L. HartmannK. KautskyA. LiebertF. SanderE. LedererH. Arendt | ||||
(1879-1934) Die Krise der mitteleuropäischen Revolution
In der mitteleuropäischen Revolution lassen sich bereits drei Phasen unterscheiden: Bereits nach Jahresfrist hatte sich die Lage beinahe bis zur Unkenntlichkeit verschoben. In Ungarn wütetet nach dem Fehlschlagen der kurzatmigen Räterepublick der weiße Schrecken. In Deutschland gewann das Militär seine alte Machtstellung wieder, seine Herrschaft wurde durch das Verbleiben der Sozialdemokraten in der Regierung kaum verschleiert. Die sozialistischen Parteien, durch den Bruderkampf geschwächt, waren dem Militär gegenüber ohnmächtig. In Österreich wurde die Sozialdemokratie in die Defensive gedrängt; ihre Pläne konnten nicht zur Durchführung gelangen. Die Begeisterung, die Hoffnungen der ersten Novembertage 1918 waren überall spurlos verschwunden. Bittere Enttäuschung, Mutlosigkeit bemächtigten sich der Massen und ebneten den Weg für die Reaktion. Die mitteleuropäische Revolution schien auf einem toten Punkt angelangt zu sein, wo nicht nur ihre Weiterentwicklung gehemmt, sondern sogar ihre bisherigen Errungenschaften in Frage gestellt waren. Die dritte Phase setzte mit dem Putsch von KAPP-LÜTTWITZ ein. Der Zusammenbruch dieses Versuches bewies die unwiderstehliche Kraft eines einheitlich von sämtlichen Schichten der Arbeiterschaft der proletarischen Einheitsfront waren von Erfolg begleitet, das schon stark erschütterte Selbstverstrauen der Massen wuchs. Unter dem Einfluß dieser Ereignisse gelang es den Sozialdemokraten in Österreich das Wehrgesetz durchzusetzen, welches die Aufstellung einer reaktionären Heeresmacht ausschließt. Die Folgen dieser Ereignisse können derzeit (Ende April 1920) noch nicht endgültig beurteilt werden. Die Tatsache aber steht fest, daß damit die Revolution in eine neue Phase eingetreten ist. Diesen Prozeß, besonders den Aufstieg und den Rückschlag der mitteleuropäischen Revolution, wollen wir durch eine massenpsychologische Untersuchung beleuchten. Mit den wirtschaftlichen und politischen Ursachen werden wir uns nur insoweit beschäftigen, als dies zur Erklärung der psychologischen Tatsachen unumgänglich notwendig ist. Sie liegen auf der Hand. Die Revolution war die Erbin des verlorenen Krieges, der Blockade, und mußte sich den maßlosen Bedingungen der Entente [Bündnis zwischen England und Frankreich - wp] fügen. Sie konnte die Folgen dieses Zustandes nicht bewältigen und mußte an ihnen scheitern. Zwei grundlegende Bemerkungen möchten wir vorausschicken. Es genügt nicht, wenn wir sagen, daß diese Revolution sich in besiegten Ländern abgespielt hat. Wir müssen diesen Ausdruck noch steigern und feststellen, daß der Schauplatz der Revolution die zu sehr besiegten Länder waren. Dieser Umstand war für den seelischen Verlauf des Umsturzes in höchstem Maß bestimmend. Verlorenen Kriegen folgen häufig Umwälzungen und Revolutionen. Die psychischen Begleiterscheinungen eines verlorenen Krieges setzen sich aus dem Gefühl der Empörung und aus dem biologisch verankerten Bedürfnis der Regeneration zusammen. Wenn aber der Eindruck der äußeren Verhältnisse die Überzeugung an die Möglichkeit der Regeneration nicht aufkommen läßt, dann schlägt die Hoffnung in wilde Verzweiflung oder in stumpfe Mutlosigkeit um. Die Bahn, welche die Revolution einschlägt, wird in allen diesen Fällen eine ganz verschiedene sein. Die zweite Bemerkung betrifft Rußland. Die Meldungen über die Ergebnisse des bolschewistischen Regimes sind so widerspruchsvoll und zwiespältig, daß wir uns nicht dazu berufen fühlen, über die Zustände in Rußland eine Meinung zu äußern. Umso mehr werden wir uns mit dem Einfluß beschäftigen, den das Bestehen der russischen Räterepublik auf die Gemüter in Mitteleuropa ausübte. Ohne diesen Einfluß hätten diese Revolutionen einen ganz anderen Verlauf genommen. Ihr unwiderstehlicher Siegeslauf, ihre alle Hindernisse hinwegfegende Wucht, aber auch ihr Fehlschlagen sind in erheblichem Maß Folgen der psychischen Ausstrahlungen der russischen Revolution. Dieser Einfluß war nicht nur auf die revoltierenden Massen sehr groß, sondern auch auf die Bourgeoisie, welche aus Furcht vor dem russischen Beispiel anfangs die Ereignisse ohnmächtiger über sich ergehen ließ, später, als die Gefahr schwand, sich energischer gegen die Befestiung der revolutionären Errungenschaften wendete. Der Einfluß der russischen Räterepublik war der Katalysator der mitteleuropäischen Revolution, der sowohl ihren Aufstieg, wie auch ihren Rückschlag beschleunigte. Die Revolution und der Sozialismus Die Revolution verlief in den drei Staaten auf dieselbe Weise. Die ausschlaggebende Macht fiel überall den sozialistischen Parteien zu, welche im Zusammenbruch den einzigen festen Pol bildeten. Entweder traten sie mit den bürgerlichen Parteien in verschieden geartete Koalitionen ein, oder sie führten mit Hilfe der alten Bürokratie, die sie teilweise oder gänzlich beibehielten, die Staatsgeschäfte weiter. Es ist schon im Laufe der Geschichte unzähligemal vorgekommen, daß die bestehende Gesellschaftsordnung zusammenbrach und neue Klassen sich der Staatsmacht bemächtigten. Diesmal aber übernahm die Führung eine Partei, eine Klasse mit einer festbegründeten Weltanschauung und mit dem Glauben an die notwendig unvermeidlich vorgeschriebene Richtung der sozialen Entwicklung, deren Arbeit seit Jahrzehnten planmäßig auf die Beschleunigung dieser Entwicklung gerichtet war. Dies war eine völlig neue Tatsache, welche kein Gegenstück in der Geschichte hat. Selbst die französische Revolution kann in dieser Beziehung nicht mit der jetzigen verglichen werden. Der Sozialismus war nicht nur eine politische und wirtschaftliche Bewegung, es war zugleich ein wissenschaftliches System, das besagte und lehrte, daß die sozialistische Gesellschaftsordnung sich nur dann dauernd behaupten kann, wenn die Grundlagen dieser neuen Gesellschaft im Schoß der alten bereits genügend entwickelt sind. Als im November 1918 die Sozialdemokratie die Staatsmacht eroberte, kam natürlicherweise die Ansicht auf, daß alle Voraussetzungen zur Begründung der sozialistischen Gesellschaftsordnung gegeben sind, sonst hätte die Revolution nicht siegen können. Der Beweis dieses Satzes führt unvermeidlich in einen circulus vitiosus [Teufelskreis - wp], dies umso mehr, weil der geschichtliche Tatbestand eben darin besteht, daß die Sozialdemokratie die Führung der Staaten in einem Zeitpunkt in die Hände genommen hat, wo die Voraussetzungen für die Verwirklichung der kollektivistischen Wirtschaftsordnung beinahe vollkommen fehlten.
Gerade diese Voraussetzung fehlte, weil der vierjährige Krieg, die wirtschaftliche Einschnürung durch die Entente und die Raubwirtschaft in der Kriegsindustrie nicht nur die Entfaltung der Produktivkräfte verhindert, sondern nach dem Zusammenbruch des Heeres und der Staatsmacht auch den Zusammenbruch der Produktion herbeigeführt haben. Nicht nur der Kapitalismus lag auf dem Boden, neben ihm auch die Produktionsmaschine der Industrie, teilweise auch die der Landwirtschaft. Ohne Hilfe des Auslandes war keine Hoffnung vorhanden, die Produktion auf die Beine zu bringen. Ein fürchterlicher, nur durch die rastlose Arbeit langer Jahre zu behebender Rückfall war eingetreten. Nach der sozialistischen Theorie entwickelt sich mit der Umwandlung der Produktionsordnung und der wirtschaftlichen Machtverhältnisse diejenige Mentalität, welche zur Begründung, Erhaltung und zum Funktionieren der kollektivistischen Gesellschaft notwendig ist und deren Keime schon im Denken der jetzigen Generation größtenteils enthalten sind. Es ändert sich das Sein und das geänderte Sein bestimmt die Änderung des Bewußtseins. Nachdem aber die wirtschaftlichen Voraussetzungen der kollektivistischen Gesellschaftsordnung infolge des Zusammenbruchs fehlten, konnte auch die der neuen Gesellschaft entsprechende, ihr angepaßte Mentalität nicht entstehen. Ohne Besitznahme der Macht ist selbstverständlich die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsordnung nicht möglich. Jedoch ist die Besitznahme nur eine der Voraussetzungen, eine andere und viel wichtigere ist die hohe Entwicklung der Produktivkräfte der kapitalistischen Gesellschaft. In diesem Punkt unterschied sich der Marxismus scharf von der Revolutionsromantik und der Putschtaktik der früheren sozialistischen Bewegungen, welche in dem Wahn gelebt haben, daß die Besitzergreifung der Macht zur Begründung des Zukunftsstaates allein genügt. Die Lage wäre nur dann dauernd haltbar gewesen, wenn eine neue, transitorische, der gegebenen Lage angepaßte Mentalität entstanden wäre, welche den beiden Grundkomponenten der Lage Rechnung getragen hätte. Die Grundlage der Mentalität hätte die Disziplin sein sollen, der innerlich das Gefühl der Opferfreudigkeit, nach der Wirtschaft gewendet das Gefühl der Arbeitslust entspräche. Hätten Opferfreudigkeit und Arbeitslust die zusammengebrochene Produktion zu dem Zeitpunkt aufrechterhalten können, wo die notwendigen Voraussetzungen des Sozialismus und der Internationale gewissernmaßen hergestellt wären und die dem Sozialismus entsprechende neue Ideologie sich in den Massen Bahn gebrochen hätte, so wäre die Lage gerettet worden. Würden diese Voraussetzungen auch später nicht eingetreten sein, so hätte selbst diese Opferfreudigkeit keinen dauernden Erfolg gehabt. Die Voraussetzungen für eine sozialistische Wirtschaftsordnung waren aber schon vor dem Krieg da. In Deutschland hatte die Konzentration des Industrie- und des Bankkapitals einen so hohen Grad erreicht, daß der Übergang in die kollektivistische Gesellschaft technisch vollkommen möglich gewesen wäre. Die große Majorität der Nation bestand aus Lohnarbeitern und die Sozialdemokratie war die mächtigste politische Partei. In Deutschösterreich war die industrielle Entwicklung nicht so weit fortgeschritten; dennoch war die Großindustrie technisch und wirtschaftlich zur Sozialisierung reif. Ungarn war das wirtschaftliche Anhängsel von Deutschland und Österreich, es hätte ihr Los teilen müssen. Es handelte sich also darum, mit Hilfe ideologischer Reizmittel, mit Hilfe der durch die Eindrücke der wirtschaftlichen Lage gewonnenen Überzeugung, der daraus resultierenden Disziplin und Opferfreudigkeit so lange durchzuhalten, bis die Produktion wieder in Fluß kommen, die Hindernisse der Entwicklung der Produktivkräfte aus dem Weg geräumt sein könnten. Diese Möglichkeit war theoretisch nicht ausgeschlossen, denn die Besitznahme der Macht durch die Arbeiterschaft war kein irreales Ereignis; sie war nicht die Folge eines durch den Zufall begünstigten Putsches, sondern entsprang den tatsächlichen Stärkeverhältnissen. Doch konnte man erwarten, daß in diesem schrecklichen Zusammenbruch, der einer kosmischen Katastrophe den Rang abläuft, inmitten einer furchtbaren wirtschaftlichen, politischen und psychischen Zerrütung, als alle Urinstinkte der Menschheit dröhnend erwachten, in diesem Dunst der Verzweiflung, der Empörung, des Rachegefühls, angesichts eines schrecklichen Blutstroms, in Erinnerung an die Hekatomben der unnütz hingeschlachteten Menschenmillionen, in einem Zeitpunkt, wo die ganze Welt aus ihren Fugen und Angeln gehoben zu sein schien, - hätte man hoffen können, daß die Stimme einer fast rationalistisch klingenden Forderung sich Gehör erzwingen und sich durchsetzen werde? Die bewährte Ideologie des Sozialismus war vorläufig unanwendbar, weil für seine Verwirklichung die wirtschaftlichen Grundlagen fehlten. Dennoch war dem Proletariat die Möglichkeit gegeben, seine Pläne durch Anpassung an die außergewöhnlich verschobenen Verhältnisse zu verwirklichen. Aus der Naturwissenschaft wissen wir, daß für ungewöhnliche Vorgänge im allgemeinen keine Anpassung vorhanden ist, ja daß die Organismen sich ihnen gegenüber oft äußerst unzweckmäßig verhalten (OSTWALD). Der ganze Verlauf der Revolution zeigt, daß diese Anpassung in der Geisteswelt, im Denken der daran beteiligten Menschenmassen sich noch unzweckmäßiger gestaltete. Um diese Behauptung eingehender zu beweisen, müssen wir jene Mentalität in ihre Elemente zerlegen, welche die Massen beim Eintreten des Zusammenbruchs aufzeigten. Kriegs- und Zusammenbruchsideologie Alle Eindrücke der Außenwelt beim Beginn der Revolution entstammten den Tatsachen des Zusammenbruchs, der Auflösung und der Zerrüttung. Um mit KANT zu sprechen, das Bewußtsein wurde nur durch den Zusammenbruch affiziert. Daher konnte die unter diesen Verhältnissen entstandene Ideologie nur die Ideologie des Zusammenbruchs sein. Die nähere Analyse zeigt, daß diese Mentalität in ihren Hauptzügen mit jener Ideologie identisch ist, welche sich im Krieg als seelische Anpassung an die Kriegsverhältnisse herausgebildet hat und besonders in den letzten zwei Kriegsjahren sehr scharf hervorgetreten ist. Diese Kriegsideologie spaltet sich in die Ideologie der Front und in die des Hinterlandes. Es übersteigt das menschliche Ausdrucksvermögen, alle Leiden, Entbehrungen und Anstrengungen, die die Frontsoldaten zu bestehen hatten, die Schrecken und Gefahren, welche sie umgaben, die Hölle, in der sie ständig lebten, in Worte zu fassen. Niemals hatten Menschenmillionen in einer kurzen Zeitspanne so unsäglich viel zu leisten und zu leiden. Dieses Leben war für sie nur deshalb erträglich, weil sie sich als Kämpfer einen hohen Zieles, als Verteidiger des Vaterlandes ansahen; nur dieses Gefühl ermöglichte es ihnen, die Eindrücke der fortwährenden Lebensgefahr, der Leiden und Entbehrungen zu verdrängen. Andererseits steigerte dieses Gefühl ihr Selbstbewußtsein ungemein und ließ in ihnen die Überzeugung aufkommen, daß das Vaterland und besonders die Daheimgebliebenen ihnen Dank schulden und verpflichtet sind, nach Beendigung des Krieges für sie eine privilegierte Lage zu schaffen, welche ihren im Krieg erworbenen Verdiensten vollständig gleichkommt. Diese Überzeugung wurde durch das Verhalten der Heeresleitungen, der Regierungen und der Presse bekräftigt. Eine systematische Großzüchtung des Heroenwahns wurde getrieben und die armen Soldaten, die nicht wußten, daß es sich mehr darum handelt, sie zu neuen Blutopfern und Entbehrungen anzuspornen, nahmen alle diese Beteuerungen für bare Münze. Eine Stimmung der Selbstüberhebung griff um sich. Der Frontdienst, besonders im Stellungskrieg, bedeutete eine ständige Lebensgefahr, zugleich aber das Fehlen jeder intensiven Arbeit. Große Massen wurden des Arbeitens entwöhnt. Sie warteten sehnsüchtig auf den Zeitpunkt, wo sie als privilegierte Schicht im Vaterland das Schützengrabenleben ohne dessen Gefahren fortsetzen konnten. Der Krieg führte ferner zu einer großen Verrohung der Kriegsteilnehmer. Die Geringschätzung des eigenen wie des fremden Menschenlebens, die Neigung zu allerlei Gewalttaten, blutrünstiger Romantizismus und überwuchernde Unternehmungslust entwickelten sich. Infolge der fortgesetzten Neueinberufungen und der Herabsetzung der Altersgrenze überwogen in der Armee die ganz jugendlichen Elemente, die anstatt in den Lehrlingswerkstätten, Fabriken und Schulbänken zu sitzen, aus der elterlichen Gewalt in das freieste und ungebundenste Leben hinausgeschleudert, hier Herren über Tod und Leben wurden. Diese jungen Leute sind die hauptsächlichsten Träger der Revolutionsromantik, der Intoleranz und Gewaltanwendung geworden. Die außerordentlich lange Dauer des Krieges rief ein starkes Gefühl der Verbitterung an der Front hervor. Immer mehr wurde der Zeitpunkt der Heimkehr verschoben und damit der Anfang der vielfach versprochenen Glückseligkeit. Die Empörung der Frontsoldaten richtete sich hauptsächlich gegen die Etappe, die Drückeberger und Untauglichen, die daheim alle Vorteile der Kriegskonjunktur genießen konnten. Selbst sozialdemokratisch gesinnte Arbeiter sprachen im Ton der Erbitterung von ihren Genossen, die zuhause in der Kriegsindustrie hohe Löhne einheimsten. Noch sehnsüchtiger erwarteten sie den Tag der Abrüstung, an welchem die große Abrechnung stattfinden sollte. Der Spieß wird umgedreht. Die Front kommt zurück, der Wald von Birnam [Shakespeare "Macbeth" - wp] "hebt an zu wandeln", man vertauscht die Rollen. Ôte toi, que je m'y mette [Hebe dich hinweg, damit ich deine Stelle einnehme. - wp]. Ein Klassenkampf der Frontsoldaten gegen die Etappe und das "Hinterland" stand bevor. Auch ökonomisch war das Militär vollkommen, demoralisiert: Die kontrollose Milliardengebarung, die Leichtfertigkeit in den Kriegsfinanzen, deren Leitmotiv war: "Koste es, was es wolle!", die Plünderungen, Requisitionen [Beschlagnahmungen - wp] und Schiebergeschäfte haben die Moralität der Soldaten und Offizieren furchtbar herabgesetzt. Nur eine verhältnismäßi dünne Schicht konnte der Verführung entgehen. Diese Kriegsheldenideologie und Überhebung wurde die spätere Revolutionsheldenideologie; denn diese Revolutionen - es kann nicht genug betont werden - wurden überall durch das Militär gemacht und ohne dieses hätten sie nicht gelingen können. Die Matrosen hatten überall den Löwenanteil an der Revolution gehabt, sie waren sozusagen die Avantgarde der Revolution. Gewiß hat dazu auch der Umstand viel beigetragen, daß ein erheblicher Teil der Matrosen höher qualifizierte und organisierte Arbeiter waren, aber der Hauptgrund lag darin, daß die Matrosen die hervorragendsten Vertreter der soeben geschilderten Heldenideologie waren. In der Marine war der Geist von jeher ein unbändiger; infolge des U-Boot-Krieges war die Lebensgefahr und daher die Geringschätzung des fremden und eigenen Lebens eine größere, lauter Tugenden, die sowohl im Krieg wie bei der Herbeiführung einer Revolution gleichmäßig gelten. Hätten die Mittelmächte gesiegt, so würden die Soldaten ihren aufgestapelten Energien und Affekten in den annektierten Gebieten freien Lauf gelassen, zuhause den Vernichtungskrieg gegen die Nichtkriegsteilnehmer durchgeführt haben; solange man ihre Forderungen erfüllt hätte, wären sie bereit gewesen, die revolutionären Regungen der Bevölkerung im Dienst der Regierung zu unterdrücken. Sie hätten psychologisch ebenso konsequent gehandelt, wie bei der Übernahme der Führung in der Revolution. Die seelische Grundlage ihres Verhaltens wäre in beiden Fällen dieselbe, die überwuchernde Kriegsideologie. Als der Krieg und damit die Autorität und der Nimbus der militärischen Machthaber verloren ging, ihre Schwäche enthüllt wurde und es sich zeigte, daß die alten Machthaber nicht mehr in der Lage waren, die gemachten Verspechungen und Zusicherungen zu erfüllen, wendeten die Truppen die Gewehre gegen sie und führten die Revolution herbei. Ein erheblicher Teil der NOSKE-Truppen, welche in Berlin, München und in anderen Städten die Erhebungen der Kommunisten im Blut erstickten, nahm auch an der Revolution teil. Es wäre ein grober Irrtum, zu behaupten, daß sie sich aus reiner Begeisterung der Revolution angeschlossen haben und dann, enttäuscht über deren Zügellosigkeit, sich wieder in den Dienst des Ordnungsprinzips stellten. Nein, sie gingen in beiden Fällen folgerichtig vor, ihre Handlungen wurden durch eine einheitliche Ideologie geleitet. Als die alte Macht zusammenbrach, gab ihnen nur eine revolutionäre Umwälzung die Möglichkeit, sich auszuleben und den Dank des Vaterlandes in Taten umsetzen zu lassen. Durch ihre maßlosen Forderungen diskreditierten sie die Revolution, und sobald dies geschehen war, kehrten sie ihr den Rücken. In ihren Reihen entstand schon in den ersten Wochen eine bittere Enttäuschung. Die Revolution hatte nicht nur die bestehende Staatsmacht gestürzt, sondern mit dem ganzen Militarismus aufgeräumt. Solange die heimgekehrten Soldaten noch als Revolutionshelden gefeiert wurden, bemerkten sie den Sinn dieser Umwälzung nicht. Allmählich aber stellte es sich heraus, daß eine neue Welt herangebrochen war, welche mit der Heldenverehrung nichts gemein hatte, die zwar für das Schicksal und die Entschädigung der Kriegsteilnehmer in weit ausreichenderem Maß zu sorgen beabsichtigte, als es das alte Regime getan hätte, aber nicht gewillt war, die Kriegsteilnehmer als privilegierte Schicht zu behandeln. Die Enttäuschung griff zuerst in Offizierskreisen um sich, man nahm ihnen Degen, Auszeichnungen, Distinktionen [Rangabzeichen - wp], man stellte die Ehrenbezeugungen der Untergebenen ein. Solange die Mannschaft nur die Demütigung der Offiziere sah, nahm sie an den diesbezüglichen Schritten teil, später aber wirkte es wie ein kalter Wasserstrahl, daß auch die Unteroffiziersdistinktionen und sämtliche Kriegsauszeichnungen verschwinden mußten. Sie kamen allmählich zur Einsicht, daß in der Revolution nur die Verdienste um die Revolution angerechnet werden, daß der im Krieg erworbene Ruhm um seinen Ruhm und um seinen Kurs gekommen war und es überhaupt mit dem Geist der Revolution unvereinbar ist, aus dem Krieg Verdienste abzuleiten. Der Hinterländergeist siegte über die Heldenideologie. Bitter enttäuscht wenden sie sich der Gegenrevolution zu, welche der Heldenverehrung wieder Geltung verschafft. Andere Schichten der Soldaten haben trotz dieser Enttäuschung an der Revolution festgehalten, wollten sich aber durch maßlose Forderungen, deren seelische Grundlage der Dank des Vaterlandes war, mit Zuhilfenahme revolutionärer Schlagworte schadlos halten. Man kann nicht an dem Umstand vorbeigehen, daß infolge der Bekleidungsnot Millionen von Soldaten noch monatelang nach der Abrüstung in Uniform herumgingen. Das Tragen der Uniform zeitigt immer gewisse psychologische Wirkungen. Das Gefühl der Unverantwortlichkeit, der Schrankenlosigkeit und Überhebung wurde durch die stürmischen Ereignisse des Umsturzes noch gesteigert, umso stärker, je mehr die Autorität der Vorgesetzten schwand. Der stärkste Faktor der Umsturzstimmung war die außerordentlich starke nationale Verbitterung, welche der Verlust des Krieges, die Zerschlagung und Verstümmelung des Vaterlandes hervorgerufen hat. Jahrelang wurde der kämpfenden Armee der endgültige Sieg vorgelogen. Die Empörung über die ständige Irreführung und Verheimlichung der Wahrheit war unbeschreiblich. Armeen sind - solange die Hoffnung auf den Sieg vorhanden ist - immer annexionistisch gestimmt. Als dann die militärische Niederlage nicht mehr zu verheimlichen war, trat eine tiefgehende Erschütterung des seelischen Gleichgewichts der Kriegsteilnehmer ein. Eine furchtbare, nihilistisch gefärbte Empörung bemächtigte sich ihrer, mit wilder Wut wendeten sie sich gegen die bisherigen Machthaber, die diesen schrecklichen Zusammenbruch verschuldet, ihnen die Wahrheit vorenthalten hatten, sie zwecklos bluten ließen. Der größere Teil der Offiziere nahm an der Revolution teil, sie haben in den neugebildeten Soldatenräten die ausschlaggebende Rolle gespielt, bis die Agitation der linksradikalen Elemente sie verdrängte. Alte nationale Eifersucht, im Unterbewußtsein schlummernder Haß und Erbitterung entluden sich in der mit Revolutionselektrizität gesättigten Atmosphäre. Die Abneigung gegen die preußische Vorherrschaft machte sich bei den nichtpreußischen Soldaten Luft und half die bestehende Macht umzustürzen. In Österreich erwachte die Hoffnung, die nationale Einheit durch den Anschluß an Deutschland zu verwirklichen und der Wunsch, die Habsburger, das einzige Hindernis der Verwirklichung, aus dem Weg zu schaffen, wurde sofort in die Tat umgesetzt. In Ungarn haben die Offiziere eine hervorragende Rolle in der Revolution gespielt. Ihre Abneigung gegen die fremde Dynastie, welche die Erlangung der nationalen Unabhängigkeit vereitelte, gegen die schwarzgelbe Armee, wo sie in den Hintergrund gedrängt wurden, war der stärkste Motor, welcher die Revolution in Fluß gebracht hat. Nicht weniger war die Mannschaft von diesen Gefühlen beseelt. Im Hinterland hat sich während des Krieges eine spezifische Mentalität ausgebildet, welche am entsprechendsten als Blockadenideologie bezeichnet werden kann. Infolge der Blockade waren die Mittelmächte auf die eigenen Bestände und Produktion beschränkt. Der Bedarf der Kriegsführung an Sachgütern war ein immenser. Um die verringerten Vorräte gleichmäßiger verteilen zu können, wurde eine schroffe wirtschaftliche Zentralisation eingeführt. Die Lebensmittel und die wichtigeren Bedarfsgüter wurden rationiert, durch die Behörden und Zentralen verteilt. Dadurch wurde das gesamte Wirtschaftsleben auf eine notorische Machtgrundlage gestellt. Auch in Friedenszeiten ist die wirtschaftliche Betätigung durch die Machtverhältnisse bestimmt. Aber im Frieden war dieses Verhältnis durch den freien Verkehr, durch die praktisch unbegrenzten Möglichkeiten der Produktion, durch die Fülle von Nahrungsmitteln vollkommen verhüllt und verdeckt. Der wirtschaftliche Kampf ging um die Höhe des Arbeits lohns, der Grundrente, des Kapitalzinses. Wer sich in diesem Kampf durchsetzte, für den war die Beschaffung der Rohstoffe und Lebensmittel überhaupt keine Frage mehr, sie lagen sozusagen auf das Gasse. In der Kriegswirtschaft konnte nur derjenige produzieren, Produkte in Verkehr setzen, sich Verbrauchsgüter verschaffen, der von den Behörden die Ermächtigung und die Bezugsscheine dazu erhalten hatte. Je mehr der Krieg sich in die Länge zog und sich der Vorrat an Sachgütern verminderte, desto offenkundiger wurde, daß der Anteil jedes einzelnen umso größer ist, je mehr Macht und Einfluß der betreffende Staatsbürger oder seine Klasse geltend machen konnte. Bei der Verteilung der Lebensmittel war eine gewisse Menge ohne besondere Kraftentfaltung erhältlich. Diese reichte aber nur notdürftig aus und bedurfte einer ständigen und ausgiebigen Ergänzung. Umso heißer entbrannte der Kampf um diese Ergänzung. Alle Gesellschaftsklassen und Berufe organisierten sich, um die Verteilung für sich günstiger zu gestalten. Ein eigentümlicher Rationierungskommunismus entwickelte sich. Der Kriegsmoral angepaßt - trachtete jede Gruppe die Kommunität dieses Kommunismus zu ihren Gunsten zu verschieben. Eine Torschlußpanik brach aus. Zur besonders bevorzugten Stellung schwangen sich die Arbeiter der Kriegsindustrie auf, welche im Krieg die privilegierte Schicht der Arbeiterklasse abgaben. Die Heeresleitung und die Presse behandelten sie wie Frontsoldaten, täglich wurden über sie Lobeshymnen geschrieben, die Erkenntlichkeit des Vaterlandes ihnen gegenüber beteuert. Auf dem Gebiet der Lebensmittelverteilung wurden ihnen besondere Vorrechte eingeräumt. Die Gewerkschaften und Genossenschaften verzeichneten einen kräftigen Aufschwung, in den verschiedenen Beschwerde- und Schlichtungskommissionen wurde ihr Einfluß ausschlaggebend. Als Gegenleistung unterstützten sie teils stillschweigend, teils mit heller Begeisterung die Kriegspolitik der Regierung. Die ständig zunehmende Teuerung ging in eine mächtig emporschnellende Preisrevolution über. In Friedenszeiten war der Produzent und Kaufmann ständig Preisschwankungen ausgesetzt; er konnte ebenso verlieren wie gewinnen. In der Kriegswirtschaft setzte die unvergeßlich schöne Epoche des risikolosen Geschäftsgangs ein. Der Warenhunger und die Preise stiegen stetig; man konnte nur gewinnen. Wer Produktionsmittel besaß und wer Macht und Einfluß hatte, sich Waren zu verschaffen, konnte an der Kriegskonjunktur teilnehmen. Fabelhafte Kriegsgewinne entstanden in der kürzesten Zeit, ihr Beispiel wirkte demoralisierend. Das Streben nach schnellem Reichwerden ergriff einen erheblichen Teil der Bevölkerung. Psychologisch bedeutete die Kriegswirtschaft die Entfaltung aller räuberischen Urinstinkte. Die Grausamkeit an der Front war wahrhaftig nicht größer als die im Hinterland, wo, ohne die Gefahren der Front, die eigenen Landsleute zum Objekt der wirtschaftlichen Ausbeutung gemacht wurden. Neben dem Kriegsgewinnlertum blühte der Schleichhandel als sein würdiger Bundesgenosse. In einer vollständig zentralisierten Wirtschaft kann der Schleichhandel nur solche Waren in Verkehr setzen, welche der öffentlichen Bewirtschaftung durch eine Umgehung der bestehenden Verordnungen entzogen wurden. Es wäre ein Irrtum, zu glauben, daß dies nur mit Hilfe zweifelhafter Elemente geschehen konnte. Wer in seiner Person oder als Mitglied einer Klasse Einfluß besaß, entweder die Nachsicht der Behörden oder ausgesprochene Befreiungen und Sonderbewilligungen zu erwirken, der brachte die Waren in die Kanäle des Schleichhandels. Daher ein erneuter Wettlauf, um diese Vorteile zu erreichen. Das furchtbare Elend der Massen zwang große Schichten, sich mit Schleichhandel zu befassen, dessen räuberische Mentalität auch sie vollkommen verseuchte. Der Zweck des Krieges ist Herrschaft. Unterdrückung, seine Wesen ist Machtentfaltung, Gewaltanwendung. Wer mit dem Krieg irgendwie in Berührung kommt, wird durch die Ausströmung des Macht- und Herrschaftsprinzips infiziert. Wessen Brot man ißt, dessen Lied muß man singen. Nur besonders starke Charaktere und heilig empörte Seelen konnten sich dieser Wirkung entziehen. Die Sinn der Kriegswirtschaft war die Ausbeutung und Ausplünderung der Bevölkerung, ihre Mittel waren Macht, Einfluß, Privilegien, daher Herrschaft. Das Hinterland zeigte sich der Front ebenbürtig. Ihre Ideologien stimmten vollständig überein. Wir wollen selbstverständlich nicht in Zweifel ziehen, daß die bewußtrevolutionäre Gesinnung einer großen Anzahl von Soldaten, die aufklärende und agitatorische Arbeit des Sozialismus dem Umsturz wesentlich vorgearbeitet und dessen Durchführung einen kräftigen Anstoß gegeben hat. Gewiß hat auch die Empörung und der Haß der Soldaten gegen die Offizieren wegen ihrer brutalen Behandlung und Privilegien mächtig zur Explosion beigetragen. Ebenso drängte im Hinterland das Elend, die furchtbare Unterernährung, die Empörung gegen die Anhäufung von Kriegsgewinnen zum Losschlagen. Wenn wir aber diese Momente als Hauptfaktoren oder gar als die einzigen Ursachen der Revolution auffassen, finden wir vielleicht eine annehmbare Erklärung für den Ausbruch der Revolution; ihr Fehlschlagen bleibt uns ganz unerklärlich. Die psychologische Hauptursache der Revolution war die Umkehrung der Machtideologie gegen die alten Machthaber, welche durch den verlorenen Krieg ihre Autorität eingebüßt haben. Diesen leitenden Gedanken weiter verfolgend, werden wir zeigen, daß der Rückschlag in der Revolution auf eine neuerliche Umkehrung dieser Machtideologie zurückzuführen ist. Das Erwachen der alten Machtideologie Wenn in krisenhaften Zeiten neue, die Zukunft eröffnende Ideologien sich nicht einstellen können, drängen sich die alten umso mehr in den Vordergrund. Bei einer solchen Gelegenheit zeigt es sich, daß die Weltanschauung der Massen und ihre führenden Ideen nicht eigener Erwerb, sondern Erbschaft und Produkt unzähliger Generationen sind, mehr bedingt, wie dies besonders SPENCER klarlegt, durch die fortwirkenden und fortlebenden Gefühle und Ideen der Vergangenheit, als durch die neu entstandenen. Wenn wir den Grundstock der führenden Ideen der Menschheit untersuchen, finden wir, daß sich alle auf das Macht- und Herrschaftsprinzip reduzieren lassen. Nationalismus und Patriotismus bedeuten die Herrschaft einer Rasse über die anderen. Das Wesen des Staates bestand in nichts anderem, als in der Herrschaft einer Klasse über die übrigen. Religion ist Unterwerfung unter den göttlichen Willen, daher Herrschaft Gottes und derjenigen, die ihre irdische Stellung auf den göttlichen Willen zurückzuführen vermögen. Die Familie ist eine mildere Verwirklichung des Machtprinzips, sie ist die Herrschaft des Familienhauptes. Die Erziehung beruth gänzlich auf autoritärer Grundlage. In den Beziehungen zwischen Mann und Frau steht die Herrschaft den Männern zu. Die Grundinstitution unserer Rechtsordnung ist das Eigentum, das ausschließliche und andere ausschließende Recht über eine Sache. Die Ehe ist nichts anderes als die Übertragung der Eigentumsverhältnisse auf das Familienleben. Militarismus die vollständigste Verkörperung des Macht- und Autoritätsgedankens, reinstes Herrschaftsprinzip. Es fehlt uns hier an Raum, diesen Gedankengang näher auszuführen. Wir wollen nur die Bemerkung machen, daß das Vorwalten dieser Prinzipien nicht auf biologische Gründe, wie etwa auf den Selbsterhaltungstrieb zurückzuführen ist, sondern es ist die Folge der Gestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der aus diesen stammenden ideologischen Einflüsse, welche, wie SPENCER eingehend ausführte, den natürlichen Zusammenhang zwischen Gefühlen und Tätigkeiten tiefgreifend und schädlich zuungunsten der Rassenentwicklung beeinflußt haben. Jede Gesellschaftsordnung stützte sich bisher auf die bewaffnete Macht, auf die Gebote der Rechtsordnung und die freiwillige Unterwerfung der Massen. Diese Freiwilligkeit fußte letzten Endes auf dem Gottesglauben. Die Furcht vor der Strafe Gottes und die Hoffnung, im Jenseits belohnt zu werden, hielt unter gewöhnlichen Verhältnissen die Majorität zurück, sich gegen die Herrschaft einer Minorität, welche als Vertreterin der gottgewollten Weltordnung galt, aufzulehnen. Die Verbeugung vor dem göttlichen Willen wäre ohne den Unsterblichkeitsglauben, ohne die Vorstellung des jenseitigen Lebens unmöglich. Um nach dem Tod gerichtet zu werden, ist die Fiktion der Willensfreiheit notwendig; ohne sie gäbe es keine Sünde und Tugend, keine Strafe und Belohnung. Will man die Hauptstützen der jeweiligen Klassenherrschaft und der bisherigen Gesellschaftsordnung auffinden, so lese man fleißig "die Kritik der praktischen Vernunft", wo sie unter dem Decknamen "Postulate der reinen praktischen Vernunft" aufgezählt sind. Alle wichtigen Ideologien, die das menschliche Geschlecht im Laufe seiner geschichtlichen Entwicklung durchgemacht hat, bestehen in der heutigen Gesellschaft nebeneinander weiter. Mag die jetzige Gesellschaft sich von den früheren auf dem Gebiet der technischen Entwicklung, der Naturbeherrschung, der allgemeinen Bildung noch so sehr unterscheiden, ihr ideologischer Gehalt ist größtenteils derselbe geblieben, wie selbst das Wesen der Gesellschaftsordnung, die Herrschaft einer Minorität über die großen Massen unverändert erhalten blieb. Infolge der Wirkung und des Einflusses der Kirche, der Schule, der Presse, des Militarismus, durch die Rückwirkungen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung stehen diese Ideologien in der Massenseele ständig in Bereitschaft. Es hängt nur von den Eindrücken ab, wann und wie sie emporsteigen. Sowohl die apperzeptive wie auch die unbewußte Seelentätigkeit der Massen ist - mit wenigen Ausnahmen - auf das Herrschaftsprinzip eingestellt. Jeder neue Eindruck, jede neue Vorstellung wird durch die mehrfachen Einwirkungen dieses Prinzips beeinflußt, "überdeterminiert". Es gibt - von einigen krassen Fällen abgesehen - keine ausgesprochen revolutionäre oder reaktionäre Ideologie. Es hängt immer von der gegebenen Lage, von den allgemeinen Anlagen und momentanen Dispositionen der menschlichen Psyche ab, welche Assoziationen durch einen äußeren Eindruck oder durch ein bestimmtes Schlagwort in die Wege geleitet werden. Unter gewöhnlichen Verhältnissen kann jedoch mit zureichender Sicherheit die mögliche Richtung der Assoziation und die revolutionäre oder reaktionäre Wirkung einer Idee oder eines Eindruckes festgestellt werden. In krisenhaften Epochen ist die Folge unabsehbar, weil die bewußte Apperzeption entweder völlig in den Hintergrund gedrängt wird oder unter die Herrschaft einer übermäßig gefühlsbetonten Idee gelangt und so die mechanische Assoziation die Oberhand gewinnt. Die Vorstellungen und die Gefühle, hervorgerufen durch die Eindrücke, werden auf jene am meisten ausgeschliffenen Nervenbahnen gelenkt, auf denen das menschliche Denken und Gefühlsleben infolge der ständigen Übung auf die glatteste Weise ablaufen kann. Wenn der Eindruck eines äußeren Ereignisses, einer Idee oder eines Schlagwortes und die damit verknüpften Vorstellungen und Gefühle noch so entfernt mit den auf diesen Bahnen gewohnheitsmäßig verlaufenden Gedankengängen und Gefühlen in Verwandtschaft stehen, werden die bewährten, meist eingewurzelten, daher im Bann des Herrschaftsprinzips stehenden Assoziationen wachgerufen. Die Elemente des unmittelbaren Eindrucks bewirken das Aktuellwerden ganz bestimmter, ihnen adäquater Erinnerungselemente, diese üben ihrerseits eine assoziative Wirkung auf den unmittelbaren Eindruck aus (WUNDT). Das Bekanntheitsgefühl, das nach WUNDT diese physischen Vorgänge begleitet, hätte in unserem Fall eine außerordentlich intensive sein müssen, Kriegsideologie traf auf die uralte Machtideologie. Es muß daher der Eindruck der Veränderung der äußeren Verhältnisse, oder die neue Ideologie, wirklich sehr neuartig, sehr abweichend vom Gewohnten sein, um in einem Assoziationskampf mit den alten Gedankengängen und Ideologien nicht völlig zu unterliegen. Nur in diesem Fall können sie eine assimilatorische Wirkung auf die vorhandene Apperzeptionsmasse (HERBART) ausüben, sonst werden sie unerbittlich durch diese Masse assimiliert. Der Sozialismus, insofern er eine Machttheorie ist, hat in der alltäglichen Auslegung, in der agitatorischen Kleinarbeit seinerseits viel dazu beigetragen, daß die revolutionären Massen dem Machtdünkel verfielen. Esi ist wichtig festzustellen, daß dafür in der letzteren Zeit in erster Linie die Realpolitik der Gewerkschaften verantwortlich ist. Die Parteipolitik und -bewegung waren mehr oder weniger idealistisch - wir benützen hier das Wort in einem ethischen Sinn -, die Gewerkschaftspraxis jedes prinzipiellen Schwungs bar, verfolgte ausschließlich kurzfristige materielle Zwecke. Zur Begründung und Erstarkung der Gewerkschaften war ein hohes Maß an Idealismus und Opferfreudigkeit notwendig gewesen, welche mit dem Erstarkungsprozeß allmählich schwanden. Je mehr sich eine umfangreiche Gewerkschaftsbürokratie ausbildete, die ihre Existenz von den Wechselfällen der politischen Bewegung absondern wollte, desto mehr schlugen die mitteleuropäischen Gewerkschaften den Weg ein, den die Trade Unions und die amerikanischen Gewerkschaften schon seit geraumer Zeit gegangen waren. Aristokratischer Hochmut gegen die Masse der nichtqualifizierten Arbeiter, übertriebener Glaube an die Macht und Möglichkeit der Gewerkschaften, ein eigenartiges Gemisch von rücksichtslosem Terrorismus und opportunistischer Alltagspolitik, vollständiges Unverständnis für die weiteren und idealen Zwecke der Arbeiterbewegung, das waren die Hauptzüge der modernen gewerkschaftlichen Mentalität. Im Krieg wurden sie zum staatlich anerkannten Machtfaktor und zu einer privilegierten Gruppe. Gerade der besser situierte, gebildetere und bereits längere Zeit organisierte Teil der Arbeiterschaft wurde durch diese Mentalität infiziert und ging für weitblickende, augenblicklich mit großen Opfern verbundene Aktion verloren. Die Sozialdemokratie - besonders in Deutschland - hatte immer einen militaristischen Einschlag, wie dies schon des öfteren hervorgehoben wurde. Ein Überwuchern des Herrschafts- und Autoritätsprinzips war in der Bewegung unverkennbar. Die Politik vom 4. August 1914 ist auf diesen Umstand zurückzuführen. Der Krieg, die höchste Entfaltung dieses Prinzips, hatte bei den Mehrheitssozialisten alle Machtassoziationen in Gang gebracht und zeichnete ihrer Politik den Weg vo. Sie haben sich im Krieg mit der alten Gesellschaftsordnung vollkommen identifiziert, sie glaubten nicht an die neue; sie wünschten sie sogar nicht. Sie - besonder die Gewerkschaftsbürokratie - sträubten sich gegen die Revolution; nachdem sie aber da war, nahmen sie an ihr teil. Ihr Bestreben ging nicht über eine Verbesserung der Lohnverhältnisse, über die politische Gleichstellung, die ausgiebige Teilnahme an der Regierung und über die Sicherung der Machtstellung der Gewerkschaften hinaus. Nachdem die Fortsetzung der Revolution besonders diesen letzten Programmpunkt gefährdete, nahmen sie ihr gegenüber eine feindliche Stellung ein und trachteten die Herrschaft des so modifizierten Autoritätsprinzips, dessen vollberechtigte Teilhaber sie geworden waren, möglichst zu befestigen. Die alte und neue Ideologie der Massen waren identisch. Die Kriegs- und Zusammenbruchsideologie war nur eine lebhaftere, durch außergewöhnlich starke Eindrücke veranlaßte und dem Grad dieser Einwirkungen entsprechende, aber sie war Blut von ihrem Blute. Diese Ideologie hatte im Krieg das Durchhalten an der Front und die kriegerische Begeisterung zuhause möglich gemacht; sie führte, als der Krieg verloren ging, die Revolution herbei. Von den preußischen Schulmeistern hieß es, sie hätten die Kriege von 1866 und 1870 gewonnen. Sie und die durch sie der heutigen Generation eingeflößte Mentalität waren die geistigen Urheber der kriegerischen Begeisterung, des revolutionären Umsturzes und des späteren Rückschlages. In dem Bewußtsein aller Schichten der Masse war das Macht- und Herrschaftsprinzip unlöslich verbunden mit der Feststellung, daß wer die Macht besitzt, über die anderen herrscht, alle Vorrechte und womöglich keine Pflichten hat. Als jetzt plötzlich ihnen die Macht zufiel, assoziierten sie sofort diesen Tatbestand mit der Vorstellung des pflichtfreien und vorrechtsfreien Lebens; ihre Willensvorgänge gestalteten sich dementsprechend. Selbst der Gottes- und Unsterblichkeitsglaube hemmte diesen psychologischen Prozeß nicht mehr, sie wußten schon aus Erfahrung, daß die Machthaber Gott immer auf ihrer Seite haben. Die Geschichte der Revolution zeigt, wie in außergewöhnlichen Zeiten grundverschiedene und entgegengesetzte Ideenrichtungen und Vorstellungskomplexe die eigentümlichsten, sogar bizarrsten Allianzen eingehen können. Der Haß gegen die neuen Ideen und Umwälzungen - weil sie Opfer, Entsagung und Anstrengung erfordern -, die Anhänglichkeit zum Hergebrachten, der Misoneismus [Abneigung gegen das Neue - wp] der Massen verband sich mit ultrarevolutionären Velleitäten [Zögerlichkeiten - wp]. Dies war nur möglich, indem zwischen diesen psychischen Vorgängen eine Art Wahlverwandtschaft, Affinität herrschte, welche ihre Vereinigung und ihren Zusammenhalt mit großer Leichtigkeit bewerkstelligen konnte. Diese Affinität beruhte auf der gemeinsamen Anlage, die das Herrschaftsprinzip abgab. F. A. LANGE bemerkt auch, daß sich öfters religiöse Überlieferungen mit der materiellen Gesinnung der Massen verflechten. Messianismus und Opferfreudigkeit Wie jede große volkstümliche Bewegung besaß auch der Sozialismus von jeher einen starken messianischen Zug. "Die Idee der Befreiung", wie das MAX ADLER eingehender ausführte, ist ein leitender Grundgedanke des Marxismus. Das Proletariat kann seine Befreiung nur dann erkämpfen, wenn es zugleich jedwede Unterdrückung, Ausbeutung und Knechtschaft nicht nur für die Arbeiterklasse, sondern zugleich ein für allemal auch für die ganze Gesellschaft aufhebt. Im Gemüt der Massen lag infolge der christlich-religiösen Schulerziehung die Anlage zum messianischen Glauben fest verankert, in der praktischen Agitation wurde diese Neigung stark ausgenützt. Die ungemeine Erstarkung der sozialistischen Bewegung ist - abgesehen vom Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse - in sehr bedeutendem Maß auf den Umstand zurückzuführen, daß der Sozialismus die Befreiung der Arbeiter, diese Sehnsucht der Massen, als notwendig eintretendes Resultat der geschichtlichen Entwicklung mit streng wissenschaftlicher Methode aus den Entwicklungsgesetzen der menschlichen Gesellschaft ableitete. Dieser Messianismus wurde noch durch den Krieg, durch die Leiden der Millionen an der Front und im Hinterland, durch die ständige Sehnsucht nach Frieden stark gefördert. Dieses Verlangen war nicht das Gefühl der sehnsuchtsvollen Erwartung des Gottesreiches, sondern entsprang der Verzweiflung und der Sorge um die Zukunft. Infolge des Überhandnehmens der Kriegsideologie verlangte dieser Messianismus, sobald das Proletariat die Macht nach dem Zusammenbruch ergriffen hatte, die sofortige Umsetzung der Erlösung in Taten, die schleunigste Verwirklichung des Gottesreiches auf Erden. Die Massen strömten den sozialistischen Parteien zu, um der Erlösung teilhaftig zu werden. Der Messianismus der sogenannten Novembersozialisten war ein Wechsel mit kurzer Verfallszeit; bei den meisten war er sogar ein Wechsel auf Sicht. Jeder Messianismus wirkt zuerst revolutionierend; weil seiner Verwirklichung der Umsturz der bestehenden Gesellschaft vorangehen muß, birgt aber für jede Revolution große Gefahren in sich, weil die Möglichkeit der Enttäuschung naheliegt und es im Fall eines Mißlingens die Menschen im Assoziationsweg zum alten Gott und besonders zu ihren bisherigen irdischen Statthaltern zurückführt. Besonders groß ist die Gefahr in einem Zeitpunkt, wo die Staatsmacht schon zusammengebrochen ist und daher der revolutionäre Elan bei einem großen Teil der Masse sich nur in der Teilnahme an den Vorteilen der neu erworbenen Macht ausleben konnte. Zur Begründung und Befestigung dieser Gesellschaft wäre ein größeres Maß derjenigen Bestandteile der messianischen Idee notwendig gewesen, welche unter dem Sammelnamen "Opferfreudigkeit" zusammengefaßt werden können. Auch die früheren, besonders die bürgerlichen Revolutionen verlieren näher besehen an Opferfreudigkeit und Idealismus, welche ihnen durch die Geschichtsschreibung unterschoben wurde. Doch kann man behaupten, daß in den jetzigen Revolutionen Opferfreudigkeit und Selbstlosigkeit weniger aufzufinden sind, als in den früheren, besonders in der französischen Revolution. Infolge des vollständigen Zusammenbruchs der Staatsmacht, der totalen Ohnmacht der früheren herrschenden Klasse, durch die Beherrschung sämtlicher militärischer Machtmittel war das Sicherheitsgefühl der Massen unvergleichlich größer. Zweitens, und das ist wichtiger, war - um ein im Krieg geprägtes geflügeltes Wort zu benützen - der Bedarf der Massen an Aufopferung schon im Krieg übermäßig gedeckt. Ihr Idealismus war durch den Krieg vollständig in Trümmer geschlagen. Für weitgesteckte Ziele, welche ihnen einstweilen keine Vorteile oten, hingegen furchtbare Leiden und Entbehrungen auferlegten, haben sie vier Jahre hindurch geblutet und gehungert. Aus dieser Hölle befreit, war ihr Bestreben auf die naheliegendsten Ziele gerichtet, und im Besitz der Macht fühlten sie sich fähig, ihren Willen durchzusetzen. Die Masse verlangte, wie einst schon BEBEL sagte, "daß auch für das Heute gesorgt wird, unbeschadet dessen, was morgen kommt." Sie sahen meistens in der Revolution nur eine große Lohnbewegung, eine Neuverteilung der Macht, der Stellen und der Einkommen. Die wirtschaftliche Politik des Sozialismus und des Kommunismus war gegebenerweise die Fortsetzung der Kriegswirtschaft mit ihren Zentralen und Requisitionen. Dadurch wurde die Mentalität der Kriegswirtschaft, wie auch die des Schleichhandels, beibehalten. Es war immer ein großer Fehler des Sozialismus, daß er die Diskussion über die Einzelfragen und über die Einrichtung des Zukunftsstaates abgelehnt hat. Es fehlte ihm sozusagen der Mobilisierungsplan und er mußte das kriegswirtschaftliche System des bankrotten Staates übernehmen. Jetzt gelangte auch der Rationierungskommunismus zur vollen Blüte. Die sozialistische Gesellschaft hätte sich auf eine vollständig entwickelte Produktion mit praktisch unbegrenzten Verteilungsmöglichkeiten gründen müssen. Ihre Grundsätze waren unanwendbar in einem Zeitpunkt, wo eben das Gegenteil eingetreten war. Daher konnte der Rationierungskommunismus in die Revolution hinaus projiziert nichts anderes bedeuten, als die Requisition von Lebensmitteln und Wohnungen der Wohlhabenden. Diesen Weg schrieb auch das Beispiel der russischen Revolution vor. Im Krieg war jede Kompagnie, jede Grabenbesatzung - die Nachbarschaft ausgenommen - voneinander vollkommen isoliert und nur durch die Vorgesetzten und die Heeresleitung verbunden. In annektierten Gebieten führte jede Unterabteilung einen erbitterten Kampf gegen alle anderen in Bezug auf Beute und Requisitionen. Diesem Atomismus entsprach in der Revolution das Vorgehen und die Mentalität der Soldaten- und Arbeiterräte, welche jede Stadt, jede Gemeinde absperrten, in ein selbständiges Staatsgebiet umwandelten, öffentliche Güter beschlagnahmten, verteilten und dadurch das Niveau des Wirtschaftslebens auf die Stufe der mittelalterlichen Naturalwirtschaft herabdrückten. In Österreich wurde die Abfallpolitik der Länder gegen die Zentralregierung durch das Verhalten der Arbeiterräte kräftig gefördert, teilweise auch eingeleitet. Sie waren die energischsten Befürworter der Absperrungsmaßnahmen. Im Bewußtsein der Massen war der Besitz der Macht und der Produktionsmittel immer mit dem arbeitslosen Einkommen verbunden. Ohne Eintreten einer neuen Wirtschaftsordnung in den Besitz der Machtmittel gelangt, assoziierten sie mit diesem Umstand das arbeitslose Leben. Jede Arbeitslust hörte auf. Sie waren Neulinge in der Handhabung der Macht, ohne Vorschule, daher ihre Unsicherheit, alle ihre Übergriffe. Sämtliche durch Generationen erlittene, verdrängte, aber im Unterbewußtsein noch vorhandene Demütigungen und die dadurch hervorgerufenen Rachegelüste stiegen frei auf und drängten sie dazu, sich im Genuß der Macht schrankenlos auszuleben. Ein ständiges Gefühl der Massen, der Angehörigen der unteren Klassen, ist das Gefühl der Inferiorität [Untergebenheit - wp] gegenüber den führenden Schichten, ihrem Reichtum, ihrer größeren Bildung und politischen Gewandtheit. Nach der Besitznahme der Macht schwand dieses Gefühl keineswegs. Bewußt und unbewußt trachteten sie es durch eine umso ausgiebigere Ausübung der Macht zu überwinden. Es ist weiter zu berücksihtigen, wie sehr in der alten Gesellschaftsordnung der Machttrieb der Massen unterdrückt werden mußte. Das macht seine vulkanische Entladung verständlich. Aus der Geschichte geht hervor, daß die Massen stets zu großen Opfern bereit waren und solche tatsächlich geleistet haben, aber immer im Dienst der fremden Interessen und nur selten in dem der eigenen. Die Erklärung dieses Umstandes hoffen wir durch unsere bisherigen Ausführungen geliefert zu haben. Die Opferfreudigkeit der Massen offenbarte sich in diesen Revolutionen nur dort, wo sie ein Ausfluß der Kriegsideologie war, in den blutigen Straßenkämpfen, in gewagten Gewaltstreichen, in den Verteidigungskämpfen der Münchener Kommunisten und der ungarischen Roten Armee und zuletzt im Ruhrgebiet, aber sehr selten auf solchen Gebieten, die aus unterscheidende Symbole der neuen Gesellschaft hätten gelten sollen: Arbeit, moralische und politische Disziplin, aufbauende Tätigkeit. Das fühlte auch TROTZKI, als der die Parole ausgab: "Arbeit, Disziplin und Ordnung werden die sozialistische Sowjetrepublik retten." Wäre die Opferfreudigkeit imstande gewesen, die Produktoin zu erhöhen und die Anbahnung der neuen Wirtschaftsordnung anschaulich zu machen, so wäre jede Hoffnung der Bourgeoisie auf die Wiederkehr der alten Zustände erstickt und sie gezwungen gewesen, sich ihrem Schicksal zu ergeben. Da sie aber voraussahen, daß der völlige Zusammenbruch des Wirtschaftslebens nicht nur in den Kreisen der Mitläufer, sondern auch in denen der Arbeiterschaft eine allgemeine Enttäuschung hervorrufen muß, erholten sie sich bald von ihrem ersten Schrecken und blieben auf der Lauer, auf die erstbeste Gelegenheit wartend, um der Neuordnung der Dinge den Todesstoß zu versetzen. Der Kampf um die Räte und der Kommunismus Wir haben schon darauf hingewiesen, daß in außergewöhnlichen Verhältnissen die Anpassungsfähigkeit der einzelnen Individuen und der Massen sehr unvollständig ist. Die Richtigkeit dieser Feststellung wird ersichtlich, wenn wir die Mentalität der radikalen Gruppen, besonders der Spartakisten und Linksunabhängigen in Deutschland, die der Kommunisten in Ungarn und Deutsch-Österreich einer näheren psychologischen Analyse unterziehen. Wir beginnen mit jener Gruppe der Unentwegten, die besonders durch die Tätigkeit von KARL LIEBKNECHT und ROSA LUXEMBURG gekennzeichnet ist. Hoher Idealismus, blinder Glaube an die Möglichkeit der Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsordnung, fanatische Überzeugung der Richtigkeit des eingeschlagenen Weges kennzeichneten die meisten Führer. Sie suchten ohne Rücksich auf die obwaltenden Verhältnisse und auf die Verschiedenheit der Tatbestände sich auf entsprechende Stellen in MARXens Schriften und auf das Bestehen der russischen Räterepublik stützend das kollektivistische Programm mit Waffengewalt durchzusetzen. Scheinbar nahmen sie - gemäß ihren marxistischen Prinzipien - einen materialistischen Standpunkt ein, tatsächlich aber waren sie Idealisten, sowohl vom erkenntnistheoretischen wie auch vom psychologischen Standpunkt, indem sie ihre eigenen Vorstellungen, Gefühle und Begehren in die Welt hinausprojizierten und als Tatsachen wiederzuerkennen wähnten. Ein eigentümlich mystischer Zug beherrschte ihre Mentalität. Die vermeintliche Erfassung des Transzendenten, das gefühlsmäßige Erleben in der Tiefe des eigenen Gemüts, eine beinahe ekstatische Begeisterung - dazu die Nichtachtung der Erfahrung und der Verstandeserwägung -, all dies ist in ihrem Verhalten aufzufinden. Ihnen offenbarte sich die sozialistische Revolution unmittelbar und sie fühlten sich verpflichtet, den Weisungen dieser Offenbarung zu folgen. Ein wissenschaftlich gefärbter Aberglaube an die übernatürlichen, den wirtschaftlichen Gesetzen nicht unterworfenen, von den obwaltenden Verhältnissen unabhängigen Kräfte der Revolution gesellte sich dazu. Sie verfielen einer verhängnisvollen Jllusion, indem sie den Zusammenbruch der Staatsmacht als Eintritt der sozialistischen Gesellschaft deuteten und werteten. Die durch die stürmischen Ereignisse in Schwung gebrachte Phantasietätigkeit waltete uneingeschränkt, und durch die willkürliche Bevorzugung der dem Umsturzplan günstigen Vorstellungskomplexe schalteten sie die hemmende Wirkung der realen Tatsachen vollständig aus. Sie standen unter einer starken Suggestion; sie waren durch das Bestehen und die Erfolge der russischen Räterepublik hypnotisiert. Die Wirkung äußerte sich in der Einengung der apperzeptiven Tätigkeit. Ihre Überlegungs- und Willensvorgänge standen gänzlich im Bann dieser Eindrücke. Umstände und Tatsachen, die mit diesen im Widerspruch waren, existierten für sie nicht. Sie waren Fanatier der Logik in einem unlogischen Zeitalter. Es ist die Pflicht jedes Naturforschers, vor der Anwendung eines Naturgesetzes mit der größten Vorsicht zu untersuchen, ob die eingetretenen Zustände identisch sind mit denjenigen, welche die Grundlage der aufgestellten Gesetze bilden. Noch mehr ist diese Umsicht bei der Anwendung soziologischer Gesetze geboten, welche sich auf einem labilen Boden aufbauen. Am meisten wäre die sorgfältigste Überprüfung der Sachlage in einem solchen Fall notwendig gewesen, wo es sich um ein höchst gefährliches Experiment handelte, das im Blut erstickt werden und die Revolution um ihre Erfolge bringen konnte. Sie hätten sich die Frage aufwerfen müssen, ob die gegebene Lage einerseits diejenige ist, welche MARX als Voraussetzung für die Einführung der neuen Gesellschaftsordnung kennzeichnete, andererseits ob die praktische Durchführung der radikalen Umwälzung unter den gegebenen Verhältnissen überhaupt möglich ist. Ihr moralisches Gewissen befahl ihnen, unentwegt zu bleiben; aber WINDELBAND hat recht, wenn er auch von einem logischen Gewissen spricht. Gewiß haben sie sich diese Frage aufgeworfen; doch sie wurde in ihrem Sinn bejahend entschieden. Seit Jahrzehnten erwarteten sie den Eintritt dieses Ereignisses, das theoretisch vollkommen vorausgesehen und praktisch besonders günstig zu sein schien. Sollten sie diese günstige, sich nur einmal darbietende Gelegenheit versäumen, einen Verrat am Proletariat und der ganzen Menschheit begehen? Nein, das konnten und wollten sie nicht tun und sie schlugen los. Sie handelten nach SPINOZAs Worten: "Wer eine wahre Idee hat, der weiß zugleich, daß er eine wahre Idee hat und kann an der Wahrheit der Sache nicht zweifeln." Außer der falschen Beurteilung der innerwirtschaftlichen Lage und dem blinden Glauben an die Zauberwirkungen des Rätesystems waren es noch zwei verhängnisvolle, die Außenpolitik betreffende Irrtümer, welche sie in eine Sackgasse geführt haben. Der erste Irrtum bestand in einem vollständigen Verkennen der Konsistenz und Widerstandsfähigkeit des Entente-Kapitalismus und -Militarismus. Sie haben auf die Weltrevolution gehofft, obwohl sie aus eigener Erfahrung hätten wissen müssen, daß die Revolution in Mitteleuropa nur durch die vollständige Niederlage und Auflösung der Heeresmacht möglich gemacht wurde. Sie mußten wissen, daß die Entente die Proklamierung der Räterepublik mit dem Einmarsch ihrer Truppen und mit der wirtschaftlichen Erwürgung Deutschlands beantwortet hätte. Der zweite Irrtum lag in der unrichtigen Wertung des Bestehens der russischen Räterepublik, deren Errichtung und Erstarkung nur dadurch möglich war, daß die deutsche Armee, welche ihr gegenüberstand, diesen Prozeß mit allen Mitteln unterstützte. Ebenso haben sie die Bedeutung der Tatsache verkannt, daß Rußland sich selber ernähren und infolge der Primitivität seiner Wirtschaft ein kühnes Experimentieren vertragen konnte. Ihr Verhalten war ein Schulbeispiel dafür, wie ein übermächtig gewordenes Gefühl und ungestümer Tatendrang unter der Einwirkung einer fixen Idee die Tatsachen und deren Vorstellungen hinwegdekretiert, sie souverän deutet, willkürlich bevorzugt oder verdrängt. Die Gefühlselemente haben über die Verstandestätigkeit die Oberhand gewonnen. Sie haben die von MARX aufgestellte Grundregel des revolutionären Schaffens außer acht gelassen: "Die Dinge nehmen, wie sie sind, das heißt: das revolutionäre Interesse in einer den veränderten Umständen entsprechenden Weise geltend machen." Ihre Revolution hatte eine große Ähnlichkeit mit der Aufklärung: Vollständige Vernachlässigung der bestehenden Verhältnisse, der geschichtlichen Überlieferungen und der ideologischen Hindernisse. Den Schlüssel zu ihrem Verhalten gibt die Tatsache, daß auch sie der Machtideologie verfallen waren. Sie haben Macht hinter sich gefühlt und waren der Ansicht, daß diese zur Errichtung der neuen Gesellschaft allein genügt. Sie versuchten nach dem Rezept NIETZSCHEs ein Weltbild und Ideal durch einen Gewaltakt des Willens zu erdichten. Daher verschmähten sie die Zeitgemäßheit ihres Vorhabens ängstlich zu erwägen. Der Besitz der Macht wird alles gutmachen und alles ersetzen. Corriger la fortune [Man muß nur dem Glück etwas nachhelfen. -wp]. Sie lebten in dem Glauben, daß alle, welche die Revolution mitgemacht haben, für das Rätesystem mit allen seinen wirtschaftlichen Konsequenzen eintreten wollten. Der Rätegedanke war nicht nur das messianistische Erlösungswort, sondern auch die Modeneuheit der Revolution, welche auch in bürgerlichen Kreisen Eroberungen machte. In Ungarn bildete sich sogar ein katholischer Priesterrat. Schon MARX tadelte die Minorität des Kommunistenbundes, daß sie aus dem Wort Proletariat ein heiliges Wesen machte. Die Linksradikalen und Kommunisten verfielen demselben Fehler; auch sie machten aus der Sowjetrepublik, aus der "endlich entdeckten Form der Proletardiktatur" ein neues Heiligtum, ein neues "unfehlbares Mittel", das einst LASSALLE den Arbeitern empfahl. Jedoch verstand der größere Teil der Massen unter diesem Wort nicht jenen Inhalt, der ihm in Beziehung auf Rußland in der Propaganda verliehen wurde, sondern identifizierte es mit seinen aus der Machtideologie stammenden Wünschen und Forderungen. Ebensowenig waren diejenigen, welche den Umsturz bewußt wollten, in Bausch und Bogen unter die Rätegetreuen einzureihen. Die Kommunisten haben es völlig außer acht gelassen, wie stark die Friedenssehnsucht an der Herbeiführung des Umsturzes mitgewirkt hat. Die Soldaten wollten ein Ende machen, Ende um jeden Preis, selbst um den Preis der Revolution, ohne mit den prinzipiellen Forderungen der Revolution, geschweige denn des Rätesystems einverstanden zu sein. Es war die Friedenssehnsucht, welche die meisten Leute dazu bewog, den Krieg und die Monarchie im Stich zu lassen. Als sie erkannten, daß die Revolution nicht den ersehnten Frieden, sondern den ständigen Bürgerkrieg bringt, ließen sie jetzt die Revolution im Stich. Daß große Massen sich den Sozialdemokraten und Kommunisten angeschlossen haben, war kein Beweis dafür, daß sie für die Räterepublik schwärmten oder von deren Durchführbarkeit überzeugt waren. Sie waren empört, sie wollten den Sturz der alten Macht, sie begehrten den Frieden, sie wollten ihr Los verbessern, die ihnen zugefallene Macht ausnützen. Nachdem der Sozialismus in der alten Gesellschaft als Spezialist die Geschäfte der Revolution besorgt hatte, seine Vorrechte sozusagen grundbücherlicher intabuliert waren, wendeten sich alle Unzufriedenen, Empörten an ihn. In der Rechtswissenschaft, besonders auf dem Gebiet des Strafrechts, wird eine scharfe Grenze zwischen animus generalis und animus specialis gezogen. Die Massen hatten ihren animus generalis, sie wollten den Umsturz, oder schlossen sich ihm an; ihr animus specialis war aber keineswegs der Rätegedanke, sondern setzte sich aus den oben angeführten Bestandteilen zusammen. Die Fortsetzung der Revolution hat die alte Streitfrage über das Verhältnis zwischen der Masse und ihren Führern in vollem Umfang aufgeworfen. OTTO BAUER stellt folgenden Grunsatz auf: "Wir dürfen uns weder von den Arbeitermassen trennen, noch uns von ihnen blind führen lassen." Die Schwierigkeit dieser Lösung zeigt sich besonders dann, wenn man diese theoretische Feststellung in die Praxis umsetzen will. Wie soll der wahre Wille der Masse festgestellt werden? Der MARXsche Satz, "das Proletariat fragt nicht, was die Bourgeois wollen, sondern was sie müssen", trifft auch für das Verhalten des Proletariatszu. Weder ihr "Müssen" noch ihr "Wollen" war für die Verwirklichung des Rätegedankes entscheidend, von der Majorität kann dies mit der größten Sicherheit behauptet werden. LEDEBOUR sagte in seiner Verteidigungsrede vor dem Schwurgericht: "Es sind immer die Massen, die zur Revolution drängen." Das ist richtig, aber die Pflicht der Führer wäre, die revolutionäre Massenpsyche gründlich zu analysieren, ihre Beweggründe festzustellen, die Realität der revolutionären Schlagworte, die Möglichkeiten des Erfolgs richtig einzuschätzen und wenn nötig, dem Drängen der Massen Widerstand zu leisten. Ihr Verhalten war eine Einfühlung, sie legten ihre eigene Intuition, ihre auf Jllusion fußenden Überzeugungen in die Massenseele hinein, deren Regungen sie dann in ihrem Sinne deuteten. Es ist eine wichtige Feststellung der Kinderpsychologie, daß das fehlerhafte Sprechen der Kinder oft dem Einfluß der Umgebung zuzuschreiben ist. Die Eltern und die Ammen gebrauchen im Umgang mit den Kleinen die sogenannte Kindersprache. Das Kind ahmt das nach und behält die fehlerhafte Aussprache. Ebenso haben die Radikalen vorausgesetzt, was der Wille des Volkes ist, und die Masse, das große Kind, wiederholte nur das, was sie ihr einflößten. Die Wiedergabe ihrer eigenen Gedanken betrachteten sie so als den Willen der Masse. Ihr intransingentes [zu keinen Kompromissen bereit - wp] Verhalten ist erklärlich durch die berechtigte Erbitterung und Empörung, die der vierjährige Krieg, das Verhalten der Staatsmacht, der gesamten Bourgeoisie und des Militärs in ihnen auslöste, welche den Gedanken aufkommen ließen: écrasez l'infame [Tod den Niederträchtigen! - wp], selbst wenn es die Zertrümmerung der Produktion bedeutete. Besonders in Deutschland spielte ihre Empörung gegen das Verhalten der Mehrheitspartei und der Gewerkschaftsbürokratie eine große Rolle, welche sich mit der Kriegsführung vollkommen identifizierte und ihre ganze Kraft aufbot, um die alte Staatsmacht um den Preis der Mitbeteiligung zu retten. Als die linksradikale Bewegung um sich griff, fanden sie keinen Ausweg, als die Anwendung der äußersten Machtmittel, und NOSKE, der Verkörperer des Machtfanatismus, ließ alle Argumente dieses Prinzips aufmarschieren: Maschinengewehre, Geschütze und Minenwerfer. Die Führer der Mehrheitspartei hingegen können sich darauf berufen, daß die Majorität der Arbeiter in den ersten Monaten der Revolution immer hinter ihnen stand und zwar nicht nur bei den Wahlen zur Nationalversammlung, sondern auch bei den Rätewahlen und Kongressen. Ihre Hauptschuld liegt darin, daß sie den Machtopportunismus dieser Majorität - denn einen solchen gibt es auch - noch züchteten und in der Vollstreckung ihres Willens noch mehr Opportunismus zutage legten, als es zur Ausübung ihres Mandates notwendig war. Diese Empörung und Erbitterung war meistens ausschlaggebend dafür gewesen, daß auch die Unabhängigen sich - allerdings mit Einschränkungen - für die Proletardiktatur und das Rätesystem erklärten. Vom Kommunismus in Ungarn werden wir in einem späteren Zusammenhang sprechen. Hier wollen wir noch die auffallende Tatsache besprechen, daß in Österreich die kommunistische Bewegung niemals eine entscheidende Rolle gespielt hat. Selbst in ihrer Blütezeit war sie nur ein Anhängsel und Instrument der ungarischen Räteregierung und seit deren Fall büßte sie größtenteils ihre Bedeutung ein. Waren vielleicht die Voraussetzungen für eine ultraradikale Bewegung in Österreich weniger vorhanden als in Deutschland oder in Ungarn? Keineswegs, - sie waren sogar noch mehr da, denn die Lebensmittelnot und das Elend der Bevölkerung war größer als in jenen Ländern. Die Hauptursache lag darin, daß Deutsch-Österreich immer nur auf kurze Zeit mit Lebensmitteln und Kohle versehen und infolgedessen der Entente und den Sukzessionsstaaten vollkommen ausgeliefert war. Jeder gewaltsame Umsturz hätte in wenigen Tagen mit der furchtbarsten Katastrophe geendet. Wenn der Eindruck eines äußeren Umstandes für das menschliche Bewußtsein so überwältigend ist, wie die Ernährungslage Österreichs, da ruft er den entsprechenden Gedankengang unfehlbar hervor, welcher allem Enthusiasmus, allem revolutionärem Elan, aller kommunistischen Agitation zum Trotz die Überzeugung erstarken läßt, daß eine radikale Umwälzung unmöglich ist. Aus diesem Grund unterblieben auch die monarchistischen Putsche, für welche die Umstände zeitweilig ziemlich günstig waren. Der Massenzustrom der Novembersozialisten drängte die bisherigen ausschlaggebenden Elemente der Parteien in den Hintergrund und verlieh ihnen ein ganz neues Gepräge. Die homines novi [neuen Menschen - wp] haben sich zur entscheidenden Rolle emporgekämpft. Sowohl in Deutschland, aber noch mehr in Österreicht und Ungarn waren die Anhänger der extremsten Richtungen meistens Leute, die früher an der Arbeiterbewegung nicht teilgenommen haben. Die Abrüstungs- und Heimkehrerideologie wurde die Mentalität der Revolutioin und verdrängte alle anderen Geistesrichtungen. Die Invaliden waren die gewalttätigste Schicht der Revolutionsscharen. Das Gefühl der Unantastbarkeit durchdrang sie, auch ihre berechtigte Erbitterung trug viel dazu bei, daß sie ihre Forderungen mit Gewalt durchzusetzen trachteten. Ein sehr großer Teil der Novembersozialisten hielt zwei Esen im Feuer. Konnten sie ihre Forderungen auf der Seite der Revolution nicht durchsetzen, so lag die Gefahr nahe, daß sie umsatteln und zur Reaktion übergehen könnten. Die Bewilligung ihrer Forderungen setzte andererseits auch solche Gruppen in Bewegung, die sich bisher mäßigend verhielten. Der frühere Kern der sozialdemokratischen Parteien spielte eine ziemlich passive Rolle und wurde durch die Ereignisse geschoben. Sie zögerten und schwankten, ob sie die Reaktion an ihrer Arbeit verhindern sollten, da diese auch die Herstellung der Ordnung im Wirtschaftsleben bezweckte, andererseits konnten sie nicht energisch einschreiten, da die Gefahr vorhanden war, daß die Extremisten ihre Unterstützung zur Herbeiführung des Umsturzes benützen werden. Die zweite Phase der Revolution ist durch den folgenden Gegenstand gekennzeichnet:
"In jeder Revolution drängen sich neben ihren wirklichen Vertretern Leute anderen Gepräges auf" (MARX). Außer den bisher erwähnten Kategorien ist der Aufmarsch aller Erniedrigten und Beleidigten der Gesellschaft zu verzeichnen, die bisher der Arbeiterbewegung vollkommen fernstanden, jetzt aber von diesem Umsturz die Heilung ihrer Beschwerden und die Befriedigung ihrer Rachegelüste erhofften. Viele Künstler, Schriftsteller, Schöngeister, berauscht vom stürmischen Gang der Ereignisse, schlossen sich begeistert an, die Verwirklichung ihrer mit dem Ziel der proletarischen Revolution meistens nicht zusammenhängenden, oft ihm gar widerstrebenden Ideen von ihr hoffend. Futuristen, Expressionisten, Dadaisten, deren künstlerische und literarische Bestrebungen in so schroffem Widerspruch zu den herrschenden Geistesrichtungen stehen, daß sie nur im Fall eines allgemeinen Umsturzes zur Geltung zu gelangen hoffen konnten, glaubten ihre Zeit gekommen. Der Zustrom der Künstler, Literaten und Schöngeister war nicht wohltätig für die Sache, ihr starker Individualismus, ihre Schrankenlosigkeit und Selbstüberhebung, ihre vollständige Unkenntnis der wirtschaftlichen und politischen Lage, der Beweggründe der Massen, schadeten mehr als sie einer Bewegung nützen konnten, welcher Disziplin, Planmäßigkeit, Anpassung an die Machtlage not tat. Es wäre überaus wichtig, zu untersuchen, welche Rolle in dieser Bewegung die Lungenkranken und die geschlechtlich Unbefriedigten gespielt haben, die Psychoanalytiker würden auch auf ihre Rechnung kommen. Bei den meisten dieser Kategorien war der Wille zur Macht, der Drang des Sich-auslebens vorherrschend. Mit besonderer Schärfe trat dieser Zug im Verhalten der Jugend auf. In jeder Revolution fiel der Jugend eine bedeutende Rolle zu, aber keine Revolution hat die Altersgrenze so tief herabgesetzt, wie die unsrige; sie wiederholte wirklich die Worte Christi: Lasset die Kindlein zu mir kommen! Die Jugend und die Kinder sind die wirklichen Vertreter des Machtprinzips, was biologisch in den Bedürfnissen des noch im Wachstum befindlichen Organismus, in ihren großen Energiebeständen, in ihrem schrankenlosen Trachten nach Sichausleben begründet ist; all dies verstärkt noch die Rücksichtslosigkeit, welche weder durch Verstandeserwägungen, Erfahrungen noch durch Schicksalsschläge gemäßigt ist; all dies verstärkt noch die Rücksichtslosigkeit, welche weder durch Verstandeserwägungen, Erfahrungen noch Schicksalsschläge gemäßigt ist. Für sie war die Revolution mehr als für die Erwachsenen, nicht nur Auflehnung gegen die Staatsgewalt, Kapitalismus, Kirche, Überlieferung, sondern auch Befreiung von der Gewalt der Eltern, der Lehrer, von der Autorität und Rangpriorität der Älteren, die Anhänger FREUDs würden sagen, gegen den Vaterkomplex in aller Form. Die jetzige Revolution bedeutete die Erweiterung ihres Wirkungskreises, sie nahmen in erheblichem Maß an der Führung der Bewegung teil. Unter der Räteregierung in Ungarn hatten massenhaft junge Leute beider Geschlechter, im Alter von 17-23 Jahren, sehr wichtige, oft führende Positionen inne. In den bürgerlichen Parteien ist meistens die Jugend freidenkerisch, die Älteren vertreten die Orthodoxie. Bei der kommunistischen Jugend war das Gegenteil der Fall, ihre Orthodoxie war der Anzahl ihrer Jahre verkehrt proportional. Das Hervortreten dieser Elemente verstärkte noch den diktatorischen Zug der linksradikalen und kommunistischen Richtung, der jeder extrem gerichteten Bewegung ohnehin zugrunde liegt, und gab ihr einen starken esoterischen Einschlag. Ein kleiner Kreis Erleuchteter übernimmt die Führung und will der Masse die Glückseligkeit aufzwingen. Aus der Diktatur des Proletariats wird die Diktatur eines kleinen Teils des Proletariats über das ganze Proletariat und die übrige Bevölkerung. Es ging weiter nach links und dann abwärts. Der Sozialismus konnte aus eigener Kraft, mit den Mitteln der Disziplin, die elementaren Kräfte nicht beschwören, welche die Revolution entfesselt hat. "Keine größeren Siege sind je gesiegt, ... aber auch nie ist die Ohnmacht des Sieges in einem helleren Licht erschienen als damals" (HEGEL). Der Sozialismus war an die Verfolgung und Opposition gewöhnt, seine Moral und Disziplin dieser Lage angepaßt. Die Besitznahme der staatlichen Machtmittel wirkte demoralisierend auf die Masse. Mißbrauch der Macht, Korruption, Vergeudung des öffentlichen Vermögens und Protektionswirtschaft traten auf den Plan. Diese Demoralisation war nur eine Folgeerscheinung des Umsturzes, den andere Ursachen hervorgerufen haben. Auf den Gedanken, die Fortsetzung der sozialen Revolution, die dauernde Begründung der ausbeutungsfreien Gesellschaft durch die Geldmittel eines fremden Staates, durch Bestechung herbeizuführen, sind zuerst die Bolschewiken gekommen. Ihr Sieg war hauptsächlich diesem Umstand zu verdanken. Der Bolschewismus gewann in Rußland durch die tatkräftige Hilfe der deutschen Heeresleitung die Oberhand. Die kommunistische Bewegung in Ungarn wurde größtenteils durch die russische Räteregierung finanziert, die österreichische durch die ungarische. In der Geschichte findet man zahlreiche Beispiel, daß eine Regierung in einem fremden Land Revolutionen organisierte, dieses Vorgehen jedoch die Herbeiführung einer vollkommeneren Gesellschaftsordnung, die ständige Beseitigung jeder Herrschaft und Unterdrückung durch die verwerflichsten Mittel der bisherigen Klassenherrschaft erreichen zu wollen, steht in der Weltgeschichte beispiellos da. Wie sich diese Methode gerächt hat, beweist am deutlichsten das Fehlschlagen des kommunistischen Versuches in Ungarn. Es ist kein Zufall, daß der Kommunismus nach Rußland nicht in Deutschland und Österreich, sondern in Ungarn, welches industriell das am wenigsten entwickelte Land war, triumphierte. Der Sozialismus konnte nur in industriell hochstehenden Ländern verwirklicht werden, dieser Kommunismus aber, welcher mit dem Sozialismus nur so viel Gemeinsames hatte, daß seine Führer meistens Sozialisten waren, war ein Produkt des Zusammenbruchs der Staatsmacht, und dieser Zusammenbruch ist umso größer, je primitiver die Machtorganisation des betreffenden Landes ist. Rußland und Ungarn waren Selbstversorger, Agrarstaaten, daher der Gedanke der Aushungerung, der vollständigen Abschnürung entweder nicht aufkam oder leichter verdrängt wurde. In beiden Staaten herrschte mit Hilfe des Militarismus der Feudaladel, ein organisiertes, widerstandsfähiges Bürgertum fehlte vollständig. Durch das Fehlen des allgemeinen Wahlrechts hatte das Proletariat keine politische Schulung, keinen Sinn für die Möglichkeiten und Zusammenhänge der internationalen Politik. Ungarn besaß nach der Oktoberrevolution eine viel radikalere Regierung als Deutschland und Österreich, wo die Sozialdemokraten mit den Klerikalen Koalitionen bildeten. Ihr stand daher die gesamte Bourgeoisie feindselig gegenüber. Solche Regierungen werden leichter von Revolutionen hinweggefegt, weil ihnen den Massen gegenüber jeder Rückhalt fehlt. Die Hauptursache des kommunistischen Sieges in Ungarn lag in einem Machtrausch und Opportunismus der sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften, wobei letztere mit den Genossenschaften zusammen in vollstem Maße an der Kriegskonjunktur teilnahmen und außerordentliche Vorrechte erwarben. Sie duldeten die Verschacherung des allgemeinen Wahlrechts, und als nach dem Frieden von Brest der linke Flügel der Partei einen Generalstreik und kriegsfeindliche Demonstrationen veranstaltete, sahen sie ruhig zu, wie die Führer der Bewegung, die der Partei- und Gewerkschaftsbürokratie fernstanden, eingekerkert wurden. Zur Regierung gelangt, kannte ihr Machtdünkel keine Grenzen. Der Zustrom der Oktobersozialisten war noch gewaltiger als in Deutschland, die Anzahl der Neophiten [neu zum Glauben Gekommene - wp] überstieg 4-5 mal den alten Grundstock. Die neuen Elemente verfolgten die unbändigste Machtpolitik, die Partei- und Gewerkschaftsleitung gab ihnen in allen Stücken nach, um die formelle Führung nicht aus den Händen zu lassen. Sie ließen gänzlich außer acht, daß die Majorität des Landes aus Kleinbauern bestand, die auch Anspruch erheben könnten, in der Regierung und Verwaltung vertreten zu werden, verhinderten die Durchführung der Bodenreform, welche mit dem Großgrundbesitz gänzlich aufräumen sollte, verjagten überall die durch die Revolutionsregierung - deren wirkliche Lenker sie waren - eingesetzten Funktionäre. Sie nahmen an den Wahlvorbereitungen zur Nationalversammlung teil, erklärten aber zugleich, sie würden, wenn sie aus den Wahlen nicht als Majoritätspartei hervorgehen sollten, die Nationalversammlung auseinanderjagen. So trieben sie selbst das Wasser auf die Mühle der Kommunisten. Als es sich schließlich zeigte, daß ein Teil der Massen hinter diesen steht, nahmen sie deren Programm an, unterwarfen sich ihrer Führung, um nur weiter an der Macht bleiben zu können. Die Führer der Kommunisten rekrutierten sich aus zwei Gruppen. Die eine bestand teilweise aus Theoretikern und Schöngeistern, die den Heranbruch einer neuen beseligenden Gesellschaftsordnung erhofften, teilweise aus Linkssozialisten, welche die Partei nach dem Januarstreik verlassen hatten. Diese waren durch das Bestehen der russischen Räterepublik affiziert. Die andere Gruppe, die ausschlaggebende - die Männer der Tat -, war durch die russischen Machtmittel affiziert. Sie waren, mit wenigen Ausnahmen, als Kriegsgefangene in Rußland und haben dort die hohe Schule der Proletarierdiktatur mitgemacht. Sie hatten an der russischen Revolution zu einer Zeit teilgenommen, als der Bolschewismus seine Gegner unerbittlich niederwarf und vernichtete. Was sie dort erlebt und mitgemacht haben, verdichtete sich in ihrem Bewußtsein zur Quintessenz des Kommunismus. Der Bolschewismus brachte keine neue Ideologie, seine Mentalität war auch die des Krieges und es Zusammenbruchs, er brachte nur eine neue Terminologie. Diese beruhte einerseits auf den Traditionen der französischen Revolution, der Pariser Kommune und der russischen Revolution von 1905, andererseits entsprang sie den russischen Verhältnissen. Neu war auch die Technik, welche in der Verlegung der Kriegsführung von der Front in das Hinterland und in der Zuspitzung der kriegswirtschaftlichen Maßnahmen, im Sinne eines gegen die Bourgeoisie gerichteten Rationierungskommunismus bestand. Die ungarischen Heimkehrer sahen in diesen Methoden das Wesen des Kommunismus. Sie ließen außer acht, daß diese Methode in einem Land, wo es hieß, mit dem Zarismus aufzuräumen, vielleicht historisch geboten und moralisch entschuldbar sei, aber nie die allgemeine Maxime des Handelns werden darf. Nach ihrer Heimkehr war ihr Bestreben darauf gerichtet, in den Massen für die russischen Methoden Stimmung zu machen. Ihre Agitation traf bei den Arbeitslosen, Invaliden, Abgerüsteten auf günstigen Boden und bei den jüngeren Soldaten, welche die Regierung damals zu demobilisieren beabsichtigte. Alle diese Gruppen - unter welchen sich organisierte Arbeiter in verschwindender Minorität befanden - trachteten sie durch Geld und Versprechen zu gewinnen. Mit Hilfe dieser durch keinen Sozialismus getrübten Machtfanatiker wurden sie Herren der Lage. Die ungarische Räteherrschaft war schon in ihrer Geburtsstunde die Herrschaft einer Minorität. Diese Minorität schrumpfte von Tag zu Tag zusammen, je mehr es offenbar wurde, daß der Kommunismus mit einem Schlag das Elend, die Lebensmittelnot, die wirtschaftlichen Übel nicht aus der Welt zu schaffen imstande war. Es ist eine unumstößliche Lehre der Geschichte, daß die Herrschaft einer Minorität auf die Dauer nicht haltbar ist, es sei denn, daß die Majorität sich ihr freiwillig unterwirft. Diese Freiwilligkeit, diese spontane, schwindelartige Bewegung der Massen", wie sie BAKUNIN nennt, war nicht zu erwarten. Das braucht Weile und alle diejenigen Einflüsse, welche bisher für die Unterwerfung arbeiteten: Religion, Kirche, Nationalismus, die allgemeinen Moralbegriffe wirkten in entgegengesetzter Richtung. Es ist eine allgemeine Erscheinung, daß eine Minorität ohne Arbeit lebte, praktisch unhaltbar ist aber ein solcher Zustand, wo die Majorität (d. h. die industriellen Arbeiter) nicht arbeitet. Denn dies war die erste Folge des Kommunismus. Die Arbeitslust, welche schon seit der Revolution allmählich zurückging, hörte gänzlich auf. Die zur Herrschaft gelangten Massen wollten die erlangte Macht ausleben und ihr Beispiel wirkte ansteckend auf die anderen, die dem Kommunismus entweder von Anfang an feindlich gegenüberstanden oder ihm später den Rücken gewendet haben. Vergebens erschiedenen die Plakate: Proletarier, arbeitet! Ihr arbeitet für Euch! Die schönste Phrase vermag gegen die Wirkungen psychologischer und wirtschaftlicher Tatsachen nichts auszurichten. Es ist unzweifelhaft, daß aufgrund eines kurzen Zeitraumes nicht festzustellen ist, ob eine neue Wirtschaftsordnung sich bewährt hat oder hätte bewähren können. Hier sprechen wir aber nicht von der Möglichkeit und Richtigkeit des Kommunismus, sondern von einem Rückschlag, der in der Stimmung der Massen eingetreten ist. Es ist eine unwiderlegbare Tatsache, daß die Massen, welche in Ungarn diesen Umsturz herbeiführten, keine Opfer für die Befestigung der neuen Gesellschaft bringen wollten. Als sich die rumänischen Truppen zum ersten Mal Budapest näherten, lieft die rote Armee, welche den Kommunisten zur Macht verhalf, auseinander. Erst eine neue, aus älteren organisierten Arbeitern und Bauernsöhnen angeworbene Armee konnte standhalten, sogar Siege erringen. Infolge der Unhaltbarkeit der Lage wurde die Stimmung der Massen allmählich schlechter. Sie wollten nicht für die neue Gesellschaftsordnung hungern und wiesen empört ihre Assignaten [Geldzuweisungen - wp] zurück. Das Rätesystem war schon innerlich zusammengebrochen, als ihm die rumänischen Bajonette im Juli 1919 das Ende bereiteten. Als es das Feld räumen mußte, erhob sich kein Arm, es zu retten. In dem Maß, als es ersichtlich wurde, daß eine Neugeburt der Gesellschaft nicht möglich war und selbst die Arbeiterschaft sich vom Kommunismus abwendete, griff der Terror um sich und damit übernahm die vollständig neubelebte Kriegsideologie und die russischen Methoden die Herrschaft über die Seelen. Das geschah auch in München, wo die gemäßigte Räteregierung ihren Platz nach sechs Tagen der extremen Richtung übergeben mußte. Was in Rußland sicherlich nur Mittel zum Zweck war, wurde hier Selbstzweck. Nachdem das System der städtischen Bevölkerung panem [Brot - wp] nicht bieten konnte, bot es ihr circenses [Zirkus - wp], Wohnungs- und Lebensmittelrequisitionen, eine ständige Demütigung der Bourgeoisie, Theatervorstellungen und Volksfeste. Der militärische Geist lebte wieder unverhüllt auf, mit allen Äußerlichkeiten der gestürzten Monarchie, mit Kriegsberichten, Auszeichnungen, Anpreisung von Heldentaten, Militärmusik, Truppenrevue. Sie wußten aus Erfahrung, wie sich diese Mittel im Krieg als physische Reizmittel bewährt hatten und sie hofften, dieselben Erfolge bei den Soldaten zu erreichen, ihre Gedanken und Willensvorgänge durch diese Anspornungsmittel auf die altbewährten Bahnen, zur Todesverachtung und Selbstaufopferung zu lenken. Sie wollten durch künstliche Assoziationsverbindungen die Entfaltung der alten militärischen Tugenden in ständiger Erinnerung an die Proletarierherrschaft hervorrufen, um dadurch die Leistungsfähigkeit der Soldaten zu heben. Zu diesem Zweck diente auch die übermäßige Verwendung der roten Farbe, die roten Fahnen und Bezeichnungen. Es ist charakteristisch, daß in der Armee die Soldatenräte abgeschafft wurden, im Wirtschaftsleben und der Verwaltung wurden sie nicht nur beibehalten, sondern sogar ad absurdum geführt. Die Armee war die einzige Stütze und Garantie der Macht, bei ihr hörte das Experimentieren auf. Die Räteregierung erkannte die Gefahren der Lage und stellte sich gänzlich unter den Schutz der alten Disziplin und stützte sich auf den bewährten Verlauf der Assoziationsvorgänge. Mit dem Terror und mit der Militärdiktatur stellte sich ihre treue Gefährtin, die Korruption, ein. Zweieinig sind sie, nicht zu trennen. Eine verkehrte Selektion griff Platz. Leute von geringerem spezifischem Gewicht gelangten an die Oberfläche. Die Räteregierung bekannte mit ungewöhnlicher Offenheit diese Zustände ein, dennoch war es nur die halbe Wahrheit, die ganze wäre das Eingeständnis dessen, daß die Korruption die Folge der Diktatur ist. Eine große Anzahl Idealisten arbeitete trotz der Unhaltbarkeit der Lage unausgesetzt weiter, erließ mit blindem Eifer Verordnungen und Befehle, welche die kommunistische Gesellschaftsordnung in wenigen Wochen zu verwirklichen berufen waren. Seit der Aufklärungszeit ist es niemals vorgekommen, daß von Verordnungen eine solche einschneidende Wirkung erwartet wurde, wie es bei diesen Gesetzgebern der Fall war. Alle diese Verordnungen und die Äußerungen, die ihre Schöpfer getan haben, atmen den Geist eines starren Dogmatismus, der Sein und Denken identifiziert und überzeugt ist, daß Denkprodukte in der Außenwelt immer adäquate Veränderungen hervorrufen können. Dieser dogmatische-spiritualistische Standpunkt ist nur so erklärlich, daß die meisten unter ihnen keine Sozialisten waren, und wenn einmal, diesen ihren Marxismus unter dem Einfluß der Machtbesitznahme verlernt haben. Nur so konnten sie an die Möglichkeit glauben, durch Geistesprodukte die materiellen Verhältnisse zu bemeistern, die wirtschaftliche Entwicklung zu terrorisieren. Dieser magische Glaube an die wunderwirkende Kraft einiger Zauberformeln war eigentlich eine Flucht aus der unbefriedigenden Wirklichkeit. Sie haben außer acht gelassen, daß einst ENGELS, nach dem sie Kasernen benannt haben - ein für ihre Mentalität äußerst charakteristischer Umstand - geschrieben hat: "Dieser Konflikt zwischen Produktionskräften und Produktionsweise ist nicht ein in den Köpfen der Menschen entstandener Konflikt ... sondern er steht in den Tatsachen außerhalb von uns objektiv, unabhängig vom Wollen oder Laufen selbst derjenigen Menschen, die ihn herbeigeführt haben." Ihre Wirtschaftspolitik war meistens eine im kommunistischen Gewand erscheinende Fortsetzung der Kriegswirtschaft. Der Militärdiktatur folgten die Intoleranz und der Autoritätsglauben. Als oberste Autorität galt, was in Rußland gemacht oder gesagt wurde, dagegen fand keine Berufung statt. Alle Formeln des Autoritätsglaubens lebten auf. Der Bolschewismus ist das geistige Produkt griechisch-orientalischer Russen und russischer Juden. In diesen zwei Religionen ist die Orthodoxie die mächtigste. Obgleich die kommunistischen Führer gegen jede positive Religion Stellung nahmen, konnten sie sich den Einflüssen der Vererbung, Erziehung und Umgebung nicht entziehen. Noch größer war die Orthodoxie der Massen, die sich ihnen angeschlossen hatten. So war der Kommunismus ein Gemisch von Messianismus und Simplizität des Urchristentums und von Intoleranz und Orthodoxie des Katholizismus. Diese Orthodoxie mußte in Ungarn, wo bigotte Massen fehlen, nur befremdend wirken. Die Oktoberrevolution ging der alten Gesellschaft gegenüber mit Schonung vor. Die Kommunisten griffen umso energischer zu. Sie wendeten eine sympathische Kur an, sie wollten die Klassenherrschaft durch die Mittel derselben unmöglich machen. Die Klassenherrschaft läßt sich aber nur durch wirtschaftliche Mittel, des weiteren durch Erziehung und Aufklärung bekämpfen. Die Anwendung der alten Mittel führt unfehlbar zur Aufrichtung einer neuen Klassenherrschaft oder zur Herstellung der alten. Die kommunistische Praxis ließ durch die assoziativen Wirkungen die Machtvorstellungen in der Massenpsyche noch schärfer hervortreten. Sie erklärte immer offen, daß sie alle Gewaltmittel gegen die Bourgeoisie anwenden wird. Gewiß war ihr Verhalten viel ehrlicher als das der weißen Herrschaft,, welche immer erklärt, daß in Ungarn Recht, Gesetz und Demokratie herrschen und deren Opfer an Anzahl diejenigen der Räteregierung schon bisher 20-30 mal übertreffen. Doch ließ diese Methode den Machtdünkel der Massen noch mehr anwachsen. Bevor sie zur Macht gelangten, war ihre bewährte Taktik, die Massen zu maßlosen Forderungen hinzureißen und dadurch die Regierungen zu stürzen. Das rächte sich später, wovon die wirtschaftlichen Erfahrungen des Kommunismus ein beredtes Zeugnis ablegen. Ebenso rächte sich die Methode der Bestechung, der Korruption und des Terrorismus. Wenn ich den Ausdruck anwende, daß diese Mittel sich gerächt haben, meine ich darunter nicht die spießbürgerliche Fassung der These, daß die Verletzung der Moral die Strafe in sich birgt. Allein man kann eine neue Gesellschaft mit den alten Methoden nicht aufrichten, weil dieser Gebrauch diejenigen Assoziationen wachruft und Gedankengänge stärkt, welche auf die Ausgestaltung der neuen, gesellschaftserhaltenden Ideologien hemmend und zerstörend wirken. "Nichts ist schlimmer, als sich selbst untreu werden, den ethischen Geboten zuwiderhandeln, die man selbst als kategorischen Imperativ anerkennt." (KAUTSKY) Ihre Methode war der Probabilismus [Wahrscheinlichkeitslehre - wp], welcher Jesuiten, aber nicht Marxisten ziemt. Wir wiederholen die Feststellung von GUSTAV ECKSTEIN: "Macchiavelli und Marx lassen sich politisch nicht vereinigen" und berufen uns auf SPENCERs Wort: Der Glaube an eine Alchemie, die edle Handlungen aus gemeinen Naturen brauen will, ist absurd. Dennoch muß man zugeben, daß die außer an der unglücklichen außenpolitischen und wirtschaftlichen Lage, an den eigenen Fehlern in großem Maße an der eigenen Prinzipientreue zugrundegegangen sind. Im Innern wurde ihre Lage dadurch haltbar, weil das Bauerntum sich gegen sie auflehnte. Hätten sie, dem Beispiel von KURT EISNER gefolgt, der in Bayern seine Pläne in einer Koalition mit den Bauern durchzusetzen trachtete, oder hätten sie die durch die ungarische Oktoberregierung in Angriff genommene Bodenverteilung durchgeführt, so würden sie das Bauerntum auf ihre Seite bekommen haben. Ein Teil der Schriftgelehrten widersetzte sich diesem Plan, weil er angeblich mit dem Marxismus unvereinbar ist. So haben sie sich die Bauern, anstatt zu Freunden, wie in Rußland, zu den erbittertsten Feinden des Systems gemacht. Im Anschluß an diese letzte Ausführung möchte ich eine allgemeine Bemerkung machen. Es kommt in der Geschichte häufig vor, daß die Führer der Revolution mit Hilfe des Proletariats die herrschende Klasse ausgerottet und ihre Plätze eingenommen haben. Alles war beim Alten geblieben, nur eine neue herrschende Klassen anstelle der alten getreten. Es ist auch ein häufiger Fall, besonders in den bürgerlichen Revolutionen, daß die Führer der siegreichen Klasse, zur Macht gelangt, ihr Programm verraten. Es ist weiter bekannt, daß das Christentum mit der herrschenden Klasse des römischen Reiches einen Kompromiß einging und sich gegen die Gewährung von Privilegien gänzlich in den Dienst der Klassenherrschaft stellte. An diesen Klippen mußte auch das Schiff der Revolution vorbeisegeln. Die Tragik der sozialistischen und kommunistischen Revolutionen besteht eben darin, daß die strenge Durchführung des theoretischen Programmes ihre Macht untergraben, das ganze oder teilweise Fallenlassen wichtiger Programmpunkte hingegen ihre Macht stärken mußte. Um mathematisch zu sprechen, Machtsicherheit und Konsequenz in den Prinzipien stehen in einem verkehrten Verhältnis. Je größer aber die Macht ist, desto mehr läßt sich das Fallenlassen des Programms verschleiern und den Massen glaubhaft machen, daß alles, was geschieht, die Verwirklichung der ursprünglichen Lehren ist. Daß die Stellung der sozialdemokratischen Parteien selbst dort, wo ihr rechter Flgel den größten Opportunismus trieb, sich nicht befestigen konnte, beweist, daß sie zumindest einen Teil ihres Programms zu verwirklichen trachteten. Hätten sie denselben Weg eingeschlagen, der in den obigen geschichtlichen Beispielen angegeben ist, so wäre ihre Lage längst stabilisiert. Sowohl die alte Gesellschaft - insfern sie belassen worden wäre - wie auch die Entente hätte ihre Herrschaft lange anerkannt und gutgeheißen. Der Rückschlag In der Weltanschauung der Massen ist ein hoher Grad an Polarität aufzufinden. Wir befassen uns mit diesen Gegensätzlichkeiten nur insofern, als unsere Beweisführung dies notwendig macht. Die Grundlage ihrer Weltanschauung ist die Mischung einerseits des naiven Realismus und des dogmatischen Materialismus, wobei letzterer nach WUNDT die metaphysische Ergänzung des naiven Realismus ist, andererseits durch den Einfluß der Kirche, des Idealismus und Spiritualismus bestimmt. In der Beurteilung der Ereignisse paart sich die Kausalität mit dem Hang zur Teleologie und mit dem Glauben an Wunder. In ihrer wirtschaftlichen Betätigung lassen sie sich durch die strenge Naturkausalität leiten, in politischen Sachen verwechseln sie dieselbe oft mit der Zeitfolge. Ihre moralische Auffassung schwankt zwischen dem alltäglichsten Materialismus und einem überschwenglichen Idealismus. Es hängt immer von der Lage, der Stärke der Eindrücke, von den Assoziationsmöglichkeiten ab, welche Richtung die Oberhand gewinnt. Diese Gegensätzlichkeiten erklären, warum so schnell in der Stimmung der Massen ein der Revolution abholder Rückschlagt eingetreten ist. Den Zusammenbruch der Staatsmacht werteten sie realistisch, nach ihren eigenen Anschauungen und Begriffen, und waren anfangs überzeugt, daß dieser Erscheinung auch eine grundlegende Umwälzung der Verhältnisse, der Heranbruch der neuen Gesellschaftsordnung zugrunde liegt. Andererseits lebten sie in dem Glauben, daß der Wunsch der Massen, ihr Wille zur Herbeiführung neuer Zustände vollkommen genügt. Es ist eine der wenigen richtigen Feststellungen in LE BONs Tendenzwerk "Die Psychologie der Massen", daß das Christentum bezüglich seines Glücksideals einen großen Vorteil dem Sozialismus gegenüber hat. Das christliche Glücksideal kann nu in einem zukünftigen Leben verwirklicht werden, es ist daher praktisch unkontrollierbar, das sozialistische soll hingegen schon auf Erden in Erfüllung gehen, es ist daher die Möglichkeit der Enttäuschung sofort nach der Erlangung der Macht gegeben. Nach der Revolution erwartete die Masse Wunder. Die waren nicht zu machen. Vergebens wehrten sich die Führer der Revolution, nicht Zeichen verlangt ihr, es ist der Glaube, der Euch not tut. Es nützte nichts, denn das Machtgefühl ist der stärkste Trieb zur Wundersucht. Vergebens verteidigten sie sich, wie einst der heilige AUGUSTINUS, der den Anhängern des alten Glaubens, die das Christentum bezichtigten, daß es auch nicht die versprochenen Wunder machen kann und das römische Reich unaufhaltbar zerfällt, antwortete: Eure Götter haben seit langen Jahrhunderten geherrscht und sieh, sie können den Zerfall nicht verhindern, vielmehr schauen sie ihn ruhig mit an. - Und so zerfloß die Hoffnung der Massen, sie zogen die Parallele, verglichen das Elend und die Zerrüttung in der Revolution mit der Ordnung und dem Wohlstand vor dem Krieg und kamen zu dem Schluß, die Revolution ist die Ursache all dieses Elends post hoc ergo propter hoc [danach also deswegen - wp]. Sie waren anfänglich fest überzeugt, daß die Änderung der Machtverhältnisse eine vorteilhafte Änderung im Wirtschaftsleben mit sich bringen würde. Die Lage verschlechterte sich aber noch, daher griffen sie auf die altgewohnten Ideen und Abstraktionen zurück, von diesen und von den Faktoren, welche sie in ihren Augen vertreten haben, erwarteten sie wieder ihr Heil. In moralischer Beziehung huldigt die Masse zuerst dem äußersten Materialismus. Als dann die Ernüchterung kam, haben die alten Ideologien wieder die Herrschaft über sie ergriffen. Die herrschenden Klassen stellten für die Masse immer hohe moralische Ideals als Maßstab auf. Sie selbst konnten diese Ideale straflos verletzen, weil die Überlieferung, ihr Prestige, der Gottes- und Unsterblichkeitsglaube sie schützte. Die Revolution genoß diesen Schutz nicht und wurde gänzlich bloßgestellt. Die Masse, welche die Korruption der Herrenklasse meistens verzeiht oder als notwendige und natürliche Folge der bestehenden Weltordnung hinnimmt, beurteilt die eigenen Klassengenossen unerbittlich streng. Es waltet hier eine intuitive Einsicht, daß diejenigen, welche eine vollkommenere Gesellschaftsordnung einführen wollen, sich auch in moralischer Hinsicht von den früheren Machthabern unterscheiden müssen. Die alten Gegensätze der Gesellschaft lebten wieder auf, die alten Schlagworte wurden wieder wirksam und wendeten ihre Spitze gegen die Revolution. Zuerst erwachte mit erneuerten Kräften der Nationalismus. Überall mußten sich die revolutionären Regierungen den schweren und demütigenden Bedingungen der Entente fügen, was in den national gesinnten Schichten Empörung und Unwillen, in erster Linie gegen die Regierungen, hervorrief. Die Agitation dieser Kreise richtete sich darauf, im Bewußtsein der Massen die Kausalität mit der Zeitfolge zu vertauschen, nicht die den Krieg gewollt und verloren haben, sondern diejenigen, welche diesen harten Frieden schließen mußten, sind für die Demütigung und das Elend des Vaterlandes verantwortlich. Die Kirche gewann größtenteils wieder ihre Macht über die Seelen. Das Volk, das von der roten Magie keine Wunder zu sehen bekam, flutete bußfertig zur schwarzen zurück. Klerikale und antisemitische Agitation verbanden sich. Das starke Hervortreten des Judentums in der Revolution und besonders im Kommunismus war eine willkommene Basis für das Einsetzen der reaktionären Propaganda. Die antisemitische Agitation treibt die Gedanken auf die am meisten ausgeschliffenen Nervenbahnen mit ausnehmend rascher Assoziationsmöglichkeit. Man kann wirklich den Spruch von VOLTAIRE transformieren: Wenn die Juden nicht existierten, die Reaktion müßte sie erfinden, ihre Existenz ist das beste Sicherheitsventil für die Klassenherrschaft gegen Revolution und Reform. Nicht minder groß war die Enttäuschung in den Kreisen der Intellektuellen, welche die Revolution mit großer Begeisterung begrüßt haben. Der Machtrausch der Soldaten und manuellen Arbeiter wendete sich nicht nur gegen die alte Staatsmacht und ihre geistigen Helfershelfer, die Politik der schwieligen Arbeiterfaust wurde der gesamten Intelligenz gegenüber schonungslos geltend gemacht. Dazu trug sehr viel die Taktik zahlreicher intellektueller Extremisten bei, welche, um sich unter den manuellen Arbeitern Gefolgschaft zu verschaffen, die wüsteste Hetze gegen die geistigen Arbeiter einleiteten. Andererseits darf nicht vergessen werden, daß ein sehr großer Teil der Intellektuellen sein möglichstes getan hat, um die Revolution zu kompromittieren und um ihre Erfolge zu bringen. Am heftigsten lebte der alte Gegensatz zwischen Stadt und Land auf. An der Revolution nahmen die Bauernsoldaten teil, um schneller nach Hause kommen zu können. In Bayern traten Bauernvertreter auch in die Regierung ein, in Ungarn unterstützten sie die Oktoberregierung, von der sie die Durchführung der Bodenreform erwarteten. Nachdem es sich herausstellte, daß die Aufrichtung der Industrie, von der sie Bedarfsartikel verlangten, in kurzer Zeit nicht möglich ar und jede Regierung zur Sicherung der Ernährung der städtischen Bevölkerung Requisitionen und anderen Zwangsmaßnahmen vornehmen mußte, schlossen sie sich wieder der Reaktion an. Im Gegensatz zu den großstädtischen Industriearbeitern, welche in den Kampfjahren der sozialistischen Bewegung für weitgesteckte Ziele Opfer zu bringen bereit waren, sind die Bauern die typischen Vertreter des primitiven Materialismus. Infolge ihrer naturwissenschaftlichen Unwissenheit, eben durch diesen ihren Materialismus (Beeinflussung des Wetters, der Fechsungserträge [Ernteerträge - wp], Verhütung von Tierkrankheiten usw.), waren sie stets enger mit der Kirche verknüpft, die jetzt sie gegen die Revolution hetzte. Durch diese Haltung des Bauerntums wurde die Revolution, deren Trägerin die städtische Arbeiterschaft war, welche aus dem Ausland keine Lebensmittel zu beziehen vermochte, schon im Voraus zum Scheitern verurteilt. Wir wollen noch eine Bemerkung dem Umstand widmen, auf welchen Grund jener bittere Haß zurückzuführen ist, der sich gegen die Kommunisten selbst in den unteren Volksklassen einnistete.
Die alte Gesellschaftsordnung könnte in einem physikalischen Sinn als Kraftmaschine bezeichnet werden, die mit einem geringen Kraftaufwand bedeutende Widerstände zu überwinden imstande war, da sie sich bei der Kraftübertragung auf die Massen der ideologischen Einflüsse des Patriotismus, der Religion und der spontanen Unterwerfung der Bevölkerung bedienen konnte. Allerdings war die Entwicklung der Gesellschaft, wie es dem Prinzip einer Kraftmaschine entspricht, eine langsame, schrittweise. Die Kommunisten haben diese Kraftmaschine in eine Geschwindigkeitsmaschine umgewandelt. Sie wollten die Herbeiführung einer neuen Gesellschaftsordnung, zu deren Entwicklung bisher Jahrzehnte, sogar Jahrhunderte notwendig waren, mit der größten Geschwindigkeit, innerhalb weniger Monate bewerkstelligen. Da ihnen die Mithilfe der obengenannten ideologischen Einflüsse fehlten, mußten sie ihre Pläne durch eine Anwendung der äußersten Machtmittel zu verwirklichen suchen. So kam allmählich der Rückschlag.
Bei den übrigen Volksschichten vollbrachten Revolutionsmüdigkeit und Fatalismus den Rest. Im Jahr 1918 siegte überall die Revolution, nach einem Jahr sehnte sich ein großer Teil des Volkes wieder nach den alten Führern, die es vor einem Jahr in Empörung und Ingrimm davongejagt hatte. Es stellte sich eine riesenhafte Amnäsie [Gedächtnisverlust - wp] ein, die größte Gedächtnisstörung, welche die Geschichte der Menschheit aufzeigen kann. Millionen und Abermillionen vergaßen, daß für dieses Elend all die Verantwortung die alten Machthaber trifft und wenden sich haßerfüllt gegen diejenigen, die zwar mit untauglichen Mitteln und in arger Verkennung der Lage, aber doch eine neue Gesellschaft aufrichten wollten, welche sich zum Ziel gesetzt hat, den Millionen ein menschlicheres, glücklicheres Leben zu verschaffen. Es hat wirklich den Anschein, als ob die früheren Machthaber das alles absichtlich und planmäßig getan hätten, um die fürchterliche Verantwortung für den Krieg von sich abzuwälzen und die Revolution zu kompromittieren. Und MARX behält auch hier mit seiner Feststellung Recht: "Die proletarischen Revolutionen scheinen ihren Gegner nur niederzuwerfen, damit er neue Kräfte aus der Erde saugt und sich riesenhafter ihnen gegenüber wieder aufrichtet." NAPOLEON leitete die Konsularverfassung mit der Proklamation ein: "Die Revolution ist zu den Grundsätzen zurückgekehrt, von denen sie ausging, sie ist zu Ende." Die mitteleuropäische Revolution ist nicht zu Ende, sie hat nur ihren ersten Kreislauf vollendet, sie ist zu ihren Anfängen zurückgekehrt.
Der Berliner Putsch Die entscheidende Bedeutung dieses Vorfalls liegt nicht in seinen politischen Konsequenzen, sondern in seinen psychologischen Einwirkungen. Seit dem Zusammenbruch hat kein Ereignis dem Proletariat die Gefährdung der revolutionären Errungenschaften handgreiflicher vor Augen geführt und die Wiederherstellung der alten Zustände mehr in den Bereich der Möglichkeit gerückt. Was in der ersten Periode der Revolution geschah, diente immer zur Stärkung der Machtsicherheit und des Machtgefühls der Massen, durch den Putsch war die ganze bisher errungene Macht gefährdet. Der Eindruck dieses Ereignisses war so überwältigend, so abweichend von den Eindrücken der ersten Revolutionsmonate, daß er unbedingt neue Gedankengänge und eine neue Ideologie hervorrufen mußte. Dieser Eindruck konnte nicht in den Bann der gewöhnten Assoziationsvorgänge gelangen, die Assimilation blieb aus, eine gewaltige Hemmung trat ein und die bewußte Apperzeption griff Platz. Die Überhandnahme der revolutionären Machtideologie war bisher möglich, weil selbst die Niederlage der extremen Bestrebungen nicht die Zertrümmerung der ganzen Arbeiterbewegung bedeutete. Die Mehrheitssozialisten - geschwächt und der Reaktion verschrieben - blieben dennoch an der Macht und das Proletariat hätte sich allmählich erholen können. Dieses Sicherheitsmoment waltete immer im Unterbewußtsein der Linksradikalen vor. Diesmal gab es keinen Zweifel. Die Besetzung Berlins konnte nur auf eine Weise gedeutet werden; wäre der Streich gelungen, dann wäre die vollständige Herstellung des Militarismus die Folge gewesen. Der Eindruck dieses Schlages war so gewaltig, daß er sofort die entsprechende Mentalität hervorrufen mußte. Die Mehrheitssozialisten und die Gewerkschaftsbürokratie machten einen entscheidenden Schritt nach links, die Unabhängigen und ein erheblicher Teil der Kommunisten nach rechts. Machtfanatismus einerseits, gewohnheitsmäßiger Machtopportunismus andererseits gaben der Überzeugung und der revolutionären Disziplin Platz. Das Zusammenwirken des ganzen Proletariats - einige Tage vorher noch eine Utopie - wurde unter dem Einfluß der äußeren Verhältnisse zur Wirklichkeit. Der Erfolg war dieser gewaltigen Wendung entsprechend, der Putsch brach zusammen. Und jetzt hatte die proletarische Disziplin eine zweite, vielleicht noch entscheidendere Feuerprobe zu bestehen. Nach den Erfahrungen der Revolution war es zu befürchten, daß nach dem ersten Erfolg ein großer Teil der Massen im Besitz der Macht wieder dem Machtdünkel verfällt und die günstige Gelegenheit zur Aufrichtung der Räteherrschaft benützen wird. Daß diese Befürchtung nicht grundlos war, beweisen gewisse Ereignisse im Ruhrgebiet und im Vogtland zur Genüge. Die Majorität der Arbeiterschaft aber, befreit von den mechanischen Machtassoziationen, verließ nicht den Weg der verständigen Überlegung und unter dem Eindruck der militaristischen Gefahr erkannte sie klar, daß jeder dieser Versuche nur die Reaktion stärken würde. Was war der wirkliche Sinn dieser psychologischen Umwälzung? Absage an die Kriegsideologie und Kriegskonjunktur, Rückkehr zum Marxismus. Zum erstenmal seit der Errichtung der Republik hat die Gesamtheit der deutschen Arbeiterschaft nach wirklich sozialistischen Grundsätzen gehandelt, zum erstenmal folgte sie MARXens Worten und machte "das revolutionäre Interesse in einer den veränderten Verhältnissen entsprechenden Weise geltend." Das Verhalten der Putschisten zeigt dieselben psychischen Elemente, die wir bei der Analyse der Beweggründe der linksradikalen Extremisten aufgezeigt haben, mögen sie sich bezüglich ihrer Weltanschauung, ihres theoretischen Weltbildes und ihrer Moral noch so unterscheiden. Machtdünkel, Neubelebung der Kriegsideologie, Verschmähung der Tatsachen, arges Verkennen der bestehenden Stärkeverhältnisse, der außenpolitischen und wirtschaftlichen Lage - alles uns bereits vertraute Bekannte. Für uns ist die bizarre Entdeckung keine Überraschung, daß zwischen dem Militär und den Nationalkommunisten LAUFFENBERGscher Richtung Annäherungsversuche stattfanden. Scheinbar stehen sie auf entgegengesetzten Polen, dennoch ist ihre Mentalität in höchstem Maße angrenzend. Die Revolution ist nicht zu ende. "Was in diesen Niederlagen erlag, war nicht die Revolution." (MARX) Ihre Fortsetzung ist aber nur dann möglich, wenn die neue, der Lage angepaßte Mentalität sich der industriellen Arbeiterschaft ständig bemächtigt. Die Festigung der Revolution, der Aufbau der Wirtschaft erfordern Disziplin und Opferfreudigkeit, daher werden und müssen sich beide durchsetzen. Die Enttäuschung, der bisherige Fehlschlag vertrieb den Machtrausch und dämpfte die Überwucherung der Machtideologie. Der Vorstoß der Reaktion brachte die Seelen aus den Wolken utopistischer Luftschlösser auf den Erdboden zurück. Die sozialistischen Parteien stellen sowohl in Deutschland wie auch in Österreich, trotz der zeitweiligen Niederlage und des Rückgangs, noch immer die größte organisierte Macht dar und selbst in Ungarn kann sie trotz der furchtbarsten Verfolgungen nicht vernichtet werden. Ohne Übertreibung können wir behaupten, daß die Arbeiterschaft, wenn sie einheitlich bleibt und Disziplin bewahrt, all jene Forderungen des Proletariats durchsetzen kann, welche mit Rücksicht auf die wirtschaftliche und außenpolitische Lage derzeit zu verwirklichen sind. Abkehr von der Revolutionskonjunkturpolitik, Rückkehr zur intensiven Revolutionsarbeit, zum Marxismus, Sublimierung und Disziplinierung des Machtgefühls allein können die Menschheit auf den Weg einer sozialistischen Gesellschaftsordnung führen. |