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HERMANN SETTEGAST
Die deutsche Freimaurerei

"Wir sind heute in eine Phase sozialer Entwicklung gestellt, in der die beiden Kräfte Individualismus und Sozialismus miteinander ringen und die Gesellschaft einen Gährungsprozeß durchzumachen hat, aus dem sich eine neue Regelung in den Beziehungen der gesellschaftlich miteinander verbundenen Menschen herausbildet und abklärt. Wir mögen je nach der Auffassung uns dazu beglückwünschen oder diese Bewegung, die wir mit ihren Schwankungen zu durchleben gezwungen sind, beklagen, aber nimmer dürfen wir dabei untätig bleiben, uns vergleichsweise mit der Rolle des Chors im griechischen Drama begnügen, der nur moralisierend und reflektierend auftritt, ohne je tätig in die Handlung einzugreifen. Mit allem Kopfschütteln, Händeringen oder gar frömmelnden Augenverdrehen, ja selbst mit aller Resignation kommen wir nicht einen Schritt weiter. Unser Wollen und Empfinden soll sich nicht auf die Fixierung sozialer Stimmungsbilder beschränken, sondern zur Tat verdichten, so forderte es die Zeit."

Vorwort

Mein 1891 unter dem Titel "Erlebtes und Erstrebtes" erschienenes Buch enthält die Schilderung meines einfachen Lebens. Wie sich dasselbe unter dem Einfluß meiner Eltern, Vorfahren, der Erziehung, Lehre und mir wohlwollend gesinnter Menschen gestaltet und mich unter der Leitung einer gnädigen Vorsehung einem Lebensabend entgegengeführt hat, der mich dankbar aus- und aufschauen läßt, darüber habe ich dort in schlichter Darstellung Rechenschaft abzulegen versucht. Nur eins haben mir nahestehende Freunde darin vermißt. Sie tadeln mich, daß ich auf mein freimaurerisches Tun und Streben nicht eingegangen sei, was zu erwarten sie sich berechtigt glaubten. War ihnen doch bekannt, daß ich die Freimaurerei als Quelle ernster Entschließungen und reiner Freuden stets hochgehalten habe. Der mir gemachte Vorwurf, in diesem Punkt eine unnötige Zurückhaltung beobachtet zu haben, mag nicht ganz unberechtigt sein. Zu meiner Rechtfertigung könnte ich nur anführen, daß es mir bei der Darstellung meines Lebensganges erscheinen wollte, als ob mit dem Hereinziehen freimaurerischer Betrachtungen vielen Lesern des Buches ein Stoff geboten werden würde, dem sie fremd und teilnahmslos gegenüberstehen. Auf der anderen Seite durfte ich mir jedoch auch nicht verhehlen, daß man das Stillschweigen über mein langjähriges freimaurerisches Wollen und Wirken dahin hätte deuten können, ich sei der Bestrebungen entweder müde geworden und hätte die Nichtigkeit derselben erkannt oder ich erachte die Freimaurerei für so fertig und abgeschlossen, daß es entbehrlich sei, Ideen über Lehre und Entwicklung der Freimaurerei Raum zu geben. Beides trifft nicht zu. Mit demselben warmen Gefühl, das mich einst der königlichen Kunst, wie man jene genannt hat, zuführte, halte ich heute noch an ihr fest, sowie ich auch davon durchdrungen bin, daß in ihrer weiteren Fortbildung ein Mittel zu finden ist, ihren segensreichen Einfluß auf die Gesamtkultur der Menschheit zu erweitern und zu vertiefen. Von meiner vertrauensvollen Hingabe an die Zwecke und Ziele der Freimaurerei überhaupt und der deutschen insbesondere Zeugnis abzulegen und mich freimütig darüber zu verbreiten, inwiefern die königliche Kunst in unserem Vaterland des Fortschritts bedürftig ist und auf welchen Wegen derselbe anzustreben sein dürfte, ist der Zweck dieser Schrift. Sie entspringt nicht den flüchtigen Eindrücken oder stürmischen Wünschen des Augenblicks, sondern ihre Ausführungen stützen sich auf reifliche Überlegung sowie auf Beobachtungen und Erfahrungen während eines 38-jährigen Zeitraums freimaurerischen Sinnes und Trachtens. Auch hat es mir nicht an Gelegenheit gefehlt, die freimaurerischen Systeme, deren Besonderheiten diese Schrift kennzeichnet, von Grund aus kennen zu lernen und mir über die Unzulänglichkeit einiger derselben ein Urteil zu bilden.

Der Freimaurerei gehöre ich seit dem Jahre 1855 an. Die unter der Konstitution der Großen National-Mutterloge zu den drei Weltkugeln in Berlin arbeitende Johannis-Loge Psychie in Oppeln nahm den "Suchenden" auf. Von ihr zum Meister befördert, schloß ich mich 1858, in welchem Jahr mich mein Beruf nach Waldau in Ostpreußen führte, der Johannisloge Totenkopf und Phönix in Königsberg an und lernte in ihr das System der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland in Berlin kennen. 1863 nach Schlesien zurückgekehrt, war ich von neuem in der oben genannten Bauhütte zu Oppeln tätig, um dann 1881 mit meiner Übersiedlung nach Berlin und Affiliation an die Johannisloge Friedrich Wilhelm zur gekrönten Gerechtigkeit der Großen Loge Royal York zur Freundschaft anzugehören. In ihr bekleidete ich vom Jahr 1884 bis 1889 das Amt des zugeordneten Großmeisters und wurde nach dem Tod des hochverdienten Großmeisters HERRIG mit Einstimmigkeit zu dessen Nachfolger erwählt. 1890 verzichtete ich freiwillig auf das Amt des Großmeisters, weil meine Vorschläge zur Umgestaltung des Systems der Großen Loge, die Verzichtleistung auf maurerische Hochgrade bzw. den Innern und Innersten Orient betreffend, sowie meine Anträge bezüglich ungerechtfertigter Zurückweisung von Suchenden nichtchristlicher Religion abgelehnt wurden. 1891 schloß ich mich der Johannisloge Ferdinande Caroline, einer Tochterloge der Großloge von Hamburg an, weil deren Grundgesetz oder System sich in vollem Einklang mit meinen freimaurerischen Überzeugungen, wie ich sie in dieser Schrift auseinandergesetzt und verteidigt habe, befindet.

Meinen Standpunkt den Grundzügen der Freimaurerei gegenüber habe ich nie verleugnet und bin ihm, unter welchen System der königlichen Kunst ich auch arbeitete, stets treu geblieben. Das könnten die von mir in den Logen gehaltenen Ansprachen und Reden bezeugen, von denen einige durch ihre Drucklegung in weiteren Kreisen bekannt geworden sind.

Ich wende mich in der vorliegenden Schrift nicht nur an meine Brüder Freimaurer, sondern an die gesamte Lesewelt, an alle Mündigen, von denen ich voraussetzen darf, daß sie die erhabene und edle Idee der Freimaurerei verstehen und würdigen werden. Ihrer Verbreitung ist besonders in Deutschland nichts so hinderlich gewesen als der geheimnisvolle Schleier, mit dem die Freimaurerei ihre "Arbeit" umhüllen zu müssen vermeinten, indem sie sich etwas darauf zu gut taten, Kenntnisse zu besitzen, die der Profane nicht zu durchdringen vermag. Das hat viel dazu beigetragen, trotz der reichen und gehaltvollen Literatur gerade der deutschen Freimaurerei Mißverständnisse über ihr Wesen und Ziel großzuziehen und ihre Kräfte zu entfremden, die ihr hätten Prophetendienste leisten können. Es kommt darauf an, alle darüber zu unterrichten, daß die Idee der Freimaurerei und die Wege, auf denen sie sich die Welt erobern will, nicht allein kein Geheimnis sind, sondern ohne Zurückhaltung jedem zugänglich gemacht werden sollen, der Sinn für die Vertiefung in Fragen hat, die sich mit der Lösung bedeutungsvollster Probleme beschäftigen. Keine Kraft in geistig bevorzugten Gesellschaftskreisen dürfte der Freimaurerei fern stehen, kein Braver und Verständiger in der breiten Schicht des Bürgerstandes sollte zur Belebung der geistigen Leistungsfähigkeit des letzteren dem Freimaurerbund entzogen sein, dessen wünschenswerter Auffrischungsprozeß dadurch die mächtigste Förderung erfahren würde.



I.
Die Freimaurerei in ihrer Bedeutung
für den Fortschritt der Kultur
    Von aller Herrschaft, die auf Erden waltet,
    Und der die Völker pflichten oder fröhnen,
    Ist eine nur, je herrischer sie schaltet,
    Um so gepries'ner selbst der Freiheit Söhnen;
    Es ist das Königtum, das nie veraltet,
    Das heil'ge Reich des Wahren, Guten, Schönen,
    Vor dieser unbedingten Herrschaft beugen
    Der Freiheit Kämpfer sich und Bluteszeugen.
    - Uhland -
Indem ich mich im Nachfolgenden zur Behandlung eines Themas anschicke, das oft mit dem Nimbus des Geheimnisvollen umgeben wird, könnte ich in den Verdacht geraten, gegen ein vermeintes freimaurerisches Gesetz zu verstoßen. Es verbietet, so wird erzählt, die Besprechung aller Angelegenheiten der  königlichen Kunst,  wie man bezeichnend die Freimaurerei genannt hat, Nicht-Eingeweihten (Profanen) gegenüber. Ihnen müsse  das Geheimnis  der königlichen Kunst verborgen bleiben.

Mir obliegt es zunächst, diese weit verbreitete Ansicht zu berücksichtigen. Die Geschichte des Freimaurerbundes, seine Grundsätze, Zwecke und Ziele sind kein Geheimnis. Die Verschwiegenheit erstreckt sich im wesentlichen nur auf Erkennungszeichen zum Schutz vertraulicher Meinungsäußerungen und auf rituelle Besonderheiten, die als Mittel der Erleichterung des Verständnisses der maurerischen Lehre dienen.

Aus dem weit verbreiteten Irrtum über das in der Freimaurerei ruhende Geheimnis erklärt sich zum Teil die Abneigung, ihr näher zu treten und sich mit ihrer Ideenwelt vertraut zu machen. Unsere Zeit, so macht man geltend, verlangt in allen Dingen Offenheit, Klarheit und Wahrheit. Von einer Gesellschaft aber, deren Wesen mit diesen Anforderungen im Widerspruch steht, halten wir uns fern und betrachten sie als eine Anomalie, die uns fremdartig anmutet und gleichgültig läßt.

Gerade in dieser Gleichgültigkeit und damit verbundenen Teilnahmslosigkeit eines großen Teils des Publikums der Freimaurerei gegenüber mußte diese den gefährlichsten Feind ihrer Verbreitung und Kraftentfaltung erblicken.

Da erstand der königlichen Kunst in ihrem erbittertsten Widersacher ein Helfer in der Not. Kein Geringerer als der heilige Vater in Rom war es, der die Freimaurerei wieder in lebhafte Erinnerung brachte und von neuem die Aufmerksamkeit weitester Kreise auf sie lenkte. In dem an den Vorsitzenden eines internationalen Anti-Freimaurer-Kongresses gerichteten Breve [kurzes Schriftstück - wp] sagt der Papst u. a.:
    "Geliebter Sohn, du teilst uns mit, daß eure Vereinigung den Plan gefaßt habe, demnächst auserwählte Männer aus allen Nationen nach Trient zusammenzurufen, um daselbst gegen die mit jedem Tag unverschämter auftretende Sekte der Freimaurer in gemeinsamem Studium zu beraten und sich selbst und andere zu mutvollem Widerstand und Kampf anzufeuern. ... Den Plan zu dieser Versammlung begrüßen wir mit Freuden. Er wird, das ist unser festes Vertrauen, durch Zahl sowohl wie Bedeutung seiner Teilnehmer sich zu einer Kundgebung gestalten, wie sie der Tragweite der zu erörternden Fragen und dem zu erhoffenden Gewinn entspricht. Damit aber der Erfolg den Wünschen voll und ganz entspreche, tut es vor allem Not, daß die Teilnehmer die Axt an die Wurzel legen und Wege erörtern, wie dem Ansturm der Sekte erfolgreicher Widerstand geleistet werden könne. ... Gewiß werden  die Dogmen verwegenster Gottlosigkeit wie sie jene Sekte vertritt, und die Strebungen, die sie verfolgt, weniger Schaden bringen und nach und nach durch sich selbst zusammenstürzen, wenn die Katholiken es sich angelegen sein lassen, den Angriffen der Freimaurer mit noch größerem Geschick entgegenzutreten. Stützen sich jene doch auf  Lüge und Finsternis,  deckt man aber ihr Lügengewebe auf, so liegt es nahe, daß alle redlich Denkenden  von ihrer Schlechtigkeit und Verruchtheit voller Abscheu sich abwenden." 
Wie man über diese Blumenlese aus der breiten Kundgebung des Papstes LEO XIII. sowie über den Verlauf der wüsten rednerischen Leistungen des neuen Trientinischen Konzils auch denken mag, sei es, daß man sie verspottet, als Lächerlichkeit brandmarkt, oder - was seltener der Fall sein dürfte - ernst auffaßt, eins steht fest, daß nämlich die Kulturwelt Akt davon genommen hat. Das Ergebnis ist, daß man nunmehr der Freimaurerei wieder größere Aufmerksamkeit zuwendet und sich mit ihrem Wesen beschäftigt. Was auf der einen Seite den Papst bis zur Verfluchung erreigen und ihn äußerlich versetzen kann, auf der andern Seite Männer wie LESSING, GOETHE, HERDER, BÖRNE, MOZART, KRAUSE, TH. KÖRNER, FESSLER, FICHTE, SCHRÖDER, KLOSS, MARBACH, BLUNTSCHLI und wie die Meister der königlichen Kunst alle heißen, begeisterte, das kann doch unmöglich kleinlich und bedeutungslos sein oder außerhalb des Ideenkreises der Neuzeit liegen. Erwägungen dieser und verwandter Art sind schon als schöner Erfolg zu betrachten. Denn auf das Wesen und die Ziele der Freimaurerei eingehen, das heißt auch, sich nicht allein mit ihr befreunden, sie als einen Kulturträger gelten lassen, sondern auch als solchen hochhalten.

Die von uns ins Auge gefaßte Untersuchung  über den Einfluß der Freimaurerei auf den Fortschritt der Kultur und die Befestigung der Staatswohlfahrt  steht im engsten Zusammenhang mit Fragen, die durch alle Zeiten der denkende Mensch erwogen hat und auf die er in ernsten Stunden immer von neuem zurückkommt, mit den Fragen nämlich, was am Anfang der Dinge war, wie sich dieselben umwandelten, in welchem Zusammenhang die Vorgänge des Beginnens und Werdens mit der Gegenwart stehen und was uns die Zukunft bringen wird. Die Vertiefung in diese Fragen und die Durchkämpfung der durch sie angeregten Zweifel mögen ihren Abschluß in der Überzeugung finden, daß eine weltordnende Idee, ob man sie nun mit dem Evangelisten  "das Wort"  nenne oder als  "Vernunft"  begreife, von jeher war und das All durchdrungen hat. Aber dieser Begriff erschöpft erst den Inhalt der Weltgestaltungskraft, die immer dieselbe war, ist und bleiben wird, wenn wir ihm durch den Gottesbegriff Wärme verleihen und ihn dadurch unserem Gemüt nähern. Dann ist darin nicht allein "das Werdende, das ewig wirkt und lebt" gefunden, sondern auch dem Bedürfnis des Menschen Genüge geleistet, der in die Wesenheit Gottes die Zusammenfassung dessen legen muß, was er in der Kleinheit und Beschränktheit menschlichen Vorstellungsvermögens dürftig genug durch Worte wie Liebe, Gesetz, Unendlichkeit, Vollkommenheit u. a. m. zu umschreiben sucht. Davon ausgehend, getraut er sich, dem Gedanken des großen Baumeisters aller Welten nachzudenken und dessen unveränderlichen Bauplan wenn nicht zu durchschauen, so doch zu ahnen. Dieser beruth, so schließen wir, auf dem ewigen Gesetz der Entwicklung, aus der auch die Menschheit als Teil des Weltganzen hevorgegangen und der sie dauernd unterworfen ist.

Die Geschichte verstattet uns einen Einblick in die Prozesse des Entstehens, Wollens, Ringens, kurz die Entwicklung der Völker; wir vermögen die Pfade zu verfolgen, auf denen die begünstigteren und bildungsfähigeren, nachdem sie die Stufe der Kindheit überschritten haben, bald schneller, bald langsamer, mit mehr oder weniger Geschick der Reife zustreben und sich ihre Schicksale bereiten. Was könnte es Fesselnderes geben, was Verstand und Gemüt in gleichem Maße anregen, als die Kunde von den Ereignissen und Umständen, denen auf der einen Seite die Zerbröckelung und der Untergang, auf der anderen der Aufschwung und die Blüte von Nationen zuzuschreiben ist, aus deren Einfluß sich ferner der heutige Standpunkt unserer zu Stämmen und Völkern vereinten Brüder-Erdbewohner erklärt? Natürlich ist's daher, daß sich stets das lebendigste Interesse der Geschichtsforschung zugewendet hat, ja daß geschichtliche Schilderungen auf rege Teilnahme in allen Gesellschaftskreisen zivilisierter Völker rechnen dürfen. Die befruchtende Wirkung davon auf die Läuterung des Menschen und die richtige Erfassung seiner Lebensaufgaben wird sich in dem Maße steigern, als er der kindlich unbefangenen Wißbegierde entwächst, die in der Geschichtserzählung mehr Unterhaltungsstoff als Lehre sucht. Der Gereiste verlangt von der Geschichte ein anderes. Nicht, daß er kalt an den Personen und den durch ihre Tätigkeit beeinflußten Ereignissen auf dem Welttheater vorüberginge; aber ihn drängt es, in die breite Schicht des Volkes zu steigen, seinen seelischen Regungen nachzuspüren, es bei der Arbeit aufzusuchen und die wirtschaftlichen und sittlichen Zustände in der Aufeinanderfolge der Staffeln seiner Entwicklung kritisch zu verfolgen. Denn wenn es auch einzelnen gottbegnadeten Naturen gegeben ist, ein Volk in kürzerer Frist, als es im gewöhnlichen Verlauf der Dinge geschehen wäre, zu einer höheren Sprosse des Aufsteigens emporzuheben, so wird man doch als allgemeine Regel erkennen, daß  das Volk selbst  in dem, was es denkt, will und wirkt, nicht allein die Grundlage, sondern auch die Bausteine zum Auf- und Ausbaut des Staates schafft.

Indem wir mit solchen Wünschen und Anforderungen an die Geschichte herantreten und aus den Erscheinungen des Tages den Ursprung der Geschichte und deren Entwicklung ins Licht zu stellen uns bemühen, werden wir das, was man treffend die  Volksseele  genannt hat, zu ergründen suchen müssen. Ist sie doch die Quelle der Motive zu allen Strebungen in dem wenn auch allmählichen, doch fortdauernden Um- und Fortbilden volkswirtschaftlicher Zustände und Einrichtungen, die Quelle, aus der sich die Arbeit im weitesten Sinne des Wortes über die Gebiete menschlicher Tätigkeit ergießt. Hier liegt der springende Punkt für die gesamten Äußerungen des Entwicklungsstrebens, hier finden wir die hauptsächlichsten Aufschlüsse über die letzten Gründe der meisten Begebenheit und Ereignisse.

Die Geschichtsforschung will Ergründung und wahrhaftige Feststellung all dessen, was sich auf Erden zugetragen hat. Ihre große Aufgabe ist aber erst dann erfüllt und ihr Zweck erreicht, wenn sie aus den gewonnenen Erkenntnissen heraus die Begebenheiten auf ihren Ursprung und inneren Gehalt prüft, nach Ursache und Wirkung verfolgt, die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen nachweist und dadurch lehrend und beratend dem Menschen zur Seite tritt. Auf den mit Wahrhaftigkeit gesammelten Tatsachen beruth Erfahrung, die keinen Zweifel darüber läßt, daß auch im Leben eines Volkes der Zufall dauernd keine Rolle spielt, vielmehr im großen dieselben Vorgänge auch dieselben Folgen nach sich ziehen. Nichts neues unter der Sonne - alles schon dagewesen - gleiche Ursachen, gleiche Wirkungen - das sind unbestreitbare, der Geschichte entlehnte, d. h. von ihr bestätigte Sätze. Wie sich der einzelne in Übereinstimmung mit dem Spruch: "Jeder ist seines Glückes Schmied", innerhalb der ihm angewiesenen Sphäre sein Schicksal selbst bereitet, so fällt auch das Los des Volkes: erfreulich, wenn es in seiner Masse anhand der Erfahrung die rechten Wege wandelt, - dem Untergang geweiht, wenn es sich in Lossagung von ihr auf abschüssiger Bahn fortbewegt. Gewissen und Erfahrung führen den einzelnen zur Selbstprüfung und Durchbildung, die ihn vor unheilvoller Abirrung vom Lebensziel behüten; nicht minder zuverlässige Führer sind dem Volk die Lehren der Geschichte, da sie in kritischen Perioden vernehmbar und eindringlich genug mahnen, sich auf sich selbst zu besinnen, damit es nicht in Stumpfheit und Lässigkeit auf der einen, Überstürzung, waghalsigen Unternehmungen und Leichtsinn auf der anderen Seite vom Verderben ereilt werde.

Die Wahl der pragmatischen Form für die historische Schilderung des Bildungs- und Fortbildungsprozesses der Völker bedingt die Anlehnung an ihre Kulturgeschichte. Denn der einer jeden Epoche eigene und sie beherrschende Zeitgeist, welcher sich in den Anschauungen und Tätigkeiten der Einzelwesen des Volkes abspiegelt, steht in innigster Beziehung zu den jedesmaligen Kulturzuständen. Durch sie und die in ihnen ruhenden Verknüpfungen der Arbeit, über wie verschiedene Gebiete sich dieselbe auch verbreiten mag, erhält die bestimmte Periode erst eine Beleuchtung, welche das Geschehene bis auf seine letzten Gründe durchschaubar macht und zum vollen Verständnis bringt.

Die menschliche Gesellschaft, sie trete in kleineren oder größeren Verbänden auf, stellt wie jedes ihrer Einzelwesen einen lebensvollen Organismus dar, dem von der Vorsehung die Fähigkeit verliehen worden ist, ursprüngliche Zustände zu überwinden und sich aus eigener Kraft durch Arbeit und Übung zu vervollkommnen. Der erste bewußte Schritt auf der vielsprossigen Leiter, welche die Menschen der Gottheit näher führt, bedeutet im gesellschaftlichen Zusammenwirken  Kultur.  Sie ist die Folge des im Wesen der Menschheit beruhenden Vervollkommnungsdrangs und umfaßt ebensoviel Formen und Richtungen, als es Zielpunkte des Fortschritts gibt. Wie mannigfaltig und verschiedenartig dieselben auch sein mögen, so fällt es doch nicht schwer, sie sämtlich auf einige wenige Prinzipien zurückzuführen, nämlich auf den Kampf ums Dasein: Individualismus -, das Genossenschaftsstreben: Sozialismus - und das Veredelungsstreben: Idealismus. -

Das am frühesten im Menschen ausgebildete Prinzip des  Individualismus  umfaßt alle Bestrebungen, die darauf hinauslaufen, sich die Kräfte und Stoffe der Natur dienstbar und die auf diesem Weg gewonnenen Erzeugnisse zur Befriedigung leiblicher Bedürfnisse geschickt zu machen oder ihnen durch Tausch gegen andere erwünschte Gegenstände Nutzbarkeit zu verleihen. Damit fallen ebensowohl die auf Urproduktion, Industrie und Handel gerichteten Tätigkeiten in das Gebiet des Kampfes ums Dasein, wie nicht minder die Bemühungen, die mit jenen verflochtene Wirtschaft so auszubauen, daß sie dem Menschen den möglichsten Grad materiellen Behagens und Wohlergehens verheißt. Unsere Zeit will, daß der Einzelne nach Maßgabe seiner Neigungen und Kräfte sich frei und selbständig zu entwickeln, sein Glück zu begründen vermöge und zu diesem Zweck der Individualismus genügenden Spielraum behalte. Nicht minder aber erfordert ein gedeihliches Zusammenwirken der Einzelkräfte, daß der Gesellschaftswille und -vertrag Ordnungen schaffe und daß weder der Einzelne noch abgesonderte Massen in rücksichtsloser Verfolgung ihrer Interessen und in Auflehnung gegen die Staatsidee Willkür für Freiheit nehmen. Denn ohne Ordnung gibt es keine Freiheit und ohne Schranke keine Ordnung. Dem von selbstsüchtigen Motiven beeinflußten und darum der Konkurrenz ausweichenden schrankenlosen Individualismus mit seinen in der Isolierung des Menschen ruhenden Gefahren ist daher durch den nicht minder kräftig wirkenden  Sozialismus  ein wohltätiges Gegengewicht beigegeben. Der Trieb zur Vergesellschaftung und zum genossenschaftlichen Zusammenschluß führt zu Ehe und Familie, aus welchen Geschlechter, Stämme, Völker und endlich Staaten hervorgehen können. Dazu gesellen sich die Arbeitsteilung, die Bildung von Berufsklassen und Ständen, sozialen und politischen Bünden.

Wir sind heute in eine Phase sozialer Entwicklung gestellt, in der die beiden Kräfte Individualismus und Sozialismus miteinander ringen und die Gesellschaft einen Gährungsprozeß durchzumachen hat, aus dem sich eine neue Regelung in den Beziehungen der gesellschaftlich miteinander verbundenen Menschen herausbildet und abklärt. Wir mögen je nach der Auffassung uns dazu beglückwünschen oder diese Bewegung, die wir mit ihren Schwankungen zu durchleben gezwungen sind, beklagen, aber nimmer dürfen wir dabei untätig bleiben, uns vergleichsweise mit der Rolle des Chors im griechischen Drama begnügen, der nur moralisierend und reflektierend auftritt, ohne je tätig in die Handlung einzugreifen. Mit allem Kopfschütteln, Händeringen oder gar frömmelnden Augenverdrehen, ja selbst mit aller Resignation kommen wir nicht einen Schritt weiter. Unser Wollen und Empfinden soll sich nicht auf die Fixierung sozialer Stimmungsbilder beschränken, sondern zur Tat verdichten, so forderte es die Zeit.

Alle durch den Kampf um die Existenz und durch den Vergesellschaftungstrieb errungenen Gebilde vermögen jedoch nicht, die seelischen Ansprüche des Menschen voll zu befriedigen. "Hunger und Liebe" sind zwar starke Motive, teils Menschen aneinander zu ketten, teils zu verhindern, daß die Gesellschaft aus den Fugen gehe. Aber die Weihe empfängt das Leben der Erdgeborenen erst und gestillt wird ihr Drang nach dem Erwerb eines allen irdischen Gütern im Wert überlegenen Schatzes, wenn sich der Mensch, von seinem Veredelungsstreben geleitet, zum Geist erhebt. Durch den  Idealismus  zumeist werden die unter der Mitwirkung des Kampfs ums Dasein und des Sozialismus hergestellten Beziehungen und Verknüpfungen geadelt, durch ihn allein eine Welt erschlossen, die, uns aus der Schalheit lediglich materieller Interessen heraushebend, Menschenbrust vom beseligenden Hochgefühl erfüllt, "zum Bilde Gottes" erschaffen zu sein. Der Veredelungstrieb verleiht seinen Handlungen die sittliche Grundlage, die der Rücksichtslosigkeit eigensüchtiger Neigungen Schranken, den geschlossenen sozialen und politischen Verbänden Festigkeit gibt. - Wie und was wirkt der Idealismus? Die Leuchte der Wissenschaft scheucht die Finsternisse der Dummheit, des Aberglaubens und der Vorurteile; sie führt uns auf den Weg zur  Weisheit.  Die Idee des Sittlichen kommt in der Religion zum bestimmten Ausdruck und verleiht uns die  Stärke,  auszuharren im Kampf mit dem Lügengeist, dem verneinenden und stets das Böse wollenden Prinzip. Die Kunst überwindet die Trübe engherzig nüchternster Weltanschauung durch den Sonnenschein des  Schönen. 

Die drei Mächte: Individualismus, Sozialismus, Idealismus sind zwar in ihrer Zusammenschließung und Verschmelzung die Träger der Kultur, aber wir dürfen nicht vergessen, daß unter ihnen dem  Idealismus  die erste Stelle gebührt. Er ist die Leuchte der Kultur, unter deren Einfluß die Menschheit dem ewigen Gesetz der Entwicklung gemäß von einer Stufe zur anderen dem wahren Menschentum in der denkbar höchsten Vervollkommnung näher und näher geführt wird. Wir wollen dessen eingedenk bleiben, daß diese Macht der ewigen Idee auf denselben drei Säulen ruht, welche auch den Bau der Freimaurerei tragen und festigen: auf Weisheit, Stärke, Schönheit.

Des Menschen Tage sind gezählt, ein jeder erlebt "ein letztes Glück und einen letzten Tag". Und teilt das Einzelwesen nicht dieses Los mit den großen Verbänden, die wir als Nation begreifen; haben nicht auch Völker wie Individuen selbst im normalen Verlauf der Entwicklung ihre Jugend, ihre Vollkraft der Reife und ihr Greisenalter, das mit dem Tod seinen Abschluß findet, während sich zum Ersatz auf den Trümmerstätten schon neue Keime regen, ein frisches Volkstum aus ihnen emporschießt, sich eine andere Nation den Platz der abgestorbenen einzunehmen anschickt. Daß dem so sei und sein müsse, gilt vielfach als Axiom. Und doch darf ihm widersprochen und kann nicht zugegeben werden, daß es im Gesetz der Völkerphysiologie seine Begründung finde, indem auch in der nationalen Entwicklung von einem gewissen Höhepunkt der Kraft an die Rückbildung des Staatsorganismus den naturgemäßen Vorgang darstelle. Die Geschichte weiß zwar zur Unterstützung dieser fatalistischen Anschauung davon zu berichten, wie viele einst blühende und mächtige Staaten bald der Vernichtung, bald der Aufsaugung im Ringen mit neu auftauchenden, jugendlich anstrebenden Völkern anheimgefallen sind. Aber andererseits läßt die Kritik der Geschichte auch keinen Zweifel darüber, daß in jedem solchen Fall das Verhängnis ein selbstverschuldetes war und sich hätte vermeiden lassen, wenn erprobte Mittel, die Kernhaftigkeit der Nation vor dem Geist der Fäulnis zu bewahren, nicht von der Hand gewiesen worden wären.

Individuen müssen sterben, Völker besitzen in sich, im fortdauernden Aufschießen neuer Generationen die Abwehr des Marasmus [Schwindsucht - wp] und die Elemente der Blutauffrischung, wenn dieser Jungbrunnen rein erhalten wird. Für das patriotische Gefühl läge im pessimistischen Gedanken der Unvermeidlichkeit allmählichen Absterbens der Nation ein tief Trauriges. Wir werden ihn nicht anerkennen und wollen ihm nicht nachhängen. Der Frivole mag im Genuß der Gegenwart dem Gedanken an die Zukunft des Volkes ein Schnippchen schlagen und in den Tag hineinleben. Ein sittlicher Charakter wendet sich von solcher Leichtfertigkeit ab und ist sich seinem Volk gegenüber der Verantwortung auch für kommende, von ihm nicht mehr zu schauende Zeiten bewußt. Ein Volk, das in seiner Mehrheit so denkt, darf nicht untergehen und überträgt die Tugenden seiner Bürger auf fernste Zukunft, denn "ihre Werke folgen ihnen nach".

Damit ist die Dauer der Nation verbürgt. Sie ruht auf dem Fortwirken der Bravheit, Tüchtigkeit und Klugheit, die, Ursache und Wirkung ermessend, die Lehre der Geschichte hochhält. Die Aufforderung dazu tritt an jeden heran, wessen Standes er auch sei und welche Lebensstellung er einnehmen möge. Aber vor allem ist der Freimaurer dazu berufen, der Gesellschaft Beständigkeit durch inneren Gehalt zu verleihen, indem er sich von dem versöhnenden Grundsatz leiten läßt, daß alle menschlichen Gebrechen durch Entfaltung wahrer Menschlichkeit und durch Befestigung ihrer Herrschaft teils gemildert werden können, teils der Heilung entgegenzuführen sind.

Sie ist's, die wahre Menschlichkeit, die  Humanität,  welche die Freimaurerei auf ihre Fahne geschrieben hat, unter der sie ihre Streiter bereit hält und mit jenem Mut ausrüstet, der - um mit dem Dichter zu sprechen - "früher oder später den Widerstand der kalten Welt besiegt."

Der Humanismus "schwört auf kein Programm und hat weder etwas  Äußeres  zu begehren, noch zu verteidigen": Und doch ist jeder Freimaurer ein Kulturkämpfer, ein Ritter vom Geist! (1) Aus solcher ist er davor geschützt, sich in eine Gefühlsseligkeit einzuspinnen, deren Verschwommenheit die Gefahr birgt, von den großen und ernsten Zielen der Freimaurerei abzuweichen und der Verschwächligung des Charakters anheimzufallen. Unserem Bund ist mit Stimmungsbildern nicht gedient, welche die maurerische Bauhütte bald wie eine abgeschlossene, enge Welt holder Empfindsamkeit malen, bald im berückenden Zauber mystisch angehauchter Romantik widerspiegeln; die Maurerei verlangt vielmehr, daß sich jeglicher Bruder sich ganz von dem Entschluß durchdringen lasse, auch  "Täter des Worts"  zu sein, d. h. unentwegt auch im bürgerlichen Leben ihr Panier hochzuhalten und Gleichgesinnte ums sich zu scharen, daß  Wahrheit, Tugend  und  Treue,  daß  Offenheit, Festigkeit  und  Fleiß  uns das Kleinod sichern, das in einem von vernünftiger Freiheit durchwehten, von nationaler Macht getragenen Staatswesen ruht. - Erhaben ist der im Gebet der Freimaurer enthaltene Gedanke, es möge dem großen Baumeister aller Welten gefallen,  "daß das menschliche Geschlecht -eine- Bruderkette werde."  Des Maurers Pflicht ist es, in das Gebet das Gelöbnis einschließen, an seinem Teil und nach Maßgabe seiner Kräfte für die Erreichung dieses Ziels zu wirken. Vergißt er nicht, daß auch die Freimaurerei als ein Werdendes zu betrachten ist, bleibt er eingedenk des Mahnrufs unseres Bruders Kaiser FRIEDRICH:  "Nicht Stillstand, sondern Fortschritt",  so wird er sich auch aufgefordert fühlen, an der Fortbildung und Entwicklung der königlichen Kunst mitzuarbeiten, sich an ihrem Ausbau zu beteiligen. Aber er muß sich auch vergegenwärtigen, daß die Haltbarkeit der Kette, welche die Welt umspannen soll, in der Festigkeit ihrer einzelnen Glieder zu suchen ist. Nur ein treuer Sohn seines Vaterlandes vermag diese Kette zu stählen; der Vaterlandslose und möge er sich noch soviel mit Weltbürgertum brüsten, lockert sie. "Vaterlandsliebe ist des Maurers Tat, Weltbürgersinn ist sein Gedanke". Darum soll er nicht allein für sich denken und wirken, sondern es auch als seine Aufgabe betrachten, ununterbrochen auf seine Umgebung Einfluß auszuüben, um sie gleichfalls zur Würdigung und Anerkennung der "ewigen Ideen", d. h. des Idealismus zu bestimmen. Das liegt im Beruf des Freimaurers und in dem einer jeden echten freimaurerischen Gemeinschaft. Sie soll, so urteilt einer der edelsten und aufgeklärtesten deutschen Freimaurer, sich zur Aufgabe nehmen, immer inniger, reiner, freier, gerechter und aufopfernder zu leben. In jeder Versammlung der Gemeinschaft soll dieser Grundsatz zu einem getreuen Ausdruck kommen und in den gehaltenen Vorträgen aufleuchten, damit durch die  freudige Teilnahme aller Hörer  dem Geist eines jeden derselben neue Einsicht, neuer Mut, neue Kraft verliehen werde. Jedes Wort, das in den freien Besprechungen gewechselt wird, muß dazu beitragen, die Selbstliebe, den Schein, den Dünkel des Streites und der Rechthaberei zu überwinden und den Geist der gegenseitigen Duldung, der Freundschaft, die Achtung des Rechts des Nächsten immer tiefer zu begründen und immer mehr zur Grundlage der Sitte und Gewohnheit der Gemeinschaft zu machen, daß jeder Druck der Hand immer mehr ein wahrer Brudergruß wird. Mit einem Wort, die Gemeinschaft hat nichts anderes zu tun, als so zu leben, daß sie mehr und mehr der Wahrheit eine Botschaft wird, eine frohe Botschaft, die die Gemeinschaft jedem ihrer Mitglieder und all denen bringt, die noch außer ihr stehen.

Maurerisch arbeiten heißt daher, sich am Mühen um die Zukunft der Zivilisation durch mannhafte Verteidigung des gewonnenen Besitzstandes an Wahrem, Guten und Schönem auf Erden beteiligen und für die Mehrung des in diesen Gütern ruhenden Schatzes einstehen. Und das alles ohne Rast und Hast, in mählichem, stillen, sicheren Wirken für das Ideal einer geeinigten Menschheit, einer einheitlichen Kultur.

So gelange ich zu dem Schluß: Ein Staat, in dem wahre, d. h. auf liberaler Grundlage ruhende Freimaurerei feste Wurzel gefaßt und sowohl mittel- wie unmittelbar wackere Söhne des Vaterlandes in ihre Interessenssphäre gezogen hat, wird seine Kultur nie welken sehen. Aus der tiefen Erfassung des Pflichtbewußtseins erblüht eine Fülle unversiegbarer lebendiger Kraft, die der Nation Wohlfahrt und Dauer verheißt.

Der einzelne Freimaurer aber wird, wie bescheiden er auch am Schluß seines irdischen Wirkens auf den zurückgelegten Weg und seine maurerische Arbeit zurückblickt, sich doch in der Scheidestunde mit Befriedigung sagen dürfen, daß ihm an der gesamten Habe nationaler Kraft und Kultur ein Anteil zukomme, der, im überlieferten Erbe seelisch fortwirkend, alle Zeiten überdauern werde.

Ist es verwegen, ist es Überschätzung maurerischen Wirkens, wenn er dann mit der Hoffnung abschließt, der das Urbild des Freimaurers - FAUST - Ausdruck gibt:
    "Es kann die Spur von meinen Erdentagen
    Nicht in Äonen untergehn."

LITERATUR - Hermann Settegast, Die deutsche Freimaurerei, ihre Grundlagen, ihre Ziele - für Freimaurer und Nichtfreimaurer, Berlin 1908
    Anmerkungen
    1) Ein solcher Ritter war der Welt z. B. auch Dr. EMIN PASCHA. Wie er dachte, fühlte, handelte, davon legt u. a. ein Brief Zeugnis ab, den er aus der Deutschen Station Bukoba am Westufer Viktoria Nyansa, am 28. November 1890 an seine Bundesbrüder richtete und worin es u. a. heißt: Wenn je in meinem Herzen die alten Akkorde von Jugendlust und Jugendträumen wieder aufrauschten, war es in der Stunde, wo hier, im fernen Innern Afrikas, Eure brüderlichen Grüße mich erreichten. Bilder wurden in mir wach, die das rauhe Alltagsleben längst verwischt zu haben schien; Erinnerungen, die ich längst begraben glaubte. Der Tage gedachte ich, wo auch ich noch träumen und hoffen konnte; der Freunde, mit denen ich manche heitere Stunde verleben durfte; derer auch, die längst der stille Rasen deckt. Wohl hat mein Fatum nach erratischer [verirrter - wp] Laufbahn mich auf Pfade geführt, welche wit von den Euren abliegen, wohl habe ich einsam und allein meine Wege wandern müssen und oft hart genug die Entfremdung von aller Welt empfinden müssen: Eins aber habe ich mir zu wahren gesucht, den festen Glauben an die Ideale, den Glauben an das ewig Gute, das ewig Schöne in der Welt, den Glauben an die ideale Natur des Menschen. Und darin liegt ja eben die Bürgschaft für ihr Gedeihen noch in späten Zeiten, daß sie die Hüterin dessen ist, was uns das Beste und Teuerste sein soll, die Hüterin wahrer Humanität und reinen Strebens.