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MAX VERWORN
Die Frage nach den
Grenzen der Erkenntnis

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"Eine streng wissenschaftliche Darstellungsweise kennt keine Ursachen, sondern nur gesetzmäßige Abhängigkeiten. Soll aber der Begriff Kausalität nur das Bestehen einer eindeutig bestimmten Gesetzmäßigkeit bezeichnen, so ist das Moment der causa, der Ursache in ihm nicht bloß überflüssig, sondern direkt falsch, denn ein gesetzmäßiger Vorgang oder Zustand ist nie eindeutig bestimmt durch eine einzige Ursache, sondern immer nur durch eine Summe von Bedingungen, die sämtlich gleichwertig sind, weil sie eben notwendig sind. Kausale Gesetzmäßigkeit ist spekulative Mystik, konditionale Gesetzmäßigkeit ist Erfahrung. Die Mahnung zur konditionalen Betrachtungsweise sollte am Anfang jeder wissenschaftlichen Untersuchung stehen. Überlassen wir also den Ursachbegriff seiner allmählichen Ausrottung durch die Vorstellungsselektion!"

Vorwort

Die folgenden Blätter bilden einen Vortrag, den ich am 29. Februar 1908 in der "Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft" zu Frankfurt am Main vor einem größeren Kreis von Zuhörern gehalten habe. Es war meine Absicht, den Begriff des Erkennens zu analysieren, um auf dieser Basis die Frage nach den Grenzen der menschlichen Erkenntnis einer kritischen Erörterung zu unterziehen.

Das Bedürfnis nach einer eingehenden Behandlung dieser Fragen wird in der Naturforschung größer und größer, denn immer häufiger und immer deutlicher machen sich die Widersprüche fühlbar, zu denen manche der am meisten verbreiteten Vorstellungen der Naturwissenschaft bei konsequenter Verwendung führen. Auf der anderen Seite findet der Naturforscher, der durch seine speziellen Arbeiten im Laboratorium oder Museum in überreichem Maß in Anspruch genommen ist, nur an Feiertagen einmal die Zeit, um sich mit den  allgemeinen  Fragen der gesamten Naturforschung zu beschäftigen. So ist es begreiflich, daß auch in Bezug auf die erkenntnistheoretischen Probleme noch vielfach, besonders in der Biologie Vorstellungen weit verbreitet sind, denen vor 35 Jahren EMIL du BOIS-REYMOND einen klassischen Ausdruck gegeben hat. Die Definitioin des "Naturerkennens", die du BOIS-REYMOND gab, indem er Naturerkennen als "Auflösen der Naturvorgänge in Mechanik der Atome" erklärte, entsprach durchaus den damaligen Anschauungen in der Naturwissenschaft. Heute wird man sie, wenn es sich um eine Erörterung über das Wesen der menschlichen Erkenntnis und ihrer Grenzen handelt, auch in der Naturwissenschaft. Heute wird man sie, wenn es sich um eine Erörterung über das Wesen der menschlichen Erkenntnis und ihrer Grenzen handelt, auch in der Naturwissenschaft kaum noch als Ausgangspunkt benutzen wollen.  Die konditionale Betrachtungsweise der Welt,  auf deren Notwendigkeit ich bereits bei mehrfachen anderen Gelegenheiten mit Nachdruck hingewiesen habe, läßt uns auch in diesem Punkt Klarheit gewinnen. Vor ihr verschwinden die beiden Grenzen der Erkenntnis, die du BOIS-REYMOND als unübersteiglich bezeichnete. Das Problem der Materie und das Problem des Bewußtseins gewinnt ein anderes Gesicht und die prinzipielle Möglichkeit der Erkenntnis erweist sich als unbegrenzt wie die Welt.



Mitten im Paradies stand der Baum der Erkenntnis. Und es war ein lustiger Baum, lieblich anzusehen und gut davon zu essen. Und der Mensch nahm von der Frucht und aß wider das göttliche Verbot. Da wurden seine Augen aufgetan, aber es traf ihn zugleich der göttliche Fluch.

So erzählt die alte Sage. Und noch immer locken die Früchte vom Baum der Erkenntnis des Menschen Verlangen und noch immer ruht der Fluch auf des Menschen Erkenntnis. Wie oft glaubt er sein großes Exempel endgültig und restlos gelöst zu haben und wie oft grinst ihm dann wieder ein gründlicher Irrtum entgegen. Und doch: die Lösung  muß  ihm gelingen. Er hat ja vom Baum der Erkenntnis gegessen und seine Augen sind aufgetan.

Es scheint, daß der alte Fluch umso schwerer auf dem Erkenntnisstreben des Menschen lastet, je tiefer der Mensch in das Wesen der Dinge einzudringen bemüht ist. Wie ein schadenfrohes Gespenst lockt und quält und narrt die Erkenntnis den Menschen, bis er sich endlich entschließt, ganz von vorn zu beginnen, bis er sich zu der Frage bequemt:  Was vermag denn überhaupt die menschliche Erkenntnis zu leisten? 

Die Naturforschung, der die Erkenntnis der Welt so viele Förderung dankt, wird in unserer Zeit immer fühlbarer auf die Notwendigkeit hingedrängt, die Grundlagen der Erkenntnis zu prüfen. Von allen Seiten führen die naturwissenschaftlichen Probleme, wenn man sie bis zu einem gewissen Punkt verfolgt, auf erkenntniskritische Fragen. Gewiß, man kann sehr gut und erfolgreich  Spezialforschung  treiben, ohne sich mit erkenntnistheoretischen Problemen zu quälen. Aber man kann auf keinem Gebiet bis zu den  allgemeinen Problemen  der Naturforschung vordringen, ohne auf erkenntnistheoretische Fragen zu stoßen. Wer etwa glaubt, bis zuletzt diesen Fragen aus dem Weg gehen zu können, der verwickelt sich auf Schritt und Tritt in ein Netz von Widersprüchen. Die großen Naturforscher der letzten Jahrzehnte haben das immer klarer erkannt und sie haben von Zeit zu Zeit unter ihren Fachgenossen ihre Stimme erhoben. Aber das Ergebnis ihres Nachdenkens war sehr verschieden, weil die Fackel ihrer Kritik sehr verschieden weit leuchtete. Mehr synthetische Geister unter ihnen, die ein unstillbares Verlangen nach einem fertigen Weltbild im Busen trugen, fanden keine Schwierigkeit für den menschlichen Geist, die Gesamtheit des Seins schon jetzt restlos zu erfassen. Mehr analytische Köpfe glaubten an verschiedenen Stellen auf unüberschreitbare Grenzen zu stoßen. Aber man vergesse nicht, daß der Naturforscher auf erkenntnistheoretischem Gebiet ein Neuling ist. Probleme, die in der Philosophie seit LOCKE und HUME die Denker bewegt haben, fangen in der Naturforschung erst an, Beachtung zu finden. Allein die Notwendigkeit, sich mit ihnen auseinander zu setzen, wird auch in der Naturforschung von Tag zu Tag dringender. Kein Wunder daher, wenn sich der Vorstand der "Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte" vor zwei Jahren entschloß, auf der Naturforscher-Versammlung in Stuttgart einen Philosophen zu Wort kommen zu lassen. (1) Ein höchst erfreuliches Symptom! Die Wahl fiel auf einen sehr feinsinnigen Psychologen. Aber der Versuch mißglückte trotzdem vollkommen. Die  Sprache  des Philosophen war eine andere als die des Naturforschers. Beide verstanden sich nicht. (2) Wieder hat die alte Sage recht behalten. Wieder erscheint hier die Erfüllung eines alten göttlichen Fluches unter denen, die nach Erkenntnis streben. Der Herr hat ihre Sprache verwirrt, daß keiner des anderen Sprache vernehme. Es ist höchst bedauerlich, daß gerade in Deutschland, im Volk der Denker, die babylonische Sprachverwirrung so weit gegangen ist, daß zwei Männer aus zwei verschiedenen Gebieten der Forschung, sobald sie in ihrer Fachsprache reden, sich nicht mehr verstehen. Der Vorwurf trifft die Philosophie nicht besonders, sondern mindestens in gleichem Grad die Naturwissenschaft. Auf allen Gebieten des Geisteslebens gilt es seit wenig mehr als einem Jahrhundert für "wissenschaftlich", wenn man im eigens gezüchteten Jargon seines Spezialgebietes redet und schreibt. Und doch sind es gewöhnlich nicht die gebildeten Leute eines Landes, die am meisten im Dialekt ihrer Provinz sprechen. Wir sollen, meine ich, danach streben, auf jedem Gebiet menschlichen Geisteslebens eine allgemein  menschliche  Sprache zu pflegen. Ich behaupte, das ist durchführbar, selbst wenn die einzelnen Wissenschaften ihre unentbehrlichen Spezialbegriffe und Fachausdrücke prägen. So will ich denn heute versuchen, die für uns so grundlegende Frage nach den Grenzen der menschlichen Erkenntnis weder in philosophischer noch in naturwissenschaftlicher, sondern in allgemein menschlicher Sprache  wissenschaftlich  zu erörtern.

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Jede Erörterung der Grenzen des Erkennens wird zweckmäßigerweise mit einer  Analyse des Erkenntnisvorgangs  selbst beginnen. Leider aber ist der Begriff des Erkennens vielfach sehr verschieden gefaßt worden. Die extremen Sensualisten haben ihn allein angewendet auf die sinnliche Empfindung. Die reinen Rationalisten dagegen haben ihn ausschließlich reserviert für das logische Denken. KANT hat nur die  Vereinigung  von sinnlicher Wahrnehmung mit ordnendem Denken als Erkenntnis gelten lassen. (3) Dabei werden aber von KANT über das Verhältnis der ordnenden Faktoren des Denkens, speziell über das Verhältnis der von ihm als "apriorisch" bezeichneten d. h.  vor  der Erfahrung liegenden Kategorien von Raum, Zeit, Kausalität zu den sinnlichen Empfindungen Annahmen gemacht, die den heute bekannten Tatsachen nicht mehr entsprechen. Wir wissen, daß, was wir als Raum und Zeit bezeichnen, ebenfalls der Erfahrung entstammt und zwar in erster Linie der sinnlichen Erfahrung. Dem unglücklichen Ursachenbegriff dagegen liegt eine aus alter Zeit stammende Konzeption zugrunde, die heute nicht mehr haltbar ist. (4) Fassen wir also den Begrif des Erkennens in seiner allgemeinsten Form,  so heißt Erkennen nichts anderes als Erfahrungen bilden. 

Die einfachste Erfahrung besteht in der  sinnlichen Empfindung.  Aus sinnlichen Empfindungen leiten sich zugleich alle übrigen Empfindungen leiten sich zugleich alle übrigen Erfahrungen ab. Die sinnliche Empfindung ist also der elementare und zugleich der fundamentale Erkenntnisprozeß. Ohne Empfindungen wäre unser Bewußtsein leer.  Mittels  der Empfindungen dagegen gewinnt es noch einen weiteren,  über  die Empfindungen hinausgehenden Inhalt: die Vorstellungen und Gedanken.  Vorstellungen  sind Erinnerungsbilder von Empfindungen. Zu ihrer Erweckung bedarf es aber nicht mehr, wie zur Entstehung der ursprünglichen Empfindung, des entsprechenden Sinnesreizes. Sie können vielmehr von den verschiedensten Nervenbahnen her wachgerufen werden, aber sie stehen insofern in einem untrennbaren Abhängigkeitsverhältnis von den Empfindungen, als ohne vorhergegangene Empfindungen keine Vorstellungen existieren würden. Blindgeborene Leute, die in späterem Alter durch Operation sehend geworden sind, sagen uns das direkt. (5) Die Frage nach der  Lokalisation  der physiologischen Vorgänge in der Großhirnrinde, welche die Vorstellungen und derjenigen, welche die Empfindungen bedingen, bedarf zwar noch mancher Klärung, indessen scheinen die Erfahrungen über die Ausfallserscheinungen bei bestimmt lokalisierten Großhirnerkrankungen und vor allem die grundlegenden Untersuchungen FLECHSIGs über die Bedeutung der weder motorischen noch sensorischen Rindengebiete des Großhirns dafür zu sprechen, daß die kortikalen Bedingungen für das Zustandekommen der Vorstellungen und der Empfindungen anatomisch an  verschiedenen  Stellen der Großhirnrinde lokalisiert sind. Die von vornherein am nächsten liegende Annahme, daß die kortikalen Vorgänge, welche die Empfindungen und diejenigen, welche die Vorstellungen bedingen, in den  gleichen  Zellen der Großhirnrinde lokalisiert seien, werden wir jedenfalls nicht aufrechterhalten können. Die Vorstellungen haben offenbar ihre eigenen Rindensphären außerhalb der reinen Empfindungssphären und zwar in den großen Assoziationsgebieten der Großhirnrinde. Man wird diese Rindenpartien daher direkt als Vorstellungsgebiete bezeichnen müssen. Jeder Sinnesreiz, der bestimmte Zellen in einer Empfindungssphäre erregt, ruft, wie es scheint, auch zugleich sekundär eine Veränderung in bestimmten Zellen einer Vorstellungssphäre hervor, so daß selbst nach der Zerstörung einer Empfindungssphäre die entsprechenden Vorstellungen noch immer von anderen Seiten her erweckt werden können. Wie dem aber auch sei: das ist eine Tatsache und zwar eine Tatsache von gewaltiger Tragweite, daß wir durch das Spiel der Vorstellungen in weitem Umfang von der  momentanen  Notwendigkeit der sinnlichen Eindrücke für unser Erkenntnisleben unabhängig werden. Wenn ich mit den Erinnerungsbildern früherer Empfindungen jeden Augenblick arbeiten kann, ohne daß ich dabei auf das jedesmalige Vorhandensein des entsprechenden Sinnesreizes angewiesen bin, dann emanzipiert sich mein Geistesleben zeitlich in hohem Grade von den sinnlich wahrnehmbaren Dingen.

Aber noch mehr. Dadurch, daß die Vorstellungen zeitlich unabhängig sind von der Einwirkung der entsprechenden Sinnesreize, eignen sich die Vorstellungen in ganz hervorragendem Maß für die assoziative Verknüpfung zu längeren Folgen, zu  Gedanken.  Da jede Sinnesempfindung stets komplexer Natur ist, da ferner bestimmte Sinnesempfindungen stets in gleicher Reihenfolge auftreten, so sind auch in den entsprechenden Erinnerungsbildern die Einzelteile von vornherein schon immer in bestimmter Ordnung miteinander verknüpft. In allen diesen Fällen gibt also die Vorstellungsassoziation ohne weiteres ein getreues Bild der sinnlich wahrnehmbaren Welt. Sobald indessen Vorstellungen und Vorstellungskomplexe miteinander verknüpft werden, die in  dieser  Zusammenordnung oder Folge  nicht  Reproduktionen von sinnlichen Beobachtungen sind, kann es zweifelhaft werden, ob sie den wirklichen Verhältnissen der sinnlich wahrnehmbaren Welt entsprechen. Hier würde sich jedenfalls die Erkenntnis zu einer wilden Anarchie der Vorstellungen gestalten, wenn nicht die assoziative Verknüpfung der Vorstellungen, von Beginn ihrer Entwicklung an, der Selektion unterläge. Der selektiv wirkende Faktor, der eine fortwährende Korrektur der Vorstellungsassozisationen bedingt, ist von den Anfängen des Bewußtseinslebens beim Tier bis zum Menschen hinauf wiederum die sinnliche Erfahrung. Nur Vorstellungsassoziationen, die durch die sinnliche Erfahrung immer wieder bestätigt werden, halten sich dauernd lebensfähig und werden weiter gezüchtet. Dieser Entwicklungsprozeß erreicht seinen höchsten Grad in der  experimentellen Methode der Forschung,  in der man bewußt die Richtigkeit der Vorstellungsgänge anhand absichtlich hergestellter sinnlicher Beobachtung zu prüfen sucht.

Indessen spielt bei der Entwicklung des menschlichen Erkennens, je höher das geistige Kulturniveau liegt, umso mehr noch ein spezielles Moment des selektiven Faktors eine maßgebende Rolle, das ist die Erziehung des kindlichen Vorstellungslebens durch den im Kulturvolk vorhandenen Besitz an Vorstellungen und Gedanken. Dem Kind wird bei den Kulturvölkern schon von einem sehr frühen Entwicklungsstadium an durch die Erziehung eine konzentrierte Nährlösung von fertigen Vorstellungen und Gedankengängen eingeflößt. Diese Vorstellungen haben bereits in weitem Umfang während endloser Jahrtausende der Selektion unterlegen und sind als gründlich durchkorrigiert übrig geblieben, so daß sie als widerspruchslos untereinander gelten. An unserem heutigen geistigen Besitz haben alle Menschengeschlechter mitgearbeitet, von den ältesten prähistorischen Zeiten an. Jedes Zeitalter hat neue Ideen dem alten Besitz zugefügt und alte Ideen, die sich mit neuen Erkenntnissen im Widerspruch befanden, beseitigt. Oft trifft dieses letztere Schicksal eine Idee erst sehr spät und lange Zeit wird ein falscher Gedanke durch Jahrtausende fortgepflanzt, ehe der Selektionsprozeß ihn eliminiert. Auch wir heute schleppen zahlreiche falsche Vorstellungen in unserem täglichen Denken mit uns herum, die zum Teil noch dem naiven Geist des steinzeitlichen Menschen entstammen. Aber der Selektionsprozeß unter den Vorstellungen ist ja auch heute an keinem Ende angelangt. Unaufhaltsam schreitet er weiter.

Der Faktor, der bei der Erziehung, die als richtig geltenden Assoziationen befestigt und auf diese Weise das zur Herrschaft bringt, was wir als  logisches  Denken bezeichnen, ist die  Einübung  der durch Selektion gezüchteten Vorstellungsgänge. Auf der Übung beruth das  Gedächtnis d. h. die Fähigkeit, Vorstellungsreihen umso leichter zu reproduzieren, je öfter sie bereits erregt worden sind. Wie bringt die Übung das zustande? Wir möchten gern die physiologischen Bedingungen des Gedächtnisses kennen, so wie man die physiologischen Bedingungen der Empfindungen und Vorstellungen in der Erregung bestimmter Zellprovinzen der Großhirnrinde und die physiologischen Bedingungen der Assoziationen in der Fortleitung dieser Erregung durch die Nervenfasern von einer Zellstation zur anderen erkannt hat. Wie vermag also die Übung, d. h. die häufige Erregung einer bestimmten Folge von Vorstellungen die entsprechenden Assoziationswege auszuschleifen, so daß die Assoziationen auf ihnen immer leichter uns sicherer ablaufen?

Mit der seit altersher gebräuchlichen Antwort, daß die Erregung einer Ganglienzelle durch einen Reiz eine dauernde aber latente Spur in der Ganglienzelle hinterläßt, ist nichts gesagt. Wir wollen wissen, worin diese Spur besteht, die da zurückbleibt, obwohl doch einerseits der Stoffwechsel fortdauernd die Moleküle der Zelle zersetzt und wieder erneuert und obwohl doch andererseits die Selbststeuerung des Stoffwechsels in jeder Zelle das durch einen Reiz gestörte Stoffwechselgleichgewicht nach dem Aufhören des Reizes sofort wieder herstellt. (6) Die physiologische Antwort kann nicht zweifelhaft sein. Es ist eine bekannte Tatsache, daß die Zellen eines Organs mit der Häufigkeit ihrer funktionellen Beanspruchung eine Massenzunahme ihrer lebendigen Substanz erfahren. Das gilt z. B. von jedem Muskel und jeder Drüse und das hat sich ebenso für die Ganglienzellen nachweisen lassen. Mit der Übung nimmt also die Masse einer Ganglienzelle zu und infolgedessen werden die Impulse, die sie bei jeder Erregung entlädt, entsprechend stärker. Da aber die Weiterleitung einer Erregung durch verschiedene Ganglienzellstationen hindurch, wie sie der Assoziation von Vorstellungen zugrunde liegt, von der Stärke der Impulsentladungen abhängt, so wird die Erregung, die von einer Ganglienzelle ausgeht, von all den Assoziationswegen, die von dieser Zelle fortführen, nur diejenigen Zellstationen passieren können, die bereits durch Übung zu genügend starker Weiterbeförderung des Erregungsimpulses befähigt sind, d. h. sie wird auf dem eingeübten Assoziationsweg umso leichter ablaufen, je mehr dessen Ganglienzellstationen durch Übung eine Massenzunahme erfahren haben.

So werden durch die Erziehung bestimmte, durch Selektion gezüchtete Gedankengänge eingeübt, bestimmte Assoziationswege ausgeschliffen. Und so entsteht das logische Denken. (7)

Unter den Vorstellungsverknüpfungen des logischen Denkens hat  eine  Form für die Entwicklung der menschlichen Erkenntnis eine ganz besonders große Tragweite gewonnen. Das ist  die abstrahierende Schlußfolgerung.  Die Schlußfolgerung schafft der Erkenntnis einen Inhaltsbestandteil von grundlegender Bedeutung, denn sie bringt die  Erkenntnis einer bestehenden Gesetzmäßigkeit  zum Ausdruck. Auch sie entstammt lediglich der sinnlichen Erfahrung und wird von ihr fortdauernd selektiv korrigiert. Man beobachtet eine Aufeinanderfolge zweier Empfindungen, z. B. Regen und Nässe immer und immer wieder in gleicher Weise. Man gewinnt durch Übung die entsprechende Vorstellungsassoziation "Regen" und "naß". Sobald die Vorstellung "Regen" erweckt wird, assoziiert sich ihr von selbst die Vorstellung "naß". Das ist das primitive Paradigma für die Erkenntnis einer gesetzmäßigen Abhängigkeit. Alle Gesetzmäßigkeit hat konditionale Form:  wenn  es regnet,  dann  ist es naß. Der Konditionalsatz ist das allgemeine Darstellungsschema für alle Gesetzmäßigkeit. Er allein ist imstande, eine Erkenntnis in streng erfahrungsgemäßer Weise ohne irgendeine Zutat eines Deutungsversuches zum Ausdruck zu bringen. Alle wirklich wissenschaftliche Erkenntnis muß sich daher in die konditionale Form kleiden, denn alle wissenschaftliche Erkenntnis besteht und kann nur bestehen in der Feststellung gesetzmäßiger Abhängigkeitsverhältnisse. Sind sämtliche Bedingungen, von denen ein Vorgang oder Zustand abhängig ist, ermittelt, dann ist der Vorgang oder Zustand eindeutig bestimmt und es  bleibt  nichts mehr an ihm zu erklären, denn das, was wir mit einem kurzen Wortsymbol den betreffenden Vorgang oder Zustand nennen,  ist  bei näherer Analyse nichts anderes als die Summe sämtlicher bedingenden Momente. Diese Einkleidung aller Gesetzmäßigkeit in die konditionale Form ist eigentlich völlig selbstverständlich. Ich glaube aber trotzdem diese Tatsache immer wieder (8) besonders betonen zu müssen, weil in der Naturwissenschaft die traditionell seit alter Zeit mitgeschleppte Vorstellung, daß die einzig wissenschaftliche Erklärungsart die kausale sei, noch immer nicht durch Selektion beseitigt ist. Der Ursachenbegriff ist ein mystischer Begriff, der einer primitiven Phase des menschlichen Denkens entsprungen ist. Eine streng wissenschaftliche Darstellungsweise kennt keine "Ursachen", sondern nur gesetzmäßige Abhängigkeiten. Soll aber der Begriff "Kausalität" nur das Bestehen einer eindeutig bestimmten Gesetzmäßigkeit bezeichnen, so ist das Moment der "causa", der "Ursache" in ihm nicht bloß überflüssig, sondern direkt falsch, denn ein gesetzmäßiger Vorgang oder Zustand ist nie eindeutig bestimmt durch  "eine einzige Ursache",  sondern immer nur durch eine Summe von Bedingungen, die sämtlich gleichwertig sind, weil sie eben notwendig sind. (9)  Kausale  Gesetzmäßigkeit ist spekulative Mystik,  konditionale  Gesetzmäßigkeit ist Erfahrung. Die Mahnung zur konditionalen Betrachtungsweise sollte am Anfang jeder wissenschaftlichen Untersuchung stehen. Überlassen wir also den Ursachbegriff seiner allmählichen Ausrottung durch die Vorstellungsselektion!

Mit der Feststellung einer bestehenden Gesetzmäßigkeit hat der Erkenntnisprozeß seine höchste Entwicklung erreicht. Jede neue Erfahrung liefert nur einen neuen Beweis für die Existenz einer eindeutigen Gesetzmäßigkeit. Aber vergessen wir nie, daß auch die höchste Vollendung des logischen Denkens nur aus sinnlicher Erfahrung entspringt und fortdauernd durch sinnliche Erfahrung verifiziert wird! Mögen wir dann immerhin die Empfindungen als unmittelbare Erfahrungen den Vorstellungen, Assoziationen, Schlußfolgerungen als abgeleiteten Erfahrungen gegenüberstellen, mögen wir die ersteren als primäre, die letzteren als sekundäre Erkenntnisse bezeichnen, auf jeden Fall zeigt der gesamte Erkenntnisprozeß einen völlig einheitlichen Charakter. Er besteht in der Bildung von Empfindungen, Vorstellungen, Gedanken, Schlußfolgerungen, die alle auf der Basis derselben Gesetzmäßigkeit ruhen. Diese Gesetzmäßigkeit allen Seins und Geschehens. (10)

Erkenntnis ist Erfahrung im weitesten Sinne, und Erkennen heißt Erfahrungen bilden, in erster Linie sinnliche Empfindungen. Die weitere Analyse des Erkenntnisprozesses kann also wie alle wissenschaftliche Analyse nur in der Ermittlung der sämtlichen Bedingungen für das Zustandekommen von Empfindungen, Vorstellungen, Gedanken bestehen. Ich habe im Vorhergehenden einzelne der speziellen Bedingungen, die von den Vorgängen im Gehirn dargestellt werden, bereits kurz berührt. Es kann aber nicht meine Aufgabe sein,  alle  uns heute schon bekannten physiologischen Bedingungen des Erkenntnisprozesses im Rahmen dieser kurzen Stunde zu erörtern. (11) Dagegen ist es notwendig, auf die beiden großen Gruppen von Bedingungen in ihrer Allgemeinheit noch einen Blick zu werfen.
LITERATUR - Max Verworn, Die Frage nach den Grenzen der Erkenntnis, Jena 1908
    Anmerkungen
    1) THEODOR LIPPS, Naturwissenschaft und Weltanschauung, in Verhandlungen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, 78. Versammlung zu Stuttgart, 1906
    2) Ich meine hier nicht so sehr das einzelne Wort als vielmehr die gesamte Ausdrucksweise. In Bezug auf diese Art und Weise der Darstellung haben sich die verschiedenen Gebiete des Geisteslebens allmählich so weit voneinander entfernt, daß es dem Spezialforscher des einen Gebietes schwer fällt, sich in die Gedankengänge eines anderen Gebietes hineinzuversetzen.
    3) IMMANUEL KANT, Kritik der reinen Vernunft, Einleitung, Ausgabe KIRCHMANN, 4. Auflage, Leipzig 1901
    4) Es ist die Annahme eines nach Art des menschlichen Willens unsichtbar wirkenden Agens, die zweifellos ihre Wurzeln in der prähistorischen Seelenidee hat. Die moderne Naturwissenschaft hat den Begriff solcher Agentien oder "Kräfte", die sich der Wahrnehmung entziehen, mehr und mehr aufgegeben und verwendet das Wort "Kraft" lediglich noch als Bequemlichkeitsausdruck. Dementsprechend sollte der Begriff "Ursache", der ebensowenig faßbar und definierbar ist wie der Begrif "Kraft", in der  wissenschaftlichen  Forschung ebenfalls allmählich beseitigt werden.
    5) Blindgeborene haben keine Gesichtsvorstellungen. Ihre Vorstellungswelt besteht allein aus den Vorstellungen anderer Sinnesgebiete. Auch die genauesten Beschreibungen der Gesichtsbilder von Gegenständen vermögen ihnen keine Gesichtsvorstellungen zu erwecken. Werden also Blindgeborene im späteren Leben durch eine Operation sehend, wie das in einer kleinen Anzahl von Fällen, zuletzt in dem von WILHELM UTHOFF operierten und sehr eingehend studierten Fall geschehen ist, so werden die Gegenstände, die ihnen durch ihre anderen Sinne sehr gut und lange bekannt sind, durch den neu hinzukommenden Gesichtssinn allein niemals von ihnen erkannt. Die Gegenstände sind dem neu eröffneten Gesichtssinn völlig fremd und werden erst erkannt, wenn zu ihrer Untersuchung einer der früher bereits benutzten Sinne, etwa der Tastsinn, verwendet werden kann.
    6) Es sind in der Regel zwei Schwierigkeiten, auf die man zu stoßen pflegt, wenn man sich klar zu machen sucht, worin die Spur als Grundlage des Gedächtnisses besteht, die eine funktionelle Erregung der Ganglienzelle in ihr hinterläßt. - Die eine Schwierigkeit glaubt man in der Tatsache des Stoffwechsels als solcher zu finden. Indem man sich vorstellt, daß die "Spur", welche die Erregung in der Ganglienzelle hinterläßt, in einer "molekularen Umlagerung" besteht, glaubt man nicht begreifen zu können, wie eine solche "molekulare Umlagerung" sich andauernd erhalten kann in einem System, das, wie die lebendige Substanz, selbst dauern in einer Umlagerung seiner Atome, d. h. in einem Wechsel seiner Moleküle begriffen ist. Man übersieht dabei, daß der  "Stoffwechsel"  im physiologischen Sinne aber gerade dadurch charakterisiert ist, daß er, abgesehen von den langsamen Veränderungen, die er bei der Entwicklung erfährt, die neu eintretenden Atome und Moleküle immer wieder in genau der gleichen Zahl und genau der gleichen Beschaffenheit an genau die gleiche Stelle führt wie die alten, zerfallenen und austretenden Moleküle, die durch die neuen ersetzt weren. Wie bei er Schmetterlingsflamme eines Gasbrenners trotz des fortwährenden Wechsels der Gasmoleküle doch die Gestalt und Zusammensetzung der Flamme dauernd die gleiche bleibt, genau so ist es auch bei der lebendigen Zelle der Fall trotz des andauernden Stoffwechsels, der sich in ihr vollzieht. So ist die Stabilität der Verhältnisse in der Zelle trotz ihres Stoffwechsels und zwar aufgrund der Stabilität des Stoffwechsels ohne weiteres verständlich. Man dürfte also in der Tatsache des Stoffwechsels ansich keine Schwierigkeit für das Bestehenbleiben eines bestimmten molekularen Verhältnisses in der Zelle erblicken. - Dagegen scheint sich eine andere Schwierigkeit zu ergeben aus der allgemeinen physiologischen Tatsache, die man als  "Selbststeuerung"  des Stoffwechsels bezeichnet. Diese "Selbststeuerung" des Stoffwechsels besteht darin, daß die Störung im Stoffwechselgleichgewicht, die ein Reiz hervorgerufen hat und die wir im vorliegenden Fall als Erregung bezeichnen, sofort nach dem Aufhören des Reizes wieder ausgeglichen wird, so daß sich das ursprüngliche Stoffwechselgleichgewicht genau wie es vorher bestand, wiederherstellt. Diese Restitution des durch den Reiz gestörten Stoffwechselgleichgewichts scheint also auf den ersten Blick jede "Spur", die der Reiz hinterlassen könnte, sofort wieder zu verwischen. Indessen liegt, wie im Text kurz skizziert, die Sache so, daß die Selbststeuerung zwar jede  qualitative  Veränderung in Bezug auf die Zusammensetzung der lebendigen Substanz wieder ausgleicht, daß aber, je häufiger ein Reiz einwirkt, sich umso deutlicher eine  quantitative  Vermehrung der lebendigen Substanz bemerkbar macht. Die quantitativen Massenverhältnisse der lebendigen Substanz in der Ganglienzelle sind also durchaus abhängig von der Häufigkeit ihrer funktionellen Beanspruchung durch Reize. Wir wissen, daß die Masse der lebendigen Substanz bei häufiger Beanspruchung durch Reize zunimmt, bei andauernd ausbleibender Beanspruchung abnimmt bis zur vollständigen Atrophie [Auszehrung - wp]. Die Massenzunahme der lebendigen Substanz ist also die einzige länger dauernde "Spur", welche die durch Reize hervorgerufenen Erregungen in der Zelle zurücklassen. Wie die Substanzzunahme der Ganglienzellen bei der Übung mit dem "Ausschleifen" der Vorstellungsassoziationen, d. h. mit dem Gedächtnis und wie die Substanzabnahme bei einem Mangel an Übung mit dem Vergessen zusammenhängt, habe ich ausführlicher auseinandergesetzt in einer Arbeit über "Die zellularphysiologische Grundlage des Gedächtnisses" in der Zeitschrift für allgemeine Physiologie, Bd. VI, 1906
    7) Da die Ganglienzellen wie die verschiedensten anderen Zellen unseres Körpers während unserer individuellen Entwicklung ganz allmähliche Veränderungen erfahren und da sie vor allem in der Jugend viel ausbildungsfähiger sind als im höheren Alter, so daß also das Gedächtnis in der Jugend viel besser ist als im Alter, so liegt es auf der Hand, wie ungeheuer wichtig es ist, daß gerade in der Jugend bei der Erziehung des logischen Denkens möglichst zweckmäßige und für das spätere Leben wertvolle Vorstellungsassoziatioinen und Gedankengänge eingeübt werden. Es ist eine ganz ungeheure Verantwortung, die in dieser Beziehung die Schule übernimmt, besonders wenn man die lange Dauer der Schulzeit in Betracht zieht, die denen zugemessen ist, die einst am weit vorgeschobenen Rand des geistigen Fortschritts arbeiten sollen. Man kann aber leider nicht sagen, daß die große Mehrzahl unserer höheren Schulen mit den Anforderungen, welche die mehr und mehr veränderten Kulturaufgaben stellen, in dieser Hinsicht gleichen Schritt gehalten hätte.
    8) Seit einigen Jahren bereits bin ich bestrebt gewesen, immer wieder die Forderung zu vertreten, daß sich die Naturforschung mehr und mehr gewöhnen müsse in gleicher Weise wie die Mathematik die konditionale Betrachtungsweise anstelle der unklaren, kausalen Betrachtungsweise zu pflegen. Die Mathematik kennt die kausale Betrachtungsweise zu pflegen. Die Mathematik kennt die kausale Einkleidung der Darstellung ihrer Wahrheiten nicht. Sie kleidet ihre Lehrsätze stets in die konditionale Form. Nach dieser Exaktheit, die mehr als eine bloße Ausdrucksform, die einen unabsehbaren Einfluß ausübt auf das gesamte Denken, muß auch die Naturforschung streben. Vgl. darüber unter anderem: MAX VERWORN, Das Problem des Lebens, ein Vortrag, Jena 1907.
    9) Man denkt sich der üblichen Auffassung gemäß, daß jeder Vorgang durch  eine  "Ursache" bewirkt wird. Die Darstellung der Naturvorgänge nach "Ursache" und "Wirkung" gilt gewöhnlich als besonders exakt. Eine genaue Beobachtung zeigt indessen, daß in  keinem  Fall ein Vorgang zustande kommt durch  einen  einzigen Faktor. Es sind immer zahlreiche Faktoren, die zu seinem Zustandekommen notwendig sind. Entwickle ich z. B. Kohlensäure, indem ich Salzsäure auf kohlensaures Natrion gieße, so ist für die Kohlensäureentwicklung nicht etwa die Salzsäure die "Ursache", sondern es ist das kohlensaure Natron ebenso notwendig, wie die Salzsäure und es zeigt sich bei näherer Untersuchung, daß auch noch andere Faktoren genauso unentbehrlich sind wie diese beiden. Es existiert also schlechterdings keinerlei Veranlassung, dem einen diese sämtlichen notwendigen Faktoren eine dominierende Sonderstellung einzuräumen. Sie sind eben sämtlich  unentbehrliche Bedingungen.  Läßt man dagegen den Gedanken, daß ein Vorgang durch eine  einzige  "Ursache" bewirkt werde, fallen und gesteht man zu, daß es zwei oder mehrere "Ursachen" sind, die den Vorgang herbeiführen, dann verliert der Begriff der "Ursache" seinen Sinn und wird identisch mit dem Begriff der Bedingung. Dann aber ist es nötig, den Ausdruck "Ursache" ganz fallen zu lassen, da er unwillkürlich den alten Gedanken an ein geheimnisvoll wirkendes, sinnlich nicht wahrnehmbares Agens erweckt. Die Bedingungen aber sind weder geheimnisvoll noch sinnlich unerennbar, denn es sind die Dinge selbst, die ich ja wahrnehmen kann. Die Dinge bedingen sich untereinander und alle Wissenschaft kann, wenn sie exakt sein will, nur in der Feststellung ihrer gesetzmäßigen Abhängigkeitsverhältnisse voneinander bestehen. Also wenn man durchaus einen "Ismus" haben will: nicht  Kausalismus,  sondern  Konditionalismus. 
    10) Man pflegt häufig die Tatsache, daß sich im logischen Denken des Menschen die gleiche Gesetzmäßigkeit ausdrückt, wie im Geschehen in der umgebenden Welt, als besonders auffallend und bemerkenswert hinzustellen und ist erstaunt, wenn diese Tatsache bei unseren logisch ersonnenen Experimenten in der Bestätigung, unserer wissenschaftlichen Voraussagen einmal einen besonders schlagenden Ausdruck gewinnt. Nach der hier vertretenen Auffassung, nach der die Gesetzmäßigkeit im logischen Denken sich nur aufgrund der Gesetzmäßigkeit des gesamten Seins und Geschehens entwickelt hat oder mit anderen Worten nur ein Ausdruck dieser allgemeinen Gesetzmäßigkeit ist, erweist sich diese Identität schlechterdings als selbstverständlich, denn nach dieser Auffassung ist das logische Denken ebenfalls nur ein der allgemeinen Gesetzmäßigkeit folgendes Geschehen. Auffällig und unverständlich kann diese Identität nur von anderen Voraussetzungen aus sein.
    11) Eine kurze, für einen weiteren Kreis bestimmte Skizze dieser physiologischen Bedingungen der Bewußtseinsvorgänge habe ich gegeben in dem kleinen Heft "Die Mechanik des Geisteslebens" der Teubnerschen Sammlung "Aus Natur und Geisteswelt", 1907