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JULIUS von KIRCHMANN
Über die Gegenständlichkeit
der in den Sinneswahrnehmungen
enthaltenen Eigenschaften der Dinge

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"Wenn dieser oder jener sich heute Philosoph nennt, und von einer blöden Menge oder Majorität als solcher bestätigt wird, so kann doch daraus kein gültiges Zeugnis für oder gegen die Philosophie hergeleitet werden. Es geht eben der Philosophie darin nicht anders als der Poesie und Musik. Was gilt heute nicht als Dichter und Musiker von Bedeutung?"

"Was ist Farbe, die nicht gesehen, Ton, der nicht gehört, Wein, der nicht geschmeckt wird, überhaupt Reichtum, der keine Verwendung findet? Würde dies alles nicht sein, als ob es nicht wäre? Sinnloses, weil zweckloses Dasein. Gleichgültig würde sich das Objekt alle ihm eben zugewendeten Schätze und auch noch die ihm bisher von der Naturwissenschaft gelassenen amputieren lassen, ja noch mehr, es würde sie sich selber amputieren."

"Man hat nicht nötig, das Seiende umzubilden, die angeblich objektiv vorhandenen Bewegungszustände in Empfindungen umzuwandeln, wenn es so eine objektiv und ohne unser Zutun vorhandene Welt überhaupt nicht gibt."

"Das Licht oder die Wärme ist ebensowenig eine Bewegung, wie es ein Ding ist. Es ist anfänglich bloß eine Empfindung, und aus dieser Empfindung wird die Wahrnehmung eines Objektiven durch einen allerdings von unserem bewußten Denken und unserem Willen unabhängigen Akt unseres Geistes. Das nun ist eben die Aufgabe wissenschaftlicher Reflexion, den Schritt, den wir in der Wahrnehmung gedankenlos vollbracht haben, wieder zurück zu tun und unser Recht, ein Objektives unmittelbar zu setzen, kritisch zu untersuchen."


DISKUSSION

An diesen Vortrag schloß sich in einer späteren Sitzung die nachstehende Diskussion:

Herr Professor MICHELET sagte:

Der geehrte Redner erblickt zunächst seinen Gegensatz zur neueren Naturwissenschaft darin, daß diese nur die räumliche Größe und Gestalt, die Bewegung, die Schwere, - kurz, die rein mechanischen Eigenschaften der Dinge für objektiv halten, er aber auch Licht, Farbe, Wärme, Schall, Geschmack und Geruch noch dazu rechnen will. Das Verfahren der Naturforscher ist jedoch ganz konsequent. Denn da sie der Natur nur rein mechanische Vorgänge zusprechen und aus ihnen alles zu erklären unternehmen: so setzen sie alle höheren dynamischen und organischen Tätigkeiten der Natur zu bloß äußerllichen, mechanischen herab, und bürden lediglich dem Subjekt das Höhere auf, ohne sie freilich darum erklärbarer zu machen. Weshalb auch die stolze Naturwissenschaft, die, als französischer Materialismus, noch alles erklären zu können sich vermaß, in unseren Zeiten zur Bescheidenheit des kantischen Kritizismus, wonach eine solche Erkenntnis die Schranen des menschlichen Verstandes überschreitet, sich herunterstimmte.

Auffallenderweise nimmt nun der Redner alle Prämissen der heutigen Naturwissenschaft an, unterwirft sich auch dem trostlosen Resultat der kantischen Philosophie über die Grenzen unseres Erkenntnisvermögens; und dennoch will er zu einem ganz entgegengesetzten Wissen, als die Naturforscher, gelangen. Der Redner verwahrt sich ausdrücklich dagegen, daß sein Vortrag ein Angriff auf die Grundlagen der Naturwissenschaft sein soll. Ihre obersten Begriffe, wie die Atome, die Undurchdringlichkeit der Materie, die transversalen Ätherwellen, deren Billionen in  einer  Sekunde usw., gelten ihm als unumstößliche Hypothesen, weil sie sich zur gesetzlichen Erklärung der in die Wahrnehmung fallenden Tatsachen für ausreichend erwiesen hätten. Worauf doch nur zu erwidern wääre, daß sie sich, nach des Redners eigenen Behauptungen, nicht als ausreichend erweisen, um Licht, Farbe, Wärme usw. als objektive Tatsachen zu erklären.

Indem Letzteres nun das Bestreben des ganzen Vortrags ist, so stellt unser Redner eine neue Hypothese auf, die er zwar für einen Versuch der Lösung ausgibt, der sich noch einer strengen Prüfung zu unterziehen hat: den er aber zugleich für eine bloße Ergänzung der Grundlagen der Naturwissenschaft angesehen wissen will, obgleich derselbe in der Tat dieselben vollständig umstürzt, - vollständig in das Lager des Idealismus, des wahren Idealismus, der auch wahrer Realismus ist, übergeht. Freilich geht dem Redner das Bewußtsein hierüber durchaus ab, indem er sich gegen diese aus seiner neu gewonnenen Ansicht mit Notwendigkeit fließende Folgerung hartnäckig sträubt.

Diese Ansicht ist nun aber die: Wie ein Stoß der Ätherwellen auf die Nerven eine Farbe und alle die übrigen Qualitäten in der Seele hervorbringen kann, sagt der Redner sehr richtig, bleibt vollkommen unerklärlich, wenn wir nicht in den Dingen "geistige Sphären" annehmen, wie Raum, Anziehung, Licht, Farben und alles weitere, die "durchdringlich" seien, und aus den äußeren Gegenständen in die Nerven, ins Gehirn, und so zur Seele gelangen. Es ist in diesem Satz des Redners der unabweisbare Gedanke enthalten, den das kindliche Gemüt des unbefangenen Menschen ebenso, wie die Vernunft des Philosophen festhält: daß den subjektiven Empfindungen in uns der objektive Inhalt des Dinges entspricht, und nur der Verstand der Verständigen solche Trennungen macht. ARISTOTELES drückt dies in seiner prägnanten Sprechweise so aus: Das Empfindbare ist der Möglichkeit nach das Empfindende; und erst in der Wirklichkeit der Empfindung sind beide eins, - der Schall und das Hören dasselbe. Verleiht doch auch FECHNER seinen Atomen eine gewisse Geistigkeit, wie LEIBNIZ in allen Monade dunkle Vorstellungen annahm. Über diese Identität des Subjektiven und Objektiven spricht sich aber auch unser Redner mit genügender Klarheit aus:
    "Die Elemente des Gegenstandes und die des Speichels und der Nasenfeuchtigkeit verbinden sich zu  einer Sphäre, in welcher sich Geschmack und Geruch als ein  wirklicher geistiger Zustand dieser Sphären entwickelt und mit der  bis in diese Nervenenden reichenden Sphäre der Seele in Berührung kommt."
Diese Identität verfolgt er so weit, daß, wie er einerseits diese geistigen Sphären mitten in die Materie setzt, er auch andererseits behauptet, daß die Seelensphäre, gleich allem Geistigen, räumlich und ausgedehnt ist.

So wären, ruft der Redner mit Befriedigung aus, die Lücken ausgefüllt, welche die Naturwissenschaft für den Übergang des Körperlichen in das Geistige gelassen hat. "Die Sinne sind dann keine Betrüger, und die Natur nicht mehr das dürre Gespenst, in welches die bloßen Bewegungen der Atome sie verwandelt haben." Wir bezweifeln sehr, daß diese Ergänzung des naturforschenden Wissens von dessen Koryphäen mit der Dankbarkeit wird aufgenommen werden, welche der Redner allerdings für die schonende Art und Weise verdient hätte, in der er jene Lückenhaftigkeit behandelt hat.

Aber auch dem Gebiet des Organischen läßt der Redner diese Übertragung des geistigen Reichtums auf die Natur zugute kommen:
    "Für die kunstvolle Gestaltung des Organischen reichen die bloß geradeaus wirkenden Kräfte des Mechanismus in keiner Weise aus; wir müssen geistige Kräfte zu Hilfe nehmen."
Und hier erinnert der Redner an "ähnliche Gedanken der bedeutendsten Männer aller Zeiten": an die platonischen Ideen, als ewige Urtypen, und an die ewigen Formen des ARISTOTELES, die demselben als das allein wahrhaft Wirkliche gelten. Scheint der Redner hiermit die von ihm früher in diesem Kreis bekämpfte Zweckleher LASSONs, wie vorhin meinen Ideal-Realismus, angenommen zu haben, so mochte er doch auch dieses nicht einräumen.

Wenn der Redner jedoch der Zuversicht lebt, daß der Kernpunkt seiner "Lehre von den geistigen Sphären", der gemäß alles Geistige auch räumlich ausgedehnt ist, ohne dadurch seine bei der Seele mit dem Ich bezeichnete Einheit zu verlieren, im Vergleich zu anderen Systemen, wie z. B. dem von MALEBRANCHE, LEIBNIZ, FICHTE und HEGEL, den Vorzug hat, daß sie die Lehren der heutigen Naturwissenschaft, soweit sie das Körperliche betreffen, vollständig in sich aufnehmen kann, und dabei doch imstande bleibt, die Bedenken, welche derselben anhaften, zu beseitigen und deren Lücken zu ergänzen: so muß vielmehr gesagt werden, daß sie diese Lücken zu einem solchen Loch erweitert, welches sämtliche Hypothesen der Naturforscher in seinen Abgrund verschlingt. Die Hoffnung des Redners, daß, nachdem er sich so weit in die idealistische, in die Geistesphilosophie eingelassen hat, er auch noch dem Materialismus und Mechanismus unserer heutigen Empiriker treu bleiben darf, ist mithin eine große Täuschung. Es ist keine geringere Täuschung, zu glauben, mit seiner Lehre beim Dualismus verharren und den Monismus abwehren zu können.

Diese Täuschungen will ich jetzt nachzuweisen suchen: nachzuweisen, wie dieser Schritt des Herrn von KIRCHMANN, im Bestreben unserer Gesellschaft, die Gegensätze innerhalb der Philosophie auszugleichen, eine so bedeutende Annäherung an den deutschen Idealismus ist, wie sie vielleicht bisher von der gegnerischen Seite noch nicht dagewesen ist. Die geistigen Sphären, die der Redner in der Außenwelt voraussetzt, Raum, Attraktion, Licht, Farbe, Wärme, Ton, Geruch und Geschmack, sind doch wahrlich nichts anderes, als die allgemeinen, der Materie immanenten Qualitäten während unsere Naturforscher alle Erscheinungen der Natur lediglich auf mechanische Quantitäten und Bewegungen zurückführen. Die dynamischen Qualitäten sind aber wiederum nichts anderes, als die früher vom Redner bekämpften Ideen, Urtypen, Formen und Zwecke, welche, als das Geistige, vollkommen das Materielle beherrschen. Sie bilden eben die Einheit im Materiellen, unbeschadet, der Vielheit der materiellen Ausdehnung; und darum nennt der Redner den Raum auch einmal "stetig". Wie kann nun mit dieser Auffassung die Atomlehre und die Vorstellung des leeren Raumes, das Eintreten des Äthers in diese atomleeren Lücken, die Länge und Kürze der Billionen Ätherwellen, und der ganze übrige Apparat der Naturforscher bestehen? wie die Undurchdringlichkeit der Materie bei der Durchdringlichkeit der geistigen Sphären? Denn auch diesen seinen geistigen Sphären kann der Redner unmöglich die Körperlichkeit und Ausdehnung absprechen, da ihm ja alles Geistige auch räumlich ist. Alle solchen geistigen Qualitten, immanenten Formen, oder wie man sie auch nennen mag, durchdringen nun einander und die Materie. In dieser absoluten Kontinuität aller geistigen Formen haben also die absolut diskreten Atome keinen Platz mehr, - und keine  raison d'être [Daseinsberechtigung - wp]. In jedem materiellen Punkt eines jeden Dings durchdringen sich alle seine Qualitäten zur ungetrübtesten Einheit, als dem konkreten Zusammenfassen des Vielen. Die Materie ist nur die übrig bleibende Abstraktion der leeren Einheit, wenn wir in der Vorstellung alle diese Formen aus derselben herausbrechen; was wir aber in der Wirklichkeit zu tun nicht imstande sind.

Verbinden sich nun die geistigen Sphären der Farben, Wärme, Töne, Gerüche usw. in den Nerven mit der geistigen Sphäre  kat exochen [schlechthin - wp], die wir die  Seele  nennen, damit sie so, bis zum Gehirn dringend, Empfindungen hervorbringen, so reduziert sich das Objektive dieses Vorgangs doch nicht bloß auf verschieden modifizierte Ätherwellen. Sondern wollen wir von Schwingungen und Oszillationen sprechen, die unsere Netzhaut berühren, so sind dieselben doch nur die Träger und Leiter jener geistigen Qualitäten selbst, welche, als räumlich und ausgedehnt, allerdings des materiellen Moments nicht entbehren können. Aber den Dualismus, daß diese geistigen Sphären und die mechanischen Bewegungen der Atome ihr Wesen unabhängig voneinander treiben könnten, ohne einander zu stören, hat der Redner eigentlich schon selber beseitigt, indem er ja all dies sich durchdringen läßt. Wenn er sich aber nichtsdestoweniger an den Dualismus anklammert, und den Monismus mit Bestimmtheit von sich stößt, so habe ich die Art und Weise dieser Bemühungen noch mit wenigen Worten zu charakterisieren.

Den Dualismus will Herr von KIRCHMANN nämlich dadurch retten, daß er versichert, Körperliches und Geistiges bleiben ihm unterschieden. Wer hat nun aber je diesen Unterschied geleugnet? Auch der monistische Philosoph, ruft daher der Redner selber aus, beginnt mit dem Unterschied. Ganz gewiß! Denn die Einheit, wenn sie keine abstrakte, sondern eine konkrete sein soll, hat die Unterschiede zur ihrer Voraussetzung, um sie identifizieren zu können. Diese Einheit ist dem Redner bei den früheren Philosophen dann aber "eine bloße Beziehungsform des Denkens". So werden alle Monisten, z. B. PLATO, ARISTOTELES, SPINOZA, LEIBNIZ, SCHELLING, HEGEL, damit abgeführt, daß sie nur einen anderen Namen hereinbringen, einen anderen Begriff aufstellen, in welchem aber die Rätsel und Verwicklungen genau dieselben bleiben. Es verhält sich damit, meint der Redner, wie mit dem Baukasten der Knaben, welche mit demselben Material die verschiedensten Bauwerke aufführen.

Vermag das aber erstens nicht auch der Maurermeister? Und zweitens sind die geistigen Sphären nur ein anderer Name für  Idee, Form, Zweck, Substanz, All-Eins  usw.: sind also um nichts schlechter, als diese Kategorien, aber auch um nichts besser. Warum sollen die geistigen Sphären allein das Privileg haben, keine bloße Beziehungsform des Denkens, sondern Realität zu sein? Etwa weil ein sich selbst so nennender Realist sie uns vorführt? In der Tat aber ist in allen diesen Namen nicht nur derselbe Begriff enthalten, der sich durch alle wahren Philosophien hindurchzieht, und welchem Herr von KIRCHMANN niemals näher gerückt ist, als in dem neulich gehörten Vortrag: sondern dieser wahre Begriff ist eben darum auch die Sache selbst, - das allein Reale. Ich sollte doch denken, daß alle solche Kategorien kein Kinderspielzeug, sondern die Grund- und Ecksteine sind, um endlich das Manneswerk des Baus der wahrhaften Philosophie zur dauerhaften Ausführung zu bringen. Daß dann zwei Professoren der HEGELschen Schule bei der Durchführung dieses Werkes im Einzelnen einige Bausteine anders stellten, - von solchen unwichtigen Abweichungen, die schon öfters vom Redner gegen die Objektivität der Methode geltend gemacht worden sind, ist doch nicht so viel Aufhebens zu machen. Sie können diese Objektivität nicht im Mindesten erschüttern, da sie ja von der Subjektivität des die Methode Anwendenden herrühren können und das System der Wahrheit also durchaus nicht zu gefährden in der Lage sind.

Wenn schließlich dem Monismus vorgeworfen wird, daß er die höchsten Begriffe, mit denen der Dualismus abschließt, für identisch erklärt, wie SPINOZA Denken und Ausdehnung, ohne diese Identität zu beweisen: so haben wir doch auch vom Redner vernommen, daß die Seele räumlich, das Geistige ausgedehnt ist; er hat uns also reinen Spinozismus vorgetragen. Von einem Beweis der Identität dieser höchsten Gegensätze ist uns aber ebensowenig durch den Redner, als bei SPINOZA, auch nur der Schatten dargeboten worden. In Wahrheit behauptet jedoch der echte Monismus auch gar nicht die bloße Identität der Gegensätze, sondern ihre Einheit im bestehenden Unterschied. Der Unterschied ist notwendig, damit die Einheit keine tote, sondern eine lebendige, sich ewig selbst erzeugende, - kurz, ein steter Prozeß ist. Und so erkläre ich mich dann auch in diesem Punkt mit dem Redner einverstanden. Ja, ich bin Dualist, aber ohne darum aufzuhören, Monist zu sein. Die Wahrheit ist der Dualismus der Gegensätze in der höchsten Einheit, und der Monismus als Identität in der Entfaltung der Unterschiede. Findet Herr von KIRCHMANN diese dialektische Zumutung, die ich hiermit an ihn stelle, zu stark: so möchste ich ihn doch daran erinnern, daß er selber diese Zumutung an die Gesellschaft gestellt hat durch seine Lehre von den geistigen Sphären, nach welcher das Geistige materiell ist, Materie und Geist aber dennoch Gegensätze bleiben. Und so ist es!

Soll ich noch einen einzelnen Punkt hervorheben, so scheint der Redner die auch von der Philosophie und von GOETHE behauptete Subjektivität einiger Farben, wie die sogenannten physiologischen, die geforderten, die durchscheinenden, die prismatischen, die von GOETHE [helm1] beschriebenen entoptischen, epoptischen und paroptischen, ebenfalls verwerfen wollen. Wenigstens erklärt er die schon von ARISTOTELES ganz richtig erklärte Röte der Sonne, wenn ihr weißes Licht, beim Aufgang oder Untergang, durch die dichten und dunklen Nebelschichten des Horizonts hindurchscheint, - kurzweg für die rote Farbe der Dünste selbst, ohne uns darüber zu belehren, wie diese finstere Dunstmasse plötzlich zu einer so hellen geistigen Sphäre gekommen ist. In diesem Punkt möchte er sich wohl auch mit der von ihm so zart behandelten Auffassung der empirischen Naturforscher im Widerspruch befinden.

Hierauf erhielt Herr Stadtgerichtsrat EBERTY das Wort und sagte:

Die Gegenständlichkeit der Wahrnehmungen gehört zu den schwersten Problemen der Philosophie, zu ihren erhabensten Aufgaben.

Es fragt sich: welches ist der Zusammenhang des von der Blume ausströmenden Duftes und des Wohlgeruchs, den wir dadurch empfinden? Wie erregen die Schallwellen einen Wohlklang in unserem Ohr? Wie berühren die Lichtwellen die Netzhaut in unserem Auge so, daß wir Farben wahrnehmen?

Ich befinde mich nicht in der günstigen Lage, wie der Vorredner; der Vortrag, an den sich die Bemerkungen anknüpfen, ist nicht in meinen Händen, so muß ich mich auf Weniges beschränken.

Es berührt jenes Problem den Zusammenhang der inneren mit der äußeren Welt und den Gegensatz beider zueinander.

Den Gegensatz zwischen dem Körperlichen und Geistigen findet der Vortragende im Wesen des Räumlichen, welches er in die Undurchdringlichkeit setzt; das Kennzeichen des Geistigen hingegen ist ihm die Durchdringlichkeit.

Wem fällt hierbei nicht die Erscheinung des Geistes im "Hamlet" ein?  Horatio  und  Hamlet  rufen einander zu: "Hier ist es, hier" und durchbohren mit ihren Schwertern statt des dahin schwebenden Geistes die leere Luft. Aber nur der Unterschied zwischen dem Phantasiegebilde: der Erscheinung des Gespenstes und der Wirklichkeit,  dem,  was Fleisch und Bein ist, wird dadurch illustriert, nicht das Wesen des Geistes.

Dieses beruth im Bewußtsein.

Wie diese Blüte des Geistes aus der Körperlichkeit ersprießt, hat noch kein Sterblicher nachgewiesen, dieses Rätsel hat noch niemand gelöst.

Ich bin kein Philosoph, ich erkläre mich für unfähig, das hierin beruhende Wesen der Dinge zu erkennen.

Aber auch die Philosophen hier an diesem Tisch, wie die Philosophen aller Zeiten haben sich vergeblich an der Lösung dieses Rätsels abgemüht.

Klopfet nur an die Pforten des Tempels; es wird Euch nicht geöffnet.

Hierauf nahm Herr Dr. HOFFMANN das Wort:

Von vornherein muß ich mich gegen die Art und Weise, wie Herr von KIRCHMANN sein Problem behandelt, als eine durchaus unphilosophische erklären; ich wüßte wenigstens niicht, was im anderen Fall philosophisches Denken von naturwissenschaftlichem unterscheiden sollte, um nicht zu sagen, was Ersteres vor Letzterem noch voraus hätte. Wenn Herr von KIRCHMANN sagt, daß bei der überzeugenden Gewalt, welche den, das Objektive betreffenden Lehren der Naturwissenschaft innewohnt, es nicht zu verwundern ist, daß die Philosophie nach der Zeit HEGELs sich wieder mehr und mehr der Naturwissenschaft genähert habe, so ist erstens auf derartige Zeitströmungen kein entscheidender Wert zu legen, vielmehr ein höherer Richter, um den Grund einer solchen Tatsache festzustellen, herbeizurufen. Dann ist aber darauf ferner zu erwidern, daß dies der Philosophie gar nicht eingefallen ist. Wenn dieser oder jener sich heute Philosoph nennt, und von einer blöden Menge oder Majorität als solcher bestätigt wird, so kann doch daraus kein gültiges Zeugnis für oder gegen die Philosophie hergeleitet werden. Es geht eben der Philosophie darin nicht anders als der Poesie und Musik. Was gilt heute nicht als Dichter und Musiker von Bedeutung? Jedoch - es werden die Toten die Toten begraben, sie werden, wenn der Tag des Edlen, von dem GOETHE spricht, endlich gekommen ist, und der Widerstand der stumpfen Welt besiegt sein wird, kein Fest der Auferstehung feiern.

Die Naturwissenschaft setzt an ihre Spitze mit mehr oder weniger Grund gewisse Prinzipien, von denen aus sie denkend operiert und sie experimentierend auf die Probe stellt. Als ihr wesentlichsten führe ich an: Materie in Form räumlicher Atome, Kraft und Kausalnexus. Mit dem Atom hat sie das Bewegte, mit der Kraft das Bewegende, (wenn auch die Ausdrucksweise zuweilen widersprechend erscheint, wie z. B. in der Fassung des Gravitationsgesetzes, daß Massen einander anziehen) der Kausalnexus dient dann als Stempel eines vernünftigen Denkens. Was nun auch immer die Naturwissenschaft auf einer solchen Basis zuwege bringen mag, und wenn sie aus diesen Elementen durch ein experimentelles Verfahren die eigentümliche Lage der sich anziehenden und eventuell sich abstoßenden Atome in organischen und unorganischen Körpern bestimmen, ja Unorganisches in Organisches umwandeln könnte, so würde doch als letztes Resultat, als geistige Höhe eines solchen Erkennens nichts anderes dabei herauskommen, als daß es Bewegendes, Bewegtes und einen Kausalnexus gibt. Auf ein tieferes, ja auf ein tiefstes, weil freies Erkennen geht die Philosophie hinaus, und dies ist es, wodurch sie Wissenschaft in einem eminenten Sinn ist. Sie macht nicht Halt vor dieser oder jener Hypothese, vielmehr prüft sie eine jede auf dem Probierstein des Denkens, denn sie will ja freies Erkennen sein, wie sollte sie sich also nach irgendeiner Richtung von einer Hypothese einkerkern oder feige von ihr den Rücken decken lassen. Nur vor der Hypothese  kat exochen [schlechthin - wp], vor der Welthypothese, wenn es eine solche geben sollte, würde das Denken Respekt haben. Ganz anders Herr von KIRCHMANN. Er erkennt die Prinzipien der heutigen Naturwissenschaft pure an, und zwar aus dem gewiß nicht philosophischen Grund: weil sie von den bedeutendsten und scharfsinnigsten Geistern der letzten drei Jahrhunderte aufgrund der sorgfältigsten Untersuchungen immer von Neuem geprüft worden und mittels derselben die meisten und selbst die rätselhaftesten Erscheinungen auf Gesetze zurückgeführt sind, die mit jenen Prinzipien in genauester Übereinstimmung stehen. Herr von KIRCHMANN beruhigt sich also bei der Prüfung jener Prinzipien durch die aus ihnen abgeleiteten Erscheinungen und fragt nicht, ob sie in sich selbst vernünftig gegründet sind. Ein solches Verfahren glaube ich nicht mit Unrecht als ein unphilosophisches hinstellen zu dürfen.

Für die Lösung des Problems ist im Grunde genommen nichts getan, da die Gegenständlichkeit der in den Sinneswahrnehmungen enthaltenen Qualitäten nur behauptet ist, und zwar lediglich aus Besorgnis, daß die Prinzipien in der Art, wie sie angenommen sind, geschädigt werden könnten. Herr von KIRCHMANN argumentiert im Großen und Ganzen ungefähr so: es gibt einige Schiwerigkeiten, die sich schwer durch die heutigen naturwissenschaftlichen Annahmen beseitigen lassen; ich fühle mich daher, um den naturwissenschaftlichen Bestand nicht zu stören, veranlaßt, den bisherigen Prinzipien oder Hypothesen nonch die der durchdringlichen Sphären hinzuzufügen. Weil durchdringlich, so sind sie unkörperlich, und weil unkörperlich, so können sie geistig genannt werden, zumal wir keinen anderen Gegensatz von Körper kennen, als Geist. Diese geistigen Sphären sind Objekte, und indem ich ihnen die Qualitäten einverleibe, so sind diese Qualitäten gegenständlich. Sie auf die objektven Geistessphären zu übertragen, habe ich als guten Grund, daß dadurch gewisse bestehende Schwierigkeiten sich leicht lösen lassen. Man sieht, daß Herr von KIRCHMANN eher bereit ist, über ein Bedenken, und er selbst trägt ja ein interessantes und nicht so von der Hand zu weisendes mit tausend im Kreis sitzenden Menschen vor, mit einer Hypothese abzuhelfen, als daß er gegen die bestehenden Hypothesen mißtrauischc werden sollte. Indem ich nunmehr der Sache näher trete, kann es weder in meinem Willen noch in Ihrer Erwartung liegen, daß ich in meiner Entgegnung erschöpfend sein werde, ich glaube, mich auf das beschränken zu dürfen, was meine Stellung Herrn von KIRCHMANN gegenüber in ein klares Licht zu setzen imstande it. So werde ich von den durchdringlichen Geistessphären des Herrn von KIRCHMANN nur die Raumsphäre in Betracht ziehen, und zwar hauptsächlich deswegen, weil bei ihr die Undurchdringlichkeit des Körpers oder der Raumatome zur Sprache kommt. Ich muß hier zuvörderst auf etwas in der Rede des Herrn von KIRCHMANN aufmerksam machen, worin mir ein Widerspruch zu liegen scheint. Herr von KIRCHMANN behauptet nämlich vom Raum, daß er keine wahrnehmbaren Grenzen hat, ja daß wir nicht einmal imstande sind, uns eine solche Grenze zu erdenken; dessenungeachtet dürften wir aber nicht aus dieser Unfähigkeit unseres Denkens folgern, daß der Raum in seine Ausdehnung unendlich ist. Hiernach sollte man doch meinen, daß nach Herrn von KIRCHMANNs Ansicht der Raum begrenzt ist oder zumindest, daß es zweifelhaft ist, ob dem Raum ein Begrenzt- oder ein Unbegrentzsein zukommt, da wir seine Grenze nicht wahrnehmen, und das Denken, welches für den Raum keine Grenze erdenken kann, nicht kompetent sein soll. Gleich hinterher aber sagt Herr von KIRCHMANN, daß der Raum als das Unbegrenzte alle begrenzten Körper umgibt und durchdringt. Ich finde hier einen Widerspruch für den ich keine Lösung habe, will mich aber gern eines Besseren belehren lassen. Da ich aber um fortfahren zu können gewzungen bin, selbst eine Entscheidung zu treffen, so werde ich mich an das zuletzt von Herrn von KIRCHMANN Gesagte, daß der unbegrenzte Raum alle begrenzten Körper umgibt und durchdringt, halten, und ihn als unendlich nehmen. Der Raum ist nun nach Herrn von KIRCHMANN vollständig durchdringlich, er nimmt widerstandslos jedes Körperliche in sich auf, und läßt es ebenso wieder schwinden, und aus der leichten Ortsveränderung im Raum wird dann entnommen, daß das Körperliche nicht wesentlich mit dem Raum verbunden ist. Wenn es wirklich Herrn von KIRCHMANNs Ansicht ist, daß der Raum sich als reines Passivum von den Körpern widerstandslos durchdringen läßt, aber ebenso als Aktivum die Körper durchdringt, so hat es für mich zumindest etwas Befremdendes, daß Herr von KIRCHMANN in zwei so entgegengesetzten Eigenschaften des Raumes gar nichts Problematisches findet. Hatte er nicht als philosophischer Denker die Pflicht, hier seine Schritte zu hemmen und diesen Ort erst näher zu untersuchen? Aber abgesehen von diesem Problem eines reinen Denkens wird Herr von KIRCHMANN, der ja so viel wenn nicht alles auf Erfahrung gibt, doch diese alltägliche Erfahrung nicht leugnen, daß bei Zweien, die man nie ohne einander sieht, mit Sicherheit auf ein wesentliches Verhältnis beider zu schließen ist. Durch die leichte Ortsveränderung wird doch auch kein unwesentlicher Zusammenhang konstatiert, denn niemand wird behaupten, daß dem Fisch das Wasser unwesentlich ist, weil er darin so leicht den Ort verändern kann.

Wie soll ich mir nun aber die Sache vorstellen, wenn ein Körper sich durch den Raum bewegt. Solange er in Ruhe ist,, umgibt ihn der Raum einerseits, andererseits hat ihn derselbe durchdrungen. Schon hier entsteht die Frage: hat ihn der durchdringende Raum erst räumlich aufgeblasen? Bewegt er sich nun, so entsteht doch die weitere Frage: nimmt er diesen Raum, von dem er durchdrungen ist, mit? Gibt er ihn auf, so würde er raumlos sein, wenn nicht in demselben Maße, wie er Raum aufgibt, neuerdings Raum in ihn eindringt. Gibt er ihn nicht auf, so führt er ihn überall mit sich und es entsteht das Wunderliche, daß kein Raum in ihn eindringen kann, weil der Raum, den er mit sich führt, dem eindringen wollenden Raum Widerstand leistet. Daß leerer Raum in der Wirklichkeit vorkommen könnte, wäre nicht zu bezweifeln, wenn man annimmt, daß das Körperliche mit dem Raum nicht wesentlich verbunden ist, aber mit demselben Recht kann man verlangen, daß sich zumindest hier und da auch ein Körper ohne Raum findet. Ich behaupte Herrn von KIRCHMANN gegenüber, daß das Verhältnis von Körper zu Raum ein im höchsten Sinne wesentliches ist, daß Raum das Element des Körpers, und daß sozusagen der Körper, dem der Raum entzogen ist, sterben muß. Diesem behaupteten wesentlichen Verhältnis will ich auf meine Weise noch ein Wenig nachspüren, um mich zugleich über die Geistigkeit des Raumes schlüssig zu machen. Der Raum ist stetig, ich und jedermann stimmt darin wohl Herrn von KIRCHMANN bei. Aus der Stetigkeit folgt notwendig seine Unendlichkeit, denn: hätte er irgendwo eine Grenze, so hörte an der Grenze seine Stetigkeit auf. Unendlichkeit ist gleichbedeutend mit Maßlosigkeit und absoluter Bejahung. Wenn nun Etwas nach einer Richtung hin eine reine Bejahung erfährt, so kann dies nur auf Kosten einer entsprechend anderen Richtung hin geschehen, die dadurch absolut verneint wird. Daß eine solche Reziprozität [Umkehrbarkeit - wp] im Weltall stattfinden muß, braucht hier nicht weiter erörtert zu werden, doch will ich zumidest ein Beispiel geben. Ein Rechteck wird dasselbe an Flächeninhalt bleiben, wenn seine Höhe wächst, während seine Grundlinie dementsprechend schwindet. Ist die Höhe unendlich geworden, so wird die Grundlinie Null sein, die Höhe ist absolut bejaht worden und die Grundlinie dementsprehend verneint. Es taucht nun die Frage auf: was ist verneint worden, damit der Raum unendlich ist? Die Antwort ist: die Dichte und die mit ihr verbundene oder besser identische Körperlichkeit. Die Körperlichkeit, die ihrem Wesen nach begrenzt ist, muß diese Grenze, zu der nicht nur die äußere, sondern auch die Dichte als innere gehört, aufgeben, um dann als unendlicher Raum, wenn ich so sagen darf, konstituiert zu sein. In diesem Sinne kann man wohl sagen, der unendliche Raum sei Materie von Null Dichte, im unendlichen Raum ist die Körperlichkeit, Dichte, latent geworden. Indem im unendlichen Raum die Körperlichkeit aufgehoben ist, so ist damit alles aufgehoben zugunsten der absoluten Ausdehnung; wenn nun umgekehrt der unendliche Raum absolut verneint wird, so kann dies nur zugunsten von dem, was von ihm verneint war, geschehen. Diese absolute Verneinung ist der Punkt, in welchem alles ist, und der somit undurchdringlich ist. Es ist dies der Punkt, den man den Weltenpunkt nennen kann, in demselben Sinn, wie man den unendlichen Raum den Weltenraum nennt. Die Dialektik dieser beiden ist der Schöpfungsprozeß; daß sie aber zueinander dialektisch stehen, ist nicht schwer zu zeigen. Beide haben denselben Inhalt, im Einen ist alles verneint in der Form der Bejahung, im Andern alles bejaht in der Form der Verneinung, womit der Widerspruch in jedem Einzelnen klar zutage liegt. Zwischen diesen beiden liegt nun unsere wirkliche Welt als Resultat des dialektischen absoluten Weltprozesses, in welchem sie konkret geworden sind. Herausgetreten aus ihrer Verborgenheit sind sie in dieser Konkretion offenbar. In dieser Welt ist alles relativ, relativer Raum und relativer Nullpunkt, denn alles ist in ihr bejaht und verneint zugleich, das Absolute in seinen beiden absoluten Gestalten ist in ihr aufgehoben, da der unendliche Raum in ihr zur Körperlichkeit komprimiert und kondensiert ist, und ebenso der Weltenpunkt in ihr in die vielen relativen Punkte, das heißt in solche, die nicht mehr die absolute Undurchdringlichkeit aufzuweisen haben, zerstoben ist. Somit haben wir es in der Körperlichkeit nicht mit der Undurchdringlichkeit zu tun, sondern alle Körper sind mehr oder weniger durchdringlich. Ebenso ist diese Welt sowohl begrenzt wie unbegrenzt, ein Widerspruch, der aufgehoben wird durch die Schwingung, und zwar derart (denn sonst würde ja die Grenze an der Schwingung stattfinden), daß jede Schwingungsgrenze wieder in Schwingungen zerfällt und so weiter in konvergierender Reihe bis zum Nullpunkt. Das schärfste Mikroskop wird keine absolute Grenze seines Gegenstandes zeigen, denn sonst müßte man den Punkt sehen können. In der Tat hätten die Gegenstände absolute Grenzen, so wrde man weder Farbe noch Ton wahrnehmen, in beiden, wie überhaupt in jeder Wahrnehmung, ist die Grenze als absolut aufgehoben. Wenn man nun sagen darf, daß in dieser Welt der im Weltzentrum latente Geist und die im unendlichen Raum latente Körperlichkeit offenbar geworden sind, so wird man nicht mehr Herrn von KIRCHMANN zustimmen, wenn er den unendlichen Raum oder, um auch nach dieser Richtung hin seinem Einspruch zu begegnen, den endlichen leeren Raum, die ich ihm abstreite, wie sich aus dem Gesagten ergibbt, eine geistige Sphäre nennt. Der Raum ist geistlos, die Körper sind mehr oder weniger durchdringlich, Raum und Körper stehen in wesentlichster Beziehung zueinander und in der Wirklichkeit ist nirgends leerer Raum anzutreffen. Soweit über die Raumsphäre.

Ich wende mich jetzt zum Problem selbst. Herr von KIRCHMANN entscheidet sich für die Objektivität der in den Sinneswahrnehmungen enthaltenen Qualitäten, dem Subjekt erübrigt nur das Wahrnehmen. Das Wahrnehmen von Farbe und Ton ist ein Problem, das in das Subjekt, das Sein von Farbe und Ton ein solches, das in das Objekt fällt. Zur Ermöglichung der Objektivität der Qualitäten bedient sich Herr von KIRCHMANN der von ihm aufgestellten geistigen Sphären, diesen gehören die in Rede stehenden Qualitäten an. Hieraus scheint hervorzugehen, daß es Herrn von KIRCHMANNs Ansicht ist, Subjekt und Objekt seien ebensowenig wie Raum und Körperlichkeit solidarisch, die objektiven geistigen Sphären tönen und sind einfarbig, gleichgülti dagegen, ob sie gesehen oder gehört werden, und dem wahrnehmenden Subjekt ist es zufällig, daß etwas vorhanden ist, was wahrgenommen werden kann. Zugleich meint Herr von KIRCHMANN durch das Objektivsein der in Rede stehenden Qualitäten der Natur einen Reichtum zugewendet zu haben, der ihr von der Naturwissenschaft geraubt war. Ganz abgesehen davon, daß diese Bereicherung doch nur auf Kosten des Subjekts geschehen ist, so dürfte dieser Reichtum leicht auf seinen wahren Wert zu prüfen sein, indem wir mit dem Denken das Experiment machen, aus der Welt das Subjekt fortzunehmen. Wenn ich dann Herrn von KIRCHMANN sogar zustimme, was ich keineswegs tue, daß dann eine rein objektive Welt in Raum und Zeit mit rollenden Gestirnen, in das reiche Gewand der Farben gekleidet, tönend und duftend, als existierend übrig geblieben ist, so erhebt sich doch wie von selbst die Frage: wozu der Lärm, für wen ist denn dies alles? Was ist Farbe, die nicht gesehen, Ton, der nicht gehört, Wein, der nicht geschmeckt wird, überhaupt Reichtum, der keine Verwendung findet? Würde dies alles nicht sein, als ob es nicht wäre? Sinnloses, weil zweckloses Dasein. Gleichgültig würde sich das Objekt alle ihm eben zugewendeten Schätze und auch noch die ihm bisher von der Naturwissenschaft gelassenen amputieren lassen, ja noch mehr, es würde sie sich selber amputieren. Eine solche objektive Mannigfaltigkeit des Objekts mit Ausschluß jedweder Subjektivität würde überhaupt nicht existenzfähig sein, ein solches Objekt würde zur bloßen Möglichkeit seiner Existenz zusammensinken. Jede Bewegung, jede Veränderung ist Sein für Anderes, wo kein Sein für Anderes ist, ist Wahrnehmung, ist Subjekt. Ich werde Herrn von KIRCHMANN ohne weiteres zugeben, daß die Qualitäten, von denen er handelt, objektiv sind, aber dann auch, weil objektiv, nur ansich; verlange dann aber, sofort daraus zu folgern, daß dieses Ansich, wenn es nichts hat, für das es sein kann, sich auch nicht einmal als Ansich zu behaupten vermag. Denn auch im Begriff stürzt, was keinen Halt an Anderem hat und was im Begriff stürzt, das stürzt auch auch in der Wirklichkeit, der Begriff verlangt wie die Wirklichkeit Konkretion. Der Reichtum, den das Objekt von Herrn von KIRCHMANN erhält, ist der Klumpen Gold, den  Robinson  auf einsamer Insel fand. Es ist ein Reichtum, bei dem das Objekt verhungert und so wird er auch den naturforschenden Objektanbetern zum Verhängnis, denn an der Grenze ihres Naturerkennens beginnt das Verhungern. Das einseitige Denken quält sich an der objektiven Konstruktion des Objekts ab, und so im Objekt stecken bleibend darf es sich nicht wundern, daß ihm die Brücke zum Subjekt auf ewig verborgen bleibt. Wie man nicht nach Kohlen gräbt, wo notorisch keine gefunden werden können, so mache es auch der, der nach höchster Erkenntnis gräbt, er wird sie nur auf dem Feld des freien Denkens finden.

Der Standpunkt, den ich in Bezug auf das von Herrn von KIRCHMANN angeregte schwierige Problem einnehme, und der darin gegründet ist, daß Subjekt und Objekt für die Qualitäten solidarisch sind, dürfte leich aus dem Bisherigen zu entnehmen sein, doch möchte ich noch einiges hinzufügen. Ich reihe den von Herrn von KIRCHMANN angeführten Qualitäten noch die des Denkens ein. Niemand wird in Abrede stellen, daß der Kausalnexus, wenn auch dem Denken eigentümlich angehörend, doch zugleich den anderen Qualitäten unentbehrlich ist. Die Denkensqualität (Kausalnexus) ist daher das Allgemeine aller Qualitäten; ohne sie gelangtkeine der anderen weder zum Sein, noch zur Perzeption. Ich möchte sie mit dem Ton vergleichen, der einfach, d. h. ohne Aliquottöne [mit dem Grundton mitklingende Obertöne - wp] ist, während die anderen, je nahdem, mehr oder weniger Aliquottöne in sich vereinigen; ja ich möchte dies nicht einmal als bloßen Vergleich hinstellen, da ich gewiß bin, daß ein solches Verhältnis stattfindet. Zugleich ist von der Denkensqualität zu sagen, daß sie gleich dem aliquotton-freien Ton in ihrer Allgemeinheit und Einfachheit die allerärmste ist.

Zur weiteren Klarstellung meiner Ansicht über das von Herrn von KIRCHMANN aufgeworfene Problem habe ich nunmehr die Frage zu beantworten: wie ist überhaupt Bewußtsein möglich? Bewußtsein ist Bewußtsein seiner-selbst als Selbstbewußtsein oder Bewußtsein von Anderem, immer liegt aber darin, und man gestatte mir für Bewußtsein Wahrnehmung, allerdings im weitesten Sinn des Wortes zu sagen, das Dreifache: der Wahrnehmer, das Wahrgenommene, und das Wahrnehmen, oder: Subjekt, Objekt und deren Vermittlung. Solange das Objekt dem Subjekt fremd und nur unterschieden von ihm ist, kann kein Erkennen, kein Wahrnehmen, kein Bewußtsein vom Gegenstand stattfinden, die Fremdheit, welche der Isolierung des Unterschiedes gleichkommt, muß aufgehoben werden, also, und ich brauche dies wohl nicht weiter auszuführen, alle Trennung durch Raum und Zeit. Was aber durch Raum und Zeit nicht geschieden ist, befindet sich im Punkt. Was im Punkt vereint ist, kann sich als absolut vereint nicht entgehen, es kann nichts von sich und vor sich verbergen, die Verschiedenen müssen in diesem absoluten Eines-sein sich einander offenbar werden, und zueinander bekennen. Im Punktuellen wird erkannt, in ihm wird es licht. Der Erkennungsprozeß ist zugleich ein Lichtprozeß. Sehen wir nun zu, welchem Schicksal dieses Punktuelle in der wirklichen Welt und ihren, wenn ich so sagen darf metaphysischen Grenzen (reines Subjekt und reinen Objekt, oder vielleicht besser gesagt: Schöpfungssubjekt und Schöpfungsobjekt), unterworfen ist. Wenn wir dieses Punktuelle, absehend von den drei Regionen, in denen es zu finden ist, für sich betrachten, so ist es zwar außer Beziehung zu jenen gesetzt, das aber ist ihm immer geblieben: Grenze zu sein. Da ihm nun dasjenige, zu dem es in der Beziehung des Begrenzens bzw. des Nichtbegrenzens (denn der unendliche Raum ist die absolute Flucht vor der Grenze, was dann freilich der Grund ist, daß er in ihr ankommt), steht, entrissen ist, so bleibt ihm nichts weiter übrig, als sich selbst zu begrenzen, d. h. Peripherie und Zentrum fallen zusammen, der sie trennende Radius, der der Prozeß der Relation ist, ist Null. Dieses sich selbst zum Gegenstand haben, dieses Erkennen ohne Prozeß, oder besser mit dem Prozeß Null, ist das Selbstbewußtsein. Es ist das Urindividuelle, (das Charakteristische des Individuellen ist das Peripherische, die Haut), die Seee, das lebendige Atom, die beseelte Urzelle, wovon einige Naturforscher fabeln, die aber gewiß nicht zugeben, daß sie raumlos, und der Wohnsitz des Selbstbewußtseins ist. Freilich ist das Selbstbewußtsein ein Erkennen von Nichts, ein Erkennen im eigentlichsten Sinn für sich, ein Licht, das Nichts beleuchtet. Und nun suchen wir das Punktuelle auf in jenen drei Regionen. Im Weltsubjekt ist das Weltobjekt zum absoluten Bewußtsein gebracht, der unendliche Raum ist in den Punkt zusammengedrängt und absolut verdichtet. Es ist dies der absolute Licht- und Wärme-Prozeß, denn wie Wärme frei wird, wenn man einen Körper auf ein kleineres Volumen bringt, so wird, wenn die ganze Körperlichkeit, die gleich dem unendlichen Raum ist, auf Null Volumen gebracht wird, alles in Wärme umgesetzt sein. In diesem absoluten Bewußtsein von Anderem kommt das Bewußtsein nicht zu sich selbst. So kann derjenige, der im schnellen Wechsel vieler Objekte lebt, zu keiner Reflexion auf sich selbst kommen, er lebt in der Zerstreuung. Ein solches Bewußtsein, was nur für Anderes und gar nicht für sich ist, ist eben deswegen so gut wie keines. Im absoluten Licht ist nichts zu sehen. Das Bewußtsein wird so vom Objekt in Anspruch genommen, daß es nicht zu sich selber kommt. Das Umgekehrte findet im Weltobjekt statt, in ihm ist das Objekt auf der ewigen Flucht vor dem Punktuellen. In ihm ist das Bewußtsein, da ihm jeder Gegenstand entzogen ist, auf sich selbst angewiesen, und in dieser Isoliertheit, Selbstbewußtsein. So konzentriert sich der Mensch in der Einsamkeit, so geht der Verbrecher in der Isoliertheit in sich und kommt zur Reue, so verfällt aber auch er bei langdauernder Entziehung der Objekte und ihres Wechsels dem Wahnsinn, der in der Unendlichkeit des Raumes (absolute Einsamkeit) seine Heimat hat. Erst in der wirklichen Welt, in der alles bejaht und verneint ist, gelangt alles zur wirklichen Wahrnehmung, in der Selbstbewußtsein und Bewußtsein für Anderes sich nicht mehr von einander ausschließen. Das Bewußtsein ist in ihr nicht mehr ein bloß aus sich herausschauendes oder bloß in sich hineinschauendes, sondern aus sich hinausschauend, schaut es in sich. Dies kommt dadurch zustande, daß die Trennung von Subjekt und Objekt eine relative ist. In dieser relativen Trennung sind Subjekt und Objekt, die nun auch relativ sind, aufeinander bezogen, zustande aber kommt diese Beziehung durch eine Kette von Ursache und Wirkung. Das Verhältnis von Ursache und Wirkung ist das der Vielen zu dem Einen, des Peripherischen zum Zentrum. Die Peripherie geht in diesem Prozeß in das Zentrum und wird von diesem wieder in die Vielen des Peripherischen zurückgestoßen. Wie ich bei der Besprechung des Raumes als Geistessphäre der Schwingungen, als Aufhebung der Grenze, Erwähnung tat, die in ihren eigenen Schwingungsgrenzen sich wieder in Schwingungen umsetzen, so habe ich desselben Aufhebens der Grenze von Ursache und Wirkung zu gedenke. Überall teilt sich irgendein Prozeß von Ursache und Wirkung, von Bewegung des Peripherischen nach dem Zentrum und umgekehrt, wieder in Prozesse von Ursache und Wirkung und so fort ins Unendliche. Wir haben es, da überall Ursache und Wirkung ist, auch überall mit kon- und divergierenden Reihen zu tun. Wenn ein Gegenstand zur Wahrnehmung gelangen soll, so muß er zum Punktuellen zusammengedrängt werden, wie er nun auch an unsere Nerven gelangt, so wird er von da aus bis zum Zentrum den Weg einer konvergierenden Reihe durchmachen, eine Kette von Ursachen und Wirkungen durchwandern, in der Ursache und Wirkung immer näher aneinander rücken, bis sie im Zentrum in eins fallen. Der Widerspruch, der dadurch im Zentrum entsteht, und sich nunmehr als Kraft äußert, stößt die Vielen wieder von sich. In diesem Moment, wo der Stoß vom Rückstoß ausgeglichen, die Wirkung wieder zur Ursache wird, in diesem Moment findet Wahrnehmung statt. Der Wahrnehmungsprozeß ist also nicht bloß eine Bewegung zum Subjekt hin, sondern auch von diesem weg. Er ist ein Prozeß, der sich nicht ohne Licht und Wärme vollziehen kann. Hierdurch erledigt sich das Bedenken, welches Herr von KIRCHMANN gegen das Gesetz der Erhaltung der Kraft hat. Es ist nicht richtig, wenn Herr von KIRCHMANN meint, daß im Wahrnehmen der Sinne die Bewegungen, die zu ihnen hin stattfanden, erlöschen. Ganz im Gegenteil, erst durch den Rückstoß der durch den Umsatz in Wärme erfolgt, wird der Moment erzeugt, in welchem wahrgenommen wird, erst durch ihne ist der Moment ermöglicht, in welchem der Widerspruch aufgehoben ist, die Aufhebung des Widerspruchs ist eben sehen, hören, denken, oder allgemein gesagt, wahrnehmen. Noch ein Wort darüber, daß ich diesen bestimmten Gegenstand z. B.  sehe.  Wie kommt es, daß der Gegenstand, wenn er durch die Glieder der konvergierenden Reihe gegangen und bis zum Wahrnehmungspunkt, als dem letzten Glied, gelangt ist, dort nicht verschwindet? weil dieser bestimmten konvergierenden Reihe eine genau ihr entsprechende divergierende gegenüber steht, die im Wahrnehmungsprozeß erzeugt wird. In demselben Grad, wie die Zwischenräume von Ursache und Wirkung abnehmen und die Glieder kleiner werden, in eben einem solchen Maß wächst die Energie, so daß diese im Nullpunkt der Wahrnehmung genau den Gegenstand repräsentiert und zugleich den Rückstoß bewirkt. Die Verschiedenheit dieser kon- und divergierenden Reihen, die durch die Verschiedenheit des Gegenstandes uns seiner Äußerungen bedingt ist, und wiederum die Verschiedenheit der Wahrnehmungen durch verschiedene Sinne und die Verschiedenheit der Wahrnehmungen innerhalb ein und desselben Sinnes bedingt, schließt ein mehr oder weniger verwandtschaftliches Verhältnis socher Reihen in sich, sie einen sich, sie trennen sich, sie rufen einander hervor und gehen ineinander über, so z. B. ist das Auge nicht imstande, aus dem Sehen im Dunkeln leicht in das Sehen im Hellen überzugehen, und zwar sicher nur deswegen, weil deren geometrische Reihen nur sehr wenig Verwandtschaft zueiander haben. Ich möchte noch bemerken, daß der Rückschlag, der infolge der Sinneswahrnehmungen stattfindet, sich auf die verschiedenste Art äußert; die Sprache ist eine solche Äußerung, wobei ich nicht zu vergessen bitte, daß ich das Denken unter die Sinnesqualitäten gesetzt habe. Ferner füge ich noch hinzu, daß der Grad der Leidenschaftlichkeit in einer Äußerung genau dem gelegentlich der Wahrnehmung erzeugten Wärmegrad und seine Arbeitskraft entspricht. Ich hatte vorhin erwähnt, daß Ursache und Wirkung sich überall bis ins Unendliche teile und geteilt sind, und so ist dann überall ein Zentrum der Wahrnehmung, überall wird wahrgenommen, wenn auch nicht überall gesehen oder gehört usw. wird, denn dies hängt von der Eigentümlichkeit der Reihe ab, die zum Zentrum hinführt. Mindestens aber wird überall gedacht.

Nunmehr schließend fasse ich das bisher Gesagte Herrn von KIRCHMANNs gegenüber dahin zusammen: weder dem Objekt allein noch dem Subjekt allein gehören die Qualitäten der Wahrnehmung, sie sind vielmehr die Kinder, die aus der heiligen Ehe beider hervorgehen. Wer diese Ehe scheidet, der mag sie dem Einen oder dem Anderen zusprechen, wem ist gleichgültig, denn er hat sie ale drei getötet. Wer aber diese Ehre begreift, dem ist die Welt ein überall Lebendiges, Beseeltes, Wahrnehmendes.

Ich bin am Ende, und das Mangelhafte meiner Darstellung erkennend, erbitte ich mir von Ihnen Indemnität [nachträgliche Straffreiheit - wp]. Als Milderungsgrund führe ich für mich an, daß ich nur die Aufgabe hatte zu entgegnen, mich also in meinem Ideenkreis nicht zu weit verlieren durfte. Daher das Aphoristische meiner Ansichten und ihrer Begründung. Namentlich konnte ich mich auf das dialektische Moment, welches ein anderes Licht auf meinen Anschauungskreis geworfen hätte, nicht weiter einlassen ohne mir den Tadel einer zu weiten Abschweifung zuzuziehen.

Trotzdem bitte ich Sie noch um einge Minuten Gehör zu einer Abschweifung. Es sind wenige Worte, aber ich möchte sie nicht gern ungesagt lassen; denn sie bewahren mich vor falschen Konsequenzen aus dem vorher Gesagten. Es liegt nämlich auf der Hand, aus meiner Rede zu schließen, als setzte ich den Schöpfungsakt als von Ewigkeit her, und sowohl ihn als auch Gott der Welt immanent; dann freilich konnte das Objekt nicht in irgendeiner Zeit als solches bestehen und es dann zu einer anderen Zeit dem Logos einfallen, es dialektisch dem Subjekt zuzutreiben. Weder Objekt noch Subjekt sind frei vom Logos. Es ist logisch zu sagen, daß das Außereinander des unendlichen Raumes sich durch sich selbst zu einem Ineinander treibt. Der Logos wirkt mit Notwendigkeit im Subjekt und Objekt wie etwa, um meine Ansicht durch eine Vorstellung faßlich zu machen, eine Säure an eine Basis gebracht wirken muß. Sobald man die Säure vor der Basis bewahren kann, so bewahrt man sie auch vor ihrem Wirken. Und so meine ich dann, daß der Schöpfungsprozeß kein notwendiger ist und daß der Logos frei von ihm zu denken ist, und er ihn nur auf das Geheiß desjenigen vollzieht, bei dem er vor der Schöpfung war. So wie, und hiermit möge meine Rede enden, geschrieben steht: Im Anfang war der Logos, und der Logos war bei Gott, und Gott war der Logos.

Hierauf erhielt Oberlehrer Dr. VOGEL das Wort und sagte:

Der Vortragende hat sich zwei Aufgaben gestellt. Er will einmal der unter uns im Schwang gehenden Auffassungsweise der Natur als einer allles geistigen Lebens und Strebens entleerten entgegentreten, ihr den ganzen Reichtum an Farbe, Wärme und Leben, den ihr die neueren physikalischen Theorien geraubt haben, zurück erobern; - und er will andererseits die Lücke ausfüllen, oder zumindest der Möglichkeit nach überbrücken, die zwischen unserer Erkenntnis der äußeren Bewegungsvorgänge und ihrer Umwandlung in Empfindungszustände weit auseinanderklafft, eine Lücke, die nach weit verbreiteter Überzeugung überhaupt keinen Übergang, sondern nur noch einen Sprung von einem Gebiet auf das andere gestattet. Für diese beiden wichtigen Aufgaben, die jedoch im Grunde in eine zusammenfallen, fehlt es unter uns sicher nicht an lebendigem Interesse. Wer unter uns könnte sich auch einverstanden erklären mit der Vorstellungsweise der Natur, die in ihr nur einen Haufen durcheinander wirbelnder Atome sehen will? Eine derartige Natur ist in der Tat ein bloßes Gespenst, ein Phantom unserer eigenen dürren Gedanken. Und wer von uns andererseits wollte sich bei dem starren Dualismus zwischen dem äußeren und inneren Geschehen beruhigen, ohne den Versuch zu machen, diese beiden Gebiete irgendwie zu einen? Führt kein Weg vom einen direkt zum anderen, so hängen sie doch vielleicht im Grunde zusammen und haben sie von ihm aus den gemeinschaftlichen Eingang. So lebhaft ich daher auch der Tendenz des Vortragenden zustimme, die toten Naturbegriffe durch lebensvollere zu ersetzen, die abstrakte Trennung zwischen den beiden Gebieten unseres Daseins aufzuheben; so wenig kann ich mich jedoch mit der dargebotenen Lösung des Problems befreunden.

Die vom Vortragenden entwickelte Lehre enthält zwei heterogene Elemente. Er nimmt einmal das ganze Begriffsmaterial auf, durch welches es der bloßen Naturwissenschaft gelingt, die Erscheinungen ihres Gebietes zu einen und ableitend zu erklären; und zwar nimmt er diese Begriffe einfach und ohne den geringsten Versuch einer Umbildung auf. Die Atome und ihre Schwingungen, oder auch auf beschränkterem Gebiet der Äther sind ihm nicht relative Begriffe, in einem bestimmten Sinn für ihr Erscheinungsgebiet gültig; sondern sie sind ihm wirklich letzte Prinzipien. Mit diesen Begriffen kombiniert er aber weiter ganz anders geartete Erklärungsprinzipien, sogenannte geistige Sphären nämlich, welche, wie er sagt, die Körper durchdringen und umgeben. In diesen geistigen Sphären besitzen die Qualitäten der Dinge, d. h. Licht, Farbe, Ton usw. als sogenannte geistige Zustände derselben, ein wahrhaftes und objektives Dasein vor und außer, oder auch abgesehen von unserer subjektiven Empfindung. Es geht also die helle, farbenreiche, klangvolle Welt nicht erst in uns auf, sie hat auch außerhalb von uns in diesen geistigen Zuständen eine volle Wirklichkeit. Die Natur ist nicht mehr stumm und schweigend und geistlos. Wir haben nicht erst nötig, das dürre und hohle Gespenst der leblosen Natur mit dem hellen und farbenreichen Gewand unserer Empfindungen zu bekleiden, einem Gewand, das dann im Grunde nur eine Verhüllung ist und uns mit einer anders gearteten Wirklichkeit nur täuscht und äfft. Durch diese Annahme von geistigen Sphären wird aber auch - so glaubt er - die Lücke zwischen dem äußeren und inneren Geschehen überbrückt. Es wirkt nun nicht mehr Ungleichartiges aufeinander, es wandelt sich nicht die äußere Bewegung in die ganz fremdartige Empfindung um; sondern es wirkt nun Gleiches auf Gleiches und wird von ihm als solches erkannt; denn auch die menschliche Seele ist eine geistige, den Körper durchdringende Sphäre, nur dem Grad nach höher, als die anderen geistigen Sphären, deren gleichartige Wirksamkeiten sie in sich aufnimmt.

Dies ist im Wesentlichen wohl die Theorie des Herrn Vortragenden. Mit derselben nun glaubt er sich nicht in den Gegensatz zur Naturwissenschaft zu setzen. Wenn er auch gegen einzelne spezielle Lehren derselben Bedenken erhebt, so legt er doch darauf kein Gewicht; da das Wesen seiner Anschauungsweise dadurch nicht berührt wird. Aus diesem Grund kann auch ich von diesen einzelnen Differenzen absehen und zwar umso mehr, als sie mir lediglich auf einem Mißverständnis der betreffenden naturwissenschaftlichen Lehren zu beruhen scheinen. Ich möchte aber zunächst die Frage aufwerfen, hat Herr von KIRCHMANN darin Recht, daß seine Theorie nicht im Gegensatz zu der von ihm als Fundament anerkannten Naturwissenschaft steht? ist sie - wie er sagt - in der Tat nur ein weiterer Ausbau oder eine Ergänzung derselben? Diese Frage lege ich zunächst vor, weil Herr von KIRCHMANN selbst das größte Gewicht darauf legt. Nach ihm selbst steht und fällt seine Theorie mit den naturwissenschaftlichen Lehren.

Ich muß die aufgeworfene Frage nun ganz entschieden verneinen. Die vorgelegte Theorie bietet uns keine Ergänzung der Naturwissenschaft, sondern steht mit ihr in einem völlig unversöhnlichen Widerspruch, das heißt, sie untergräbt ihr eigenes Fundament. Ich will dieses Urteil zunächst durch einige Beispiele zu erhärten suchen.

Herr von KIRCHMANN hat sich nicht nur darauf beschränkt, die Objektivität der sogenannten sekundären Qualitäten nachzuweisen; seine Theorie ist umfassender, als das zunächst von ihm aufgestellte Thema glauben macht. Er führt nicht nur Licht, Wärme, Töne, selbst Geruch und Geschmack auf besondere geistige Sphären zurück; - wobei ich die Bemerkung nicht unterdrücken kann, daß, so konsequent es auch gedacht ist, mir eine geistige Geschmacksatmosphäre doch ein wenig geschmacklos vorkommt; - er substituiert auch weiter für jedes einzelne Gebiet unseres Naturwissens eine solche Sphäre. Es gibt demnach für ihn z. B. auch eine geistige Raumsphäre, eine geistige Gravitationssphäre, eine geistige Anziehungs- und Abstoßungssphäre, eine geistige organische Sphäre usw. Daß auch die Erscheinungen der Gravitatioin z. B. ihren Sitz nicht im Körperlichen als solchem haben, sondern nur durch eine besondere geistige Gravitationssphäre zu erkären sind, soll aus dem Gravitationsgesetz selbst folgen.
    "Nur wenn die Wirksamkeit einer geistigen Sphäre angehört, auf welche die Gesetze der Körperwelt keine Anwendung finden, läßt sich die Abnahme der Anziehungskraft im quadratischen Verhältnis der Entfernung verstehen."
Mir scheint zunächst diese ganze Argumentation, nach welcher die Tatsache der Abnahme der Anziehungskraft im quadratischen Verhältnis unvereinbar sein soll mit der Annahme einer Begründung dieser Erscheinung durch die Kräfte der Körperelemente selbst, ganz verfehlt zu sein. Jedoch liegt für mich das Wunderbarste seiner Erklärung darin, daß hier die Naturwissenschaft zur Begründung ihrer Lehren auf ein Etwas hingewiesen wird, "auf das die Gesetze der Körperwelt keine Anwendung finden." Auf diese Ergänzung wird die Naturwissenschaft entschieden verzichten müssen; sie würde ihrem eigenen Prinzip damit direkt ins Gesicht schlagen. Für seine Umbildung der Lehre von der Elektrizität und dem Magnetismus aber weiter, wird ihm die Naturwissenschaft schwerlich Dank wissen. Er will die gesamten betreffenden Erscheinungen auf die Wirksamkeit einer magnetischen Sphäre zurückführen. Die Naturwissenschaft sucht umgekehrt die Erscheinungen des Magnetismus auf die Gesetze der Anziehung und Abstoßung elektrischer Ströme zu reduzieren. Doch dies ist nur eine von den oben erwähnten geringeren Differenzen; schwerwiegender aber ist z. B. wieder der Gegensatz, in den er bei der Erklärung der organischen Erscheinungen mit der Tendenz der Naturwissenschaft gerät. Er fertigt hierbei die Ideen PLATOs, die Formen des ARISTOTELES, die Annahme einer Lebenskraft, die Wirksamkeit eines Unbewußten usw. kurzer Hand ab.
    "Der Hauptmangel dieser Theorien", sagt er selbst, "ist der, daß sie die Rätsel und Verwicklungen, welche die organische Natur bietet, nicht lösen, sondern nur unter einem anderen Namen wiederholen."
Er hat darin völlig Recht, und dies ist auch der Standpunkt, den die Naturwissenschaft diesen Lehren gegenüber einnimmt. Wenn er selbst aber dann sagt:
    "Geistiges Sphären durchdringen die Keime der Pflanzen; von ihnen geht die Gestaltung der Pflanze und ihrer Organe aus;"
ist dies dann eine andere und bessere Erklärung, oder nicht auch nur eine Wiederholung des Problems unter einem anderen Namen und muß nicht die Naturwissenschaft ganz aus denselben Gründen auch diese angebliche Erklärung verwerfen? Ich habe einige Beispiele hervorgehoben, an denen sich die Unvereinbarkeit der Erklärungsweise des Herrn Vortragenden mit den Prinzipien der Naturwissenschaft erweist. Aber auch abgesehen von dieser Ableitung des Einzelnen, die sich vielleicht ohne Aufgabe des Prinzips modifizieren läßt, ist seine gesamte Erklärungsweise dem Ziel der Naturwissenschaft direkt entgegengesetzt. Die Naturwissenschaft geht aus und muß ausgehen auf die Erklärung aller komplizierten Vorgänge aus der Wirksamkeit der Elementarteile, ihrer ursprünglichen Kräfte und Bewegungsgesetze. Herr von KIRCHMANN dagegen läßt alle einzelnen Vorgänge und Wirkungsweisen zu lauter isolierten und voneinander unabhängigen geistigen Sphären erstarren. Aus dieser Vielheit der Sphären läßt sich nichts ableiten. Welches ist das Verhältnis dieser Sphären zueinander? Das bloße Wort: "die Sphären durchdringen sich gegenseitig", gewährt noch keine Möglichkeit, eine Erscheinung aus der anderen abzuleiten, ihre Einheit zu begreifen. Statt einer Vielheit der Sphären, einer gesonderten Ton-, Licht-, Wärme- usw. Sphäre, will die Naturwissenschaft gerade diese Vielheit beseitigen und alle diese verschiedenen Wirkungsweisen als Erscheinungen desselben Grundprinzips begreifen. Im Gesetz von der Erhaltung der Kraft kommt diese Erkenntnis zum Ausdruck. Wenn der Herr Vortragende - wie er meint - auch darauf ausgeht, dieses Gesetz noch konsequenter auszubilden, so hat er es vielmehr durch die Weise seines Erklärens vollständig beseitigt. Wenn Ton, Licht unsw. in lauter vereinzelten und voneinander unabhängigen Sphären wurzeln, ist eine Einheit, ein naturwissenschaftliches Erklären überhaupt nicht mehr möglich, und ebenso, wenn man die organische Gestaltung auf lauter besondere, geistige Sphären zurückführen will.

Man kann von einem Gedanken, der sich als ein neues Erklärungsprinzip geltend machen will, noch nicht verlangen, daß er sofort in völlig abgerundeter und ausgearbeiteter Gestalt auftritt; genug, wenn er sich nur fortbildungs- und entwicklungsfähig erweist. Aber gerade dies scheint mir hier nicht der Fall zu sein. Der Begriff der geistigen Sphären ist zu unbestimmt und es fehlt am Notwendigsten, nämlich an der Bestimmung, wie diese Sphären sich zum anderen Element seines Denkens verhalten. Die beiden oben hervorgehobenen Bestandteile seines Philosophierens sind nicht gegeneinander abgegrenzt. Man weiß nie, welche Wirksamkeit eigentlich dem einen und welche dem anderen zukommt. Dadurch gerät die ganze Auseinandersetzung aber in ein unklares Schwanken und diese Unklarheit und Unbestimmtheit der Fassung seiner Prinzipien ist das, was ich zweitens an diesem Vortrag auszusetzen habe. Daß dies so ist, zeigt sich z. B. augenfällig in der Lehre vom Licht. von KIRCHMANN nimmt mit den Physikern einen Äther an; mit diesem Bestandteil kombiniert er aber seine Lehre von der geistigen Lichtssphäre. Welches ist nun das Verhältnis dieser Lichtsphäre zum Äther? Der Vortragende sagt: "Die Lichtsphäre hält die Ätheratome in sich." Demnach scheint dieselbe also ein vom Äther Verschiedenes zu sein. Wie er den Raum selbst zu einer geistigen Sphääre gemacht hat, konnte er vielleicht auch dem Äther direkt die Geistigkeit zuweisen. Nun heißt es aber andererseits wieder:
    "Die Lichtsphäre durchdringt den Weltenraum kontinuierlich. Die Bewegungen der Körperatome bewirken in ihr Oszillationen, d. h. Farben."
Demnach würde die Lichtsphäre doch mit dem Äther zusammenfallen. Wie man sich dann aber Oszillationen einer geistigen Sphäre vorzustellen hat, bleibt ganz unerfindlich. Ganz ähnlich ist die Sachlage, wenn er z. B. auch den anziehenden und abstoßenden Kräften wieder substantielle geistige Sphären substituiert. Was bleibt dann noch den Körperelementen selbst übrig? Er erklärt den Körper für das Undurchdringliche. Beruth diese Undurchdringlichkeit aber nicht auf den abstoßenden Kräften seiner Elementarteile? Mir scheint die Undurchdringlichkeit und die Fähigkeit Widerstand zu leisten, dasselbe zu sein. Die Undurchdringlichkeit wird also einmal zum Merkmal des Körperlichen gemacht und zwar so sehr, daß im Gegensatz zu ihr das Geistige als das Durchdringliche definiert wird; andererseits wird aber die anziehende und abstoßende Kraft, durch die es einzig undurchdringlich sein kann, wieder der Wirksamkeit einer geistigen Sphäre zugesprochen. Ich glaube mit Recht sagen zu können, daß dieses Verhältnis zwischen dem Körperlichen und dem Geistigen zumindest ein nicht klares ist.

Mir will überhaupt nicht scheinen, als hätte sich Herr von KIRCHMANN die Lösung seiner Aufgabe doch gar zu leicht gemacht, wenn er für jede einzelne Naturkraft oder Eigenschaft flugs eine besondere, ihr entsprechende, geistige Sphäre annimmt. Auf diese Weise läßt sich  alles  erklären, sowohl das, was wir von der Natur schon wissen, wie das, was wir noch nicht wissen. Unser Wissen um die Naturkräfte ist beschränkt. Wie die Elektrizität, deren bedeutungsvolle und ausgebreitete Wirksamkeit wir jetzt kennen, einst so gut wie völlig unbekannt war, so mag es auch jetzt noch Naturkräfte geben, deren Wesen uns verborgen ist. Und ebenso kann es wohl empfindende Wesen geben, die andere Sinne besitzen und denen infolgedessen sich ein anderer Teil der allgemeinen Naturwirksamkeit offenbart. Auch bei dieser etwa künftigen, oder jeder möglichen Bereicherung unseres Wissens würde Herr von KIRCHMANN offenbar Rat wissen. Er würde schnell noch einige geistige Sphären zugeben. Ansich zeigt dies aber nur, daß diese sogenannten geistigen Sphären eben bloße Namen sind, die für die Lösung der Probleme keinen Anhaltspunkt bieten.

Diese geistigen Sphären mit ihrer völlig unbestimmten Wirksamkeit können also nicht dazu dienen, die Natur selbst wieder mit Geist und Leben zu erfüllen; ihre Annahme nützt auch nichts bei der Lösung der anderen erstrebten Aufgabe, der nämlich, den Dualismus zwischen dem äußeren Bewegungszustand und der inneren Empfindung zu beseitigen. Was ist - so fragen wir weiter - nämlich hierfür durch die Annahme besonderer Lichtsphären, Wärmesphären usw. gewonnen? Soll diese Annahme uns für die Lösung dieses Problems etwas nützen, müßten wir erst wissen, wie es in diesen sogenannten geistigen Sphären zu einem Innewerden oder zu einer Perzeption der vorhandenen Bewegungen kommt. Dies erfahren wir aber nicht; Herr von KIRCHMANN sagt stattdessen nur: "Die Farbe oder Wärme oder der Ton sind geistige Zustände dieser geistigen Sphären." Was heißt das: "geistige Zustände?" Es soll offenbar bei den bloße Oszillationen, sei es des Äthers, oder der Körperatome nicht sein Bewenden haben; es soll schon außerhalb unserer Seele zu einer Umwandlung dieser Oszillationen, zu einem Etwas kommen, das als geistiger Zustand unseren Empfindungen entspricht und das man als objektives Dasein dieser Empfindungen bezeichnen könnte. Sind dies Empfindungszustände? Dann sieht man nicht ein, wie eine bloße Sphäre empfinden kann. Sind es keine Empfindungszustände, was ist es dann? Der Versuch, im Gegensatz zu den Naturwissenschaften den Empfindungen oder Qualitäten wieder eine Objektivität zu verschaffen, ist schon mehrfach unternommen worden. Ich erinnere z. B. an den, wenn auch nur als problematisch hingestellten Gedannken LOTZEs. Auch LOTZE will die Lehren der Naturwissenschaft durch lebendigere Anschauungen ersetzen. Diese habe es nur mit den in Erscheinung tretenden äußeren Beziehungen der Dinge zu tun, aber unabhängig bleibe davon das Wesen dessen, was nun erscheint, das innere, uns unbekannte Wesen der Atome. Hier komme es vielleicht zu innerlicher Empfindung, zu einem Selbstsein und Selbstgenuß der Natur. Ist dies der Fall, dann ist die Natur kein leblos schwingender Haufen Atome mehr, sondern ein Komplex innerlich regsamer, von Leben erfüllter Wesen; dann stehen wir mit unserer Empfindung auch nicht isoliert und als ganz anders geartet der Welt des nur leblos Seienden gegenüber. Will Herr von KIRCHMANN einen ähnlichen Weg einschlagen? Kommt es in den geistigen Sphären zu einer Verinnerlichung des Geschehens, zu einem Selbstgenuß, den wir mit dem Wort  Empfindung  bezeichnen? Offenbar ist dies nicht seine Meinung. Er bleibt eben deswegen bei dem unbestimmten Ausdruck eines geistigen Zustandes stehen; aber dieser sogenannte geistige Zustand ist dann etwas ganz anderes, als unsere bewußte, lebendige, genossene Empfindung und die Kluft zwischen dem Objektiven und Subjektiven klafft ebenso weit auf, wie vorher. Durch bloße unbestimmte Worte läßt sie sich eben nicht überbrücken.

Hierzu hilft es auch nichts, wenn er die menschliche Seele selbst auch nur als eine geistige Sphäre faßt. Was ist damit gewonnen, wenn doch nach dem Obigen feststeht, daß die sogenannten äußeren geistigen Zustände und die bewußten Zustände unserer Seele nichts miteinander zu schaffen haben, etwas durchaus Unvergleichliches sind, ebenso unvergleichlich, wie die äußere Bewegung und innerliche Empfindung? Mir für meine Person ist diese ganze Seele, die sich "so weit erstreckt, wie das Gehirn und die Nerven", überhaupt ein unmöglicher Gedanke. Wozu soll diese in den Gehirnkasten eingesperrte und mit den Fühlfäden der Nerven daraus hervorgreifende und tastende Seele überhaupt dienen? Ist sie nicht wieder nur ein bloßer Name für die Wirksamkeiten dieser Organe, von denen sie sich in nichts unterscheidet? Ich würde statt dessen vorziehen, diese Wirksamkeiten mit den Materialisten lieber direkt dem Gehirn und den Nerven zuzuteilen, statt eine so unnütze Verdoppelung der Namen einzuführen, wenn die Sache selbst doch dieselbe ist.

Diese gesamte uns vorgetragene Theorie ergibt sich uns demnach als ein bloßes Operieren mit Worten oder unklaren und unbestimmten Bildern. Gerade er, der so oft gegen diese Weise des Philosophierens seine Stimme erhoben hat, gibt uns hier ein auffallendes Beispiel derselben. Wie oft haben wir ihn z. B. gegen die HEGELschen Denkweise eifern gehört. Wenn HEGEL z. B. sagt, die Natur ist das Anderssein des Geistes, erklärte er wohl selbst gern:
    "Was heißt das Anderssein? Ist das nicht ein hohles Wort, oder im besten Fall ein bloßes vages Bild, mit dem nichts anzufangen, aus dem nichts abzuleiten und zu erklären ist?"
Was macht er aber nun? welchen Begriff vom Geist stellt er auf? Der Körper ist nach ihm das Undurchdringliche; mithin, so fährt er fort, haben wir das Geistige zu fassen als das Durchdringliche, nämlich - so möchte ich hinzusetzen - als das Anderssein des Körperlichen. Meint er wirklich damit das Wesen des Geistigen bezeichnet zu haben, oder ist es nicht offenbar ein bloßes und dazu noch recht wenig zutreffendes Bild, wenn man das Geistige als das Durchdringliche erklärt?

Folgerunge, die aus einem so vagen Bild hergeleitet sind, können nicht anders als höchst problematischer Natur sein, nur einen Schein von Wahrheit haben. Gilt das von den HEGELschen Deduktionen, so gilt es auch von seinen. Auf diese Weise gelangt er jedoch nur dazu, für den Raum, das Licht usw. geistige Sphären zu substituieren. Für das Licht leitet er dies z. B. aus der Durchdringlichkeit der Lichtwellen her. Was durchdringt sich aber eigentlich? Offenbar die Ätherwellen; in ihnen können höchstens Wellen stattfinden, nicht in der geistigen Lichtssphäre. Es zeigt dies wieder, daß das Verhältnis zwischen dem Äther und dieser Sphäre völlig unklar ist. Aber auch abgesehen davon ist diese Weise des Folgerns mindestens wunderbar. Die Lichtwellen durchdringen sich genau in derselben Weise, wie die Wasser- oder Luftwellen. Er müßte konsequenterweise also auch Wasser und Luft zu geistigen Sphären erheben. Dies ist eine Folge des Operierens mit Bildern. Es ist nämlich hierbei offenbar das Wort  Durchdringlichkeit  in zwei verschiedenen Bedeutungen genommen. Die Luftwellen durchdringen sich, aber die Luft selbst ist undurchdringlich. Aus der Durchdringlichkeit der Lichtwellen ist also gar kein Schluß auf eine geistige Lichtsphäre zu ziehen.

Woran nun, so möchte ich schließlich fragen, liegt es, daß ihm sein Versuch mißlungen ist und mißlingen mußte. Es liegt nach meiner Meinung daran, daß er von vornherein zwei ganz heterogene Elemente in sein Denken aufgenommen hat. Er nimmt die Begriffe der Naturwissenschaft unverändert an und will nur äußerlich damit weitere Begriffe kombinieren. Das geht aber nicht an. Auf diesem Gebiet gilt, daß, wer  A  gesagt hat, auch  B  sagen muß. Wem das Begriffsmaterial der Naturwissenschaften ein Letztes ist, wer in den Atomen und in ihren Bewegungen absolute Prinzipien des Daseins erblickt, muß auch die Folgerungen hinnehmen, die sich hieraus ergeben. Daß die Naturwissenschaft von ihrem Standpunkt aus darauf gekommen ist, in den sogenannten sekundären Qualitäten nur subjektive Erzeugnisse zu sehen, ist keine Willkür, sondern eine Notwendigkeit. Wer sich auf den Standpunknt der Naturwissenschaft stellt, muß dies annehmen. von KIRCHMANN hat völlig recht, daß die antike Welt, das Mittelalter seiner Auffassungsweise viel näher stand; sie ist eben erst durch unsere moderne Wissenschaft und durch die Philosophie, die ihre wahren Konsequenzen gezogen hat, uns unmöglich gemacht. Wir können auf diesen Weg nicht mehr zurückkommen. DESCARTES, der Begründer der mechanischen Naturanschauung, ist derjenige, der ganz folgerichtig auch die Subjektivität unserer Empfindungen zuerst zum allgemeinen Bewußtsein gebracht hat. Die Lehre von der Subjektivität der Empfindungen und die Weise der Erklärung der Naturwissenschaft aus Atomen, diese beiden Gedanken stehen und fallen miteinander.

Wollen wir aber doch die Natur nicht als tot betrachtet wissen, sollen unsere Empfindungen mehr sein, als bloß subjektive Nachbilder oder Zeichen eines objektiven Vorgangs, so können wir dieses Ziel nicht dadurch erreichen, daß wir die Begriffe der Naturwissenschaft nur mit anderen Begriffen kombinieren, sondern - wie ich glaube - einzig dadurch, daß wir diese Begriffe überhaupt nicht als letzte Elemente des Daseienden gelten lassen, daß wir eine Welt die unabhängig von unserem Empfinden  ansich  vorhanden ist und nur in unsere Wahrnehmung eingeht, überhaupt nicht annehmen. Man hat nicht nötig, das Seiende umzubilden, die angeblich objektiv vorhandenen Bewegungszustände in Empfindungen umzuwandeln, wenn es so eine objektiv und ohne unser Zutun vorhandene Welt überhaupt nicht gibt. Unsere Empfindungen sind dann nicht nur subjektiv in dem Sinne, daß sie eine Zugabe sind zu einer ansich vorhandenen Welt. Eine solche Welt existiert nich, außer in unserem eigenen abstrakten, von der vollen Wirklichkeit absehenden Denken. Es gibt keine Natur unabhängig vom Geist. Unser Geist ist ein Teil des gesamten Geistes, seine Zustände sind Zustände des Daseienden und insofern objektiv, ja objektiver als all die Atome und ihre Schwingungen zusammen, die man uns als die wahre Wirklichkeit anpreisen möchte. Nur auf diese Weise gelangt man nach meiner Überzeugung aus der bloßen Subjektivität und auch aus dem Dualismus zwischen dem äußeren und inneren Geschehen heraus.

Hierauf erhielt Dr. EUGEN DREHER das Wort und sagte:

Ehe ich mich auf den Vortrag des Herrn von KIRCHMANN einlasse, erlaube ich mir nachfolgende, kurze Bemerkung vorauszuschicken: In meiner Entgegnung werde ich mich in Bezug der die Materie berührenden Fragen auf den Standpunkt der modernen Naturwissenschaft stellen; in Bezug der die Sinneswahrnehmungen betreffenden Probleme auf den unserer heutigen Psycho-Physiologie.

Wohl weiß ich, daß sich gegen diese Standpunkte manches einwenden läßt und daß sie keineswegs ausreichend sind, das Rätsel der Wahrnehmung zu lösen, doch weiß ich auch, daß sich, wenigstens bis jetzt, nichts Besseres an deren Stelle setzen läßt. Wenn ich daher von Atomen und Äther sprechen und einen scharfen Unterschied zwischen Materie und Geist machen werde, so geschicht dies, weil sich durch diese Hypothesen einzig und allein das Gebiet der Sinneswahrnehmungen der Forschung erschließt.

Bedenken also, wie gewisse meiner geehrten Herren Vorredner glaubten, zwecks der Annahme von Atomen, eines Äthers usw. vom Standpunkt der "Philosophie" aus geltend machen zu müssen, werden in meiner Erwiderung auf den gehaltenen Vortrag wegfallen. -

Herr von KIRCHMANN hat in seiner Darlegung der Sinneswahrnehmungen versucht, die Antinomie, die das dualistische System hinsichtlich der gegenseitigen Beeinflussung von Geist und Materie in sich birgt, dadurch zu heben, daß er den Begriff "Geist" (Seele) in einem weiteren Sinn faßt, als es bisher geschah. Der Vortragende tat dies auf Kosten des Begriffs der Materie; denn während bisher den Atomen außer der ihnen durch das Gesetz der Undurchdringlichkeit zukommenden Raumerfüllung, noch immanente Kräfte, wie Schwere, chemische Verwandtschaft usw. zuerkannt wurden, hält Herr von KIRCHMANN die Undurchdringlichkeit für die alleinige Eigenschaft alles Materiellen und sucht aus dieser Eigenschaft den Widerstand zu erklären, "welchen harte Körper dem Eindringen unserer drückenden Hände entgegenstellen".

Statt der Schwerkraft, der Affinität usw. substituiert Herr von KIRCHMANN entsprechend viele verschiedenartige "geistige Sphären" und dies aus dem Grund, weil die Wirkung der immanenten Kräfte aus dem Bereich des (materiellen) Atoms hinausreich und weil innerhalb dieser Wirkungssphären das Gesetz der  Durchdringung  gilt, so daß beispielsweise Schwerkraft und chemische Verwandtschaft an derselben Stelle des Raumes nebeneinander bestehen können, ohne sich gegenseitig zu stören.

Auch dem Raum spricht der Vortragende eine geistige Natur zu und sucht diese dadurch zu begründen, daß er dem Raum "Durchdringlichkeit, Stetigkeit, durchgängige Gleichartigkeit und völlige Unbeweglichkeit" als Attribute zuerkennt und zwar als Attribute, von denen Herr von KIRCHMANN annimmt, daß der Raum sie gemeinsam mit der Seele hat.

Wenn man jedoch die eben genannten Eigenschaften des Raumes näher beleutet, so erkennt man in ihnen allen  Negationen,  durch welche sich nichts manifestieren kann; so würde ich z. B. auf das Vorhandensein eines Raumes schließen, wenn derselbe  Undurchdringlichkeit  besäße, d. h. also, wenn er einem Ding, welches in ihn einzudringen strebt einen Widerstand d. h. eine Kraftäußerung entgegenstellen würde, nicht aber, wenn er sich, wie es die absolute Durchdringlichkeit verlangt, untätig verhält usw.

Unter Geist (Seele) kann  ich  nichts anderes verstehen als ein Etwas, das mit  meinem  Geist verwandt ist, was somit empfindet und denkt.

Da ich aber weder das Empfinden noch das Denken in das Gewand des Raumes zu kleiden vermag, so trenne ich mein Ich, d. h. die geistige Natur von der äußeren, d. h. der materiellen dadurch, daß ich letztere mir  räumlich  unbewußt zurechtkonstruiere und sie alsdann bewußt  wahrnehme  und  bewußt  begreife. Ich erkenne so die Unmöglichkeit, den Raum als eine wirklich außerhalb von mir bestehende Größe aufzufassen, womit dann auch die Frage fällt, ob er, als reale Größe gesetzt, geistiger oder materieller Beschaffenheit ist.

Nicht ganz so verhält es sich mit dem Wesen der immanenten Kräfte, wie Gravitation, Affinität usw. Ich muß zugestehen, daß wir uns die Wirkung dieser Kräfte nicht ohne einen in der Anschauungsweise selbst liegenden Widerspruch vorstellen können. Unsere exakte Naturwissenschaft ist in der Tat dahin gekommen, eine  "Wirkung in die Ferne"  annehmen zu müssen, d. h. also anerkennen zu müssen, daß sich die Wirkung der Atome, gleichviel ober die der gewöhnlichen Materie oder die des Äthers, ohne irgendein materielles Substrat durch den (leeren) Raum erstreckt. Diese  "Fernwirkung ist für die Naturwissenschaft sogar der letzte Vermittler für alle Bewegungsvorgänge; denn niemals findet nach der Lehre der Atomistik eine direkte Berührung von Atom mit Atom statt, sondern stets überträgt die "Fernwirkung" in der Form von anziehender und abstoßender Kraft den Einfluß eines Atoms auf das andere.

In meinem letzten Vortrag über "Die vierte Dimension des Raumes" hatte ich an selbiger Stelle die Ehre, Ihnen die Gründe darzulegen, welche für und gegen die Hypothese einer Fernwirkung sprechen. In Ermangelung einer besseren Vorstellung vom Wirken der Kräfte habe ich mich für eine Fernwirkung entscheiden müssen. Da nun Herr von KIRCHMANN ebenfalls eine Fernwirkung annimmt, so ist die von ihm gegebene, vorher erwähnte Erklärung, daß der Widerstand, den ein Körper seiner Trennung entgegensetzt, auf der Undurchdringlichkeit seiner Atome beruth, damit unhaltbar. Dieser Widerstand erklärt sich vielmehr daraus, daß bei der Zerteilung jedes Körpers "Kohäsionskräfte" [Haftung - wp] überwunden werden müssen, die zwischen seinen einzelnen Massenteilchen wirksam sind.

Daß jedoch diese immanenten Kräfte geistiger Natur sind, scheint mir höchst zweifelhaft; es sei denn, daß ich zum Monismus meine Zuflucht nehme und mir den Weltbau durch Haß und Liebe entstanden denke, welche Ansicht augenbliklich HAECKEL vertritt. Ich für meinen Tei glaube, daß es besser wäre, hier eine scharfe Unterscheidung zwischen Materie (im engeren Sinne) und Kraft zu machen, und erkenne in der konsequent und prägnant durchgeführten Unterscheidung von Materie und Kraft im angedeuteten Sinn das Anregende und das die Erkenntnislehre Fördernde des Vortrags.

Was jedoch die gegebene Hypothese in Bezug auf das Wesen der Sinneswahrnehmung anbelangt, so kann ich derselben nicht beitreten; auch scheint mir nicht einmal durch die Annahme der erwähnten geistigen Sphären für die Erklärung der Sinnesfunktionen etwas gewonnen zu sein. Aus der  räumlichen  Auffassung der Seele und der  seelischen  des Raumes resultierenden Konsequenzen, die einerseits nicht den Resultaten der Naturwissenschaft, andererseits nicht denen der Psychologie Rechnung tragen.

Meine Ansichten über Sinneswahrnehmungen hatte ich die Ehre, Ihnen in zwei Vorträgen über "Wahrnehmen und Denken" und über "Die vierte Dimension des Raumes" darzulegen; ich unterlasse es somit, auf dieses Thema zurückzukommen und bemerke nur, daß die geistreichen Spekulationen des Herrn von KIRCHMANN für mich keine genügende Beweiskraft besitzen, um auch nur im Geringsten meine Ansichten über Sinneswahrnehmungen zu erschüttern.

Auch in Bezug auf das rein Naturwissenschaftliche finde ich im Vortrag des Herrn von KIRCHMANN nicht unerhebliche Abweichungen von den mir bekannten Lehren jener Wissenschaft, so z. B. in Bezug auf die Auffassung des Chemismus usw.

Es wäre nicht undenkbar, daß eine andere Auffassung der angedeuteten Punkte, verbunden mit einem größeren Materia von Experimenten, als dem im Vortrag gegebenen, den Autor zu einer erheblichen Modifizierung seiner Spekulationen bestimmt haben würden. Schließlich bemerke ich noch, daß ich mit Herrn von KIRCHMANN den dualistischen Standpunkt teile. Gerade meine Forschungen über die Sinneswahrnehmungen sind es gewesen, die auch mich für den Dualismus bestimmt haben, wobei ich letzteren jedoch im Sinne einer spezifisch verschiedenen Natur von mechanischen und physischen Vorgängen fasse.

Hierauf erhielt Lizenziat Dr. KIRCHNER das Wort und sagte:

Der Tendenz und dem Hauptinhalt des Vortrags stimme ich völlig zu. Auch mir scheint es ein unhaltbares Extrem der modernen Naturwissenschaft, alle Vorgänge auf ein mechanisches Prinzip zurückzuführen und die Objektivität unserer Sinneswahrnehmungen zu leugnen. Auch ich behaupte die Objektivität des Raumes und schließe mich ganz der Verteidigung der Lebenskraft an.

Nur protestiere ich gegen die Ausweitung des Begriffs "Geistiges", welche der Herr Vortragende sich erlaubt. Allerdings hat Raum, Licht, Wärme usw. mit dem Seelischen Gemeinsam die Durchdringlichkeit, Stetigkeit und Gleichartigkeit, aber es besteht doch ein großer, unaufhebbarer Unterschied zwischen beiden. Allen jenen sogenannten "geistigen Sphären" fehlt, was wir dem Geist doch vor allem beilegen: Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung. Ich glaube, Herr von KIRCHMANN verfällt bei dieser Ausdehnung des Geistigen auf jene Substanzen in denselben Fehler, welchen er am Monismus treffend rügt. Im Grunde ist doch der Begriff "geistige Sphäre" auch nur eine Beziehungsform des Denkens oder einer von den letzten Unterschieden, aus dem der andere Unterschied nur scheinbar entwickelt wird. Auch müßte er dann die Atome à la LEIBNIZ als  Geister  bezeichnen. Denn ein Atom ist nicht mehr vorstellbar, nicht einmal mehr als ausgedehnt zu denken - was nicht mehr ausgedehnt ist, wäre Geist. Aber Geist kennen wir nur am Vorstellen, Fühlen und Wolen, daher scheint uns eine solche Verallgemeinerung des Begriffs unerlaubt.

Als Notiz sei nur noch bemerkt, daß die von Herrn von KIRCHMANN dem LEIBNIZ mit Recht beigelegte Ansicht von der Erhaltung der Kraft nicht in einem Brief an FOUCHER, sondern im "Eclaircissement du Nouveau Systemè", 1696 (Ausgabe ERDMANN), Seite 133 steht. Schließlich möchte ich auf die große Verwandtschaft hinweisen, welche des Herrn Vortragenden Ansichten mit denen HERMANN ULRICIs haben, besonders betreffs der Lebenskraft, des Lichtes und der Seele; sie sind in dem tüchtigen Werk "Gott und die Natur" entwickelt, das in Leipzig erschienen ist.

Hierauf nahm Herr Professor LASSON das Wort und sagte:

In dem Vortrag "Über das Prinzip des Realismus", den Herr von KIRCHMANN vor einigen Jahren in unserer Gesellschaft gehalten hat, sagte er: in gewissem Sinn kann der Realismus, wie er ihn versteht, für eine Fortbildung der Lehre HEGELs gelten; er führte dafür als Belege besonders HEGELs Ansicht von der Identität des Seins und des Wissens, von der objektiven Natur der Begrie, von der Hohlheit der alten Metaphysik an. Ich möchte diese Äußerung, zumindest soweit eine gewisse  Analogie  der Grundanschauungen behauptet wird, nicht als ganz unbegründet betrachten. Wie HEGEL den Rahmen für die wissenschaftliche Betätigung des denkenden Geistes gespannt hat, ist derselbe weit genug, um auch eine Auffassung, wie die des Herrn KIRCHMANN nicht durchaus auszuschließen. HEGEL hat ja weit mehr ein Prinzip der Forschung, als eine bindende Lehre aufzustellen gestrebt; jedenfalls wird die Zeit vorüber sein, wo man HEGELs Lehre als einen Dogmatismus absoluter Vernunft zu deuten unternehmen durfte mit dem Anspruch, daran einen ausschließenden und allein gültigen Inbegri alles wahren Wissens zu besitzen.

Eine  Fortbildung  der Lehre HEGELs dagegen könnte ich im strengeren Sinne des Realismus des Herrn von KIRCHMANN nicht nennen, eher wohl eine einseitige und ausschließende Hervorhebung eines Momentes, welches bei HEGEL unter anderem auch vorkommt. Daß das Wahrgenommene im wahrhaft Seienden noch als Moment enthalten ist, diese Ansicht würde sich vom Standpunkt der HEGELschen Anschauung aus rechtfertigen lassen. Daß aber das Wahrgenommene das wahrhaft Seiende selbst sein, daß der Begriff auf die Stufe der Wahrnehmung heruntergedrückt und zu einem Unmittelbaren gemacht werden soll: das ist weder mit HEGELs Lehre verträglich, noch scheint es uns zu dem Ausspruch berechtigt zu sein, eine Fortbildung dieser Lehre zu bedeuten.

Eine gewisse, freilich nicht ganz nahe Analogie besteht in der Tat zwischen dem, was Herr von KIRCHMANN anstrebt, und dem, was HEGEL dereinst eigentlich gewollt hat; davon scheint ja auch jeder der Herren, die sich zum heutigen Vortrag geäußert haben, einen lebendigen Eindruck erhalten zu haben. Das Gemeinsame liegt zunächst im Gegensatz des subjektiven Idealismus und zum Skeptizismus. Über das wahre Wesen des Objekts soll die Form unserer geistigen Tätigkeit entscheiden und das Objekt so sein, wie wir es im Geiste finden. Aber Herr von KIRCHMANN erblickt freilich die Grundform unserer geistigen Tätigkeiten im Wahrnehmen, nicht im Denken, und die Kategorie, die er aller Auffassung des Objektes zugrunde legt, ist demgemäß die der äußeren Existenz, der Dinglichkeit. Das wahrhaft Seiende beschreibt er nach Art eines Gegenstandes des äußeren Anschauung, und Ausdehnung ist das erste Attribut desselben. Diese Ansicht mag sich nun allerdings mit einigem Recht "Realismus" nennen; aber eine reelle Kraft der Überzeugung besitzt sie nicht.

Alle Kraft der wissenschaftlichen Überzeugung liegt im Denken. Das Wahrnehmen ist nicht glaubwürdig; sonst müßte z. B. aller Spuk des Herrn SLADE glaubwürdig sein, weil sehr geübte Beobachter diese Erscheinungen und Spukgeschichten unzweifelhaft wahrgenommen haben. Aber Herr von KIRCHMANN gibt ausdrücklich zu, daß das Denken das durch die Wahrnehmung gelieferte Material kritisch zu bearbeiten und das Widersprechende aus demselben auszuscheiden hat; "denn das Widersprechende ist nicht", wie er sich ausdrückt. Soll die Fähigkeit der Wahrnehmung, uns das wahrhaft Seiende bekannt zu machen, gleichwohl behauptet werden, so ist der Beweis zu liefern, daß das Ergebnis der Wahrnehmung in der Bearbeitung durch das Denken gleichwohl unverändert bleibt: das aber ist in sich widersprechend und wird auch in jedem Augenblick durch die Tatsachen widerlegt. Kein vernünftiger Mensch nimmt noch an, daß wirklich die Sonne auf- oder untergeht, oder daß die Sterne so groß sind, wie Stecknadelköpfe, oder daß die Erde eine Scheibe mit Unebenheiten und der Himmel eine große darüber ausgespannte Halbkugel ist. Wer auch nur den Satz des Widerspruchs als obersten Richter über wahr und nicht-wahr gelten läßt, der legt die Entscheidung über das wahrhaft Seiende nicht in die Hand der Wahrnehmung, sondern in die des Gedankens. Denn der Satz des Widerspruchs gehört nicht der Wahrnehmung an, sondern dem Denken.

Es ist gewiß höchst verständlich, daß ein konsequenter Realismus das Streben hat, begreiflich zu machen, wie das Wahrgenommene als wirklich seiend gelten kann. Konsequenz im wissenschaftlichen Denen ist immer jedes Lobes wert; man könnte auch nie erfahren, was eigentlich an einem Prinzip ist, wenn es nicht in seine Konsequenzen verfolgt wird. So eine strenge Entwicklung aus dem Prinzip ist es auch, was Herrn von KIRCHMANN zur Aufstellung seiner Hypothese getrieben hat. Aber auch hier berühren sich die Extreme. Man sieht leicht, wie nahe die Verwandtschaft ist zwischen einem solchen extremen Realismus und dem sensualistischen Subjektivismus etwa eines BERKELEY; denn beidemale gilt der Satz: es gibt in Wirklichkeit nichts, als wahrnehmende Wesen und ihre Wahrnehmungen, nur daß nach der ersteren Ansicht das Wahrgenommene selbst zugleich als äußeres Ding existiert, das sich gewissermaßen bis in den Menschen hinein ausdehnt, während nach der zweiten Ansicht das Sein des Wahrgenommenen nur im Wahrgenommenwerden besteht und ein Ausgedehntes, Körperlihes überhaupt nur ein trüglich erschlossenes ist.

Herr von KIRCHMANN hat das Interesse, daß "das dürre Gespenst, in das die Naturforschung die Natur verwandelt hat, wieder mit all dem Reichtum umkleidet wird, von dem die Sinne uns berichten". Dazu unterscheidet er Körperliches und Geistiges als das Undurchdringliche und das Durchdringliche und konstruiert sich seine Sphären, zuerst für den Raum, dann für die physikalischen Kräfte, schließlich für das Organische und für die Seele. Geist, Seele, Leben, Kraft, Qualität, - das alles ist ihm ein anschauliches, ausgedehntes, äußerlich existierendes Ding. Aber erreicht wird damit doch weiter nichts, als ein bildlicher Ausdruck, der nichts in den Funktionen des Geistes erklärt, sondern nur, was in uns als Akt unseres Geistes existiert, noch einmal als ein äußerlich Daseiendes außerhalb von uns setzt.

Es wird kaum jemanden geben, der die Hypothese im Sinne ihres Urhebers im eigenen Geist nachzubilden vermag. Es ist psychologisch erklärbar, wie Herr von KIRCHMANN in dem Streben, die Objektivität der Wahrnehmung begreiflich zu machen, auf seine Hypothese verfallen ist; aber ich glaube nicht, daß er damit eine Begreiflichkeit für irgendjemand anderen wirklich erreicht hat. Schon das ist ebenso unvorstellbar wie undenkbar, daß Etwas ausgedehntes, raumerfüllendes durchdringlich ist; denn der Satz des Widerspruchs verbietet, daß an einem bestimmten Ort ein sein kann, ohne jedes Nicht-A zu verdrängen. Durchdringlichkeit ist auch in der dargelegten Hypothese nur ein bildlicher Ausdruck für das, was man sonst Unräumlichkeit, Immaterialität nennt; Herr von KIRCHMANN sagt  durchdringlich,  wo man sonst  ideell, inteligibel  sagt. Mit dem verändern Ausdruck ist aber nicht im Mindesten etwas gebessert, besonders weil der Ausdruck nicht bloß bildlich, sondern obendrein noch ungeeignet, dem zu Bezeichnenden völlig unangemessen und die angeregte Vorstellung ganz unvollziehbar ist. Ferner scheint es in der Konsequenz der Hypothese zu liegen, daß nicht jene beschränkte Anzahl von ausgedehnten Sphären angenommen wird, die Herr von KIRCHMANN aufgezählt hat, sondern daß für jede besondere Farbe, jeden besonderen Ton eine eigene Sphäre gesetzt werde, damit nicht bloß das Gemeinsame, sondern auch die Verschiedenheit der einzelnen Wahrnehmungen erklärt wird.

Aber auch abgesehen von der besonderen Art der Durchführung der Hypothese, auf die ich nicht näher eingehe, scheint mir die Tendenz seber nicht annehmbar, aus der dieselbe hervorgegangen ist. Das Wahrgenommene soll as das Objekt selber, als das Reale hingestellt werden. Was kann das heißen: Farben, Töne, Wärme und dgl. sind objektiv real in der äußeren Natur vorhanden? Als für sich bestehende Substanzen nach Art ausgedehnter Dinge können sie nicht vorhanden sein. Denken wir uns solche ausgedehnte Dinge, so würden sie als objektive Existenzen uns gar kein Recht geben, sie mit dem, was wir doch eigentlich als Farbe, Ton, Wärme bezeichnen, zu identifizieren oder auch nur in eine nähere Beziehung zu bringen. Denn wir verstehen ja unter all den genannten Begriffen  Qualitäten  und nicht Substanzen. Aber ferner, nicht einmal äußerlich reale Qualitäten von Dingen könnten als die objektiven Urbilder jener Erscheinungen gelten. Denn was wir unter Farben, Tönen usw. verstehen, das sind  Empfindungen,  und von der Existenz als Empfindung gibt es keinen möglichen Übergang zur Existenz als Ding. Wird jenen Empfindungen Objektivität zugesprochen, so kann das nie eine reale Existenz nach Art von Dingen oder Qualitäten von Dingen bedeuten, sondern Allgemeingültigkeit für alle empfindenden Wesen und ein reales Begründetsein im Wesen des existierenden Objekts.

Im letzteren Sinn faßt dann auch die wissenschaftliche Naturforschung die Sache auf. Sie sucht das reale Objekt, nicht welches unsere Empfindung oder Wahrnehmung  ist, - das hätte gar keinen Sinn, - sondern welches unsere Empfindung  verursacht  und derselben durch die wechselnden Modifikationen seiner Qualitäten  entspricht.  Die Empfindungen, vermöge deren wir vom Objekt affiziert werden, sind je durch ein bestimmtes Sinnesorgan vermittelt; aber in der Wahrnehmung des Objekts sind wir nicht auf einen Sinn beschränkt. Wir können die durch verschiedene Sinne erhaltenen Affektionen miteinander vergleichen, unter Anwendung bestimmter Kategorien des Denkens, von Substanz, Qualität, Quantität, Ursachen usw., die unseren wechselnden Affektionen entsprechenden wechselnden Zustände der Objekte beobachten und messen und so von unseren Empfindungen aus zu Wahrnehmungen, Gesetzen, zum Begriff des Objekts vordringen. Nicht durch einen Sinn alein, auch nicht durch alle Sinne zusammen, sondern erst durch Wahrnehmen und Denken vereint, erhalten wir eine Kenntnis des Objekts. Auf diesem Weg ist man in einem strengen Verfahren dahin gelangt, als die Ursache unserer Affektionen die Bewegungen eines materiellen Substrates zu erweisen, die man nach Schnelligkeit, Form und Richtung einigermaßen zu bestimmen imstande ist, während die Natur des Substrates selber immerhin noch dunkel und ungewiß bleiben mag. Hüten muß man sich aber auch hier vor ungerechtfertigter Identifizierung. Es ist wohl ganz geläufig, wenn man die neu erlangte wissenschaftliche Einsicht ausdrücken will, zu sagen: die Wärme oder das Licht  ist  eine Art der Bewegung; aber offenbar sagt man so mit Unrecht. Das Licht oder die Wärme ist ebensowenig eine Bewegung, wie es ein Ding ist. Es ist anfänglich bloß eine Empfindung, und aus dieser Empfindung wird die Wahrnehmung eines Objektiven durch einen allerdings von unserem bewußten Denken und unserem Willen unabhängigen Akt unseres Geistes. Das nun ist eben die Aufgabe wissenschaftlicher Reflexion, den Schritt, den wir in der Wahrnehmung gedankenlos vollbracht haben, wieder zurück zu tun und unser Recht, ein Objektives unmittelbar zu setzen, kritisch zu untersuchen. Das Resultat einer solchen kritischen Reflexion ist aber unbestreitbar eben dieses, daß das ursprünglich Gegebene als das eigentliche Objekt, mit dem wir es zu tun haben, die Empfindung selbst ist, daß alles andere Objektive, das wir unmittelbar zu haben vermeinen, nicht unmittelbar gegeben, sondern  vermittelt,  Resultat geistiger Prozesse ist. Das ursprüngliche Objekt ist aso etwas rein subjektives, nämlich unsere Empfindung, und dieses Objekt ist uns gerade nicht unmittelbar gegeben; wir müssen erst durch kritische Reflexion uns darauf besinnen. Denn unmittelbar wissen wir von unserer Empfindung nichts, sondern nur von dem Objektiven, das wir infolge unserer Empfindung in der Wahrnehmung zu besitzen glaubten. Das Objekt der Wahrnehmung aber, also das unmittelbar vorgefundene Objekt, an dem die gewöhnliche Vorstelung haftet, die reale Farbe, Wärme usw. wird durch wissenschaftliches Denken schlechthin abgetan. Das Objekt des Denkens, das wir so erlangen, hat mit dem Objekt der Wahrnehmung ebensowenig Ähnlichkeit mehr, wie mit der ursprünglichen Empfindung, die bloß unser Zustand, bloß intensiv und in dieser Form das eigentliche erste Objekt ist. Das schließliche Objekt ist durchaus Resultat wissenschaftlichen Denkens und gegenüber der Vielheit unserer Empfindungen, wie der wahrgenommenen Objekte, etwas ganz leeres, abstraktes und formelles: die Bewegung eines in keiner Empfindung oder Wahrnehmung nachzuweisenden materiellen Substrats. Diese Bewegung ist weder die Empfindung selbst, noch das Objekt der Wahrnehmung selbst, sondern zu beidem ein drittes, andersartiges, das nur als die  äußere Ursache  der Empfindung und der Wahrnehmung bezeichnet werden darf. Diese äußere Ursache allein würde aber die Entstehung der Empfindung nicht erklären, träte nicht die  innere Ursache  hinzu, die somatisch-psychische Anlage des empfindenden Subjekts. Erst durch die Wechselwirkung dieser beiden, nicht unmittelbar gegebenen, sondern erschlossenen Objekte, der äußeren Bewegung und der inneren Anlage, wird die Entstehung jener Qualitäten, wie Wärme und Licht, erklärbar. Das äußerlich Vorhandene als solches ist noch nicht die Wärme; erst wenn die Bewegung auf den Empfindungsapparat eines empfindenden Wesens trifft, so entsteht die Wärme as Erscheinung eines Äußeren in einem Inneren.

Jenes  "wahre"  Objekt, das dritte zu Empfindung und Wahrnehmung das Objekt des kritisch reflektierenden Verstandes, ist ein reines Erzeugnis des Denkens. Raum, Zeit, Bewegung, Zahl, Maß, die mathematischen und mechanischen Gesetze sind in keiner Empfindung enthalten, und die Wahrnehmung liefert uns diese Objekte nur in einer trüben und verworrenen, für das wissenschaftliche Denken unbrauchbaren Form. Das wahre Objekt ist also ein neues, nicht empfundenes, nicht wahrgenommenes, kein Produkt der Erfahrung, sondern reines Produkt eines Denkens, welches in seiner ihm eigentümlichen Weise das in der Erfahrung gegebene Material bearbeitet.

Sollen wir nun dieses erschlossene Objekt als das allein wirklich existierende gelten lassen? Das  allein  wirkliche kann es nicht wohl sein; denn die Empfindungen und Wahrnehmungen existieren auch und sind mindestens ebenso wirklich, freilich nicht in der Form des äußeren Daseins, sondern als objektive Tatsachen der inneren Welt. Aber kann dem erschlossenen äußeren Objekt überhaupt  Wirklichkeit  zugesprochen werden? Diejenigen, welche einerseits das Denken tatsächlich üben, wie die Naturforscher, andererseits aber ihre Vorstellung von Objekt und Wirklichkeit durch kein kritisches Denken geläutert haben, sondern nach Art des dem wahrnehmenden Bewußtsein eingeborenen Verfahrens unter dem Objekt nur das Äußerliche, Anschauliche, Ausgedehnte verstehen und was in dieser Form nicht existiert, auch nicht als wirklich gelten lassen: diese werden die erschlossene Welt der Bewegungen eines rätselhaften Substrates für die allein wahre Welt auszugeben geneigtsein und die Welt der Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken als eine zwar wirklich vorhandene, aber unwahre und trügliche Welt ansehen. Dagegen wird man, wenn man sich über die Stufe des wahrnehmenden Vorstellens zum wirklichen Denken zu erheben entschlossen ist, zunächst jene Vorstellung von Objekt und Wirklichkeit berichtigen müssen. Die wahre Welt ist nicht das äußerlich Existierende, sondern die Welt der inneren Affektionen des denkenden Ich, welches eben diese denkend zu seinem Objekt macht. Diese innere Welt des dem Ich notwendig Gegebenen ist die  Natur die Natur des Ich und die Natur der Dinge. Die Farben, Töne, Formen, Qualitäten überhaupt, die jedes normal empfindende und wahrnehmende Ich in sich vorfindet, das ist es, was allein wahrhaft existiert. Das Denken analysiert diese wahre Welt und führt sie auf die sie konstituierenden Elemente zurück: die innere Anlage und die äußere Bewegung; aber diese beiden sind nur erst jedes für sich eine bloße Möglichkeit und Anlage einer Welt und nicht schon die wirkliche Welt selbst. Weder das Subjekt ansich, noch das Objekt ansich ist etwas wirkliches; erst in ihrem Zusammenwirken erzeugt sich eine Welt. So wenig wie der reine formlose Stof, oder die reine stofflose Form, wird das reine objektlose Subjekt oder das reine subjektlose Objekt gefunden. Erst das Ineinander und Miteinander ergibt die Wirklichkeit.

Aufgrund dieser Betrachtungen läßt sich nun auch die Frage verständlich beantworten: ob und inwiefern unseren Wahrnehmungen von Farben, Tönen usw. ein Objektives, Wirkliches entspricht. Daß es dem, was gemeinhin allein als das wirklich Existierende betrachtet, dem äußerlichen Objekt, zufällig ist, vom empfindenden Subjekt gerade in dieser Form aufgefaßt zu werden, oder daß es eine ganz absonderliche und der Natur des Objekts fremdartige Einrichtung des Subjekts ist, vom Objekt in dieser bestimmten Weise affiziert zu werden: das ist gar kein möglicher Gedanke. Sondern Subjekt und Objekt gehören ihrem Wesen nach zusammen; sie sind wechselseitig füreinander und aufeinander angelegt. Was im Subjekt ist, ist auch schon im Objekt, und umgekehrt; der Unterschied ist ein Unterschied des Grades. Das Objekt ist das werdende Subjekt und das Subjekt der Akt, sich zu objektivieren. Das, was bloß Objekt wäre, vom Denken unabhängig, ohne jede Innerlichkeit und jedes Fürsichsein, Ding im Gegensatz zu allem Gedachten und Denkenden, reine Äußerlichkeit, Ausdehnung und Materialität, wird nicht gefunden, und ebensowenig das, was bloß Subjekt, bloße Innerlichkeit, reines Denken wäre. Es geht nicht an, sich die Welt als ansich frei von jeder Spur von Subjektivität zu denken, so daß Sinn, Empfindung und Bewußtsein nur zufällig in ihr auftreten und ebensogut auch fehlen könnten, ohne daß die Welt ein wesentliches Stück ihres Bestandes dadurch einbüßt. Was übrig bleibt, wenn wir alles Subjektive abziehen, das ist jener schemenhafte Traum von bloßen Bewegungen eines materiellen Substrates, jene leere Abstraktion des reflektierenden Denkens, jenes form- und qualitätslose Nichts, welhes manche Naturforscher als das einzig wahrhaft Existierende uns vorspiegeln möchten. Wir müssen aber die Welt, die uns erscheint, als im Objekt schon angelegt betrachten und annehmen, daß die Empfindung überall ist und die Qualitäten der Dinge schon auf den niedersten Stufen des Daseins empfunden werden. Das ist dann auch die allein denkbare Art einer objektiven Existenz der von uns empfundenen Qualitäten. Sie existieren selbstverständlich weder als Dinge noch überhaupt in iner äußerlichen Existenz; sie existieren nur in der Empfindung, aber in dieser nicht bloß vermöge einer zufälligen und befremdlichen Einrichtung unseres Sinnesapparates, sondern vermöge der inneren Natur und Wesenheit der Objekte, die darauf angelegt sind, diese Empfindungen zu erregen, und sie werden überall in der Natur, nicht bloß von uns, empfunden, weil es ein solches, was ohne Sinne und Empfindung wäre, überhaupt nicht gibt. Unser somatisch-psychischer Apparat mit seinen Affektionen ist nur die schließliche Rekapitulation, die höchste Steigerung und Vollendung der Objektivität überhaupt, und wir stehen in Analogie und Verwandtschaft mit allem, was ist. Darum enthalten dann auch unsere Wahrnehmungen in ihrer Weise den objektiven Gehalt der Wirklichkeit, und die von uns wahrgenommenen Qualitäten machen uns bekannt mit einer wesentlichen Daseinsform der wirklich existierenden Welt.

Herr von KIRCHMANN hat die Freundlichkeit gehabt, einige frühere Äußerungen von mir heranzuziehen, zum Beleg, daß auch ich den Empfindungsqualitäten ein entsprechendes reales Objekt in der Außenwelt zuschreibe. Ich habe deshalb geglaubt, näher präzisieren zu sollen, in welchem Sinn ich diese Äußerungen getan habe. Eine Existenz von Wärme-, Licht-, Tonsphären, wie sie Herr von KIRCHMANN annimmt, halte ich nicht für denkbar, auch nicht für geeignet, unsere inneren Affektionen ihrer Entstehung nach zu erklären, oder ihrem Gehalt nach zu rechtfertigen.
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LITERATUR | Julius von Kirchmann, Über die Gegenständlichkeit der in den Sinneswahrnehmungen enthaltenen Eigenschaften der Dinge, [Vortrag gehalten am 26. April 1879 in der "Philosophischen Gesellschaft" zu Berlin] Verhandlungen der Philosophischen Gesellschaft zu Berlin, 16. Heft, Leipzig 1880.