutert. Kann man dies auch von der Ansicht des naiven Realismus behaupten? Aber wenn ich im Sinne dieser Ansicht sage, das Sein ist Inhalt des Bewußtseins, so meine ich damit, daß der Begriff des Seins ein Mehr gegenüber dem Subjekt "Bewußtseinsinhalt" enthält; das aber ist nicht bloß nicht selbstverständlich, sondern sogar widersinnig.

Nach dem Satz des Bewußtseins ist uns das Sein nur als Bewußt-Sein, als Vorstellung unmittelbar gegeben. Nach naivrealistischer Ansicht ist uns das Bewußt-Sein unmittelbar als Sein gegeben. Das aber ist kein bloß erläuterndes, sondern ein erweiterndes Urteil, wie in dem Satz: alle Körper sind schwer, und solche Urteile sind niemals ohne weiteres gewiß, sondern bedürfen einer näheren Begründung. Es ist zwar ganz gewiß, daß das bewußte Sein Bewußt-Sein oder ideelles Sein, daß es Vorstellung ist; aber es ist nichts weniger als gewiß, daß es ein reales Sein ist. Das im Bewußtsein Enthaltene (Immanente), kann nicht zugleich ein außerhalb des Bewußtseins Vorhandenes (Transzendentes), das reale Sein nicht Bewußt-Sein, der Gegenstand nicht zugleich seine Vorstellung, das "Ding-ansich" nicht Objekt sein; es kann dies so wenig sein, wie der Baum im Fernrohr nicht als solcher zugleich der Baum in der Wirklichkeit sein kann. Kein Etwas kann zugleich es selbst und sein Gegenteil sein. Mein Vorstellen ist ein bewußtes Vorstellen; und solange und indem ich vorstelle, bin ich in die Grenzen des Bewußtseins eingeschlossen. Die Wirklichkeit kann so wenig als solche in mein Bewußtsein hineingelangen, ich kann so wenig an die Wirklichkeit unabhängig vom Bewußtsein herankommen, wie ich über meinen eigenen Schatten springen oder mich bei meinen Füßen in die Höhe ziehen kann. Wollte ich die bewußtseinsjenseitige Wirklichkeit unmittelbar als solche erkennen, so müßte ich mich zunächst meines Bewußtseins entäußern und mich in die Dinge selbst verwandeln; dann könnte ich mir ihrer aber auch nicht bewußt sein, könnte ich sie nicht erkennen. Ich kann ein Bewußtseinsjenseitiges oder Transzendentes nie als solches, sondern immer nur als "Transzendentales", d. h. vermöge der Beziehung erkennen, die mein Bewußtseinsinhalt möglicherweise auf ein solches hat. Ich kann ein Ding nie als Ding-ansich, sondern nur als Objekt, d. h. in seiner Beziehung auf mich erkennen, weil der Erkenntnisvorgang sich überhaupt nur an Objekten abspielt.

Der naive Realismus widerspricht dem Satz des Bewußtseins. Damit ist der Stab über ihn gebrochen.

Ich kann nichts denken außer meinen eigenen Gedanken, nichts vorstellen außer meinen Vorstellungen. Die Wirklichkeit, die ich vorstelle, ist nur eine Vorstellungswirklichkeit. Das Sein, dessen ich mir bewußt bin, ist Bewußt-Sein oder ideelles Sein. -

Aber mit welchem Recht nehme ich dann eine von meinem Bewußtsein verschiedene Wirklichkeit überhaupt an?

Ich kann ein Ding-ansich nicht denken, weil es, als Gedachtes, nicht Ding-ansich, sondern eben nur mein Gedanke ist. Sollte es da nicht vielmehr geboten sein, auf eine solche widersinnige Annahme, die dies ist, sofern ich von der Wirklichkeit nur als einer bewußtseinsimmanenten, aber nicht als einer transzendenten etwas wissen kann, die transzendente Wirklichkeit sich mir immer nur als eine immanente darstellt, lieber ganz zu verzichten und die Bewußtseinswirklichkeit als solche für die einzige und alleinige Wirklichkeit anszusehen? Bewußtsein ist kein Sein in demjenigen Sinn, wie der naive Realismus dies meint. Der Bewußtseinsinhalt kann nicht als solcher unmittelbar ein Etwas sein, was unabhängig von ihm ansich existiert, da dieses Etwas, als Bewußtseinsinhalt, immer nur ein Sein für mich ist.

Aber könnte nicht umgekehrt das Bewußtsein selbst die Wirklichkeit sein? Könnte nicht die gesamte Wirklichkeit sich im Inhalt des Bewußtseins erschöpfen und gerade darin ihr eigentümliches Wesen haben, daß sie rein ideeller Art ist? Nur des Seins meiner eigenen Vorstellungen bin ich mir unmittelbar gewiß. Wenn folglich die Wirklichkeit nur diejenige meiner Vorstellungen ist, so scheint nicht nur verständlich zu werden, wie ich zu einer Vorstellung, zum Bewußtsein der Wirklichkeit gelangen kann, da ein Gegensatz zwischen Bewußtsein und Sein dann ja nicht besteht, sondern mein Bewußtsein der Wirklichkeit ist ja dann ein unmittelbares Bewußtsein, wie sie im Satz des Bewußtseins ausgedrückt liegt, und damit eröffnet sich mir die Möglichkeit, die Wirklichkeit nicht bloß überhaupt, sondern mit zweifelloser unbestreitbarer Gewißheit zu erkennen.

Auch der naive Realismus meint, im Bewußtsein das reale Sein als solches zu besitzen, aber er irrt, wenn er beide trotzdem voneinander unterscheidet, das Reale für etwas Anderes und Mehreres, als das ideelle Sein, für etwas gleichzeitig vom Bewußtsein Unabhängiges ansieht und es nichtsdestoweniger mit diesem gleichsetzt. Das ist allerdings ein Widerspruch, und an diesem Widerspruch zerbricht der naive Realismus. Ganz anders hingegen, wenn die Wirklichkeit selbst gar nichts anderes ist, wie das Bewußtsein, das wir von ihr haben, wenn der Wahrnehmungsgegenstand zwar nicht das Ding-ansich als Wahrgenommenes ist, wie der naive Realismus behauptet, wobei vorausgesetzt wird, daß das Ding-ansich der Wahrnehmungsgegenstand als nicht Wahrgenommenes ist, wohl aber jedes von der Wahrnehmung unabhängige und verschiedene Dinge-ansich geleugnet und die unmittelbare Einerleiheit von Wahrnehmung und Ding behauptet wird! Dann schlägt der naive Realismus in einen erkenntnistheoretischen Idealismus um: das reale Sein ist nicht ein ansich selbständiges und doch zugleich Bewußtsein, wohl aber ist das Bewußtsein selbst das reale Sein, ohne daß es möglich wäre, zwischen dem Ansich und dem Füruns der Dinge zu unterscheiden. Esse est percipi: Sein ist Wahrnommenwerden, wie bei BERKELEY es ausgedrückt hat. Die Wirklichkeit existiert nur als Bewußtseinswirklichkeit. Das Sein erschöpft sich im Bewußtsein. Es gibt nur ideelles Sein. Die Welt der Wirklichkeit ist lediglich eine solche unserer Vorstellungen.


Der erkenntnistheoretische Idealismus

Der erkenntnistheoretische Idealismus ist die Umkehrung des naiven Realismus, nur daß er dem Zusammenfallen von Sein und Bewußtsein, das der naive Realismus nur für den Fall der Wahrnehmung gelten läßt, eine unbedingte und durchgehende Bedeutung zuschreibt. Nun läßt jedoch der Ausdruck "Bewußtsein" eine doppelte Auffassungsweise zu. Entweder nämlich versteht man darunter die Bewußtseinsform: die gemeinsame Bewußtheit aller bewußten Inhalte, die hierbei als eine für sich seiende Einheit vorgestellt wird. Oder aber man versteht darunter den Bewußtseinsinhalt: unsere Gefühle, Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen, sofern sie eben bewußte seelische Gebilde darstellen. Im ersteren Fall bedeutet die Einerleiheit des Seins und des Bewußtseins, daß die Wirklichkeit nur in und an unserem Bewußtsein, als ideeller Inhalt der an und für sich realen Form des schöpferischen und tätigen Bewußtseins existiert, die wir so als unser Ich bezeichnen: Sein = Bewußtsein. Im letzteren Fall drückt sie aus, daß der Inhalt unseres Bewußtseins, die Gesamtheit der seelischen Erscheinungen (Phänomene) als solche selbst ein reales Sein, eine letzte ursprüngliche Wirklichkeit ist, zu welcher auch das Ich gehört: Sein = Bewußt-Sein. Im ersteren Fall erkennen wir die Wirklichkeit unmittelbar und darum mit zweifelloser Gewißheit, weil das Subjekt unserer Erkenntnis, das Bewußtsein oder Ich, zugleich ihr Objekt ist und die Erzeugnisse dieses Ich nur unserer eigenen Tätigkeit entspringen. Im letzteren Fall erkennen wir sie unmittelbar, weil die Bewußtseinsinhalte, die den Stoff unserer Erkenntnis bilden, zugleich die realen Gegenstände dieser Erkenntnis darstellen.

Daraus ergeben sich zwei Grundformen des erkenntnistheoretischen Idealismus: die eine, nach welcher alles Sein Inhalt der Form des Bewußtseins, insofern bloße Vorstellung ist, wohingegen der Bewußtseinsform zugleich die Bedeutung des Realen zukommt. Diesen Standpunkt, gemäß welchem das Sein nur als Objekt eines vorstellenden Subjekts, die Welt nur als Vorstellung im vorstellenden Bewußtsein existiert und dieses, die Bewußtseinsform, das Selbstbewußtsein oder Ich das eigentliche reale Sein darstellt, bezeichnet man als subjektiven Idealismus oder Bewußtseinsrealismus: Sein = Bewußt-Sein des Bewußtseins. Die andere, nach welcher der Bewußtseinsinhalt als solcher selbst das reale Sein, das letztere als Bewußt-Sein ist und Bewußtseinsform und Bewußtseinsinhalt uns nur in einer untrennbaren Einheit gegeben sind, bezeichnet man als Bewußtseinsidelaismus: Sein = Bewußt-Sein.

a) der subjektive Idealismus
oder Bewußtseinsrealismus

In der Geschichte der philosophischen Gedankenentwicklung ist der Bewußtseinsrealismus zuerst hervorgetreten und hat seinen Begründer in DESCARTES (1596-1650) erhalten.

Das cogito ergo sum

DESCARTES suchte dem um sich greifenden Skeptizismus gegenüber, der alle Wirklichkeit in Zweifel zieht und sie in bloße Vorstellungen, d. h. in Schein und Traum, aufzulösen droht, nach einem einzigen festen Punkt in unserem Bewußtsein, nach einer Wahrheit, die von allem Zweifel unberührt bleibt, und er glaubte, sie im eigenen Bewußtsein selbst, im Selbstbewußtsein oder Ich zu finden. Mag alles um mich herum bezweifelt werden, mag die ganze übrige Welt mir nur als Vorstellung gegeben, ja, selbst am Ende nur Vorstellung sein: ich, der ich diese Welt vorstelle, existiere doch auf alle Fälle und erfasse mich als Sein unmittelbar in meinem Selbstbewußtsein. Mag der Inhalt meines Bewußtseins von rein vorstellungsmäßiger oder ideeller Beschaffenheit sein: es könnte doch keine Welt als Inhalt des Bewußtseins geben, wenn es keine Form des Bewußtseins gäbe, die jenen Inhalt in sich setzt. Die Welt als Objekt des vorstellenden Subjekts ist die Vorstellung dieses Subjekts, aber das Subjekt, das die Vorstellung hat, kann selbst nicht wieder bloße Vorstellung sein. Die Welt ist meine Vorstellung; aber eben deshalb bin ich, der ich sie vorstelle, mehr als Vorstellung, bin ich ein Reales. Alles, was Inhalt meines Bewußtseins ist, ist Bewußt-Sein, ideelles Sein; aber das Ich ist nicht bloß Inhalt, sondern zugleich Form des Bewußtseins, Bewußt-Sein und Sein in Einem: - Bewußtsein. Indem ich die Form des Bewußtseins denke, indem ich mich auf mich selbst besinne, mein Ich zum Inhalt des Bewußtseins oder Objekt mache, hört es darum doch nicht auf, zugleich das Subjekt, der ausübende Träger und Erzeuger meiner Vorstellungstätigkeit zu sein. Als Objekt ist es ideelles Sein, als Subjekt aber ist es reales Sein; so ist es die Einerleiheit beider. Das Denken des Ich (genitivus objectum) ist das Denken des Ich (genitivus subjectum). Der Gedanke, den ich von mir habe, ist dasselbe, was die Tätigkeit des Denkens ausübt. Der Inhalt meines Bewußtseins ist ein fortwährend wechselnder, die Form des Bewußtseins aber ist beständig und bleibt, wie verschiedenartig auch immer ihr Inhalt sein mag. Meine Vorstellungen kommen und verschwinden, aber daß sie meine Vorstellungen sind, dies kommt nur daher, weil sie ein und derselben gleichbleibenden Form des Bewußtseins angehören, und diese ist die meinige, die ich als mein Ich bezeichne. Cogito ergo sum: ich denke, also bin ich.

Die Kritik des naiven Realismus führte zu der Ansicht, daß das reale Sein nicht als solches zugleich Bewußtsein sein kann. Sie zeigte den Widerspruch jenes Standpunktes gegen den Satz des Bewußtseins auf, nach welchem im Bewußtsein nur Bewußt-Sein, ideelles Sein enthalten sein kann. Allein diese Behauptung läßt dem Zweifel Raum, ob es denn überhaupt eine Wirklichkeit gibt, und ob es möglich ist, sie zu erkennen. Über diesen Zweifel hebt der erkenntnistheoretische Idealismus das Denken durch die Behauptung hinweg, daß das Bewußtsein selbst die Wirklichkeit ist; und der Bewußtseinsrealismus schränkt dies näher dahin ein, daß wir in der Form des Bewußtseins, dem Selbstbewußtsein oder Ich, die Wirklichkeit als solche besitzen. Alle Wirklichkeit ist Wirklichkeit des Ich, und so gewiß ich mir der Wirklichkeit des Ich bin, so gewiß bin ich mir auch der Wirklichkeit als einer solchen.

Freilich bin ich mir nur der Wirklichkeit meines eigenen Ich unmittelbar gewiß. Ich erkenne mich selbst und meine Wirklichkeit mit unumstößlicher Sicherheit. Aber so erkenne ich auch eben nur mich selbst. Ob es noch andere Bewußtseins gibt außer dem meinigen, ob es außer mir überhaupt etwas gibt, darüber vermag die Selbstgewißheit meines eigenen Bewußtseins mir nichts auszusagen. Mein Bewußtsein, genauer das Subjekt meiner Bewußtseinstätigkeit, ist real, weil es die Form meines Bewußtseinsinhaltes bildet. Allein die übrige Wirklichkeit ist mir nicht als Form, sondern bloß als Inhalt meines Bewußtseins, als Bewußtsein gegeben. Die Welt ist meine Vorstellung. Mit welchem Recht darf ich ihr eine andere Wirklichkeit wie meinem Bewußtsein zuschreiben?

Vom Standpunkt der unumstößlichen Gewißheit der Wirklichkeitserkenntnis aus, wie der erkenntnistheoretische Idealismus sich ihrer rühmt, offenbar mit meinem Recht. Ich weiß von ihr ja nur als von meinem Bewußtseinsinhalt. Ihr mehr als eine Bewußtseinswirklichkeit zuzuschreiben, sie für etwas anderes als für ein Erzeugnis meiner eigenen Denktätigkeit ausgeben, würde ja heißen, auf die Selbstgewißheit des Bewußtseins zu verzichten, die Einerleiheit des Seins mit dem Bewußt-Sein im Sinne des naiven Realismus behaupten und damit in den überwundenen Standpunkt des letzteren zurückfallen. Mit anderen Worten: das cogito ergo sum führt mich unter der Voraussetzung der unumstößlichen Gewißheit meiner Wirklichkeitserkenntnis nicht über mein eigenes Bewußtsein hinaus. Es gewährt mir nur die Möglichkeit, mich selbst, mein eigenes Ich, auf den Felsen der absoluten Wirklichkeit hinaufzuretten, aber um den Preis, allen übrigen Ichen und Dingen außer mir die selbständige Wirklichkeit abzusprechen und sie lediglich als meine Vorstellungen ansehen zu müssen.

DESCARTES selbst hat diese Folgerung nicht gezogen. Er leitete die Gewißheit der Wirklichkeit des eigenen Ich davon her, daß sie auf einer "klaren und deutlichen" Erkenntnis beruth und behauptete, alles, was ich ebenso klar und deutlich erkenne, wie mein Ich, müsse deshalb auch ebenso real sein. So glaubte er, nicht nur andere Iche außer mir, sondern auch Körper als von mir verschiedene Wirklichkeiten annehmen zu dürfen. Nun bezieht sich aber das Unterscheidungsmerkmal der Klarheit und Deutlichkeit nur auf die Beschaffenheit meiner Vorstellungen, sagt aber über deren Geltung, ob ihnen eine von ihnen verschiedene Wirklichkeit zugrunde liegt, nichts aus. Auch hat DESCARTES die Gewißheit meiner Existenz ja gar nicht aus der Klarheit und Deutlichkeit der Ichvorstellung, sondern aus deren vermeintlichem Zusammenfallen mit dem Sein des Ich, aus einem unmittelbaren Erleben der Wirklichkeit des Ich abgeleitet.

In Wahrheit wird durch das cogito ergo sum eben nur die Wirklichkeit des eigenen unmittelbaren Ich bewiesen, der gegenüber die gesamte übrige Wirklichkeit zur bloßen Bewußtseinswirklichkeit oder Vorstellung herabsinkt. Der erkenntnistheoretische Idealismus in der Form des subjektiven Idealismus oder Bewußtseinsrealismus ist daher folgerichtigerweise ein Solipsismus. Er muß behaupten, daß nur Ich existiere, und alle übrige Wirklichkeit in der meinigen eingeschlossen ist. Man hat diesen Standpunkt "verrückt" gescholten, und es gibt wohl kaum einen Philosophen, der sich jemals ernsthaft zu ihm bekannt oder ihn wirklich durchzuführen versucht hätte. Denn auch von SCHUBERT-SOLDERN, der sich selbst einen "erkenntnistheoretischen Solipsisten" nennt, leugnet die Annahme von fremden Bewußtseinsindividuen außerhalb des eigenen Ich nicht, und ANTON von LECLAIR erklärt den logischen Zwang, fremde Subjekte anzunehmen, für so groß, wie den Zwang, mit dem sich die Wahrnehmung selbst geltend macht. Nur ein Wahnsinniger, meint man, kann behaupten, daß alle Wirklichkeit nur als Inhalt der Form seines eigenen Bewußtseins existiert, weshalb dann auch SCHOPENHAUER den Solipsismus ins Tollhaus verwiesen hat, wenngleich er ihn mit vielen anderen theoretisch für unwiderlegbar ansieht.


Das "Bewußtsein überhaupt"

Man hat sich dem Solipsismus dadurch zu entziehen versucht, daß man das Ich, dessen alleinige Wirklichkeit durch das cogito ergo sum festgestellt wird, gar nicht als individuelles, sondern als absolutes aufgefaßt hat. Schon KANT spricht im Gegensatz zum individuellen Ich von einem "Bewußtsein überhaupt", um mittels dieses Begriffs über den subjektiven Idealismus BERKELEYs mit seiner Annahme einer Vielheit selbständiger Iche hinwegzukommen und die Übereinstimmung der Vorstellungswelten in den vielen verschiedenen Individualbewußtseinen zu erklären. Alle Erkenntnis ist eine solche des Bewußtseins. Gäbe es aber nur ein Individualbewußtsein, so wäre alle Erkenntnis bloß subjektiv und könnte von einer Allgemeingültigkeit unserer Erkenntnis nicht gesprochen werden. Nur weil und indem in jedem einzelnen Bewußtsein sich zugleich die Einheit allen Bewußtseins überhaupt zur Geltung bringt, erlangt unsere Erkenntnis eine über das Individualbewußtsein hinausreichende objektive allgemeine und notwendige Geltung.

In der näheren Ausführung dieses Gedankens erklärt auch FICHTE das Bewußtsein, wie es die schöpferische Form des Bewußtseinsinhaltes bildet und diesen erst zum Bewußtseinsinhalt macht, für ein allumfassendes, allen verschiedenen Bewußtseinsindividuen gemeinsames Bewußtsein, und RICKERT erblickt das "erkenntnistheoretische Subjekt", den Träger und Schöpfer aller Erkenntnisobjekte in einem allen Inhalts entleerten namenlosen, allgemeinen, unpersönlichen Bewußtsein überhaupt, zu dem auch mein Ich sich als Inhalt verhält, und das er demnach auch als ein "weltumfassendes" bezeichnet. Alles bestimmte Sein ist Inhalt eines ansich unbestimmten überindividuellen allgemeinen Bewußtseins. Alle Verschiedenheit betrifft nur die Inhalte der Individualbewußtseine; ihre Form jedoch ist für alle ein und dieselbe, nämlich diejenige des absoluten Bewußtseins.

Damit scheint der Solipsismus, der die Bewußtseinsnatur der Wirklichkeit aus ihrem Enthaltensein im Ichbewußtsein herleitet, überwunden. Er bleibt, wie RICKERT ihm vorwirft, auf halbem Weg stehen. Die Welt ist nicht mein Bewußtseinsinhalt. Das Bewußtsein im Gegensatz zu allem Inhalt, das Subjekt im Gegensatz zu allen Objekten kann nicht als individuelles Ich und sonach auch nicht als "mein" Bewußtsein angesehen werden. Die Welt ist nicht Inhalt eines individuellen Bewußtseins, denn ein solches ist ja selbst nur ein Teil der Welt. Da aber nur das individuelle Ich, nicht aber das zu allem Sein gehörende Bewußtsein, die allgemeine Bewußtseinsform, ein "Selbst" ist und dem Selbst, als einem Teil der Welt, nie die Bestimmung beigelegt werden darf, daß es "allein" und also ein Ganzes ist, so ist das aus solus und ipse gebildete Wort nach RICKERT nichts weiter als - ein Wort, mit dem weder die Anhänger noch die Gegner des Solipsismus einen klaren Sinn verbinden können. Freilich, fügt er hinzu, ist der Solipsismus nur mit Hilfe des Begriffs vom unpersönlichen "Bewußtsein überhaupt" zu widerlegen. Wer lediglich ein individuelles Bewußtsein und trotzdem keine von ihm unabhängige, also in diesem Sinne transzendente (jenseits des jenes Bewußtseins befindliche) Realität anerkennen will, spricht ddamit die logische Absurdität des Solipsismus aus und vermag niemals über ihn hinauszukommen. (6)

So ist also auch auf diesem Standpunkt Sein gleich Bewußtsein, und zwar als Form bzw. als Inhalt eines absoluten Bewußtseins. Es gibt eine von meinem Ich unabhängige Wirklichkeit, die für alle verschiedenen Individuen ein und dieselbe ist, und diese heißt die "objektive Wirklichkeit", sofern sie Objekt des absoluten Subjekts ist. Das "Bewußtsein überhaupt" ist sozusagen der "Ort der Wirklichkeit"; alle Wirklichkeit ist nur in ihm und folglich bloße Bewußtseinswirklichkeit.

In der Tat, wenn alles Sein Inhalt der Form eines absoluten Bewußtseins ist, wenn es ein Bewußtsein gibt, das schlechthin alles Sein als seinen Inhalt in sich einschließt, ein "weltumfassendes Bewußtsein", ein Bewußtsein, das "alle Wirklichkeit umspannt", dann gibt es natürlicherweise keine außerbewußte Wirklichkeit und ist damit der subjektive Idealismus absolut begründet. Wenn alles bestimmte Sein Inhalt der ansich unbestimmten Form des Bewußtseins überhaupt ist, so ist es eben damit selbst Bewußt-Sein. Fragt sich nur, wie wir zur Annahme eines solchen absoluten Bewußtseins kommen und ob wir ein Recht haben, Objekt und Subjekt des Bewußtseins in einer solchen Weise voneinander zu unterscheiden, wie dies von Seiten der Vertreter des Bewußtseins überhaupt geschieht.

Aus dem cogito ergo sum kann jene Annahme jedenfalls nicht abgeleitet werden. Das cogito ergo sum besagt nur, daß mein Sein Bewußtsein, nämlich Inhalt der Form meines Ichbewußtseins oder daß mein Ichbewußtsein eine für sich selbständige Wirklichkeit ist. Daß diese Form eine absolute, für alle Iche dieselbe ist, davon ist in jenem Satz nichts enthalten. Nur der Wunsch, über den Solipsismus hinwegzukommen und die Wirklichkeit trotzdem nicht aus dem Bewußtsein hinausfallen zu lassen, bildet den Grund für die Annahme eines weltumspannenden Bewußtseins. Das cogito ergo sum bestimmt die Wirklichkeit als eine solche meines Ichbewußtseins; es kennt die Bewußtseinsform nur als eine individuelle: Ich denke, also bin ich, Ich, dieses Einzelwesen, das die Tätigkeit des Denkens ausübt. Ich "erlebe" mich sozusagen selbst in meinem Ichbewußtsein, werde mir meiner selbst als eine Wirklichen inne, verwirkliche mich, indem ich mich denke: das Denken des Ich (genitivus objectum) ist das Denken des Ich (genitivus subjectum). Dabei ist vom Ich immer nur als individuellem die Rede. Daß es ein absolutes Bewußtsein gibt, davon weiß ich unmittelbar nichts, als solches erlebe ich nicht; höchstens daß ich von ihm einen bloßen "Begriff" in meinem Ichbewußtsein habe. Mein Denken bezeugt mir unmittelbar nur die Wirklichkeit meines Ich; in ihm fallen Denken und Sein nach DESCARTES unmittelbar in eins zusammen. Den Begriff eines absoluten Bewußtseins im Unterschied von meinem Ichbewußtsein habe ich nur durch Abstraktion von diesem, durch die Ausscheidung alles bestimmten Inhalts aus dem Ich und alleinige Beibehaltung der abstrakten unbewußten Form eines Bewußtseins überhaupt gewonnen; Er ist ein Erzeugnis meines Ich, folglich später als dieses und kann daher unmöglich zugleich für den absoluten Träger, für die reale übergreifende Form des individuellen Bewußtseins angesehen werden. Dieses Bewußtsein ist freilich für die verschiedenen Iche, das eigene, wie die fremden, ein und dasselbe, aber nicht, weil es diesen als deren gemeinsame Form zugrunde liegt, sondern weil es nur in Gedanken von ihnen abgezogen und daher gänzlich unbestimmt und unindividuell ist. Mit dem gleichen Recht, mit welchem ich diese kahle Abstraktion zum Subjekt aller individuellen Iche mache, konnte ich mit PLATO behaupten, daß alle bestimmten Pferde nur Inhalt des allgemeinen Begriffs der Pferdheit sind oder daß der abstrakte Begriff des Pferdes, "das Pferd überhaupt", das Subjekt und begründende Prinzip der wirklichen, gegebenen Pferde wäre.

Auch RICKERT leugnet nicht, daß das Bewußtsein überhaupt nur ein Begriff, aber keine Realität, "weder eine transzendente noch eine immanente" ist (7). Er räumt ein, daß dieser Begriff nicht gebildet werden kann ohne den des dazugehörigen Bewußtseinsinhaltes und daß es allein dieser Inhalt ist, dem Wirklichkeit zukommt, nämlich diejenige des immanenten Seins, d. h. Bewußt-Seins. Das Bewußtsein überhaupt bedeutet nur "die Form der Bewußtheit oder den begrifflich isolierten Subjektfaktor, der zu jedem Bewußtseinsinhalt gehört", und RICKERT bezeichnet es ausdrücklich als "unwirklich, wie alle Formen ohne den dazugehörigen Inhalt" (8). "Bewußtsein ist nur ein anderer Name für alles uns unmittelbar bekannte und gegebene Sein", "die Art des Seins der immanenten Objekte", "der allgemeine Gattungsbegriff des immanenten im Gegensatz zu dem des transzendenten Seins" (9). Aber so besagt dieser Begriff nichts anderes, als daß es ein immanentes Sein gibt, ein Sein, das als solches Bewußt-Sein ist. Daß es jedoch nur ein solches gibt, daß alles Sein überhaupt nur Bewußt-Sein, ideelles Sein und als solches Inhalt der Form eines allumfassenden Bewußtseins ist, das liegt im Begriff des Bewußtseins durchaus nicht enthalten.

Diese Behauptung kommt erst dadurch zustande, daß das "erkenntnistheoretische Subjekt", die Bewußtseinsform nach Abzug all ihres Inhalts, für mehr als einen bloßen Begriff angesehen, daß es zu einem für sich seienden realen Subjekt aufgebauscht und die individuelle Bewußtseinsform, deren Wirklichkeit allein durch das cogito ergo sum verbürgt zu werden scheint, als solche für absolut erklärt wird. Denn alsdann gibt es freilich gar kein anderes Sein als die absolute Bewußtseinsform und ihren Inhalt und ist sonach alles Sein Bewußtsein (Bewußt-Sein).

Eine solche Verabsolutierung ist nun aber offenbar erkenntnistheoretisch nicht zu rechtfertigen. Als Erkenntnistheoretiker habe ich nur ein Interesse daran, ob es eine Wirklichkeit außerhalb dieses meines, des Erkennenden, Bewußtseins gibt, ein Jenseits für mein Ichbewußtsein, das mir allein unmittelbar gegeben ist, oder ob alles Sein, wie der Solipsismus annimmt, bloß meinem Bewußtsein zugehörig ist. Wenn es eine solche Wirklichkeit gibt, so ist sie erkenntnistheoretisch jedenfalls außerhalb meines Bewußtseins gelegen; damit aber ist ein von meinem Bewußtsein Unabhängiges, ein Ding-ansich in Bezug auf mein Bewußtsein zugestanden. Nun mag dieses Ding-ansich immerhin einem unpersönlichen absoluten Bewußtsein immanent sein; von einem solchen Bewußtsein weiß ich aber unmittelbar nichts. Ich denke es mir nur, um über die Schwierigkeit der alleinigen Realität meines Ichbewußtseins hinwegzukommen. Es ist folglich ein bloßer Gedanke von mir, eine Hypothese und noch dazu eine metaphysische Hypothese, da sie die Grenzen der gegebenen Erfahrung überschreitet; und folglich ist auch jene Immanenz, jenes Enthaltensein der Wirklichkeit im absoluten Bewußtsein, gar keine erkenntnistheoretische, sondern eine metaphysische Immanenz, die mich, als Erkenntnistheoretiker, gar nichts angeht. Es ist der wunderlichste Irrtum, zu meinen, daß man noch auf dem Boden des erkenntnistheoretischen Idealismus mit seiner Gleichsetzung des Seins und des Bewußtseins, d. h. des gegebenen, Bewußtseins, steht, wenn man die Existenz einer Wirklichkeit in einem anderen Bewußtsein als dem meinigen behauptet. Denn ein solches Bewußtsein ist mir nicht gegeben. Jene Wirklichkeit verhält sich zu meinem, dem mir allein unmittelbar gegebenen Bewußtsein jedenfalls als Ding-ansich und widerspricht damit dem erkenntnistheoretischen Idealismus und seiner Leugnung von Dingen ansich. Und es ist eine unerlaubte Spielerei mit dem Doppelsinn des Wortes "Bewußtsein", wenn man, wie die Vertreter des "Bewußtseins überhaupt", dem Begriff des gegebenen, nämlich des Ichbewußtseins oder Individualbewußtseins, denjenigen eines absoluten Bewußtseins unterschiebt, das mir nicht gegeben, sondern zum gegebenen Bewußtsein nur als dessen absoluter Grund hinzugedacht ist.

Gegeben ist mir alles Sein nur als Bewußt-Sein; so aber ist es mir nur als Inhalt meines eigenen, des individuellen Bewußtseins gegeben. Der Inhalt eines über mein Ich hinausragenden absoluten Bewußtseins ist mir nicht gegeben, sowenig wie dieses Bewußtsein selbst, und somit habe ich auch kein Recht, das nicht Gegebene für den Inhalt eines solchen Bewußtseins und damit gleichfalls als Bewußt-Sein anzusehen. Ist es doch auch ein Widerspruch, daß etwas, von dem ich kein Bewußtsein habe, Inhalt eines absoluten Bewußtseins sein soll, wenn doch mein Bewußtsein und das absolute Bewußtsein der Form nach ein und dasselbe sein sollen. Die Selbstgewißheit des Bewußtseins, aufgrund welcher ich die Bewußtseinsbeschaffenheit des mir gegebenen Seins behaupte, bezieht sich nur auf mein Ichbewußtsein; folglich kann ich des Enthaltenseins der Wirklichkeit in einem absoluten Bewußtsein auch niemals unmittelbar gewiß sein.

Gesetzt, es gäbe eine solche Wirklichkeit, so könnte ich ihrer nur alsdann unmittelbar gewiß sein, wenn das absolute Bewußtsein, dessen Inhalt sie bildet, als solches selbst mein eigenes Bewußtsein, dieses Bewußtsein folglich absolut wäre. Denn nur in diesem Fall wäre sein Inhalt unmittelbar zugleich ein solcher meines Ichbewußtseins. Das aber ist die Behauptung eines Solipsismus, der durch die Annahme eines von meinem individuellen Bewußtsein verschiedenen Bewußtseins, eines Bewußtseins überhaupt, ja gerade überwunden werden soll. Wenn also der Standpunkt des Solipsismus, wie RICKERT zugibt, nur mit Hilfe eines "Bewußtseins überhaupt" widerlegbar sein soll, so ist er überhaupt unwiderleglich. Denn das absolute Bewußtsein und mein Ichbewußtsein müssen sich vollkommen decken, mein Ich muß selbst ein absolutes sein, wenn alles Sein überhaupt nichts anderes als Bewußt-Sein, Bewußtsein und Sein ein und dasselbe sein sollen. Ist aber somit alles Sein nur Inhalt meines, des individuellen Ichbewußtseins, so bin ich die einzige wahre Wirklichkeit, die es gibt, und die Welt ist meine Vorstellung, wie dies der Solipsismus behauptet. Mag RICKERT immerhin darin recht haben, daß das absolute Bewußtsein kein "Selbst" sein kann, weil es keine Wirklichkeit neben sich hat, sondern alles nur sein Inhalt ist, so kann doch recht wohl das Ich oder Selbst ein absolutes Bewußtsein sein, sofern es allein wirklich existiert und diese seine Wirklichkeit uns durch das cogito ergo sum unmittelbar verbürgt wird. Das "Bewußtsein überhaupt" ist eine Verlegenheitsausflucht, um der närrischen Ansicht des Solipsismus zu entgehen. So bildet es die offene oder versteckte Voraussetzung des erkenntnistheoretischen Idealismus, zumindest soweit dieser ein Bewußtseinsrealismus ist, d. h. im Sinne eines cogito ergo sum der Form des Bewußtseins eine andere, und zwar höhere Wirklichkeit als dem Bewußtseinsinhalt zuschreibt, und spielt daher eine entscheidende Rolle nicht bloß bei WINDELBAND und RICKERT, sondern in der gesamten neukantischen Erkenntnistheorie, da diese ohne dessen Annahme rettungslos dem Solipsismus und weiterhin dem absoluten Jllusionismus und Nihilismus mit seiner Verflüchtigung des Seins zum bloßen reinen Schein verfallen würde. (10)

Die Kritik des "Bewußtseins überhaupt" wirft uns wieder auf den Standpunkt des Solipsismus zurück, den wir als die allein folgerichtige Form des subjektiven Idealismus oder Bewußtseinsrealismus erkannt haben. Sie stellt uns vor die Aufgabe, die Unhaltbarkeit dieses Standpunktes nachzuweisen, bevor wir uns den übrigen genannten Formen des erkenntnistheoretischen Idealismus zuwenden. SCHOPENHAUER hat, wie gesagt, den Solipsismus für unwiderlegbar erklärt. Er erblickt in ihm so etwas wie eine kleine Grenzfestung, die man zwar nicht einnehmen, aber ungefährdet im Rücken liegen lassen kann. Allein für die Erkenntnistheorie, als voraussetzungslose Wissenschaft, kann es, wie RICKERT mit Recht bemerkt, solche Grenzfestungen nicht geben. Sie hat mit allen Vorurteilen aufzuräumen, die der Möglichkeit einer unbefangenen Erkenntnis der Wirklichkeit entgegenstehen, und dazu gehört vor allem auch die Annahme der Unwiderlegbarkeit des Solipsismus.


Kritik des cogito ergo sum

Der Solipsismus gründet sich auf das cogito ergo sum. Er steht und fällt mit diesem Satz. Wie verhält es sich demnach mit der Wahrheit jener Grundvorassetzung der gesamten neueren Philosophie?

Das cogito ergo sum behauptet, daß der Bewußtseinsform eine höhere Art der Wirklichkeit, als ihrem Inhalt zukommt: Ich, das Subjekt, denke alle übrige Wirklichkeit und mache sie dadurch zu einem von mir Gedachten oder Objekt, d. h. zu meinem Bewußtseinsinhalt. Ich bin mir meiner Wirklichkeit durch mein Denken bewußt und setze die gesamte übrige Wirklichkeit als Inhalt der Form meines denkenden Bewußtseins. Sein = Bewußt-Sein des Individualbewußtseins oder Ich.

Nun verhalten sich jedoch in Wahrheit das Objekt und das Subjekt wie der Vorstellungsinhalt und seine Bewußtheit zueinander. Die Bewußtseinsform, das Ich, ist nur die Abstraktion der Bewußtseinsbeschaffenheit (Bewußtheit) unserer bewußten Vorstellungen, die "Widerspiegelung der Form des Bewußtseins im Inhalt des Bewußtseins" (von HARTMANN), der zusammenfassende begriffliche Ausdruck für die Bewußtheit der zu meinem Bewußtsein gehörigen Vorstellungen oder dafür, daß meine Vorstellungen das gemeinsame Merkmal der Bewußtheit an sich haben. So ist jene Form allerdings immer mit sich selbst gleich, wann und wo sie gegeben ist, aber es ist ein bloßer Schein, daß sie, wie das cogito ergo sum behauptet, etwas beim Wechsel ihrer Inhalte Beharrendes, eine für sich bestehende substantielle Einheit darstellt. Sie entsteht vielmehr zugleich mit dem Inhalt des Bewußtseins und vergeht mit diesem; und nur die Stetigkeit dieses Wechsels, das teilweise Verschmelzen der Bewußtseinsinhalte und das gedankenlose Absehen von den Zuständen der Bewußtlosigkeit, wie im Schlaf, der Ohnmacht, in gewissen Krankheitszuständen usw., erzeugt die Vorstellung, als ob die überall mit sich selbst gleiche Bewußtseinsform eine stetige und dauernde Einheit im Wechsel ihrer Inhalte wäre. Das kann sie aber schon deshalb nicht sein, weil die gegenteilige Behauptung die Annahme eines unbewußten Bewußtseins, eines "hölzernen Eisens" in sich einschließt, nämlich für die Fälle, wo ich mir ihrer nicht unmittelbar bewußt bin.

Aus demselben Grund kann die Bewußtseinsform auch keine einfache Einheit, die ihren Inhalt in seiner Mannigfaltigkeit aus sich hervorbringt, das schöpferische Subjekt unserer bewußten Vorstellungen sein. Ist sie doch eben nur eine bloße Folge stetig aneinandergereihter Bewußtseinsformen, die an den wechselnden Inhalten haften, und ihre Tätigkeit ist genau so ein bloßer Schein, wie ihre Einfachheit und ihre stetige Dauer der Mannigfaltigkeit und dem Wechsel ihres Inhalts. Es gibt keine Bewußtseinstätigkeit. Das Bewußtsein ist kein für sich seiendes Subjekt, das Objekt kein Erzeugnis des Subjekts. Subjekt und Objekt stehen in keinerlei ursächlichem, sondern in einem bloßen Gegenverhältnis zueinander als der beiden einander entsprechenden Pole desjenigen Seins, das wir reales Sein im Unterschied vom ideellen nennen. Das Bewußtsein ist eine Eigenschaft unserer Vorstellungen, ihre Bewußtheit, aber nicht deren tragende Substanz, ein Zustand des Geistes, den er haben und nicht haben kann, aber nicht der Geist selbst, eine Form unserer Vorstellungen, aber nicht deren formendes Prinzip. Es ist folglich auch gänzlich untätig und unschöpferisch, schmiegt sich allen gegebenen Vorstellungen gleichmäßig an und begleitet nur, wie ein Schatten, die lebendige Fortbewegung ihres Inhalts. Man kann es allenfalls als logisches, gedachtes, bewußtseinsimmanentes Subjekt dem Objekt oder Bewußtseinsinhalt gegenüberstellen; nur ein reales Subjekt, der substantielle Träger und Quellpunkt des Bewußtseinsinhaltes ist es nicht. Es ist die von KANT mit Recht gerügte "Subreption" (Erschleichung) des hypostasierten (vergegenständlichten) Bewußtseins, die Bewußtseinsform zu einem realen schöpferischen Subjekt, d. h. zur Seele, aufzubauschen.

Was wird also jetzt damit bewiesen, wenn ich das Ich mit FICHTE, SCHELLING und anderen als die Einerleiheit des Subjekts und des Objekts, als das Zusammenfallen des Idealen und Realen bestimme? Für seine Realität und Selbständigkeit jedenfalls nichts. Soll damit nur gesagt sein, daß im Ich Denken und Sein ein und dasselbe sind, so ist dies offenbar ganz richtig, nämlich falls unter einem Sein nichts anderes verstanden wird als das Denken-Sein, das ideelle Sein oder das Bewußt-Sein. Mein Denken des Ich (genitivus objectum) ist das Denken meines Ich (genitivus subjectum). Der Gedanke, den ich von mir habe, ist zugleich das Subjekt meines Denkens. Das Bewußtsein von meinem Sein ist das Bewußtsein meines Seins. Das Sein ist selbst Bewußtsein, das Selbstbewußtsein ist das Sein. Nur dadurch kann ich über eine nichtssagende Selbstverständlichkeit hinaus, daß ich zwei grammatisch verschiedene Genitive dem Sinn nach als dieselben setze. Nur dadurch bringe ich eine Einerleiheit des Denkens oder des Bewußtseins mit dem Sein zustande, daß ich dem Gedanken oder der Vorstellung des Seins (genitivus objectum), dem Sein als bewußtseinsimmanentem Objekt, das wirkliche Sein, das Sein als vom Bewußtsein oder Denken verschiedenes Subjekt, unterschiebe. Das aber ist eben die von KANT gerügte "Subreption des hypostasierten Bewußtseins", deren Durchschauung ihn freilich selbst nicht davon abgehalten hat, sie trotzdem seiner gesamten Vernunftkritik unter dem Namen der "synthetischen Einheit der transzendentalen Apperzeption" zugrunde zu legen, die FICHTE zu seinem absoluten Ich, SCHELLING zu seiner Dieselbigkeit des Idealen und Realen verführt hat und welche die Philosophen bis auf den heutigen Tag dazu veranlaßt hat, das Bewußtsein in den Rang eines selbsttätig sich auswirkenden Subjekts zu erheben und mit dem Sein der Wirklichkeit schlechthin in eins zu setzen.

Das Ich ist Subjekt-Objekt; aber das heißt nicht, daß in ihm reales und ideales Sein, Sein und Bewußtsein zusammenfallen, sondern es heißt nur, daß in meinem Bewußtsein, innerhalb dieser Sphäre der bloßen Ideellität, das Subjekt und seine Vorstellung zusammenfallen. Es heißt nicht, daß ich im Bewußtsein unmittelbar-real bin, sondern nur, daß meine Realität im Bewußtsein eben nur Bewußtseinsrealität, Bewußt-Sein oder Vorstellungs-Sein ist.

Das Ich oder Selbstbewußtsein ist kein Sein, keine für sich selbständige Realität, weil es Bewußt-"Sein" heißt. Ich müßte sonst etwa auch dem Allein-Sein, dem Unwohl-Sein usw. mit dem platonischen Begriffsrealismus eine selbständige Realität zuschreiben. Das Bewußtsein selbst ist eben nur die Abstraktion der Bewußtseinsform von dem uns allein unmittelbar gegebenen individuellen Bewußtseinsinhalt, der begriffliche Ausdruck für die Bewußtheit dieses Bewußtseinsinhaltes, eine bloß passive Zuständlichkeit und daher gänzlich außerstande, irgendeine Wirklichkeit begründen zu können. Gesetzt aber selbst, das reale vorstellende Subjekt oder der Träger des Bewußtseins wäre selbst Bewußtsein, so könnte ich ihn doch schon deshalb nicht unmittelbar vorstellen, weil er früher als meine Vorstellung von ihm wäre. Damit ich ihn vorstellen kann, müßte er diese meine Vorstellung von ihm erzeugt haben. So aber würde ich ihn nur als Erzeugnis der Vorstellungstätigkeit, aber nicht als den Erzeuger meiner Vorstellung von ihm vorstellen. Im unmittelbaren Bewußtseinsinhalt kann also höchstens nur die Form eines vergangenen, durch die Erinnerung vergegenwärtigten, aber niemals die Form des gegenwärtigen Bewußtseinsinhalts selbst enthalten sein. Die Form des gegenwärtigen Bewußtseins kann nicht zugleich ihr eigener Inhalt sein. Als Inhalt des Bewußtseins bedarf sie vielmehr einer neuen Form. Diese stellt nun aber eben nur die Form dieses neuen Bewußtseinsinhalts dar und ist genau so passiv wie diese. So kann ich also den Erzeuger meiner Vorstellungen nur im Spiegel des Bewußtseins, aber niemals als Erzeuger, niemals als reales oder vorstellendes Subjekt vorstellen. Ich kann folglich die Wirklichkeit meiner selbst nicht "unmittelbar erleben", so wenig wie ich mich selbst gleichzeitig sowohl als Spiegelbild wie in der Wirklichkeit betrachten kann. Was ich erlebe, ist immer nur die Tatsache des Vorhandenseins von Spiegelbildern, d. h. Bewußtseinsinhalten, ich erlebe ein Bewußt-Sein. Das Sein als solches hingegen kann nicht erlebt, sondern höchstens nur mittelbar aus der Beschaffenheit der erlebten Vorstellungen erschlossen werden. Davon macht auch unsere eigene Wirklichkeit keine Ausnahme. Wie sagt doch SCHILLER? "Warum kann der lebendige Geist dem Geist nicht erscheinen? Spricht die Seele, so spricht - ach - schon die Seele nicht mehr."

Es ist nicht anders: ich erfasse auch mich selbst nicht als Sein, sondern als Bewußt-Sein, nicht als reales, sondern als ideelles Sein. Alles Sein, dessen ich mir bewußt bin, ist Bewußt-Sein; auch mein Ich. Auch dieses, so, wie ich mir desselben bewußt bin, ist kein Ding-ansich, sondern eine bloße Vorstellung. Ich erkenne auch mich selbst nicht, wie ich an mir bin, sondern nur, wie ich mir erscheine. So wie ich die Außenwelt nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar durch die Vorstellung von ihr, das transzendentale, auf ein Ding-ansich bezügliche Objekt erkennen kann, so kann ich auch das vorstellende Subjekt dieser Außenwelt nicht unmittelbar als reales Subjekt, sondern nur mittelbar als transzendentales, auf eine solche Realität bezügliches Subjekt erkennen. Mein Ich ist also nicht dieses Subjekt selbst, sondern nur das bewußtseinsimmanente Spiegelbild desselben.

Das reale Subjekt, der Erzeuger meiner Vorstellungen, und sein Erzeugnis, meine Vorstellung von ihm, mein Ich, sind zweierlei, verhalten sich wie Gegenstand und Spiegelbild, wie Reales und Ideelles, wie Erscheinung und Ding ansich zueinander. Auch mein Ich ist mir immer nur in und mit meinen Vorstellungen, als meine Vorstellung gegeben. Es ist, sofern ich mir seiner bewußt bin, nur eine Vorstellung unter anderen Vorstellungen. Wenn ich vorstelle, so stelle ich auch immer zugleich mein Ich mit vor; aber dies ist eben darum auch nur meine Vorstellung. Mein Bewußt-Sein, meine Vorstellungen setzen die Annahme eines Trägers und Erzeugers dieser Vorstellungen voraus, aber dieser Erzeuger meines Bewußtseins bin ich nicht; das Ich gehört selbst dem Bewuß-Sein an. Die Voraussetzung des Bewußt-Seins aber kann als solche niemals selbst ins Bewußt-Sein erhoben werden. Der Träger und Erzeuger des Bewußt-Seins, wenn es einen solchen gibt, muß vor und jenseits des Bewußt-Seins liegen. Wie sollte er also Bewußtseinsinhalt werden können? Wenn gedacht wird, so kommt darin auch immer zugleich der Ichgedanke vor: ich werde gedacht; allein so ist das Ich nur das ideelle, aber nicht das reale Subjekt des Denkens. Sich selbst unmittelbar in seiner Realität erfassen wollen, ist nicht anders als, wie LIEBMANN bemerkt, so schnell um einen Raum herumlaufen wollen, daß man sich selbst beim Schopf fassen kann. Oder wie LICHTENBERG es ausdrückt: "Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu sagen cogito ist schon zuviel, wenn man es mit Ich denke übersetzt." Es wird vorgestellt, Vorstellungen sind, Vorstellungssein ist, wenn vorgestellt wird. Nicht cogito: ich stelle vor, sondern cogatitur: es wird vorgestellt. Das ist die einzige unmittelbar gewisse Tatsache unseres Bewußtseins. So aber führt sie uns über das Bewußtsein nicht hinaus und ist eins mit dem Satz des Bewußtseins, daß alles, was Inhalt unseres Bewußtseins ist, Bewußt-Sein oder ideelles Sein ist.

Es ist nicht schwer, zu erkennen, daß die Annahme des Bewußtseinsrealismus von der unmittelbaren Wirklichkeit unseres Ich nur einen stehengebliebenen Rest des naiven Realismus innerhalb des erkenntnistheoretischen Idealismus darstellt: Sein ist Bewußt-Sein, Vorstellungs-Sein, aber das Ich macht hiervon eine Ausnahme; es ist unter den gegebenen Inhalten des Bewußtseins als solcher zugleich ein reales Sein. Nun sahen wir uns genötigt, den naiven Realismus wegen seines Widerspruchs gegen den Satz des Bewußtseins als erkenntnistheoretischen Standpunkt abzulehnen. Es ist daher nur selbstverständlich, daß wir aus demselben Grund auch dem subjektiven Idealismus oder Bewußtseinsrealismus keine Wahrheit werden zugestehen können.

Der Bewußtseinsrealismus macht einen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem Inhalt und der Form des Bewußtseins. Er behauptet, daß die Form des Bewußtseins, das Bewußtsein, ihrem Inhalt, dem Bewußt-Sein, gegenüber ein Selbständiges, Beharrliches und in diesem Sinne ein Reales darstellt. Er löst die Form des Bewußtseins von ihrem Inhalt los und erklärt sie für den substantiellen Träger und Erzeuger ihres Inhalts.

Wie verhält sich diese Auffassung zum Satz des Bewußtseins?

Der Satz des Bewußtseins drückt die untrennbare Zusammengehörigkeit von Form und Inhalt des Bewußtseins aus. Er besagt, daß beide sozusagen nur die Pole derjenigen Art des Seins darstellen, die wir Bewußtsein nennen. Das cogito ergo sum hingegen stellt das Bewußtsein, das Subjekt, als ein selbständiges Sein dem Bewußt-Sein oder Objekt gegenüber, schreibt der Bewußtseinsform eine besondere Art des Seins, nämlich diejenige des realen Seins im Unterschied vom ideellen oder Bewußt-Sein zu und tut damit gerade das, was der "Satz des Bewußtseins" ausdrücklich verbietet. Denn hier heißt es: der Bewußtseinsinhalt ist ein ideelles oder Vorstellungs-Sein. Dort dagegen heißt es: er ist dies mit Ausnahme des Bewußtseins, der Form des vorstellungsmäßigen Bewußtseinsinhalts, die als solche ideell und real zugleich ist.
    "Alle Wirklichkeit", sagt Lipps, "von der ich weiß, ist eine Wirklichkeit für das Bewußtsein, nur nicht die Wirklichkeit des Ich. Sie ist die Wirklichkeit des Bewußtseins selbst." (11)
Aber darin steckt eben der Widerspruch gegen den Satz des Bewußtseins. Dieser Satz besagt: Alles Sein, was Inhalt des Bewußtseins ist, ist Bewußt-Sein. Das cogito ergo sum hingegen behauptet: Das Bewußt-Sein ist Inhalt der an und für sich realen Form des Bewußtseins, die Vorstellungen sind Bestimmungen des Ich, das Ich ist der reale Träger und Erzeuger unserer Vorstellungen, und die Lehre vom Bewußtseins überhaupt fügt hinzu, daß jene Form ein überindividuelles, absolutes Bewußtsein ist; sie faßt als "das" Bewußtsein als eine für sich selbständige reale Form von unpersönlicher Beschaffenheit auf, während der Satz des Bewußtseins doch nichts anderes mein, als daß das Bewußt-Sein, der Bewußtseinsinhalt als solcher eben Bewußt-Sein ist. Der subjektive Idealismus widerspricht dem Satz des Bewußtseins. Damit ist auch dieser Standpunkt gerichtet. (12)
LITERATUR Arthur Drews, Einführung in die Philosophie, Berlin 1921