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Über logische und ästhetische Allgemeingültigkeit [2/2]
A. Die Begründung der transzendental-logischen Allgemeingültigkeit Die vorhergehenden Betrachtungen haben erwiesen, daß logische und ästhetische Allgemeingültigkeit letzten Endes ihre Dignität aus derselben Quelle schöpfen, insofern die Wurzeln ihrer Kraft auf dem Gebiet der "praktischen Vernunft" liegen. Ich habe versucht, diesen Standpunkt fremden Meinungen gegenüber zu verteidigen, und glaube damit dem kantischen Denken, zumindest seinen letzten und tiefsten Absichten nach, näher gekommen zu sein als irgendeinem anderen. Im Folgenden will ich nun an dieses Denken einen noch engeren Anschluß suchen, um für die Behandlung besonders der ästhetischen Probleme einen breiteren Boden zu gewinnen. Den aus der empiristischen Zergliederung des Erkenntnisvorgangs notwendig entspringenden, von HUME folgerichtig entwickelten Skeptizismus zu widerlegen, insbesondere die durch diese Lehre wankend gewordenen Grundlagen der Wissenschaft neu zu befestigen und unangreifbar zu machen, war KANTs Absicht, als er die "Kritik der reinen Vernunft" zu schreiben begann. Aber nur die Disziplinen zu rechtfertigen, erschien ihm notwendig, die seit langen Zeiten "den sicheren Weg einer Wissenschaft gegangen waren"; dazu zählte er neben der Logik nur die Mathematik und die mathematische Naturwissenschaft, wie sie sich seit GALILEI entwickelt hatte. Durch die Einschränkung seines Augenmerks auf die genannten Wissenschaften gelang es KANT jedoch nicht, mit voller Deutlichkeit die letzte Verankerung der von ihm nachgewiesenen Allgemeingültigkeit der Erkenntnis aufzuzeigen, und die bei ihm in dieser Beziehung noch herrschende Dunkelheit hat sich bei den späten Nachfolgern seiner Lehre bitter gerächt. Denn in die scheinbar gelassene Lücke des Gedankens der Deduktion rückten sie mit einer neuen verfeinerten Skepsis ein, die sich Positivismus oder Empiriokritizismus (1) nannte. Diese Richtung suchte alles Wissen aus "Tatsachen" herzuleiten und glaubte damit die nur relative Geltung aller Erkenntnis erweisen zu können. Erst die Philosophie RICKERTs, welche die kantische Deduktion zu Ende gedacht hat, nimmt auch dieser Skepsis den Boden unter den Füßen weg, indem sie zeigt, daß jede relativistische und positivistische Theorie sich selber die Lebensadern zerschneidet, da schon der Sinn selbst jeder "Tatsache" die absolute Geltung des Gegenstandes der Erkenntnis, d. h. des Sollens voraussetzt. Die Undurchsichtigkeit der kantischen Deduktion, hervorgerufen durch den Zweck, die rationalen Wissenschaften zu begründen, liegt nur vor allem in der Verwebung zweier nirgends klar geschiedener Gedanken, die beide um den Begriff der Allgemeinheit kreisen, in diesem Begriff aber zweierlei meinen: einmal die Gültigkeit für alle erkennenden Subjekte ohne Sammlung der Stimmen und zweitens die Gültigkeit für alle erkannten Objekte ohne Sammlung der Fälle. Nennen wir mit KANT die erstere "Notwendigkeit" (2) und die letztere "strenge Allgemeinheit", so sah er in ihnen beiden Korrelatbegriffe, die aufeinander hinweisen, und außerhalb der strengen Allgemeinheit schien für Notwendigkeit gar kein Platz (3). Im Begriff der Regel aber fanden sich beide Bedeutungen in zweideutiger Einheit zusammen. Ich schreite nun zuerst dazu, den Grund für diese Unzertrennlichkeit zweier selbständiger Begriffe bei KANT aufzudecken, und beginne zu diesem Zweck mit einer Analyse der Begriffe subjektiv und objektiv. Die Bedeutung dieser Termini ist bei KANT durchaus keine einheitliche. Man könnte von einer "schlechten" und einer "guten Subjektivität" sprechen, die eine die Allgemeingültigkeit der Erkenntnis behindernd, die andere sie fördernd. Erstere bezieht sich auf das empirisch individuelle Subjekt, letztere auf das erkennende Subjekt überhaupt. So lesen wir:
Nur die aus dem Bestreben, HUME zu überwinden, herausgewachsene Richtung des kantischen Denkens erklärt die ansich unhaltbare und unfruchtbare Fragestellung, wie aus dem subjektiven Vorstellungsleben objektive Erkenntnis wird. (15) Wie ich gezeigt habe, muß die "schlechte Subjektivität" bei erkenntnistheoretischen Erwägungen völlig aus dem Spiel bleiben. Aus dem gewonnenen Resultat will ich sogleich eine wichtige Folgerung ziehen; für KANT ergab sich aufgrund der oben geschilderten Fragestellung die Aufgabe, zur objektiven Erkenntnis von der subjektiven Assoziation aus hinzudringen. Wird Ernst damit gemacht, daß im objektiven Urteil eine individuelle Vorstellungsverbindung im logischen Sinn notwendig werden soll, so wird damit die Lösung des Objektivitätsproblems in seinem vollen Umfang verhindert. Denn nur die ihres individuellen, d. h. subjektiven Charakters entkleideten Verbindungen können dann Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben, nur sie ermöglichen echte Objektivität. Dieser Punkt ist von hervorragender Wichtigkeit, er stellt sich uns dar als die notwendige Konsequenz eines durch einen falschen Ausgangspunkt bestimmten Gedankenganges. Von zwei Seiten her wurde KANT zu diesem Schritt gedrängt: HUME hatte 1.) die Kausalität als streng allgemeine und notwendige Regel bezweifelt und ihren Anspruch auf Gewohnheit zurückgeführt. Er hatte 2.) die impressions oder ihre reproduzierten Bilder, die ideas, als die zu verbindenden Inhalte proklamiert. Um diese Ideenassoziation als eine objektiv gültige zu rechtfertigen, konnte KANT nicht einfach die Bejahung hinzutreten lassen, sondern mußte in diesen Ideen das subjektive, d. h. aber das individuelle Moment auslöschen; um die strenge Allgemeinheit kausaler Regeln zu begründen, bedurfte er andererseits gar keines individuellen Inhalts, der hätte bejaht werden sollen; so liefen beide Motive zusammen, die Umwandlung der subjektiven Vorstellungsverbindung in eine streng allgemeine und notwendige Verbindung von Begriffen zu erwirken, den Weg von der Empfindung zum allgemeinen Begriff d. h. zum Begriff eines Allgemeinen im Sinne der Naturwissenschaft, zu nehmen, um die Bedingungen objektiver Erkenntnis aufzuzeigen. Dadurch kam gleichzeitig der Begriff gegenüber dem bloßen Affiziertwerden, der rezeptiven Sinnlichkeit, in die Stellung des apriorischen Faktors kat exochen [schlechthin - wp]. Das Subjektiv-Sinnliche wird durch ihn in die Sphäre des Allgemeinen und dadurch erst in die des Allgemeingültigen getragen. Wir haben schon mehrfach von der Anziehungskraft gesprochen, die das Allgemeine dem Begriff der Allgemeingültigkeit gegenüber zu haben scheint. HUSSERLs System steht im Bann dieser Kraft. Auch KANT zahlt ihr seinen Tribut.
Ehe wir zu unserer Untersuchung des Verhältnisses von Allgemeinheit und Allgemeingültigkeit im ästhetischen Gebiet schreiten, wollen wir aber unser Verständnis für die logischen Eigentümlichkeiten dieses Verhältnisses noch zu vertiefen suchen. Bei KANT, so haben wir gesehen, sind Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit unzertrennlich. Um die Ursache dieser Verknüpfung aufzuzeigen, ging ich im Vorhergehenden vom Begriff der Allgemeinheit aus und suchte seine Bedeutung für das Problem der Allgemeingültigkeit kennen zu lernen. Wir wollen jetzt einmal vom Begriff der Notwendigkeit ausgehen und nachforschen, ob er seinerseits in ausgezeichneter Weise dem logisch Allgemeinen verwandt ist, und also auch in ihm Motive für die kantische "Unzertrennlichkeit" liegen. Dabei wird sich uns das Problem der transzendentalen Deduktion aufrollen, und wir werden versuchen, einen Einblick in seine begriffliche Struktur zu erlangen. Im Folgenden eine Darstellung der kantischen Deduktion zu geben oder in eine Diskussion über das höhere historische Recht der einen oder anderen Möglichkeit ihrer Auslegung einzutreten, kann nicht die Absicht unserer auf eine Klärung der Begriffe gerichteten Arbeit sein. Wohl aber werden diese Möglichkeiten für uns in einem systematischen Sinn in Betracht kommen, insofern wir in ihnen typische Gedankengänge zu sehen haben, über deren Wert und Unwert für den Zweck der Problemlösung, die wir vor Augen haben, ein Entscheid gefällt werden muß. Diese Grundlinien des Denkens will ich daher mit aller Schroffheit und Konsequenz zu zeichnen versuchen, ohne zu fragen, ob diese oder jene Auffassung "kantischer" ist. Der Zweck dieser Untersuchung läuft darauf hinaus, nachzuweisen, daß die Möglichkeit der Allgemeingültigkeit der Erkenntnis sich auf die Möglichkeit singularer, das Individuelle meinender Urteile gründet, daß also das Band, das KANT zwischen strenger Allgemeinheit und Notwendigkeit geknüpft hat, zerrissen werden muß. Ich stütze mich dabei auf das im ersten Teil Ausgeführte und werde im Verlauf meiner Überlegungen auch Gelegenheit nehmen, den von HUSSERL angebahnten Versuch einer Deduktion in unsere kritische Betrachtung einzustellen. Der Begriff der Notwendigkeit, von dem wir ausgehen wollen, ist einer der Zentralbegriffe der Philosophie; er streckt seine Wurzeln bis in die letzten Tiefen aller Probleme; die Art und Weise, wie seine Bedeutung konzipiert, wie die Fäden gesponnen werden, die von ihm zum Sein und Erkennen laufen, gibt deshalb einem System die charakteristische Färbung. Unsere Aufgabe wird es sein, auf der eingeschlagenen via regia [Königsweg - wp] der Philosophie fortschreitend, den Begriff der Notwendigkeit möglichst metaphysikfrei zu bestimmen, oder was dasselbe sagen will, ihn nicht unbegriffen dem Gegenstand anheimzugeben, sondern eine wohlkonstruierte Brücke zwischen ihm und dem erkennenden Subjekt zu erbauen. Wir müssen zu diesem Zweck am Begriff der logischen Allgemeingültigkeit zwei Seiten unterscheiden, die auseinander zu halten, bisher noch kein Bedürfnis vorgelegen hat. Der erste Teil sollte zeigen, daß jede logische Allgemeingültigkeit oder die Wahrheit eines jeden Urteils sich auf die Anerkennung eines Sollens gründet. Um die Allgemeingültigkeit der Erkenntnis zu deduzieren, bedürfen wir jedoch der deutlichen Trennung der im Wahrheitsbegriff gedachten Momente der transzendentalen oder materialen und der immanenten oder formalen Wahrheit. Es versteht sich von selbst, daß diese Scheidung keine Einteilung der wahren Urteile nach sich zieht; ein Urteil kann formal wahr sein, ohne darum auch material wahr zu sein, wogegen ein materiales wahres Urteil nie formal falsch sein kann. Diese Einteilung bezieht sich auf das Verhältnis eines Urteils zur Wirklichkeit einerseits, zum Denken andererseits. Urteile, die mit der Wirklichkeit übereinstimmen, nennen wir material wahr; Urteile, die den formal-logischen Normen gehorchen, formal wahr. Da der Begriff der logischen Allgemeingültigkeit schlechthin, wie der erste Teil dieser Arbeit gezeigt hat, sich auf den der Norm oder des Sollens überhaupt stützt, so wird auch die materiale Wahrheit der Urteile auf der Anerkennung von Normen ruhen, die wir transzendental-logische nennen wollen. Da die Wirklichkeit absolut individuell ist, so werden die transzendental-logischen Normen streng genommen nur die materiale Wahrheit singulärer Urteile begründen können. Wir werden diese Normen als konstitutive bezeichnen. Indessen dürfen wir den Begriff der "Übereinstimmung mit der Wirklichkeit" dahin erweitern, daß unter ihn die Objektivität jeder Erkenntnisart des Wirklichen fällt, und so werden wir alle Normen transzendental-logische nennen können, deren Anerkennung zur Voraussetzung jener Objektivität gehört. Dabei ist jedoch zu beachten, daß die Anerkennung der konstitutiven Normen aller Erkenntnis überhaupt erst eine objektive Geltung (materiale Wahrheit im engeren Sinn) verschafft, während die Anerkennung der transzendental-logischen Normen in einem weiteren Sinn (der methodologischen Normen, wie RICKERT (22) sie nennt), nur bestimmte Wissenschaftsgattungen begründet. Nach dieser vorauseilenden Überlegung will ich nunmehr wieder an die Begriffswelt KANTs herantreten. Wir sehen, - ohne diese Absicht mit Belegen beweisen zu wollen - in der durch KANT geschaffenen Transzendental-Philosophie als den entscheidenden und wichtigsten Gedanken an: die Zurückführung der objektiven Erkenntnis auf die Formung eines bloßen Inhalts (der Empfindung, des Mannigfaltigen der Anschauung) durch Kategorien, wobei wir uns hinsichtlich der Definition der Kategorien nicht so sehr jenen Stellen anschließen wollen, wo sie als "die wahren Stammbegriffe des reinen Verstandes" oder "als reine Verstandesbegriffe", als "die Bedingungen des Denkens zu einer möglichen Erfahrung" auftreten, sondern vielmehr jenen, wo sie als Regeln des Denkens definiert werden:
Wir können hier nicht darauf ausgehen, dieses Problem allseitig zu erörtern, der Zweck unserer Betrachtung kann vielmehr nur darin bestehen, nachzuprüfen, in welcher Beziehung die ein oder andere Notwendigkeit zur materialen Wahrheit der Urteile steht, die zu begründen wir als die Aufgabe der transzendentalen Deduktion kennen gelernt haben. Dabei wird es sich zeigen, daß der Kategorienbegriff KANTs, insofern in ihm eine höchste Verallgemeinerung der naturbegrifflichen Allgemeinheit gedacht wird, seine Herkunft von einer Vermischung der beiden genannten Arten der Notwendigkeit ableitet und zu verwerfen ist. Um den Prozeß dieser Vermischung genau kennen zu lernen, müssen wir uns über das Wesen der Notwendigkeit des naturgesetzlichen Seins und Geschehens klar zu werden suchen und das Prinzip der Begründung dieser Notwendigkeit in kurzen Zügen darlegen. Die
Wird jene erschlossene Notwendigkeit des singulären kausalen Falls identifiziert mit der Gegenständlichkeit eines singulären Kausalurteils, d. h. mit seiner objektiven Allgemeingültigkeit oder materialen Wahrheit, so wird der allgemeine Obersatz zur transzendentalen und gleichzeitig zur syllogistischen "Bedingung des Denkens zu einer möglichen Erfahrung". Das logische Allgemeine in seiner abstrakten Abgeschiedenheit erhält das Vorzeichen der Apriorität oder einsichtigen Notwendigkeit, es lebt sich aus in den synthetischen Urteilen a priori, den Obersätzen alles Erkennens und gleichzeitig den allgemeinsten Naturgesetzen; die in der Kategorie gedachte Regel erschöpft sich in der Subsumtion des Einzelnen, Individuellen unter die transzendentale Allgemeinheit.
Die drei genannten Variationsmöglichkeiten des transzendentalen Syllogismus tragen folgenden Charakter: 1) Die Allgemeinheit der Erkenntnis wird als Naturnotwendigkeit aufgefaßt und als solche begründet; und zwar bieten sich hier wiederum zwei Wege, je nachdem die Analogie in der Notwendigkeit des natürlichen Seins oder in der des natürlichen Geschehens gesucht wird. So orientiert sich der eine Weg am naturwissenschaftlichen Gattungsbegriff. Er stempelt den "Verstand" zu einer "Organisation" oder einem "gemeinsamen Bewußtsein", das allen erkennenden Individuen gattungsmäßig zukommt. Der zweite Weg orientiert sich am naturwissenschaftlichen Gesetzesbegriff. Er faßt den "Verstand" unter der Kategorie des Geschehens, die Grundsätze als Gesetze des Erkennens, nach denen sich das Denken nicht richten - soll, sondern sich richten - muß. Dieser erste transzendental-syllogistische Typus subsumiert Wertbegriffe (Begriffe logischer Gültigkeiten) unter ein seiende Einzelheiten umspannendes Allgemeines. 2) Das naturbegriffliche Allgemeine verliert sein grob-naturalistisches Kleid und verfeinert sich zum Begriff einer Spezies oder spezifischen Idee der Erkenntnisakte. Dieser zweite Typus subsumiert seiende Einzelheiten (psychische Wirklichkeiten) unter Wertbegriffe. 3) Das syllogistische Schema allein bleibt übrig. Der Psychologismus ist überwunden, und erkenntnistheoretische Begriffe sind die Träger des Subsumtionsverfahrens. Das Allgemeine wird zur Kategorie als dem "erkenntnistheoretischen Gattungsbegriff" (31), dem "reinen Verstandesbegriff"; subsumiert wird ein (mehr oder weniger bestimmt definierter) Inhalt. (Die "Empfindung" KANTs). Dieser dritte Typus ist der tiefsinnigste und eben darum der gefährlichste; er kämpft in den kantischen Kritiken energisch mit der teleologisch gesinnten Deduktion, ja man darf sagen, er untergräbt und verdrängt diese vollkommen. Aber auch die beiden ersteren Typen mögen KANTs Denken hier und da beeinflußt haben. So konnte ein F. A. LANGE in seiner "Geschichte des Materialismus" das "Bewußtsein überhaupt" als Gattungsorganisation schildern, und nicht weit davon liegt WINDELBANDs Darstellung:
Doch vielleicht entstammt diese Unmöglichkeit einer idealgesetzlichen Notwendigkeit wie sie uns in Typus 2 entgegentritt? Verlassen wir somit den ersten, auf rein psychologistischer Basis aufgeführten Typus, er bedarf keiner weiteren Widerlegung, und wenden unsere Aufmerksamkeit zunächst dem zweiten zu. In ihm erkennen wir unschwer den Standpunkt HUSSERLs. Zum besseren Verständnis desselben führe ich zwei Stellen aus HUSSERLs "Untersuchungen" an, die in knappen, klaren Worten den Nerv dieser Deduktionsmethode bloßlegen.
Die oben zitierte KANT-Stelle sprach von einer Unmöglichkeit des Denkenkönnens: weder die Naturgesetzlichkeit, die der erste syllogistische Typus, noch die Idealgesetzlichkeit, die der zweite zum Thema hatte, konnten unsere Ansprüche auf eine einwandfreie Begründung dieser Denkunmöglichkeit befriedigen. So werden wir auf den dritten Typus hingewiesen, der, wie es scheint, eine eigengeartete transzendentale Notwendigkeit zu deduzieren vorgibt und als letzte Festung der Idee eines transzendentalen Syllogismus unseren Angriffen noch trotzt. Ich bestimmte oben meinen dritten Typus dadurch, daß ich die Subsumtion eines "Inhalts" unter ein Transzendental-Allgemeines als seinen wesentlichen Kern hingestellt habe. Durch die Subsumtion wird die "Empfindung" in die Sphäre der transzendentalen Allgemeinheit erhoben. Da KANT, wie ich gezeigt habe, davon ausgegangen ist, die Verwandlung des subjektiven, willkürlich im Individualbewußtsein sich folgenden Vorstellungsinhalts in die streng allgemeine und notwendige begriffliche Verbindung zu begründen, so konnte ihm die syllogistische Deduktion für diesen Zweck gerade die rechten Dienste tun. WINDELBAND (38) hat dieser Theorie einer beredten Ausdruck verliehen. Er spricht von einer "realen Bedeutung der logischen Dependenz [Abhängigkeit - wp] des Besonderen vom Allgemeinen". Ohne die "Bestimmtheit der Zeitfolge durch eine allgemeine Regel" könne "eine reale Zusammengehörigkeit des Veränderlichen nicht gedacht werden" (nicht nur nicht erkannt werden, wie SIGWART sagt). In dieser Bestimmtheit nämlich liege erst die Identität. Was versteht WINDELBAND aber unter "Identität?" "Gegenüber dem zeitlichen Wechsel der Vorstellungen, welcher die allgemeine Grundtatsache des Bewußtseins bildet", ist die Identität die notwendige Voraussetzung für "die reale Einheit und gegenständliche Zusammengehörigkeit des Mannigfaltigen". WINDELBAND basiert also seinen Identitätsbegriff auf die Ansicht, daß die transzendental-logische Gültigkeit aus der kategorialen Formung der psychischen Wirklichkeit stammt. Die oben nebeneinander hingesetzten Merkmale des psychischen Vorgangs und er in ihm gemeinten Bedeutung beherrschen auch hier den Begriff der erkenntnistheoretischen Gegenständlichkeit. Ich habe diesen so gedachten Begriff aber ablehnen müssen und schon bei der Kritik von ZSCHOKKEs Arbeit betont, daß die im Urteil zu verbindenden Inhalte nicht Vorstellungen, d. h. psychische Inhalte sein können, die im individuellen Bewußtsein einem zeitlichen Wechsel unterworfen sind; daher ist die dieser Veränderlichkeit und Subjektivität entgegengestellte Identität, die auch KANT in die transzendentale Deduktion einbezieht (39), als konstitutives Moment aufzugeben und den reflexiven Kategorien zuzurechnen. Kausale Gegenständlichkeit ist also auch ohne diese Identität und d. h. ohne die Bestimmtheit der Zeitfolge durch eine allgemeine Regel zu denken, ja sie muß sogar, wenn auch nicht ohne sie erkannt, so doch ohne sie gedacht werden können. Ich hatte die Gegenständlichkeit im engeren Sinne definiert als die materiale Wahrheit singularer Urteile. Wird durch die syllogistische Subsumtion diese materiale Wahrheit deduziert? Dies ist der springende Punkt der ganzen Untersuchung und zugleich die Achillesferse des Gegners. Die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit - dieses Kriterium materialer wahrer Urteile - muß, wie wir sahen, gesucht werden in der Anerkennung konstitutiver Normen, die syllogistisch erschlossene Notwendigkeit aber setzt logisch allgemeine Urteile voraus. Besitzen solche Urteile materiale Wahrheit, und wie ist diese transzendental zu begründen? Wieder durch Syllogismen? Dann kämen wir nie an ein Ende. Die allgemeinen Obersätze werden also als gültig vorausgesetzt, gemäß dem Dogma: was allgemein gilt, gilt auch für jedermann. Aber wir haben gesehen, daß Gelten überhaupt nichts anderes bedeuten kann als Gelten für jedermann oder als das Sollen der Anerkennung eines Sollens; wir haben erkannt, daß die Allgemeinheit keinen Vorzug hat hinsichtlich des Geltens, daß das Allgemeine nicht schon gilt, bloß weil es allgemein ist. Daß die Summe der Dreieckswiinkel 2 R beträgt, ist nicht deshalb wahr, weil wir es hier mit "allgemeinen" Gegenständen zu tun haben. Deshalb kann ich SIGWART zustimmen, wenn er sagt: Die von KANT
Es ließe sich geradezu ein transzendental- syllogistisches "Gesetz" formulieren: je kleiner der Inhalt, desto größer der Umfang nicht nur des Begriffs, sondern auch des Geltens. Die verheerende Wirksamkeit dieses Gesetzes werde ich ebenfalls im Folgenden noch reichlich zu beobachten Gelegenheit haben. Der Umfang des Transzendental-Allgemeinen ist absolut, kein individuelles Moment wird in ihm mehr gedacht, folglich ist der Umfang seiner Geltung ebenso allgemein. Wenn wir aber den Schluß von der Allgemeinheit auf die Allgemeingültigkeit als unberechtigt entschieden ablehnen müssen, so wird der Schwerpunkt verlegt auf die Begründung der materialen Wahrheit oder Gegenständlichkeit jener allgemeinsten Obersätze. Hätten wir zur Begründung von Urteilen keine andere Möglichkeit als die durch den Syllogismus gewährte, so blieben die synthetischen Grundsätze a priori die naive Voraussetzung für alles Erkennen, sowie die Naturwissenschaft die Geltung allgemeiner Urteile überhaupt in naiver Weise voraussetzt; dann hätte die Transzendental-Philosophie überhaupt nichts geleistet. Ich sehe aber gerade ihre Leistung darin, diese naive Voraussetzung als eine für das Erkennen ziel- und zweckvolle zu durchschauen. Wenn daher dem transzendentalen Syllogismus nicht die teleologische Deduktion seiner Obersätze als Ergänzung, die seinem Verfahren voranliegt, zu Hilfe kommt, verliert er jeglichen Sinn. Wird das zugestanden, so ist damit zugleich das andere Zugeständnis gemacht, daß wir neben der syllogistischen Möglichkeit einer Begründung eben noch die teleologische haben und in dieser die Seele der transzendentalen Deduktion erblicken müssen. Nach dem ich mich so dem usprünglich (vgl. oben) aufgestellten Schema wieder genähert habe, entsteht mir der Zweifel, ob die eben skizzierte Verschwisterung des teleologischen und syllogistischen Verfahrens in dieser Form unsere Zustimmung erhalten darf. Liegt denn, nachdem ich den transzendentalen Syllogismus allein für unzureichend erklärt habe, überhaupt noch ein Bedürfnis vor, die Voraussetzungen des Erkennes als allgemeine Urteile zu statuieren, die teleologische Notwendigkeit gleichzusetzen der syllogistischen Bedingung? Eben die Methode der teleologischen Begründung befreit uns gerade von diesem Zwang. Nur unter der Voraussetzung, daß die Allgemeingültigkeit singulärer Urteile sich nicht anders als syllogistisch begründen läßt, sind allgemeinste Obersätze teleologisch notwendig. Diese Voraussetzung trifft für Erfahrungsurteile im kantischen Sinn, d. h. für die zur Bildung empirischer Gesetze formulierten Urteile zu, deshalb sind in der Tat allgemeine Urteile überhaupt für die Naturwissenschaft teleologische notwendig (41), und die Anerkennung von (methodologischen) Normen des Allgemeinen ist daher die Bedingung der Gegenständlichkeit der naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Fällt obige Voraussetzung aber fort, - und die teleologische Begründungsmöglichkeit beseitigt sie gerade - so ist kein Anlaß mehr gegeben, allgemeinste Naturgesetze als teleologisch notwendige Voraussetzungen des Erkennens überhaupt zu postulieren, dann eröffnet sich vielmehr die Aussicht, singuläre Urteile selbst teleologisch zu deduzieren. Andererseits aber stellt sich heraus, daß allgemeinste Naturgesetze, gesetzt den Fall, ihre teleologische Begründung wäre mit der Umgehung meines Begriffs der konstitutiven Normen vollbracht, gar nicht imstande sind, singuläre Urteile im wörtlichen Sinn, also nicht: zur Bildung empirischer Gesetze formulierte, sondern unmittelbar die individuelle Wirklichkeit meinende Urteile syllogistisch als notwendig gültig zu erweisen. Denn die syllogistische Begründung erstreckt sich immer nur auf das Allgemeine im Besonderen. Die Kategorie, als naturbegrifflich Allgemeines gedacht, gelangte so gewissermaßen nur zur Herrschaft über ihre eigene Sphäre, aber sie erreichte nie die absolut individuelle Wirklichkeit und vermag folglich die materiale Wahrheit der Erkenntnis nicht zu erweisen. In den diese Wirklichkeit meinenden Urteilen und ihrer Geltung stoßen wir folglich auf die letzten Voraussetzung des Erkennens. Der Aufgabe, die sich uns so ergibt, diese letzten Voraussetzungen zu begründen, will ich nunmehr näher treten. Aller Rationalismus lehrt, daß die Sinne irren und nur im Verstand die Quelle der Wahrheit strömt. Erst wenn sich die inadäquaten, verworrenen Idenn in klare und deutliche Vorstellungen, d. h. in mathematisch-physikalische Begriffe umgewandelt haben, entsteht wahrhaft Erkenntnis; daher ist es das Wesen der Wissenschaft, vom Schein zum Sein vorzudringen und vom Zufälligen das Ewige zu scheiden. Daß in KANTs Philosophie diese große Tradition mächtig hineinragt, kann niemand leugnen. Daß er diese Tradition aber abzuschütteln und ihr gegenüber die berechtigten Ansprüche der Empiristen zu wahren suchte, wird allzu leicht übersehen und von denen mißachtet, die den im Vorigen entwickelten Gedanken eine beherrschende Bedeutung für die Transzendental-Philosophie überhaupt zusprechen. Die historische Bedingtheit und Abhängigkeit der Kritik der reinen Vernunft, nicht ihre Größe, zeigt sich in jener eben geschilderten Auffassung der Kategorie, die das Wesen derselben darin erblickt, daß durch sie das Bewußtsein der Gattung zur Sprache kommt, in dem Doppelsinn nämlich, daß mittels der Kategorie das gattungsmäßige, d. h. normale Denken das individuell gefärbte Urteil eines Einzelnen über einen einzelnen Vorgang zum Urteil über einen gattungsmäßigen Vorgang macht. "Den glänzendsten und vielleicht den sichersten Nachweis" der Kr. d. r. V. müssen wir vielmehr darin erblicken, "daß jede sogenannte Konstatierung von Tatsachen nur durch eine Anzahl von allgemeinen Voraussetzungen zu begründen ist." (42) Daß diese Voraussetzungen nicht Naturgesetze sein können, habe ich bewiesen. Ich muß daher nach einer neuen Allgemeinheit für sie suchen. Dabei kann es sich nicht um Fragen handeln, wie die, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Wahrnehmungsurteile einen wissenschaftlichen Wert besitzen, durch welche Methoden ihre Rektifizierung [Berichtigung - wp] im Sinne eines wissenschaftlichen Zwecks zu ermöglichen ist, sondern nur darum, was die Wahrheit der Wahrnehmungsurteile bedeutet, und worin sie ihre Begründung findet. Das Problem, das die Aufgabe stellt, ist vielen Mißdeutungen ausgesetzt, die seiner Lösung im Weg stehen. Gänzlich unzureichend für unseren Zweck ist natürlich jede Theorie, die sich in Erwägungen über psycho-physische Wechselwirkungen ergeht und von diesen die Wahrheit der Wahrnehmungsurteile abhängig macht. So, wenn SIGWART schreibt:
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1) siehe Windelband, Geschichte der Philosophie, dritte Auflage, Seite 534. 2) In der Kr. d. r. V. tritt der korrespondierende Begriff in der Beurteilung des Schönen als "subjektive Allgemeinheit" auf. Siehe im folgenden § 5. 3) "Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit sind also sichere Kennzeichen einer Erkenntnis a priori und gehören auch unzertrennlich zueinander." B. Seite 4 (B = Originalausgabe der Kr. d. r. V., zweite Auflage) 4) B. Seite 5. 5) B. Seite 38. 6) B. Seite 42. 7) B. Seite 44. 8) So auch B. Seite 129, wo Kant von der Schwierigkeit spricht, wie "subjektive Bedingungen des Denkens sollten objektive Gültigkeit haben". Die Funktionen des Verstandes gehören somit ebenfalls der "guten Subjektivität" an. 9) Kant, Kritik der Urteilskraft (Ausgabe Rosenkranz) Seite 46 10) Walter Zschokke, Lehre vom Schematismus, Kant-Studien, Bd. 12, Berlin 1907, Seite 184f. 11) Windelband, Geschichte der neueren Philosophie, Bd. 2, Seite 149. 12) Zschokke, a. a. O., Seite 206. 13) Viele Stellen, besonders in den Prolegomena, sprechen dafür, die Unterscheidung in Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile dagegen, denn auch in den Wahrnehmungsurteilen steckt das Moment der Bejahung (sie sind "subjektiv gültig") in den Erfahrungsurteilen aber noch obendrei der "reine Verstandesbegriff". 14) a. a. O. Seite 187 15) Dieser Gesichtspunkt beherrscht besonders die Gedankenführung der "Prolegomena"; hier wird auch mit Nachdruck gegen Hume polemisiert und an seinem Verfahren das neue exemplifiziert (§ 28, 29, 30). 16) Die Wichtigkeit dieser Bevorzugung des Allgemeinen wird uns bei der Behandlung der ästhetischen Allgemeingültigkeit zu deutlichem Bewußtsein kommen. (vgl. Abschnitt II dieses Teils) 17) B. Seite 324, 341. 18) Prolegomena, Seite 53 (Ausgabe Rosenkranz) 19) Prolegomena, Seite 60. 20) Logik, Seite 296 (Ausgabe Rosenkranz). 21) vgl. Rickert, Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Seite 712f. 22) vgl. Rickert, Gegenstand der Erkenntnis, V. Kapitel. 23) B. Seite 145 24) Sigwart, Logik I, dritte Auflage, Seite 235. 25) Sigwart, a. a. O., Seite 261. 26) vgl. Rickert, Geschichtsphilosophie, in "Philosophie im Beginn des 20. Jahrhundert", Festschrift für Kuno Fischer, zweite Auflage, Seite 348. 27) B. Seite 124 28) vgl. Rickert, Gegenstand der Erkenntnis, Seite 217. 29) Schuppe, Erkenntnistheoretische Logik, Seite 201. 30) Lask, Fichtes Idealismus und die Geschichte, Seite 32. 31) siehe Lask, a. a. O., Seite 32. 32) Windelband, Geschichte der Philosophie, Seite 446 33) Kant, Prolegomena, Seite 66 34) Kant, Kritik der Urteilskraft, Seite 21 35) So z. B. Kant vom "Zusammentreffen der Wahrnehmungen mit den Gesetzen nach allgemeinen Naturbegriffen (Kategorien)" sagt: daß "der Verstand damit unabsichtlich seiner Natur nach notwendig verfährt." (Kr. d. U. Seite 27) oder B. Seite 350: "Keine Kraft der Natur kann aber von selbst von ihren eigenen Gesetzen abweichen. Daher würden weder der Verstand für sich allein, noch die Sinne für sich irren; der erstere darum nicht, weil, wenn er bloß nach seinen Gesetzen handelt, die Wirkung (das Urteil) mit diesen Gesetzen notwendig übereinstimmen muß ..." 36) Husserl, Logische Untersuchungen, Bd. II, Seite 670 37) Husserl, a. a. O., Seite 672 38) Windelband, Vom System der Kategorien, 1900. 39) siehe B. Seite 132f. 40) Sigwart, Logik I, dritte Auflage, Seite 425f. 41) vgl. Rickert, Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Seite 679f. 42) Windelband, Immanuel Kant, Zur Säkularfeier seiner Philosophie (ein Vortrag), Präludien, dritte Auflage, Seite 146 43) Sigwart, Logik I, dritte Auflage, Seite 411. 44) Julius Bergmann, Grundprobleme der Logik, 1882, Seite 86. 45) Kant, Kr. d. r. V., Ausgabe A, Seite 123. 46) Hegel, Enzyklopädie, § 39 47) Rickert, Gegenstand der Erkenntnis, Seite 180. 48) Rickert, a. a. O., Seite 242. |