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MAX HARTMANN
Die philosophischen Grundlagen
der Naturwissenschaften


"Die in diesem Buch entwickelte Methodenlehre ist nur mit einem erkenntnistheoretischen Standpunkt vereinbar, der die Geltung apriorischer Elemente kategorialer Prinzipien für jede wissenschaftliche Methode anerkennt. Positivistische und empiristische Schulen lehnen zwar einen apriorischen Bestandteil der Erkenntnis, die Beteiligung kategorialer Prinzipien ab, benutzen sie aber selbst in allen ihren Formulierungen, ohne sich dessen bewußt zu werden."

"Weder die Kategorien der Erkenntnis noch die des Seins, weder die des Psychischen, noch die des Logischen selbst sind ihrer logischen Strukturelemente wegen schlechthin logische Kategorien. Der weitaus größte Teil der Kategorien zeigt ausgesprochen alogische Strukturelemte, mit denen sie aus der logisch idealen Sphäre in eine ihr heterogene, irrationale hinausragen. Der Einschlag des Irrationalen erstreckt sich sogar bis in das eigenste Gebiet der Logik hinein, und die obersten kategorialen Formen und Gesetze der Logik sind durchaus irrationaler Natur".

"Das Bewußtsein antizipiert die Bestimmungen des Realen mit einer Überspringung der Gegebenheit, ja ohne alle Rücksicht darauf, ob es das Reale überhaupt gibt oder nicht. Das Bewußtsein erhebt also den paradoxen Anspruch, gerade im Wegschauen vom daseienden Gegenstand und seiner Gegebenheit die Wesenszüge desselben rein zu erfassen, den Anspruch, daß die erschauten idealen Wesenszüge zugleich die des realen Gegenstandes sind. Das kann weder angeschaut noch gegeben sein".


V o r w o r t

Das vorliegende Buch sollte zunächst nur eine eingehende Darstellung und Begründung der Methode der Naturwissenschaften bringen, die meist nicht sehr zutreffend als  "induktive" Methode bezeichnet wird. Schon vor längerer Zeit war von verschiedenen Logikern und Philosophen der Nachweis erbracht worden, daß es kein "rein" induktives Verfahren in der Wissenschaft gibt, sondern daß die sogenannte induktive Methode steht mit deduktiven Schlüssen kombiniert ist (JEVONS, SIGWART, RIEHL, BAUCH). Das hatte im Prinzip schon GALILEI bei der Entdeckung der Fallgesetze richtig erkannt. Doch handelt es sich dabei nicht nur um eine dauernde Verknüpfung von Induktion und Deduktion, sondern um ein vierfaches Methodengefüge, indem stets zugleich Analysen und Synthesen bei der sogenannten induktiven wissenschaftlichen Methode gekoppelt sind. Wohl kann das eine oder andere der vier Methodenglieder je nach dem Stand der betreffenden Erkenntnis und je nach dem Problem stärker oder schwächer hervortreten, ja, in der praktischen Forschungsarbeit kann eines derselben derart die Überhand gewinnen, daß die anderen Elemente in den Hintergrund treten und ganz übersehen werden können. Und doch sind stets alle vier Glieder des vierfachen Methodengefüges bei jeder wissenschaftlichen Arbeit beteiligt.

Den Nachweis dieses ständigen Zusammenwirkens der vier Elemente bei der sogenannten induktiven Methode der Naturwissenschaften und die Zurückführung der logischen Sicherung des Verfahrens besonders im Fall der rein generalisierenden Induktion (vergleichender Methode) durch die fortgesetzte Analyse ähnlicher, aber doch leicht verschiedener Fälle, habe ich bisher nur kurz in zwei Vorträgen versucht (1934 und 1936). Hier soll dies nun ausführlicher durchgeführt und begründet werden. Die eingehende Erläuterung an einer größeren Anzahl verschiedener Beispiele aus der Geschichte der Naturwissenschaften (Astronomie, Physik, Chemie, Biologie) in einem besonderen Abschnitt wird die Berechtigung dieser Auffassung noch besonders deutlich erkennen lassen.

Eine Methodenlehre der Naturwissenschaften, als ein rein wissenschaftstheoretisches Anliegen, ist auch ohne Erkenntnistheorie durchführbar und ist ansich teilweise unabhängig von jeder speziellen Erkenntnistheorie, einem speziellen erkenntnistheoretischen Standpunkt. Immerhin ist die in diesem Buch entwickelte Methodenlehre nur mit einem erkenntnistheoretischen Standpunkt vereinbar, der die Geltung apriorischer Elemente kategorialer Prinzipien für jede wissenschaftliche Methode anerkennt. Positivistische und empiristische Schulen lehnen zwar einen apriorischen Bestandteil der Erkenntnis, die Beteiligung kategorialer Prinzipien ab, benutzen sie aber selbst in allen ihren Formulierungen, ohne sich dessen bewußt zu werden. Es kommt das daher, daß sie nicht zutreffende Vorstellungen vom Wesen der Kategorien haben. Sie halten sie infolge mißverständener älterer Formulierungen als  vor  und  unabhängig  von aller Erfahrung, dem erfahrenden Subjekt innewohnende, ewig feststehende Begriffe im Sinne eines extremen Rationalismus und Idealismus oder beziehen sich nur auf die ungenügende und überwundene Tafel der Kategorien von KANT. Das beruth jedoch auf einer falschen Beurteilung kategorialer Prinzipien. Ohne kategoriale Prinzipien gibt es keine wissenschaftlichen Methoden. Wenn Positivisten und Logizisten nur Sinneswahrnehmungen und logisches Denken gelten lassen und jegliche Anerkennung kategorialer Prinzipien ablehnen, so übersehen sie, daß selbst die formale Logik, die sie doch selbst als letzten Grund anerkennen, auf apriorisch metaphysischen Voraussetzungen beruth.

Bei der zutage tretenden Unklarheit und Verworrenheit, die in naturwissenschaftlichen Kreisen über die erkenntnistheoretischen Grundlagen ihrer eigenen Forschertätigkeit herrscht, schien es geboten und wünschenswert, der Methodenlehre eine Erkenntnislehre voranstellen. Die hier gebrachte erkenntnistheoretische Darstellung soll jedoch nicht das Gebiet in seinem ganzen Umfang behandeln, sondern nur soweit, als es auch die Erkenntnis der realen Gegenstände, also des Gebietes der Naturwissenschaften, Bezug hat. Bei dieser kurzen Darstellung einer Erkenntnistheorie für Naturwissenschaftler folge ich ganz den Auffassungen, die NICOLAI HARTMANN in seiner "Metaphysik der Erkenntnis" (1921, dritte Auflage 1943) gegeben hat. Als ich selbst dieses Buch 1921 zuerst kennenlernte, hatte es mir, die ich vom Positivismus zu einem dem Marburger Neukantianismus nahestehenden Standpunkt gekommen war, über viele mir noch zweifelhafte Frage, über die ich nicht selbst zu voller Klarheit durchdringen konnte, Klarheit und befriedigende Antworten gebracht. Das betrifft vor allem die Frage der realen Außenwelt, an der ich als Naturforscher festhalten mußte und somit dem Neukantianismus nicht zustimmen konnte, ferner gewisse irrational-metaphysische Elemente, wie z. B. im Leib-Seele- und Seins-Problem. Die im folgenden zur Darstellung gelangende Erkenntnistheorie ist mithin nur ein kurzer Auszug aus dem genannten Werk von NICOLAI HARTMANN, vielfach mit dessen eigenen, unüberbietbar klaren und scharfen Formulierungen. Ich hoffe und wünsche, daß sie vielen Naturwissenschaftlern gleich mir dazu verhelfen möge, Klarheit über die Grundlagen ihrer Wissenschaft zu gewinnen und dadurch ihrer eigenen wissenschaftlichen Forschertätigkeit zum Vorteil und Nutzen gereichen möge.

Den zwei Hauptteilen der Erkenntnistheorie und Methodenlehre ist noch ein dritter angeschlossen, der erkenntnistheoretische und methodologische Einzelprobleme der neueren Naturwissenschaft, speziell der Physik und Biologie, erörtert. Es handelt sich um die heute so viel umstrittenen Fragen der Relativitätstheorie und Quantenphysik und die Fragen der Teleologie (Ganzheit), des Leib-Seele- sowie des Mechanismus-Vitalismus-Problems in der Biologie. Diese naturphilosophischen Problem sollen nicht in ihrer ganzen Breite und Tiefe zur Darstellung gelangen. Es soll vor allem gezeigt werden, wie sich die hier vertretene Erkenntnistheorie und Methodenlehre auf die Fragen auswirkt. Die Art der Behandlung und Beurteilung der Probleme wird ersichtlich machen, wie fruchtbar und klärend die Erkenntnistheorie und Ontologie NICOLAI HARTMANNs sich erweist.

In dankbarer Erinnerung und Anerkennung der vielfachen Förderungen und Anregungen, die ich aus den Werken NICOLAI HARTMANNs gewonnen, sei daher dieses Buch dem großen Begründer einer neuen ontologischen Erkenntnistheorie gewidmet.



I. Hauptteil
Theorie der Naturerkenntnis

"Nicht die Naturwissenschaft kann die Erkenntnistheorie, wohl aber die Erkenntnistheorie die Naturwissenschaft fundieren." - Nicolai Hartmann, Metaphysik der Erkenntnis



Einleitung

Erkenntnis ist nicht ein "Erschaffen, Erzeugen oder Hervorbringen des Gegenstandes" (1) im Sinne des Idealismus, sondern ein  "Erfassen von etwas",  das auch vor aller Erkenntnis und unabhängig von ihr vorhanden ist. Hiermit ist die "Tatsache" des natürlichen Realitätsbewußtseins ausgesprochen. Von ihr ist nicht nur jeder naive Mensch überzeugt, sondern nach ihm lebt und handelt auch jeder Philosoph in seinem ganzen Leben, auch wenn er einen positivistischen oder idealistischen Standpunkt vertritt und somit die Realität der Außenwelt leugnet.
    "Man kann die Tatsache nicht in Abrede stellen, daß wir unser ganzes Leben in der Überzeugtheit hinbringen, die Dinge seien etwas Reales, unabhängig von unserem Dafürhalten."
Die Tatsache des natürlichen Bewußtseins ist eben "ein Grundphänomen und als solches überhaupt nicht zu bestreiten".
    "Die Phänomene kann der Mensch nicht ändern, die Welt bleibt wie sie ist, was auch der Mensch sich über sie denkt. Der Mensch kann sie nur erfassen oder verfehlen."

    "Alle Erkenntnis geht somit ihrem Wesen nach auf Seiendes, sofern es auch vor ihr und unabhängig von ihr besteht."
Der Gegenstand der Wahrnehmung entsteht nicht erst in der Wahrnehmung, er ist vielmehr "vor allem Wahrnehmen unabhängig von ihm so, wie er ist". Die These des natürlichen Realitätsbewußtseins kann nicht bewiesen, nicht erkannt werden. Sie bedarf auch keines Beweises, "es gehört eben zum Phänomen und ist als solches jederzeit aufzeigbar".

Da Erkenntnis ein von ihr unabhängiges Sein zur Voraussetzung hat, ist sie auf das Engste mit der Seinslehre, der Ontologie, verbunden. Erkenntnis ist ein  "Erfassen eines Ansichseienden".  Da das Seinsproblem unablösbar mit dem Erkenntnisproblem verbunden ist, "wird dieses selbst zu einem  metaphysischen  Problem". So steht hier bereits am Anfang aller Erkenntnislehre ein  Irrational-Metaphysisches.  Metaphysik ist hierbei nicht im Sinn der spekulativen Metaphysik zu verstehen, gegen die sich mit Recht die kantische Kritik gewendet hat, sondern im Sinne einer  Metaphysik der Probleme.  Denn es
    "gibt Probleme, die sich nie ganz lösen lassen, in denen immer ein ungelöster Rest bleibt, ein Undurchdringliches, Irrationales. Und es hat seinen guten Sinn, wenn man Probleme dieser Art, einerlei welchen Inhalts sie sein sollten, und zwar speziell im Hinblick auf diese ihre Eigenart,  metaphyische Probleme  nennt".
Auf derartige metaphysische Restprobleme werden wir bei der Analyse des Phänomens und Problems der Erkenntnis mehrfach treffen. Wenn sie auch nicht gelöst werden können, so müssen sie doch herausgestellt und vom Unmetaphysischen unterschieden werden. Nur so läßt sich eine Theorie der Erkenntnis mit einem Minimum von Metaphysik gewinnen.


Erster Teil
Phänomen und Problem der Erkenntnis

1. Abschnitt
Das Unmetaphysische im Erkenntnisproblem

1. Kapitel
Das weitere und engere
Erkenntnisproblem

Im Erkenntnisproblem in einem weiteren Sinn gibt es neben dem eigentlich Erkenntnismäßigen noch etwas spezifisch Psychisches und etwas spezifisch Logisches, so daß man noch eine  Psychologie der Erkenntnis  und eine  Logik der Erkenntnis  unterscheiden kann. Da der eigentliche Sinn des Erkennens im Erfassen eines Seienden besteht, könnte man dieses als die ontologische Seite des Erkenntnisproblems bezeichnen.

Die eigentliche Kernfrage der Erkenntnis, die Frage nach dem "Erfassen des Gegenstandes" selbst
    "geht offenbar auch in der ontologischen Frage nach dem Sein des Gegenstandes nicht auf, so wenig als in der Frage nach der psychischen Erscheinungsform des Erfassens oder in der nach der logischen Formung des Erfaßten. Hier hebt sich also gegen das weitere Erkenntnisproblem ganz offensichtlich ein  engeres Erkenntnisproblem  ab, das man im Gegensatz zum Psychologischen, Logischen und Ontologischen als das eigentlich  Gnoseologische [Erkenntnistheoretische - wp], im Erkenntnisproblem bezeichnen möchte".
"Dieses engere Erkenntnisproblem ist mit der ontologischen Frage nach dem Seinsmodus des Gegenstandes derartig verknüpft", daß es nicht wie das Psychologische und Logische von ihm abgelöst werden kann. Denn der "Begriff des Erfassens" haftet eben am Begriff des Seins, welches erfaßt werden soll.
    "Aber durch die Unablösbarkeit des Seinsproblems vom engeren Erkenntnisproblem wird dieses selbst zu einem metaphysischen Problem. Infolgedessen darf man die ganze ontologisch-gnoseologische Problemgruppe als das  Metaphysische  im Erkenntnisproblem bezeichnen und sie als einheitlichen Bestandteil sowohl dem Psychologischen als auch dem Logischen gegenüberstellen."
Trotz ihrer sehr charakteristischen Heterogenität lassen sich die beiden letzteren Bestandteile unter dem Titel des  Unmetaphysischen  im Erkenntnisproblem zusammenfassen. "Hier gilt es, eine saubere Problemscheidung gegen das eigentlich Gnoseologische walten zu lassen."


2. Kapitel
Das Psychologische im Erkenntnisproblem

a) Erkennen als psychisches Geschehen

Da alles Erkennen an ein erkennendes Subjekt gebunden ist, "gehört es mit zur Urtatsache des Erkenntnisphänomens". Beide, das Subjekt wie das Objekt, sind Bedingung der Erkenntnis. Man hat daher meist "in dieser Bedingtheit die wesentlichen Aufschlüsse über Bau, Fortgang und Wahrheitsanspruch der Erkenntnis" gesucht.
    "Faßt man nun das Subjekt als das Identische, in allen Individuen Wiederkehrende, Überindividuelle - was niemals ohne Hilfe des Logischen geschehen kann -, so wird der Subjektivismus zum Transzendentalismus und Idealismus; faßt man es aber rein empirisch als das gegebene individuelle Subjekt - was mit den Mitteln der Psychologie geschieht -, so wird er zum Psychologismus."
Nun ist Erkenntnis ein Prozeß, der sich in jedem Bewußtsein aus geringen Anfängen entwickelt. "Aber auch das Bewußtsein, in welchem sich dieser Prozeß abspielt, ist seinerseits auch ein durch und durch prozeßhaftes Gebilde." "Indem man Erkenntnis als durch das Subjekt bedingt und selbst ganz und gar als Bewußtseinsphänomen" betrachtete, zog man daraus die Folgerung, "daß der Erkenntnisprozeß seine Wurzel im allgemeinen Bewußtseinsprozeß hat und daß es die Gesetze des letzteren sind, die für ihn maßgebend sind". Dadurch wird das Erkenntnisproblem zu einem psychologischen Problem umgebogen, man gelangt zum  Psychologismus Indem der Psychologismus "das Kategorienproblem hierbei ins Subjektiv-Genetische travestiert [verkleidet - wp], die Inhaltsstrukturen aus Gesetzen ihrer Entstehung im Bewußtsein erklärt, ihre Eigengesetzlichkeit durch eine ihnen heterogene Prozeßhaftigkeit des Subjekts ersetzt", wird vom Psychologismus (und Positivismus) das eigentliche Erkenntnisproblem grundsätzelich  verfehlt.  Denn die fraglos psychische Entstehung jeder Erkenntnisstruktur erklärt nicht nur "nichts an der Struktur als solcher, sondern sie vermag auch nicht irgendetwas über dessen eigentlichen Erkenntniswert, seinen Wahrheitsgehalt" auszumachen.
    "Denn dieser liegt nicht in irgendwelchen innerpsychischen Zusammenhängen, sondern in einem nach außen übergreifenden Zusammenhang: dem der Übereinstimmung mit dem Gegenstand."

    "Die Psychologie findet sich der Erkenntnistheorie (und Ethik) gegenüber in einem ähnlichen Verhältnis, wie ihr selbst gegenüber die Physiologie. Auch die totale Kenntnis der Nervenvorgänge könnte die psychischen Vorgänge als solche so wenig erklären, wie die totale Kenntnis der letzteren die Erkenntnis- oder Handlungsphänomene. Zwischen diesen und den seelischen Vorgängen klafft eine ganz ebensolche Heterogenität, derselbe  hiatus irrationalis,  wie zwischen psychischen und physischen Vorgängen." (2)

b) Psychologismus und
Antipsychologismus
    "Das engere Erkenntnisproblem verhält sich hiernach vollkommen gleichgültig zur Frage der psychischen Prozesse und ihrer Gesetze. Es kann durch sie weder gefördert noch behindert werden. Aber es kann seinerseits das psychische Problem des Erkenntnisvorganges sehr wohl beeinflussen. Denn dieses ist ganz und gar an die Herausbildung der objektiven Erkenntnisstrukturen gebunden."
"Das weitere Erkenntnisproblem dagegen enthält die Frage nach dem psychischen Prozeß mit in sich", obwohl sie auch hier niemals zur zentralen Frage wird. Immerhin erstreckt sie sich bin in alle Spezialfragen, auch in die ihr so unabhängig gegenüberstehende Kategorienlehre. Denn an jeder Erkenntniskategorie besteht ansich auch die von ihrer Erkenntnisbedeutung und Geltung unabhängige psychologische Frage nach dem zugehörigen Prozeß, wenn auch diese Frage von der heutigen Psychologie nicht gelöst werden kann.

Erst wenn sich die psychologische Methode des engeren Erkenntnisproblems wie im Positivismus, wird sie zum Psychologismus. Dieser aber verkennt das Problem und gefährdet die Erkenntnistheorie und zugleich die Logik. Es ist das große Verdienst aller logisch orientierten Erkenntnistheorie, diese Grenzüberschreitung der Psychologie und ihren unberechtigten Anspruch in der Erkenntnistheorie zurückgewiesen und "die saubere Scheidung der beiderseitigen Problemgebiete" aufgezeigt zu haben, wenn auch der logische Idealismus dabei in dem entscheidenden Punkt übers Ziel hinausgeschossen ist, indem "er die psychologische Erkenntnisfrage  a limine [von vornherein - wp] als  falsch gestellte Frage  von der Hand wies".

Diese bedauerliche Grenzüberschreitung des logischen Idealismus in der Kritik des Psychologismus bedarf daher wieder einer Gegenkritik, die aber nicht vom Standpunkt der Psychologie, sondern nur von dem des engeren Erkenntnisproblems aus erfolgen kann.


c) Gnoseologie und Psychologie

Logische Strukturen gehen im psychischen Prozeß nicht auf. Da das "Logische der natürliche Gegenpol des Psychologischen innerhalb des weiteren Erkenntnisproblems" ist, ist es verständlich, daß bisher ausschließlich die Logik und die logisch orientierte Erkenntnistheorie die Übergriffe der Psychologie im Erkenntnisproblem abgewiesen hat. Aber auch das engere Erkenntnisproblem geht im psychischen Prozeß nicht auf. Psychologie und Logik verkannten in gleicher Weise, daß es darin noch etwas Drittes, weder Logisches noch Psychisches gibt: "die aktuelle Beziehung zwischen Subjekt und Objekt als solche, die weder seelischer Akt noch ideale Struktur ist".

Trotz der vielfachen Behandlung des Subjek-Objekt-Verhältnisses in beiden Lagern wird von beiden das Wesen dieses Verhältnisses verfehlt, "weil es weder in der Subjektsphäre noch in der Objektsphäre liegt, sondern in der Relation zwischen beiden". Der Psychologismus verkennt die Eigengesetzlichkeit dieser Relation nicht weniger als die der logischen Struktur. "Hier liegt der  größere Fehler des Psychologismus."  Trotzdem das gnoseologische Wesen der Erkenntnisrelation auch einen Prozeßcharakter zeigt (greifbar im Erkenntnisfortschritt),
    "dem auch ein psychischer Prozeß entsprechen muß", kann "derselbe nicht im psychischen Prozeß aufgehen. Er hat seine  unpsychologische Eigengesetzlichkeit,  die von diesem nicht abhängt, und fällt auch inhaltlich niemals mit ihm zusammen, weil er an einer das Bewußtsein transzendierenden Relation zum Objekt hängt".
Durch das Vorurteil der logisch orientierten Erkenntnistheorie, "was nicht logisch ist, muß  eo ipso [schlechthin - wp] psychologisch sein", hat sie "alles in die Psychologie verwiesen, was nicht in einer idealen Struktur aufgeht" und ist dadurch am engeren Erkenntnisproblem einfach vorbeigegangen. Zu den zahlreichen Phänomenen, die trotz ihres Aktcharakters "nicht Phänomene des Bewußtseins allein", "geschweige denn Phänomene des psychischen Prozesses" sind, wie im ethischen Problem das "des Willens, der Gesinnung, der Handlung", gehören auch solche des theoretischen Problems.
    "Fragen, wie die nach der Erkennbarkeit der Gegenstände, nach dem Wahrheitsgehalt, nach dem Gewißheitsgrad und dem Fortschreiten der Erkenntnis im Wechselverhältnis von Problem und Lösung, gehen genau ebensowenig im psychischen Prozeß auf und haben dennoch Aktualitätscharakter, sind auf ein Subjekt bezogen und gehen folglich auch in einer logischen Struktur nicht auf."

3. Kapitel
Das Logische im Erkenntnisproblem

a) Logik des Denkens und
Logik des Gegenstandes

"Viel tiefer als die Psychologie greift die Logik in das innere Gefüge des Erkenntnisphänomens ein." Während die Psychologie "die Entstehung der Erkenntnis im Prozeß sucht" (und sich somit an die Seite des Subjekts im Erkenntnisphänomen hält), sucht die Logik "den Inhalt der Erkenntnis in seiner wesenhaften, vom Prozeß ablösbaren Struktur. Diese Auffassung macht den streng  objektiven Charakter  der logischen Einstellung aus.

Aber auch von der Logik aus wurden die Grenzen, die ihr im Phänomen der Erkenntnis gesetzt sind, überschritten, indem man sie als "Wissenschaft vom Denken" definierte.
    "Gemeint ist damit nicht das Denken des empirischen Bewußtseins, sondern das ideale Denken eines Subjekts überhaupt, in welchem alle individuelle Bedingtheit, Vermischtheit, Fehlerhaftigkeit, kurz alle  Unreinheit  und Unfreiheit vom gedanklich Strukturellen ausgeschaltet bleibt."
Damit werden die "logischen Gesetze  Denkgesetze,  die logischen Zusammenhänge  Denkzusammenhänge,  die logische Gebilde  Funktionen  des Denkens und die logische Sphäre überhaupt eine Sphäre des  reinen Denkens".  Damit aber hat das Logische seine eigene Sphäre verlassen. Denn in ihm
    "handelt es sich nicht um das Erfassen des Objekts durch das Subjekt, ja nicht einmal um das Objektsein überhaupt für ein Subjekt, sondern einzig um die Struktur und Abhängigkeitsverhältnisse des  Objektiven in sich selbst  unter einem grundsätzlichen Absehen von aller eigentlichen Objiziertheit derselben an ein Subjekt. Die absolute Selbständigkeit des Logischen, seine Ablösbarkeit von der Erkenntnisfrage und seine einzigartige Unberührtheit vom Für und Wider der philosophischen Standpunkte hat in dieser Gleichgültigkeit gegen das Subjekt überhaupt ihren Grund.  Diesseits von Idealismus und Realismus  entwirft die Logik den Bau von Formen und Formverhältnissen, eine Welt von ansich bestehenden Inhaltsstrukturen und Abhängigkeiten, die gegen den Anteil des Subjekts an ihnen indifferent dastehen."
"In  Bolzanos  Lehre vom  Satz ansich  wurde die Logik"
    "frei auf sich selbst gestellt. Daß der Sinn des Urteils in einem rein gegenständlichen Verhältnis der Zugehörigkeit von  P  und  S  liegt, unabhängig von allem  Urteilen  und aller Subjektivität, unabhängig aber auch von aller realen Wirklichkeitsbeziehung, diese Einsicht ist von größter Bedeutung für die Logik geworden und hat ihr das Gebiet als  logische Sphäre,  d. h. als eine  Sphäre logisch idealen Ansichseins  endgültig vom Erkenntnisproblem und von der Spannung zwischen Subjekt und Objekt frei gemacht".
In der Methodologie der Wissenschaften wird dieses ideale Seine  ausgedeutet  "als Gegenstand idealen Denkens", weil sie die Tendenz verfolgt, das aktuelle (tatsächliche Denken dem idealen anzunähern. "Dieses aber kann nur als ein dem idealen Sein angepaßtes aufgefaßt werden." Damit werden notwendigerweise die logischen Gebilde in Denkgebilde umgedeutet. Aber die Strukturen des Logischen werden davon nicht berührt oder zu etwas anderem gemacht, als sie ansich sind.
    "Das ideale Seine als solches wird nicht zur Setzung, Begriff oder Schluß nicht zur Methode des Denkens. Denken und Sein stehen hier weder im Verhältnis der Identität noch der wechselseitigen Abhängigkeit. Die Abhängigkeit ist vielmehr eine durchaus einseitige, nicht umkehrbare: nur das ideale Denken ist an das ideale Sein gebunden, nicht dieses an jenes."

    "Sofern man in diesem Zusammenhang von einer  Logik des Denkens  sprechen kann, so verhält sich diese zur Logik des idealen Seins ähnlich wie die Psychologie des Erkennens zur eigentlichen Erkenntnistheorie: sie kann zu ihr nichts hinzufügen, so wenig wie ihr etwas abhandeln. Das ideale Sein steht indifferent zum Denken. Das Denken aber steht nicht indifferent zum idealen Sein."

b) Erweiterung der logischen Sphäre

Die logische Sphäre ist nicht nur auf die formalen Bestimmungen der traditionellen Logik beschränkt, sondern ihr gehören "alle nur irgendwie möglichen Inhaltsstrukturen" zu. So ist "die Zugehörigkeit des Mathematischen zur erweiterten logischen Sphäre" ja philosophisch allgemein anerkannt. "Daß aber prinzipielle alle Inhalte als solche in die  logische Sphäre erhebbar  sind durch eine Heraushebung des rein Strukturellen in ihnen, ist eine Einsicht, deren Konsequenzen noch lange nicht gezogen sind." Doch davon soll hier nicht weiter die Rede sein. Für das Erkenntnisproblem folgt jedenfalls daraus,
    "daß jeder Inhalt, wie auch immer er vorgestellt sein mag, seine logische Struktur hat. Er ist unabhängig nicht nur vom psychischen Erkenntnisprozeß, sondern auch von Art und Grad seiner Erkenntheit selbst. Denn das Wesen der Inhaltsstruktur ist kein gnoseologisch aktuales, sondern eben nur ein logisch ideales; es besteht nicht nur, sofern es wirklich erkannt wird, sondern sofern es in der Idee des Erkenntnisinhaltes liegt. Damit stehen wir vor dem unabtrennbar logischen Einschlag im Erkenntnisproblem selbst. Denn alle Erkenntnis hat die Tendenz, den Gegenstand in seiner idealen Struktur rein zu erfassen."

    "Diese Tendenz, die einem jden aus der Wissenschaft her sehr bekannt ist, zeigt uns die ideale Objektwelt der logischen Sphäre gleichsam als obere Grenze der Erkenntnis, als ihr logisches Postulat. Der Zug zur Exaktheit und die vielberufene Vorbildlichkeit der rationalen Wissenschaften (Mathematik) haben hierin ihren Grund. Und sofern die Erkenntnis diese ihre obere Grenze nicht nur anstreben, sondern auch im Voraus fixieren - gleichsam antizipieren muß, kann man mit Recht von einer  Logik der Erkenntnis sprechen - ähnlich wie man im Hinblick auf den Prozeß und seine psychischen Bedingungen von einer Psychologie der Erkenntnis sprechen kann."

    Diese Erkenntnislogik "greift viel tiefer in das Wesen des Erkenntnisproblems ein, als die mit ihrer Tendenz auf die Subjektivität ihm als solche wesensfremde Erkenntnispsychologie; denn sie ist ihm von Haus aus wesensverwandt in der Tendenz auf das Objekt, die sie mit ihm teilt. Und nur die Idealität der logischen Objektwelt, ihre Absolutheit und Selbständigkeit scheidet sie von der Aktualität des ewig unvollkommenen Erkenntnisstadiums".

    "Die idealen Strukturen und Relationen der logischen Sphäre sind bindend für alle Abstufungen der Annäherung des aktualen Erkennens, und sie bleiben bindend bis in die scheinbar alogischen Anfänge der Erkenntnis hinab. Das Logische ist eine durchgehende Struktur aller Erkenntnis. Und nur sofern es in allen Stufen des Erkenntnisinhalts tatsächlich angelegt und enthalten ist, lassen diese sich zur idealen Reinheit logischer Objektivität erheben."

c) Das Logische und die
apriorischen Prinzipien

Zu den Strukturen des Erkenntnisinhalts von evident logischem Charakter gehören auch die der Abhängigkeit des Konkreten vom Prinzip. Doch ist das Problem der Prinzipien (Kategorien) keineswegs ein bloß logisches, ebensowenig wie ein bloß gnoseologisches. Immerhin ist das Verhältnis zwischen Kategorienproblem und Logik ein noch engeres als das zwischen Erkenntnisproblem und Logik.
    "Erkenntnisgebilde sind als solche keine logischen Gebilde, sondern können erst durch eine Abstreifung des Alogischen in die logisches Sphäre erhoben werden. Kategoriale Gebilde haben aber ihre logische Struktur unmittelbar ansich, und wenn sie in derselben auch nicht aufgehen, so gehören sie doch immer schon mit ihrem Charakter der Allgemeinheit, Notwendigkeit, Überzeitlichkeit und Apriorität ohne weiteres der logischen Sphäre an. Das logische Subsumtionsverhältis, das die Abhängigkeit des Konkreten von ihnen beherrscht, gibt auch ihrem Anwendungsgebiet eine Art Durchdrungenheit vom Logischen, wenn auch der Inhalt der Kategorien alogische Elemente enthält. Hier kann das Logische führend bleiben, weit über die Grenzen seiner eigenen Sphäre hinaus."

    "Inhaltlich aber hat dieses Übergreifen des Logischen seine sehr bestimmten Grenzen. Weder die Kategorien der Erkenntnis noch die des Seins, weder die des Psychischen, noch die des Logischen selbst sind ihrer logischen Strukturelemente wegen schlechthin logische Kategorien. Der weitaus größte Teil der Kategorien zeigt ausgesprochen alogische Strukturelemte, mit denen sie aus der logisch idealen Sphäre in eine ihr heterogene [uneinheitliche - wp], irrationale hinausragen."

Wie später eingehend zu zeigen sein wird (Kapitel 12g), erstreckt sich der "Einschlag des Irrationalen sogar bis in das eigenste Gebiet der Logik hinein, und die obersten kategorialen Formen und Gesetze der Logik sind durchaus irrationaler Natur".


d) Der Panlogismus und die metalogischen Restprobleme

"Wie der psychologische Einschlag im Erkenntnisproblem die Gefahr des Psychologismus mit sich führt, so der logische Einschlag die des Panlogismus." Bekannt ist diese völlige Übersteigerung des Logischen, seine Erhebung zum Alles Beherrschenden und Maßgebenden, ja zum Einzigen bei HEGEL; sie brachte jene berüchtigte Verwischung der Gebietsgrenzen und die Verfehlung des Eigentümlichen ganzer Problemgebiete, wozu besonders das Erkenntnisproblem und das Seinsproblem gehört. Aber jede Form des logischen Idealismus und Realismus enthält etwas von diesem Übergriff, wenn auch weniger schroff und in mannigfacher Abstufung.

Gerade das Erkenntnisproblem leidet unter der logischen Vergewaltigung an erster Stelle. Denn gerade die unverkennbare Bedeutung, die der logischen Struktur am Gegenstand für das Erkenntnisproblem zukommt, ließ vielfach "das große  Restproblem unterhalb der logischen Struktur"  übersehen, während gerade diese "vom Logischen überlagerte Tiefenschicht, dieses Restproblem jenseits der logischen Einstellung" das Erkenntnisproblem im engeren und eigentlichen Sinn ausmacht.

Denn im Logischen fehlt "die kategoriale Spannung zwischen dem Erkennenden und seinem Gegenstand", "das aller idealen Struktur widersprechende Verhältnis von Subjekt und Objekt", "das Hinausgreifen auf ein außerhalb ihrer liegendes Seiendes, dessen Sachverhalte unabhängig von ihr bestehen, und deren Strukturen sowohl logisch als auch alogisch sein können."

"Der  notwendig transzendierende Charakter der Erkenntnis,  ihr Anspruch auf Übereinstimmung mit einem gegen sie indifferenten Sein" ist ihm verschlossen. Gerade das aber macht das Wesentliche des engeren Erkenntnisproblems aus. Wie das Psychologische mit seiner Sondertendenz nicht an das Erkenntnisproblem heranreicht, so reicht auch die Immanenz des Logischen nicht an dasselbe heran. Durch ihre einseitigen Tendenzen führen beide zur Unterschlagung des Erkenntnisproblems.

Durch die Überspannung des Logischen, das Überschreiten ihres beschränkten Problembereiches, wird der Panlogismus und logische Idealismus zu einem  Logizismus.  Logizismus und der ihm entgegengesetzte Psychologismus "machen denselben Fehler, begehen dieselbe Grenzüberschreitung, nur in entgegengesetzter Richtung". Beide verfehlen aus demselben Grund nicht nur das Erkenntnisproblem, sondern werden "durch die ungeheure Anmaßung, alles beherrschen zu wollen", "metaphysisch im schlechten Sinne dieses Wortes".
    "Beide Grenzüberschreitungen müssen zurückgewiesen, die logische wie die psychologische Problembeschränkung muß aufgehoben werden, wenn man zum engeren Erkenntnisproblem gelangen will. Damit wird auch die logische Sphäre bewußt verlassen. Das Erkenntnisproblem ist  metalogisch  wie es  metaphysisch  ist. Das ist der genauere Sinn des berechtigt  Metaphysischen  in ihm."

2. Abschnitt
Das Metaphysische im Erkenntnisproblem

4. Kapitel
Phänomenologie der Erkenntnis
(Analyse des Erkenntnisphänomens)


a) Das Grundphänomen des Erfassens

Erkenntnis ist die Relation zwischen einem Subjkt und einem Objekt, einem Erkennenden und einem Erkannten, die sich gegenüberstehen. Diese Relation ist "unaufhebbar und trägt den Charakter der gegenseitigen Urgeschiedenheit oder  Transzendenz".  Diese unauflösbar, "in strenger Wechselbeziehung und Wechselbedingtheit stehende Erkenntnisrelation ist zwar eine "zweiseitige, aber eine  nicht umkehrbare";  ihre Glieder sind  "nicht vertauschbar,  ihre Funktion ist wesensverschieden". "Die Funktion des Subjekts besteht in einem  Erfassen  des Objekts, die des Objekts in einem  Erfaßbarsein  für das Subjekt und Erfaßtwerden von ihm." Das "Erfassen" läßt sich kennzeichnen als "ein Hinausgreifen des Subjekts über seine Sphäre, ein  Hinübergreifen  in die ihm transzendente und heterogene Sphäre des Objekts, ein Ergreifen der Bestimmtheiten des Objekts in dieser Sphäre und ein Einbeziehen oder  Einholen  der ergriffenen Bestimmtheiten in die Subjektsphäre". Das Objekt bleibt bei seinem Erfaßtwerden und Einholen unberührt; "es bleibt  Gegenstand,  d. h.  Gegenstehendes".  Nur das Subjekt muß sich selbst verlassen (transzendieren); "es kann sich aber des  Ergriffenen  nicht bewußt werden, ohne wiederum selbst in seiner Sphäre zu sein. Die Erkenntnisfunktion stellt sich daher als ein dreigliedriger Akt dar: als Heraustreten, Außersichsein und in sich Zurückkehren des Subjekts." Das Einholen des Erfaßten ist in Anbetracht der Unberührtheit des Objekts "nur die  Wiederkehr  der Bestimmtheiten des Objekts an einem inhaltlichen Gebilde im Subjekt, dem Erkenntnisgebilde, oder dem  Bild" (am besten mit LEIBNIZ  Repräsentation des Objekts  genannt).


b) Bild des Objekts im Subjekt

Erkenntnis ist die Relation zwischen Subjekt und einem seienden Objekt, genauer zwischen der Vorstellung, die das Subjekt von etwas hat, und dem Etwas selbst, sofern dieses unabhängig von ihr besteht. Die Relation ist transzendent; sie überschreitet das Bewußtsein. Der Gegenstand geht in seinem Gegenstandsein (Objektsein) nicht auf, seine Seinsweise ist übergegenständlich. "Er ist, was er ist, unabhängig von seinem Gegenstandsein, er ist ansich." Das Seiende als solches ist gleichgültig gegen seine eigene Objektion an ein Subjekt. Verändert wird in der Objektion nur etwas am Subjekt: das Subjekt gewinnt ein Bild des Objekts, eine Vorstellung, ein Wissen von ihm. Das Erkenntnisgebilde, das "Bild des Objekts", die Vorstellung des Objekts "ist der Gegenstand nicht wie er ansich ist, sondern  wie er gesehen, erfaßt  oder  gemeint ist",  es ist eine  Repräsentation  des Objekts. Das transzendente Objekt ist beim Zustandekommen des Bildes das Bestimmende. "Erkenntnis ist Bestimmung des Subjekts durch das Objekt." Das Verhältnis ist  einseitig  und irreversibel. Doch nur das Bild des Objekts im Subjekt wird dadurch bestimmt.


c) Aposteriorische und
apriorische Erkenntnis

In aller Gegenstandserkenntnis wirken sich immer zwei gegenüberstehende Elemente, ein apriorisches und ein aposteriorisches, aus. Erkenntnis ist ein Zwei-Instanzen-System, das auf der Wechselwirkung und gegenseitigen Durchdringung der beiden heterogenen Erkenntnisquellen beruth.
    "Der Unterschied von  apriori [im Vorhinein - wp] und  aposteriori [im Nachhinein - wp] ist ein Unterschied des Erfassens selbst, der Einsicht oder Gegebenheitsweise."

    "Aposteriori  ist alles Erfassen, in welchem der reale Einzelfall als solcher gegeben ist und an ihm als vorhandenem und vorliegenden Etwas eingesehen wird."

    "Apriori  dagegen ist alles Erfassen, bei welchem ein einzelner realer Fall nicht vorliegt, bzw. nicht vorzuliegen braucht", "ein Erfassen, bei dem das Erfaßte den Einzelfall, selbst wo er vorliegt, inhaltlich überschreitet und folglich  in seiner Gegebenheit nicht mitgegeben  ist".
In der apriorischen Erkenntnis kommt der "allgemeine Wesenszug zur Gegebenheit ohne Rücksich auf sein Vorliegen im realen Fall". Solche Wesenszüge sind aber ontologisch jeden Einzelfall gegenüber das  Primäre.  Die an diesem  prius& [zuerst - wp] gewonnene Erkenntnis sowohl auf reale wie ideale Gegenstände (wie z. B. der Mathematik) bezieht, gibt es aposteriorische nur von realen Gegenständen.
    "Dieser Unterschied ist ontologisch bedingt: ideales Sein hat eben keine Einzelfälle, seinen Gebilden fehlt das individuelle Hier-und-jetzt-Sein."
Es ist immer ein allgemeines ideales Sein. Die aposteriorische Erkenntnis aber geht gerade vom individuellen Einzelfall aus, wie er in der Wahrnehmung in seinem Hier und Jetzt gegeben ist. Durch die individuelle Dinggegebenheit in der Wahrnehmung sind die aposteriorischen Elemente der Realerkenntnis ohne weiteres einsichtig. Anders liegen die Verhältnisse für die apriorischen, die ja vielfach bestritten werden. Da in der Realerkenntnis beide Elemente niemals isoliert vorkommen, ist das verständlich.

Durch den Nachweis der Möglichkeit der synthetischen Urteile  a priori  hat KANT bereits den Nachweis apriorischer Elemente der Erkenntnis erbracht, und zwar in rein phänomenologischer Form und dadurch unabhängig von der idealistischen Theorie. Die phänomenologische Forschung hat sie als Bestandteil jeder Erkenntnis aufgezeigt. Das eigentliche Erkenntnisphänomen des Apriorischen besteht mit KANT in seiner "objektiven Gültigkeit", d. h. "im Zutreffen des innerlich Erschauten auf den transzendenten Gegenstand"  (transzendente Apriorität). 


d) Verschiebbare Grenze der Objektion

Der Gegenstand, das Objekt als Ansichseiendes, wird bei seinem Objiziertsein nicht ganz erfaßt, dem bereits Erkannten steht das zu Erkennende gegenüber. Da sich das zu Erkennende und das tatsächlich Erkannte, Objizierte, nicht decken, besteht eine "Inadäquatheit" zwischen beiden. Die  "Grenze der Objektion"  trennt das  objiciendum  (zu Erkennende) in Objiziertes und "Transobjektives". Das gilt auch für das Bild (die Repräsentation) und den Gegenstand. Im  "Bewußtsein dieser Inadäquatheit",  dem  "Wissen  des Nichtwissens", "findet ein Hinausgreifen des Subjekts über die Grenze der Objektion ins Transobjektive statt, ohne daß letzteres dabei objiziert würde". Das sich hierin kundgebende  Problembewußtsein  (positiv als Grenzbewußtsein der Objektion, negativ als Inhaltsbewußtsein des Transobjektiven) "wirkt als Spannungsmoment auf die Erkenntnisrelation", als "Tendenz zur Äquation", zum "aktiven Streben, zum Erfassen immer weiterer Kreise von Objektbestimmtheiten, eines fortschreitenden Eindringens in das Transobjektive".
    "Aus dem Problembewußtsein resultiert der  Erkenntnisprogreß.  Die Grenze der Objektion wird fließend. Aus dem negativen Übergriff wird eine positive Überschreitung oder richtiger  Verschiebung  der Grenze."

e) Wahrheit
    "Das Bild des Objekts im Bewußtsein ist nicht nur nicht identisch mit dem Objekt und nicht bloß ein teilweises, inadäquates Abbild des Objekts, sondern es braucht auch überhaupt noch kein rechtmäßiges  Abbild  des Objekts zu sein. Es kann dasselbe auch falsch abbilden, es verfehlen."
Als Repräsentation des Objekts kann es "ebensowohl  unzutreffend  wie zutreffend sein".

Der Grund seiner  Übereinstimmung mit dem Objekt  ist ausschlaggebend für seinen Erkenntniswert. Nur wenn Wesenszüge des Objekts irgendwie im Bild wiedergegeben sind, liegt ein wirkliches "Erfassen" des Objekts vor; nur bei einer "Übereinstimmung des Bildes im Bewußtsein mit dem Objekt" ist die Erkenntnis  wahr.  "Wirkliche Erkenntnis ist nur die wahre." Nichtübereinstimmung ist "Irrtum, Täuschung, ist das Fehlen oder Versagen des  Erfassers (unwahre Erkenntnis)". Wahr oder unwahr kann sich nur auf das  Bild  des Objekts beziehen.
    "Niemals aber kann das Objekt selbst wahr oder unwahr sein; dieses ist ansich, was es ist, unabhängig von der Erkenntnisrelation. Es steht jenseits von wahr und unwahr."
Dieser  "transzendente Wahrheitsbegriff"  ist der des naiven und des wissenschaftlichen Bewußtseins.
    "Denn dieses meint mit Wahrheit und Unwahrheit eben durchaus diese Deckung oder Nichtdeckung seiner Vorstellung mit dem ansich seienden Gegenstand, keineswegs aber eine bloß immanente Übereinstimmung der Vorstellungen unter sich."
Da es ein Bewußtsein der Unwahrheit und folglich auch das  Bewußtsein der Wahrheit  gibt, so muß auch "der Anspruch des Bewußtseins auf ein Kriterium der Wahrheit vorausgesetzt werden".

Ob der Anspruch auf ein solches Kriterium zu Recht besteht, läßt sich am Phänomen nicht erkennen. "Nur der Anspruch als solcher ist ein Phänomen. Aber auch die Möglichkeit des Zweifels an ihm gehört mit zum Phänomen."


f) Ontologisches Ansichsein und
unverschiebbare Grenze der Objektion

Aus der bisherigen Erörterung des Erkenntnisphänomens sind vier Erkenntnisbegriffe deutlich voneinander abhebbar:
    1. Erkenntnis als Wesensverhältnis von Subjekt und Objekt (= Erkenntnisrelation);

    2. Erkenntnis als Bild oder Repräsentation des Objekts im Subjekt (= Erkenntnisgebilde);

    3. Erkenntnis als Übereinstimmung des Bildes mit dem Objekt (= Wahrheit);

    4. Erkenntnis als Tendenz der Annäherung des Bildes an den vollen Gehalt des Objekts (= Erkenntnisprogreß)
Nur der letzte überschreitet das Erkenntnisphänomen und greift in die  ontologische  Sphäre über. Damit erweist die Beschreibung des Phänomens der Erkenntnis, daß sich im Erkenntnisphänomen selbst der  Begriff  eines Dinges-ansich" kundgibt, und zwar durch das  Problembewußtsein  und den  Erkenntnisprogreß.  Die Relation von Subjekt und Objekt tendiert  einseitig  über das Objizierte hinaus nach der Seite des Objekts. "Der Schwerpunkt der Relation liegt" "im  Transobjektiven".  Hinter der "Erkenntnisrelation" taucht somit "eine tiefere, sie umspannende  Seinsrelation  auf". Auch der Begriff des Gegenstandes wird davon betroffen.
    "Als  objectum  ist er durch die jeweilige Grenze der Objektion ein Endliches, als seiende Sache ist er offenbar ein  Unendliches." 
Das dauernde Überschreiten der Erkenntnisgrenze ist dabei nicht planlos, sondern erhält durch das unbekannte, gegen die Erkenntnis indiffere Wesen des transsobjektiven Gegenstandes eine bestimmte Richtung.

Das bestimmt gerichtete Hinausgehen der Erkenntnis über ihre Grenze auf ein genügend "unerschöpfliches" Wesen hält "das schrittweise Fortrücken des vorgreifenden Problembewußtseins und des nachwirkenden positiven Erkenntnisprogresses im Gang."

Durch die jeweilige Grenze der Objektion wird die seiende Sache in einen "objizierten endlichen Ausschnitt und einen transobjektiven unendlichen Rest" geteilt. Das gilt nur für das erkennende Subjekt. Die Seiende Sache ist unberührt davon  gleichgültig  gegen die Objektion und deren Grenze.

Im Gegensatz zu der verschiebbaren Grenze des Transobjektiven in der Erkenntnis gibt es aber auch noch eine Grenze seiner Objiziertbarkeit, "die  feste Grenze der Erkennbarkeit".  "Diese  zweite Grenze  ist dann eine absolute."

Zwischen beiden Grenzen erstreckt sich "der unerkannte, aber erkennbare (intelligible) Teil des Transobjektiven" (jenseits der zweiten Grenze liegt der unerkennbare Teil des Transobjektiven, "das  Irrationale",  richtiger das  Transintelligible).  Trotzdem die feste Grenze des Unerkennbaren nicht weiter überschritten werden kann, muß "das Problembewußtsein, wo es an diese unüberschreitbare Grenze stößt, nichtsdestoweniger  auch über sie,  nicht anders als über jede verschiebbare Grenze, hinausweisen." "Der Schwerpunkt der Erkenntnisrelation liegt also nicht nur jenseits des Erkannten, sondern auch jenseits des Erkennbaren." Damit wurzelt auch das tiefere Wesen des "Gegenstandes" der Erkenntnis jenseits von Erkenntnis und Erkennbarkeit, dort wo es dem Subjekt nicht mehr "gegenübersteht", in "einer Feststellung gegen das Subjekt". "Da hier die Tragweite der gnoseologischen Relation überschritten ist", ist das tiefere Wesen des Gegenstandes nur noch  "seiende  Sache", das "Ding-ansich".


5. Kapitel
Problematik der Erkenntnis
(Analyse des Erkenntnisproblems)


a) Die allgemeine Problematik
der Erkenntnis

Die Analyse des Erkenntnisphänomens hat ergeben, daß Subjekt und Objekt einander transzendent sind. Demnach ist auch die Erkenntnisrelation als solche eine transzendente, und es erhebt sich das Problem, wie diese Relation möglich ist: ("Schon hier im Äußerlichsten und Schematischsten ist das Erkenntnisproblem ein metaphysisches.") Da das Erkennen vom Subjekt aus gesehen "ein Erfassen des Objekts" ist, so muß es "aus sich heraustreten und außer sich sein, um es erfassen zu können". "Dieses  Außersichsein des Subjekt"  in der Erkenntnisfunktion ist das Rätsel.

Das "Außersichsein des Subjekts" in der Erkenntnisfunktion steht in einem unauflösbaren Widerspruch zum Wesen des Bewußtseins, das ja nie aus seiner Sphäre heraustreten kann, sondern nur seine eigenen Inhalte zu erfassen vermag ("Satz des Bewußtseins"). Wir stoßen auf die unausweichliche "Antinomie des Bewußtseins".
    "These: Das Bewußtsein  muß  aus sich heraustreten, sofern es etwas außer sich erfaßt, d. h. sofern es  erkennendes  Bewußtsein ist."

    "Antithese: Das Bewußtsein kann nicht aus sich heraustreten, sofern es nur seine Inhalte erfassen kann, d. h. sofern es erkennendes  Bewußtsein  ist."
Aber auch vom Objekt aus gesehen treffen wir auf die gleich widerspruchsvolle Situation, da von hier aus Erkenntnis das Übergreifen der Bestimmtheiten des Objekts auf das Subjekt und die unmittelbare Bestimmung des Bildes im Subjekt durch sie ist. Da das Objekt selbst  nicht ins Subjekt übergeht",  sondern von einem Bild, seiner Repräsentation als Ansichseiendes bestehen bleibt, ist nicht einzusehen, wie "das Objekt im Subjekt die Wiederkehr seiner Bestimmtheiten an einem Bild hervorbringen" kann  ("Antinomie des Objekts"). 
    "These: Die Bestimmtheiten des Objekts müssen dem Subjekt irgendwie übermittelt werden, sofern eine Erkenntnis stattfindet; das Bild im Subjekt kann nur  objektiv  sein, d. h. Züge des Objekts tragen, wenn das Objekt sie irgendwie auf dasselbe übertragen kann; in diesem Übertragen ist aber die Transzendenz des Objekts für das Subjekt bereits  durchbrochen." 

    "Antithese: Die Bestimmtheiten des Objekts können sich auf das Bild im Subjekt nicht übertragen, sie bleiben der Sphäre des Subjekts transzendent; denn im Objektbewußtsein ist die Transzendenz des Objekts für das Subjekt  nicht durchbrochen,  sondern bleibt intakt; es meint das Objekt gerade als Ansichseiendes, welches gleichgültig ist gegen sein Erkanntwerden."

b) Das Problem der Wahrnehmung
und Gegebenheit

Der Empirismus nimmt in naiver Weise an, daß das Wahrnehmungsbild unmittelbar durch das transzendente [das Bewußtsein übersteigende - wp] Objekt bestimmt ist. Durch die Tatsächlichkeit der  äußeren Wahrnehmung  in der  aposteriorischen  Erkenntnis glaubt er, sei die Antinomie überwunden, wird "das Transzendente als solches erfaßbar". "Denn das Wahrgenommene gilt dem Bewußtsein als ein ihm unmittelbar vom Objekt Zuteilgewordenes. Das Subjekt steht als das Empfangende, das Objekt als das Gebende da." Aber durch diese  empirische Gegebenheit  ist die Antinomie nicht gelöst, das Problem ist nur verdunkelt. Denn ein Objekt, das in der Erkenntnisrelation dem Subjekt transzendent bleibt, kann ihm nicht gegeben werden. Die "Antinomie des Objekts" bleibt bestehen. "Entweder die  Transzendenz ist ein Schein  oder  die Gegebenheit ist Schein."  Beide Glieder sind "standpunktlich metaphysische" Behauptungen, die erste die des Idealismus, die zweite die des Skeptizismus und widersprechen Wesenszügen des Erkenntnisphänomens.


c) Das Problem der Erkenntnis a priori

Bei der Erkenntnis  a priori  wird die Problematik nicht geringer, sondern sie tritt verstärkt hervor. Denn hier "macht das Bewußtsein vor aller Erfahrung  rein bei sich selbst  etwas über den realen Gegenstand aus, von dessen Zutreffen auf den letzteren es nichtsdestoweniger vollkommen überzeugt ist". Beruhte diese Überzeugung auf einer Täuschung (wie der Positivismus behauptet), dann wäre eine exakte Naturwissenschaft, ja jede Erkenntnis des Wirklichen, die Notwendigkeitscharakter beansprucht, hinfällig. Wie aber "ist es möglich, daß dasjenige, was das Bewußtsein bei sich selbst am immanenten Vorstellungs- oder Gedankengebilde erschaut,  Gültigkeit für ein Reales  hat, welches ihm unaufhebbar transzendent ist?" Diese "objektive Gültigkeit" (KANT) ist das Problem der  transzendenten Apriorität.  Denn hier wird über die (gegebenen) empirischen Einzelfälle hinaus behauptet, "was überhaupt von realen Gegenständen eines bestimmten Typus notwendig und unbedingt gelten soll". Das kann weder durch (apriorische) Anschauung noch durch Denken erklärt werden.
    "Das Bewußtsein  antizipiert  hier die Bestimmungen des Realen  mit einer Überspringung der Gegebenheit,  ja ohne alle Rücksicht darauf, ob es das Reale überhaupt gibt oder nicht. Das Bewußtsein erhebt also den paradoxen Anspruch, gerade  im Wegschauen vom daseienden Gegenstand  und seiner Gegebenheit die Wesenszüge desselben rein zu erfassen", "den Anspruch, daß die erschauten idealen Wesenszüge  zugleich die des realen Gegenstandes  sind". Das kann weder "anschaut noch gegeben sein".

d) Das Problem des Wahrheitskriteriums

Bezüglich der  Wahrheit (und Unwahrheit selbst gibt es keine Problematik. "Erkenntnis kann nur entweder wahr oder unwahr sein", auch wenn sie teilweise wahr ist, ist nur "der Teil, der an ihr wahr ist, schlechthin wahr, der Teil, der unwahr ist, schlechthin unwahr". Eine Problematik gibt es nur hinsichtlich des  Wahrheitsbewußtseins.  Denn es gibt "Wahrheit ohne Wahrheitsbewußtsein und Wahrheitsbewußtsein ohne Wahrheit". Wohl zeigt die Analyse des Phänomens, daß "der  Anspruch  des Subjekts, um die Wahrheit seiner Erkenntnis zu wissen", zum Phänomen gehört; fraglich ist aber die Berechtigung dieses Anspruchs. Die Problematik betrifft somit das  "Kriterium der Wahrheit".  Die Frage ist, wie ist ein Subjekt fähig, die fraglos mögliche "Übereinstimmung des Objektbildes mit dem transzendenten Objekt" zu  erkennen,  von der Nichtübereinstimmung zu  unterscheiden.  Die antike Skepsis hat gezeigt, daß das Kriterium der Wahrheit weder  im Bewußtsein  noch  außerhalb des Bewußtseins  liegen kann. Da ein anderer Fall nicht möglich ist, soll es nach ihr kein Kriterium der Wahrheit geben. Dieser Schluß steht aber im Widerspruch zum Phänomen des Wahrheitsbewußtseins und würde bei einem Zutreffen nicht nur die Wissenschaften, sondern auch das natürliche für das praktische Leben notwendige Gegenstandsbewußtsein fragwürdig machen. Für das Problem kann jedoch diese fragwürdige Konsequenz vermieden werden, wenn man den Anspruch des transzendenten Wahrheitsbewußtseins über das Erfassen des Objekts durch das Subjekt hinaus auf "ein  zweites Erfassen"  bezieht, "in dem das erste Erfassen des Objekts seinerseits zum Erfaßten wird, also ein Erfassen des Erfassens, oder ein  Wissen des Wissens".  Ein Wissen davon, "wieweit Objekt und Objektbild sich decken", wäre nur möglich, wenn eine  "zweite Instanz des Wissens"  "einen  selbständigen Vergleichspunkt  für die Beschaffenheit des Objektbildes im Subjekt abgeben könnte". Das kann nur durch eine zweite transzendierende Bestimmung des Subjekts durch das Objekt zustande kommen; "eine zweite Bestimmung des Subjekts durch das Objekt müßte der ersten übergelagert sein".

Diese positive Fassung des Wahrheitskriterium bedeutet eine weitere metaphysische "Belastung des Erkenntnisproblems". Wie diese "zweite Relation" zwischen Subjekt und Objekt unabhängig von der ersten möglich ist, wird in Kapitel 27 zur Erörterung gelangen.


e) Das Problem des Problembewußtseins

Das Wahrheitsbewußtsein, das "Wissen des Wissens", steht vollkommen indifferent zum  "Wissen des Nichtwissens",  des Wissens um die Grenze der Objektion am  objiciendum,  welche an ihm Objiziertes und Transobjiziertes scheidet. Die Frage des  Problembewußtseins  bedeutet somit:
    "Wie ist ein Erfassen dessen möglich, was vielmehr unerfaßt bleibt und gerade sofern es unerfaßt bleibt? Wie kann Objektion des Transobjektiven stattfinden, ohne daß ein solches aufgehoben, d. h. zum Objizierten gemacht wurde."
Abgesehen von der in dieser Frage offen auftretenden Paradoxie wird hier positiv Neues gefordert (über die einfache Erkenntnisrelation und das Wahrheitsbewußtsein hinaus): "das  Hinausgreifen über die Objektionsgrenze".  Dieses Hinausgreifen in das Transobjektive, das Problembewußtsein kann nur durch eine dritte selbständige transzendente Relation neben der ersten (Erkenntnisrelation) und der zweiten (Kriterium der Wahrheit) zustande kommen, nämlich einer  "zwischen Subjekt und Transobjektivem".  Damit ist eine weitere metaphysische Belastung des Erkenntnisproblems gegeben. Es erhebt sich die Frage, wie "die dritte, das Transobjektive berührende Relation  möglich  ist" und wie sich  "die dreifache Überlagerung"  gestaltet.


f) Das Problem des Erkenntnisprogresses

Im Erkenntnisprogreß tritt gegenüber dem Problembewußtsein die Frage auf: "Wir kann aus dem Wissen des Nichtwissens das positive Wissen der Sache werden? Wie können Probleme  gelöst werden?"  Hier liegt keine Antinomie [Widerspruch - wp] vor, es handelt sich einfach um die positive  Fortsetzung  der primären Erkenntnisrelation, das  "Hervortreten ihres im Grunde dynamischen Charakters."  Diese Dynamik des Progresses  wurzelt nur im Subjekt,  es handelt sich um eine Tendenz, die nur sein eigenes Verhältnis zum Objekt betrifft.

Trotzdem kommt hier ein Neues hinzu, da die bisher erörterten drei Typen der Relation zwischen Subjekt und Objekt nicht ausreichen, um die  "fortschreitende Objektion"  verständlich zu machen. Diese neue vierte Relation zwischen Subjekt und Objekt geht über die beiden ersten hinaus, bleibt aber hinter der dritten, dem Problembewußtsein, zurück. Denn nur  die  Probleme eilen im Erkenntnisstreben der wirklichen Erkenntnis der Sache voraus. Aber dadurch, daß der Erkenntnisprogreß die  Lösung  der gestellten Probleme bringt, ist die neue Relation der Relation des Problembewußtseins qualitativ überlegen. Durch die vierfache Überlagerung selbständiger Relationen zwischen Subjekt und Objekt mit ihren mannigfachen Beziehungen und Abhängigkeiten ihrer relationalen Glieder im Problem des Erkenntnisprogresses ist die metaphysische Belastung "aufs höchste gestiegen".


g) Das Problem des Seins

Die bisher erörterten Erkenntnisprobleme, die sich nur mit der  Erkenntnis des Gegenstandes  befaßten, sind fraglos verschieden von den sich auf den  Gegenstand der Erkenntnis  beziehenden Seinsproblemen. Da aber beide andererseits unlöslich verbunden sind, kann die Erkenntnisfrage ohne die Gegenstandsfrage nicht erledigt werden, und das gnoseologische Problem geht in das  ontologische  über.

Der Schwerpunkt der Erkenntnisrelation liegt, wie die Phänomenanalyse ergeben hat, im Transobjektiven, ja, jenseits der zweiten unverschiebbaren Grenze, im Irrationalen (Transintelligiblen). Hinter der Erkenntnisrelation erhebt sich die Seinsrelation, in der "statt des Erkennenden und Erkannten" nur noch eine  seiende  Sache einem  seienden  Subjekt gegenübersteht. Da dem Erkenntnisprozeß eine Grenze gezogen ist, die Grenze des Irrationalen (Transintelligiblen) im Transobjektiven, über die keine Erkenntnis möglich ist, so hört hier die Erkenntnisrelation auf und die Relation ist eine  ontologische,  in der zwei  Seiende (seiendes Subjekt und seiende Sache) sich  gegenüberstehen.  Es erhebt sich die Frage, "was ist unter  dem Ding ansich  zu verstehen?" "Welchen positiven Sinn hat das Irrationale (Transintelligible), abgesehen von seinem negativen Grenzwert am Erkenntnisprogreß?" Die Problematik des  Ding-ansich  und die Problematik des  Irrationalen Das Rätselhafte ist nun, wie "das Fragwürdige im Erkenntnisphänomen" aus den noch fragwürdigeren Seinsverhältnissen verstanden werden kann. Denn die Analyse des Erkenntnisproblems ergab ja, daß es  "in einem größeren Problemkomplex  eingeschlossen ist". Dessen zumindest prinzipielle Aufhellung bildet aber die Voraussetzung seiner metaphysischen Kernfragen. Trotz des hierin zutage tretenden Widerspruchs, trotz der unleugbaren Irrationalität der Seinsrelation ist  "ihr Vorhandensein erkennbar  in der Tatsache" der ebenfalls irrationalen Erkenntnisrelation, "denn im Problem und Progreß ist die direkte Bindung zwischen Subjekt und seiender Sache schon mitenthalten". "Das ontologische Grenzproblem der Erkenntnis ist mittelbar für die ganze Stufenreihe der entwickelten Probleme entscheidend. Seine Lösung müßte sie alle mitlösen." Das  pros hemas,  das  letzte  Grundproblem, betrifft die  an sich erste,  alles tragende Grundlage. Die metaphysische Kernfrage der Erkenntnis ist eine ontologische.
LITERATUR - Max Hartmann, Die philosophischen Grundlagen der Naturwissenschaften, Jena 1948
    Anmerkungen
    1) Die Zitate es I. Hauptteils stammen aus den Werken von NICOLAI HARTMANN, und zwar fast alle aus der dritten Auflage der "Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, einige der Einleitung aus seiner Selbstdarstellung in "Deutsche systematische Philosophie", Bd. 1, 1931.
    2) Näheres hierüber siehe Kapitel 22.