cr-4V. CousinCondillacP. BayleH. Spencer    
 
HANS RUIN
Alexander Bain

"Die höchsten intellektuellen Funktionen des Menschen sind, so sagt Bain in seiner realistischen Art, eine Fortsetzung derselben Energiie, die ihn in seiner frühesten Kindheit dazu trieb, die Brust der Mutter zu nehmen, wenn er Hunger fühlte, und sie loszulassen, wenn er befriedigt war, oder die ihn das Süße im Mund halten und das Bittere und Ekelhafte ausspeien ließ."

"Bain ist ein zu gewissenhafter psychologischer Beobachter, um nicht zu sehen, daß im normalen Seelenleben ständig etwas auftritt, das die Bewußtseinsmomente  leitet,  ohne selbst ein solches Moment zu sein. Diese leitende Macht will er auch beachten: er verleiht dem Willen den Rang eines Prinzips, das  die Kontrolle der Gefühle und Gedanken  übernimmt, und als dessen besonderes Organ erklärt er die  Aufmerksamkeit." 

Führt man im psychophysischen Parallelismus das Abhängigkeitsverhältnis betreffs der Seele durch, so macht man sie zu etwas Unnützem. Tut man es aber betreffs des Körpers, so läßt man die Seele in einen feindlichen Kontakt mit den geschlossen Reihen von physischen Ursachen und Wirkungen treten und stellt damit die ganze Naturwissenschaft auf den Kopf. Zwischen Körper und Seele besteht ein Kampf bis aufs Messer, sobald wir das Verhältnis der beiden zum Gegenstand für unseren  Gedanken  machen. Und das Bemerkenswerte ist, daß dieser Streit derartig ist, daß es von vornherein ausgeschlossen ist, dem klugen arabischen Rat folgen zu können: "Kannst du deinen Feind nicht totschlagen, so behandle ihn wie einen Freund". Denn bringt die Seele den Körper nicht um, so tut es der Körper mit der Seele."


Man kann sagen daß mit JOHN STUART MILL die Hoffnungen auf eine rein empiristische Philosophie aufgeblüht und gleich wieder verdorrt sind. Es war nicht länger zu verbergen, daß diese Philosophie nicht imstande war, ihre Versprechungen zu halten.

Nicht ohne Lärm hatte man verkündet, daß alle diese Seelendaten, die nicht Abbilder von Sinneseindrücken sind, und die darum von den Aprioristen als Produkte von besonderen und unergründbaren Seelengesetzen, als notwendige Qualitäten im Bewußtsein bezeichnet sind, das die Sinne bieten, das Resultat aus den Verknüpfungen der Assoziationen. Die zähe Wahnvorstellung von einer selbständigen geistigen Aktivität sollte endgültig aus der Welt geschafft werden. Der Geist, so sagte man, geht restlos im mechanischen Verlauf der Assoziationen auf, er hat selbst nichts zu geben.

Indessen, wie mußte es aber kommen? Die Erkenntnisgesetze ließen sich nicht aus der Erfahrung herleiten - sie erwiesen sich im Gegenteil als deren Voraussetzungen - und ebenso übel schlug der Versuch aus, mit einem gelehrten und scheinbar soliden Wort wie  psychische Chemie  den Assoziationismus auch inbezug auf solche Seelenqualitäten in Ehren zu halten, die gar keine Ähnlichkeit mit den assoziativen Elementen haben. Man führte sich und andere hinters Licht auf die nicht ungewöhnliche Weise, für die CONDILLAC ein so sicheres Auge hatte: "Parce que nous donnons des noms á des choses dont nous auvons une idée, on suppose que nous avons une idée de toutes celles auxquelles nous donnons des noms". [Weil wir Dingen, von denen wir eine Idee haben, Namen geben, wird geglaubt, daß wir von allem, dem wir einen Namen geben, auch Ideen haben können. - wp] (1)

Aber nicht genug damit. Es kam schließlich so weit, daß man offen die Knie beugte vor einem Gott, den man vorher geleugnet hatte. Das geschah nicht nur, als MILL vor dem Mysterium des Ichs zur Anerkennung eines seelischen Einheitsprinzips gezwungen wurde; das geschah auch, wo man es am wenigsten erwartet hatte, bei einer eingehenderen Begründung des Prinzipgs, welches das Wesen des Empirismus war: des  Assoziationsprinzips.  In einer Anmerkung zu JAMES MILLs "Analysis" stellt MILL fest, daß jede Assoziation die Auffassung von Ähnlichkeit voraussetzt, d. h. das Vermögen zu vergleichen. Mit einem Wort: die Assoziationsmechanik, die als Erklärung für alle Erscheinungen des Seelenlebens hingestellt war, und welche die Annahme einer eigentlichen Seelenkraft vollständig überflüssig machen sollte, setzte offenbar selbst die Seelenaktivität, die verknüpfende, zusammenhaltende, einheitschaffende seelische Energie voraus.

Dem Empirismus wurde so das Rückgrat gebrochen, er stürzte über die Hindernisse, über die er so entschlossen hatte springen wollen. Die Unvermeidbarkeit der notwendigen Wahrheiten und die Unerläßlichkeit der Subjektsenergie bekam er zur Genüge zu erfahren. Und ein böses Geschick wollte es, daß er selbst am überzeugendsen die Eitelkeit aller Versuche darlegen sollte, weiterhin die Einseitigkeit in den Richtlinien HUMEs wiederzukäuen. Man war in eine Sackgasse geraten, und eine andere Möglichkeit, wieder herauszukommen, als eine  Synthese  der strittigen Anschauungen zu suchen, war undenkbar. Auf diese Weise den unfruchtbaren Zank zu beenden, wurde auch die Forderung, die vor allem der kommenden Philosophie gestellt wurde.

ALEXANDER BAIN wurde von MILL als der Mann gepriesen, der sich von einem passiven Assoziationismus einer unverkennbaren Aktivität des Geistigen zugewendet hat. Diese freigiebige Anerkennung trifft insofern das Richtige, als wir es hier wirklich mit einem ernsthaften Versuch zu tun haben, den Aktivitätsbegriff in die Psychologie einzuführen. BAINs Absicht, in diesem Punkt die Mängel in der alten Psychologie zu beseitigen, kann nicht bezweifelt werden. Aber ob er hierbei der  geistigen  Aktivität einen Schritt näher kam, dürfte eine Untersuchung erfordern.

Deutlich gibt MILL den Inhalt von BAINs Aktivitätsbegriff mit folgenden Worten: "BAIN ist der Ansicht, daß das Gehirn nicht nur auf Impulse reagiert, sondern zugleich ein selbsttätiges Organ ist; daß die nervösen Reize, die, durch die motorischen Nerven fortgepflanzt, die Muskeln in Bewegung setzen, rein automatisch im Gehirn selbst entsprungen sind, natürlich nicht ohne Ursache oder Gesetz, sondern durch den organischen Reiz der Nahrung; und daß dies seinen Ausdruck findet in der allgemeinen körperlichen Aktivität, welche alle gesunden Wesen zeigen, wenn sie gegessen oder geschlafen haben, und in den planlosen Bewegungen, welche die kleinen Kinder ständig ausführen." (2)

Danach hätte also BAIN vielmehr die Aktivität des  Organismus  behaupten wollen. Ja, er geht hierin über die früheren Psychologen hinaus, indem er diesen auch in dem einzigen Punkt widerspricht, wo sie eine seelische Spontaneität anerkannten. So hatte JAMES MILL gelehrt, daß die Muskelbewegungen von Empfindungen abhängig sind, daß sie durch deren Reizung in eine bestimmte Richtung ausgelöst werden. Gegen diese Lehre wendet sich BAIN mit aller Kraft. Ursprünglich, so sagt er, löst sich eine Bewegung ganz aufs Geratewohl und unabhängig von jeder Empfindung aus. Ist sie nützlich für den Organismus, so erhöht sie die Lebensenergie desselben, und diese Erhöhung der Energie bringt auf der einen Seite ganz mechanisch die Fortsetzung der Bewegung, auf der anderen Seite veranlaßt sie ein deutliches Lustempfinden. Danach sind nur einige Wiederholungen des glücklichen Zusammentreffens zwischen einer Lustempfindung und einer bestimmten Bewegung erforderlich, damit infolge des Berührungsgesetzes "die Lustempfindung oder die Vorstellung davon sofort die passende Bewegung hervorrufen solle." (3)

Man kann schon behaupten, daß BAIN mit dieser Darlegung die Tatsachen richtiger wiedergegeben hat als mancher seiner Vorgänger. Aber es ist schwer zu begreifen, wie der  psychologische  Aktivitätsbegriff hiervon Nutzen haben könnte. Daß BAIN im Gegensatz zu seinen Vorgängern die Fähigkeit einer Empfindung oder Vorstellung, eine Bewegung auszulösen, als etwas erst nach und nach Erworbenes erklärt hat, das hat wohl in aller Welt nichts mit einer Beachtung der Seelenaktivität zu tun.

Bemerkenswert ist auch, daß BAINs Theorie über den  Willen,  wo wenn je die revolutionierende Wirkung seiner angeblichen Beachtung der Seelenaktivität hätte zum Vorschein kommen müssen, keinen Zug zeigt, der MILLs Urteil über ihn rechtfertigte. Im Gegenteil muß man diese Theorie als den ungezwungendsten aller Versuche bezeichnen, die geistige Aktivität fallen zu lassen.

BAIN hat in seiner Willenspsychologie viel von JAMES MILL gelernt. Wie verwickelt ein Willensphänomen auch sein mag, betont er, ständig muß ein Lust- oder Unlustgefühl in der Situation, die den Willen aktualisiert, sich verbergen. Der Willensverlauf selbst zeigt sich hierbei entweder als eine zusammenhängende Reihe von Seelenmomenten, deren fortlaufende Entwicklung von einer übergeordneten Vorstellung, einer "idea of pleasure" bestimmt wird, oder auch als ein Getümmel von streitenden Motiven, wo der Sieg von dem Moment heimgeführt wird, das die größte Lust vertritt. Die höchsten intellektuellen Funktionen des Menschen sind, so sagt BAIN in seiner realistischen Art, eine Fortsetzung derselben Energiie, die ihn in seiner frühesten Kindheit dazu trieb, die Brust der Mutter zu nehmen, wenn er Hunger fühlte, und sie loszulassen, wenn er befriedigt war, oder die ihn das Süße im Mund halten und das Bittere und Ekelhafte ausspeien ließ. (4)

Die Ähnlichkeit mit JAMES MILL ist auffallend. Aber das Bemerkenswerte ist, daß BAIN nicht ohne weiteres bei dieser Lehre von den selbständigen Operationen der Seelenmomente auf eigene Hand stehen bleibt. Er ist ein zu gewissenhafter psychologischer Beobachter, um nicht zu sehen, daß im normalen Seelenleben ständig etwas auftritt, das die Bewußtseinsmomente  leitet,  ohne selbst ein solches Moment zu sein. Diese leitende Macht will er auch beachten: er verleiht dem Willen den Rang eines Prinzips, das "the control of feelings and thoughts" übernimmt, und als dessen besonderes Organ erklärt er die  Aufmerksamkeit Ihr Einfluß auf die Erscheinungsreihen ist jedoch indirekt. Es gibt keine Möglichkeit, durch eine Willensanstrengung die Energie in der assoziativen Verknüpfung zu erhöhen, mag es sich nun um eine Ähnlichkeits- oder eine Berührungsassoziation handeln. Die Reproduktionen des Intellekts sind der Willenskontrolle entzogen. Man kann nicht durch einen bloßen Willensakt einen Gedanken dazu bringen, einem andern zu folgen, wie man ein Glied der Bewegung eines anderen Gliedes zu folgen vermag. (5) Aber es steht in unserer Macht, die Aufmerksamkeit auf jeden beliebigen Teil des Erscheinungsmaterials, das sich darbietet, zu konzentrieren. "Ich erinnere mich eines Gliedes in einer sonst vergessenen Kette: Ich verweile bei diesem Glied, bis es selbst lebendiger hervortritt und so die Kraft erhält, das Übrige zum Leben zu erwecken. Das so ausgewählte Aufmerksamkeitsobjekt ... bildet so den Ausgangspunkt für den Assoziationsverlauf." (6)

Es dürfte an der Ordnung sein, deutlich festzuhalten, was hiermit gesagt ist. Daß die Aufmerksamkeit als ein Prinzip darstellte ist, das den verschiedenen Bewußtseinsmomenten übergeordnet ist, ist offenbar, so angelegen BAIN auch ist, der Aufmerksamkeit das Vermögen einer direkten Beeinflussung der Assoziationen abzuerkennen. Er hat die Sache - und das ist wohl zu bemerken - nicht wie z. B. JAMES MILL dargestellt, der in der Aufmerksamkeit nichts anderes sah, als den gerade im jeweiligen Augenblickk vorherrschenden Spezialmoment. Er läßt die Aufmerksamkeiit eine Kraft vertreten, die von Seiten des Ichs dem Seelenmoment je nach Belieben zugeführt wird. Oder wie er es selbst ausdrückt: "Wir können in unserer Aufmerksamkeit jederzeit den Vorzug geben (give a  preference of attention)  einem besonderen Objekt unter den vielen, deren wir uns erinnern, und dieses Objekt wird so das suggerierende Moment." (7)

Hier liegt es schließlich nahe, bei BAIN den Sinn für das Aktive anzunehmen, der für ihn ja bezeichnend sein soll. Ein verdächtiger Umstand ist jedoch die Tatsache, daß eigentlich jeder natürliche Platz für einen solchen Aufmerksamkeitsbegriff in BAINs psychologischem System fehlt. Soll die Aufmerksamkeit etwas sein, das  über  den wechselnden Momenten des Bewußtseins steht, so muß es, wie es BAIN auch tut, dem  Ich  zugeschrieben werden. Aber von ihm wird das Ich gemäßt der Vorschrift HUMEs aufgefaßt, d. h. als nichts anderes als gerade diese wechselnden Bewußtseinsmomente. Wie stimmt das überein? Nach dem oben Erklärten sollte die Aufmerksamkeit etwas sein, das über die einzelnen Momente hinausgeht, aber trotzdem wird das Ich, mit dem die Aufmerksamkeit auf das Engste zusammengehört, als etwas erklärt, was sich mit diesen selben Momenten genau deckt. es darf darum nicht überraschen, daß sich BAIN bei einer später folgenden Auslegung veranlaßt findet, eine Erklärung für die Aufmerksamkeit zu geben, die diese mit einem Schlag von ihrer hohen Stellung herunterwirft.

Bei dieser Auslegung findet BAINs Willenspsychologie ihren köstlichsten Ausdruck. Es ist zu beachten, daß BAIN mit einer Hartnäckigkeit, als ob da ein Axiom vorliege, eingeschärft hat, daß Wille überhaupt nur in Verbindungen mit den physischen Organen vorkommt, d. h. mit dem Muskelsystem. Wenn er von der Aufmerksamkeit spricht, stellt er nun fest, daß diese Willensäußerung offenbar die Grenzsteine des Willenslebens überschreitet, indem sie sich wenig um die Muskeln zu bekümmern scheint, sondern nur die psychischen Faktoren als solche betrifft, ihnen eine erhöhte Intensität gebend usw. "In all this, the will seems to transcend the usual limits assigned to it, namely, the prompting of the voluntary muscles." [Bei all dem scheint der Wille, die üblichen Grenzen die ihm zugeordnet sind, zu transzendieren, Im Besonderen eine Bewegung der willkürlichen Muskeln auszulösen. - wp] (8) Wie soll man das verstehen? Liegt hier tatsächlich eine Ausnahme von der Regel vor? Keineswegs, antwortet BAIN. Des Rätsels Lösung liegt klar zutage, wenn wir bedenken, "daß das wiedererweckte Bild im Gehirn oder in den übrigen Teilen des Nervensystems denselben Platz einnimmt wie die ursprüngliche Empfindung." (9) Das heißt ebenso wie wir unsere Gehör-, Gesichts- und Tastempfindungen durch eine Beeinflussung der physischen Organe regeln können, ebenso lassen sich auch unsere Vorstellungen beeinflussen. Nicht die Vorstellungen als solche, wohl aber deren physische Entsprechungen. (10) Das Ganze läuft deshalb darauf hinaus: "Wie unsere Willenshandlungen in Betätigung von Muskelkraft bestehen, so wird die Aufsicht über unsere Empfindungen und Gedanken von den Muskeln besorgt." (11)

Dieser Ausspruch läßt über BAINs ganze Psychologie ein Blitzlicht fallen. daß er so hartnäckig dabei bleibt, daß der Wille nur in Verbindung mit den  Muskeln  vorkommt, findet seine Erklärung in der Absicht, damit eine Anweisung zu geben,  worin  die Aktivität, die das Willensleben aufweist, besteht. Das Physische wird zum Träger der Aktivität gemacht. Wenn BAIN erklärt, daß die Aufmerksamkeit nur durch die physischen Organe arbeitet, so erdrosselt er in der Tat diese psychische Kategorie, denn es ist klar, daß sie als  psychische  Kraft in demselben Augenblick ein Unding wurde, wo gerade die  psychischen  Erscheinungen außerhalb ihrer unmittelbaren Reichweite gestellt wurden. Oder will man vielleicht geltend machen, daß BAIN mit seiner naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise ernsthaft eine Kraft, die, den seelischen Vorgängen machtlos gegenüberstehend, in die physischen Vorgänge eingreift,  Seelenkraft  nennen könnte? Daß hier tatsächlich die Rede war von einer  Verleugnung  der Seelenkraft und Ersetzung durch Molekularkräfte, d. h. von einer Auffassung, daß das Seelische nur ein kraftloser Anhang zum Physischen ist, das geht auf seine Art deutlich aus folgendem offenherzigen Bekenntnis hervor: "Wenn es uns beliebt, steht es uns frei zu sagen, daß die Seele eine Quelle der Kraft ist; da müssen wir aber mit Seele das Bewußtsein in Verbindung mit dem ganzen Körper meinen; und wir müssen ebenfalls zu dem Zugeständnis bereit sein, die physische Energie bilde die unbedingte Voraussetzung, wogegen das Bewußtsein die zufällig Bedingung ist". (12)

BAINs Lehre vom Willen als der leitenden Macht des Seelenlebens fand mit einem Wort einen eigentümlichen Abschluß. BAIN berief sich auf die Aufmerksamkeit, nicht nur um die anarchistischen Neigungen seiner Psychologie zu hemmen, sondern auch um damit über den assoziativen Mechanismus und blinden Determinismus hinauszukommen, die die Frucht seines psychologischen Systems zu werden drohten. Die Aufmerksamkeit sollte gewissermaßen das  Freiheitsmoment  im psychischen Verlauf vertreten. Welcher Art diese "Freiheit" jedoch war, haben wir oben erfahren können. Die Quintessenz des Ganzen kam offen zutage, als BAIN in diesem Fall leugnete, daß etwas Psychisches direkt auf das Psychische einwirken könne und statt dessen geltend machte, daß wir uns in und mit unserer physischen Natur gegen die Mechanik des reinen Seelenlebens zur Wehr setzen. (13) In diesem ungeheuerlichen Versuch, den Teufel durch Beelzebub auszutreiben, erreichte BAINs Psychologie einen unvergänglichen Ausdruck.

Aber worauf kann es beruhen, daß dem seelischen Aktivitätsbegriff ein so beklagenswertes Geschick in BAINs Psychologie widerfährt? Worin liegt die bemerkenswerte Tatsache begründet, daß er auch da, wo er unbestreitbar eine  seelische  Aktivität ins Auge gefaßt hat, sie mit seinen Auslegungen wieder aus dem Weg zu räumen gezwungen wird? Wir wiesen bereits oben auf BAINs Psychologie im Allgemeinen hin. Eine etwas gründlicheres Betrachtung wird uns vielleicht die gewünschte Erklärung bringen.

Daß BAIN in grundsätzlicher Gegnerschaft zur Auffassung der Sensualisten von der Seele als reiner Passivität stand, kann an und für sich nicht geleugnet werden. Bereits in der allgemeinen Charakteristik des Bewußtseins, die er in "Senses and Intellect" gibt, kommt das zum Vorschein. Er weist hier nach, daß sich das Bewußtsein auf der Auffassung von Gleichheit und Ungleichheit aufbaut und daß so das Empfindungsleben auch in seinen unausgebildetsten Formen seelische Aktivität zutage treten läßt. Ja, die seelische Aktivität verrät sich nicht nur hierin, sie verwirklicht sich auch in dem Vermögen der Seele, einen Eindruck festzuhalten, auch wenn dessen äußere Ursache zu wirken aufgehört hat, wodurch das wichtige Vergleichen mit anderen Eindrücken ermöglicht wird. Es ist ihm so ernst mit jener Seelenaktivität, auf die er hingewiesen hat, daß er, einen elementaren Urteilsakt in der einfachsten Empfindung verspürend, diese schon für eine Funktion des Verstandes erklärt - sie ist die rein äußerliche Offenbarung der inneren Prozesse.

Wenn man sich all dies vor Augen hält, könnte man meinen, BAIN sei ein besonders energischer Verfechter der Seelenaktivität. Aber das Sonderbare ist, daß er nichtsdestoweniger Assoziationist ist und zwar begeistert wie wenige. Ein Beispiel soll das mit aller wünschenswerten Deutlichkeit zeigen.

BAIN stellt zwei gleichwertige Assoziationsgesetz auf, das Berührungs- und das Ähnlichkeitsgesetz. Bei näherem Nachdenken findet er jedoch, daß das Ähnlichkeitsgesetz das Bestreben hat, sich dem Berührungsgesetz überzuordnen, insofern als ein anerkanntes Mittel, die Assoziation zwischen zwei Momenten zu stärken, darin besteht, daß man dieselbe wiederholt, wobei natürlich vorausgesetzt wird, daß die wiederholten Momente als früher erlebte wiedererkannt werden. So scheint es, als ob bei den Berührungsassoziationen das Ähnlichkeitsprinzip im Stille bereits vorausgesetzt ist. Und BAIN fährt fort: "Wir haben es an jedem Punkt als gegeben hingenommen, daß ein dem Bewußtsein erscheinendes Objekt  den  totalen Eindruck hervorruft, den die vorhergehenden ähnlichen Erscheinungen gemacht haben, und daß sie außerdem ihre eigene Wirkung dieser Totalität hinzufügt." (14)

Daß BAIN hier eine außerordentlich bedeutungsvolle Frage berührt hat, liegt klar zutage. Wie soll man die gesammelte Erfahrung, welche die vorhergehenden gleichen Bewußtseinserscheinungen vertreten, auffassen? Stellt sich diese Erfahrung in jedem gegenwärtigen Augenblick als ein erneutes assoziatives Durchlaufen dar, wobei  a, a1, a2, a3, a4 . . . an  alle eine individuelle Existenz behaupten und ein qualitativer Unterschied zwischen dem ersten und dem letzten Moment überhaupt nicht zu machen ist, oder muß man nicht vielmehr annehmen, daß die gegenwärtige Empfindung in ihrer Eigenart die Spuren aller vorangehenden Momente trägt, und so eine unmittelbare  Synthese  von Neuem und Alten darstellt?

Es könnte den Anschein haben, als ob BAIN dem Gedanken an eine "Einheit" nicht ganz fremd gegenüberstände, wenigstens nach den gewählten Worten  Totaleindruck  und  Totalität  zu schließen. Aber trotzdem bemüht er sich, der gebräuchlichen assoziationistischen Auffassung die größte Ergebung zu zeigen. So sagt er z. B. an einer Stelle weiter unten: "It ist necessary (damit das Vergangene oder unsere frühere Erfahrung uns beim Lernen einer Bewegung oder Vorstellungsreihe von Nutzen sein soll) that the repetition or identity should be perceived; in other words, "the new lesson mußt reinstate, by the force of similarity, all the previous trains that in any way correspond with it." [Es ist notwendig, daß eine Wiederholung oder Identität festgestellt wird; mit anderen Worten: die neue Lektion muß durch die Kraft der Ähnlichkeit alle vorherigen Züge wiederherstellen, die ihr entsprechen. - wp] (15) Hier wird also kategorisch das Hauptdogma des Assoziationismus aufgestellt, daß dort, wo ein Moment im Bewußtsein einen Zusammenhang mit einer früheren Erfahrung hat, dieser Zusammenhang einzig und allein in der assoziativen Verknüpfung bestehen kann, d. h. in einer Verbindung, wo die betreffenden Momente scharf gezeichnete individuelle Existenzen bilden. Hier wird mit anderen Worten "the total impression" ausgemünzt in "all the previois trains", hier wir die unmittelbare synthetische Einheit zersprengt zu dem einem Perlenband gleichenden Vielerlei der Assoziationen.

Daß dieser Gesichtspnkt für BAIN bestimmend ist, geht auch aus "Emotions and Will" hervor, wo dasselbe Problem gestreift wird. "Alle Empfindungen, die der ersten ihres Schlages folgen," - sagt BAIN freilich einleitungsweise - "enthalten etwas von einer Wiederkehr des Vergangenen, welches in der Tat ihren Charakter bestimmt." (16) Mit dieser Äußerung scheint BAIN wieder auf eine bemerkenswerte Einheit von Gegenwart und Vergangenheit hinzudeuten. Aber ein Umstand kündet schon, was kommen wird. BAIN hätte eigentlich nicht von "Empfindungen" sondern von "Perzeptionen" sprechen sollen, zumal er an einer anderen Stelle erklärt: "Supposing the first impress of scarlet is called a sensation, the combined trace of thirty impressions, revived in the presentation of the thirtyfirst, would be a perception, as being something more than effect strictly due to present stimulus. When more is meant than meets the eye, we are said to perceive rather than to feel." [Angenommen, der erste Eindruck von Scharlachrot wird eine Empfindung genannt, mit einer Aneinanderreihung von 30 Eindrücken, wiederbelebt durch die Präsentation eines einunddreißigsten, wäre eine Wahrnehmung in einer strengen Abhängigkeit vom bisherigen Stimulus. Wenn ein Mehr an bloßer Empfingung gemeint ist, die das Auge trifft, sprechen wir von wahrnehmen statt von fühlen. - wp) (17) Daß sich BAIN jedoch in der oben zitierten Äußerung sich über die betreffende Unterscheidung hinwegsetzt, d. h. von "Empfindungen" statt von "Perzeptionen" spricht, bedeutet freilich eine Inkonsequenz, wird gewiß aber zu erklären sein aus seiner Geneigtheit, noch auch in jedem der späteren Fälle das allererste Moment des Eindrucks frei von jeglicher Spur früherer Erlebnisse zu bebtrachten. Er hält mit einem Wort den Assoziationsmus schadlos, indem er hier die Perzeption durch die assoziative Vereinigung mit früheren Eindrücken erst zustande kommen läßt. Oder wie er es selber ausdrückt. "Der Terminus  Perzeption  bezieht sich auf die Totalsumme früherer ähnlicher Empfindungen, welche dank der Assoziation mit der gegenwärtigen Empfindung zurückkehren". Diese "Totalsumme" bezeichnet er auch im selben Atemzug ausdrücklich als "eine Totalsumme von Assoziationen". (18)

Mit dieser Äußerung hat BAIN endlich seine Karten aufgedeckt. Es hat sich gezeigt, daß sein Aktivitätsbegriff keine größere Bedeutung hat, als daß er in einem so entscheidenden Punkt wie diesem, in fast serviler Weise der früheren assoziationistischen Psychologie zu folgen strebt.

Hier müssen wir uns aber auf einen Einwand gefaßt machen. Es mag sein, so wird man sagen, daß BAIN äußerlich auf dem Standpunkt der früheren Psychologie verharrt, in der Sache liegt jedoch ein beträchtlicher Unterschied vor. Denn er hat eingesehen, daß nicht die Empfindungen die Assoziationen erzeugen, auch nicht die Assoziationen die Jllusion einer seelischen Aktivität, sondern daß gerade im Gegenteil diese Aktivität es ist, die gewissermaßen die Empfindungen wie die Assoziationen hervorbringt.

Man kann das gelten lassen. Ebenso unbestreitbar ist aber, daß das eine merkwürdige "Aktivität" ist, die nicht mehr zu sagen hat, als daß sie auf ein und dieselbe Reizung ständig gleich einem Automaten mit ein und demselben Eindruck antwortet und erst dadurch, daß sie diesen Eindruck mit Assoziationen leicht verbrämt, dem Schicksal einer vollständigen Wiederholung entgeht. Was trennt hier schließlich BAIN von den Sensualisten, für die es auch bezeichnend war, daß sie in ähnlicher Weise der Seele das Vermögen absprachen, jeden Eindruck eigenartig zu prägen? Daß nach ihm die Assoziationen selbst Aktivität voraussetzen, hat nur ein theoretisches Interesse, denn indem er diese Aktivität nicht in die unmittelbaren Eindrücke hineinwirken ließ, machte er sie zu etwas, das für eine objektive Psychologie, die er doch geben wollte, belanglos bleiben mußte. Sie wurde ganz einfach zu einer Annahme, die einmal gemacht, nicht weiter in Betracht gezogen wurde. In den  tatsächlichen  Auslegungen blieben die Assoziationen, was sie bei den Vorgängern gewesen waren:  mechanische Verknüpfungen. 

Mit einem Wort: BAINs Psychologie formte sich vollständig im Geiste des früheren Assoziationismus aus, d. h.  als ob  ein Aktivitätsbegriff gar nicht vorhanden wäre. Und darauf kommt es für uns an. Die rückhaltlose Annahme des Assoziationismus enthielt natürlich auch eine Annahme der  Folgerungen  dieses Assoziationismus. BAIN geriet vollständig unter den Einfluß derselben Motive, welche die früheren Assoziationspsychologen veranlaßt hatten, in der bekannten Weise solche Begriffe zu behandeln, die wir oben im Auge gehabt haben. Es war untunlich, ihnen in der psychischen Welt die Stellung, welche sie beanspruchten, zuzuerkennen. Zeigten sie sich ihm dennoch unentbehrlich, so blieb nichts anderes übrig, als ihnen einen Platz in der - materiellen Welt zu retten.

Und damit sind wir wieder an dem Punkt angelangt, der bei BAIN besonders interessiert. Der Kniefall vor dem Physischen ist in hohem Grad für ihn charakteristisch, und er bleibt nicht einmal bei dem zuletzt berührten Thema aus (19). Ja er findet sogar dort statt, wo die Wechselbeziehung zwischen Körper und Seele auf  parallelistische  Weise so untadelig geordnet werden sollte, in der Schrift "Mind and Body".

BAIN stellt fest, daß das Gedächtnis von bestimmten Vorgängen im Gehirn abhängig ist. An und für sich ist das nichts Merkwürdiges - jeder dürfte darin einstimmen - aber aus dem Gesichtspunkt des Parallelismus ist das eigentlich schon zuviel gesagt. Hält man sich streng an den Geist der parallelistischen Theorie, so muß man sich auf die Behauptung beschränken, daß jedem Moment in der einen Serie ein Moment in der anderen Serie entspricht; mehr darf man nicht aussagen, denn die Idee des Parallelismus ist, ein für alle Mal jede Serie für sich als ganz selbständig gelten zu lassen. Indem man also einschärft, daß nur  psychische  Ursachen für psychische Veränderungen anzunehmen sind und nur  physische  Ursachen für physische Veränderungen, hat man sich gleichzeitig gegen das Heranziehen eines  Abhängigkeitsverhältnisses  zu verwahren - denn das bedeutete in jedem einzelnen Fall, daß die eine Reihe zu einem  bestimmenden  Moment im Verhältnis zu der andern gemacht würde. Aber was sehen wir bei BAIN? Er macht einen approximativen Überschlag über die Menge nervöser Elemente und findet in der begrenzten Anzahl dieser Elemente den  Grund  für die Begrenzung des Gedächtnisumfanges. Er macht weiter geltend, daß die Vorstellungen einander hervorrufen,  weil  ihre physiologischen Entsprechungen ineinander überleiten usw. Wir wollen hier nicht untersuchen, inwiefern solche Schlußfolgerungen sich trotz allem als eine unmittelbare Folge der allgemeinen These des Parallelisus: der unfehlbaren Korrespondenz zwischen Physischem und Psychischem, ergeben (20) sondern nur feststellen, daß BAINs "Erklärungen" geeignet sind, ihn mit HUXLEY auf eine Linie zu stellen, der in den Seelenzuständen bloße Symbole für die Veränderungen sah, die automatisch im Organismus stattfinden. In der Hand BAINs wurde der Parallelismus zu einem Mittel, die Seele an das materielle Schema des Gehirns zu binden und sie damit, ebenso wie CARPENTER und MAUDSLEY es taten, jeder Effektivität zu berauben. Er macht sie zu einem leeren Reflex, einem kraftlosen Gespenst der materiellen Grundrealität.

Daß eine solche Schattenhaftigkeit tatsächlich bei BAIN das Los der Seele wurde, geht auch aus einem anderen Umstand hervor. Nach der parallelistischen Auffassung bilden der seelische und der körperliche Verlauf zwei scharf getrennte, einfache Reihen. Zu unserer Überraschung erklärt BAIN jedoch, daß, während das Körperliche etwas Einfaches darstellt, das Seelische dagegen ein doppelter Vorgang ist - es  ist,  wie er sich tatsächlich ausdrück, gleichzeitig ein körperliches Faktum. (21) Ansich wäre es naheliegend, hierin nur einen weniger glücklichen Ausdruck sehen zu wollen. Aber BAIN hat eben für solche Worte eine Anwendung. Er behauptet nämlich wie einmal ROBINET, daß die seelischen Kräfte in nervöse Kräfte und diese wieder in physische Kräfte umgesetzt werden können, eine Behauptung, in der natürlich kein Gedanke an eine dualistische Wechselwirkung verborgen liegt, sondern vielmehr die Auffassung, daß die körperliche Energie die einzig wirkliche ist, während die seelische nur eine besondere Erscheinungsform von ihr ist, eine irrlichtartige Realität, die in besonderen Fällen aus der physiologischen Erscheinungsreihe herausstrahlt. Der Satz, daß das Seelische gleichzeitig eine körperliche Tatsache  ist,  hat seine Anwendung gefunden. Wie eng sich ein solches Bild an BAINs schon früher geäußerte Tendenzen schließt, geht aus der bereits erwähnten Äußerung hervor: insofern man von der Seele als einer Kraft reden will, muß man eingedenk sein, daß die physische Energie die unbedingte Voraussetzung bildet, wohingegen das Bewußtsein nur die zufällige Bedingung ist!

Halten wir diese Erfahrungen mit den frühher gemachten zusammen, so wird der Zug zum  Materialismus  auffallend. Und es entsteht die Frage, wie eine solche Entwicklung zu verstehen ist, eine Frage, die umsomehr interessiert, als BAIN sich selsbt dem Materialismus fern fühlt und auch in der Theorie ausdrücklich von ihm Abstand nimmt.

Wir bemerkten oben, daß es ein Verlassen der rein parallelistischen Auffassung bedeutet, wenn man die eine Erscheinungsreihe als  abhängig  von der anderen ansieht; der Parallelismus setzt nur eine Korrespondenzverhältnis fest und nichts weiteres. Glaubt man hier von einem Abhängigkeitsverhältnis sprechen zu müssen, so müßte das jedenfalls als wechselseitig aufgefaßt werden. Sagt man einmal, daß die Begrenzung des Gedächtnisumfangs in der begrenzten Anzahl der nervösen Elemente ihren Grund hat, so mßu man schon wagen, auch das Entgegengesetzte auszusprechen: daß die begrenzte Anzahl der nervösen Elemente ihren Grund in der Begrenzung des Gedächtnisumfangs hat.

Natürlich ist es unmöglich, vollen Ernstes einen solchen Parallelismus zu verfechten. Es bleibt nichts anderes übrig, als vollständig den Gedanken an eine Abhängigkeit zurückzuweisen, was aber kaum eine glücklichere Lösung wäre. Wir hätten es da mit zwei Reihen zu tun, die nichts miteinander zu schaffen haben, die sich aber nichtsdestoweniger genau nacheinander richten! Man versteht den Ausruf RICHARD ERIKSENs: "Die Wunder, an welche Naturvölker glauben, sind ein reines Kinderspiel gegenüber denjenigen, welche die Parallelisten voraussetzen". (22) Die Bemerkung, daß hier nur von einer Arbeitshypothese die Rede ist, macht das ganze wenig besser. Eine merkwürdige "Arbeitshypothese", die uns auf Schritt und Tritt einer Unfaßbarkeit für das Denken (23) gegenüberstellt, und die außerdem, in voller Strenge behauptet, die Trennung zwischen Psychologie und Physiologie vollständig macht.

Kurz, es liegt im Wesen des Parallelismus, überschritten zu werden. Man kann nicht das Seelenleben studieren, ohne auf die körperlichen Verhältnisse Rücksicht zu nehmen, und diese Rücksicht wiederum ist nicht möglich, wenn man nicht in jedem einzelnen Fall entweder das Seelische dem Körperlichen unterordnet, oder das Körperliche dem Seelischen. Es wird von den Parallelisten selber am besten bestätigt. Wen von ihnen wir hier auch ins Auge fassen mögen, immer treffen wir bei ihm ein Streben, auf diese oder jene Weise ein Verhältnis der einen Reihe von einem Verhältnis der anderen Reihe  abhängen  zu lassen. Allerdings sucht man sich mit dem Hinweis zu verteidigen, daß man hiermit keineswegs ein  ursächliches Verhältnis  zwischen Körper und Seele angenommen habe, sondern nur ein  Funktionsverhältnis  - wenn eine Veränderung in der einen Reihe eintrifft, so trifft auch eine solche in der anderen Reihe ein. Und man meint, ebenso wie in einem mathematischen Funktionsverhältnis das eine Glied durch das andere ausgedrückt werden kann, ebenso lasse im psychophysischen Funktionsverhältnis das Eine sich durch das Andere ausdrücken. Dieses Argument, welches besonders eifrig von FECHNER angeführt wird - es bildet ja die Grundlage für seine Psychophysik - hat eine weitläufige Diskussion veranlaßt, die sich hier natürlich nicht wiedergeben läßt. Nur soviel mag festgestellt werden, daß die Verfechter der Analogie mit dem mathematischene Funktionsverhältnis es nicht haben verbergen können, daß sie jedesmal, wo sie ein Verhältnis in der einen Reihe von einem Verhältnis in der anderen Reihe haben abhängen lassen, zumindest in demselben Augenblick diese letzte Reihe als die ursprüngliche und normierende angenommen haben. So hat es sich auch stets gezeigt, um einen Ausdruck HARTMANNs anzuwenden, daß der Parallelismus immer in einem  Subordinationsspiritualismus  oder  Subordinationsmaterialismus  geendet hat.

In dem oben erwähnten Essay über BAIN antwortet MILL auf die Anschuldigungen wegen Materialismus, die gegen ersteren gerichtet wurden, unwillig: "If it be materialism to endeavour to ascertain the material conditions of our mental operations, all theories of the mind which have any pretension to comprehensivenesse must be materialistic." [Wenn es sein Materialismus sein soll, die materiellen Bedingungen unserer geistigen Vorgänge zu ermitteln, dann sind alle Theorien des Geistes, die Anspruch auf Vollständigkeit haben, materialistisch - wp] (24)

Das war als eine  reductio ad absurdum  [Widerspruchsbeweis - wp] gedacht, war aber eher eine  reductio ad veritatem.  Ohne Zweifel müssen wir auf die materiellen Bedingungen unseres Seelenlebens Rücksicht nehmen. Ebenso unzweifelhaft ist es aber, daß wir, insofern wir unbedingt das Materielle als eine unabhängige Reihe auffassen, schon einen Weg betreten, der folgerichtig innegehalten, uns in einen seelischen  Epiphänomenalismus  hinabführt. In dieser Hinsicht bildet nicht nur BAIN ein gutes Beispiel; werfen wir einen Blick auf die Psychologie unserer Tage, so gleitet eine lange Reihe von Schriftstellern an unseren Augen vorbei, denen allen ein solcher Parallelismus unmerklich zu einem Bollwerk für einen allmählich ausgeformten Materialismus geworden ist.

Kurz: Führt man das Abhängigkeitsverhältnis betreffs der Seele durch, so macht man sie zu etwas Unnützem. Tut man es aber betreffs des Körpers, so läßt man die Seele in einen feindlichen Kontakt mit den geschlossen Reihen von physischen Ursachen und Wirkungen treten und stellt damit die ganze Naturwissenschaft auf den Kopf. Zwischen Körper und Seele besteht ein Kampf bis aufs Messer, sobald wir das Verhältnis der beiden zum Gegenstand für unseren  Gedanken  machen. Und das Bemerkenswerte ist, daß dieser Streit derartig ist, daß es von vornherein ausgeschlossen ist, dem klugen arabischen Rat folgen zu können: "Kannst du deinen Feind nicht totschlagen, so behandle ihn wie einen Freund". Denn bringt die Seele den Körper nicht um, so tut es der Körper mit der Seele.

Daß BAIN unter solchen Umständen so handelte, wie wir sahen, kann nicht Wunder nehmen. Als es Ernst wurde, mußte das Interesse der Seele zurückgestellt werden, weil es ihm als überzeugtem Naturalisten vor allem darauf ankam, das Materielle unbelastet zu halten. Aber damit war auch das Schicksal der Seele besiegelt. Diese wurde eben zum Schatten der materiellen Prozesse, zum rätselhaften Luxusprodukt der Natur, von dem WINDELBAND sagt: "Ein solches begleitetendes Bewußtsein, das selber nie Ursache ist, sondern nur den fortlaufenden Spiegel eines aktiv in sich verlaufenden Kausalprozesses von körperlichen Zuständen darstellen soll, ist das Überflüssigste und Langweiligste von der Welt." (25)
LITERATUR - Hans Ruin, Erlebnis und Wissen, Helsingfors 1921
    Anmerkungen
    1) ETIENNE de CONDILLAC, La Logique, Seite 55 (Oeuvres complétes, Bd. XIII)
    2) ALEXANDER BAIN, Dissertations and Discussions III, Seite 121-122.
    3) BAIN, The Emotions and the Will, Seite 311
    4) BAIN, The Emotions and the Will, Seite 377
    5) BAIN, The Senses and the Intellect, Seite 558
    6) BAIN, The Senses and the Intellect, Seite 559
    7) BAIN, The Senses and the Intellect, Seite 559
    8) BAIN, Mental and Moral Science, Seite 342
    9) BAIN, The Emotions and the Will, Seite 373
    10) BAIN, The Emotions and the Will, Seite 361 und 373-74
    11) BAIN, Mental and Moral Science, Seite 338
    12) BAIN, The Emotions and the Will, Seite 436
    13) Oder wie es bei BAIN heißt: "The force of the will (d. h. unsere Muskelkraft) is set in array against a power of a different sort, the power of the intellectual associations". [wird gegen eine Macht anderer Art, die Macht der geistigen Assoziationen - wp] - Emotions and Will, Seite 375
    14) BAIN, Senses and Intellect, Seite 458. Siehe auch "Mental and Moral Science", Seite 128. (Vom Verfasser gesperrt).
    15) BAIN, Senses and Intellect, Seite 538. (Vom Verfasser gesperrt).
    16) BAIN, Senses and Intellect, Seite 582
    17) BAIN, Senses and Intellect, Seite 583
    18) BAIN, Senses and Intellect, siehe die Anmerkung zu Seite 585
    19) Senses and Intellect, Seite 460
    20) Manche sehen es als selbstverständlich an. Ein Beispiel hierfür bietet EINO KAILA in seinem neulich erschienenen Buch von der Seele als einer biologischen Erscheinung. Er führt Seite 11 aus: "Wenn das mechanistische Prinzip sich als allein herrschend auch auf organischem Gebiet, somit auch auf dem des Zentralnervensystems erweist, und  wenn  der  Parallelismus  ... Recht hat, so ist das  mechanistische Prinzip  in allem Seienden, sowohl auf dem Gebiet des Physischen, wie auch indirekte auf dem des Psychischem, alleinherrschend."
    21) Mind and Body, Seite 133 und 134.
    22) RICHARD ERIKSEN, Sjaelen og videnskapen, Seite 23
    23) ALEXANDER PFÄNDER hat sehr anschaulich in seiner "Einführung in die Psychologie" darüber gehandelt. Siehe besonders Seite 89-90.
    24) JOHN STUART MILL, Dissertations III, Seite 109
    25) WILHELM WINDELBAND, Einleitung in die Philosophie, Seite 183