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ALOYS FISCHER
Die eleatische Schule
"Es ergibt sich, daß es nicht die Wirklichkeit ist, die wir sehen und hören, sondern daß unser Blick sich täuscht."

"Die Zahl hat gar keine Seinsbeschaffenheit, sondern beruth auf einer Relation zu einer willkürlichen Maßeinheit. Es ist also auch kein Widerspruch, wenn dieselbe Menge mit der einen Maßeinheit gemessen, unendlich, mit einer anderen endlich wird."

HERAKLEITOS hat die erfahrungsgemäße Veränderlichkeit der Dinge konsequent durchdacht und mit dem Satz geschlossen, daß das Weltwesen selbst Veränderung, Entwicklung sein muß.  Relative  Dauer und Ruhe erscheinen ihm dadurch nicht ausgeschlossen, wie er überhaupt den strengen Begriff der absoluten stetigen Bewegung mehr geahnt, als analysiert hat.

Die logischen und ontologischen Schwierigkeiten dieses Grundbegriffs werden zum vorwärtstreibenden Motiv. Das Seiende kann nicht ein Werdendes sein; mögen die Sinne Veränderung und Genesis bezeugen, das Denken erlaubt nur die Disjunktion: A ist oder ist nicht, tertium non datur; man kann nicht sagen: A wird. Das Wort "Sein" schließt unveränderlichen Bestand ein; überall, wo er fehlt, kann auch nicht von wahrem Sein gesprochen werden. Es sind die mit dem Namen der phokäischen Kolonie Elea in Süditalien verknüpften tiefsten vorplatonischen Spekulationen des PARMENIDES und seiner spitzfindigen, freilich mißverstehenden und bereits auf den Geist der Sophistik hinweisenden Interpreten ZENON und MELISSOS, in denen das von HERAKLEITOS und XENOPHANES ins Rollen gebrachte Problem bearbeitet wird.

PARMENIDES aus Elea war durch den Umgang mit den Pythagoreern, von denen AMEINIAS namentlich bekannt ist, für die Beschäftigung mit Philosophie gewonnen worden; von ausschlaggebendem Einfluß aber wurden die Lehren des XENOPHANES; seine Theorie knüpft jedenfalls an den Grundgedanken des XENOPHANES an, während seine Lebensführung, bei den Griechen ebenso sprichwörtlich wie die des PYTHAGORAS, wohl durch die Reinheit und Einfachheit seiner pythagoreischen Lehrer ihr Gepräge erhalten hat. Vornehmer Abkunft hat er übrigens über der Philosophie keineswegs die Hauptbeschäftigung des griechischen Adeligen, die politische Wirksamkeit verachtet oder vernachlässigt; er wird der Gesetzgeber seiner Vaterstadt genannt. Im ganzen Altertum war er als Denker, Stilist und Charakter hoch angesehen; PLATON hebt die gewaltige Tiefe des Ehrfurcht einflößenden Mannes hervor. Die Blüte des Philosophen wird um 504 angesetzt.

Als Quellen für die Kenntnis der eleatischen Philosophie kommen in erster Linie die Fragmente in Betracht, für PARMENIDES im ganzen 163 vollständige oder angefangene Hexameter; dann, wenn auch mit Vorsicht zu benützen, die Berichte und Polemiken in der angeblich aristotelischen Kampfschrift "de Xenophane, Zenone, Gorgia" und in einigen platonischen Dialogen.

PARMENIDES hat den Gedanken der Einheit, Unwandelbarkeit und unpersönlichen Geistigkeit des Seienden, der den Kern des Gottesbegriffs bei XENOPHANES ausgemacht, ohne mythologische Einschläge rein konzipiert, ohne theologische Floskel ausgedrückt. Die Grundgedanken und der Aufbau seines Werkes können noch rekonstruiert werden; ich schicke deshalb der Darstellung der Lehre eine Skizze der Architektur des Gedichtes voran, freilich unter Verzicht auf den bis auf die Zeit des Stoikers KLEANTHES einzigartigen Schwung des Ausdrucks.

Den Eingang bildet eine Fiktion: Sonnenmädchen geleiten den Wagen auf seiner Erkenntnisfahrt bis zum Tor, das Tag und Nacht scheidet. Eingefallen in das Tagreich der Erkenntnis steht er vor der Göttin der Wahrheit, die ihm beides enthüllt: der wohlgerundeten Wahrheit unerschütterliches Herz und der Sterblichen Wahngedanken, ihn auch die Methode der Erkenntnis lehrt, den Sinnen zu mißtrauen und alles mit dem Denken zu prüfen. An dieses, in glühenden Bildern schwelgende Proömium [Vorspiel - wp], in welchem sich das Selbstbewußtsein eines Denkers ausspricht, der der Philosophie einen neuen Pfad weist, schließt sich dann die Lehre. Der erste Teil entwickelt vom Seinsbegriff aus das Seiende und seine Merkzeichen, der zweite Teil resümiert und wertet das Wirklichkeitsbild der Erfahrung. Bei der Darlegung des Inhalts dieser beiden Teile möchte ich mich an den inneren Zusammenhang der Gedanken halten, nicht kommentierend die einzelnen Fragmente begleiten.

Die Philosophie strebt nach Erkenntnis des Seienden; ob es ein solches gibt, einen metaphysischen Kern der Welt, kann erst gefragt werden, wenn unwidersprechlich feststeht, welche Beschaffenheit das Seiende als solches an sich tragen muß. Das Seiende als solches muß  sein,  muß alle diejenigen Beschaffenheiten besitzen, die im Begriff des Seins gedacht sind. Die Überzeugung, daß nur das Seiende ist, kehrt deshalb refrainartig immer wieder, meistens ergänzt durch den Gegensatz: das Nicht-Seiende ist nicht. Diese Sätze verlieren das Tautologische des ersten Eindrucks, wenn wir selbstdenkend fragen: was heißt  sein?  Was ist damit gesagt? Der einzelne Gegenstand A "ist" rechts und "ist nicht" rechts, je nach dem Standpunkt, "ist" groß und "ist nicht" groß, ja nach dem Maßstabe, "ist" rot und "ist nicht" rot, je nach der Phase seiner Existenz; er kann seine Farbe einbüßen, anders angestrichen werden. Angesichts solcher Relativität, erhebt sich die Frage: Wie beschaffen ist denn der Gegenstand nun wirklich, dauernd und endgültig? Welches ist der Sinn des Seins? PARMENIDES bestimmt ihn so, daß es Veränderung und Wechsel, Anfang und Ende ausschließt. Was ist, ist; es ist unmöglich, daß es nicht sei; was so ist, ist so und bleibt so, wie es ist; es ist unmöglich, daß es nicht sei; was so ist, ist so und bleibt so, wie es ist; änderte es sich, so wäre die Änderung eben ein Beweis, daß die vorher vorhandene Qualität nicht zum Sein des Dinges gehört hat. Wir von unserem Standpunkt aus dürfen bezweifeln, daß man Dinge, deren Sein zeitlich begrenzt ist, deshalb als wesenlosen Schein zu betrachten berechtigt ist, aber für PARMENIDES waren zeitlose Dauer und Identität die wesentlichen Momente im Seinsbegriff.

Das Sein ist die einzige Bestimmtheit des Seienden. Indem PARMENIDES die in seinem extremen Seinsbegriff enthaltenen Momente substanzialisiert, kommt er zu allen weiteren Merkmalen des Seienden. Das Seiende ist eines; es gibt numerisch nur eine Wirklichkeit und diese ist auch in lückenloser Kontinuität von einerlei Qualität, homogen; wie es nur einen Begriff des Seins gibt, kommt das Sein gradlos in gleicher Weise allem Seienden zu. Daß es nicht mehreres Seiendes gibt, etwa vier Wurzeln der Dinge, wie EMPEDOKLES lehrt oder viele Qualitäten, wie die Sinne bezeugen, rief den meisten Widerspruch hervor und veranlaßte ZENON zu Beweisen gegen die Vielheit des Seienden. Spätere Interpreten haben die Einheit des Seienden enthymematisch [selbstwidersprechend - wp] abgeleitet: Gäbe es etwas neben oder außer dem Seienden, so könnte es nur ein Nichtseiendes sein, ein Nichtseiendes ist aber nicht, zu "nichts" kann man niemals das Prädikat "sein" setzen, es gibt also nur das als solches  eine  Seiende. Wie es eines ist, ist es ewig und unzerstörbar, zeitlos im Jetzt; man kann vom Seienden nicht sagen, "es war" noch, "es wird sein", sondern nur "es ist"; in polemischer Wendung: es ist nicht entstanden oder geschaffen aus Nichts. Es ist wandellos, quantitativ und qualitativ konstant, einer wohlgerundeten Kugel vergleichbar, welche sich vom Mittelpunkt aus gleichmäßig kontinuierlich mit gleicher Kraft entfaltet und abschließt.

Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, daß diese mehr formalen Seiten des Absoluten uns über die entscheidende Frage nach seiner Qualität im Unklaren lassen; dieselben Merkmale haben auch die Milesier für ihren doch wesentlich materiell gedachten Weltgrund reklamiert. und wenn XENOPHONES aus dem Zwiespalt zwischen persönlicher und unpersönlicher Fassung seines Gottes auch zu keiner eindeutigen Schlußposition kam, daß er - wie HERAKLEITOS sein Weltfeuer - seinen einen Gott ganz Geist und Denkkraft nennt, zeigt wenigsten die Richtung an, in der er die Qualifikation des einen Seienden gesucht hat. Auch hierin ist ihm PARMENIDES gefolgt, aber mit entschiedener Ablehnung aller mythologischen Personifikationen des Weltgrundes. Das Denken lehrt uns, wie etwas beschaffen sein muß, das in Wahrheit seiend genannt werden kann; es muß alle Vergänglichkeit und Veränderlichkeit abwehren; das Denken verbürgt uns zugleich, daß es ein solches Seiendes gibt, den Begriff des Seins, der überzeitlich und unwandelbar stets denselben Sinn hat. Die in der Anschauung der Sinne erfaßte äußere Erfahrung gibt kein Seiendes; Unwandelbarkeit findet sich auch nicht in den psychischen Erlebnissen, sondern nur in den allgemein und zeitlos gültigen Erkenntnissen der Vernunft. Von da gelangt er auf einem freilich schwer verständlichen und nicht einwandfreien Weg zur Qualifikation des Seienden als geistig und vernünftig.

Weil nur Unwandelbarkeit wahres Sein ist, von allen Dingen aber nur die Begriffe der Vernunft sich als unwandelbar erweisen - was wahr ist, ist ein für allemal wahr - so muß das Seiende partizipieren an der Natur der Vernunftbegriffe, selbst Vernunft, Geist sein. "Denken und Sein sind dasselbe", "das Denken und dasjenige, worauf als Ziel das Denken sich bezieht, sind eins." Die Worte sind nicht eindeutig. Gemeint ist zunächst die Tatsache, daß das Seiende ja den gegenständlichen Inhalt des Denkens bildet. Dem Gültigen oder Richtigen in der Sphäre des Logischen korrespondiert das Seiende, Bestehende in der Sphäer der Gegenstände und Sachverhalte. Schließlich schält sich dann als letzte Fassung heraus, daß dasjenige, was wir denken, das Allgemeine, bei aller Verschiedenheit der urteilenden Personen, Orte und Zeiten Identische, eben das Seiende ist. Die metaphysische Wendung vollzieht sich dann dadurch, daß das Seiende, weil es ein Gedachtes ist, nur in seiner Eigenschaft als Gedachtes Identität und Unwandelbarkeit besitzt, notwendig auch Denken sein muß. Das Nämliche, das Identische ist sowohl Denken wie Sein.

Es sind sehr schwierige Überlegungen nötig, wie sie erst durch die neueste Entwicklung der Phänomenologie der Erkenntnis möglich wurden, um die Verkennungen und Unterschiebungen aufzuzeigen, die sich hier mit richtigen Einsichten verschlingen. Wir müssen die Wahrheit oder Gültigkeit von Urteilen, die Richtigkeit von Begriffen aufs schärfste trennen vom Bestehen der gemeinten Sachverhalte und der Beschaffenheit der gemeinten Gegenstände und diese Bestände wieder abheben, unterscheiden vom Real-sein der Gegenstände und Merkmale. Die eigenartige Beziehung des Denkens auf das Sein schafft nicht das Sein und verändert es nicht, schließt auch nicht Wesensgleichheit des Denkens und des Seins ein. Das Sein, das im Denken erfaßt wird, ist durchaus nicht Realität im Sinne der Erfahrungswissenschaften.

PARMENIDES löst das Seinsproblem vom Seinsbegriff aus. Im Seinsbegriff ist Identität, Wandellosigkeit, Ewigkeit intendiert. Nur dasjenige, was unter diesen Seinsbegriff fällt, hat auch objektives Sein; das, was von diesem Seinsbegriff ausgeschlossen ist, entbehrt damit der objektiven Existenz. Vom strengen Seinsbegriff ausgeschlossen ist das Sein derjenigen Dinge, die Veränderungen zeigen, also dar auch all das, was Veränderungen zeigt, nicht als objektiv wirklich gesetzt werden. Unrecht haben alle, welche einfach die Welt der Erfahrung für Wirklichkeit halten, Unrecht auch alle, welche das Werden für Wirklichkeit halten, wie HERAKLEITOS. Die Welt, in der es Vielheit, Unterschiede, Veränderung und Werden gibt, ist eine Scheinwelt. Es ist vor allem dieser Widerspruch gegen das Weltbild der Erfahrungswissenschaften, den man aus der Philosophie des PARMENIDES heraushörte, der den Fortgang der Spekulation bestimmt.

Im zweiten Teil seiner Naturphilosophie behandelt er die vulgäre physikalische Auffassung des Seins; dabei scheint er einen dem Gegensatz des Warmen und Kalten nachgebildeten Doppelursprung der empirischen Dinge aus Licht und Finsternis angenommen zu haben, vielleicht den Luftraum und die Schwere der materiellen Masse. Mit diesen beiden Prinzipien entwickelt er eine schwer verständliche Kosmogonie einander umschließender Hohlkugeln, in der die Erde als Mittelpunkt zunächst von der Luft, diese vom Fixsternhimmel, dieser von einem reinen Feuerkranz umschlossen gedacht war. Auch die organischen Wesen sind Mischungen aus Wärme und Kälte. Und endlich scheint er, ähnlich wie EMPEDOKLES, PLATON und THEOPHRASTOS, auch die Wahrnehmung durch die Wirksamkeit der Urstoffe erklärt zu haben: Das Warme  in  uns nimmt das Warme  um  uns wahr und alles Seiende hat eine gewisse Erkenntnis. Wir wissen heute, daß er mit dieser Kosmogonie nur "der Sterblichen Wahngedanken" darstellen wollte, aber leider überliefert kein Fragment, wie er diese vulgäre physikalische Weltanschauung widerlegt hat.

Ein Rückfall aus der Metaphysik in die Naturwissenschaft hat sich bei den Ausläufern der eleatischen Schule ZENON und MELISSOS vollzogen. Ihre Lehren enthalten nichts Neues; sie wollen strenge Beweise für PARMENIDES entwickeln und haben ihn, bei genauem Zusehen, völlig mißverstanden. So sind ihre Gedanken, obgleich nach anderer Richtung fruchtbar, in der Geschichte der Metaphysik ein blind endiger Abweg.

ZENON aus Elea war nach der Schilderung PLATONs ein stolzer, hochgewachsener Mann, eine kampffrohe Natur, als psychologischer Typus ein Vorläufer der Sophisten. Er wollte mit seiner Schrift den Spöttern des PARMENIDES mit gleicher Münze heimzahlen und den Nachweis erbringen, daß der naive Glaube an eine Vielheit des Seienden und an die Bedingungen derselben, die Realität von Raum, Zeit und Bewegung noch lächerlicher sei, als die Einheitslehre. Man muß aus dieser intellektuellen Rachestimmung heraus die scharf gespitzten Argumente verstehen. Es ist unbegreiflich, weshalb ihn eine spätere Zeit zu den Erfindern der Dialektik rechnete. Als Kämpfer ist er schließlich zugrunde gegangen, wie es scheint in eine politische Schwörung verwickelt. Seine Standhaftigkeit unter beispiellosen Qualen wurde hochgerühmt. Seine Hauptzeit liegt um 460.

PARMENIDES hatte vom Ansich der Welt gesprochen, es eine unveränderliche Einheit genannt. ZENON griff das Wort auf, daß das Seiende  eines  sei, aber er verstand es von der empirischen Welt, die den Sinnen zugänglich in der Erfahrung sich aufbaut. Der Beweis, daß es in dieser empirischen Welt weder Vielheit noch Raum, Zeit und Bewegung gebe, kann sich angesichts der Anschauungstatsachen nur mit Sophismen und dialektischen Bedeutungsverschiebungen erbringen lassen. So berechtigt es sit, das Ansich der Welt als raum- und zeitlose Einheit zu denken, wie KANT gezeigt hat, so falsch wird diese Position, wenn man dem metaphysisch Wirklichen die Wirklichkeit der Naturwissenschaften substituiert.

ZENONs berüchtigte Beweise sind in kurzer Skizze folgende.

1.  Es gibt keine Vielheit.  Gäbe es vieles Seiendes, so müßte es der zahl nach endlich und unendlich sein; endlich, weil es doch nur sovieles Seiendes gibt, als es gibt; unendlich, weil zwischen den einzelnen Teilen immer wieder Seiendes ist, m.a.W. weil das Seiende als Kontinuum unendlich teilbar ist. Aus diesem Widerspruch folgt, daß das Seiende nicht vieles, sondern nur eines ist. Das Argument übersieht, daß die Zahl ja gar keine Seinsbeschaffenheit ist, sondern auf einer Relation zu einer willkürlichen Maßeinheit beruht; es ist also auch kein Widerspruch, wenn dieselbe Menge mit der einen Maßeinheit gemessen, unendlich, mit einer anderen endlich wird.

Wenn vieles ist, lautet ein zweites Argument gegen die Vielheit, muß es zugleich größenlos klein und unendlich groß sein; größenlos klein, weil jedes Einzelne, um Einheit zu sein, unteilbar sein muß, Unteilbarkeit nur das Größenlose besitzt; unendlich groß, weil es, um überhaupt zu sein, Ausdehnung haben muß - das Ausdehnungslose ist nichts, ist nicht - jede Ausdehnung aber aus unendlich vielen Teilen besteht, eine unendliche Summe ausgedehnter Teile notwendig ein unendlich Großes ergibt. Die Fehler dieses zweiten Arguments liegen auf der Hand: die Gleichsetzung des Wesen der Einheit mit der Unteilbarkeit und dieser mit der Größenlosigkeit, dann die Behauptung, daß unendlich Vieles auch unendlich Großes ergeben müsse. Daß eine unendliche Reihe einen endlichen Wert nicht überschreitet, gehört heute zu den Elementareinsichten; die Reihe 1/2 + 1/4 + 1/8 + ... büßt ihre Unendlichkeit nicht ein, obgleich ihre Summe niemals größer sein kann als der endliche Wert 1.

2.  Es gibt keine Bewegung.  Nach ARISTOTELES hat ZENON 4 Beweise gegen die Realität der Bewegung gerichtet; sie beruhen alle darauf, daß unter Verkennung der Anschauung, die uns Raum, Zeit, Bewegung und Qualität als Kontinua gibt, die gedanklich mögliche unendliche Teilbarkeit in eine reale unendliche Geteiltheit, in ein Bestehen aus unendlich vielen Teilen umgedeutet wird. Die Argumente lauten einzeln folgendermaßen:

Eine Bewegung kann nicht beginnen; ein Vorsprung, wie ihn die Schildkröte vor dem schnellfüßigen ACHILLES voraus hat, niemals eingeholt werden. Denn um eine auch noch so kleine Strecke zurückzulegen, muß der bewegte Körper erst die Hälfte derselben durchlaufen haben, vorher die Hälfte der Hälfte usw. Zur Bewältigung unendlich vieler Strecken ist aber eine unendlich lange Zeit erforderlich. Das Argument übersieht, daß eine Raumstrecke, die wir gedanklich ins Unendliche teilen können, doch eine abgeschlossene Größe besitzen, eine Zeitstrecke, ebenso unendlich teilbar, Sekundenkürze haben kann, daß wir also die zu Beginn der Bewegung, zur Einholung des Vorsprungs nötige "unendliche" Zeit zur Verfügung haben.

Der fliegende Pfeil ruht, denn er befindet sich in jedem Augenblick seiner Flugzeit an einem und nur einem Ort seiner Flugbahn, an einem Ort sein heißt aber ruhen. Drastischer treten die Verkennung des Sinns der Bewegung und das Spiel mit Worten in dem Fangspiel hervor, das den gleichen Zweck verfolgt wie der fliegende Pfeil. Bewegt sich ein Ding im Raum, in dem es ist? Sagt man ja, so wird gefolgert: dann bewegt sich das Ding nicht, denn in seinem Raum sein heißt ruhen. Sagt man nein, so wird gefolgert: also bewegt sich das Ding in einem Raum, in dem es noch nicht ist. Diese Möglichkeit wird als einsichtig unsinnig abgelehnt und resümiert: also bewegt sich das Ding überhaupt nicht. Indem hier Raum und Zeit, diese allerding gedanklich bis ins Unendliche teilbaren Kontinua in Diskontinua umgedeutet werden, in Reihen unabzählbarer, aber diskreter Elemente mit Zwischenräumen und indem überdies der anschauliche Sinn der Bewegung verkannt wird, die kontinuierlicher Übergang ist, entsteht die Aporie des Fangspiels.

Ein letztes Argument bekämpft die Bewegung durch die unsinnige Konsequenz, daß der halbe Zeitabschnitt dem ganzen gleich sein müsse. Ein Körper läuft an einer Reihe von anderen Körpern mit gleichen Abständen und einer gegebenen Gesamterstreckung in der Zeit  t  vorbei, wenn diese Körper ruhen; er läuft dagegen in der Zeit t/2 an ihnen vorbei, wenn sie, mit gleicher Geschwindigkeit wie er selbst, sich gegen ihn bewegen. ZENON läßt hier geschickt die gleiche Zahl der Körper, an denen in beiden Fällen vorbeigelaufen wird, als Gleichheit der durchlaufenen Strecke erscheinen.

3.  Es gibt keine Wahrnehmungsqualitäten.  Ein Hirsekorn bringt durch seinen Fall kein Geräusch hervor; wie kann ein Scheffel Geräusch erzeugen? Wie können 10 000 geräuschlose Vorgänge sich zu einem Schall summieren? Ist das nicht das Wunder der 10 000 Nullen, die addiert plötzlich eine reelle Größe ergeben sollen? Das hier vorliegende Problem, von LEIBNIZ wieder aufgenommen, hat erst in der modernen Psychologie der Schwellenwerte eine Lösung gefunden. Auch eine beliebige Qualität, nicht nur Raum und Zeit, kann in denkender Analyse zerstückt, unter die Größe der Wahrnehmbarkeit aufgeteilt werden, ohne daß das anschauliche Phänomen sich jemals aus unanschaulichen Atomen zusammensetzen läßt.

ZENONs Tendenz ging dahin, die naive Wirklichkeitsauffassung, Vielheit, Bewegtheit und Veränderlichkeit des Seienden zu zerfasern und in Aporien sich selbst ad absurdum führen zu lassen. Der Weg, den er einschlug, erinnert an KANTs Antinomien, insofern er unter Voraussetzung realer Vielheit und realer Bewegung entgegengesetzte Möglichkeiten als gleich wahrscheinlich zeigen zu können meint. Seine Absicht war, dadurch die Lehre des PARMENIDES vom Seienden als einem unteilbaren Ganzen zu stützen. Allein er mißversteht das Seiende des PARMENIDES selbst; würde sich nicht die Mühe gegeben haben, so zweifellose Tatsachen, wie es Raum, Zeit, Bewegung und Vielheit in der Erfahrungswelt sind, nur als Schein, als Täuschung nachzuweisen, wenn er nicht im Grunde die Erfahrungswirklichkeit für das von PARMENIDES gemeinte Reale gehalten hätte. Am Problem, das PARMENIDES eigentlich offen gelassen hat, ist er unsehend vorbei gegangen: nämlich wie ein raum- und zeitloses An sich in Raum, Zeit, Vielheit und Veränderung erscheinen kann infolge der menschlichen Erkenntnisorganisation.

Der letzte Vertreter eleatischer Schulweisheit war MELISSOS aus Samos, nach PLUTARCHOS derselbe, der im Krieg gegen die Samier gegen Athen im Jahr 441 über PERIKLES und SOPHOKLES gesiegt hat. Der Inhalt seiner Schrift ist eine unoriginelle, starrsinnig konsequente Systematisierung der Grundgedanken des PARMENIDES.

Es gibt Seiendes; seine Existenz ist keine Illusion, der Schluß vom Bewußtsein auf das Sein dient zu seiner Rechtfertigung; wenn nichts wäre, wie kämen wir dazu von einem Seienden zu reden? Das Seiende ist ewig; es kann nicht angefangen haben oder entstanden sein, weder aus dem Nichts - "wenn nichts war, könnte unter keiner Bedingung etwas geworden sein" - noch aus einem Seienden, denn dann hätte es eben schon existiert. Es kann auch nicht aufhören zu sein, weil dieses Ende notwendig wieder ein solches entweder ins Nichts sein muß - das Nichts existiert aber nicht -, oder in Seiendes - und dann liegt kein Ende des Seins vor.

Aus der zeitlichen Unendlichkeit folgerte er, unter dem Einfluß der Doppeldeutigkeit des Wortes unendlich, die räumliche Unermeßlichkeit: "wie das Seiende immerdar ist, so muß es auch der Größe nach unendlich sein."

Weil das Seiende unendlich ist, kann es nur  eines  sein; zwei Unendlichkeiten würden sich gegenseitig begrenzen, also aufheben. Die Einheit des Realen wird, wie schon bei PARMENIDES, nicht nur numerisch, sondern auch qualitativ verstanden, als unveränderliche Gleichartigkeit. "Jedes Ding muß die Eigenschaft besitzen, die wir ihm von Anfang an beigelegt haben, es darf nicht umschlagen oder anders werden, muß immerdar so sein, wie es gerade ist." Wenn das All sich in 10 000 Jahren um Haaresbreite veränderte, so würde es im Lauf der ganzen Zeit zugrunde gehen.

Das Seiende ist bewegungs- und veränderungslos, bildlich gesprochen: leidlos und vollkommen; es kann ihm nichts fehlen, worüber es Schmerz empfinden, was es durch eine Bewegung, Veränderung und Entwicklung erst erreichen müßte.

Ein seltsames Fragment sucht dem Seienden, das ausdrücklich asl allerfüllend und räumlich unendlich hingestellt worden ist, die Körperhaftigkeit abzusprechen: "wenn das Seiende Dicke besäße, besäße es auch Teile und wäre somit nicht mehr Eines." Daß damit nur die Tiefe geleugnet sein soll, die Welt als Fläche behauptet, ist unwahrscheinlich; vielleicht richtet sich das Argument gegen die allzu wörtlich verstandene Kugelgestalt des Einen; es bleibt auch die Möglichkeit, daß das allerfüllende leidlose Sein nicht stofflich gedacht war;  wie  aber, wissen wir nicht.

Den positiven Teil ergänzt auch bei MELISSOS die Widerlegung der Sinne. "Gäbe es viele Dinge, so müßten sie die Eigenschaften haben, die ich von dem Einen aussage. Gäbe es also Erde, Wasser, Luft, Feuer, Eisen, Gold, Lebendes und Totes, Schwarzes und Weißes, so muß jedes von diesen Dingen die Eigenschaften behalten, die wir ihm gleich anfangs beigelegt haben und muß jedes immerdar so sein, wie es gerade ist. Aber das Warme wird kalt, das Harte weich, das Lebende tot und nichts schein sich dauernd zu gleichen, sogar das Eisen wird trotz seiner Härte in Berührung mit dem Finger abgerieben und ebenso Silber und Gold. Daraus ergibt sich, daß es nicht die Wirklichkeit ist, die wir sehen und hören, sondern daß unser Blick sich täuscht."

Daß MELISSOS ähnlich wie ZENON seine Wirklichkeit mehr physikalisch als metyphysisch verstanden hat, das wird besonders daraus deutlich, daß er die früher schon anklingende Identifizierung des Nichtseienden mit dem leeren Raum, des Seienden mit dem Vollen, der Masse vollzogen hat und so den Atomismus, diese vorzugsweise von der Physik aus entworfene Weltanschauung vorbereiten half.

Die milesische Naturphilosophie hat den Gedanken eines hinter den Dingen liegenden Seins konzipiert und das Werden in der Natur als reale Verwandlung des einen Seienden in verschiedene Aggregatzustände, Qualitäten, Dinge und Individuen begriffen. Dieser Prozeß der Verwandlung war von HERAKLEITOS mit Hartnäckigkeit als das Grundgesetz des Weltgeschehens ausdrücklich formuliert worden. Die Frage, wie eine solche reale Verwandlung möglich sei, wurde im Vertrauen auf Analogien der Erfahrung gar nicht gestellt. Da schuf die eleatische Spekulation eine wesentlich veränderte Sachlage. Sie forderte als Konsequenz ihres Seinsbegriffs auch die Konstanz der Qualität.  Wenn  es ein Seiendes gibt, so muß es ebenso seiner Beschaffenheit nach unwandelbar sein, wie es seiner Menge nach weder vermehrt noch vermindert werden kann. So wenig aus Nichtseiendem Seiendes werden kann, so wenig aus Nicht-so-Seiendem ein So-Seiendes. Es galt nun, die qualitative Konstanz im Begriff der Substanz festzuhalten und doch die empirischen Dinge nicht zu leugnen, sondern zu erklären.

Das war die Situation der griechischen Philosophie im 5. Jahrhundert, das Problem, das drei ziemlich gleichzeitige Denker: EMPEDOKLES, ANAXAGORAS, DEMOKRITOS in ihren Systemen zu lösen unternahmen.

Um die Verschiedenheit der vielen Dinge, die Veränderungen und Verwandlungen zu erklären, ohne das ursprünglich Seiende selbst in andere Qualitäten umschlagen zu lassen, waren manche Wege denkbar; man konnte unitarisch wie THALES, ANAXIMENES, HERAKLEITOS dem Seienden  eine  Qualität beilegen und die Vielheit derselben in der empirischen Welt für Sinnestäuschung, für den Schleier der Maja halten, zustandekommend erst mit dem Eintritt des wahrnehmenden Menschen; man konnte den Anaximandrischen Substanzbegriff, der dem Seienden positive Qualitäten abspricht, vertiefen, der Atomismus kann als eine derartige Lösung gelten; man konnte eine beschränkte Anzahl qualitativ konstanter Elemente annehmen und die übrigen Qualitäten als Mischung dieser Urqualitäten in immer anderer und anderer Proportion darstellen, so, wie die unendliche Mannigfaltigkeit der Farben sich aus der sehr kleinen Anzahl von Grundfarben erzeugen läßt; man konnte eine unendliche Mannigfaltigkeit qualitativ verschiedener unveränderlicher Element zugrunde legen. Kaum gangbar waren in der Zeit vor PLATON die eigentlich idealistischen, kantischen und modern-intuitivistischen Lösungen, nach welchen es sich bei dem, was wir Qualität nennen, nur um Richtungen handelt, in denen das menschliche Erkenntnisvermögen das in seiner Eigenqualität gänzlich unbekannte und unverkennbare An sich der Welt bestimmt.
LITERATUR - Aloys Fischer, Die Grundlehren der vorsokratischen Philosophie in Ernst von Aster (Hg) - Große Denker, Bd. 1, Leipzig ohne Jahr