tb-1C. L. ReinholdJ. G. HerderJ. G. Hamann    
 

JAKOB SIGISMUND BECK
Einzig möglicher Standpunkt
aus welchem die kritische Philosophie
beurteilt werden muß


"Was will man damit sagen, daß die Vorstellungen die Zeichen der Objekte sind? Ein Verhältnis unter den Vorstellungen, demjenigen, das zwischen den Objekten ist, entsprechend setzen, das würde ganz und gar keinen Sinn haben. Demnach hat der Begriff von der Verbindung zwischen der Vorstellung mit ihrem Gegenstand kein Objekt und ist also ein gänzlich leerer Begriff. Es kann daher wohl nicht geleugnet werden, daß das Verfahren des Idealisten, der alle Verbindung der Vorstellungen mit ihren Gegenständen leugnet, sehr philosophisch ist. Die dogmatischen Philosophen behaupten eine solche Verbindung und können sie auf keine Weise anzeigen."

Vorrede

Ein Appell an den gesunden Menschenverstand zum obersten Prinzip der Philosophie zu machen, scheint ein Unternehmen zu sein, das, nach dem gegenwärtigen Zustand der Philosophie zu urteilen, wenig auf Beifall rechnen darf; ja man kann vermuten, es werde seinem Urheber den Unwillen und die gewisse Geringschätzung derjenigen zuziehen, die in unseren Tagen für die Beschützer jener Wissenschaft gehalten werden. Was man auch immer unter dieser Appell verstehen möchte, so scheint etwas darin zu liegen, das allem philosophischen Verfahren geradezu widerspricht und eines Philosophen unwürdig ist. Freilich, wenn man behauptete: dieser Richter in höchster Instanz dürfe Machtsprüche tun, so wäre dieses sehr ungereimt und des verständigen Mannes allerdings unwürdig. Man würde dann keinen  allgemeinen  Menschenverstand im Sinn haben, sondern jeder würde sich auf seinen eigenen berufen, und gleichwohl die Einfälle desselben für einen untrüglichen Probierstein der Wahrheit ausgeben. Es ist auch nicht zu leugnen, daß, wenn man aus dem Betragen vieler Philosophen sich die Regel abzieht, nach der sie handeln, diese Regel gerade jene Ungereimtheit aussagt. Hierzu geben uns die Gegner der berühmten HUME dienliche Beispiele. Der große Mann hatte eigentlich die gänzliche Unverständlichkeit des Begriffs der Kausalität im Sinn. In der Darlegung dieser Unverständlichkeit betrug er sich auf eine echt-skeptische Weise, indem gerade die Aufdeckung des Unverständlichen gewisser Begriffe den wahren Skeptiker charakterisiert. Es war der Standpunkt bloßer Begriffe, die Maxime der dogmatischen Denkart, die er zu erschüttern suchte. Da er aber seine Aufmerksamkeit auf den ursprünglichen Verstandesgebrauch nicht richtete, der doch ganz allein die Verständlichkeit unserer Begriffe enthält, so kam es, daß er in den Fehler seiner Gegner fiel, und selbst dogmatisch und so sich selbst unverständlich war; welche Behauptung ein jeder, wie wir hoffen, wahr finden wird, der diese Schrift, die wir dem Publikum vorlegen, seiner Aufmerksamkeit würdigen wird. Wie aber betrugen sich seine Gegner? Sie beriefen sich auf den gemeinen Menschenverstand. Da deutet nun zwar die Bezeichnung:  gemein,  etwas sehr Wahres und ganz gewiß den eigentlichen Probierstein aller Wahrheit und aller Bedeutung unserer Begriffe an; aber ihr Verfahren lehrte das Gegenteil davon, daß sie nämlich unter dieser Benennung ihren bloß subjektiven Verstand meinten, der Machtsprüche zu tun fähig sein sollte, ja daß lediglich Leidenschaft und Eigensinn mit diesem Namen von ihnen benannt wurden.

Wenn nun gleich Appelle an den gemeinen, gesunden und schlichten Menschenverstand in unseren Tagen nicht mehr üblich sind; so ist es doch eigentlich nur dieser Name, der aus der Übung gekommen ist. Was die Sache selbst betrifft, so getraue ich mir zu behaupten, daß dieses Verfahren auch jetzt noch so gewöhnlich ist, wie es nur immer gewesen ist. Es kann sein, daß sowohl viele Verehrer der kritischen Philosophie als auch einige Gegner derselben sich nicht ganz frei von aller Leidenschaft, die  ihre  Behauptungen leitete, erhalten haben; aber ich habe eine zu große Achtung für die Verdienste so vieler würdiger Männer, die an den Untersuchungen Teil genommen haben, welche die kritische Philosophie eröffnet hat, als daß es mir in den Sinn kommen könnte, ihnen kleinliche Triebfedern unterzulegen. Indem ich also diese Beschuldigung gar nicht wage, so sind mir doch die Schriften dieser Männer, desgleichen die öffentlichen Beurteilungen dieser Schriften, sprechende Beweise, daß die allgemeine Denkart unserer Philosophen noch immer jenen Appell an den gemeinen Menschenverstand ist. Ich meine hierunter die dogmatische Denkart, die meines Erachtens weit mehr Freunde hat, als man wohl, wenn man am bloßen Buchstaben hält, denken möchte. Denn ich bin versichert, daß die meisten Verehrer der kritischen Philosophie, Männer, die sonst meine ganze Hochachtung haben, dieser Denkart, worin ganz allein der Dogmatismus besteht, zugetan sind, so sehr sie auch in ihren Schriften denselben als einen Lehrbegriff vorstellen, dessen Behauptungen nichtig sind. Wenn die mit dem Titel "Dogmatiker" bezeichneten Philosophen lehren, daß uns gewisse Begriffe angeboren sind, so leugnen die kritischen Philosophen das. Sie behaupten dagegen, daß eben diese Begriffe  a priori  in uns liegen und nur einen Stoff von der Erfahrung erwarten, um in Anwendung überzugehen. Sie lehren, daß diese Begriffe Möglichkeiten der Erfahrung ausmachen. Hierin sprechen sie freilich der Kritik der reinen Vernunft nach; aber es zeigt sich bald, daß sie diese Aussage der Kritik ganz und gar nicht in einem kritischen Geist, sondern in der echt dogmatischen Denkart vernommen haben. Sonach sind sie von ihren Gegnern in nichts als in bloßen Ausdrücken und Formeln verschieden. Sie befinden sich mit ihnen auf dem Standpunkt bloßer Begriffe, das ist: der Vorstellung der Dinge durch Beilegung gewisser Bestimmungen. So lange sie nun dabei stehen bleiben, daß den Dingen die Substantialität, Kausalität, Größe, Sachheit usw. zukommt, so mögen sie immerhin diese Begriffe reine und  a priori  in uns befindliche Begriffe nennen; sie unterscheiden damit nichts und können den Anfällen des Skeptikers, der in der Frage nach der Verbindung der Vorstellungen mit den Objekten derselben ihnen ihre eigene Unverständlichkeit vorhält, nicht ausweichen. Diese lediglich dem Buchstaben nach kritischen Philosophen bedienen sich der bloßen Formel, daß wir die Dinge erkennen, nur wie sie uns erscheinen; dem Geist nach behaupten sie die Erkenntnis der Dinge ansich, eben darum, weil sie wahre Dogmatiker sind. Wahrhaft-kritische Philosophie unterscheidet sich durch ihre Denkart, und diese besteht im Standpunkt des ursprünglichen Verstandesgebrauchs, worauf die Ansicht der Kategorien als Begriffe, das ist: als Bestimmungen, durch deren Beilegung wir uns die Objekte vorstellen, beruth; und die Wissenschaft dieses ursprünglichen Verstandesgebrauchs ist die Transzendentalphilosophie.

Diese Transzendentalphilosophie könnten wir einen Appell an den gemeinen Menschenverstand nennen, wenn dieses Wort nicht schon längst in dem angezeigten verkehrten Sinn wäre gebraucht worden. Auch ist das Geschäft der Transzendentalphilosophie eigentlich, den Verstandesgebrauch selbst zu zergliedern, wonach allererst eine Berufung auf diesen Verstand tunlich ist. Demnach aber hat dieselbe eine allerdings sehr vernünftige Bedeutung, an welche man viele unserer Philosophen zu erinnern wohl alle Ursache hat. Sie besteht in der Zurückführung unserer Begriffe auf Verständlichkeit; sie verlangt aber auch nichts minder, als daß man mit dem, das alle Verständlichkeit ausmacht, das ist: mit dem ursprünglichen Verstandesgebrauch, innig vertraut ist.

Diesen ursprünglichen Verstandesgebrauch darzustellen, und so denjenigen Punkt zu treffen, der die Kantische Philosophie zu einer kritischen macht, das habe ich mir in dieser Schrift angelegen sein lassen. Sie zerfällt in vier Abschnittel. Im ersten habe ich die dogmatische Denkart zu entfalten gesucht. Meine Absicht ging vorwiegend dahin, von der gewöhnlichen und fast allgemeinen Ansicht der kritischen Philosophie zu zeigen, daß sie der Dogmatismus selbst ist. Ich glaube hierin bei der Frage nach der Verbindung der Vorstellung mit ihrem Gegenstand die Stelle getroffen zu haben, die den Dogmatiker unter jeder Gestalt zum Bewußtsein seiner selbst führen kann. Diese Frage muß jedem wichtig vorkommen, der den transzendentalen Standpunkt der Kategorien nicht erreicht hat. Mit dieser Erreichung vergeht aber ihre Wichtigkeit, und ihre wahre Leerheit ist niemandem als dem Transzendentalphilosophen sichtbar. Der zweite Abschnitt stellt diesen transzendentalen Standpunkt dar. Die Einsicht in den Geist der Kategorien zu befördern, und so eigentlich den ursprünglichen Verstandesgebrauch selbst zu zergliedern, ist hierin mein Ziel. Der dritte Abschnitt enthält eine Beurteilung der metaphysischen Prinzipien der Naturwissenschaft, der Kritik der reinen, (spekulativen) Vernunft, der praktischen und der Urteilskraft. Diese Beurteilung sucht eigentlich zu zeigen, daß uns die ganze kritische Philosophie in allen ihren Behauptungen vollkommen aufgeschlossen ist, wenn wir uns jenes transzendentalen Standpunktes vollkommen bemächtigt haben. Endlich habe ich im vierten Abschnitt einen Kommentar des transzendentalen Teils der Kritik der reinen Vernunft gegeben, dessen Bestimmung eine Beurteilung der Methode und eine Beleuchtung der einzelnen Stellen dieser Transzendentalphilosophie ist, und zwar aus dem Standpunkt des ursprünglichen Verstandesgebrauchs entworfen.

Es scheint mir, daß die kritische Philosophie das Schicksal erfahren hat, das ihr unsterblicher Urheber vorher verkündete, daß nämlich eine Zeitlang alles beim Alten bleiben und das Ansehen haben werden, daß nichts vorgefallen sei. Denn wenngleich dieses System ziemlich geschwind ein großes Aufsehen machte, und dieses sich auch noch immerfort erhält, so bleibt doch alles beim Alten, solange es ihm nicht gelungen ist, die Denkart der Philosophen kritisch zu machen, wozu in Wahrheit etwas anderes erforderlich wird, als mancher sich einzubilden pflegt, der, indem er Spitzfindigkeiten auf Spitzfindigkeiten häuft und die subtilsten Unterscheidungen abermals unterscheidet, sich am Ende überredet, einen kritischen Idealismus zweiten Grades gefunden zu haben. Jenes Erforderlich ist durchaus nichts anderes, als der ursprüngliche Verstandesgebrauch in den Kategorien, auf dem lediglich aller logische Verstandesgebrauch, das ist: alles Verfahren mit Begriffen und die Ansicht der Kategorien als Begriffe beruhen muß, wenn wir uns darin verstehen sollen. Wenn ich aber ähnliche Veränderungen in der Denkart selbst, die, weil sie eigentlich Veränderungen des Standpunkts sind, aus dem wir die Dinge ansehen, sehr langsam allgemein werden, besonders dann, wenn sie mit Aufopferungen einer vermeintliche tiefen Weisheit verbunden sind, und den Widerspruch bedenke, den das Kopernikanische Weltsystem, oder die Newton'sche allgemeine Anziehung anfänglich erfuhr: so finde ich auch an der sehr langsam fortgehenden Umwälzung der dogmatischen Denkart in die wahrhaft kritische, der Ansicht unserer Erkenntnis, als einer Erkenntnis der Dinge ansich, in die der Erkenntnis der Erscheinungen, und zwar nicht allein in Anbetracht ihrer Verbindung, sondern auch ihrer Befestigung in jedem Individuum, eine sehr gewöhnliche Erscheinung. Aber ich halte mich überzeugt, daß wir der Verbreitung und Befestigung dieser Denkart, da einmal durch die kritischen Werke des großen KANT der Weg dazu so glücklich gebahnt worden ist, gewiß entgegen gehen.



Erster Abschnitt
Vorstellung der Schwierigkeiten,
in den Geist der Kritik einzudringen.


§ 1. Vorbereitende Anzeige des
zu behandelnden Gegenstandes

Was man auch für einen Begriff von derjenigen Wissenschaft, die man Metaphysik und spekulative Philosophie nennt, haben mag, so wird man doch der Meinung sein, daß zur Erbauung dieser Wissenschaft wohl nichts mehr nötig ist, als eine Beratung unseres eigenen Erkenntnisvermögens. Dasjenige, das allem, das Ding heißt, zukommen muß, kann nicht von der Erfahrung, auf dem Weg der Beobachtung, erhalten werden, und die besonderen Dinge, von welchen die Metaphysik uns zu belehren unternimmt, (Gott, Freiheit und Unsterblichkeit) sind offenbar von der Art, daß jene Weise der Erkundigung nicht eingeschlossen werden kann, uns zu Kenntnissen von ihnen zu verhelfen. Wenn man diese Überlegung anstellt, so muß es freilich befremden, daß eine Erkenntnis nicht schon früher zur Vollkommenheit gediehen ist, die doch ihrer natur nach anderswoher als aus uns selbst nicht geschöpft werden kann.

Indem wir nun im Allgemeinen die Schwierigkeiten anzeigen wollen, welche das Studium der Vernunftkritik aufhalten können, so stoßen wir auf einen Punkt, der gleichsam der allgemeine Irrstern ist, der nicht allein uns falsch leitet, wenn wir diese Kritik uns aufzudecken streben, sondern der auch, bis zur Erscheinung derselben, die Vernunft gehindert hat, sich selbst zu verstehen. Denn eine Anforderung glaube ich an jeden denkenden und gegen sich selbst aufrichtigen Mann mit allem Grund tun zu können, diese nämlich, zu gestehen, daß die Gedankenverbindungen, deren oft wundersamen Inbegriff er ein metaphysisches System zu nennen gewohnt gewesen ist, ihn doch auch nimmermehr befriedigten. Das Kriterium, daß wir richtig denken, das in der Vergleichung unserer Vorstellung von einem Gegenstand mit der Vorstellung anderer Menschen besteht, scheint in metaphysischen Angelegenheiten ganz unstatthaft zu sein, weil wir darin wohl auf keine einzige unserer Behauptungen das Vertrauen setzen können, daß sie uns allgemein werde zugestanden werden. Es gibt zwar zu diesem Fall ein Rettungsmittel, um unsere Meinungen in unseren Augen geltend zu erhalten, das in der Versicherung besteht, daß andere Leute uns nicht verstehen; aber wie wenig dasselbe auf die Dauer Dienste tut, wird vielleicht ein jeder aus eigener Erfahrung wissen. Wenn wir nur nach solchen Proben recht aufrichtig gegen uns selbst sein wollen, so werden wir am Ende immer finden, daß andere verständige Wesen uns nur darum nicht verstehen, weil wir mit uns selbst nicht fertig sind. Es ist aber auch wohl wahr, daß es seit langer Zeit nicht üblich gewesen ist, den Gegnern ein Mißverstehen unserer Behauptungen Schuld zu geben, als es in unseren Tagen ist; und insbesondere scheint diese Klage den kritischen Philosophen eigen zu sein. Daß auch diese Männer sich selbst des öfteren nicht verstehen, davon bin ich überzeugt. Bei einer solchen Bewandtnis der Dinge scheint aber jeder Versuch, seine Gedanken laut zu machen, im voraus schon ein fruchtloses Unternehmen zu sein.

Betrachtungen von dieser Art, über den Zustand der spekulativen Philosophie zu aller Zeit, und insbesondere über den Zustand derselben in unseren Tagen, müssen das Vertrauen auf die Richtigkeit eigener Einsichten in diesem Feld schwächen. Betreffen diese Einsichten auch nichts anderes als das Bekannte, ob wir die Dinge ansich oder nur ihre Erscheinungen erkennen, ob wir überhaupt einer Erkenntnis des Übersinnlichen fähig sind; enthalten sie Widerlegungen der Kritik, die auf nichts weiter als auf dem Satz des Widerspruchs beruhen, oder auch Verteidigungen ihrer Behauptungen, auch nur auf diesem diskursiven Weg geführt: so ist das Publikum schon so oft, und doch so fruchtlos mit solchen Dingen unterhalten worden, daß es gerecht verfahren würde, wenn es auf diese Händel weiter keine Aufmerksamkeit verwenden wollte. Der Verfasser dieser Schrift hat all das sehr wohl überlegt. Da er es nun gleichwohl wagt, seine Gedanken dem Publikum vorzulegen, so wird man vorläufig die Bestimmungsgründe, die ihn dazu bewegen, wissen wollen; da man aus diesem Vorspiel schon abnehmen kann, daß sein Gegenstand doch auch, auf welche Weise auch immer, mit der spekulativen Philosophie in Zusammenhang steht; so wird man ihn fragen, woher er denn sicher sei, daß er sich selbst versteht und seine Einsichten nicht auch bloß vermeintlich sind. Nun kann er zwar sogleich nichts anderes tun, als den Leser bitten, geduldig den Verlauf der Sache abzuwarten und sein Urteil bis dahin aufzuschieben. Um jedoch einigermaßen und vorläufig die Aufmerksamkeit des Lesers auf seinen Gegenstand zu lenken, so wird der Verfasser denjenigen Punkt, so gut als er kann, auseinander wickeln, den er für die Quelle aller Mißhelligkeiten der Philosophie hält. Die Kritik der reinen Vernunf hat denselben deutlich ins Auge gefaßt, und sie verdient auch lediglich deshalb den Rahmen, den sie führt, weil sie einen Standpunkt erreicht hat, aus welchem alle jene Verwirrungen der Vernunft zu übersehen sind, und die Vernunft auf demselben notwendigerweise sich selbst verstehen muß. Aber diese Kritik führt ihren Leser nur nach und nach auf diesen Punkt, den wir den Standpunkt des Verstandesgebrauchs nennen können. Da scheint nun zwar diese Methode die beste zu sein; allein sie führt die Unbequemlichkeit mit sich, daß nur derjenige Leser  den  Weg als zum Ziel führend ansehen wird, der sich dieses Ziels selbst schon vollkommen bemächtigt hat, und daß dagegen derjenige, der dieses Standpunktes noch nicht Meister ist, sich auch nicht leicht auf diesem Weg dahin erhalten kann, und folglich, gewissermaßen wie mit verschlossenen Augen, auf demjenigen Ort sich befinden wird, von dem, als dem höchsten, er sonst die Kritik mit aller Helligkeit erblicken würd. Die Kritik nennt diesen Standpunkt die  synthetische,  objektive Einheit des Bewußtseins.' Noch aber sind wir nicht so weit, daß wir jetzt schon unseren Leser in den ganzen Geist dieses Begriffs einführen könnten. So viel aber vernimmt derselbe schon, daß es hierbei notwendig ist, die Seelenkräfte zu sammeln, und daß, obgleich ich, wegen der sehr großen Klarheit meiner Einsichten in die Kritik und meiner Überzeugung von derselben, mit einer gewissen Zuversichtlichkeit versprechen darf, ihn sicher in dieselbe zu führen, es doch von seiner Seite notwendig ist, mit Ernst dabei zu verfahren, und, wenn er hierzu nicht entschlossen sein kann, ich allen Grund habe, ihn zu bitten, doch auch von der Beurteilung desjenigen, was ich vortragen werde, abzusehen; ihm aber zu zeigen, daß, wenn seine Vorstellungsart mit der meinigen nicht übereinstimmt, er sicherlich gar nichts in Anbetracht dieser Angelegenheiten weiß, er möge sich nun einen dogmatischen, skeptischen oder kritischen Philosophen nenne, er möge nun die Dinge ansich sowohl zu kennen vermeinen, daß er diese Kenntnisse auch aufzuzählen imstande ist, und noch so sehr von Indikationen dieser Wesen erfüllt sein, oder im Gegenteil überzeugt sein, daß alle unsere Erkenntnis einen unsicheren Boden hat, oder endlich noch so viel von analytischen und synthetischen Urteilen, von reinen Anschauungen und den Kategorien, von transzendentalen und transzendenten Begriffen zu sagen haben, - ihm zu zeigen, daß er von dem allen gar nichts wisse: das soll mir hoffentlich nicht schwer fallen.


§ 2. Der Begriff von einem Band zwischen der Vorstellung
und ihrem Gegenstand,sofern derselbe kein Objekt hat,
ist die Quelle aller Irrungen der spekulativen Vernunft.

Was kann wohl wundersamer sein, als die Behauptung, daß ein gewisser Begriff uns beständig im Sinn liegt, wenn unser Erkenntnisvermögen tätig ist, und daß alle unsere Vorstellungen nur insofern etwas vorstellen, als wir mit diesem Begriff umgehen, und daß doch derselbe durchaus leer ist und gar kein Objekt hat? Gleichwohl verhält es sich doch wirklich so mit dem Begriff der Beziehung unserer Vorstellungen auf Objekte. Denn dieses  ich beziehe meine Vorstellung auf einen Gegenstand,  ist gleichsam der Text aller meiner Erkenntnisse. Vertauschen wir diesen Ausdruck mit dem:  meiner Vorstellung korrespondiert ein Gegenstand,  oder  sie ist objektiv gültig,  so scheint es, daß der Sinn dieser gleich bedeutenden Ausdrücke dadurch hervorgehoben wird. Je mehr wir aber unsere Aufmerksamkeit auf diese Zusammenstimmung unserer Vorstellungen mit den Objekten wenden, desto verlegener müssen wir selbst bloß in Anbetracht des Sinns dieser Aussage werden. Denn ich frage, was in aller Welt soll es heißen: meine Vorstellung stimmt mit ihrem Gegenstand überein; die Vorstellung und ihr Objekt sind doch voneinander ganz verschieden. Dennoch wird gesagt, daß sie in einer Verbindung stehen. Ich frage aber, welches ist diese Verbindung, und da sehe ich nicht ab, wo das Objekt für diesen Begriff zu erhalten ist. Worin will man das Band zwischen der Vorstellung und ihrem Gegenstand setzen? Sagen, daß uns die Gegenstände affizieren, und dadurch die Vorstellungen hervorbringen, ist soviel als nichts gesagt. Denn die Frage nach der Verknüpfung der Vorstellung mit ihrem Objekt müßte selbst schon beantwortet sein, wenn die Vorstellung von einem verursachenden Objekt objektiv gültig heißen soll. Diese Korrespondenz der Vorstellungen mit ihren Gegenständen eine Beziehung zu nennen, hilft auch zu nichts. Denn, was will man damit sagen, daß die Vorstellungen die Zeichen der Objekte sind? Ein Verhältnis unter den Vorstellungen, demjenigen, das zwischen den Objekten ist, entsprechend setzen, das würde ganz und gar keinen Sinn haben. Demnach hat der Begriff von der Verbindung zwischen der Vorstellung mit ihrem Gegenstand kein Objekt und ist also ein gänzlich leerer Begriff.

Es kann daher wohl nicht geleugnet werden, daß das Verfahren des Idealisten, der alle Verbindung der Vorstellungen mit ihren Gegenständen leugnet, sehr philosophisch ist. Die dogmatischen Philosophen behaupten eine solche Verbindung und können sie auf keine Weise anzeigen. Wer den Einfall hat, den Idealismus zu widerlegen, bemerkt den wahren Punkt desselben nicht. Es kommt hier nicht darauf an, den Begriff von der Vorstellung auf gewisse Weise zu zergliedern, und es kann nicht Genüge tun, auf jene Frage zu antworten, daß es schon in diesem Begriff liegt, daß die Vorstellung ein Objekt vorstellt. Denn da die Vorstellung von einem Gegenstand doch nicht das Objekt selbst ist, so bleibt doch immer die Frage übrig, was denn das Band ist zwischen der Vorstellung mit ihrem Gegenstand. BERKELEY leugnete daher mit allem Recht die Existenz der Dinge im Raum. Denn diese leugnen, oder die Zusammenstimmung der Vorstellungen mit ihren Objekten leugnen, ist eben dasselbe. Man kann daher wohl sagen, daß der dogmatische Idealismus noch bei weitem vernünftiger ist als der bloß problematische. Denn jene Frage recht angesehen, erlaubt keinen Zweifel, daß die Verbindung der Vorstellungen mit ihren Gegenständen etwas ganz Imaginäres ist, und dieser Begriff schlechterdings gar kein Objekt hat. Um also sagen zu können, daß meine Vorstellung von einem Gegenstand einen Gegenstand hat, (ihr ein Objekt korrespondiert) müßte ich notwendig das Objekt für den Begriff der Verbindung der Vorstellungen mit den Gegenständen anzeigen können. Der Idealist begeht bloß dann eine Inkonsequenz, wenn er das  Ich bin  für unzweifelhaft gewiß ausgibt. Denn da dieses  Ich bin  sich doch auch wieder in Übereinstimmung der Vorstellung von mir selbst mit meinem Subjekt auflöst, so bleibt die Frage in ihrem ganzen Gewicht: was ist das Band zwischen der Vorstellung von mir und meinem Subjekt selbst?

Ich wünsche, daß man doch einmal diesen Idealismus in seiner ganzen Energie recht fühlen möchte. Denn eine aufrichtige Aufdeckung seiner Stärke und Unwiderlegbarkeit aus dem Gesichtspunkt der dogmatischen Philosophie ist, wie der Verlauf am besten lehren wird, der erste Schritt, den Geist des kritischen Idealismus zu fassen. Worüber vielfältig in unseren Tagen gehandelt worden ist, ist die Frage, ob wir die Dinge ansich oder ihre Erscheinungen erkennen. Ohne im geringsten den Verdiensten der würdigen Männer zu nahe treten zu wollen, welche dieselbe so oder anders entschieden haben, muß ich doch gestehen, daß ich sehr selten den eigentlichen kritischen Idealismus dargestellt gefunden habe. Ich kann der Entwicklung, die ich geben werde, jetzt nicht vorgreifen. Vorläufig will ich nur erinnern, daß sowohl der Dogmatismus wie auch der Idealismus nicht aus dem Standpunkt der kritischen Philosophie das Verhältnis der Objekte zum Erkenntnivermögen beurteilen. Dieser BERKELEY'sche Idealismus leugnet daher mit allem Recht die Verbindung der Vorstellungen mit den Objekten, weil eine solche Verbindung wirklich nichts ist. Mit der dogmatischen Philosophie hat er es also gänzlich gemein, daß er die Erkenntnis der Dinge ansich im Sinne und von der Erkenntnis der Gegenstände als Erscheinungen auch nicht die geringste Vorstellung hat. Denn um die Vernunft auf diese Stelle zu führen, auf der sie ganz allein sich selbst verstehen und mit sich selbst 
einig werden kann, mußte die tiefe Untersuchung der Kr. d. r. V. des  ursprünglichen  Vorstellens geschehen. Der wahre Grund aller vermeintlichen Wissenschaft des Übersinnlichen besteht darin, daß man von jeher über das diskursive Vorstellen nicht hinausging, und man niemals dasselbe als ein bloß abgeleitetes, welches in einem ursprünglichen Vorstellen gegründet sein muß, betrachtete, das ist, daß man vor der Erscheinung der Kritik niemals auf eine Transzendentalphilosophie geraten ist. Denn man denke doch ja nicht, daß die Versuche eines LOCKE und LEIBNIZ auch nur im Geringsten auf dieses Ziel hingingen. Es ist aber auch ganz gewiß, nur muß der Leser Geduld haben, bis wir ihn tiefer in die Sache führen, daß, sofern man nicht seinen Blick auf das ursprüngliche Vorstellen wendet, und im bloß abgeleiteten, diskursiven Vorstellen die letzte Quelle aller Erkenntnisse zu finden meint, diese Denkart ist gerade diejenige, nach welcher man die Dinge ansich zu kennen sich überredet, und daß, sofern man den Standpunkt einer Transzendentalphilosophie, (die synthetische, objektive Einheit des Bewußtseins) nicht vollkommen erreicht hat, man nimmermehr den Gegensatz ergründen wird, was es nämlich heißt  wir erkennen die Dinge nur sofern sie uns erscheinen.  Es ist ganz natürlich, diese Behauptung der Kritik dahin auszulegen, daß sie der BERKELEYsche Idealismus selbst ist, wonach all unser Erkennen nichts als ein bloßes Träumen ist. Denn wie anders kann wohl die eigene Aussage der Kritik, daß die Gegenstände unserer Erkenntnis nicht die Dinge ansich, sondern bloße Vorstellungen sind, verstanden werden? Hier ist noch nicht der Ort, dem Leser den Begriff von Erscheinung auseinander zu legen, weil diese Auslegung mit der Auschließung des ursprünglichen Vorstellens einerlei ist, und wir noch für nötig achten, ihm noch vorher diese Handlung bloß anzudeuten und ihn auf die Verwirrung aufmerksam zu machen, die aus der Unterlassung einer transzendentalenn Überlegung notwendigerweise entstehen muß.

Soviel aber wird der Leser hier wohl bemerken, daß wir vom Begriff einer Verbindung der Vorstellung mit dem Gegenstand bloß insofern haben behaupten können, daß derselbe leer ist, als die Vorstellung lediglich diskursiv und in keiner ursprünglichen gegründet ist, welches nichts anderes ist, als sofern in der Vorstellung das Ding ansich vorgestellt wird. Keine andere Ansicht hatte aber BERKELEY, und seine Behauptung, daß zwischen der Vorstellung und ihrem Gegenstand keine Verbindung ist, ist daher unter derselben gänzlich unwiderlegbar. Wenn wir nun in der Kritik eine Widerlegung dieses BERKELEYschen Idealismus antreffen, so müssen wir nicht glauben, daß dieselbe das Gegenteil darstellt, daß es nämlich wirklich eine Verknüpfung zwischen der Vorstellung und ihrem Gegenstand, dem Begriff gemäß, den BERKELY und die dogmatische Philosophie von einer solchen Verbindung haben, gebe; denn dieselbe ist schlechterings gar kein Objekt: aber, nachdem die Kritik das höchste Prinzip aller Philosophie und des gesamten Verstandesgebrauchs ausgemittelt hat, so muß derjenige, der dasselbe, nämlich die synthetische objektive Einheit des Bewußtseins, seinem ganzen Sinn nach, aufgefaßt hat, begreifen, daß es allerdings ein Band gibt zwischen der Vorstellung und ihrem Gegenstand, nicht aber einer Vorstellung, sofern sie als bloß diskursiv, ohne alle Hinsicht auf ein ursprüngliches Vorstellen, so bestimmt ist, sondern sofern im ursprünglichen Vorstellen selbst dieses Band liegt, und in der Tat jene synthetische Einheit dasselbeb ausmacht.

In diesem Paragraphen haben wir bloße die Quelle der Irrungen, einer jeden aufs Spekulative gerichteten Philosophie, sofern sie keine Transzendentalphilosophie ist, anzeigen wollen. Diese besteht, eben bei der Ermangelung eines transzendentalen Standpunkts, in der gänzlichen Vorbeigehung des ursprünglichen Vorstellens, und also darin, daß man im bloß diskursiven Denken die Beziehung unserer Vorstellung auf Objekte, das ist aber die Verbindung zwischen beiden, finden will. Solange wir aber dieses Standpunkts uns nicht gänzlich bemächtigt haben, so wird es nicht fehlen, daß uns auch die kritische Philosophie in allen ihren Behauptungen unverständlich bleiben wird. Ohne uns auf diesem Punkt zu befinden, können wir uns wohl an ihre Sprache gewöhnen, aber ein Schleier wird unser Auge decken, so daß, obgleich wir im Licht wandeln, wir doch die Gegenstände nicht sehen werden, die uns umgeben. Kurz, diese Philosophie muß uns sonst, wenn wir nur gestehen wollen, gänzlich das Ansehen eines jeden ihr vorher gegangenen Systems haben, daß sie nämlich leere Behauptungen aufeinander häuft und am Ende ein anderes System abwartet, das ihr eine Stelle, auch lediglich in der Geschichte menschlicher Versuche, lassen wird. Dies zu zeigen, wollen wir uns noch angelegen sein lassen. Wir wollen nämlich die gänzliche Unverständlichkeit und die Widersprüche vorzestellen suchen, in denen die Kritik befangen zu sein scheinen muß, einem jede, der nicht den Standpunkt erreicht hat, aus dem sie einzig beurteilt werden kann.
LITERATUR - Jakob Sigismund Beck, Einzig möglicher Standpunkt aus welchem die kritische Philosophie beurteilt werden muß, Riga 1796