cr-4ra-1M. MerlekerA. MeinongW. E. WalzP. LinkeE. Pfleiderer    
 
GEORG RÄDLER
Über das Abstraktionsphänomen
in der Erkenntnistheorie
David Humes


"So paradox die letzten Konsequenzen seiner Theorie auch klangen, und so sehr sie den herrschenden rationalistischen Anschauungen widersprachen, Hume hat furchtlos auch die äußersten Konsequenzen gezogen, nicht aus Laune oder Oppositionslust, sondern von der Wucht der objektiven Tatbestände unwiderstehlich dazu gedrängt."

"Der Substanzbegriff ist keine Impression eines Reizes, denn er ist weder Farbe, noch Geschmack, noch Schall. Der Substanzbegriff ist keine Reflexion, denn er ist weder Lust noch Schmerz. Hume nennt den Substanzbegriff geradezu ein erdichtetes Etwas (fiction) und sieht in demselben ein Produkt des Phantasierens, nicht des Denkens."

"Die Bildung von Allgemeinbegriffen ist nach Locke ein Kunstgriff des Verstandes (an artifice of understanding) wodurch die Mitteilung erleichtert und die Objekte in der Weise zusammengefaßt werden, daß sie von uns in Reihen betrachtet werden und wir von ihnen sprechen können, als wären sie in Bündeln."

"Es existiert objektiv nichts, das nur die Merkmale des Begriffs Tier an sich tragen würde. Dieses wäre das adäquateste Substrat des Begriffs Tier. Ein solches Wesen gibt es nicht. Es gibt in Wirklichkeit nur einzelne Tiere. Jedes Tier zeigt sowohl die Eigenschaften, die ihm als Tier überhaupt zukommen, aber neben diesen allgemeinen Eigenschaften noch besondere. Durch diese besonderen Eigenschaften ensteht die Inkongruenz zwischen Allgemeinbegriff und Einzelding. Adäquate Substrate für die Allgemeinbegriffe, die diesen kongruent wären, gibt es nicht."

"Hume wie Kant denken sich das empirische Empfindungsmaterial gegeben. Darin aber, wie aus den psychischen Bauelementen psychische Gebilde entstehen sollen, gehen ihre Theorien vollständig auseinander. Passive Phantasie und Gewohnheit sind bei Hume die Hauptmotive für die Gestaltung geistiger Gebilde, Kant dagegen sieht im Aufbau psychischer Gebilde aus psychischen Elementen reine Verstandeshandlungen."

EINLEITUNG

PFLEIDERER und MEINONG wünschen in ihren Schriften über HUME (1) übereinstimmend Monographien über die einzelnen Hauptbegriffe der Philosophie HUMEs. Diesem Wunsch ist umso mehr beizustimmen, da in den Schriften über die Philosophie HUMEs in der Regel lediglich Referate über seine ganze Philosophie geboten werden. Es empfiehlt sich daher, die Anschauungen HUMEs über die einzelnen philosophischen Hauptbegriffe ausführlich darzulegen. Auf diesem Weg kann aus deutlichen Einzelbildern am Leichtesten ein Totalbild der ganzen Philosophie HUMEs gewonnen werden.

Der Widerstreit der Meinungen über mehrere der von HUME angeregten Fragen (wie z. B. Wesen der Begriffe, Bedeutung der Gewohnheit und des Willens für die Technik der geistigen Prozesse) ist ja auch heute noch nicht zum endgültigen Austrag gelangt. Außerdem hat HUME in einzelnen Theorien (z. B. über die isolierende Abstraktion und die Allgemeinbegriffe) die heutigen wissenschaftlichen Anschauungen in sehr wesentlichen Teilen antizipiert. HUME ist sehr konsequent in seinen theoretischen Ansichten. Diese Tatsache seiner streng-logischen Konsequenz erleichtert sein Verständnis sehr, denn seinen wahren Theorien korrespondieren mit bewundernswerter Übereinstimmung seine falschen Theorien, so daß sich die positive und die negative Seite seiner Philosophie in überraschender Weise ergänzen. HUME wurde in der Geschichte der Philosophie besonders bekannt durch seine energische Opposition gegen die bis zu seiner Zeit übliche rationalistische Auffassung des Kausalitätsbegriffs. Dieser Begriff war aber HUME nur der demonstrativste Fall der abstract ideas überhaupt. Dieselben Argumente, welche er gegen die rationalistische Auffassung des Kausalitätsbegriffes ins Feld führt, benützt er auch als Beweismaterial gegen die rationalistische Auffassung der einzelnen abstract ideas. Auch die logische Struktur seiner Beweisführungen gegen die abstract ideas ist immer dieselbe; ebenso stimmen die Resultate seiner Untersuchungen durchgängig überein. Diese Übereinstimmungen in logischer Struktur der Beweisführung, in Tendenz und Resultaten seiner Untersuchungen zeigt unverkennbar, daß die abstract ideas ein sehr wichtiges erkenntnistheoretisches Interessenzentrum HUMEs bilden. Die Grundlage seiner Untersuchungen über die abstract ideas bildet die distinct of reason [isolierende Vernunft - wp]. Sie stellt nach HUMEs Meinung als isolierende Abstraktion den einfachsten Fall der Abstraktion überhaupt dar. Ist dieser einfachste Fall erklärt, so glaubt HUME damit das Abstraktionsphänomen überhaupt erklärt zu haben. Deshalb ist die Theorie über isolierende Abstraktion (distinctio rationis) die logische Operationsbasis für die Untersuchungen über die abstract ideas. Die distinction of reason ist die Grund- und Haupterklärung in der Theorie HUMEs. Aber in dieser Grundgleichung findet sich ein Fehler, der in allen an die Theorie über isolierende Abstraktion anknüpfenden Schlußketten mit aufgenommen wird und der größer und größer wird, je komplizierter die zu erklärenden Einzelfälle des Abstraktionsphänomens werden. "Parvus error in principio, maximus in fine" [Ein kleiner Fehler am Anfang ist am Ende ein sehr großer. - wp]. So paradox die letzten Konsequenzen seiner Theorie auch klangen, und so sehr sie den herrschenden rationalistischen Anschauungen widersprachen, HUME hat furchtlos auch die äußersten Konsequenzen gezogen, nicht aus Laune oder Oppositionslust, sondern von der Wucht der objektiven Tatbestände unwiderstehlich dazu gedrängt. Es ist bewundernswert, mit welch großem Aufwand an intellektueller Energie HUME in durchaus selbständiger Weise die psychischen Phänomene zu erklären sucht. HUME glaubte auch, sich über die Grundtatsachen des menschlichen Seelenlebens im Klaren zu sein. Es ging ihm, wie es demjenigen geht, der, an das in den Naturwissenschaften übliche Denken, Beobachten und Folgern gewöhnt, sich nur oberflächlich mit dem Studium des menschlichen Geisteslebens befaßt. Auch der glaubt am Anfang alles erklären zu können, wendet ohne Weiteres naturwissenschaftliche Untersuchungsmethoden auf psychische Phänomene an (wie HUME in seinen tastenden psychologischen Untersuchungen), ohne zu bedenken, daß für die Organisation und Einrichtung des geistigen Lebens, ferner in Bezug auf Entstehen, Vergehen, Wechsel und Kausalzusammenhang der psychischen Gebilde ganz andere Gesetze die herrschenden sind, als jene, welche in der Erscheinungswelt gelten, freilich in letzter Instanz und im weitesten Sinn des Wortes auch Naturgesetze, aber eben Gesetze der geistigen, nicht der physischen Natur. Nicht nur um der vielen Wahrheiten willen, die HUME gefunden hat, sondern ganz besonders um seiner großen Irrtümer willen ist dieser Philosoph ein durchaus würdiges Objekt philosophisch-historischer Forschung.


A. Darstellung

a) Humes Theorie über das Wesen
der Begriffe und Ideen.

Noch in der Erkenntnistheorie LOCKEs ist der Sinn des Terminus ideas durchaus kein fest fixierter und deshalb ist auch der Geltungsbereich dieses Begriffs unbestimmt begrenzt.

LOCKE sagt selbst: "Dieser Terminus (ideas) wird am besten für alles gesetzt, was beim Denken Objekt des Verstandes ist; ich gebrauche ihn für Phantasmata, Begriff, Species." (2)

Daher erklärt es sich, daß LOCKE auch Lust und Schmerz, Empfindung und Gefühl (im Sinne von psychischen Vermögen) als Ideen bezeichnet. HUME dagegen sucht eine genaue Definition des Terminus idea zu geben und damit dessen Geltungsbereich bestimmt zu begrenzen. Er ist sich auch wohl bewußt, daß er damit eine neue Begriffsbestimmung und neue Einteilung trifft, und spricht dies auch wiederholt aus (3).
    "Man kann alle Vorstellungen der Seele (perceptions) in zwei Arten gliedern, die sich nur durch den Grad der Stärke und Lebhaftigkeit unterscheiden. Die Vorstellungen mit geringerer Intensität nennt man gewöhnlich ideas. Für die anderen mit größerer Intensität besitzt die englische Sprache kein Wort. Ich nehme mir die Freiheit, sie Eindrücke (impressions) zu nennen. Mit dem Wort Eindruck meine ich alle unseren lebhaften Zustände, wenn wir hören, fühlen oder sehen, hassen, wünschen oder wollen. Die Eindrücke bilden Gegensatz zu den Vorstellungen. Diese (ideas) bezeichnen die weniger lebhaften Zustände in uns, wenn wir uns an die wirklichen Eindrücke erinnern."
HUME unterscheidet also folgende Arten von Vorstellungen:
    Wahrnehmungen (perceptions)
      A. Impressions (stark, gebunden, primär)
        a) impressions of reflexion (innere Wahrnehmung)
        b) impressions of sensation (äußere Wahrnehmung)
      B. Ideas (schwach, frei, sekundär
LOCKE dagegen glieder die Vorstellungen (Wahrnehmungen) folgendermaßen:
    Vorstellungen (perceptions, ideas)
      A. einfache Vorstellungen (simple ideas)
        1) entstanden bei Passivität der Seele
          a) Sensation (z. B. Farbe)
          b) Reflexion (Schmerz)
      B. zusammengesetzte Vorstellungen
      (complex ideas)
        1. entstanden bei Aktivität der Seele
          a) Modi (Raum)
          b) Substanzen (Zeit)
          c) Relationen (Kausalität)
Vorstellung (idea) ist bei LOCKE ein Bewußtseinsinhalt überhaupt. (HUME versteht dagegen unter ideas nur die reproduzierten Vorstellungen.) Er nennt die ideas konstant
    "Kopien (copies) der Impressionen, die sich von den wirklichen Impressionen nur durch den Grad der Stärke und Lebhaftigkeit unterscheiden." "Alle unsere Vorstellungen oder schwächeren Empfindungen sind Nachbilder (images) unserer Eindrücke oder lebhaften Empfindungen."
An dieser Definition der ideas hält HUME konsequent fest. Daher kommt es, daß diese Definition im Laufe seiner erkenntnistheoretischen Untersuchungen nicht nur in den verschiedensten Variationen immer wiederkehrt, sondern daß auch die einzelnen philosophischen Begriffe, insbesondere die abstract ideas (Begriff des Seins, der Kausalität, Substanzialität, Endlichkeit und Unendlichkeit) ganz im Sinne der gegebenen Hauptdefinition erklärt werden. Diese Definition bildet unverkennbar die Operationsbasis für HUMEs erkenntnistheoretische Untersuchungen speziell seiner Opposition gegen die abstract ideas. So definiert HUME
    "die Ursache als einen Gegenstand (object) dem ein anderer folgt, so daß alle, dem ersten ähnlichen Gegenstände, solche, die dem zweiten ähnlich sind, zur Folge haben."
An einer anderen Stelle bezeichnet er die Ursache als ein Ding, das vor einem anderen ist und dasselbe begrenzt, so daß die Einbildungskraft vom einen zum andern übergeht, weil die eine Impression (von der Ursache) die andere (von der Wirkung) hervorbringt. Ganz seiner Theorie entsprechend stellt HUME auch den Begriff der Substanz in Abrede, indem er folgendermaßen argumentiert:
    1. Der Substanzbegriff ist keine Impression eines Reizes, denn er ist weder Farbe, noch Geschmack, noch Schall.

    2. Der Substanzbegriff ist keine Reflexion, denn er ist weder Lust noch Schmerz.
Also: weil der Substanzbegriff weder eine Impression eines Reizes, nocht eine Impression der Reflexion ist, ist er nichts als eine Sammlung einzelner Eigenschaften (collection of simple ideas). Der Substanzbegriff ist demnach bei HUME kein Begrifff, sondern lediglich ein Compositum einzelner, qualitativ bestimmter Vorstellungen. HUME nennt den Substanzbegriff geradezu ein erdichtetes Etwas (fiction) und sieht in demselben ein Produkt des Phantasierens, nicht des Denkens. Die spezifischen Charakteristika des Begriffs, die psychisch-abstrakten Elemente fehlen ihm.

Ebenso urteilt HUME über den Begriff des Seins.
    "Die Vorstellung der Existenz (4) muß also genau dasselbe sein, wie die Vorstellung dessen, was wir uns als existierend vergegenwärtigen. (5) An irgend etwas einfach denken (every idea, jede beliebige Vorstellung) und an etwas als ein Existierendes Denken, das sind nicht zwei verschiedene Dinge. Die Vorstellung der Existenz fügt, wenn sie mit der Vorstellung eines beliebigen Gegenstandes verbunden ist nichts zu ihr hinzu."
In konsequenter Festhaltung seiner Begriffstheori fordert HUME in seinen Untersuchungen über den Begriff der notwendigen Verknüpfung eine sinnlich wahrnehmbare Präsentation des Ursache und Wirkung verknüpfenden Bandes.

Er argumentiert folgendermaßen:
    "Da man keinen Begriff von einer Sache haben, welche weder äußerlich noch innerlich wahrnehmbar wird, so scheint notwendig zu folgen, daß wir überhaupt keinen Begriff von Verknüpfung oder Kraft haben, und daß dieses Wort sowohl im philosophischen Sprachgebrauch, wie im gewöhnlichen Leben ohne Sinn ist."
Sehr deutlich zeigt sich dieser Gedankengang HUMEs namentlich auch in seinen Untersuchungen über "unendliche Teilbarkeit" und "unendliche Ausdehnung". Er schließt folgendermaßen: "Das unendlich Kleine und unendlich Große sind nicht vorstellbar. Weil sie nicht vorstellbar sind existieren sie nicht." Indem HUME für jede Vorstellung auch für die abstract ideas denselben adäquate objektive Substrate fordert, weicht er von der Theorie LOCKEs wesentlich ab. LOCKE behauptet nur von den einfachen Ideen, daß sie Abbilder der Objekte sind; HUME dagegen fordert dieses Kriterium von jeder Vorstellung überhaupt. Begriffe (mit Ausnahme des Substanzbegriffs) und Vorstellungen von Verhältnissen entstehen nach der Theorie LOCKEs nicht durch Einwirkung äußerer Objekte, sondern lediglich durch die Tätigkeit der Seele. Sie sind Gedankendinge, welche objektive Substrate korrespondieren können. Die transsubjektive Existenz solcher Substrate ist aber nur als möglich, nicht als absolut notwendig gedacht.

HUME dagegen fordert für jede Vorstellung irgendwelcher Art, auch für die abstract ideas, daß sie qualitativ bestimmt ist und daß ihr transsubjektiv ein Substrat korrespondiert. Diese Substrate erzeugen nach HUMEs Theorie Eindrücke (impressions) und die reproduktiven psychischen Nachbilder (images) dieser Eindrücke sind die ideas oder die Kopien der Impressionen.

Ideas, für welche sich objektiv keine qualitativ bestimmten Substrate finden, sind Fiktionen. Vorstellung und Begriff unterscheiden sich also bei HUME weder in Bezug auf ihre Entstehung, noch hinsichtlich ihres Inhaltes, also nicht qualitativ, sondern nur quantitativ. Diese Nichtunterscheidung von Vorstellung und Begriff ist eine der bemerkenswertesten Tatsachen der Erkenntnistheorie HUMEs, und die verschiedenen HUME-Interpreten sind darin fast vollständig einig. Es soll mir hier gestattet sein, einige der diesbezüglichen Urteile zusammenzustellen.
    "Unter solchen Umständen (den von Hume aufgestellten Kriterien der Vorstellungen und Begriffe) kann sich eine durch den wirklichen Sachverhalt geforderte Differenzierung des gesamten Vorstellungsgebietes weder genetisch, noch überhaupt qualitativ gestalten, sondern muß sich mit Quantitätsunterschieden begnügen." (6)

    "Hume reduziert die innere Differenz zwischen idea und impression auf eine quantitative an der Lebhaftigkeit der Vorstellungen." (7)

    "Die Ideen sind Kopien der Impressionen, die sich von diesen nur durch ihre geringe Intensität unterscheiden." (8)

    "So verschieden und mannigfach unsere Vorstellungen sein mögen, es gibt zwischen den ursprünglichen und abgeleiteten, den einzelnen und allgemeinen keinen anderen Unterschied als den des Grades, der größeren oder geringeren Stärke oder Intensität. Die lebhaften Vorstellungen sind Eindrücke; alle übrigen, wie Bilder und Gedanken sind weniger lebhaft; jene nennt HUME Impressionen, diese Ideen. Die Ideen verhalten sich zu den Impressionen, wie das Abgeleitete zum Ursprünglichen, wie die Abbilder zu den Urbildern, wie die Kopie zum Original." (9)
In der Theorie HUMEs über das Wesen der Begriffe läßt sich ein dreifacher Tatbestand unterscheiden. Zunächst ist hervorzuheben die Nichtunterscheidung von Vorstellung und Begriff. HUME kennt keinen wesentlichen Unterschied zwischen Vorstellung und Begriff. Die ideas sind nach seiner Theorie Kopien der impressions, die sich von diesen nur durch den Grad der Intensität unterscheiden. Dieser Unterschied der Intensität der Vorstellungen ist aber kein inhaltlicher, qualitativer Unterschied, sondern nur ein quantitativer. Die ideas sind nach HUMEs Theorie inhaltlich nicht reicher als die impressions; es kommen demnach bei den Begriffen keine spezifischen Bestandstücke (die das Wesen der Begriffe charakterisierenden psychisch-abstrakten Teile z. B. "Bewußtsein der Identitäten" oder der "kausalen Abhängigkeit") zu den den konkreten Elementen der Vorstellungskomplexe hinzu.

Ganz notwendig ergab sich aus dieser Theorie die Ansicht Humes über die transsubjektive Gültigkeit der ideas.

Jede idea ist nach seiner Theorie eine sekundäre impression; jede Impression aber muß sich auf ein qualitativ bestimmtes Substrat zurückführen lassen, von welchem sie gleichsam als Psychogramm abgenommen ist. Vorstellungen, welche sich (wie Begriffe und Ideen im weiteren und weitesten Sinn) nicht auf solche qualitativ bestimmte Substrate zurückühren lassen, sind deshalb nach HUMEs Theorie "fictions". Ebenso konsequent wie die Theorie HUMEs über die transsubjektive Gültigkeit der Begriffe war auch seine Theorie über die Genesis der Begriffe; denn wer behauptet, daß jede idea eine Kopie einer impression ist, muß auch annehmen, daß diese Unterformung möglichst absichtslos, mithin ohne Beteiligung irgendeines apperzeptiven Denkens vor sich geht.


b. Humes Theorie über die
Allgemeinbegriffe

Wie für die abstract ideas überhaupt, so fordert HUME auch für die Allgemeinbegriffe adäquate Substrate. Jede idea ist nach seiner Definition nichts als eine Kopie einer Impression: jede Impression aber muß sich auf ein Objekt zurückführen lassen, von welchem sie als Psychogramm abgenommen ist. Nun hatte bereits LOCKE die Allgemeinbegriffe als Nominalwesen (nominal essence) bezeichnet, welchen in der Außenwelt keine adäquaten Substrate korrespondieren, wie dies der Fall ist bei den Realwesen. Die Bildung von Allgemeinbegriffen ist nach LOCKE ein Kunstgriff des Verstandes (an artifice of understanding) wodurch die Mitteilung erleichtert und die Objekte in der Weise zusammengefaßt werden, daß sie von uns in Reihen betrachtet werden und wir von ihnen sprechen können, als wären sie in Bündeln (as it wer in bundles).

Diese Theorie LOCKEs stimmt HUME lebhaft bei, ebenso der Theorie BERKELEYs. "Die Allgemeinbegriffe sind im Grunde nichts als individuelle, welche allgemein anwendbar sind." Er nennt diese Theorie über die Allgemeinbegrife eine der wichtigsten und größten Entdeckungen, die in den letzten Jahren in der Republik der Wissenschaften gemacht worden sind und sucht diese Theorie zu erweitern und zu vertiefen. HUME argumentiert folgendermaßen:
    "Allgemeinbegrife sind und an und für sich individuel, obwohl sie als allgemein vorgestellt werden. Das Bild in der Seele ist nur das Bild eines Objektes, obwohl die Anwendung davon in unserem Schließen ebenso ist, als wenn es allgemein wäre und mehrere zugleich in sich befassen würde."

    "Die Allgemeinbegriffe sind nicht wirklich und in der Tat der Seele gegenwärtig, da der Seele die notwendige Rezeptivität mangelt, sondern nur der Möglichkeit nach;" (also nicht aktuell, sondern nur potentiell).

    "Der Weg auf welchem die einzelnen Begriffe zu Allgemeinbegriffen werden ist folgender: Haben wir eine Ähnlichkeit zwischen mehreren Objekten gefunden, welche uns sehr oft begegnet, so gebrauchen wir für alle diese Objekte ein und denselben Namen, was immer auch für Unterschiede auch in Bezug auf den Grad ihrer Quantität und Qualität von uns wahrgenommen werden, oder, was immer für andere Unterschiede an ihnen erscheinen mögen. Nachdem diese Gewohnheit entstanden ist, ruft das Hören jenes Namens die Idee eines dieser Objekte wach und unsere Einbildungskraft stellt dieses letztere einzelne Objekt mit allen besondern Umständen und Verhältnissen vor. Aber, da dasselbe Wort häufig auch auf andere Individuen angewendet worden ist, die in verschiedener Hinsicht von der dem Geist unmittelbar präsenten Vorstellung verschieden sind, so kann das Wort zwar nicht die Idee all dieser Individuen vergegenwärtigen, aber es gibt der Seele einen Anstoß und erweckt jene Gewohnheit (a certain custom) die wir beim Überblicken jener einzelnen Individuen erworben haben. Sie (die Vorstellungen der einzelnen Individuen) sind nicht wirklich und aktuell dem Bewußtsein präsent, sondern nur virtuell; wir uns stellen in der Einbildungskrat nicht alle einzeln vor, sondern halten uns bereit, beliebige von ihnen zu überblicken, je nachdem wir von der Willkür oder Notwendigkeit dazu bestimmt werden."
An einer anderen Stelle bietet HUME ein vorzügiches Analogon für diese "Indistinktheit der komplexen Idee" wie JOHN STUART MILL sehr treffend dieses Verhältnis des Allgemeinbegriffs bezeichnet. "Wenn wir an eine große Zahl denken, so hat die Seele keinen adäquaten Begriff davon, sondern nur ein Vermögen", einen solchen Begriff durch den richtigen Begriff der Einheiten, woraus die Zahl besteht, zu erzeugen.


c. Humes Theorien über isolierend Abstraktion
(Distinction of Reason)
(10)

MEINONG kommt in seinen Humestudien (Seite 247) zu folgender Ansicht:

"Es scheint ziemlich sicher, daß HUME die distinctio rationis durch die distinctio rationis erklärt hat." Dem ist durchaus nicht so. Die "distinction of reason" ist nach HUMEs Theorie unverkennbar der elementarste, einfachste Fall der Abstraktion überhaupt. Ist dieser einfachste Fall erklärt, so ist nach HUMEs Auffassung damit das Wesen der Abstraktion überhaupt erklärt. Gerade die Hoffnung, durch eine Klarlegung der distinction of reason das Wesen der Abstraktion überhaupt zu erklären bestimmt HUME, diesen elementarsten Fall der Abstraktion auf das Genaueste zu untersuchen.

Es ist in den Untersuchungen HUMEs über die isolierende Abstraktion ein dreifacher Tatbestand zu unterscheiden. Erstens ist die Konstatierung hervorzuheben, d. h. die Tatsache, daß eine absolute, ausschließliche Konzentration des Bewußtseins auf eine Form ohne Inhalt oder auf Inhalt ohne Form, oder auf eine Qualität ohne Intensität nicht möglich ist. Von der Konstatierung dieser psychologischen Tatsache sind die aus derselben gezogenen Konsequenzen wohl zu unterscheiden.

Diese Konsequenzen sind folgende:
    a. "Qualität und Intensität sind in der Vorstellung nicht trennbar. Was in der Vorstellung nicht trennbar ist, das ist gleich."

    b. "Die bestimmte Länge einer Linie ist von der Linie selbst so wenig verschieden als unterscheidbar."
HUME identifiziert also ausdrückich Intensität (Fall a.) also eine intensive Quantität und Quantität, (Fall b.) also eine extensive Quantität mit Qualität und damit überhaupt Form und Inhalt. KANT kam in seinen erkenntnistheoretischen Untersuchungen (in der transzendentalen Elementarlehre) zu demselben psychologischen Tatsachenmaterial, welches HUME bei seinen Untersuchungen über die "distinction of reason" vorlag; aber es ist für HUME wie für KANT sehr charakteristisch, daß beide aus demselben Tatsachenmaterial sehr verschiedene Konsequenzen zogen. KANT schließt folgendermaßen:
    "Da das, worin sich die Empfindungen allein ordnen und in gewisse Formen gestellt werden können, nicht selbst wiederum Empfindung sein kann, so ist uns zwar die Materie aller Erscheinungen nur a posteriori gegeben, die Form derselben muß zu ihnen insgesamt im Gemüt a priori bereit liegen und deshalb abgesondert von aller Empfindung betrachtet werden können." (11)
Der Unterschied der Auffassung ist klar. KANT nimmt die Ordnungsform der Materie in das anschauende Subjekt zurück, sie wird als Anschauungsform (geistige Disposition) an das Empfindungsmaterial herangebracht. Darüber, ob die Ordnungsform der Materie auch objektiv (ansich, extramental) besteht, spricht sich KANT nicht ausdrücklich aus, aber es liegt in seinen Argumentationen implizit das unausgesprochene Urteil, daß diese Ordnungsformen transsubjektiv nicht existieren. Nach HUMEs Theorie dagegen sind die Ordnungsformen weder intramental noch extramental Tatbestände. Objektive Ordnungsform und geordnete Materie, subjektive Ordnungsform (Anschauungsform) und in der Vorstellung geordnetes Empfindungsmaterie sind nach seiner Theorie vollkommen identisch. Die Ordnungsform ist nach HUMEs Theorie nichts neben und außerhalb des geordneten Materials, weder intramental noch extramental.


d) Humes Theorien über Phantasieren
und Denken.

Bei der bewundernswerten Konsequenz, die HUME in seinem Denken zeigt, könnte man erwarten, daß er, da er Vorstellungen im engeren Sinn und Begriff identifiziert, auch die psychischen Funktionen, welche Vorstellungen und Begriffe trennen oder verbinden, identifizieren würde, und in der Tat zeigt sich dies bei ihm. Freilich läßt sich nicht nachweisen, daß HUME Phantasieren und Denken ausdrücklich auch in seiner Theorie identifiziert, wie er es bezüglich des Wahrnehmens, Urteilens und Schließens tut; aber es läßt sich umso mehr zeigen, daß dies von ihm praktisch geschieht. Betrachtet man das Bild, das HUME von der Organisation des Geistes entwirft, so ist unverkennbar, daß er in der Phantasie, und zwar in der passiven Phantasie die psychische Grundfunktion sieht. Man kann deshalb PFLEIDERER beistimmen, der (12) in seinen Untersuchungen über die Philosophie HUMEs zu dem Resultat kommt, daß nach HUMEs Erkenntnistheorie die Phantasie die geistige Hauptfunktion ist. Und zwar ist es nicht sowohl die aktive, als vielmehr vorwiegend, beinahe ausschließlich die passive Phantasie, welche nach HUMEs Beschreibung der funktionellen Einrichtung des Geistes im psychischen Leben die Hauptrolle spielt. Während LOCKE noch ausdrücklich betont, daß die mixed modes durch Kombination die Vorstellung von Relationen durch Zusammenstellung entstehen, also die Teilnahme der Aktivität der Seele an der Gestaltung höherer psychischer Gebilde nachdrücklich hervorhebt, tritt bei HUME die Aktivität der Seele vollständig in den Hintergrund. Dies zeigt sich deutich in seinen speziellen Untersuchungen über die Entstehung psychischer Gebilde, insbesondere der Vorstellungen im engeren Sinn und deren Verbindungsgesetzen. Schon die primären Vorstellungen sind nach HUMEs Theorie der Seele als Ganze, als fertige psychische Gebilde mit einem Schlag gegeben. Durch sensation entsteht ohne Weiteres eine impression. Von einer Analyse der sensation in einzelne Reize extremental korrespondierenden physischen Ursachen (wie bei KANT in der transzendentalen Elementarlehre) ist bei HUME noch durchaus nicht die Rede. Die psychischen Bauelemente sind ihm nicht die einzelnen Empfindungen (wie bei KANT), sondern einfache Vorstellungen.

HUME betont die Notwendigkeit des Vorhandenseins einer psychischen Disposition um die Reizkomplexe zu perzipieren, aber von der konstitutiven Bedeutung der psychischen Disposition für die Gestaltung der psychischen Gebilde ist durchaus nicht die Rede. Die psychische Disposition ist für die einfachen wie für die allermeisten höheren Vorstellungen nach HUMEs Theorie nur rezeptiv, nicht konstitutiv. Noch mehr tritt diese Unterschätzung der Aktivität der Seele und ihrer konstitutiven Bedeutung hervor in seinen Erörterungen über die Entstehung der höheren psychischen Gebilde.

Ähnlichkeit, Berührungen in Raum und Zeit und Kausalbeziehung sind nach HUMEs Theorie nicht nur die Gesetze für den Zusammenhang, sondern unverkennbar auch die Gestaltungsmotive der höheren psychischen Gebilde. "Principles of Association" hat bei HUME immer den Sinn: Faktoren für eine Konstituierung der psychischen Gebilde, was für seine Theorie gewiß sehr signifikant ist. Die Verbindung der psychischen Elemente zu einfachen psychischen Gebilden und dieser zu höheren geschieht also nach HUMEs Theorie passiv ohne Hinzutreten des Willens oder mit anderen Worten: Nach HUMEs Theorie ist die Assoziation allein konstitutiv für die Entstehung der höheren psychischen Gebilde. Wie sehr HUME das Werden und Vergehen der psychischen Gebilde rein assoziativ bedingt glaubt, zeigt seine Annahme eines durchgängigen Parallelismus der physischen Dinge und deren psychischen Repräsentanten, den Vorstellungen der Dinge, wie folgende Stelle zeigt:
    "Es liegt hier (in der Entstehung der Vorstellungen) eine Art Anziehung (attraction) vor, welche, wie wir sehen werden, in der geistigen Welt ebenso außerordentliche Wirkungen hat, wie in der psychischen und sich in ebenso vielen verschiedenen Formen darstellt."
Freilich redet HUME auch hin und wieder von einem willkürlichen Verbinden und Trennen der Vorstellungen, aber er legt der Apperzeption mindestens eine sehr untergeordnete Bedeutung bei und man kann sich dem Eindruck nicht verschließen, daß HUME diese theoretische Konzession nur macht, um gegen die rationalistischen Auffassungen nicht zu sehr zu verstoßen. HUME spricht dabei nicht seine klare, konsequente empiristische Sprache, sondern hier spricht aus ihm und durch in die rationalistische Schule.

Die psychischen Gebilde entstehen nach HUMEs Theorie also fast durchweg auf assoziativem nicht apperzeptivem Weg und ebenso ist der Gedankenverlauf fast nur ein assoziativer (passiver) nicht apperzeptiver (willkürlicher, aktiver). Entstehung und Wechsel der psychischen Gebilde tragen nach HUMEs Theorie durchweg den Charakter der Passivität nicht den der Aktivität oder Spontaneität: oder mit anderen Worten ausgedrückt: das aktive Denken ist nach HUMEs Theorie ein passives Phantasieren und Denkprodukte wie die Begriffe Substanz, Identität oder Kausalität u. a. m. fast konstant als fictions bezeichnet. Allerdings hat der Ausdruck fiction hier zunächst den Sinn, daß nach HUMEs Meinung jenen Begriffen extramental nicht korrespondieren soll, aber seine konstante Anwendung läßt doch den Rückschluß zu, daß HUME diese psychischen Gebilde nicht durch aktives apperzeptierendes Denken, sondern absichtslos, auf assoziativem Weg durch passive Phantasie entstanden glaubt.


e. Humes Theorie über Urteilen
und Schließen.

Es ist, wie bereits wiederholt bemerkt, eine ganz notwendige Konsequenz der Erkenntnistheorie HUMEs, daß er "Phantasieren" und "Denken" identifiziert, denn wer Dinge und deren Verhältnisse, Vorstellungen und Begriffe, Konkretes und Abstraktes identifiziert, muß notwendig auch die korrespondierenden psychischen Funktionen als gleich oder zumindest als nur unwesentlich verschieden erklären, wie es von HUME auch tatsächlich geschieht. Die nächste notwendige Konsequenz aus diesen Erklärungen wäre nun, auch Urteilen und Schließen mit Wahrnehmen und Vorstellen zu identifizieren, und in der Tat zieht HUME diese Konsequenz nicht nur dem Sinn nach, sondern spricht sie auch wiederholt wörtlich aus. Er sagt:
    "Das Allgemeine, was ich über diese drei Verstandeshandlungen (Wahrnehmen, Urteilen, Schließen) zu sagen habe, ist, daß sie sich bei einer genauen Betrachtung alle in die erste (das Wahrnehmen) auflösen lassen, und daß sie nichts sind, als die besondere Art, sich die Objekte vorzustellen."
Ferner: Diese Verstandeshandlungen (womit an dieser Stelle Urteilen und Schließen gemeint sind) sind nichts als "simple Wahrnehmung" (simple conception). "Meine Hypothese", so fährt HUME an gleicher Stelle fort, "über Wahrnehmen, Urteilen und Schließen lautet, daß es immer ein und dieselbe strenge und unveränderte Vorstellung eines Begriffs ist."

Es sei an dieser Stelle nur kurz erwähnt, welche Rolle HUME der Gewohnheit in der Technik der geistigen Organisation zuschreibt. Als Funktionen der Gewohnheit erklärt HUME nicht nur Vorstellung, Erinnerung, Assoziation, Urteil und Schluß in fast jeder ihrer Formen, sondern er erklärt auch die Bildung der Allgemeinbegriffe, die isolierende Abstraktion und den Glauben (belief) als Funktionen der Gewohnheit.

Es sollen hier nur zwei besonders charakteristische Belegstellen angeführt werden.
    "Alle Schlüsse aufgrund der Erfahrung sind deshalb Wirkungen der Gewohnheit und nicht des Verstandes."

    Die Gewohnheit nennt HUME die große Führerin im Leben und sagt von ihr ferner:

    "Ohne die Kraft der Gewohnheit wären wir über alle Tatsachen unwissend, die nicht den Sinnen oder der Erinnerung gegenwärtig sind."
Die psychologischen Motive für diese nachdrückliche Betonung der Gewohnheit sind klar ersichtlich. Dem Willen oder einem selbständigen Verstand wurden jene psychischen Funktionen nicht zuerkannt, also blieb zu ihrer Erklärung nichts übrig, als eine funktionelle Disposition des Subjekts für jene geistigen Phänomene anzunehmen, die HUME Gewohnheit nennt. Das war vollkommen konsequent und korrespondiert überraschend der Anschauung HUMEs über die geistige Organisation des Menschen überhaupt.

Das Entstehen, der Wechsel und die Verbindung psychischer Gebilde ist nach HUMEs Meinung vorzugsweise kausal eindeutig bestimmt, trägt den Charakter des Impulsiven, Assoziativem, beinahe Reflektorischen. Dementsprechend mußte auch dem von HUME angenommenen physiologischen Substrat jener Phänomene, der Gewohnheit, eine vorzugsweise mechanische Tendenz inhärieren, wie es bei der funktionellen Disposition der Gewohnheit tatsächlich der Fall ist.


B. Kritik der Theorien Humes
über das Abstraktionsphänomen

Es wurde in dieser Abhandlung wiederholt erwähnt, daß HUME in seinen erkenntnistheoretischen Untersuchungen aus den einmal festgestellten Definitionen logisch-formal ganz korrekte Konsequenzen zieht, die sachlich aber insofern falsch sind, als es die Definition ist, aus welcher sie entwickelt wurden. Daher erklärte es sich, daß Wahres und Falsches in der Erkenntnistheorie HUMEs in ganz überraschender Weise korrespondieren. Es sind nur einige Grundtatsachen des Seelenlebens, in welchem HUME die psychischen Hauptphänomene sieht, alles Weitere sind ihm sekundäre Phänomene, die sich aus den primären erklären lassen. Die logische Struktur seiner Untersuchungen zeigt unverkennbar eine deutliche Zentralisation seiner Theorien in der Erklärung jener Hauptphänomene. In dieser Erklärung der Grundphänomene liegt implizit die ganze Erkenntnistheorie HUMEs. Alles Weitere ist nur eine konsequente Entwicklung und Fortführung der Haupterklärungen.


a. Kritik der Theorien Humes über
das Wesen der Begriffe.

Alle ideas sind nach HUMEs Theorie ausnahmslos Kopien der Impressionen (copies, images), die sich von den wirklichen Impressionen nur durch den Grad der Intensität unterscheiden; sie sind sekundäre Impressionen und entstehen durch die Reproduktion der primären Impressionen. Die primären Impressionen aber entstehen durch die Einwirkungen qualitativ bestimmter Substrate auf die Sinne und durch diese auf die Seele, also rein empirisch. Von apriorischen Funktionen, welche Seitens der Seele an das sinnliche Erkenntnismaterial herantreten, ist durchaus nicht die Rede. Die Seele ist bei einer Perzeption wie bei einer Apperzeption nach HUMEs Theorie rein passiv.

Für Vorstellungen im engeren Sinn lassen sich in der Außenwelt sinnlich wahrnehmbare Substrate (nach KANTs Terminologie phaenomena) finden, von welchen die Impressionen gleichsam als Psychogramme abgenommen sind. Wo aber finden wir für Vorstellungen im weiteren und weitesten Sinn (Begriffe und Ideen) solche qualitativ bestimmten Substrate? Welches sind die objektiven Gegenbilder für Begriffe wie Identität, Kausalität, Allgemeingültigkeit?
    "Alle Anschauungen als sinnlich beruhen auf Affektionen, die Begriffe auf Funktionen." "Die Begriffe gründen sich also auf Spontaneität des Denkens, wie sinnliche Anschauungen auf einer Rezptivität der Eindrücke. Von diesen Begriffen kann nur der Verstand keinen anderen Gebrauch machen, als daß er urteilt." (13)
Es ist also falsch, Begriffe und Ideen in gleicher Weise wie einfache Vorstellungen objektivieren zu wollen, wie HUME es tut. Deshalb war es auch nicht anders möglich, als daß HUME transsubjektiv vergebens nach qualitativ bestimmten Substraten suchte, welche den höheren ideas korrespondieren sollten. Weil er solche Substrate nicht fand, bezeichnete er die höheren ideas als "fictions". Damit wollte HUME darlegen, daß den höheren ideas extramental überhaupt nichts korrespondiert. Diese Konsequenz HUMEs ist falsch. Es korrespondieren den höheren "ideas" freilich nicht realitates phaenomena, wie HUME verlangt, sondern realitates noumena, also nichtsinnliche objektive Tatbestände. So korrespondiert dem Begriff der Kausalität objektiv die Kausalbeziehung, dem Begriff des Seins ein objektiver Tatbestand des Seins überhaupt. Es ist also durchaus falsch, wenn HUME die höheren ideas als Fiktionen bezeichnet. Sie sind keine Fiktionen, sondern "Produkte des abstrahierenden begriffsbildenden Denkens" (14)

Extramental korrespondieren ihnen noumena als nichtsinnliche objektive Tatbestände; intramental sind diese repräsentiert durch Begriffe. Freilich sind uns noumena jederzeit nur an und mit phaenomenis gegeben; so ist uns z. B. in der Außenwelt nichts gegeben, was nur den Begriff des reinen Seins präsentieren würde. Wir können uns das Sein nur an und mit konkreten Dingen denken. Ein Begrif des reinen Seins, losgelöst von jeder Vorstellung ist im bloßen Denken oder bloßen Vorstellen nie und nimmer konstruierbar, denn sinnliche und logische, abstrakte Elemente der Vorstellungen sind untrennbare Komposita, wie sie extramental stets zusammen vorkommende Bestandstücke der Erscheinungswelt und der intelligiblen Welt sind. Der subjektiven unzertrennlichen Verbindung der konkreten und abstrakten Bestandstücke der Vorstellungskomplexe korrespondiert also transsubjektiv der unlösbare Zusammenhang der sinnlich wahrnehmbaren und nicht sinnlich wahrnehmbaren Elemente in den Dingen-ansich. Diese beiden Konsequenzen stehen in einem ganz notwendigen Kausalzusammenhang, die eine hat die andere notwendig zur Folge. Bezeichnet man wie HUME die Begriffe als imaginär, (fictions) so liegt darin die Behauptung, daß ihnen transsubjektiv nichts korrespondiert. Behauptet man aber, wie HUME, daß noumeana keine objektiven Tatbestände sind, so muß man notwendig auch daraus folgern, daß den noumenis kein Bewußtseinsinhalt korrespondiert. Bedingen sich diese Irrtümer wechselseitig, so sind dagegen die psychologischen Motive der Irrtümer HUMEs über die Entstehung der höheren ideas entstehen nach HUMEs Theorie fast rein passiv ohne eine Aktivität der Seele. Das ist falsch. Gerade für die höheren ideas ist charakteristisch, daß sie nach und nach, unter ganz wesentlicher Beteiligung der Aktivität der Seele entstehen.
    "Die Begrife verhalten sich zur natürlich (assoziativ) entstandenen Vorstellung, wie die bewußte Konstruktion eines Objekts zu seiner unbewußten und unwillkürlichen Bildung und setzt die Fähigkeit voraus, sich den Prozeß der Bildung der Vorstellungen nach allen seinen Seiten zum Bewußtsein zu bringen." (15)
"Wollen wir die Rezeptivität unseres Gemüts, Vorstellungen zu empfangen, sofern es auf irgendeine Weise affiziert wird, Sinnlichkeit nennen, so ist dagegen das Vermögen, Vorstellungen hervorzubringen, oder die Spontaneität der Erkenntnisse, der Verstand." (16)
    "Wir können unabhängig von der Sinnlichkeit, keiner Anschauung teilhaftig werden. Also ist der Verstand kein Vermögen der Anschauung. Es gibt daher außer der Anschauung keine andere Art zu erkennen, als durch Begriffe.
Also ist die Erkenntnis eines jeden, zumindest des menschlichen Verstandes eine Erkenntnis durch Begriffe, nicht intuitiv, sondern diskursiv. Alle Anschauungen als sinnlich beruhen auf Affektionen, die Begriffe also auf Funktionen. (17)


b. Kritiker der Theorien Humes
über die Allgemeinbegriffe

Nach HUMEs Theorie besitzen wir keine allgemeinen Vorstellungen im eigentlichen Sinn des Wortes, sondern nur individuelle, welchen die Funktionstendenz zur Allgemeinvorstellung innewohnt. Diese Theorie enthält teilweise Wahres, teilweise Falsches. Zunächst ist falsch, daß die Allgemeinvorstellungen weiter nichts enthalten sollen als die Vorstellung des Individuellen. Die Einzelvorstellungen "Mensch" und der Allgemeinbegriffe "Mensch" sind inhaltlich sehr verschieden.

Im Allgemeinbegriff Mensch treten zur Einzelvorstellung Mensch die Merkmale "sinnlich-vernünftiges Wesen" als die herrschenden Vorstellungselemente. Diese Merkmale können implizit schon in der Einzelvorstellung enthalten sein, sind aber dort nie die herrschenden Elemente; im Allgemeinbegriff dagegen sind sie die konstituierenden Bestandstücke des Vorstellungskomplexes und zwar die herrschenden Elemente. HUME leugnet, daß sie Bestandsstücke des Vorstellungskomplexes sind. Die Vorstellung des Allgemeinen ist nach HUMEs Theorie nur eine, auf Gewohnheit beruhende Funktionstendenz der Einzelvorstellung. Ist diese Funktionstendenz latent, so bilden wir Einzelvorstellungen, ist sie aktuell, so setzen wir Allgemeinbegriffe. Die wesentlichen Unterschiede sind aber zunächst nicht Funktionsunterschiede, sondern inhaltliche.

Im Allgemeinbegriff Mensch ist das Bewußtsein der Allgemeingültigkeit der Merkmale sinnlich-vernünftiges Wesen, ebensowohl Bestandsstück des Vorstellungskomplexes, wie es die Vorstellung der Haarfarbe oder der Gesichtsbildung in der Einzelvorstellung eines Menschen ist. Darin freilich hat HUME recht, daß wir bei der Bildung der Allgemeinbegriffe uns diese allgemeinen Merkmale nicht an allen Menschen vorstellen, aber er verfiel in Abweisung dieser Annahme in das entgegengesetzte Extrem, die Allgemeingültigkeit als Bestandsstück der Allgemeinvorstellungen überhaupt zu negieren und darin nur eine psychischen Funktionstendenz zu sehen, welche der Einzelvorstellung zufolge der Gewöhnung innewohnt.

Diese Theorie HUMEs über die Allgemeinbegriffe stimmt überraschend genau mit seiner Theorie "of abstract ideas" überein. Intramental fallen ihm inhaltlich die abstract ideas im Hinblick auf ihre qualitative Beschaffenheit mit den assoziativ verbundenen konkreten Vorstellungen zusammen; ebenso fällt ihm inhaltlich bei den Allgemeinvorstellungen das Bewußtsein der Allgemeingültigkeit mit der Einzelvorstellung zusammen, und es wird nicht als Vorstellungsbestandteil, sondern als psychische Funktionswirkung erklärt. Woher dieser Unterschied der Erklärung? Für die abstract ideas fand HUME keine qualitativ bestimmten Substrate und behauptete daher, daß denselben extramental nichts korrespondiert, daß sie Fiktionen sind. Die der Allgemeingültigkeit der Allgemeinbegriffe korrespondierende objektive Allgemeinheit ist aber eine zu augenscheinliche Tatsache, als daß HUME bei seinen ausgeprägt empirischen Sinn sie hätte leugnen können. Die objektive Allgemeinheit war also für HUME eine Tatsache, ebenso war ihm das Bewußtsein der Allgemeingültigkeit eine Tatsache, er hatte aber das Bewußtsein der Allgemeingültigkeit als Vorstellungsbestandteil geleugnet, also blieb nichts übrig, als das Bewußtsein der Allgemeingültigkeit als psychische Funktion zu erklären, die durch Gewohnheit in jedem einzelnen Fall entsteht, wie es von HUME in der Tat geschieht.

Das Bewußtsein der Allgemeingültigkeit der Begriffsmerkmale erkennt HUME nicht als Vorstellungsbestandteil an, dagegen aber wohl die Merkmale selbst; immer sind aber noch seiner Theorie die allgemeinen Merkmale nur mit besonderen gegeben, ebenso, wie im extramentalen Sein die Dinge nur als Einzeldinge Existenz besitzen. Gerade in dieser Theorie liegt ein positives Resultat seiner Untersuchungen. Es existiert objektiv nichts, das nur die Merkmale des Begriffs Tier an sich tragen würde. Dieses wäre das adäquateste Substrat des Begriffs Tier. Ein solches Wesen gibt es nicht. Es gibt in Wirklichkeit nur einzelne Tiere. Jedes Tier zeigt sowohl die Eigenschaften, die ihm als Tier überhaupt zukommen, aber neben diesen allgemeinen Eigenschaften noch besondere. Durch diese besonderen Eigenschaften ensteht die Inkongruen zwischen Allgemeinbegriff und Einzelding. Adäquate Substrate für die Allgemeinbegriffe, die diesen kongruent wären, gibt es nicht.

Darin hat HUME vollkommen Recht. Es entsteht nun die Frage, hat er auch darin Recht, wenn er behauptet, daß wir nur Einzelvorstellungen, nie Allgemeinvorstellungen in dem Sinne besitzen, daß wir uns nur die allgemeinen Merkmale unter Ausschluß von individuellen Merkmalen vorstellen. Definieren wir z. B. den Allgemeinbegriff Tier als organisches Wesen mit Empfindung und willkürlicher Bewegung. Können wir uns nun eine Disposition für Empfindung und Bewegung anders vorstellen als an irgendeinem wirklichen oder gedachten Tier? Sobald wir uns den Allgemeinbegriff zu illustrieren suchen, kann dies nur durch die Vorstellung eines einzelnen Tieres geschehen.

Diese repräsentative Vorstellung ist dann der Träger des Allgemeinbegriffs. Von den Allgemeinbegriffsmerkmalen allein können wir uns nie ein denselben adäquates Bild konstruieren; jederzeit sind hierzu besondere Vorstellungselemente als conditio sine qua non [Grundvoraussetzung - wp] nötig. Freilich können diese individuellen Merkmale in einem Vorstellungskomplex sehr zurücktreten zugunsten der wesentlichen Merkmale, die beim Allgemeinbegriff die herrschenden sind. Dieses Zurücktreten der individuellen Elemente und dieses Hervorheben der allgemeinen Merkmale wird umso ausgeprägter, je mehr das Vorstellen in das eigentliche Operieren mit Begriffen, in das Denken übergeht. Dadurch verliert das Denken mehr und mehr den eigentlichen Vorstellungscharakter. Die Jllustration der Allgemeinbegriffe durch die repräsentativen Vorstellungen wird nur im Bedarfsfall vollzogen. Dann aber kann dies nur dadurch geschehen, daß konkrete Vorstellungen in das Bewußtsein treten. In diesem Sinn gilt KANTs klassisches Diktum; "Begriffe ohne Anschauung sind leer."

c. Kritik der Theorien Humes
über isolierende Abstraktion.

Es ist, wie unter A c dargelegt wurde, in der Theorie HUMEs über isolierende Abstraktion ein mehrfacher Tatbestand zu unterscheiden. Zunächst ist die nachdrückliche Konstatierung der Tatsache, daß eine ausschließliche Konzentration des Bewußtseins auf Form ohne Inhalt, oder auf einen Inhalt ohne Form nicht möglich ist, hervorzuheben; dann verdienen ferner die aus dieser Tatsache gezogenen Konsequenzen eine besondere Beachtung. HUME war sich klar bewußt, daß es sich bei der Abstraktion, wie schon die Worterklärung (vom Verbum abstrahere - absehen, abziehen) erkennen läßt, um eine Einengung des Bewußtseins bezüglich seines Inhalts handelt. Er schloß ganz richtig, daß der einfachste Fall der Abstraktion dann gegeben ist, wenn nur eine Vorstellung im Bewußtsein ist. HUME antizipierte darin die Lehre der heutigen experimentellen Psychologie, die in ihren Untersuchungen über den Umfang des Bewußtseins zu demselben Resultat kam, nämlich wie HUME zur Konstatierung der Tatsache, daß eine absolut einfache Vorstellung z. B. Farbe oder Form allein in Wirklichkeit nicht möglich ist, sondern nur als Produkt der psychologischen Abstraktion bedeutet hat (18).
    "Alle in unser Bewußtsein eingehenden Vorstellungen lassen sich durch die psychologische Analyse in eine Mehrheit von Elementen zerlegen. Bezeichnen wir diese Elemente als einfache Vorstellungen, so sind alle wirklichen Vorstellungen zusammengesetzt und die einfache Vorstellung existiert nur als ein Gegenstand psychologischer Abstraktion." (19)

    "Wir scheinen mit Leichtigkeit elementare Merkmale aufstellen zu können, die zwar nie isoliert - die Farbe nie ohne den Raum - vorgestellt werden können, die aber wenigstens leicht in ihrem Unterschied von der Form und in ihrem Unterschied von einander - Gerüche von Farben, Farben von Tönen usw. -festgehalten werden können." (20)
HUME hat also ganz richtig konstatier, daß eine absolut einfache Vorstellung (Inhalt ohne Form, Qualität ohne Intensität) unmöglich ist.

Aus dieser Tatsache zieht nun HUME mehrere falsche Konsequenzen. Er identifiziert, wie unter A c nachgewiesen wurde, Inhalt und Form, Qualität und Intensität. Diese Konsequenzen sind falsch. Inhalt und Form, Qualität und Intensität sind freilich subjektiv wie objektiv immer nur gleichzeitig gegeben, aber daraus folgt nicht, daß, wie HUME glaubt, Relationen wie Form und Intensität nichts an den Dingen sind. Die Ordnungsform des Empfindungsmaterials und der Intensitätsgrad einer Empfindung sind Tatbestände, die nicht mit dem geordneten Empfindungsmaterial identisch sind; sie sind ein besonderer, formaler Bewußtseinsinhalt neben und mit dem materialen Empfindungsgehalt. Für HUME war diese Identifizierung von Form und Inhalt, Quantität und Qualität von folgenschwerster Bedeutung; denn so, wie er über die elementarsten Relationsvorstellungen urteilt, urteilt er über die Relationsbeziehungen (Identität, Kausalität u. a.) überhaupt und zwar immer aus den gleichen psychologischen Motiven. Daher ist die Fehlerquelle der falschen Theorien HUMEs über die abstract ideas in seiner Theorie über die isolierende Abstraktion zu suchen, da diese die logische Operationsbasis seiner erkenntnistheoretischen Untersuchungen bildet.


d. Kritik der Theorien Humes
über Phantasieren und Denken.

Wer, wie HUME es tut, Form und Inhalt, Substanzialität und Substanz, Identität und identisches Ding, als identisch erklärt, der muß, sofern er konsequent ist, notwendig auch Vorstellung und Begriff identifizieren. Wer aber erklärt, daß Vorstellung und Begriff wesensgleich sind, der muß auch die korrespondierenden Funktionen (Phantasieren, bzw. Vorstellen und Denken) als identisch betrachten. Es ist gewiß ein guter Vergleich, wenn man das Phantasieren als ein "Denken in Bildern" (21) und das Denken als ein "Phantasieren in Begriffen" bezeichnet (22), aber diese Analogie berechtigt durchaus nicht dazu, Phantasieren und Denken zu identifizieren. Es ist allerdings richtig, daß beim Denken immer sinnliche Elemente und logische Elemente assoziiert auftreten, ebenso, wie beim Phantasieren imer auch logische Elemente mitverknüpft sind, aber es muß doch festgehalten werdne, daß beim Phantasieren die sinnlichen, beim Denken die logischen Elemente vorwiegen und demnach auch die bezüglichen psychischen Funktionen, Phantasieren und Denken, sowie deren Objekte, Vorstellungen und Begriffe charakterisieren. Außerdem besteht nicht nur inhaltlich, sondern auch nach der funktionellen Seite hin zwischen Phantasieren und Denken ein sehr charakteristischer Unterschied.

Empirisch gegeben sind nur die Elemente der Vorstellungen, die Empfindungen.
    "Alle Verbindung (conjunctio) eines Mannigfaltigen überhaupt kann niemals durch die Sinne in uns kommen und kann also auch nich in der reinen Form der sinnlichen Anschauung zugleich mit enthalten sein; denn sie ist ein Aktus der Spontaneität der Vorstellungskraft und da man diese zum Unterschied von der Sinnlichkeit Verstand nennen muß, so ist alle Verbindung, wir mögen uns ihrer bewußt sein oder nicht, es mag eine Verbindung des Mannigfaltigen der Anschauung oder mancherlei Begriffe, und an der ersteren der sinnlichen oder nicht sinnlichen Anschauung sein, eine Verstandeshandlung, die wir mit der allgemeinen Benennung Synthesis belegen werden." (23)
Der große Gegensatz in der Auffassung der Entstehung psychischer Gebilde bei HUME und KANT tritt hier klar und deutlich hervor. HUME wie KANT denken sich das empirische Empfindungsmaterial gegeben. Darin aber, wie aus den psychischen Bauelementen psychische Gebilde entstehen sollen, gehen ihre Theorien vollständig auseinander. Passive Phantasie und Gewohnheit sind bei HUME die Hauptmotive für die Gestaltung geistiger Gebilde, KANT dagegen sieht im Aufbau psychischer Gebilde aus psychischen Elementen reine Verstandeshandlungen.

Die Wahrheit liegt aber nicht in einem dieser theoretischen Extreme, sondern in der Mitte, als Resultante aus jenen divergierenden theoretischen Richtungen. Die psychischen Gebilde entstehen teilweise passiv, absichtslos, auf assoziativem Weg. Diese Gestaltungstendenz wird wohl am besten als passive Phantasie bezeichnet. Ihr steht jene geistige Gestaltungstendenz gegenüber, die mehr die Form des willkürlichen Handelns trägt und teils aktive Phantasie, teils seit LEIBNIZ als apperzeptives Denken bezeichnet wird. Freilich sind die Grenzen dieser Begriffe Phantasieren und Denken, Vorstellung und Begriff fließende, aber das hindert nicht, die obengenannten Unterschiede zu treffen, wenn man in den unterschiedenen Formen nicht absolute Gegensätze sondern Entwicklungsphasen psychicher Aktivität sieht.


e. Kritik der Theorien Humes über
Urteilen und Schließen

Wer, wie DAVID HUME, zwischen Phantasieren und Denken keinen wesentlichen Unterschied anerkennt, der kann, sofern er konsequent ist, auch zwischen Wahrnehmen, Urteilen und Schließen keinen wesentlichen Unterschied anerkennen. HUME hat diese notwendige Konsequenz gezogen, denn er erklärt (wie unter A e nachgewiesen wurde) Wahrnehmen, Vorstellen, Urteilen und Schließen ausdrücklich als identisch. Gewiß besteht zwischen diesen drei Formen psychischer Aktivität eine große Ähnlichkeit, die etwa der Verwandtschaft von Reflexbewegung, Triebbewegung und willkürliche Bewegung entspricht.

Es lassen sich vergleichsweise diese Phänomene in folgende Parallele bringen:

A
a) Wahrnehmen a¹ Reflexbewegung
b) Urteilen, b¹ Triebbewegung
c) Schluß c¹ Willkürbewegung

Faßt man nun a b c und a¹ b¹ c¹ in progressiver oder regressiver Folge als Glieder einer Entwicklungsreihe auf, so dürfen die einzelnen Entwicklungsphasen der Reihe A ebenso wenig identifiziert werden, wie die der Reihe A¹. HUME identifiziert in seiner Erkenntnistheorie die Entwicklungsformen der Reihe A und in seiner Ethik jene der Reihe A¹. Freilich sind sich diese Entwicklungsformen sehr ähnlich, aber es ist logisch nicht zulässig, wegen einer partiellen Kongruenz eine Kongruenz im Ganzen anzunehmen, wie es von HUME geschieht.
    "Wenn man nicht annehmen will, daß im Urteilen zum bloßen Vorstellen eine zweite grundverschiedene Weise der Beziehung des Bewußtseins zum Gegenstand hinzutritt, so leugnet man doch nicht und kann nicht leugnen, daß irgendein Unterschied zwischen dem einen und dem andern Zustand besteht." (24)

    "Soviel steht fest, daß der Unterschied zwischen Vorstellen und Urteilen ein innerer Unterschied des einen Denkens vom andern sein muß." (25)
Dieser Unterschied kann aber kein quantitativer Unterschied der Intensität des Vorstellens sein. Nach dieser Ansicht wäre das Urteil eine stärkere Vorstellung, die Vorstellung ein schwächeres Urteil. Aber
    "ein Vorgestelltsein, wenn auch noch so klar, deutlich und lebendig, ist kein Beurteiltsein, und ein mit noch so geringer Zuversicht gefälltes Urteil ist keine bloße Vorstellung." (26)
Der Unterschied zwischen Vorstellen und Urteilen ist somit kein quantitativer Unterschied im Hinblick auf den Intensitätsgrad des Vorstellens. Er ist ferner aber auch kein Unterschied des Bewußtseinsinhaltes.
    "Eine solche Eigentümlichkeit würde die Urteile zwar von einigen, nicht aber schlechthin von allen Vorstellungen unterscheidden; und sie würde darum die Annahme einer anderen und mehr charakteristischen Besonderheit nicht entbehrlich machen." (27)
Unserem Bewußtsein sind immer nur komplexe, nie absolut einfache Vorstellungen geboten. Daher ist z. B. in einem Existenzialsatz eine völlige Grennung der Vorstellung des Objektes X und des Prädikates "ist" in der Vorstellung wie im Denken unvollziehbar. (28) Mag man nun im Urteilen ein Verbinden von Begriffen (29) oder ein Zerlegen einer Gesamtvorstellung oder eines Gedankens in ihre Bestandteile sehen (30), es ist auf jeden Fall dem psychologischen Tatbestand inadäquat, Wahrnehmen, Vorstellen und Urteilen zu identifizieren, wie HUME es tut.

Nichts ist signifikanter für HUME, als diese ausdrückliche Identifizierung von Wahrnehmen, Vorstellen, Urteilen und Schließen; aber diese Konsequenz war unvermeidlich. Sie ist der notwendige, einzig mögliche Schlußstein zu seinen Theorien "of abstract ideas".
LITERATUR: Georg Rädler, Über das Abstraktionsphänomen in der Erkenntnistheorie David Humes, Deggendorf 1896
    Anmerkungen
    1) EDMUND PFLEIDERER, Empirismus und Skepsis in Humes Philosophie. MEINONG, Hume-Studien.
    2) LOCKE, An essay concerning human understanding, London 1890, Introduction, § 8
    3) Zitate ohne nähere Angabe beziehen sich auf: The principal works of David Hume, Ausgabe von Green und Grose (vier Bände, London 1874).
    4) idea of existence
    5) idea of the perception
    6) PFLEIDERER, a. a. O., Seite 113
    7) EDMUND KÖNIG, Über den Substanzbegriff bei Locke und Hume, Site 270
    8) MEINONG, a. a. O., Seite 221
    9) KUNO FISCHER, Bacon und seine Nachfolger, Seite 746
    10) HUMEs Ausdruck distinction of reason wird wohl am Besten mit dem von SIGWART, Logik II, Seite 332) und WUNDT (Logik II, Seite 12) eingeführten Terminus isolierende Abstraktion bezeichnet.
    11) KANT, Gesamtausgabe von HARTENSTEIN, Bd. 3, Seite 56.
    12) PFLEIDERER, a. a. O., Seite 96.
    13) PFLEIDERER, a. a. O., Seite 96.
    14) SIGWART, Logik I, Seite 40.
    15) SIGWART, Logik II, Auflage B, Seite 332
    16) Kant, Kr. d. r. V., Seite 87
    17) KANT, Kr. d. r. V., Seite 98
    18) WUNDT, Psychologie, vierte Auflage, Bd. 2, Seite 437
    19) WUNDT, Logik, zweite Auflage, Bd. 1, Seite 13
    20) SIGWART, Logik I, Seite 292.
    21) WUNDT, Psychologie, a. a. O. II, Seite 491
    22) WUNDT, a. a. O., Seite 493
    23) KANT, Kr. d. r. V., Seite 122
    24) BRENTANO, Psychologie, Seite 267
    25) BRENTANO, a. a. O., Seite 270
    26) BRENTANO, a. a. O., Seite 271
    27) BRENTANO, a. a. O., Seite 275
    28) SIGWART, Logik II, Seite 336
    29) HERBART, Logik, Bd. 1, Seite 92; TRENDENLENBURG, Logische Untersuchungen, zweite Auflage, Bd. 2, Seite 210.
    30) WUNDT, Logik I, Seite 156.