ra-2Martina G. KramersGertrud BäumerJudith Butler    
 
JOHN STUART MILL
Über Frauenemanzipation (1)

"Bis vor ganz kurzer Zeit war die Herrschaft der physischen Kraft das allgemeine Gesetz der Menschheit. Durch die ganze historische Zeit haben die Nationen, Rassen oder Klassen, welche durch Muskelkraft, durch Reichtum oder durch militärische Schulung die stärksten waren, die übrigen unterworfen und in Untertänigkeit erhalten. Wenn bei den fortschrittlichsten Völkern das Gesetz des Schwertes schließlich als unwürdig verworfen wurde, so ist dies nur die Frucht des vielverleumdeten 18. Jahrhunderts. Die Eroberungskriege haben erst aufgehört, seitdem die demokratischen Revolutionen begonnen haben. Die Welt ist noch sehr jung und hat eben erst angefangn, sich von der Ungerechtigkeit frei zu machen."

"Der Mann fällt gewöhnlich, nachdem er geheiratet hat, dem Konservatismus anheim; er fängt an, für die Machthaber mehr Sympathie zu empfinden als für ihre Opfer und hält es für seine Aufgabe, sich auf die Seite der Autorität zu stellen. Was geistigen Fortschritt betrifft, so ist es damit, von jenen vulgären Fertigkeiten, welche der Eitelkeit oder dem Ehrgeiz dienen, abgesehen, in der Regel beim Mann zu Ende, der ein geistig unter ihm stehendes Weib heiratet, ausgenommen allerdings, wenn er in der Ehe unglücklich oder gegen sein Weib gleichgültig wird."

Die meisten unserer Leser dürfen aus diesen Blättern zum ersten Mal erfahren, daß in den Vereinigten Staaten, und zwar in ihren zivilisiertesten und aufgeklärtesten Teilen, eine planmäßige Agitation in Betreff einer neuen Frage entstanden ist, - einer Frage, welche zwar für Denker nicht neu ist und für alle Jene, welche die Grundsätze freier und volkstümlicher Staatseinrichtungen nicht bloß anerkannt, sondern in sich aufgenommen haben, welche aber neu und selbst unerhört ist als Gegenstand öffentlicher Versammlungen und praktischer poliltischer Tätigkeit. Diese Frage ist die Emanzipation der Frauen, ihre gesetzliche und tatsächliche Gleichstellung in allen politischen, bürgerlichen und sozialen Rechten mit den männlichen Mitgliedern des Gemeinwesens.

Es wird die Überraschung, mit welcher Viele diese Nachricht vernehmen werden, noch erhöhen, wenn wir hinzufügen, daß männliche Schriftsteller und Redner für die Frauen eintreten, während jene, zu deren Gunsten die Agitation stattfindet, ihr mit Gleichgültigkeit oder unverhohlener Feindseligkeit begegnen. Es ist vielmehr eine politische Bewegung, die praktische Ziele anstrebt und in einer Weise geführt wird, welche die Absicht auszuharren erkennen läßt; und es ist nicht nur eine Bewegung  für  sondern auch  von  Frauen. Ihre erste öffentliche Betätigung scheint eine Frauenversammlung gewesen zu sein, die im Staat Ohio im Frühling 1850 stattfand. Es ist uns kein Bericht über diese Zusammenkunft zu Gesicht gekommen. Am 23. und 24. Oktober des letzten Jahres wurde eine Reihe von öffentlichen Versammlungen zu Worcester in Massachusetts abgehalten unter dem Namen von "Versammlungen für die Rechte der Frauen", deren Leiter gleichwie beinahe alle bedeutenden Redner Frauen waren. Doch hatten sich auch Männer in großer Zahl ihnen angeschlossen, darunter einige der hervorragendsten Führer in der verwandten Sache der Negeremanzipation. Es wurden dort ein allgemeines und vier spezielle Comitees eingesetzt, um die Angelegenheit bis zur nächsten Jahresversammlung fortzuführen.

Nach dem Bericht der  New York Tribune  waren über tausend Personen die ganze Zeit hindurch zugegen, und "wenn ein größerer Raum zur Verfügung gestanden wäre, hätten noch viele Tausende der Versammlung beigewohnt". Der Raum war "von Anfang an überfüllt von aufmerksamen und teilnehmenden Zuhörern". Was die Qualität des Gesprochenen betrifft, so haben die Vorgänge in dieser Versammlung den Vergleich mit keiner anderen uns bekannten Volksbewegung zu scheuen, die in England oder Amerika stattgefunden hat. Nur sehr selten ist der Anteil, welchen Phrase und Schönrednerei an den Kundgebungen in öffentlichen Versammlungen haben, so gering, der Anteil der ruhigen Einsicht und Vernunft so beträchtlich ausgefallen. Der Erfolg der Versammlung war in jeder Hinsicht ermutigend für die, welche sie einberufen hatten, und dieselbe ist wahrscheinlich bestimmt, eine der folgenreichsten unter den politischen und sozialen Reformenbewegungen einzuleiten, welche das verheißungsvollste Merkmal unserer Zeit sind.

Daß die Urheber dieser neuen Bewegung sich auf den Boden von Prinzipien stellen und sich nicht scheuen, dieselben in ihrem weitesten Umfang ohne Achselträgerei [Doppelzüngigkeit - wp] oder Kompromißsucht zu bekennen, geht aus den Resolutionen hervor, welche die Versammlung angenommen hat und welche wir zum Teil hier folgen lassen. Sie lauten dahin:
    "Daß jedes menschliche Wesen im reifen Alter und seit einer entsprechenden Zahl von Jahren im Land ansässig, welches den Gesetzen zu gehorchen verpflichtet ist, auch auf eine Stimme bei deren Erlaß ein Recht hat; daß jede solche Person, deren Eigentum oder deren Arbeit besteuert wird zum Zweck der Erhaltung der Regierung, auch auf einen direkten Anteil an derselben Anspruch hat; daß mithin die Frauen Anspruch haben auf das Stimmrecht und auf die Wählbarkeit zu Ämtern . . . und daß jede Partei, welche sich rühmt, die Humanität, die Zivilisation und den Fortschritt des Zeitalters zu vertreten, verpflichtet ist, Gleichheit vor dem Gesetz ohne Unterschied des Geschlechts oder der Farbe auf ihre Fahnen zu schreiben; ferner daß bürgerliche und politische Rechte keinen Geschlechtsunterschied kennen, und daß daher das Wort "männlich" aus allen Verfassungsurkundenn zu tilgen ist. Desgleichen: da die Aussicht auf ehrenvolle und nützliche Verwendung im späteren Leben der beste Ansporn ist sich die Vorteile der Erziehung anzueignen, und da die beste Erziehung diejenige ist, welche wir uns in den Kämpfen, Beschäftigungen und in der Schule des Lebens selbst geben: ist es unmöglich, daß Frauen aus dem ihnen schon jetzt gewährten Unterricht den vollen Nutzen ziehen, oder daß ihre Laufbahn ihren Fähigkeiten vollauf entspricht, solange ihnen nicht die Wege zu den mannigfaltigen bürgerlichen und berufsmäßigen Stellungen geöffnet sind. Daraus ergibt sich: daß jeder Versuch, die Frauen heranzubilden, ohne ihnen ihre Rechte zuzugestehen und ohne durch das Gewicht ihrer Verantwortlichkeit ihr Pflichtbewußtsein zu wecken, vergeblich ist und eine Vergeudung von Arbeit bedeutet. Weiter: daß die Gesetze des ehelichen Güterrechts einer gründliche Umgestaltung bedürfen, damit volle Rechtsgleichheit zwischen den Ehegatten besteht; daß das Weib während des Lebens gleiches Verfügungsrecht über das durch gemeinsame Anstrengung und Opfer erworbene Eigentum besitzen und ihren Mann in genau demselben Maße wie er sie beerben soll, und daß sie berechtigt sein soll, bei ihrem Tod über einen ebenso großen Teil des gemeinsamen Vermögens letztwillig zu verfügen wie er."
Folgendes ist eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Forderungen:
    1.  Erziehung  in elementaren und hohen Schulen, Universitäten, medizinischen, rechtswissenschaftlichen und theologischen Anstalten.

    2.  Teilnahme  an den Arbeiten und am Ertrag, an den Gefahren und Belohnungen der produktiven Erwerbstätigkeit.

    3. Ein  gleicher Anteil  an der Feststellung und Handhabung von Gesetzen - der Gemeinde, des Einzelstaates und der Nation - in gesetzgebenden Versammlungen, Gerichtshöfen und Exekutivbehörden.
Es würde schwer fallen, so viel Vernunft, Wahrheit und Gerechtigkeit in eine so wenig bestechende Form zu kleiden als bei einigen dieser Resolutionen der Fall ist. Allein was man auch gegen einzelne Ausdrücke einwenden mag, nichts läßt sich nach unserer Ansicht gegen die Forderungen selbst einwenden. Als eine Frage der Gerechtigkeit scheint uns die Sache klar, um einer Erörterung zu bedürfen; als eine Frage der Nützlichkeit wird sie sich desto stärker erweisen, je gründlicher sie untersucht wird.

Daß die Frauen vom Standpunkt des persönlichen Rechts einen ebenso guten Anspruch auf das Stimmrecht oder auf einen Platz auf der Geschworenenbank haben wie die Männer, wird kaum jemand zu leugnen vermögen. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika können dies sicherlich als eine Nation oder Staatsgemeinschaft nicht bestreiten. Denn ihre demokratischen Institutionen beruhen eingestandenermaßen auf dem jeder Person eigentümlichen Anrecht auf eine Stimme in der Regierung. Ihre Unabhängigkeitserklärung, welche von Männern abgefaßt wurde, die noch jetzt ihre großen Autoritäten in Fragen des Verfassungsrechts sind - jenes Schriftstück, welches von Anfang an die anerkannte Grundlage ihres öffentlichen Lebens war und immer noch ist, beginnt mit folgender ausdrücklichen Feststellung:
    "Wir halten diese Wahrheiten für von selbst einleuchtend: daß alle Menschen (all men) gleich geschaffen worden sind; daß sie ihr Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet hat, daß zu diesen Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit gehören; daß, um diese Rechte zu schützen, Regierungen unter den Menschen eingesetzt worden sind, deren rechtmäßige Gewalt auf der Zustimmung der Regierten beruth."
Wir glauben nicht, daß ein amerikanischer Demokrat die Tragweite dieser Worte durch die der Unredlichkeit oder Unwissenheit entspringende Ausflucht wird abschwächen wollen, daß "men" in diesem denkwürdigen Schriftstück nicht "menschliche Wesen", sondern bloß das eine Geschlecht bezeichnet, daß "Freiheit, Leben und das Streben nach Glückseligkeit" nur der einen Hälfte der menschlichen Gattung als unveräußerliche Rechte zukommen, und daß die Regierten, deren Einwilligung für die einzige Quelle rechtmäßiger Gewalt erklärt wird, nur jene Hälfte der Menschheit bedeuten, welche bisher in ihren Beziehungen zur anderen die Rollen der herrschenden gespielt hat. Der Widerspruch zwischen Prinzip und Praxis läßt sich nicht wegdeuteln. Eine gleiche Untreue gegen die obersten Grundsätze ihres politischen Glaubensbekenntnisses haben sich die Amerikaner in dem offenkundigen Fall der Negersklaverei zu Schulden kommen lassen, und sie lernen jetzt endlich einsehen, wie schmachvoll dieser Abfall war. Nach einem Kampf, welcher in mancher Hinsicht den Namen eines heldenmütigen verdient, sind nunmehr die Abolitionisten so stark an Zahl und Einfluß geworden, daß sie gegenwärtig unter den Parteien in den Vereinigten Staaten den Ausschlag geben. Und es ziemte sich, daß die Männer, deren Name mit der Vertilgung der Aristokratie der Farbe vom demokratischen Boden Amerikas verknüpft bleiben wird, zu den Urhebern der ersten allgemeinen Auflehnung - in Amerika und der übrigen Welt - gegen die Aristokratie des Geschlechts gehören sollten, welcher Unterschied ebenso zufällig als der der Farbe, und genauso gleichgültig für alle Fragen des Staatslebens ist.

Nicht nur an die Demokratie Amerikas wendet sich der Ruf der Frauen nach bürgerlicher und politischer Gleichheit mit unwiderstehlicher Gewalt, sondern auch an jene Radikalen und Chartisten auf den britischen Inseln und an jene Demokraten des Kontinents, welche das sogenannte allgemeine Stimmrecht als ein angeborenes Recht, das ihnen in widerrechtlicher und tyrannischer Weise vorenthalten wird, beanspruchen. Denn in welchem vernünftigen Sinn kann man ein Stimmrecht allgemein nennen, von dem die Hälfte der menschlichen Gattung ausgeschlossen bleibt? Erklären, daß eine Stimme an der Regierung das Recht Aller ist, und sie nur für einen Teil verlangen - nämlich für den Teil, zu dem der Fordernde selbst gehört - das heißt doch, selbst auf den Schein des Prinzips verzichten. Der Chartist, welcher den Frauen das Stimmrecht abspricht, ist nur darum Chartist, weil er kein Lord ist; er ist einer von jenen Nivellierern, welche nur bis zu sich selbst herab nivellieren möchten.

Selbst diejenigen, welche eine Stimme in der Regierung nicht als ein persönliches Recht ansehen, und die sich nicht zu Grundsätzen bekennen, welche die Ausdehnung des Stimmrechts auf Alle fordern, halten gewöhnlich an althergebrachten Maximen der politischen Gerechtigkeit fest, mit denen die Ausschließung aller Frauen von den gewöhnlichen Bürgerrechten unvereinbar ist. Es ist ein Axiom der englischen Freiheit, daß die Besteuerung und die politische Vertretung Hand in Hand gehen sollen. Doch gibt es selbst unter der Herrschaft der Gesetze, die das Eigentum des Weibes dem Mann zusprechen, viele unverheiratete Frauen, welche Steuern zahlen. Es ist eine der fundamentalsten Vorschriften der britischen Verfassung, daß alle Personen von ihresgleichen gerichtet werden sollen. Doch werden Frauen jedesmal von männlichen Richtern und einer männlichen Jury gerichtet. Fremden gesteht das Gesetz das Vorrecht zu, zu verlangen, daß die Jury zur Hälfte von Fremden gebildet wird; nicht so den Frauen. Allein wir sehen von solchen speziellen Forderungen ab, die mehr auf gewisse Orte oder Nationen beschränkte als allgemeine Ideen darstellen. Es ist ein anerkanntes Gebot der Gerechtigkeit, ohne Notwendigkeit keine verletzende Unterscheidung zu machen. In allen Dingen sollte die Voraussetzung zugunsten der Gleichheit sein. Es muß erst ein Grund dafür angegeben werden, warum ein Ding  einer  Person erlaubt und der anderen untersagt sein soll. Aber wenn sich der Ausschluß auf fast alles erstreckt, was diejenigen, die nicht von ihm betroffen sind, am höchsten schätzen und dessen Entzug sie als die größte Beleidigung empfinden, wenn nicht nur die politische Freiheit, sondern auch die persönliche Freiheit des Handelns das Vorrecht einer Kaste ist, wenn selbst in der Erwerbstätigkeit fast alle Beschäftigungen, welche die höheren Fähigkeiten auf irgendeinem wichtigen Gebiet in Anspruch nehmen, welche zu Auszeichnung, Reichtum oder auch nur zu materieller Unabhängigkeit führen, als das ausschließliche Eigentum der herrschenden Klasse allseitig umfriedet gehalten werden, während der abhängigen Klasse beinahe keine anderen Türen offen bleiben als solche, denen alle, welche anderswo eintreten können, verächtlich den Rücken kehren; dann sind die armseligen Zweckmäßigkeitsgründe, welche als Entschuldigung für eine so ungeheuerlich parteiische Verteilung vorgebracht werden, selbst wenn sie nicht völlig unhaltbar wären, nicht imstande, ihre den Charakter einer schreienden Ungerechtigkeit zu nehmen. Indessen sind wir der festen Überzeugung, daß die Teilung der Menschheit in zwei Kasten, die eine durch die Geburt dazu bestimmt die andere zu beherrschen, in diesem Fall wie in jedem anderen nichts weniger als zweckdienlich, sondern ganz und gar von Übel ist, - eine Quelle der Verderbnis und sittlichen Entartung sowohl für die begünstigte Klasse als für die, auf deren Kosten sie bevorzugt ist; daß sie nichts von dem Guten hervorbringt, das man ihr gewöhnlich zuschreibt; und daß sie - solange sie besteht - ein fast unüberwindliches Hindernis jeder wirklich eingreifenden Verbesserung, sei es in den Charaktereigenschaften, sei es in den sozialen Zuständen des Menschengeschlechts, bildet.

Es ist nun unsere Absicht diese Behauptungen zu erweisen; aber ehe wir damit beginnen, möchten wir uns bemühen, die vorläufigen Einwendungen zu zerstreuen, welche bei Personen, denen dieser Gegenstand neu ist, eine ernstliche und gewissenhafte Prüfung desselben zu behindern pflegen. Das vornehmste dieser Hindernisse ist die ungeheure Macht der Gewohnheit. Die Frauen haben niemals gleiche Rechte wie die Männer besessen. Ihre Ansprüche auf die gemeinsamen Menschenrechte gelten für beseitigt durch den allgemeinen Brauch. Zwar hat dieses stärkste aller Vorurteile, das Vorurteil gegen das Neue und Unbekannte, in einem Zeitalter der Neuerungen wie das unsrige viel von seiner Stärke verloren; wäre dem nicht so, so bliebe wenig Hoffnung, etwas gegen dasselbe auszurichten. In drei Viertel der bewohnbaren Welt macht die Antwort: es ist immer so gewesen, noch heute jeder Erörterung ein Ende. Aber es ist der Stolz der modernen Europäer und ihrer amerikanischen Vettern, daß sie viele Dinge kenen und tun, welche ihre Vorfahren weder kannten noch taten; und unser Zeitalter ist vielleicht in keinem anderen Punkt früheren Epochen so unzweifelhaft überlegen wie darin, daß die Gewohnheit nicht mehr dieselbe tyrannische Herrschaft über Meinungen und Handlungsweisen ausübt wie vordem, und daß die Verehrung des Althergebrachten ein in Abnahme begriffener Kultus ist. Ein ungewohnter Gedanke über einen Gegenstand, der die wichtigeren Interessen des Lebens berührt, wirkt bei seinem ersten Auftreten noch immer befremdend und beunruhigend; wenn es jedoch gelingt ihn so lnage lebendig zu erhalten, bis der Eindruck des Fremdartigen schwindet, findet er Gehör und eine so vernunftgemäße Würdigung, wie der Geist des Zuhörers irgendeinem anderen Gegenstand zu widmen gewohnt ist.

Im vorliegenden Fall steht das Vorurteil der Gewohnheit ohne Zweifel auf der Seite des Unrechts. Zwar haben, außer einigen der hervorragendsten Männer der Gegenwart, zu allen Zeiten große Denker, von PLATO bis auf CONDORCET, in der nachdrücklichsten Weise zugunsten der Gleichheit der Frauen ihre Stimme erhoben, und es hat freiwillige Vereinigungen, geistliche wie weltliche, unter denen die Gemeinschaft der Quäker die bekannteste ist, gegeben, welche diesen Grundsatz anerkannten. Aber es hat keine politische Gemeinschaft oder Nation gegeben, in der sich nicht die Frauen durch Gesetz und Sitte in einer politisch wie bürgerlich untergeordneten Stellung befunden hätten. In der alten Welt wurde dieselbe Tatsache mit demselben Recht zugunsten der Sklaverei angeführt. Sie hätte im ganzen Mittelalter zugunsten jener gemilderten Form von Sklaverei, welche Hörigkeit hieß, angeführt werden können. Sie wurde gegen die Gewerbefreiheit, gegen die Gewissensfreiheit, gegen die Pressefreiheit angerufen; keine von diesen Freiheiten wurde mit einem wohlgeordneten Staatswesen für verträglich gehalten, bis ihr wirkliches Vorhandensein ihre Möglichkeit darlegte. Daß eine Einrichtung oder ein Brauch von Alters her besteht, ist kein Beweise für seine Güte, wenn ein anderer zureichender Grund für sein Dasein angegeben werden kann. Es ist gar nicht schwer zu verstehen, warum die Knechtschaft der Frauen ein Herkommen geworden ist; es bedarf dafür keines anderen Erklärungsgrundes als der physischen Stärke.

Daß diejenigen, welche physisch schwächer sind, sich auch im Zustand rechtlicher Inferiorität [Unterlegenheit - wp] befinden, entspricht ganz dem Geist, in dem die Welt regiert worden ist. Bis vor ganz kurzer Zeit war die Herrschaft der physischen Kraft das allgemeine Gesetz der Menschheit. Durch die ganze historische Zeit haben die Nationen, Rassen oder Klassen, welche durch Muskelkraft, durch Reichtum oder durch militärische Schulung die stärksten waren, die übrigen unterworfen und in Untertänigkeit erhalten. Wenn bei den fortschrittlichsten Völkern das Gesetz des Schwertes schließlich als unwürdig verworfen wurde, so ist dies nur die Frucht des vielverleumdeten 18. Jahrhunderts. Die Eroberungskriege haben erst aufgehört, seitdem die demokratischen Revolutionen begonnen haben. Die Welt ist noch sehr jung und hat eben erst angefangn, sich von der Ungerechtigkeit frei zu machen. Sie entledigt sich erst jetzt der Sklaverei der Neger, sie entledigt sich erst jetzt des Despotismus der Alleinherrscher, sie entledigt sich erst jetzt des erblichen Feudaladels, sie entledigt sich erst jetzt der Rechtsungleichheit aufgrund der Religionsverschiedenheit. Sie beginnt eben erst, irgendwelche  Männer  außer den Reichen und einen begünstigten Teil der Mittelklasse als Bürger zu behandeln. Dürfen wir uns wundern, daß sie für die Frauen noch nicht so viel getan hat? Wie die Gesellschaft bis auf die wenigen letzten Generationen bestellt war, war die Ungleichheit eigentlich ihre ganze Grundlage; irgendeine auf gleiche Rechte begründete Vereinigung bestand damals kaum; Gleichheit bedeuetete soviel wie Feindschaft; zwei Personen konnten kaum gemeinsam an irgendetwas arbeiten oder in irgendein freundliches Verhältnis zueinander treten, ohne daß das Gesetz den Einen zum Vorgesetzten des Anderen bestellte. Die Menschheit ist nun diesem Zustand entwachsen, und alles zielt dahin an die Stelle der Herrschaft des Stärksten eine gerechte Gleichheit als das allgemeine Prinzip der menschlichen Beziehungen zu setzen. Von allen Verhältnissen aber mußte das zwischen Männern und Frauen, da es das nächste und innigste und mit der größten Anzahl intensiver Gefühle verknüpft ist, notwendig das letzte sein, bei dem die alte Richtschnur außer Übung und die neue in Aufnahme kommt; denn im Verhältnis zur Stärke eines Gefühls steht die Hartnäckigkeit, womit es an den Formen und Umständen festhält, mit welchen es auch nur zufällig verkettet worden ist.

Wenn ein Vorurteil, das irgendwie mit dem Gefühlsleben verwachsen ist, sich in die unangenehme Notwendigkeit versetzt sieht, Gründe anzugeben, so glaubt es genug getan zu haben, wenn es in Redensarten, welche sich auf das vorhandene Gefühl berufen, eben den bestrittensten Punkt als Behauptung hinstellt. So glauben viele Personen, die Einschränkungen, welche der Tätigkeit der Frauen auferlegt sind, hinreichend gerechtfertigt zu haben, wenn sie sagen, daß die Beschäftigungen, von denen die Frauen ausgeschlossen werden,  unweibliche  sind, und daß der  angemessene Wirkungskreis  der Frauen nicht Politik oder die Öffentlichkeit, sondern das häusliche und Privatleben ist. Wir bestreiten es, daß irgendein Teil der Gattung oder ein Individuum das Recht hat, für einen anderen Teil oder für ein anderes Individuum zu entscheiden, was und was nicht sein angemessener Wirkungskreis ist. Der angemessene Wirkungskreis aller menschlichen Wesen ist der höchste und weiteste, zu dem sie sich erheben können. Welches dieser ist, kann ohne vollständige Freiheit der Wahl nicht entschieden werden. Die Redner bei der Versammlung in Amerika haben daher recht und weise gehandelt, als sie es ablehnten, auf die Frage nach den Frauen oder Männern besonders eigentümlichen Fähigkeiten und den Grenzen einzugehen, innerhalb welcher diese oder jene Beschäftigung für das eine oder das andere Geschlecht geeigneter erscheinen mag. Sie behaupten ganz richtig, daß diese Fragen nur durch die volle Freiheit beantwortet werden können. Stellt jedem jede Beschäftigung frei, ohne irgendwelche Gunst oder Ungunst, und die Berufsarten werden in die Hände jener Männer oder Frauen geraten, welche sich durch die Erfahrung am fähigsten erweisen, sie würdig auszuüben. Man braucht nicht zu fürchten, daß die Frauen den Männern irgendeine Beschäftigung entreißen werden, welche dieser Besser als jene betreiben. Jedes Individuum wird seine oder ihre Befähigung auf dem einzigen Weg erweisen auf dem sich Befähigung erweisen läßt, nämlich durch den Versuch, und die Welt wird aus den besten Fähigkeiten aller ihrer Bewohner einen Vorteil ziehen. Aber im voraus mit einer willkürlichen Beschränkung einzugreifen und zu erklären, daß, wie groß auch immer das Genie oder Talent, die Energie oder Geisteskraft eines Wesens aus einem gewissen Geschlecht oder Kreis sein mag, diese Gaben nicht gebraucht werden oder doch nur in einigen wenigen von den vielen Weisen gebraucht werden dürfen, welche anderen für ihre Fähigkeiten offen stehen, - das ist nicht nur eine Ungerechtigkeit gegen den Einzelnen und eine Schädigung der Gesellschaft, welche dadurch verliert was sie nur schwer entbehren kann, sondern es ist auch der sicherste Weg um in dem so niedergehaltenen Geschlecht oder Kreis die Eigenschaften zu ertöten, deren Gebrauch man nicht gestatten will.

Wir werden dem sehr löblichen Beispiel der Versammlung folgen, indem wir nicht in die Fragen nach den angeblichen Unterschieden in physischen oder geistigen Eigenschaften zwischen beiden Geschlechtern eingehen, nicht etwa weil wir darüber nichts, sondern weil wir zuviel zu sagen haben; diesen einen Punkt angemessen zu erörtern, würde all den Raum in Anspruch nehmen, den wir für den ganzen Gegenstand zur Verfügung haben (2). Aber wenn diejenigen, welche versichern, daß der angemessene Wirkungskreis der Frauen Häuslichkeit sei, damit sagen wollen, daß sie keine Fähigkeiten für irgendeinen anderen gezeigt haben, dann beweist diese Behauptung eine große Unkenntnis des Lebens und der Geschichte. Die Frauen haben Tauglichkeit für die höchsten Stellungen der Gesellschaft genau in dem Verhältnis bewiesen, als sie dazu zugelassen wurden. Durch eine seltsame Inkonsequenz werden sie, die nicht einmal zur niedrigsten Würde im Staat wählbar sind, in einigen Ländern zur höchsten, zur königlichen Würde zugelassen; und wenn es einen Beruf gibt, zu dem sie eine entschiedene Befähigung gezeigt haben, so ist es der der Herrscherin. Wir brauchen hier nicht auf die alte Geschichte zurückzugreifen; wir sehen uns vergebens nach tüchtigeren oder standhafteren Herrschern um als ELISABETH, ISABELLA von Kastilien, MARIA THERESIA, KATHARINA von Rußland, als BLANCHE, die Mutter von HEINRICH IV. Die Überlieferung kennt wenige Könige, welche mit schwierigeren Verhältnissen gerungen und sie so siegreich überwunden haben. Selbst im halbbarbarischen Asien haben Fürstinnen, welche sich nie den Männern außer denen ihrer eigenen Familie gezeigt und niemals mit ihnen außer hinter einem Vorhang verkehrt hatten, während der Minderjährigkeit ihrer Söhne viele der glänzendsten Beispiele einer starken und gerechten Regierung gegeben haben. Im Mittelalter, wo der Abstand zwischen den höheren und niederen Ständen größer war als selbst der zwischen Männern und Frauen, und wo die Frauen der bevorzugten Klasse, obwohl der Willkür der Männer derselben Klasse unterworfen, ihnen doch näher standen als irgendwer anderer, und sie oftmals während ihrer Abwesenheit in ihrer Tätigkeit und ihrer Autorität vertraten, haben viele heldenhafte Burgfrauen wie JEANNE von MONTFORT, oder die Gräfin DERBY selbst in so später Zeit, wie die von KARL I., sich nichtnur durch politische, sondern auch durch kriegerische Tüchtigkeit hervorgetan. In den Jahrhunderten unmittelbar vor und nach der Reformation standen Damen von königlichem Geblüt als Diplomatinnen, als Statthalterinnen von ganzen Provinzen oder als vertrauliche Ratgeberinnen von Fürsten nicht hinter den ersten Staatsmännern ihrer Zeit zurück, und der Vertrag von Cambray, welcher Europa den Frieden wiedergab, wurde in Konferenzen, denen kein Dritter beiwohnte, von der Tante des Kaisers KARL V. und der Mutter von FRANZ I. abgeschlossen.

Was also die Eignung der Frauen für das öffentliche Leben betrifft, so kann darüber keine Frage sein; aber der Streit wird sich wahrscheinlich mehr um die Eignung des öffentlichen Lebens für die Frauen drehen. Wenn man die Gründe, welche für den Ausschluß von Frauen vom tätigen Leben in all seinen wichtigeren Gebieten angeführt werden, ihres deklamatorischen Aufputzes entkleidet und sie auf den einfachen Ausdruck ihres Gedankens zurückführt, so scheinen ihrer hauptsächlich drei zu sein: für's erste die Unverträglichkeit des tätigen Lebens mit den Mutterpflichten und mit der Besorgung eines Haushaltes, zweitens dessen angeblich verhärtender Einfluß auf den Charakter, und drittens die Unzweckmäßigkeit einer Steigerung des ohnehin schon übermäßigen Drucks der Konkurrenz in jedem Zweig des Berufs- oder Erwerbslebens.

Das erste Argument, das der Mutterpflichten, wird gewöhnlich besonders betont, obwohl - es ist fast unnötig das zu sagen - dieser Grund, wenn er einer ist, sich nur auf Mütter beziehen kann. Es ist aber weder notwendig, noch gerecht, die Frauen in die Zwangslage zu versetzen, daß sie entweder Mütter oder gar nichts sein müssen, oder daß sie, wenn sie einmal Mütter gewesen sind, ihr ganzes übriges Leben nichts anderes sein dürfen. Weder für Frauen noch für Männer bedarf es eines Gesetzes, um sie von einer Beschäftigung auszuschließen, wenn sie sich einer anderen zugewendet haben, welche damit unvereinbar ist. Niemand schlägt vor, das männliche Geschlecht vom Parlament auszuschließen, weil ein Mann ein Soldat oder ein Matrose im aktiven Dienst sein kann, oder ein Kaufmann, dessen Geschäft all seine Zeit und Tatkraft in Anspruch nimmt. Neun Zehntel der Männer sind  de facto  durch ihre Beschäftigung eben so wirksam vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, als ob das Gesetz sie davon ausschlösse; aber das ist kein Grund dafür, Gesetze zu erlassen, um diese neun Zehntel, geschweige denn um das noch übrige Zehntel auszuschließen. Für die Frauen gilt hier genau dasselbe wie für die Männer. Es ist nicht notwendig durch ein Gesetz Vorsorge zu treffen, daß eine Frau nicht in eigener Person die Geschäfte eines Haushaltes besorgen oder die Erziehung von Kindern leiten und gleichzeitig ein Arzt oder Anwalt sein oder ins Parlament gewählt werden dürfe. Wo die Unvereinbarkeit eine wirkliche ist, wird sie selbst für sich zu sorgen wissen; aber es ist ein grobe Ungerechtigkeit, diese Unvereinbarkeit zum Vorwand der Ausschließung derjenigen zu machen, bei denen sie nicht besteht. Und von solchen würde sich eine sehr große Anzahl finden, wenn man ihnen freie Wahl ließe. Das Argument der Mutterpflicht läßt seine Vertreter im Stich im Falle von ledigen Frauen, eine große und rasch zunehmende Klasse der Bevölkerung, welche Tatsache - es ist nicht überflüssig, dies zu bemerken - dadurch daß sie die übermäßige Konkurrenz der Massen verhindert, dazu angetan ist das Wohl Aller erheblich zu fördern. Es gibt keinen in der Sache selbst liegenden Grund und keine Notwendigkeit, warum alle Frauen sich freiwillig dafür entscheiden sollten, ihr Leben  einer  animalischen Funktion und ihren Folgen zu widmen. Zahlreiche Frauen werden nur darum Gattinnen und Mütter, weil ihnen keine andere Laufbahn offen steht, kein anderer Spielraum für ihre Gefühle oder ihre Tätigkeit. Jede Verbesserung ihrer Erziehung und jede Erweiterung ihrer Fähigkeiten, alles was sie für irgendeine andere Lebensweise tauglich macht, vergrößert die Zahl derjenigen, denen durch die Entziehung der freien Wahl ein schweres Unrecht widerfährt. Sagen, daß die Frauen vom tätigen Leben ausgeschlossen werden müssen, weil die Mutterpflichten sie dazu untauglich machen, das heißt in Wahrheit sagen, daß ihnen jeder andere Lebensweg verschlossen sein soll, damit der Stand der Mutter ihre einzige Zuflucht bleibt.

Aber zweitens, so behauptet man, würden die Frauen, wenn ihnen dieselbe Freiheit in der Wahl der Beschäftigungen wie den Männern gewährt würde, jene Überzahl von Konkurrenten noch vermehren helfen, welche bereits die Zugänge zu fast allen Berufsarten sperrt und deren Ertrag vermindert. Diese Argument hat - wohlgemerkt - nichts mit der politischen Frage zu tun. Es entschuldigt nicht, daß den Frauen die Bürgerrechte vorenthalten werden. Auf das Stimmrecht, auf die Zulassung zur Geschworenenbank, zum Parlament und zu öffentlichen Ämtern hat es keinen Bezug. Es erstreckt sich einzig und allein auf die industrielle Seite der Frage. Wenn wir somit diesem wirtschaftlichen Argument seine volle Bedeutung zuerkennen, wenn wir einräumen, daß die Zulassung der Frauen zu den Beschäftigungen, welche jetzt ausschließlich Männer inne haben, gleich der Aufhebung von anderen Monopolen dahin abzielen würde, die Einträglichkeit dieser Beschäftigungen zu vermindern - dann obliegt es uns zu erwägen, wie groß der daraus entspringende Nachteil ist und was demselben gegenübersteht. Das Schlimmste, was jemals behauptet wurde, weit mehr, als irgendwie eintreffen dürfte, ist dies: daß, wenn die Frauen mit den Männern in Konkurrenz träten, ein Mann und eine Frau zusammen nicht mehr erwerben könnten, als was jetzt ein Mann allein erwirbt. Nehmen wir diese Voraussetzung, die ungünstigste, die überhaupt möglich ist, an; das vereinte Einkommen beider würde dann dasselbe sein, wie früher, während die Frau aus der Stellung einer Dienerin zu der einer Mitarbeiterin erhoben wäre. Selbst wenn beim jetzigen Stand der Dinge keine Frau ohne männlichen Ernährer auskommt, wie unendlich besser wäre es doch, wenn ein Teil des Einkommens der Erwerb der Frau ist, auch wenn der Gesamtbetrag dadurch nur um wenig vermehrt wird, anstatt daß sie genötigt ist zurückzustehen, damit der Mann der einzige Erwerber und der einzige Verwalter des Erworbenen sei. Selbst unter den gegenwärtigen Gesetzen über das Eigentum der Frauen kann ein Weib, das zur Erhaltung der Familie wesentlich beiträgt, nicht in derselben verächtlichen und tyrannischen eise behandelt werden, wie eines, dessen Lebensunterhalt gänzlich vom Mann abhängt, so schwer auch die Mühsal der häuslichen Arbeit auf ihr lasten mag. (3) Gegen die Herabsetzung der Löhne infolge der Vermehrung der Konkurrenz werden sich seiner Zeit wohl Mittel finden lassen. Palliativ-Maßregeln könnten sofort angewendet werden, zum Beispiel eine strengere Ausschließung der Kinder von industrieller Tätigkeit während der Jahre, in denen sie keine andere Arbeit leisten sollten als jene, welche ihren Körper und Geist für das spätere Leben erstarken macht. Kinder sind notwendigerweise abhängig und unter der Gewalt Anderer, und ihre Arbeit, die nicht ihnen selbst, sondern ihren Eltern Gewinn bringt, ist ein geeigneter Gegenstand gesetzlicher Regelung. Was die Zukunft anbelangt, so glauben wir, daß weder die gedankenlose Vermehrung und die daraus folgende übermäßige Schwierigkeit, einen Unterhalt zu finden, immer andauern wird, noch daß die Teilung der Menschen in Kapitalisten und gemietete Arbeiter und die Regulierung der Entlohnung der Arbeiter hauptsächlich durch Nachfrage und Angebot für immer oder auch nur lange Zeit noch in Kraft bleiben wird. Aber solange die Konkurrenz das allgemeine Gesetz des menschlichen Lebens bleibt, ist es Tyrannei, die eine Hälfte der Mitbewerber auszuschließen. Alle die das Alter der Selbständigkeit erreicht haben, haben das gleiche Recht, jede Art von nützlicher Arbeit, deren sie fähig sind, zum Preis, den sie einträgt, zu verkaufen.

Der dritte Einwand gegen die Zulassung der Frauen zum öffentlichen Leben oder zur Erwerbstätigkeit, deren angeblich verhärtender Einfluß, gehört einer vergangenen Zeit an und ist für unsere Zeitgenossen kaum mehr verständlich. Es gibt aber immer noch Personen, welche sagen, daß die Welt und ihr Getriebe die Menschen selbstisch und gefühllos werden läßt, daß die Kämpfe, Rivalitäten und Kollisionen des geschäftlichen und politischen Lebens sie rauh und unliebenswürdig machen, und daß, wenn die eine Hälfte der Gattung sich unvermeidlich diesen Dingen hingeben muß, es umso notwendiger ist, daß die andere Hälfte davon ferngehalten wird; daß es die Frauen von den schlechten Einflüssen der Welt zu bewahren gilt, damit die Männer denselben nicht gänzlich verfallen.

Dieses Argument hätte etwas annehmbares, wenn sich die Welt noch im Zeitalter des Faustrechts befände, als das Leben reich war an physischen Kämpfen und jeder Mann das gegen ihn oder gegen Anderes verübte Unrecht mit dem Schwert oder mit der Stärke seines Arms abwehren mußte. Die Frauen, und ebenso die Priester, mögen dadurch, daß sie von solchen Verpflichtungen und teilweise von den sie begleitenden Gefahren befreit waren, damals imstande gewesen sein einen wohltätigen Einfluß auszuüben. Allein bei der gegenwärtigen Gestaltung des menschlichen Lebens wüßten wir jene verhärtenden Einflüsse nicht aufzufinden, denen die Männer unterworfen, und von denen die Frauen unberührt sein sollen. Die Einzelnen kommen heutzutage nur selten in die Lage, Mann gegen Mann auch nur mit friedlichen Waffen zu kämpfen; persönliche Feindschaft und Rivalität spielen keine große Rolle im Weltgetriebe; der allgemeine Druck der Verhältnisse, nicht das Übelwollen Einzelner ist das Hindernis, gegen welches sich die Menschen heute zu wehren haben. Wenn dieser Druck übermäßig wird, knickt er den Lebensmut und verengt und verbittert das Gemüt, jedoch das der Frauen nicht weniger als das der Männer, da jene gewiß nicht weniger als diese unter seinen Übeln leiden. Es gibt zwar noch immer Zwist und Gehässigkeit, aber ihre Quellen sind andere geworden. Einst fand der Feudalherr seinen bittersten Feind in seinem mächtigen Nachbarn, der Minister den Höfling in jenem, der ihm seine Stellung streitig machte; aber der Gegensatz der Interessen im tätigen Leben wirkt jetzt nicht mehr als Ursache persönlicher Feindschaft; die Feindschaften von heutzutage entspringen mehr aus kleinen Veranlassungen als aus großen, mehr aus dem, was die Leute übereinander sagen als was sie gegeneinander tun, und wenn auch noch Haß, Bosheit und jede Art des Übelwollens zu finden ist, so sind sie es doch unter Frauen ganz in demselben Maße wie unter Männern. Im gegenwärtigen Zustand der Zivilisation könnte die Absicht, die Frauen vor den verhärtenden Einflüssen der Welt zu bewahren, nur so verwirklicht werden, daß man sie vollständig von der Gesellschaft fernhielte. Die gewöhnlichen Pflichten des gewöhnlichen Lebens, wie es jetzt bestellt ist, sind mit jeder anderen Weichheit der Frauen als mit ihrer Schwäche unverträglich. Und ein schwacher Geist in einem schwachen Körper wird sicherlich nicht mehr lange für anziehend oder liebenswürdig auch nur gehalten werden.

Aber in Wahrheit berühren alle diese Argumente und Erwägungen in keiner Weise die Grundlagen des Gegenstandes. Die wirkliche Frage geht dahin, ob es recht und ersprießlich ist, daß die eine Hälfte der menschlichen Gattung ihr Leben in einem Zustand erzwungener Unterordnung unter die andere Hälfte zubringen soll. Wenn es der beste Zustand der menschlichen Gesellschaft ist, in zwei Teil zu zerfallen, von denen der eine aus Personen mit Willen und selbständiger Existenz, der andere aus demütigen Gefährten dieser Person besteht, jede einem von den ersteren beigegeben, um  seine  Kinder zu erziehen und  sein  Haus ihm angenehm zu machen, wenn das die Stellung ist, die den Frauen zukommt; dann ist es nur ein Gebot der Menschlichkeit sie dazu zu erziehen, ihnen den Glauben beizubringen, daß ihnen kein größeres Glück widerfahren kann, als von irgendeinem Mann zu solchen Zwecken erwählt zu werden, und daß jede andere Laufbahn, welche der Welt für glücklich oder ehrenvoll gilt, ihnen durch die Bestimmung - nicht sozialer Einrichtungen - sondern der Natur und des Schicksals verschlossen ist.

Wenn wir jedoch fragen, warum das Dasein der einen Hälfte der Menschheit nur ein Mittel für die Zwecke der anderen sein soll, und jede Frau ein bloßes Anhängsel eines Mannes, dem keine eigenen Interessen erlaubt sind, damit sich in ihrem Geist kein Widerstreit gegen seine Interessen und sein Belieben regt; so ist die einzige Auskunft, die wir erhalten können, die, daß die Männer es so haben wollen. Es ist ihnen angenehm, daß sie um ihrer selbst willen, die Frauen umd der Männer willen leben, und die Herrscher wissen es dahin zu bringen, daß die Eigenschaften und das Betragen, das ihnen an ihren Untertanen wohlgefällt, diesen selbst lange Zeit hindurch als ihre spezifische Untertanentugend gilt. HELVETIUS ist oft wegen seiner Behauptung geschmäht worden, daß die Menschen unter Tugenden gemeinhin diejenigen Eigenschaften verstehen, welche ihnen selbst nützlich oder bequem sind. Wie sehr das von der Menschheit im allgemeinen gilt, und in wie wunderbarer Weise die Tugendbegriffe, welche die *Mächtigen ausstreuen, von ihren Untergebenen aufgefangen und eingsogen werden, dafür ist die Art und Weise ein gutes Beispiel, wie einst die Welt überzeugt war, daß die oberste Tugend der Untertanen die Ergebenheit gegen ihre Könige sei, und wie sie jetzt noch überzeugt ist, daß die vornehmste Tugend der Frauenwelt die Ergebenheit gegen ihre Männer ist. Während dem Namen nach derselbe Moralkodex für beide Geschlechter gilt, bilden in Wirklichkeit Eigenwille und Selbstbehauptung den Typus der für männlich geltenden Tugenden, während Selbstentäußerung, Geduld und Entsagung durch Unterwerfung unter die Gewalt, außer wenn der Widerstand durch andere als die eigenen Interessen geboten ist, durch eine allgemein Übereinstimmung zu eigentlich recht weiblichen Pflichten und Reizen gestempelt worden sind. Der Sinn davon ist bloß der, daß sich die Gewalt zum Mittelpunkt der moralischen Verpflichtungen macht und daß ein Mann seinen eigenen Willen zu haben wünscht, aber nicht wünscht, daß seine Gefährtin einen von dem seinigen verschiedenen Willen hat. Wir sind weit entfernt zu behaupten, daß in modernen und zivilisierten Zeiten keine Gegenseitigkeit der Verpflichtungen von Seiten des Stärkeren anerkannt wird. Eine solche Behauptung würde sich von der Wahrheit weit entfernen. Aber auch diese Gegenseitigkeit, welche wenigstens bei den höheren und mittleren Klassen die Tyrannei ihrer häßlichsten Züge beraubte, hat in Verbindung mit dem ursprünglichen Übel der Abhängigkeit der Frauen ihrerseits wieder ernsthafte Nachteile hervorgerufen.

Im Anbeginn und bei Stämmen, die sich noch auf einer primitiven Kulturstufe befinden, waren und sind die Frauen die Sklavinnen der Männer zu Zwecken der Arbeit. Alle schweren körperlichen Arbeiten fallen ihnen zu. Der australische Wilde geht müßig, während die Weiber mühsam die Wurzeln ausgraben, von denen er sich nährt. Ein Indianer, der ein Wild erlegt hat, läßt es liegen und schickt eine Frau danach aus um es heimzutragen. Auf einer etwas vorgerückteren Stufe, wie in Asien, waren und sind die Frauen Sklavinnen der Männer zu Zwecken der Sinnlichkeit. In Europa ist darauf frühzeitig eine dritte mildere Weise der Herrschaft gefolgt, die nicht durch Schläge oder durch Schlösser und Riegel, sondern durch einen sorgfältigen Geistesdrill gesichert wurde. Auch mischten sich immer mehr Gefühle von Wohlwollen und Vorstellungen von Pflichten, wie sie in Vorgesetzter seinen Schützlingen schuldet, in dieses Verhältnis. Aber es wurde viele Jahrhunderte hindurch kein Verhältnis von Gennossen, selbst nicht von ungleichen, daraus. Das Weib war ein Stück der Ausstattung des Hauses, des Ruheplatzes, an den sich der Mann vom Geschäft oder vom Vergnügen zurückzog. Männer waren damals wie heute die Genossen seiner Arbeit, und ebenso waren es zumeist Männer, seinesgleichen, die seine Vergnügungen und Zerstreuungen teilten. Innerhalb der vier Wände war er ein Patriarch und Alleinherrscher, und die unverantwortliche Macht übte ihre Wirkung, indem sie ihn, je nach seiner Gemütsart mehr oder weniger herrschsüchtig, anspruchsvoll und selbstvergötternd, wenn nicht gar zum launenhaften oder rohen Tyrannen machte. Aber wenn seine moralischen Eigenschaften dabei Schaden litten, so war dies nicht notwendig in demselben Maß mit seinen geistigen oder schöpferischen Fähigkeiten der Fall. Er mochte so viel Geisteskraft und Charakterstärke besitzen, als seine Natur und die Verhältnisse seiner Zeit zuließen. Er mochte das "Verlorenes Paradies" dichten oder die Schlacht von Marengo gewinnen. Dies war der Zustand der Römer und Griechen und der Neueren bis vor kurzer Zeit. Ihre Beziehungen zu ihren häuslichen Untertanen nahmen nur einen Winkel, wenn auch einen liebevoll gepflegten, in ihrem Leben ein. Ihre Erziehung als Männer, die Entwicklung ihres Charakters und ihrer Fähigkeiten hing wesentlich von einer anderen Reihe von Einflüssen ab.

Das ist jetzt anders geworden. Die fortschreitende Veredlung hat bei allen Machthabern, und darunter auch bei den Machthabern des Hauses, ein gesteigertes und immer noch sich steigerndes Bewußtsein ihrer Gegenverpflichtungen wachgerufen. Kein Mann meint heute, daß er seiner Frau nur soviel Rücksicht zu schenken braucht als ihm beliebt. Alle Männer von irgendwelcher Gewissenhaftigkeit glauben, daß die Pflichten gegen ihre Frauen zu den verbindlichsten unter ihren Verpflichtungen gehören. Auch wird darunter nicht allein Schutz verstanden, welchen die Frauen beim gegenwärtigen Zustand der Zivilisation beinahe nicht mehr benötigen, sondern Sorge für ihr Glück und die Berücksichtigung ihrer Wünsche, denen die Männer nicht selten ihre eigenen opfern. Die Gewalt der Ehemänner hat jetzt das Stadium erreicht, in dem sich die Gewalt der Könige befand, als die allgemeine Meinung zwar die Berechtigung der Willkürherrschaft noch nicht in Frage stellte, aber in der Theorie und in gewissem Maße auch in der Praxis deren selbstische Ausübung verurteilte. Dieser Fortschritt in den moralischen Gefühlen der Menschheit und diese gesteigerte Empfänglichkeit für die Rücksichten, welche ein Mann denen schuldet, die auf ihn allein angewiesen sind, haben dahin gewirkt, das Haus immer mehr zum Mittelpunkt der Interessen zu machen und den häuslichen Verhältnissen und der häuslichen Geselligkeit einen immer größeren Anteil an den Bestrebungen und Vergnügungen des Lebens zuzuwenden. Diese Einflüsse wurden durch die Wandlung in den Sitten und Neigungen verstärkt, welche die letzten zwei oder drei Menschenalter in so bemerkenswerter Weise ausgezeichnet hat. Es ist noch nicht gar so lange her, daß die Männer an gewaltsamen Leibesübungen, geräuschvoller Lustbarkeit und Zechgelagenn Geschmack fanden und damit ihre Zeit ausfüllten. Sie haben jetzt in allen außer den ärmsten Klassen die Neigung für diese Dinge und für die roheren Vergnügungen überhaupt verloren und zeigen kaum irgendeiner Geschmacksrichtung, die ihnen nicht mit den Frauen gemeinsam wäre; zum ersten Mal in der Welt sind Mann und Weib wirklich Gefährten. Es wäre dies ein sehr heilsamer Umschwung, wenn die Gefährten einander gleich stünden; da sie aber ungleich sind, so folgt daraus (und gute Beobachter haben die Tatsache wahrgenommen ohne ihre Ursache zu erkennen), eine fortschreitende Verschlechterung der Männer in all dem, was man bisher für männliche Vorzüge gehalten hat. Diejenigen, welche so ängstlich zu verhüten suchen, daß die Frauen Männer werden, merken nicht, daß die Männer das werden, wozu sie die Frauen bestimmt haben, daß sie jener Schwäche verfallen, welche sie so lange an ihren Genossinnen gepflegt haben. Die Gemeinschaft des Lebens hat die Neigung die Menschen einander ähnlich zu machen. Bei der jetzt zwischen den beiden Geschlechtern bestehenden innigen Lebensgemeinschaft können die Männer männliche Tugenden nur dann bewahren, wenn die Frauen sie erwerben.

Es gibt kaum eine Lage, welche der Erhaltung des Charakteradels oder der Geisteskraft so abträglich wäre, als wenn man in der Gesellschaft von geistig tiefer Stehenden lebt und sich mit Vorliebe um ihren Beifall bewirbt. Warum sehen wir so oft im Leben auf vielversprechende Anfänge so ungenügende - geistige und sittliche - Leistungen folgen? Aus keinem anderen Grund als dem daß der Strebende sich nur mit Solchen verglichen hat, die unter ihm stehen, und nicht Vervollkommnung oder Anregung gesucht hat, indem sich mit seinesgleichen oder mit Überlegenen maß. Im gegenwärtigen Zustand des sozialen Lebens wird dies immer mehr das allgemeine Schicksal der Männer. Immer weniger streben sie nach anderen Freundschaften, und immer weniger unterliegen sie anderen persönlichen Einflüssen, als denjenigen, welche sie unter dem häuslichen Dach finden. Um hier nicht mißverstanden zu werden, ist es notwendig, ausdrücklich der Annahme zu widersprechen, daß selbst jetzt die Frauen den Männern geistig untergeordnet sind. Es gibt Frauen, welche sich an Geistesstärke allen Männern, die jemals gelebt haben, an die Seite stellen können, und wenn man gewöhnliche Frauen mit gewöhnlichen Männern vergleicht, muß man sagen, daß die verschiedenartigen, obwohl geringfügigen, Angelegenheiten, welche die Beschäftigung der meisten Frauen bilden, vielleicht ebensoviel geistige Fähigkeiten wachrufen wie die gleichförmige Routine der Berufsarten, welche die tägliche Beschäftigung der großen Mehrheit der Männer ausmachen. Es liegt nicht an den Fähigkeiten selber, sondern an den kleinlichen Gegenständen und Interessen, denen sie allein zugewendet sind, daß der Verkehr mit Frauen, wie sie infolge ihrer gegenwärtigen Stellung beschaffen sind, auf hohe Fähigkeiten und Bestrebungen der Männer so oft zersetzend einwirkt. Wenn die Frau für die großen Ziele und Gedanken, welche dem Leben seinen Wert verleihen, kein Verständnis besitzt, oder von dessen praktischen Zwecken nichts schätzt außer den persönlichen Interessen und persönlichen Eitelkeiten, dann wird, seltene Fälle ausgenommen, ihr absichtlich und noch mehr ihr unabsichtlich geübter Einfluß im Geist des Mannes jene Interessen, die sie nicht teilt oder nicht teilen kann, zu minderer Bedeutung herabdrücken, wenn nicht gar völlig vernichten.

Unsere Beweisführung bringt uns hier in Widerstreit mit denen, welche man die gemäßigten Verbesserer der weiblichen Erziehung nennen kann, - eine Art von Personen, welche den Pfad der Reform in allen großen Fragen kreuzen, diejenigen nämlich, welche die alten schlechten Prinzipien aufrechterhalten, aber ihre Wirkungen mildern wollen. Diese Leute sagen, daß die Frauen nicht die Sklavinnen oder Dienerinnen, sondern die Lebensgefährtinnen der Männer sein sollen, und daß man sie auch zu diesem Beruf erziehen soll. (Sie sagen nicht, daß man die Männer dazu erziehen soll die Gefährten der Frauen zu sein.) Aber da ungebildete Frauen keine passenden Gefährtinnen für gebildete Männer sind, und ein Mann, der an Dingen über und außerhalb des Familienkreises Anteil nimmt, wünscht, daß seine Gefährtin dieses Interesse mit ihm teilt, so mögen, sagen sie, die Frauen ihren Verstand und ihren Geschmack ausbilden, allgemeine Bildung erwerben, Kunst und Poesie pflegen, selbst ein wenig mit der Wissenschaft liebäugeln, und einige dehnen ihre Großmut so weit aus zu sgen, sie mögen sich auch über Politik unterrichten; das alles, nicht um diese Dinge zu betreiben, sondern nur soweit, als es nötig ist, um sich für dieselben zu interessieren und mit dem Gemahl darüber eine Unterhaltung zu pflegen, oder zumindest doch dessen Weisheit verstehen und in sich aufnehmen zu können. das ist gewiß für den Gatten sehr angenehm; aber leider alles andere als förderlich. Nur weil sie bloß mit Solchen geistigen Umgang pflegen, denen sie selbst ihre Meinungen vorschreiben können, gelangen so viele Menschen nicht über die ersten Stufen der Weisheit hinaus. Die bedeutendsten Männer hören auf Fortschritte zu machen, wenn sie bloß mit Schülern verkehren. Wenn sie diejenigen überflügelt haben, welche ihre nächste Umgebung bilden, und nach weiterer Entwicklung streben, müssen sie Personen von ihrem eigenen Wuchs aufsuchen um mit ihnen Umgang zu pflegen. Die geistige Genossenschaft, welche zur Vervollkommnung verhilft, ist der Verkehr zwischen tätigen Geistern, nicht die Berührung zwischen einem tätigen und einem leidenden Geist. Ein solcher unschätzbarer Gewinn wird selbst jetzt mitunter erreicht, wenn sich durch einen seltenen Zufall ein starkgeistiger Mann und ein starkgeistiges Weib verbinden; und er würde viel öfter zustande kommen, wenn die Erziehung sich dieselbe Mühe gäbe, starkgeistige Frauen heranzubilden, als sie jetzt tut, um ihre Heranbildung zu verhindern. Die modernen, für aufgeklärt und fortschrittlich geltenden Methoden der Frauenerziehung verwerfen, soweit es sich um Worte handelt, eine bloß auf den Prunk berechnete Erziehung und geben vor, eine ernste Ausbildung anzustreben, aber sie verstehen darunter einen oberflächlichen Unterricht in ernsten Gegenständen. Von Fertigkeiten abgesehen, in Betreff deren man jetzt allgemein annimmt, sie sollen gut, wenn überhaupt gelehrt werden, wird nichts den Frauen gründlich gelehrt. Kleine Bruchteile von dem, was man die Knaben gründlich zu lehren versucht, sind alles, was man den Frauen beizubringen wünscht oder beabsichtigt. Was die Menschen zu intelligenten Wesen macht, ist das Vermögen zu denken; die Anregungen, welche dieses Vermögen erwecken, sind der Reiz und die Würde des Denkens selbst und ein freies Feld für dessen praktische Anwendung. Diese beiden Beweggründe sind aber jenen entzogen, welchen von Jungend an gesagt wird, daß das Denken und alle seine wichtigeren Anwendungen die Sache anderer Leute ist, während es ihre Sache ist, sich anderen Leuten angenehm zu machen. Hohe Geisteskräfte werden unter den Frauen so lange zufällige Ausnahmen bleiben, bis ihnen jeder Lebensweg offen steht, und bis sie so gut wie die Männer für sich selbst und für die Welt erzogen werden, nicht das eine Geschlecht für das andere.

Bei dem, was wir bisher über die vereinte Wirkung der untergeordneten Stellung der Frauen und der gegenwärtigen Gestaltung des ehelichen Lebens gesagt haben, hatten wir nur die allergünstigsten Fälle im Auge, solche, in denen sich irgendwie eine wirkliche Annäherung an jene Vereinigung und Verschmelzung von Leben und Charakter vorfindet, welche der theoretischen Erörterung als der ideale Maßstab dieses Verhältnisses gilt. Aber wenn wir uns an die große Mehrzahl der Fälle halten, muß der Einfluß der gesetzlichen Unterordnung der Frauen auf ihren Charakter wie auf jenen der Männer in weit dunkleren Farben geschildert werden. Wir sprechen hier nicht von roheren Mißhandlungen und nicht vom Recht des Mannes, den Erwerb der Frau mit Beschlag zu belegen, oder sie gegen ihren Willen zu zwingen, mit ihm zu leben. Wir wenden uns nicht an jene, die einen Beweis dafür verlangen, daß diese Dinge nicht bestehen sollten. Wir nehmen Durchschnittsfälle an, in denen weder völlige Harmonie noch völlige Unvereinbarkeit der Gefühle und Charaktere besteht und wir behaupten, daß in solchen Fällen die Abhängigkeit des Weibes auf den Charakter beider schädigend wirkt. Man glaubt allgemein, daß, wie es auch immer mit dem geistigen Einfluß der Frauen stehen mag, ihr moralischer Einfluß auf die Männer nahezu immer ein heilsamer ist. Er ist, so sagt man uns oft, das  eine  große Gegenmittel gegen die Selbstsucht. Allein wie es sich auch immer mit dem persönlichen Einfluß verhalten mag, der Einfluß ihrer Stellung besitzt in hervorragender Weise die Tendenz, die Selbstsucht zu fördern. Der allerunbedeutendste Mann, der Mann, der nirgendwo anders Einfluß oder Beachtung genießt, findet einen Platz, wo er Oberhaupt und Herrscher ist. Es gibt eine Person, ihm an Verstand oft weit überlegen, die ihn um Rat zu fragen gehalten ist, während er sie um Rat zu fragen nicht verpflichtet ist. Er ist Richter, Obrigkeit, Souverän in Bezug auf ihre gemeinsamen Angelegenheiten, er entscheidet in allen Zwistigkeiten zwischen ihnen. Die Gerechtigkeit oder Gewissenhaftigkeit, vor welche sie ihre Klage bringen muß, ist seine Gerechtigkeit und seine Gewissenhaftigkeit; sein Amt ist es, die Waagschalen zu richten und die Waage zu halten zwwischen seinen eigenen Wünschen oder Ansprücen und jenen eines anderen. Es ist dies jetzt in zivilisierten Ländern das einzige Tribunal, bei welchem dieselbe Person zugleich Richter und Partei ist. Eine großmütige Seele läßt in einer solchen Stellung die Waage auf die Seite des anderen sinken und gibt diesem nicht weniger, sondern mehr als den gebührenden Teil. So kann sich für die schwächere Seite sogar ihre Abhängigkeit in ein Werkzeug der Macht verwandeln, und sie kann in Ermangelung der Gerechtigkeit aus dem Edelsinn einen unedlen Vorteil ziehen, während die ungerechte Macht für die, welche sie so uneigennützig gebrauchen, eine Last und eine Qual wird. Aber was geschieht, wenn ein Mann wie Männer durchschnittlich sind mit dieser Machtvollkommenheit ausgerüstet wird, ohne Gegenpflichten und ohne Verantwortlichkeit? Gebt einem solchen Mann die Vorstellung, daß er nach Sitte und Gesetz der erste ist, daß zu wollen seine Sache sei, ihre Sache sich dem Willen zu fügen; dürfen wir da wohl annehmen, daß diese Vorstellung seinen Geist nur oberflächlich streifen wird, ohne in seine Tiefen einzudringen und ohne auf seine Gesinnungen und Handlungen einzuwirken? Die Neigung, sich und seine Interessen in die erste Reihe zu stellen, diejenigen anderer höchstens in die zweite, ist nicht so selten, daß sie dort fehlen sollte, wo alles wie mit Absicht darauf angelegt scheint, ihre Herrschaft zu ermutigen. Wenn dem Mann irgendein Eigenwille innewohnt, so wird er entweder wissentlich oder unwissentlich zum Despoten seines Hauses. Das Weib erreicht zwar oft ihre Zwecke, aber das geschieht durch irgendwelche von den mannigfachen Abarten der Berechnung und Verstellung. So wirkt ihre Stellung verderbend auf beide; bei dem einen erzeugt sie die Laster der Macht, beim andern die der List. Frauen sind in ihrem gegenwärtigen physischen und moralischen Zustand von stärkeren Impulsen beherrscht als die Männer, und man solte daher erwarten, daß sie offener und freimütiger sind als diese; doch werden sie in allen alten Sagen und Überlieferungen als falsch und heuchlerisch geschildert. Warum? Weil sie ihre Ziele nur auf Schleichwegen erreichen können. In allen Ländern, wo die Frauen lebhafte Wünsche und einen tätigen Geist besitzen, tritt diese Folge unausweichlich ein, und wenn sie in England weniger auffällig ist als anderswo, so kommt dies daher, daß die englischen Frauen, vereinzelte Ausnahmen abgerechnet, aufgehört haben, lebhafte Wünsche oder einen tätigen Geist besitzen.

Wir sprechen jetzt nicht von Fällen, wo etwas, das den Namen einer starken Zuneigung verdient, auf beiden Seiten vorhanden ist. Wo eine solche vorkommt, ist sie ein zu mächtiger Faktor, um nicht die schlechten Einflüsse der gegenseitigen Stellung wesentlich zu mildern; doch kann sie dieselben nur selten gänzlich zerstören. Viel häufiger sind die schlechten Einflüsse zu starke für die Zuneigung und zerstören diese. Die höchste Art dauerhaften ehelichen Glücks würde hundertma häufiger vorkommen, als es der Fall ist, wenn das Gefühl, das beide Geschlechter voneinander verlangen, jene echte Freundschaft wäre, die nur zwischen Personen bestehen kann, die einander an Rechten und Fähigkeiten gleich sind. Aber an dem, was gewöhnlich im ehelichen Leben Zuneigung genannt wird - das gewohnheitsmäßige und fast mechanische Gefühl von Wohlwollen und wechselseitigem Behagen, das in der Regel zwischen Personen, die stets miteinander verkehren, erwächst, wenn sie sich nicht geradezu abstoßen, - an diesem ist nichts, was den unheilvollen Einflüssen der Ungleichheit entgegenwirken oder sie modifizieren könnte. Solche Gefühle bestehen oft zwischen einem Sultan und seinen Favoritinnen, einem Herrn und seinen Dienern; sie sind nur Beispiele von der Biegsamkeit der menschlichen Natur, welche sich in gewissem Maße selbst in die schlimmsten Verhältnisse zu schicken weiß, und zwar vermögen das die gemeinsten Natur immer am leichtesten.

Der persönliche Einfluß, welchen die Frauen auf die Männer ausüben, macht dieselben ohne Zweifel weniger schroff und hart; in roheren Zeiten war dies oft der einzige besänftigende Einfluß des Weibes den Mann weniger selbstsüchtig macht, enthält, wie die Dinge jetzt stehen, genausoviel Irrtum als Wahrheit. Dem Egoismus gegen das Weib selbst und gegen diejenigen, die ihr am Herzen liegen, die Kinder, wirkt der Einfluß des Weibes allerdings entgegen, obwohl ihre Abhängigkeit dieselbe begünstigt. Aber so lange ihre Interessen auf die Familie allein beschränkt sind, kann ihr Charakter auf den seinigen im allgemeinen nur in der Weise einwirken, daß an die Stelle der persönlichen Selbstsucht eine Familienselbstsucht tritt, welche ein liebenswürdiges Gewand trägt und sich die Maske der Pflicht vorhält. Wie selten steht der Einfluß des Weibes auf Seiten der Bürgertugend, wie selten verhält er sich anders als entmutigend gegen jede Betätigung der Gesinnung, von welcher ein Nachteil für die weltlichen Interessen oder den weltlichen Glanz der Familie zu erwarten ist. Sinn für's Gemeinwohl, Verständnis für die Pflichten gegen das allgemeine Beste, dies ist von allen Tugenden diejenige, welche bei den Frauen, wie sie jetzt erzogen oder gestellt sind, am seltensten gefunden wird; sie besitzen sogar nur selten das, was bei Männern oft ein teilweiser Ersatz für fehlenden Gemeinsinn ist, persönliches Ehrgefühl, das sich an irgendeine öffentliche Pflichterfüllung knüpft. Mancher Mann, der durch Geld oder persönliche Schmeichelei nicht zu bestechen war, hat seine politischen Ansichten gegen einen Titel oder eine Einladung für seine Frau verschachert; und eine noch größere Zahl geht ganz und gar in der Jagd nach den kindischen Auszeichnungen der Gesellschaft auf, weil ihre Frauen darauf erpicht sind. Was die Gesinnung betrifft, so ist in katholischen Ländern der Einfluß der Frau nur ein anderer Name für den Einfluß des Priesters, der ihr in den Hoffnungen und Gefühlen, welche sich an ein Leben im Jenseits knüpfen, einen Trost für die Leiden und Enttäuschungen darreicht, die gewöhnlich in diesem Leben ihr Los sind. Anderswo, werfen sie ihr Gewicht in die Waagschale entweer der alltäglichsten oder der äußerlich erfolgreichsten Meinungen, bei denen man entweder am wenigsten Tadel zur fürchten hat oder welche die meiste Aussicht auf weltliche Beförderung eröffnen. In England steht der Einfluß des Weibes gewöhnlich auf der illiberalen und volksfeindlichen Seite, denn das ist in der Regel die für ein persönliches Interesse und persönliche Eitelkeit vorteilhafte Seite; und was kümmert das Weib die Demokratie oder der Liberalismus, an dem sie keinen Anteil hat, der sie als denselben Paria [Unberührbaren - wp] zurückläßt, als den er sie vorfand? Der Mann selbst fällt gewöhnlich, nachdem er geheiratet hat, dem Konservatismus anheim; er fängt an, für die Machthaber mehr Sympathie zu empfinden als für ihre Opfer und hält es für seine Aufgabe, sich auf die Seite der Autorität zu stellen. Was geistigen Fortschritt betrifft, so ist es damit, von jenen vulgären Fertigkeiten, welche der Eitelkeit oder dem Ehrgeiz dienen, abgesehen, in der Regel beim Mann zu Ende, der ein geistig unter ihm stehendes Weib heiratet, ausgenommen allerdings, wenn er in der Ehe unglücklich oder gegen sein Weib gleichgültig wird. Ein erfahrener Beobachter erwartet von einem Mann von 25 oder 30 Jahren nach seiner Verheiratung kaum mehr irgendeine Vervollkommnung an Geist oder Charakter. Selten nur wird die schon erworbene Stufe behauptet. Ein Funke der  mens divinior  [Geist von Gottes Geist - wp] der sonst zur Flamme herangewachsen wäre, glimmt nur selten noch längere zeit fort ohne zu verlöschen. Denn ein Geist, welcher sich mit dem bescheiden lernt, was er schon ist, welcher nicht unverwandt nach einer Staffel der Vollkommenheit ausschaut, die er noch nicht besitzt, wird schlaff und träge und verliert die Spannkraft, die ihn auch nur auf der schon erreichten Stufe erhalten kann. Und es gibt keine Tatsache in der menschlichen Natur, für welche die Erfahrung ein ausnahmsloseres Zeugnis ablegte, als diese, daß alle sozialen oder sympathischen Einflüsse, welche nicht erheben, eine erniedrigende Wirkung ausüben: wenn sie den Geist nicht befeuern und veredeln, ziehen sie ihn zur Alltäglichkeit herab.

Es liegt daher im Interesse, nicht nur der Frauen, sondern auch der Männer und des menschlichen Fortschritts im weitesten Sinne, daß die Emanzipation der Frauen, welche die moderne Welt sich oft rühmt bewirkt zu haben, und welche mitunter auf Rechnung der Zivilisation, mitunter auf jene des Christentums gesetzt wird, nicht auf der Stufe stehen bleibt, auf der sie sich jetzt befindet. Wenn es gerecht oder notwendig wäre, daß ein Teil der Menschheit an Gemüt und Geist nur halb entwickelt wird, so hätte die Entwicklung des anderen Teils soweit als möglich von seinem Einfluß unabhängig gemacht werden sollen. Stattdessen sind die Frauen die nächsten, und man kann jetzt sagen, die einzigen nahen Gefährten derjenigen geworden, deren Höhe sie doch beileibe nicht erreichen sollen; sie sind gerade weit genug erhoben worden, um die anderen zu sich herabzuziehen.

Eine Schar trivialer Einwendungen haben wir hinter uns gelassen, zum Teil weil sie eine Antwort nicht verdienen, zum Teil weil sie durch den ganzen Gang unserer Darlegung bereits unmittelbar beantwortet sind. Ein paar Worte müssen wir jedoch einem Einwurf widmen, von dem man in England sehr oft Gebrauch macht, um der Verfechtung eigennütziger Vorrechte ein uneigennütziges Ansehen zu geben, und welcher bei oberflächlicher Betrachtung weit mehr zu besagen scheint als er in Wirklichkeit bedeutet. Die Frauen, so behauptet man, sehnen sich nicht und streben nicht nach dem, was man ihre Emanzipation nennt. Im Gegenteil; sie weisen jede Gemeinschaft mit den Ansprüchen, die für sie erhoben werden, zurück und fallen mit Erbitterung über jede unter ihnen her, welche für ihre gemeinsame Sache eintritt.

Nehmen wir an, daß diese Tatsache im weitesten Umfang, in dem sie jemals behauptet wurde, wahr ist; wenn sie dann beweist, daß die europäischen Frauen so bleiben sollen, wie sie sind, so beweist sie genau dasselbe für die Frauen Asiens; denn auch diese sind stolz auf ihre Abgeschlossenheit von der Welt und auf den Zwang unter dem sie stehen, anstatt darüber zu murren, und sie staunen über die Schamlosigkeit der Frauen, welche männliche Besuche empfangen und sich unverschleiert auf der Straße blicken lassen. Die Gewöhnung an die Unterwerfung erzeugt eben bei Frauen wie bei Männern eine knechtische Gesinnung. Die Millionen Asiens sehnen sich nicht nach politischer Freiheit, die sie nicht zu schätzen wissen und wahrscheinlich nicht annehmen würden; ebenso verhalten sich die wilden des Busches zur Zivilisation; aber das beweist nicht, daß diese Dinge für sie nicht wünschenswert sind, und daß sie dieselben nicht in irgendeiner künftigen Zeit genießen werden. Die Gewöhnung härtet menschliche Wesen gegen jede Art der Erniedrigung ab, indem sie den widerstrebenden Teil ihrer Natur abtötet. Und der Fall der Frauen ist in dieser Hinsicht noch ein besonderer; denn es ist uns nicht bekannt, daß jemals eine andere dienstbar gemachte klasse unterwiesen wurde, ihre Erniedrigung als eine Ehre anzusehen. Doch ist in diesem Argument das stille Eingeständnis enthalten, daß die angebliche Vorliebe der Frauen für ihre abhängige stellung nur eine scheinbar ist und aus dem Mangel jeder freien Wahl hervorgeht; denn, wäre die Vorliebe eine natürliche, so könnte keine Notwendigkeit vorhanden sein sie durch Gesetze zu erzwingen. Es hat noch kein Gesetzgeber es für notwendig befunden Gesetze zu erlassen umd die Leute zu zwingen ihrer Neigung zu folgen. Die Ausflucht, daß die Frauen keine Veränderung wünschen, ist dieselbe, die seit unvordenklichen Zeiten immer und immer wieder gegen den Vorschlage der Abschaffung eines sozialen Übels gebracht wurde: "es ist keine Klage vorhanden", - was gewöhnlich nicht wahr oder doch nur darum wahr ist, weil nicht jene Hoffnung auf Erfolg vorhanden ist, ohne welche sich die Klage selten vor ungeneigten Ohren vernehmen läßt. Woher weiß unser Gegner, daß die Frauen Gleichheit und Freiheit nicht begehren? Er hat wohl keine Frau kennen gelernt, welche diese Güter nicht für sich selbst begehrte oder begehren würde. Es wäre aber sicher einfältig, zu glauben, daß sie, wenn sie dieselben begehren, dies auch aussprechen werden. Ihre Lage gleicht jener von Pächtern oder Arbeitern, welche gegen ihre eigenen Interessen stimmen, ihrem Gutsherrn oder Arbeitgeber zu Gefallen; wozu noch der ganz eigenartige Umstand tritt, daß ihnen Unterwürfigkeit von Jugend an als besonderer Reiz und Zierde ihres Wesens eingeschärft wurde. Sie sind gelehrt worden zu denken, daß die tätige Zurückweisung selbst eines ihnen angetanen, offenkundigen Unrechts einigermaßen unweiblich ist und besser einem männlichen Freund oder Beschützer überlassen bleibt. Die Auflehnung gegen irgendetwas, was man eine Einrichtung der Gesellschaft nennen kann, haben sie als ein ernstes Vergehen zumindest gegen die Anstandsregeln ihres Geschlechts betrachten und meiden gelernt. Es erfordert ungewöhnlichen moralischen Mut und Uneigennützigkeit bei einer Frau, um sich zugunsten der Emanzipation der Frauen auszusprechen, so lange wenigstens, bis einige Aussicht auf Erfolg vorhanden ist. Die Annehmlichkeit ihres eigenen Lebens und ihr Ansehen in der Gesellschaft hängt gewöhnlich vom Wohlwollen derjenigen ab, welche sich im Besitz der rechtswidrigen Macht befinden; und Machthabern erscheint keine noch so bittere Klage über den Mißbrauch ihrer Gewalt als ein ebenso schreiender Akt der Widersetzlichkeit wie eine Anfechtung dieser Macht selbst. Die diesbezüglichen Bekenntnisse der Frauen erinnern uns an die Hochverräter der alten Zeiten, welche unmittelbar vor der Hinrichtung ihre liebe und Hingebung für den Fürsten zu beteuern pflegten, durch dessen Ungerechtigkeit sie zu leiden hatten. Die Reden, welche SHAKESPEARE den männlichen Opfern königlicher Laune und Tyrannei in den Mund legt, z. B. dem Herzog von Buckingham und selbst WOLSEY in HEINRICH VIII., halten den Vergleich mit denen einer GRISELDIS aus. Die Schriftstellerinnen von Beruf, besonders jene in England, beeifern sich jeden Wunsch nach Gleichstellung oder nach den Bürgerrechten geflissentlich zu verleugnen und ihre volle Zufriedenheit mit der Stellung, welche ihnen die Gesellschaft anweist, zu verkünden; sie üben darin, wie in manch anderer Hinsicht, einen höchst ungünstigen Einfluß auf die Gefühle und Ansichten der Männer aus, welche diese Speichelleckerei arglos als Zugeständnisse an die Macht der Wahrheit ansehen, ohne zu überlegen, daß es im persönlichen Interesse dieser Frauen liegt, keine anderen Meinungen auszusprechen, als solche, von denen sie hoffen können, daß sie den Männern genehm sein werden. Wir werden die Führer einer demokratischen Bewegung nicht gerade unter jenen Männern von Talent suchen, die aus aus dem Volk hervorgegangen sind und von der Aristokratie beschützt und gehätschelt werden. Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß erfolgreiche Schriftstellerinnen die Sache der Frauen ihrem eigenen Ansehen in der Gesellschaft vorziehen werden. Sie hängen in ihren literarischen wie in ihren Erfolgen als Frauen ganz von den Männern ab, und sie haben eine so schlechte Meinung von denselben, daß sie glauben, unter zehntausen gebe es kaum Einen, der nicht Kraft, Freimut oder Furchtlosigkeit bei einem Weib haußt und fürchtet. Daher sind sie ängstlich bemüht, durch ein Zurschautragen von Unterwürfigkeit auf diesem Gebiet Verzeihung und Duldung für alles zu erlangen, was ihre Schriften über andere Gegenstände etwa von solchen Eigenschaften verraten mögen; sie wollen Alltagsmännern keine Gelegenheit geben zu sagen (was Alltagsmänner unter allen Umständen sagen werden), daß Gelehrsamkeit unweiblich macht, und daß schriftstellernde Damen wahrscheinlich schlechte Hausfrauen sein werden.

Doch genug davon; besonders da die Tatsache, welche den Anlaß zu diesem Aufsatz bot, es unmöglich macht, die allgemeine (nur durch individuelle Ausnahmen getrübte) Zufriedenheit der Frauen mit ihrer untergeordneten Stellung noch länger zu behaupten. In den Vereinigten Staaten wenigstens gibt es Frauen, anscheinend in großer Zahl und nunmehr zu gemeinsamer Einwirkung auf den öffentlichen Geist vereinigt, welche Gleichheit im weitesten Sinn des Wortes fordern, und sie fordern durch einen freimütigen Appell an den Rechtssinn der Männer, nicht sie erbitten unter schüchterner Beschwörung ihres Mißvergnügens.

Allein wie andere Volksbewegungen kann auch diese durch die Fehltritte ihrer Anhänger ernsthaft verzögert werden. Zwar sind, wenn man den gewöhnlichen Maßstab von Volksversammlungen anlegt, die Reden bei der Frauenversammlung durch das Übergewicht der Verständigen über das Phrasenhafte sehr bemerkenswert; aber es sind einige Ausnahmen vorgekommen, und Dinge, in denen es schwer ist einen vernünftigen Sinn zu erkennen, haben in die Resolutionen Eingang gefunden. So erscheint in der Resolution, welche die zugunsten der Frauen erhobenen Forderungen aufzählt, nach der Forderung der Gleichheit in der Erziehung, in gewerblicher Tätigkeit und in politischen Rechten, als ein vierter Punkt etwas unter dem Namen einer "gesellschaftlichen und geistigen Vereinigung" und "eines Mediums um die höchsten moralischen und geistigen Gesichtspunkte der Gerechtigkeit zu vertreten" neben anderem ähnlichen Gerede, das nur dazu dient, die Einfachheit und Verständigkeit der übrigen Forderungen zu beeinträchtigen; wodurch man an die schwächlichen Versuche derjenigen erinnert wird, welche nominelle Gleichheit zwischen Männern und Frauen mit einer erzwungenen Verschiedenheit ihrer Rechte und Verrichtungen zu verbinden trachten. Was den Frauen Not tut, das sind gleiche Rechte, die Zulassung zu allen sozialen Gerechtsamen, nicht irgendeine Sonderstellung, eine Art von empfindsamem Priestertum. An diesem, dem einzig gerechten und vernünftigen Grundsatz halten sowohl die Resolutionen als auch die Reden fast durchgehend fest. Sie enthalten so wenige, was mit dem in Frage stehenden unsinnigen Absatz verwandt ist, daß wir vermuten, er rühre nicht von denselben Händen her wie die meisten übrigen Resolutionen. Die Stärke der Sache liegt in der Unterstützung derjenigen, welche von Vernunft und Grundsätzen beeinflußt sind; und wenn man sie durch Empfindeleien zu empfehlen sucht, welche ansich unsinnig und mit dem Prinzip, auf welche sich die Bewegung gründet, unverträglich sind, so heißt das eine gute Sache auf denselben Boden wie eine schlechte stellen.

Es sind Anzeichen vorhanden, daß das Beispiel Amerikas auf dieser Seite des atlantischen Ozeans Nachahmung finden wird; und der erste Schritt dazu ist in jenem Teil Englands geschehen, wo jede ernste Bewegung in der Richtung des politischen Fortschritts ihren Anfang nimmt: in den Fabrikbezirken des Nordens. Eine Frauenpetition um die Verleihung des Stimmrechts ist von einer zu Sheffield abgehaltenen öffentlichen Versammlung genehmigt und vom Earl von Carlisle am 13. Februar 1851 dem Haus der Lords überreicht worden.
LITERATUR - John Stuart Mill, Über Frauenemanzipation, Leipzig 1880
    Anmerkungen
    1) Westminster Review, Juli 1851. [Der Verfasser hat dem Wiederabdruck des Aufsatzes ein kurzes Vorwort vorangeschickt, in dem er erklärt, daß derselbe zum weitaus größten Teil das Werk seiner seither (1858) verstorbenen, um ihrer hervorragenden Geistes- und Charaktereigenschaften willen von ihm warm gepriesenen Gemahlin ist. Vgl. die Widmung zur Schrift "Die Freiheit", Ges. Werke, hg. von THEODOR GOMPERZ, Band 1].
    2) Ich kann es mir nicht versagen, aus einem Aufsatz von SIDNEY SMITH in der  Edinburg Review  eine vortreffliche Stelle über diesen Teil des Gegenstandes hierherzusetzen: "Es ist viel von einer ursprünglichen Verschiedenheit der geistigen Anlage bei Frauen und Männern geredet worden: daß die Frauen eine raschere Auffassung, die Männer ein sichereres Urteil besitzen, daß sich die Frauen mehr durch die Feinheit der Gedankenverbindung, die Männer mehr durch die Fähigkeit, Gedanken festzuhalten, auszeichnen. Ich gestehe, daß mir das alles sehr phantastisch vorkommt. Daß zwischen den Geistesgaben der Männer und der Frauen, denen wir alle Tage begegnen, ein Unterschied besteht, muß, glauben wir, jedermann bemerken; aber es ist gewiß kein solcher, der nicht durch die Verschiedenheit der Verhältnisse in welche sie gebracht worden sind, zur Genüge erklärt werden kann, ohne daß man eine Verschiedenheit der ursprünglichen Geistesanlage anzunehmen brauchte. Solange Knaben und Mädchen sich im Straßenkot herumtummelnn und zusammen Reifen rollen, sind sie einander völlig gleich. Wenn man dann die Hälfte dieser Geschöpfe einfängt und sie für eine besondere Reihe von Meinungen und Handlungen abrichtet, und die andere Hälfte für eine genau entgegengesetzte, dann wird natürlich ihr Geist sich verschieden gestaltet haben, da die eine oder die andere Art von Beschäftigung diese oder jene Fähigkeit wachgerufen hat. Es ist gewiß kein Grund vorhanden, sich in irgendeine tiefere oder abstrusere Spekulation einzulassen, um eine so überaus einfache Erscheinung zu erklären."
    3) Die wahrhaft schrecklichen Folgen des gegenwärtigen Zustandes der Gesetze beim untersten Teil der arbeitenden Bevölkerung zeigen sich in jenen Fällen von gräßlicher Mißhandlung der Frauen durch ihre Männer, mit denen jedes Zeitungsblatt, jeder Polizeibericht überfüllt ist. Elende, die nicht verdienen die geringste Autorität über irgendein lebendes Wesen zu besitzen, haben ein hilfloses Weib zu ihrer Haussklavin. Solche Ausschreitungen könnten nicht vorkommen, wenn die Frauen einen Teil des Einkommens der Familie sowohl erwerben würden als zu besitzen das Recht hätten.