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EDGAR JAFFÉ
(1866-1921)
Der treibende Faktor in der
kapitalistischen Wirtschaftsordnung

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"Das entsprechende Entgelt muß so groß sein, daß nicht nur sämtliche Kosten gedeckt werden und die geleistete Arbeit eine mindestens ebenso hohe Entlohnung findet als man im Dienst eines anderen dafür erhalten könnte, sondern es muß darüber hinaus noch ein Überschuß, den wir als Unternehmergewinn bezeichnen, verbleiben, der nicht nur für die Übernahme des Risikos entschädigt, sondern der so groß ist, daß sich für ihn ein dauernder Anreiz zur Aufrechterhaltung und Weiterfortsetzung der Unternehmertätigkeit ergibt. Neben der Befriedigung eines Machtgefühls ist diese Möglichkeit für jeden tüchtigen Menschen, sich durch Teilnahme an der Unternehmertätigkeit einen solchen Gewinn zu sichern, der eigentliche Stachel der kapitalistischen Entwicklung."

"Ans eigene Treiben
Sind sie geschmiedet allein und in der
tosenden Werkstatt,
Höret jeglicher nur und viel arbeiten die Wilden
Mit gewaltigem Arm, rastlos ....."

Seit SOMBARTs "Moderner Kapitalismus" (1902) und MAX WEBERs heute wohl schon als klassisch zu bezeichnende Abhandlung "Die protestantische Ethik und der  Geist  des Kapitalismus" (1) erschienen sind, hat sich die wirtschaftswissenschaftliche Arbeit in weitgehendem Maße der Erforschung der psychologischen Voraussetzungen unserer heutigen Wirtschaftsordnung zugewandt. MAX WEBER selbst hat von Anfang an die Tragweite der Resultate seiner Arbeit auf ein fest umgrenztes Gebiet eingeschränkt und auf das energischste betont, daß er bei seinen Untersuchungen lediglich die  eine  Seite der Frage, nämlich die Einwirkung religiöser Faktoren auf das Wirtschaftsleben klarzustellen gesucht habe; er konstatiert ausdrücklich, daß er keineswegs eine eindeutige Antwort auf die Frage nach der Entstehung des kapitalistischen Geistes geben wolle, daß dieser vielmehr einer ganzen Reihe von Faktoren seine charakteristische Ausbildung verdanke. (2) Die Resultate seiner Untersuchungen - die übrigens sowohl weitgehendste Anerkennung, vor allem von theologischer Seite, wie andererseits schärfste Kritik von seiten mancher Historiker erfahren haben -, sind dann in oft sehr vereinfachter Form von anderen Schriftstellern übernommen und verwertet worden, so daß der Leser leicht den Eindruck gewinnt, als ob die protestantische Ethik aus sich heraus das ganze System des Kapitalismus geschaffen oder doch wenigstens in bestimmender Weise geformt habe. (3)

Andrerseits hat SOMBART, zweifellos angeregt durch MAX WEBER, in seinen beiden letzten großen Büchern (4) die Entstehung des Kapitalismus zu erklären gesucht, durch das Aufkommen eines neuen Typus des Wirtschaftsmenschen, des "Bourgeois", sowie durch das Eindringen eines bereits nach dieser Richtung hin festgelegten Typus - der Juden - in das europäische Wirtschaftsleben. (5) Der Gedanke ist dann übernommen und verstärkt worden durch MAX SCHELER, (6) dem der Kapitalismus als ein Lebens- und Kultursystem erscheint, "entsprungen aus den Zielsetzungen und Wertschätzungen eines bestimmten biopsychischen  Typus Mensch,  eben des Bourgeois".

Die Folge dieser in gewissem Sinne einseitigen Betrachtungsweise ist nun, daß für den Außenstehenden das wissenschaftlich geformte Bild der Entstehung und Ausgestaltung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung sich vollkommen verändert hat:

In der Darstellung von KARL MARX und seiner Anhänger war das Schwergewicht bewußt allein auf die  materiellen  Faktoren gelegt worden. So stark, daß sich alles andere - geistig-religiöse wie politische Kräfte - lediglich als Ausfluß, als "Spiegelbild" der wirtschaftlichen Produktionsverhältnisse darstellte. Bedeutete hier mit anderen Worten das "Milieu" alles, der Mensch nichts, so liegt nunmehr umgekehrt die Gefahr vor, daß die ganze Entfaltung des modernen Wirtschaftslebens allein auf die Gestaltung der menschlichen Psyche, auf eine bestimmte psychologische Einstellung oder auf die Ausbildung eines (eventuell rassenmäßig prädestinierten) bestimmten Typus Mensch zurückgeführt wird.

Wir wollen im folgenden keinerlei eingehende Kritik weder der einen noch der anderen Betrachtungsweise unternehmen. Wir wollen uns vielmehr mit dem Hinweis begnügen, daß beide - bewußt oder unbewußt -  einseitig  (7) sind und wollen unsererseits an dieser Stelle nur insofern einen Beitrag zur Klarstellung des Problems liefern, als wir zu zeigen versuchen, daß neben den materiellen Produktionsverhältnissen auf der einen und den religiös-psychischen Mächten auf der anderen Seite noch ein dritter Faktor vorhanden ist, dem allergrößte Wichtigkeit zukommt. Ein Faktor, der vielleicht nicht für die  Entstehung,  wohl aber für die  Weiterausgestaltung  der kapitalistischen Wirtschaftsordnung von größter Bedeutung ist, der dieser Wirtschaftsordnung einige ihrer charakteristischsten Züge verliehen hat und der für die Zukunft des Kapitalismus vielleicht der ausschlaggebende sein wird, weil er es ist, der die heutige Wirtschaftsordnung über sich selbst hinaustreibt und damit der Neugestaltung Tür und Tor öffnet.

Wenn wir uns fragen, was denn  neben  den materiellen Produktionsfaktoren und den Eigentumsverhältnissen an diesen auf der einen Seite und der psychischen Konstitution der Wirtschaftssubjekte, die auf jene wirkt, auf der anderen, einen ausschlaggebenden Einfluß auf die Gestaltung des wirtschaftlichen Lebens haben könne, so kann die Antwort nur lauten: die spezielle  Form,  unter der jene Wechselwirkung stattfindet. Wir sagen ausdrücklich die  spezielle  Form, denn die  allgemein ist ja bereits durch die Eigentumsverhältnisse durch die Institution des Privateigentums gegeben. Es kann sich also nicht um diese allgemeine Form handeln, die in der Marxistischen Formulierung des "historischen Materialismus" bereits mit enthalten ist, sondern lediglich um die spezielle Form, unter der sich, bei Voraussetzung jener Eigentumsverhältnisse, die wirtschaftliche Arbeit vollzieht.

Für MARX ist z. B. die rechtliche Gestaltung der Wirtschaft im Feudalismus ein Ausdruck für die jener zugrunde liegenden produktionstechnischen Verhältnisse. Als sich durch das Erstarken der gewerblichen Arbeit gegenüber der rein agraren die Produktionsverhältnisse änderten, da war - nach MARX - das Ende des Feudalismus gekommen und die Entwicklung des Bürgertums sowie einer den neuen Produktionsverhältnissen angepaßten Rechts- und Wirtschaftsordnung die notwendige Folge. Diese Neuordnung gab die allgemeine Form, in der sich die kapitalistische Wirtschaft entfaltete, aber diese Entfaltung war sowohl unter der  speziellen  Form des Monopols wie auch unter derjenigen der freien Konkurrenz denkbar und möglich. Tatsächlich hat sich die neue Wirtschaftsordnung dann ja auch zunächst überwiegend der Form des Monopols, später derjenigen der freien Konkurrenz bedient.

Unsere Aufgabe im folgenden soll nun darin bestehen, zu zeigen, welchen entscheidenden Einfluß die Tatsache gehabt hat, daß sich aus besonderen Gründe, die an dieser Stelle nicht näher untersucht werden können, die kapitalistische Entwicklung seit dem 18. Jahrhundert auf der Grundlage des Prinzips der  freien Konkurrenz  vollzogen hat.

Was ist denn der für die Weiterentwicklung grundlegende Unterschied zwischen Monopol und freier Konkurrenz? Doch wohl  die  Tatsache, daß beim Monopol der Gewinn des beteiligten Unternehmers gerade durch dessen Ausnahmestellung ein für allemal festgelegt und garantiert ist. Daß die Preise der zum Verkauf gestellten Waren festgesetzt werden können aufgrund der tatsächlichen Produktionskosten zuzüglich eines Gewinnes, dessen Höhe nur durch eine einzige Rücksicht beschränkt zu werden braucht: durch den Umfang und die Kaufkraft der Nachfrage. Der Monopolist wird also bei seiner Preis- und Gewinnfestsetzung nur bestimmt durch die Überlegung, ob die Höhe der Preise den Absatz nicht auf ein zu geringes Maß beschränkt; er wird lediglich zu beachten haben, bei welchem Preisniveau sein Gewinn mit Rücksicht auf den möglichen Absatz am größten sein wird. Auf diesem einmal erfahrungsmäßig festgelegten Optimum des Verhältnisses von Gewinnsatz und absetzbarem Quantum wird der Monopolist möglichst zu verharren bestrebt sein. Er hat kein besonders großes Interesse an der Vergrößerung des Absatzes, solange eine solche nur aufgrund verringerten Gewinns erfolgen kann; auch die Möglichkeit gesteigerte Gewinne, sei es durch Herabdrückung der Kosten, sei es durch Ausdehnung des Absatzes bei gleichbleibendem Gewinnsatz, wird nicht mit elementarer Gewalt wirken, solange seine Monopolstellung ihm einen sicheren und fast mühelosen Gewinn dauernd in den Schoß wirft.

Ganz anders unter dem System der freien Konkurrenz! Dieses bedeutet auf der Unternehmerseite den Kampf aller gegen alle und noch dazu den Kampf gegen zwei Fronten. Gegen die Besitzer der Produktionsfaktoren (Grundbesitzer, Arbeiter und Kapitalisten) auf der einen Seite - das ist der Kampf um die niedrigsten Produktionskosten; gegen die Konsumenten auf der anderen Seite - das ist der Kampf um den Absatzmarkt.

Zwar ist auch hier die Stellung des Unternehmers prinzipiell keineswegs eine ungünstige. Grundbesitzer, Kapitalisten und Arbeiter sind für die Verwertung dessen, was sie zum Produktionsprozeß beitragen, abhängig vom Unternehmer, denn erst durch sein Dazwischentreten, dadurch daß er die Produktion organisiert, ermöglicht er es jenen, für ihre Dienste einen Anteil an den Früchten der Produktion zu erlangen.

Welche Kosten aber die Unternehmer für die Abfindung der anderen Beteiligten aufwenden können, das bestimmen im letzten Grund nicht sie selbst, sondern die Konsumenten, von deren zahlungsfähiger Nachfrage die Höhe der Verkaufspreise der Waren in erster Linie abhängt.

Diese Nachfrage ist aber im kapitalistischen System nichts fest Gegebenes. Die Konsumenten sind fast durchgängig wieder als Arbeiter, Kapitalisten und Grundbesitzer mit Bezug auf ihr Einkommen abhängig vom Anteil, den sie für ihre Leistungen vom Unternehmer erhalten.

So steht dieser im Zentrum des ganzen Prozesses und er wird nur geneigt sein, seine organisatorische Tätigkeit mit all dem Risiko, die sie ihm auflegt, auf sich zu nehmen, wenn er dafür ein entsprechendes Entgelt erhält. Dieses muß aber so groß sein, daß nicht nur seine sämtlichen Kosten gedeckt werden, seine geleistete Arbeit eine mindestens ebenso hohe Entlohnung findet als er im Dienst eines anderen dafür erhalten könnte, sondern es muß ihm darüber hinaus noch ein Überschuß, den wir als  Unternehmergewinn  bezeichnen, verbleiben, der ihn nicht nur für die Übernahme des Risikos entschädigt, sondern der so groß ist, daß sich für ihn ein dauernder Anreiz zur Aufrechterhaltung und Weiterfortsetzung der Unternehmertätigkeit ergibt.

Neben der Befriedigung seines Machtgefühls ist diese Möglichkeit für jeden tüchtigen Menschen, sich durch Teilnahme an der Unternehmertätigkeit einen solchen Gewinn zu sichern, der eigentliche Stachel der kapitalistischen Entwicklung.

In anderen Perioden des Wirtschaftslebens, unter einer mhr den eigentlichen Bedürfnissen des Menschen angepaßte Wirtschaftsordnung, entsprechen die angebotenen Produkte ungefähr der Nachfrage. Der Prozeß der Wirtschaft befindet sich jederzeit in einem gewissen Gleichgewicht oder hat doch wenigstens die Erreichung eines solchen Zustandes zum Ziel.

Ganz anders unter dem System der freien Konkurrenz: hier bringt der Reiz des Unternehmergewinns stets neue Leute auf den Plan, die nach vorteilhafteren Produktionsmethoden suchen, um billiger produzieren zu können als die bisherigen Unternehmer, die gezwungen sind, neue Konsumenten zu suchen oder die Kauflust der schon vorhandenen durch neue Reize und die Erweckung neuer Bedürfnisse aufzustacheln, um sich so ihrerseits ein Absatzfeld und damit die Möglichkeit eines Unternehmergewinns zu schaffen. (8)

Die Folge dieser Tatsache ist, daß alle bestehenden Unternehmungen fortwährend in ihrem Bestand bedroht sind: denn nicht immer ist es möglich, neue Produktionsmethoden zu schaffen oder neue Absatzmärkte zu finden, im Gegenteil - deren Schaffung und Aufsuchung ist meist erst das Resultat eines vorhergegangenen Kampfes, in dem die neu hinzutretenden Unternehmer die alten unterbieten, indem sie auf einen Teil des bisher möglichen Unternehmergewinns verzichtend, trotz gleicher oder sogar höherer Kosten billiger anbieten, um - wie die Praxis sagt - "ins Geschäft zu kommen".

Das führt zu einem Abbröckeln des Unternehmergewinns, zu einer dauernden Tendenz, diesen allgemein herabzusetzen. Die älteren, schläfrig gewordenen Unternehmer müssen entweder ausscheiden und den neuen das Feld räumen oder sie müssen den Kampf mit jenen aufnehmen, durch Herabsetzung der Preise, durch verbilligte Produktion, durch Erschließung neuer Absatzgebiete, denn nur so können sie die gewohnte Gewinnrate sichern oder gar noch erhöhen. Das wirkt wieder auf die anderen zurück und so steigt die Konkurrenz. Immer erbitterter wird der Kampf; immer neue Methoden werden versucht, aber so groß die Gewinne und Fortschritte des einzelnen auch sein mögen - immer bleibt es ein Sysiphuskampf. Jede neugewonnene Position wird sofort wieder bedroht, der Unternehmergewinn kann nicht mehr in statischer Ruhe genossen werden, er ist ein Wild, das viele und immer neue Jäger verfolgen, er ist überall vorhanden - denn ohne ihn käme das ganze Getriebe zum Stillstand -, aber er ist niemals und niemandem sicher, stets muß er neu geschaffen werden und stets droht er wieder den Händen derer zu entgleiten, die ihn mühsam schufen; man kann sagen, daß er nur mehr in die Falten des weiten Gewandes des Wirtschaftslebens zu fassen ist.

Diese Tatsache erklärt und auch jenes auffallendste Merkmal der modernen Wirtschaft: ihre Unruhe, ihr stetes Streben nach Erweiterung des Absatzes, nach Herstellung neuer Waren oder neuer Formen, neuer Qualitäten, neuer Muster, die Versuche, stets neue Bedürfnisse und seien es die extravagantesten, zu schaffen, die zügellose Reklame, die fortwährende Imitation und die Ersetzung besserer Qualitäten durch schlechtere, die Erscheinung, daß was einer heute anbietet, morgen Hunderte nachzuahmen suchen.

Der innere Zusammenhang ist nicht weit zu suchen. Auf der einen Hand will man sich neuen Unternehmergewinn schaffen, durch eine Ausdehnung des Marktes, durch ein Angebot neuer Waren, auf der anderen will man sich Inseln einer  relativen Monopolstellung  sichern, indem man stets neue Gebiete erschließt, auf denen die Konkurrenz die ihr innewohnende Tendenz zur Herabdrückung des Gewinns nicht sofort geltend machen kann.

Die im System der freien Konkurrenz liegende Gefahr der Ausschaltung des Unternehmergewinns kann eben nur bekämpft werden durch eine möglichst weitgehende Hintanstellung des Konkurrenzkampfes, ein irgendwie größerer Unternehmergewinn kann nur dadurch aufrechterhalten werden, daß man sich wenigstens eine vorübergehende Immunität gegen der Konkurrenz schafft, einen Zustand, den wir als denjenigen der "relativen Monopols" bezeichnen wollen.

Die Erreichung und Sicherung dieser Vorzugsstellung ist auf verschiedenen Wegen möglich, und diese Möglichkeiten wollen wir im folgenden eine nach der anderen betrachten.

Die naheliegendste ist die Erreichung einer solchen Vorzugsstellung durch die Okkupation des  günstigsten Standortes:  der beste Weizenboden, der Eckladen an einer bevorzugten Straßenkreuzung, das von der Erdoberfläche am leichtesten zugängliche Kohlenlager, die durch einen schiffbaren Fluß gebotene billige Transportmöglichkeit, die Verfügung über ein großes Betriebskapital oder billigen Kredit, das alles sind mehr oder weniger sichere Grundlagen für eine dauernde "relative Monopolstellung", entweder weil die Produktionskosten pro Einheit geringer sind oder weil die Absatzmöglichkeit bei gleichen Kosten eine geringere ist. Es ist ja dann auch einer der bekanntesten Grundsätze der theoretischen Ökonomie, daß derartige Vorteile der Lage, der Bodenqualität usw. die Grundlage dauernder rechtlicher Bezüge werden, der sogenannten Differentialrente. Diese beruth darauf, daß der Marktpreis durch die Produktionskosten der ungünstigsten Produktionsstätte bestimmt wird, die noch zum Absatz kommt und daher die günstiger gelegenen einen entsprechend höheren Gewinn abwerfen müssen.

Aber diese Differenz kommt der Aufrechterhaltung des Unternehmergewinns nur vorübergehend zugute. Und zwar deshalb, weil sie "kapitalisiert" wird, weil der Besitzer einer solchen Vorzugsstellung diese durchgehend dazu benutzt, um auf die Unternehmertätigkeit zu verzichten. Er schafft sich an deren Stelle ein arbeitsloses Einkommen, indem er seinen Besitz zu einem enstprechend höheren Preis an einen anderen Unternehmer verkauft und fortan von seinen Zinsen lebt oder den Nutzgebrauch gegen eine entsprechende Rente verpachtet. Dann aber arbeitet der neue Unternehmer mit den  gleichen  Produktionskosten wie seine Konkurrenz, denn was er z. B. an Förderkosten erspart, muß er in der Form der Verzinsung eines größeren Anlagekapitals zum größten Teil wieder aufwenden und der größere Absatz in der günstigsten Ladengegend kompensiert sich durch entsprechend höhere Mieten usw.

Auf diesem Weg ist also eine Sicherung des Unternehmergewinns nur solange vorhanden, bis die steigende Konkurrenz neuer Unternehmer um die günstigsten Standorte deren Vorteil zum Verschwinden bringt.

Eine  zweite  Möglichkeit relativer Monopolstellung wird durch das Vorhandensein eines besonderen monopolistisch gefärbten Rechtsinstituts gewährt, durch das  Patentrecht.  Aber auch dieses sichert den erhöhten Unternehmergewinn nur auf eine relativ kurze Zeitspanne, ganz abgesehen davon, daß Erfolge auf diesem Gebiet sofort eine Menge konkurrierender Erfinder auf den gleichen Weg leiten.

Dabei ist ferner zu beachten, daß die beiden eben erwähnten Fälle relativer Monopolstellung unter den heutigen Verhältnissen Ausnahmen darstellen. In weitgehendem Maße und für die meisten Unternehmer kommen derartige besondere Vorteile nicht oder jedenfalls nicht in ausschlaggebender Weise in Frage: für die große Masse der Unternehmer sind fast auf jedem Gebiet die Produktionskosten annähernd die gleichen, der Unternehmergewinn also jedem Angriff der Konkurrenz ohne weiteres ausgesetzt.

Eine einzige, wenigstens zeitlich feste Grenze ist allerdins der Ausdehnung der Konkurrenz entzogen. Über die in einem gewissen Zeitpunkt vorhandene Menge der drei Produktionsfaktoren: Grund und Boden, Arbeitskraft und Kapital  hinaus  kann die Produktion ebensowenig gesteigert werden, wie der Absatz über das Höchstmaß der seitens der vorhandenen Konsumenten entwickelten zahlungsfähigen Nachfrage.

Aber diese in früheren Zeiten kaum verschiebbare Grenze hat sich im 19. und 20. Jahrhundert als ungemein ausdehnungsfähig und elastisch erwiesen. Die technische Verbilligung des modernen Produktionsprozesses hat die verfügbaren Kapitalien ungeheuer vermehrt; die Vervollkommnung der Transportmittel hat die ganze Erde als Lieferantin von Rohstoffen und als Konsumentin fertiger Produkte in den Wirkungsbereich des Kapitalismus gezogen; die verfügbaren Arbeitskräfte sind nicht nur infolge der Bevölkerungsvermehrung und der Wanderungen ungeheuer gewachsen, sie haben auch durch eine Vervollkommnung des Produktionsprozesses eine gegen früher zum Teil verhundertfachte Arbeitsenergie gewonnen. Aus den gleichen Gründen ist die zahlungsfähige Nachfrage überall entsprechend gestiegen.

Trotzdem ist jene Grenze nicht vollkommen geschwunden, sie bildet aber bisher noch kein Hindernis für das volle Wirken der freien Konkurrenz und so tobt innerhalb dieser Grenze der Kampf nicht mit verminderter, sondern mit vermehrter Schärfe. Die Folge ist dort, wo die freie Konkurrenz aufrechterhalten wurde, ein geradezu bis zum Siedepunkt gesteigerter Wettbewerb um den Unternehmergewinn, die Entfaltung aller Kräfte bis zur äußersten Anspannung, um diesen immer wieder bedrohten Zentralpunkt der kapitalistischen Ordnung vor den immer heftigeren Angriffen auf neue Gebiete hinüber zu retten.

Dieser Kampf hat dem 19. Jahrhundert seinen Stempel aufgeprägt: Kampf um den Absatz unter den Volksgenossen, Kampf um Kolonialbesitz und Weltherrschaft mit Güte oder Gewalt, all das ist zuletzt - wenn auch den einzelnen und selbst der Gesamtheit unbewußt - nichts weiter als die letzte Konsequenz des Kampfes um den Unternehmergewinn und dessen wenigstens vorübergehende Sicherung.
LITERATUR Edgar Jaffé, Der treibende Faktor in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, Festschrift für Lujo Brentano zum 70. Geburtstag, München und Leipzig 1916
    Anmerkungen
    1) MAX WEBER, Archiv für Sozialwissenschaft, Bd. XX und XXI, 1905
    2) WEBER, a. a. O., Bd. XXI, Seite 110: "- so kann es natürlich nicht die Absicht sein, anstelle einer einseitig "materialistischen" eine ebenso einseitig spiritualistische kausale Kultur- und Geschichtsdeutung zu setzen." und weiter (ebenda): "... die vorstehende Skizze hat mit Bedacht nur die Beziehungen aufgenommen, in welchen eine Einwirkung religiöser Bewußtseinsinhalte auf das "materielle" Kulturleben wirklich zweifellos ist. Es wäre ein Leichtes gewesen, darüber hinaus zu einer förmlichen "Konstruktion", die  alles  an der modernen Kultur "Charakteristische" aus dem protestantischen Rationalismus logische  deduziert,  fortzuschreiten."
    3) Vgl. besonders von SCHULZE-GAEVERNITZ, Britischer Imperialismus und englischer Freihandel (1906), Einleitung und Schlußkapitel.
    4) SOMBART, Die Juden und das Wirtschaftsleben (1911); Der Bourgeois (1913)
    5) SOMBART, Die Juden usw., Seite 15: "Wie die Sonne geht Israel über Europa; wo es hinkommt sprießt neues Leben empor, von wo es wegzieht, da modert alles, was bisher geblüht hatte."
    6) MAX SCHELER, Die Zukunft des Kapitalismus, Die Weißen Blätter, 1914, Nr. 9
    7) Jede wissenschaftliche Bearbeitung eines komplizierten Tatsachenkomplexes muß  einseitig  sein, in dem Sinne, daß aus der Fülle der als wirksam erkannten Kausalfaktoren einer oder mehrere herausgehoben und deren Anteil an der Gestaltung des Ganzen untersucht wird. Dieses Vorgehen ist nicht nur das einzig mögliche, sondern es sich auch vollkommen ungefährlich, solange allen Beteiligten - besonders auch dem Leser - die Tatsache stets gegenwärtig ist, daß es sich um die Isolierung eines Teilfaktors handelt, daß aber erst die Berücksichtigung aller oder mindesten einer Reihe der wichtigsten mitwirkenden Faktoren und Kräfge ein richtiges Gesamtbild ergeben kann. In diesem Sinne ist auch die vorliegende Abhandlung notwendigerweise einseitig.
    8) KARL MARX sucht die Ursache der ruhelosen kapitalistischen Expansion, des Triebs zur Schaffung immer neuer Unternehmungen und zur steten Erweiterung der bestenden im "Verwertungsstreben des Kapitals", das die Erschließung immer neuer Gewinnmöglichkeiten gebieterisch fordere. Das ist aber unseres Erachtens so nicht richtig: sicher gehört das Vorhandensein überschüssiger, Anlage suchender Kapitalien zu den  objektiven  Voraussetzungen kapitalistischer Expansion, aber allein an und für sich genügt diese Anhäufung von Kapital nicht, um aus ihr den unbegrenzten Trieb zur Expansion zu erklären, der unserem modernen Wirtschaftsleben innewohnt. Das zeigt einwandfrei das Beispiel Hollands und Frankreichs. - Ein Überangebot von Kapital drückt den Zinsfuß, erleichtert den Unternehmern ihre Arbeit, erhöht den Unternehmergewinn, aber die stärkste Entwicklung der wirschaftlichen Tätigkeit finden wir gerade nicht in den kapitalreichsten, sondern vielmehr in Ländern wie Deutschland und den Vereinigten Staaten, die eher an einem relativen Kapitalmangel leiden.
    Das Entscheidende ist stets die Unternehmungslust, die durch nichts so sehr gereizt wird, als durch die Möglichkeit eines hohen Unternehmergewinns. Dieser ist aber stets am größten in noch wenig entwickelten Ländern - aus Gründen, die sich ohne weiteres aus dem weiterhin im Text Angeführten ergeben. Daher finden wir hier den stärksten Fortschritt der Produktion. Sättigung mit Kapital dagegen ist das sicherste Anzeichen für eine Volkswirtschaft, in der die Aussicht auf Unternehmergewinn infolge übermäßiger Konkurrenz bereits auf ein vergleichsweise niederes Niveau herabgedrückt ist. Nach MARX müßte dagegen die Expansion dort am stärksten sein, wo die größten Kapitalien nach Verwertung drängen.