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Francisco Ferrer
Erscholl es von des Menschenkämpfers Mund. Was er erstrebt auf seines Lebensgang, Noch einmal tat er es im Sterben kund. Vor seinen Mördern stand er ohne Wanken, Stolz bot die Brust er ihren Kugeln dar. Sein letztes Wort, der letzte der Gedanken Des Feuersgeist, die Freie Schule war. Die freie Schule nur, die keine Ketten Von Staat und Priesterhand geschmiedet trägt. Nur sie kann uns aus einer Knechtschaft retten, Die täglich der Vernunft ins Antlitz schlägt. Denkt Eurer Kinder! Freie Schulen gründet! Schafft für die Zukunft köstlichen Gewinn! So hat Francisco Ferrer es verkündet, So gab er für sein Ziel sein Leben hin. Die freie Schule! Mag der Ruf durchdringen Die weite Welt, daß sie dem Licht erblüht! Mag er, zum Kampfe mahnend, wiederklingen In jeder Brust, die für die Freiheit glüht! Francisco Ferrer fiel, doch das Gedächtnis An ihn kann kein Tyrannenspruch verwehn, Sein Name lebt und mit ihm sein Vermächtnis: Für freie Schulen allzeit einzustehn! - Martin Drescher Einleitung Ein Kriegsraubzug der spanischen Armee gegen die marokkanischen Riff-Kabylen, begonnen und geführt im Geschäftsinteresse einiger industrieller Finanzleute und mit der Hinopferung tausender Proletarier- und Bauernsöhne, führte 1909 zur spontanen Erhebung des Volkes von Barcelona und anderer katalonischer Städte, um die weitere Einschiffung von Truppen nach Marokko und dadurch die Fortführung des Krieges zu verhindern. Als diese anti-militaristische Erhebung, unvorbereitet und planlos, wie sie war, durch militärische Übermacht niedergeschlagen wurde, bot sich den Machthabern Spaniens die langerwünschte Gelegenheit, sich ihrer Feinde zu entledigen. Der bedeutendste und gefährlichste von diesen war FRANCISCO FERRER, der Begründer der modernen freiheitlichen Volkserziehung in Spanien. Wenn wir unter den vielen namenlosen Revolutionären, die der spanischen Regierung zum Opfer fielen, gerade an ihn wieder erinnern wollen, geschieht dies nicht aus einem Kultus für seine Person heraus, den er selbst, wenn er am Leben wäre, am meisten mißbilligen würde. Wir wollen nur versuchen, nachfolgend ein Bild des Lebens und Wirkens FERRERs zu geben, um das Ideal, für das er lebte und starb, einen Schritt näher zu seiner Verwirklichung zu bringen, um der Idee, die ihn beseelte, zu dienen. Die sozialen Verhältnisse, gegen welche FERRER ankämpfte und denen er zum Opfer fiel, sind im wesentlichen überall dieselben, wo das kapitalistische Herrschaftssystem besteht. Die Armut und die Unfreiheit des arbeitenden Volkes - auf welcher die Macht der herrschenden Klassen aufgebaut ist - entspringt aus der Unwissenheit und der abergläubischen Furcht, der Autoritätenverehrung und dem gedankenlosen Gehorsam der Beherrschten. Und dieser Geisteszustand ist vor allem eine Frucht der falschen Erziehung, die die Herrschenden den Beherrschten von frühester Kindheit an angedeihen lassen. Mit der Begründung der modernen Kulturschulen, in denen keine theologisch-konfessionelle Religion, keinerlei autoritären Dogmen und die vorurteilslose Geisteserkenntnis der Kinder sich frei und auch wisssenschaftlich-logisch entwickeln konnte, hatte FERRER die Wurzel des Übels angegriffen und die herrschenden Klassen seines Landes in ihren Grundlagen gefährdet. Deshalb wurde er aus dem Weg geräumt! Kirche und Staat - Priester und Regierende - warteten gleicherweise auf die Gelegenheit, ihn unschädlich zu machen und sein Werk zu vernichten. Daß er mit der Organisierung und Führung des Barcelonaer Juli-Aufstandes im Jahre 1909 nichts zu tun hatte, das wußten seine Ankläger und Richter ebensogut wie jeder, der nur einigermaßen mit den Ereignissen bekannt war. FERRER hatte seit zwanzig Jahren jedes Vertrauen zu einer bloß äußerlichen Umwälzung der Verhältnisse verloren und widmete sich ausschließlich der "Revolutionierung des Menschengeistes", um die Grundlagen für eine wahrhaft erfolgreiche soziale Revolution zu legen. Und schließlich befand er sich zur Zeit des Aufstandes nur zufällig - durch die Erkrankung seiner Nichte plötzlich aus dem Ausland herbeigerufen - in seinem Landhaus bei Barcelona, wo er mit Verlagsarbeiten beschäftigt war. Er und seine Angehörigen konnten Rechenschaft darüber ablegen, wie er jede Stunde dieser Tage verbracht hatte. Aber die allgemeine Aufregung und die Aufhebung der konstitutionellen Garantien für Katalonien gaben der spanischen Regierung die langersehnte Gelegenheit, FERRER zu vernichten, ohne die öffentliche Meinung des In- und Auslandes fürchten zu müssen (denn dieselbe erfuhr nur so viel und nur das von den Ereignissen, was der Obrigkeit genehm war) und ohne auf ihre eigenen selbstgeschaffenen Gesetze Rücksicht nehmen zu brauchen. Sie hat damit wieder einmal einen alten Erfahrungssatz der Theorie des Anarchismus auf das Deutlichste bewiesen, die uns lehrt, daß die Gesetze bloß für jene da sind, die sich denselben unterwerfen, und daß bei allem, was die herrschenden Klassen erreichen wollen, sie sich nur auf ihr Macht stützen, ohne sich in ihrem Vorhaben von religiösen, ethischen oder juristisch-rechtlichen Bedenken beirren zu lassen. Diese Macht - die in der Unwissenheit des Volkes liegt - den Ausbeutern und Bedrückern zu entziehen, indem wir das arbeitende Volk schon in der Jugend und vor allem geistig zur vollständigen Loslösung und Abkehr von aller Gewaltmacht der Staats- und Kapitalsinstitution erziehen - dies war FERRERs Lebensaufgabe, die er eben durch das Heranbilden von selbständig denkenden, in freier herrschaftsloser Solidarität zusammenwirkender Menschen verwirklichen wollte. Man hat es oft versucht, FERRER als bloßen Bourgeois-Freidenker und reformierten Pädagogen hinzustellen und seinen Namen für ausschließlich anti-klerikale und anti-katholische Zwecke auszunützen, was aber geeignet wäre, die allgemeine Aufmerksamkeit und Empörung von anderen Formen der Bedrückung und Ausbeutung abzulenken, denen der Mensch in der bestehenden Staats- und kapitalistischen Monopol-Gesellschaft unterworfen ist. Wenn wir die im Folgenden gesammelten Äußerungen FERRERs lesen, werden wir sehen, daß alle seine Bestrebungen im Gegenteil immer darauf gerichtet waren, die Autorität einer jeden Herrschaftsform - sei es die einer pfäffisch-militaristischen Monarchie wie in Spanien (gegen welche, als das für ihn am nächsten liegende Hindernis der Befreiung sein Kampf in erster Linie gerichtet war) oder die einer bürgerlichen demokratischen Republik oder eines sozialdemokratischen "Zukunftsstaat" - durch den unmittelbar geführten Kampf freiwillig vereinter Menschen unmöglich zu machen. FRANCISCO FERRER war ein Anarchist und Revolutionär in der ethisch erhabensten Bedeutung dieses Wortes. Notwendiger, als je zuvor, ist heute die Verbreitung dieser Erkenntnis. Was FERRER, ehe er zur Selbstwidmung an sein Lebenswerk kam und endlich erkannte - wir haben es in der harten, trüben und traurigen Schule des Lebens praktisch erfahren müssen: Es gibt keine Erneuerung der Gesellschaft, ohne vorher das Grundelement einer neuen Weltanschauung und geistigen Lebensauffassung in denjenigen Menschen geschaffen zu haben, die dazu berufen sein sollen, eine neue Gesellschaft zu errichten! Nicht nur, daß der Weltkrieg uns gelehrt hat, daß Menschen, die noch kriegstauglich sind in der elementaren ethischen und intellektuellen Verneinung dieses Wortes, untauglich sein müssen, eine kulturell höhere Stufe der sozialen Gemeinschaft zu ersteigen; aber die Erlebnisse nach dem Krieg, das erschütternde Versagen der Arbeiterbewegung Deutschlands, Österreichts und Rußlands, die alte Gesellschaftsordnung abzulösen durch völlig neue, geläuterte und kulturell die Menschheit erlösende Formen der Allbefreiung des Individuums und der Gemeinschaft, diese Erfahrungen müssen uns mit Donnerstimme lehre, daß FRANCISCO FERRER recht gehabt hat. - Nur in der geistigen Erneuerung des werdenden Menschen ist die Vollkraft der sozialen Neuschöpfung gelegen. Die Jugend muß erfüllt werden mit den Werten der unbedingten, persönlichen Entfaltungsfreiheit, um in gereifter Vernunfterkenntnis einen Gesellschaftszustand zu erbauen, dessen Fundamente schließlich die Lösung des sozialen Konfliktes beinhalten sollen: individuelle Freiheit inmitten eines sozialen Gemeinschaftsglücks für alle; was uns praktisch in Anarchie und Kommunismus verbürgt erscheint, wie es auch FRANCISCO FERRER so erschienen ist. In der Jugend liegt die Zukunft der Menschheit. Und es ist ein gutes Zeichen, daß sich die Jugend überall regt und rührt und nach einer Selbstgewinnung ihres Persönlichkeitsrechts drängt. FERRER hat uns gezeigt - dafür mußte er sterben - wie die Jugend methodisch und systematisch auf den Wegen der Freiheit zur Befreiung gelenkt, in ihrem Sinn erzogen werden soll, um jene Generation der Befreiung zu werden, die zum kulturellen Ausbau und zur sozialethischen Durchführung der sozialen Revolution befähigt ist. Wir hoffen, daß dieses Buch dazu beitragen wird, viel Unverständnis, viele irrige Anschauungen, die über den Sinn und die Bedeutung jener idealen Weltanschauung, deren einer ihrer vornehmsten Träger FERRER gewesen ist, so weit verbreitet sind, zu zerstören und alle jene, die in Wahrheit eine bessere, freie und glücklich Zukunft der Menschheit anstreben, einander näher zu bringen. Leben und Entwicklung FRANCISCO FERRERY GUARDIA wurde in Spanien, zu Alella, am 10. Januar 1859 geboren (1). Schon als Kind begeisterte er sich bei den Erzählungen seines Onkels über die Verschwörungen des Generals PRIM und anderer Revolutionäre, die die bourbonische Monarchie stürzen wollten. Und als im Jahr1868 ISABELLA II. den Thron verlassen und ins Ausland flüchten mußte, nahm FERRER, erst elf Jahre alt, an den Freudenfesten des Volkes teil. Alle diese Ereignisse ließen ihre Spuren in seinem Geist zurück. Seitdem hörte er nicht auf, sich immer auf die Seite jener zu stellen, die mehr Wohlstand und Glück für Alles herbeisehnen, gegen jene, die allein und oft auf Kosten anderer genießen wollen. Später nahm er so tätigen Anteil an diesen Kämpfen, daß er im Jahre 1885 auswandern mußte (2), um der Verfolgung der monarchischen Regierung, die wieder die Herrin von Spanien geworden war, zu entgehen. Er lebte in Paris, wo er spanischen Sprachunterricht erteilte und gleichzeitig mit den übrigen verbannten Republikanern an der Wiederherstellung der Republik in Spanien arbeitete. Doch beschäftigte er sich bereits ganz speziell mit den Fragen der Erziehung. Er war so überzeugt davon, daß ohne eine vorhergehende entsprechende Erziehung jede Freiheitsbewegung erfolglos bleiben muß, daß er sich von da an beinahe ausschließlich dem Streben widmete, ein vorbildliches System eines vernunftgemäßen Unterrichts zu organisieren, das vom spanischen Volk anstelle des überall bestehenden klerikalen oder staatlichen Unterrichts eingeführt werden könnte. 1901 eröffnete FERRER die erste Moderne Schule von Barcelone mit nur 33 Schülern und einem Textbuch; er war fest entschlossen, keine anderen Bücher zu gebrauchen als solche, die von allen theologischen sowie anderen Vorurteilen frei sind. Sein System eines rationalistischen (verstandesgemäßen) Unterrichts wurde so gut aufgenommen, daß andere Schulen dasselbe annahmen und daß es nach fünf Jahren bereits an die fünzig rationalistischen Schulen in Spanien gab und die Bibliothek der Modernen Schule aus einigen dreißig Bänden bestand, die alle Zweige des Unterrichts umfaßten. Die Jesuiten von Barcelona waren wütend über die Ausdehnung, die das so fruchtbringende Werk der Modernen Schule gewann. Und nach einem anti-katholischen Fest, das am Karfreitag, den 12. April 1906 stattfand und an dem 1700 Schüler teilnahmen, wandelte sich ihre Wut in Haß, und sie gelobten sich, die Moderne Schule und ihren Begründer zu vernichten. Einige Wochen später, am 31. Mai 1906, warf der spanische Anarchist MATEO MORRAL eine Bombe unter die Kalesche des königlichen Herrscherpaares. FERRER wurde vom spanischen staat böswillig unter Anklage gestellt und in diese Sache verwickelt. Und sicherlich hätten die spanischen Reaktionäre diese Gelegenheit benützt, um die Jesuiten zufriedenzustellen, wenn nicht die freidenkenden Menschen und Verteidiger der Wahrheit und Gerechtigkeit in allen zivilisierten Ländern ihre Stimme zugunsten FERRERs, der an diesem Attentat gänzlich unbeteiligt war und zugunsten der übrigen Mitangeklagten erhoben hätten. * Von seiner Befreiung aus dem Madrider Gefängnis im Juni 1907 an, bis zu den Ereignissen im Sommer 1909, die sein tragisches Ende herbeiführten, verbrachte FERRER seine Zeit abwechselnd in Paris oder im Landhaus seines Bruders JOSÈ in Mongat bei Barcelona, die "Internationale Liga zur vernunftgemäßen Erziehung der Kindheit" und deren Zeitschrift "Die erneuerte Schule" in Paris und Brüssel - weiterzuführen und auszubauen. In seiner Persönlichkeit war FERRER ein liebenswürdiger und liebevoller, lebensfreudiger und zugleich still-bescheidener Mensch. Diese Züge treten auch in seinem Familienleben voll zutage. Aus seiner ersten Ehe (1880) entsprangen fünf Kinder - vier Töchter und ein Sohne - die er seinen freiheitlichen Ideen gemäß mit großer Sorgfalt und Liebe erzog, auch nachdem die Ehe, wegen der vollständigen Verschiedenheit der Lebensauffassung der beiden Ehegatten, auseinandergegangen war; die Ehe wurde nicht formell geschieden, da dies sowohl nach spanischem Gesetz, als auch dem dem Katholizismus unzulässig ist. Als FERRER dann im Jahr 1901 seine erste Moderne Schule in Barcelona eröffnete, fand er in seiner begeisterten Mitarbeiterin an derselben, SOLEDAD VILLAFRANCA, seine Gefährtin, mit der er in einer glücklichen, freien Vereinigung die letzten taten- und ereignisreichen Jahre seines Lebens gemeinschaftlich durchlebte, und die auch nach seinem Tod mit unbeugsamer Kraft bestrebt war, das Werk dieses hingebungsvollen Lebens ihres ermordeten Mannes nach Möglichkeit weiterzuführen. Bevor wir zur eingehenden Betrachtung von FERRERs erzieherischer Tätigkeit - der Hauptaufgabe dieses Werkes - übergehen, müssen wir den obigen knappen Lebensdaten noch eine Übersicht seiner geistigen Entwicklung hinzufügen. FERRERs Eltern - kleine Landwirte - waren streng konservativ und katholisch. Als Kind scheint er ihrer religiösen Erziehung keinen aktiven Widerstand entgegengesetzt zu haben, und sein freies Denken erwachte zuerst unter der Anregung seines ersten Chefs, eines Tuchwarenhändlers zu Barcelona, zu dem er in seinem dreizehnten Jahr in die Lehre kam. Von dieser Zeit an widmete er sich mit Eifer und Ausdauer der Vervollständigung seiner allgemeinen und wissenschaftlichen Bildung, und bald wurde er ein überzeugter Anti-Klerikaler und Republikaner. Mit 21 Jahren erhielt er eine Stelle als Streckenkontrolleur bei der spanischen Nordbahn. Als Eisenbahnbeamter hatte er reichlich Gelegenheit den revolutionären Parteien nützliche Dienste zu leisten; und wie wir schon vernahmen, nahm er am 19. September 1886 in San Coloma beträchtlichen Anteil an der republikanischen Militärerhebung des Generals VILLACAMPA, deren innere Unzulänglichkeit bezüglich ihrer Menschen, Charaktere und Ziele eine Enttäuschung für ihn bildete. Als FERRER nach dem Scheitern dieses Erhebungsversuchs nach Paris flüchten mußte, wurde er daselbst der Sekretär und Freund des Führers der spanischen Republikaner, RUIZ ZORILLA. Im regen Verkehr mit den bedeutendsten Männern der fortschrittlichsten Bewegungen, als ein eifriger verständnisvoller Beobachter und Zuhörer, reiften während dieser Jahre seine Überzeugungen heran. "Fünfzehn Jahre in Paris, in fortwährender Erwartung der Revolution, die sein Heimatland neu gestalten sollte, hatten die Wirkung, daß er alle Hoffnung verlor, daß Spanien sich je durch die Tätigkeit der Revolutionäre erheben wird." Nachdem er an den vielen Versuchen zu einer Revolution, die der spanische Republikaner ZORILLA leitete, teilgenommen hatte, kam er zu der Überzeugung, daß die freiheitliche Erziehung des Kindes der vielleicht wichtigste Hebel zu einer Besserung der menschlichen Verhältnisse ist und zum Beginn von glücklicheren Zeiten für sein unglückliches Land führen wird." (3) Sein alter Freund NAQUET schreibt (4):
"Für die Republikaner war er ein Anarchist, für die Anarchisten war er ein Republikaner", sagt von ihm einer seiner Freunde. FERRER begriff, daß alle fortschrittlichen Bewegungen, wenn sie nur ehrlich sind, ein und demselben Ziel zustreben, er hielt es für das Beste, daß jede von ihnen mit aller Energie ihren eigenen Weg verfolgt, anstatt ihre Kräfte mit Kritisieren und Bekämpfen der übrigen zu vergeuden; und auf seinem Weg zu diesem Ziel richtete er seinen Angriff gegen jenes Hindernis, das er am nächsten antraf: die klerikale Monarchie in Spanien. Als im Jahre 1907 der damals noch revolutionäre Sozialist HERVE, emöprt über die Einkerkerungen und Hinmordung der revolutionären Arbeiter unter dem radikal-sozialdemokratischen Ministerium CLEMENCEAU-BRIAND (5) seinen berühmten Artikel "Nieder mit der Republik!" veröffentlichte, antwortete FERRER, obwohl längst nicht mehr aktiv für die politisch-republikanische Bewegung arbeitend, folgendermaßen darauf:
Ich will mich nicht mit der Betrachtung dessen aufhalten, was in anderen Ländern geschieht, wo ein Kaiser oder König regiert. Ich werde mich auf Spanien beschränken, wo das Recht zur Vereinigung besteht und faktisch die absoluteste Willkür herrscht. Wenn es sich in Spanien um religiöse Kongregationen oder klerikale Vereinigungen handelt, was geschieht dann? Dann ist die Vereinigung nicht nur erlaubt, sondern wird noch begünstigt. Wie aber, wenn es sich im Gegenteil um Vereinigungen von revolutionären Arbeitern oder um rationalistische Schulen handelt, in welchen kein Religionsdogma gelehrt wird? Dann trifft sie der Arm der Behörden mit unnachsichtiger Strenge. Die Freiheit ist auf der spanischen Halbinsel nur ein Monopol er Reaktionäre aller Grade, und deshalb sage ich, daß die französischen Sozialisten, die die Republik bloß an und für sich als Republik angreifen, einen schweren Irrtum begehen. Es ist nur die bürgerliche und kapitalistische Form der Republik, die wir bekämpfen müssen. Das ist der Grund, weshalb die spanischen Revolutionäre - im Gegensatz zum Führer der Sozialdemokraten Pablo Iglesias - die Republikaner, die die Monarchie der Bourbonen zu stürzen versuchen, nicht bekämpfen. Wir organisieren uns im Gegenteil so weit wie möglich, wir gründen Gewerkschaften und föderieren dieselben in unserer "Allgemeinen Arbeitervereinigung" damit wir am Tag, an dem die republikanische Partei die Monarchie in Gefahr gebracht hat, am Kampf teilnehmen und denselben mit aller Kraft so beeinflussen, daß wir aus der spanischen Republik nach Möglichkeit eine soziale, kommunistische und freiheitliche Republik machen können. Es lebe die kommunistische und freiheitliche Republik!" * Der Zustand, in dem Spanien sich bis heute befindet, läßt uns diese Haltung FERRERs noch begreiflicher erscheinen. Das geistige wie das materielle Leben Spaniens ist der katholischen Geistlichkeit und einer korrupten Beamten-Oligarchie untertan. Nur ein kleiner Teil der erwachsenen Bevölkerung kann lesen und schreiben. Die Schulen, sowohl die kirchlichen wie die staatlichen (es besteht nämlich seit 1873 ein Gesetz über die obligatorische allgemeine Volkserziehung!) sind wahre Höhlen oder Schuppen; die Lehrer sind ganz ungebildete Leute, die schlechter bezahlt sind als viele Arbeiter. Die Unwissenheit und der Aberglaube in den Schichten des ärmeren Volkes ist infolgedessen ganz unglaublich. Ihre Religion selbst ist eine wahre Fetischanbetung, indem jedes der verschiedenen und wundertätigen Heiligenbilder seine eigenen Anbeter hat, die es mit Geschenken überhäufen, während es von anderen verachtet und gehaßt wird. Die Juwelen und Kleider der Heiligenstatuen haben oft einen Wert von Millionen; sogar die Summen, die jährlich für Wachskerzen ausgegeben werden, sollen sich auf ein paar Millionen belaufen. Die Priesterschaft hat ein riesiges Einkommen aus dem Verkauf von Ablässen, die in Spanien, wie zur Zeit vor der Reformation, einen schwunghaften Handel bedeuten und Papiere sind, auf weclhen unter dem Siegel des Erzbischofs von Toledo und mit der Autorisierung des Papstes die Erlösung von Fegefeuer zugesichert oder das straflose Behalten von gestohlenem Gut, das Fleischessen an Fastentagen usw. erlaubt wird! Die Zahl der Kirchen und Klöster, der Geistlichen, Mönche und Nonnen ist ungeheuer groß, und die religiösen Stiftungen besitzen riesige Vermögen. Und nicht nur, daß das arbeitende Volk Spaniens diese Bürde von Schmarotzern erhalten muß. Die Mönchs- und Nonnenorden besitzen beträchtliche landwirtschaftliche und industrielle Unternehmungen, in welchen die Arbeit von Kindern und Frauen im Namen der Religion auf das Schändlichste ausgebeutet wird, und die Konkurrenz dieser Unternehmungen ist ein Hauptgrund des wirtschaftlichen Ruins des Landes und der Niederdrückung der Löhne. Dieses ganze System wird von einer ebenso verderbten Beamten- und Politikerwirtschaft unterstützt; jeder Versuch, an demselben zu rütteln, wird auf das grausamste unterdrückt; man denke nur an die Torturen in Montjuich im Jahre 1897 und Alcale del Vale im Jahr 1904, wie an die grausame Ermordung hunderter syndikalistischer Anarchisten in den Jahren 1920 und 1921. Gegen all dies hatte FERRER zu kämpfen. Mit seinen beschränkten Geldmitteln konnte er freilich nur wenig für sein Ziel tun. Immerhin übersetzte er verschiedene rationalistische Bücher ins Spanische und bereiste während seiner Schulferien heimlich Spanien, um für seine Ideen Propaganda zu machen. * Im Jahre 1894 trat eine entscheidende Wendung in seinen Lebensumständen ein, die die Verwirklichung seiner Pläne in großem Maßtstab möglich machte. Unter seinen Schülerinnen, die er in Paris im Spanischen unterwies, befand sie eine ältere katholische Dame, Fräulein Meunier, die von seinem Enthusiasmus begeistert wurde und ihm ihr ganzes Vermögen (ungefähl 700 000 Francs) vermachte. FERRER nahm dieses Legat mit der ausdrücklichen Erklärung an, daß er dasselbe ausschließlich zur Verwirklichung seines rationalistischen Erziehungssystems verwenden wird. Von diesem Grundsatz ist er auch nie abgewichen und hat das Vermögen, obwohl die Erblasserin ihm dasselbe ohne irgendwelche einschränkende Bestimmungen hinterließ, nie als sein eigenes betrachtet; seine Lebensweise blieb nach wie vor die allerbescheidenste, und sobald das Legat im Jahre 1901 in seine Hände kam, gründete er in Barcelona seine erste Moderne Schule. Die Moderne Schule Die "Escuela Moderna", die FERRER im August 1901 in Barcelona eröffnete, war nicht die erste ihrer Art in Spanien (6). Die organisierte Freidenkerbewegung daselbst hatte seit langem die dringende Notwendigkeit eingesehen, dem religiösen Aberglauben und seinen verderblichen Folgen durch rationalistische und nicht-kirchliche Schulen entgegenzuarbeiten. Bereits im Jahre 1885 wurde die nicht kirchliche Schule "La Verdad" (Die Wahrheit) in San Felice de Guipolo gegründet. Sie war die am besten ausgestattete Schule der ganzen Stadt und wurde von einer großen Anzahl von Schülern besucht. 1888 errichtete der Freidenkerverein "Die Freunde des Fortschritts" in Madrid eine ähnliche Schule. Die Statuten des Vereins gaben als dessen Hauptzweck an: "Die Schaffung und die Verteidigung nicht-kirchlicher Schulen für Knaben und Mädchen mit allen nötigen Klassen und Graden". Auf dem internationalen Freidenkerkongreß im Jahre 1889 waren 60 spanische Freidenkervereine vertreten, und aus dem vorgelesenen Bericht geht hervor, daß diese ihre Hauptaufgabe im Kampf für die nicht-kirchliche Erziehung sahen. Mehrere dieser Vereine unterhalten nicht-kirchliche Schulen, und ihr Bestreben ist, ihren Einfluß dahin geltend zu machen, daß der Religionsunterricht aus sämtlichen Volksschulen gänzlich verschwinden soll. * Dies war die Atmosphäre und Gefühlsrichtung betreffs der Religion in den Schulen während den paar Jahren von Versuchen und Vorbereitungen vor der Gründung der "Escuela Moderna". Während all dieser Zeit hatten Gruppen von fortgeschrittenen Denkern - Sozialisten, Anarchisten, Freidenker, Syndikalisten und Genossenschaftlern - ihre Geldmittel gesammelt und vereinigt, ihre gemeinsamen Komitees gebildet, Schulen gegründet, Unterrichtsmaterial gekauft und Lokale gemietet, um sich selbst und ihre Kinder von Unwissenheit, Aberglauben und geistiger Sklaverei zu befreien. Sie waren entschlossen, selber das zu tun, was die Regierung nicht für sie tun wollte. Und als FERRER sich 1901 ans Werk machte, die Bestrebungen der anti-klerikalen Schulen einheitlich zu organisieren, dieselben mit neuen Textbüchern zu versehen und ihre Unterrichtsstunden auf das höchste Niveau der modernen Pädagogik zu erheben, war dies ein höchst empfindlicher Schlag für die Mächte des religiösen Aberglaubens und der klerikalen Herrschaft. Die folgenden Tatsachen geben ein klares Bild davon, wie zugänglich der Geist des spanischen Volkes den rationalistischen Ideen ist, und welche Erfolge diese Ideen bereits über das Christentum und die katholische Kirche erkämpft haben. Sie sind einem Brief von FERNANDO LAJANDO, den Herausgeber des Freidenkerblattes "Las Dominicales" (Apartado 109, Madrid) entnommen: Vor ungefähr 25 Jahren wagte es in Spanien sozusagen niemand, gegen die Kirche zu sprechen. Die Herausgabe des Blattes "Las Dominicales" wurde als ein nationaler Skandal angesehen. Jeder Terrorismus wurde angewendet, um diese verruchte Zeitung zu vernichten, bis zur Ermordung eines ihrer Hauptmitarbeiter (Garcia Vas). Es war alles vergeblich. Die Kirche wurde auf allen Punkten besiegt, und heute muß sie, statt anzugreifen, sich verteidigen. Mehr als hundert republikanische Blätter haben einen mehr oder weniger ausgesprochen freidenkerischen Charakter, und die meisten (wenn nicht alle) republikanischen Gesellschaften sind rationalistisch in ihrer Weltanschauung. In Madrid gibt es zehn Bezirke, in denen fortschrittliche Vereine und Komitees bestehen, und jedes Vereinslokal besitzt eine Freie Schule in welcher keine Religion unterrichtet wird. So auch in Barcelona, Bilbao, Corunna, Saragossa und in allen größeren Städten Spaniens, wo mit jedem republikanischen Mittelpunkt Freie Schulen emporgewachsen sind; in Katalonien gibt es sogar in vielen Dörfern Freidenker-Vereine und durch dieselben unterhaltene nicht-klerikale Schulen. Alle republikanischen, sozialistischen, anarchistischen und genossenschaftlichen Vereinigungen sind freidenkerisch und anti-religiös. Das Bemerkenswerteste aber ist, daß die Masse der Bauern und Landarbeiter, die seit undenklichen Zeiten unter dem Joch des Aberglaubens geschmachtet hat, sich nicht mehr vor der Hölle fürchtet. Es gibt z. B. kleine, im Gebirge verlorene Dörfer, wo der größte Teil der Begräbnisse ohne Priester vorgenommen wird, und die Trauungen werden, im Beisein von großen Mengen frei gesinnter Landleute, ohne Priester, bei den Klängen der Marseillaise, abgehalten. Nicht nur die Kirche, sondern der Katholizismus selbst beginnt im spanischen Volk seine Wurzeln zu verlieren. Der geistige Boden war also gut vorbereitet für die Saat, die FERRERs Moderne Schule in Barcelona ausstreute. Sein großes Verdienst bestand nicht bloß darin, der Bewegung einen neuen Anstrich gegeben zu haben, sondern hauptsächlich darin, daß er seine Begeisterung, sein Vermögen, sein Organisationstalent der Aufgabe widmete, die bereits ausgestreute Saat zur Reife zu bringen, die Methoden des Unterrichts zu vervollkommnen, und den Schulen eine reiche und mannigfaltige Reihe von Textbüchern zu geben. FERRERs Moderne Schule war nicht die erste ihrer Art, aber jedenfalls die lebenskräftigste von allen nicht-kirchlichen Schulen Spaniens. Bald vermehrte sich die erste in Barcelona gegründete Schule, ihr Einfluß breitete sich aus, und im Jahr 1906 gab es in Katalonien und anderswo bereits 60 Schulen nach ihrem Muster. * Betrachten wir nun die Grundzüge von FERRERs Bestrebungen und ihre praktische Durchführung. Im Manifest, das FERRER anläßlich der Eröffnung der ersten Schule in Barcelona herausgab, äußerte er sich folgendermaßen über seine Ideen:
"Wenn wir alle darüber einig sind, daß die Arbeiter, oder besser gesagt, die ganze Menschheit, nichts von irgendeinem Gott oder irgendeiner übernatürlichen Macht erwarten darf, können wir diese Macht durch eine andere, z. B. durch den Staat ersetzen? - Nein. Die Befreiung des Proletariats kann nur das unmittelbare und selbstbewußte Werk der Arbeiterklasse selbst, ihres Willens zu lernen und zu wissen, sein. Wenn das arbeitende Volk unwissend bleibt, so wird es immer in der Knechtschaft der Kirche oder des Staates, d. h. des Kapitalismus, der diese zwei Mächte vertritt, verbleiben. Wenn es im Gegenteil seine Kraft aus der Vernunft und dem Wissen schöpft, wird sein wohlverstandenes Interesse es bald dazu bringen, der Ausbeutung ein Ende zu machen, damit der Arbeiter das Schicksal der Menschheit in seine Hände nehmen kann. Deshalb handelt es sich unserer Meinung nach vor allem darum, die Arbeiterklasse in die Lage zu versetzen, diese Wahrheiten zu verstehen. Während sich in den gewerkschaftlichen Organisationen diese grundlegenden Wahrheiten immer mehr unter der erwachsenen Arbeitern verbreiten, versuchen wir es, dieselben auch in die Köpfe der Kinder und der Heranwachstenden einzupflanzen. Begründen wir ein Erziehungssystem, durch das das Kind rasch und leicht dazu gelangen kann, den Ursprung der wissenschaftlichen Ungleichheit, der religiösen Lüge, der verderblichen Vaterlandsliebe und der althergebrachten Gewohnheiten in der Familie und anderswo, die es in Sklaverei halten zu erkennen. Es ist nicht der Staat, der Ausdruck des Willens einer ausbeuterischen Minderheit, der uns helfen kann, dieses Ziel zu erreichen. Das zu glauben wäre der verderblichste Wahnsinn. Wenn ihr gute Kaufleute, geschickte Buchhalter, fähige Beamte haben wollt - mit einem Wort Leute, die bloß daran denken, sich ihre eigene Zukunft zu sichern, ohne sich um andere zu kümmern - dann wendet euch an den Staat, an die Handelskammern, an alle patriotischen Vereine und Gesellschaften. Wenn ihr aber eine Zukunft der Brüderlichkeit, des Friedens und des Glücks für alle vorbereiten wollt - wie ihr es wollen müßt! - dann wendet euch an euch selber, an jene, die unter dem bestehenden System leiden und gründet Schulen wie die unsere, in der ihr alle Wahrheiten, die die Menschheit erworben hat, lehren könnt. Und was kümmert auch die Unterstützung des Staates, wenn ihr nur endlich einmal Herren in eurem eigenen Haus sein könnt; wenn ihr die Sicherheit habt, daß ihr in naher Zukunft geschaffen haben werdet, die nicht mehr das Werkzeug der Tyrannei sein wird, sondern aus freien Menschen besteht, dazu entschlossen, im allgemeinen Wohlstand und in wahrer Solidarität würdig zu leben." In der Schule werden Knaben und Mädchen über 5 Jahre aufgenommen. Um ihr Werk zu vervollständigen, widmet die Schule am Sonntag Vormittag ihre Lokale historischen Konferenzen, der Untersuchung der menschlichen Leiden während all der Jahrhunderte, und der Erinnerung an Menschen, die auf dem Gebiet der Wissenschaften, der Künste und der Kämpfe um den Fortschritt Hervorragendes geleistet haben. Das Programm der Schule umfaßt: 1. Eine Vorbereitungsklasse (mit zwei Unterklassen), in der Beobachtungen, Versuche und Nachdenken über die täglichen Ereignisse des Lebens, die Erwerbung allgemeiner Kenntnisse und Handfertigkeiten abwechseln; 2. Einen Mittelkurs, der dem Studium der wissenschaftlichen Kenntnisse gewidmet ist, die das Kind zu einer möglichst umfassenden einheitlichen und positiven Erziehung notwendig hat; 3. Die obere Abteilung, wo die Erwachsenen unter der Leitung der Professoren sich ihren persönlichen Arbeiten widmen und die größeren Kinder ihre Kenntnisse, die sie im Mittelkurs gewonnen haben, auffrischen, überprüfen und ausdehnen können, so daß es den Schülern möglich ist, ihre besondere und ausgesprochene Geistesrichtung zu betätigen. Das Bulletin der Schule berichtet monatlich über die praktischen Ergebnisse und Fortschritte derselben. Die Aufgabe der "Modernen Schule" ist: die ihr anvertrauten Kinder - Knaben und Mädchen - so zu erziehen, daß sie zu Männern und Frauen werden, die frei und selbständig denken und die Wahrheit und Gerechtigkeit lieben. Um dieses Ziel zu erreichen, ersetzt die Schule die dogmatische Methode der Theologie durch die vernunftgemäße Methode der Naturwissenschaft, mit der Absicht, die besonderen Fähigkeiten eines jeden einzelnen Schülers zu erwecken, zu entwickeln und zu kultivieren; so daß die angeborenen und verborgenen Fähigkeiten eines jeden Kindes vollen Spielraum erhalten und so dasselbe nicht nur ein nützliches Mitglied der Gesellschaft, sondern auch, dank seiner speziellen Erziehung, ein Werkzeug der geistigen und moralischen Hebung der Masse werden kann. Der Unterricht ist auf der fortschreitenden Entwicklung des Kindes aufgebaut und vermeidet alle atavistischen reaktionären Instinkte - Religion, Rassenfeindschaft, Klassenvorurteile, Kriegsleidenschaft und Vergeltungssucht -, die im Kind das tote Gewicht der Vergangenheit darstellen und jeden freiheitlichen und zielbewußten Versuch zur Verwirklichung einer besseren Zukunft für die Menschheit vereiteln. Unser Unterricht erkennt weder Dogmen noch Gebräuche an, denn dies sind Formen, die das Leben des Gedankens in Schranken einzwängen, die durch die Forderungen vorübergehender gesellschaftlicher Zustände errichtet wurde. Wir verbreiten nur die Ergebnisse, die durch die Tatsachen bewiesen, die Theorien, die durch die Vernunft bestätigt, die Wahrheiten, die durch unumstößliche Beweise bekräftigt sind. Der Zweck unseres Unterrichts ist, daß das Denken der Menschen ein Werkzeug ihres Willens werden soll. Wir wollen, daß die Wahrheiten der Wissenschaft in ihrem eigenen Licht leuchten und das Denken eines Jeden erhellen, so daß dieser bei seiner Betätigung der Menschheit Glück schaffen kann, ohne daß, wegen der ungerechten Privilegien von Einigen, Andere dafür zu leiden haben. Es ist unzweifelhaft, daß das Kind ohne irgendwelche vorgefaßte Ideen auf die Welt kommt, und daß es während seines Lebens die Idee jener erwirbt, die es umgeben und sein Denken beherrschen. Des weiteren ändert das Kind seine Erfahrungen je nach seiner Beobachtungsfähigkeit, und seine Ideen werden durch die Verhältnisse seiner Umgebung bestimmt. Es ist also klar, daß, wenn das Kind so erzogen werden kann, daß es von den wissenschaftlichen Wahrheiten über die Welt, die es umgibt, Kenntnis erhält, und beizeiten gewarnt wird, daß, um Irrtümern vorzubeugen, man unter keinen Bedingungen an irgendetwas blind glauben soll, sondern nur jene Wahrheiten anerkennen darf, die von der Wissenschaft bewiesen sind - daß sich sein Geist in einer dann für jegliches Studium günstigen Richtung entwickeln wird. Um also das Kind in die Lage zu versetzen, sich selbst ein unabhängiges Urteil über die verschiedenen Probleme des menschlichen Lebens zu bilden, ist es wichtig, daß dem Kind alles, in der Natur und in den Büchern, so dargelegt wird, wie es in Wirklichkeit ist, und nicht so, wie es gewöhnlich in den Schulbüchern dargestellt wird, die bekanntlich mit religiösen und sozialen Vorurteilen getränkt sind. Die Kinder so zu erziehen, daß sie sich frei von Vorurteilen entwickeln, und solche Lehrbücher herauszugeben, um diesen Erfolg zu erzielen - das ist der Zweck der Modernen Schule. * FERRER nahm nicht den Standpunkt ein, daß die für die Kinder bestimmten Bücher nicht von Gott, Religion und anderen sozialen Dogmen reden sollten. Im Gegenteil, er war überzeugt davon, daß die rationalistische Schule alle diese Probleme besprechen kann und muß, um den Weg für das Kind von all dem frei zu machen und ihm, nach reiflicher Prüfung, seine eigene Abstammung und den Ursprung aller Leiden, die die Menschheit in Form der bestehenden Gesellschaftsordnung und ihrer Kämpfe bedrücken, zum Bewußtsein zu bringen. Mit einem Wort, der Rationalismus in der Schule muß aus dem Kind einen selbstbewußten Menschen machen, der seine eigene Natur und die Natur, die ihn umgibt kennt, so daß er, getreu den Prinzipien, von welchen er durchdrungen ist, im Leben seiner Vernunft folgen und zum besten Wohl Aller handeln kann. * Die Ausführung dieses Programms blieb in nichts hinter dem Ideal zurück. Bereits in der ersten Abteilung, die aus ganz kleinen Kindern besteht, wurden die ersten Einführungselemente der literarischen und wissenschaftlichen Kenntnisse unterrichtet. In dieser, wie in allen übrigen Abteilungen werden ausschließlich die von der Schule selbst herausgegebenen Lehrbücher in die Hände der Kinder gegeben. Das erste Lesebuch ist zu gleicher Zeit die Fibel, Grammatik und ein illustriertes Handbuch der Entwicklung der Natur. In einfacher und dem Kind leicht verständlicher Sprache wird darin der Gang der Weltentwicklung vom Atom bis zum Menschen geschildert. Das Letztere geschieht in der Form eines Gesprächs zwischen Kind und Lehrer, aus dessen Schlußsätzen wir einiges anführen wollen:
Also warum besteht das Weltall? Lehrer: Das Weltall besteht einfach deshalb, weil es besteht. Das Weltall ist die Allgemeinheit der Substanz. Die Wissenschaft zeigt uns, daß von dieser Substanz nicht das allerkleinste Teilchen geschaffen oder zerstört werden kann; die Substanz ist also unzerstörbar und ewig. Der Begriff der Ewigkeit macht aber die Idee einer Weltschöpfung unmöglich; die beiden sind unvereinbar. Wenn wir unter Weltall das gerade zur Zeit bestehende Weltall verstehen, können wir antworten, daß dieses Weltall deshalb besteht, weil die Substanz, d. h. alles, was ist, nämlich die Materie und die Energie, sich unaufhörlich verändert. Das Weltall ist zu jedem gegebenen Moment der Zustand der Materie und der Energie in diesem gegebenen Moment. Um also das Warum des bestehenden Weltalls recht zu verstehen, ist es notwendig, nachdem wir die Ewigkeit der Substanz festgestellt haben, deren Umwandlungen bis auf heute herab zu verfolgen; und dabei müssen wir alle eingebildeten Erklärungen vermeiden und uns ausschließlich auf die Beobachtung und Erfahrung stützen. wenn wir so dargelegt haben, wie sich die Substanz verändert, hat uns dies gezeigt, warum das bestehende Weltall besteht, und warum es so ist, wie es ist. Schüler: Ja, ich verstehe: Das Weltall ist der Begriff, den sich der Mensch von der Allgemeinheit der Substanz macht. Was für einen Nachteil brächte es aber zu sagen: Die Substanz ist Gott? Lehrer: Einen sehr großen. Das Wort Gott erweckt in uns den Gedanken an einen Schöpfer, eines phantastischen allmächtigen Wesens, und wenn die Substanz seit aller Ewigkeit besteht, kann sie nicht erschaffen worden sein, also kann auf diese Substanz unmöglich der kindische Begriff eines allmächtigen Herrschers angewendet werden. Die Zeiten der abergläubischen Furcht, in der die primitiven Völker lebten, sind vorüber. Wir wollen nicht metaphysische Erklärungen auf jene Tatsachen anwenden, deren Ursache wir erkenenn können. Wir müssen zwischen den zwei Weltanschauungen: der dualistischen und der monistischen wählen. Schüler: Was sind diese Weltanschauungen? Kannst du mir das erklären? Lehrer: Die dualistische Weltanschauung nimmt im Weltall einen Schöpfer an, d. h. ein Wesen außerhalb des Weltalls, das nicht das Weltall ist und das Weltall erschaffen hat. Aber dabei tauchen die Fragen auf: Wer hat diesen Schöpfer erschaffen? Wo war er und was tat er während der Ewigkeit, ehe die Welt erschaffen wurde? Die Idee der Gottheit ist eine bloße Einbildung; und sie hat zur Folge, daß die Dualisten den großen Irrtum begehen, ihr Verhalten im Leben dem angeblichen Willen dieser unvernünftigen metaphysischen Hypothese unterzuordnen, sie das höchste Wesen zu nennen. Die monistische Weltanschauung gründet sich nicht auf eingebildete Spekulationen, sondern auf die Tatsachen der Wissenschaft. Sie nimmt nicht das Dasein eines Schöpfers an, sondern zieht ihre Schlußfolgerungen aus dem Bestehen und der Unvergänglichkeit der Substanz durch all ihre Umwandlungen hindurch. Schüler: Und soll man mit der Idee der Gottheit, zusammen auch alle Gedanken eines zukünftigen Lebens und einer unsterblichen Seele verwerfen? Lehrer: Das ist unzweifelhaft. Diese Ideen leiten sich ab von der Hoffnung, nach der, im Gegensatz zu allen Ergebnissen, zu denen die Wissenschaft gelangt ist, gewisse Erscheinungen der Energie, die wir nur in der Tätigkeit von gewissen Organismen beobachten, in derselben Form weiterbeständen, auch wenn diese Organismen schon aufgehört haben zu funktionieren und sogar dann noch, wenn sich dieselben schon aufgelöst haben. Schüler: Also, du sagst, daß diese Hoffnung falsch ist? Lehrer: Natürliche. Es ist leicht zu beweisen, daß das Dasein eines Individuums streng durch die Befruchtung einerseits und den Tod andererseits begrenzt ist. Außerhalb des Daseins des Daseins des Individuums können wir uns kein Dasein für sich vorstellen. Deshalb müssen wir während unseres Daseins nach unserem Glück streben, anstatt uns "dem Schicksal" zu fügen und auf ein angebliches Dasein nach dem Tod zu hoffen. Hoffen wir, daß bald alle Menschen dazu gelangen, diese Wahrheiten zu begreifen, ohne die die Bestrebungen, eine vernünftige Gesellschaft zu begründen, erfolglos bleiben müssen. Schüler: Was du gesagt hast, hat mich überzeugt. Ich werde von nun an auch einer jener sein, die bestrebt sind, zur Begründung einer vernünftigen Gesellschaft beizutragen. FERRERs Lesebuch wurde in kurzer Zeit in zwei Auflagen von je 10 000 Exemplaren vergriffen. Das Vorwort zur zweiten Auflage sagt mit Recht:
* Geradezu vorzüglich ist das Lesebuch für die höheren Abteilungen; es führt die Schüler in die kritische Betrachtung der modernen staatlichen und kapitalistischen Gesellschaft ein, und wir lernen aus ihm den eigentlichen Zweck kennen, den FERRER mit seiner Modernen Schule verband. Wir wollen hier einige charakteristische Stellen aus dem Lehrbuch wiedergeben:
Es ist durch unwiderlegliche Beweise klargelegt und tausendmal wiederholt worden, daß die Männer die Gesetze zugunsten ihres Geschlechts und gegen das weibliche gemacht haben; ebenso wie der Gesetzgeber, reich und privilegiert, immer gegen den Armen und Enterbten Gesetze schaffte und schaffen wird - denn das Gesetz ist immer ein Mißbrauch der Macht. Was aber die Frauen anbelangt, so haben diese noch ärgere Fesseln als die Gesetze: die Kleidung, die durch die althergebrachte Unwissenheit und deren Folgen, die Vorurteile, festgestellt wird; und vor allem die Vorurteile der Frauen selbst, die gleichzeitig Opfer und Mitschuldige ihrer eigenen Sklaverei sind (Seite 152-154). Wenn die brutale Macht sich anmaßt, jedes gerechte, edle und hohe Gefühl zu unterdrücken, dann ist die logische Folge davon die Empörng. Wenn einige Menschen, kraft der Stellung, die sie einnehmen, anstatt eine Garantie für den freien Ausdruck der Gedanken zu sein, demselben unsinnige Hindernisse und Fesseln auflegen, kann die Anwendung von Gewalt nicht vermieden werden. (Seite 154) Der Patriotismus, der Kapitalismus und die Religion bilden ein Netz, das die Persönlichkeit des Menschen erstickt und verkümmern läßt (Seite 154). Die Wahrheit, die Gerechtigkeit und die Schönheit sind die drei großen Kräfte, die unsere Vernunft anziehen, die das Wesen unseres Fortschritts bilden, die die Triebkraft und den Zweck unserer Entwicklung erklären. (Seite 155). Wir suchen keine Bewunderer, wir machen uns nicht zu Götzenanbetern. Wir stürzen erbarmungslos Standbilder und Statuen. Wir schlagen alle heuchlerische Priesterschaft, alles scheinbar Heilige, alle Götzendienereien in Stücke. Nieder mit den Götzen aus Ton oder Fleisch! Daß unser Gewissen, unser Denken sich nie dem Gewissen und dem Denken unterwirft. (Seite 158) Wir verabscheuen alles, was uns uneinig machen kann und lieben begeistert alles, was darauf hinstrebt, uns zu vereinen und zu verbrüdern. Das Gebot der Liebe ist das große Gesetz der Natur. (Seite 159) Ein Mensch kauft ein unbebautes und sumpfiges Stück Land. Er dingt Arbeiter, um es in einen guten Zustand zu versetzen und es zu bebauen, während er ruhig in der Stadt bleibt. Nach wenigen Jahren ist dieses unfruchtbare Land in einen guten Garten oder Acker umgewandelt und ist hundertmal so viel wert als damals, da es gekauft wurde. Die Söhne des Besitzers, die dieses Land erben, werden sagen, daß sie die Früchte der Arbeit ihres Vaters genießen; und die Söhne der Arbeiter, derer, die das Land in Wahrheit fruchtbar gemacht haben, werden fortfahren zu arbeiten und zu leiden. (Seite 161) Man kann eine Kraft nicht benützen, von deren Dasein man keine Kenntnis hat. Die Menschen konnten die Elektrizität, die sie umgab, sich nicht nutzbar machen, als sie dieselbe noch nicht kannten. Im Gegenteil haben wir kein Beispiel davon, daß sich die Menschen nicht sofort einer Kraft bedient hätten, die in ihrem Bereich lag. Deshalb ist es notwendig, dem Proletariat seine eigene Kraft aufzudecken, ihm zu zeigen, daß es nicht schwach ist, daß es der stärkere Teil ist, daß es nicht gehorchen, nicht nachgeben, die Sklaverei nicht ertragen darf. (Seite 164) Die Religionen haben aus der Arbeit einen Fluch gemacht; die Herrschenden machten sie zu einem Joch; die Menschheit wird daraus ihre Freude und ihren Stolz machen. Dann wird die Arbeit keine Schande und keine Qual mehr sein, sondern der Ausdruck der menschlichen Freude in einem allgemeinen Glück. Da ist vor allem das Buch von A. MALVERT: "Der Ursprung des Christentums" in welchem anhand von historischen Dokumenten und Abbildungen dargetan wird, wie die Symbole, Gebräuche und Dogmen der christlichen Kirche sich seit vorgeschichtlichen Zeiten gebildet und entwickelt haben, bis sie schließlich von der Priesterkaste zu dem System zusammengewoben wurden, das heute als "Göttliche Offenbarung" für den Zweck benützt wird, die Menschen über ihr tatsächliches Elend hinwegsehen und so einer herrschenden Klasse dienstbar machen. Im Vorwort schreibt FERRER folgendermaßen:
Die Moderne Schule ist im Gegenteil bestrebt, freie, verantwortliche Intelligenzen heranzubilden, die befähigt sind, in vollständiger Entfaltung all ihrer menschlichen Fähigkeiten zu leben. Sie muß sich notwendigerweise ein vollkommen entgegengesetztes Ziel setzen; sie muß einzig und allein die bewiesene und beweisbare Wahrheit unterrichten, jegliche Lüge oder Fabel ablehnen und immer das Licht gegen die Dunkelheit begünstigen."
Die Moderne Schule vertraut bei der Herausgabe dieser Sammlung anti-militaristischer Gedanken aus der internationalen Literatur der Richtigkeit ihrer Absichten und dem guten Willen all jener Lehrer und Lehrerinnen, die überzeugt sind, daß der Krieg die verbrecherischste Verwirrung der Menschheit und der Militarismus der Vollzieher dieses Verbrechens ist - und daß beide in der Gesellschaft das Vorrecht der Herrschenden aufrecht erhalten. Sie hofft, daß alle Erzieher die Pflicht in sich spüren, alle ihre Zöglinge davon zu überzeugen, daß der auf sozialer Gerechtigkeit begründete Frieden das höchste Gut ist, das die Menschheit anstreben kann, und daß derselbe in der Brüderlichkeit, in der kommenden gerechten Gesellschaft seinen höchsten Lohn findet."
* Welch prachtvolle Früchte diese in des Wortes edelstem Sinn anarchistische Erziehung in der geistigen Entwicklung der einfachen kleinen Kinder trägt, davon können uns die in einem besonderen Buch der Modernen Schule gesammelten und herausgegebenen Aufsätze der Schüler (Knaben und Mädchen von durchschnittlich zehn bis zwölf Jahren) eine Probe geben. In ihrer köstlichen Naivität spiegeln sie getreulich das Denken und Fühlen dieser kleinen frei heranwachsenden Menschen wieder, die durch keine Furcht vor Strafen und Autorität und durch ein gedankentötendes Eintrichtern unverstandener und vorurteilsvoller Meinungen anderer verkrüppelt und zugrunde gedrillt worden sind. Diesen vielen und zahlreichen Aufsätzen entnehmen wir die folgenden:
2. Die Priester sagen, daß man der Wissenschaft keinen Glauben schenken und nicht ihren Lehren gemäß leben darf. Sie sagen, daß es einen allmächtigen Gott gibt; aber wenn er alles tun kann, warum erlaubt er denn dann, daß die Reichen die Armen ausbeuten? 3. Die Polizei. Die Polizei verhaftet die Unglücklichen, die für ihre Familie ein Brot stehlen, sperrt sie ins Gefängnis und macht so das Elend größer. 4. Das Wirtshaus. Wie schade, daß es so viele Wirtshäuser und so wenige Freie Schulen gibt! In den Wirtshäusern betrinken sich die Männer und verzehren den Unterhalt ihrer Familie. Die Frauen leiden darunter und werden krankt, infolgedessen treiben sich die Kinder, schlecht genährt und schlecht gekleidet, auf den Straßen herum lernen weder Lesen noch Schreiben und gehen denselben Weg wie ihre Väter. 5. Der Krieg. Die Menschen sollten nicht gegeneinander kämpfen. Die Waffen wurden von den Menschen erfunden, um ihre Mitmenschen zu beherrschen, anstatt daß sie nützliche Werkzeuge zum Fortschritt der Menschheit erfunden hätten. Man redet viel vom kriegerischen Ruhm, aber dieser Ruhm ist nur für die Befehlshaber da, denn die Soldaten, die für jene arbeiten, kehren, wenn sie nicht auf dem Schlachtfeld sterben, mit einem Auge, einem Arm, einem Fuß weniger nach Hause zurück. Der Erfinder einer Mordmaschine ist stolz auf sein Werk; man gibt ihm sogar Belohnungen; und so vertieren sich die Menschen mit dem Krieg, anstatt sich besser zu machen. 6. Die Religion. Die Religion hat die Menschheit immer auf falsche Wege geführt. Anstatt die Kinder denken und einander lieben zu lehren, lehrt sie sie beten und jene, die töten, zu bewundern. Sie will, daß man an Wunder glaubt, wo es doch bewiesen ist, daß sich in der Welt alles aus natürlichen Ursachen erklären läßt. Die Religion war immer das Unglück der Menschheit, sie ist die Ursache der Ausbeutung und der Kriege. Wenn wir die Anhänger einer jeden der unzähligen Religionen fragen, welche wahr ist, antworten sie alle: "die unsrige". Und das beweist, daß sie alle falsch sind. 7. Das Geld. Infolge des Geldes gibt es Arme und Reiche; die Besitzenden beuten die Arbeiter aus, und während die einen sich bis zum Übermaß sättigen, fehlt es den anderen an Brot, an Kleidern, an Wohnung. Gäbe es kein Geld, könnten alle die Früchte ihrer Arbeit miteinander austauschen und das Notwendige besitzen, während jetzt jener, der arbeitet, Entbehrungen leidet, und jener, der nichts produziert, alles im Überfluß besitzt. Das Geld macht die Menschen herrschsüchtig und bringt die Ungleichheit hervor. 8. Die Schmarotzer. Schmarotzer nennt man gewisse tierische oder pflanzliche Organismen, die auf Kosten anderer leben und keinerlei Arbeit zum Leben beitragen. So gibt es auch in der menschlichen Gesellschaft Schmarotzer; da gibt es Arbeiter, aus deren Arbeit sich die Reichen nähren, wobei ersteren schließlich der Priester alles wegnimmt. 9. Das Regiment. Eines Tages, als ich auf der Straße ging, sah ich ein Regiment Soldaten. sie taten mir so leid, daß ich, als sie mir nahe waren, auf die andere Seite der Straße lief. Mit Schmerzen sah ich, daß die Leute herbeieilten, um diese Schar von Sklaven vorbeigehen zu sehen und daß auch die Schulkinder sie bewundern kamen. Das zeigt, daß das Volk roh ist und daß es, statt den Weg des Fortschritts zu gehen, noch lieber hat, unglückliche Sklaven zu sehen. 10. Der Stierkampf. Ich begreife nicht, wie heute viele ein Vergnügen daran finden können, die Tiere leiden zu sehen. Dieses Vergnügen ist eine Frucht der Unwissenheit. Wenn alle den entsprechenden Unterricht erhalten würden, wie wir, gäbe es keine Stierkämpfe mehr. 11. Der moderne Fortschritt. In unseren Zeiten gibt es viele Erfindungen, die der Wissenschaft und der Vernunft zu verdanken sind. Die Menschen fangen an, fortzuschreiten, wenn sie die alten Vorurteile ablegen. Die Religion steht im Gegensatz zur Wissenschaft. Wie konnte sie mit Galilei anerkennen, daß die Erde feststeht und sich die Sonne um dieselbe herumdreht? * Eine freie und glückliche Kindheit! Das ist der Weg, auf welchem die Kämpfer für eine freie und glückliche Menschheit heranwachsen werden. Dieses Ideal war es, dem FERRER ohne Unterlaß nachstrebte. Aus dem Gefängnis (anläßlich seiner ersten Verhaftung im Jahre 1906) schreibt er an Professor HEAFORD darüber:
Es war eine Freude zu sehen, wie sich zwischen Knaben und Mädchen in Freundschaft und gegenseitiger Achtung das Gefühl der Kameradschaft entwickelte. Die herrlichsten Beziehungen bestanden zwischen den Lehrern und ihren Schülern, da alle von dem Wunsch durchdrungen waren, eine ideale Gesellschaft zu verwirklichen, deren Grundlagen die gegenseitige Zuneigung und Solidarität ist."
1) Ich entnehme die Einzelheiten nachfolgender Ausführungen der Selbstbiographie FERRERs, im "Almanach de la Libre pensee" im Jahre 1908 veröffentlicht. 2) Die unmittelbare Veranlassung dazu war seine Beteiligung am Aufstandsversuch des Generals Villacampa, am 19. September 1885. Einige Hundert Soldaten meuterten an diesem Tag unter der Anführung des genannten Generals in einer Kaserne Madrids und durchzogen mit dem Ruf "Es lebe die Republik!" die Straßen. Da sie aber von Seiten der übrigen Truppen keine Unterstützung fanden, mußten sie nach einem kurzen fruchtlosen Gefecht aufs Land flüchten, wo alle gefangen genommen wurden. General Villacampa wurde zum Tod verurteilt, aber im letzten Augenblick zu einer lebenslänglichen Deportation begnadigt. 3) Odelo Martinelli in "La Razione" (Rom, 10. Oktober 1909) 4) "Nineteenth Century" (London, November 1909) 5) Beide noch berüchtigter seit dem 1. Weltkrieg. 6) Die folgenden Abschnitte sind den Artikeln von Professor W. Heaford in den Nummern 3, 5 und 7 der "Ecole Renovée" entnommen. Sie sind nur eine notgedrungen kurze Zusammenfassung dessen, was in dem prächtigen, eigentlich einzigen Buch, das Ferrer uns hinterlassen hat, in klassischer Klarheit und Ausführlichkeit geschildert ist, in dem Werk "La Escuela Moderna; postuma explicacion y Alcance de la Ensenanza racionalista". Por Francisco Ferrer Gurardia. Verlag Borras, Mestres a Co., Barcelona 1912. Es ist sehr schade, daß dieses vortreffliche Buch noch nicht ins Deutsche übertragen ist. 7) Vgl. "Catálog General"; Publicaciones de la Escuela Moderna", Barcelona. Die Ausgaben umfassen viele wissenschaftliche, zugleich auch bekannte anarchistische Werke von Jean Grave, Anselmo Lorenzo, Michel Petit, Charles Malato, Peter Kropotkin u. a. m. |