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Die Theorie des Gegenstandes und die Lehre vom Ding ansich bei Immanuel Kant [Ein Beitrag zum Verständnis des kritischen Systems] [2/3]
B. Die Lehre vom Ding-ansich Die Untersuchung hat uns eine Frage aufgedrängt, die wir so formulieren können: Woher stammt die Empfindung, jene Affektion des Gemüts, welche uns in der gegebenen Erfahrung stets anschaulich entfaltet erscheint und der Einbildungskraft das Material für ihre Synthesen darbietet? Es wäre möglich, daß KANT diese Frage mit gutem Grund unbeantwortet gelassen hat, da es ihm vor allem darum zu tun war, die Erfahrung zu analysieren, nicht aber zu zeigen, wie sie entsteht. Aber selbst, wenn er die Frage ganz abgewiesen und die Empfindung als ein schlechthin Gegebenes aufgefaßt hätte, so würde er doch dazu gekommen sein, darüber hinaus eine hypothetische Vereinigung zu suchen - denn der Kausalitätstrieb ruht nicht - und diese dichterische Lösung des Problems würde wahrscheinlich aus seinen Ausführungen auch gegen seinen Willen hie und da hervorleuchten. KANT hatte die apriorischen Elemente aus der gegebenen Erfahrung abgesondert und in ihnen die Form derselben gefunden, welche sich in letzter Hinsicht als die Bedingung ihrer Möglichkeit dargestellt hat. Dabei blieb aber ein aposteriorisches Element übrig, die Empfindung.
§ 1. Daß die Empfindung auch von unserer Beschaffenheit abhängt, hat KANT in der Tat nie übersehen. (2) Mit Recht bemerkt PAULSEN (3), daß die Überzeugung von diesem eigentümlichen Charakter der Empfindung schon vor KANTs Zeit von allen philosophischen Schulen geteilt wurde (4). Zudem erwähnt KANT an mehreren Orten und des öfteren auch in der Kr. d. r. V. (5), daß
Jeder gegebenen Empfindung kann man apriori eine intensive Größe und auch Qualität zuschreiben. Hier stehen wir aber an der Grenze des Apriorischen:
§ 2. Wenn der Verstand (als produktive Einbildungskraft) die Empfindung hervorriefe, so würde er auch mittelbar die Ursache der Anschauung sein; nur erklärt aber KANT: "Die Anschauung bedarf der Funktionen des Denkens auf keine Weise." (13) Außerem sind fast alle Stellen, in denen Sinnlichkeit und Verstand gemeinsam besprochen werden, Belege für eine vollständige Koordination der beiden Erkenntnisquellen. Der Verstand ist allerdings "ein Vermögen Vorstellungen selbst hervorzubringen" (14), aber eine Vorstellung (wie z. B. der Begriff von einem Gegenstand überhaupt) vermag ihren Gegenstand - von der Kausalität mittels des Willens ist hier gar nicht die Rede - "dem Dasein nach" - nicht hervorzubringen. Sie kann trotzdem in Anbetracht des Gegenstandes a priori bestimmend sein, wenn es nämlich durch sie allein möglich ist, etwas als einen Gegenstand zu erkennen (15) (im Gegensatz zu dem seinem Dasein nach unabhängig von ihr gegebenen Material zu Gegenständen). Hier stehen wir an einem der wichtigsten Punkte der Kr. d. r. V.; es handelt sich um die Beantwortung der berühmten Frage des Briefes vom Jahre 1772, um die Übereinstimmung von Vorstellung und Gegenstand, eine Frage, die auf den nächsten Blätter durch die neue Theorie vom Gegenstand als einem Konstruktionsgebilde der Einbildungskraft erledigt wird. An dieser Stelle fehlt dem Leser diese Einsicht noch und es wird zunächst nur bemerkt, daß entweder der Gegenstand die Vorstellung oder diese den Gegenstand möglich machen muß, wenn eine gewisse Übereinstimmung vorhanden sein soll.
§ 3. Es war eine Aufgabe der Kritik, aus der gegebenen Erfahrung die apriorischen Bestandteile auszuscheiden, und bei diesem Geschäft mußten wir bei der Empfindung stehen bleiben. Wir erkennen von den Dingen nur das a priori, was wir selbst in sie legen ... was wir nicht in sie legen, erkennen wir a posteriori. So ist die Erfahrung in zwei Teil gespalten, in die a priori gegebenen Formen unseres Denkens (Apperzeption und Kategorien), Anschauens (Raum und Zeit) und Empfindens (intensive Größe und Qualität) und in jenen Rest, den wir aus reiner Vernunft nicht herleiten können. Wollen wir ihn hypothetisch dem Verstand zuschreiben, eine Annahme, die durch nichts gefordert wird, so würden wir die Grenzmauer zwischen Apriorischem und Aposteriorischem niederreißen und das Werk der Kritik zerstören, es gäbe dann überhaupt kein a posteriori Gegebenes. KANT selbst hat auch diese Annahme nie gemacht: Die Begriffe des Verstandes können Gegenstände dem Dasein nach nicht hervorbringen, wohl aber ihre Form bestimmen helfen. Mit der Anerkennung eines solchen a posteriorischen Elements, welches eben das bezeichnet, was wir nicht hineinlegen, ist aber zugleich die Anerkennung einer von uns verschiedenen Ursache der Empfindung ausgesprochen, die mit uns zusammen Erfahrung macht, sie gibt den Stoff, wir die Form. Diese Ursache ist aber nicht erschlossen oder bewiesen, sondern dieselbe wird von mir in demselben Augenblick anerkannt, wo ich zugebe, daß die Analyse der gegebenen Erfahrung auf ein Aposteriorisches führt, das nicht a priori ableitbar ist. Das hat man nicht gehörig beachtet, obwohl schon eine Bemerkung von SCHOPENHAUER (21) darauf hinweisen konnte. Sie stammt aus seinen späteren, vorurteilsfreieren Lebensjahren, und es ist ein großes Verdienst von RIEHL, auf diesen Punkt von Neuem aufmerksam gemacht zu haben (22). Weil meine gegebene Erfahrung nicht ohne Rest (er steckt in der Empfindung) in apriorische Faktoren zerlegbar ist, deshalb deutet sie auf ein von uns Verschiedenes hin. Das ist die Betrachtung, welche ein Transzendentes außerhalb unseres Bewußtseins statuiert, aber dasselbe hat mit dem transzendentalen Objekt, das als eine Form der Gegenstände dieses möglich machte, zunächst gar nichts zu tun. So ist uns die Erfahrung ein Netzwerk von Gegenständen, welche durch die Einbildungskraft nach den Gesetzen des Verstandes aus Empfindungen geschaffen worden sind; die Empfindungen selbst aber sind Affektionen eines Transzendenten (23). So darf man sagen:
Jeder empirische Begriff ist nun in der Tat ein Repräsentant eines Gegenstandes. Jene Grundbegriffe aber (Kategorien), welche "Objekte überhaupt zu den Erscheinungen zu denken haben" (29), sind zunächst keine Repräsentanten von Gegenständen, weil keine ihnen entsprechende Anschauung in der gegebenen Erfahrung aufgezeigt werden kann. Wenn ich nun trotzdem voraussetze, daß sie Repräsentanten von Gegenständen sind, so mache ich eine Annahme, deren Rechtfertigung mir obliegt. Zu einem Gegenstand gehören stets Begriff und Anschauung; in meiner Erfahrung findet sich keine Anschauung, welche den Kategorien entspricht, ich müßte also Grund haben, an die Existenz eines Wesens zu glauben, für das diese reinen Begriffe dieselbe Bedeutung haben, wie für mich und dem zugleich die entsprechenden Anschauungen gegeben sind. Einem solchen würden die synthetischen Einheiten des Anschaulichen zugleich irgendwie anschaulich gegeben sein, es würde also intuitiv in einer intellektuellen Anschauung seine Gegenstände erkennen können. Ein solches Wesen, das allein in seinem Intellekt - wir brauchen Sinn und Verstand dazu - Gegenstände anschaulich und begrifflich bestimmen könnte, ist aber für uns ein Problem, und von seiner Beschaffenheit haben wir gar keine Vorstellung. (30) Wenn es ein solches Wesen gäbe - und in der Tat dachte sich die alte Metaphysik ihre Gott in ähnlicher Weise -, so würden allerdings die Kategorien für dieses Repräsentanten von Gegenständen sein und dann dürfte ich sie auch als solche ansehen, obwohl sie für mich selbst, da mir ja die komplimentäre Anschauung fehlt, niemals Gegenstände werden könnten. Dann dürfte ich die Gegenstände einteilen in solche, die von mir durch Verstand und Sinn bestimmt werden (Phaenomena), und in solche, die von mir nur begrifflich durch den Verstand bestimmt werden können (Noumena), gleichwohl aber in der intellektuellen Anschauung eines höheren Wesens vollständig gegeben sind. § 4. Die alte Metaphysik schrieb dem "begrifflich Bestimmten", von dem wir keine Anschauung haben, dieselbe, ja selbst größere Realität zu, als den Gegenständen der Erfahrung, und wurde sich nicht klar über die Voraussetzung, welche sie damit machte. Den tiefgreifenden Unterschied zwischen Denken und Erkennen aufzufinden war erst KANT vorbehalten. Der alten Metaphysik war ein "nur begrifflich Bestimmtes" überhaupt bestimmt, weil sie die Anschauung als Komplement [Ergänzung - wp] des Begriffs nicht erkannt hatte. Für sie gilt der Satz (31): "Die Dinge sind eigentlich nichts anderes als existierende Begriffe." Die Welt entspricht in einem ursächlichen Zusammenhang ihrer Glieder einem System von Begriffen, das man logisch entwickeln kann ohne Rücksicht auf Erfahrung. Als SPINOZA sein "causari - sequi" [Ursache = Folge - wp] ausgesprochen hat, schuf einer ein Konformitätssystem des Seins und des Denkens. Leider richtet sich aber das Sein nicht immer nach dem Denken, und neben jener "intelligiblen" Welt, welche durch die Zauberformel "causa-ratio" geschaffen ist, drängt sich die Welt der Erfahrung immer wieder vor. Sie ist da und dürfte doch eigentlich nicht da sein, folglich ist sie Schein. LEIBNIZ durchbrach den Panzer des Determinismus mittels des Zweckbegriffs. Die Begriffe der Dinge, welche in systematischer Entfaltung ihre Wurzeln im Begriff der essentia dei [Wesen Gottes - wp] haben, treten nicht alle als Dinge in die intelligible Welt, sie streben vielmehr pro gradu realitatis sive perfectionis [Ebene der Realität oder Wahrnehmung - wp] zur Wirklichkeit. So waren nicht mehr alle Begriffe Repräsentanten von Dingen ... das Konformitätssystem war aufgegeben. Damit war der Empirismus von Seiten des Rationalismus, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch der Sache nach anerkannt, denn kein Vernunftprinzip konnte entscheiden, welche Begriffe nur als solche im Geiste Gottes und welche zugleich als Dinge existieren. Bei KANT tritt die Frage nach dem Wert des "nur begrifflich Bestimmten" von Neuem auf und findet zunächst folgende Erledigung: Jeder Begriff, dem in unserer Erfahrung eine Anschauung korrespondiert, ist ein Gegenstand unserer Erkenntnis; ein Begriff, für welchen dies nicht gilt, kann nie Gegenstand unserer Erkenntnis werden, aber er kann dennoch der Repräsentant eines Dinges sein, das für ein Wesen von einer ganz bestimmten geistigen Organisation ein Gegenstand der Erkenntnis ist. Ein Gegenstand ist stets bestimmt und deshalb erkennbar ein Ding ist überhaupt etwas. Wir nannten ein begrifflich Bestimmtes, dem in unserer Erfahrung keine Anschauung entspricht, ein Noumenon. Sofern wir nun mit der alten Metaphysik fälschlich annehmen, daß ein nur begrifflich Bestimmtes überhaupt bestimmt ist, gelangen wir zu einem "Noumenon in positiver Bedeutung". Wenn es ein solches überhaupt gäbe, so würde es als ein völlig Bestimmtes für uns ein Gegenstand sein. Sofern wir aber gelernt haben, daß das "nur begrifflich Bestimmte" noch eines Korrelatums bedarf, um ein Gegenstand zu werden, wollen wir ein solches ein "Noumenon in negativer Bedeutung" nennen. Wenn es ein solches gibt, so kann es doch für uns nie vollkommen bestimmt und darum auch nie Gegenstand unserer Erkenntnis sein. Das Noumenon der alten Metaphysik (Noumenon in positiver Bedeutung), das bloß begrifflich und doch vollkommen bestimmt sein sollte, ist für uns abgetan. Die Kritik läßt nur Noumena in negativer Bedeutung zu, und diese können niemals Gegenstände (unserer Erkenntnis) werden. Die Einteilung der Gegenstände, d. h. der erkannten Objekte in Phänomena und Noumena und der Welt in eine Sinnen- und Verstandeswelt (32) kann daher gar nicht zugelassen werden, obgleich Begriffe allerdings die Einteilung in sinnliche (33) und intellektuelle (34) zulassen; denn man kann den letzteren keinen Gegenstand (35) bestimmen (36). Was haben wir dann aber an einem solchen "Noumenon in negativer Bedeutung"? Alles Maß für die Beurteilung der Realität stammt aus der empirischen Anschauung: "Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich." (37) Wir dürfen also von einem Noumenon auf ein Ding schließen, sobald das bisher nur begrifflich Bestimmte eine Korrelatbestimmung durch Empfindung erhält. Das Noumenon der alten Metaphysik ist ein Unding; unser Noumenon kann - mag seinem Begriff bei irgendeinem Wesen eine Anschauung entsprechen oder nicht - jederzeit gedacht werden und es darf ihm auch unter Umständen ein gewisses Maß an Realität zugesprochen werden, es kann aber nie für uns ein Gegenstand werden. Es bleibt jederzeit für uns unbestimmbar und darum auch unerkennbar - aber es ist stets denkbar.
Wir nannten jedes in unserer Erfahrung nur begrifflich Bestimmte ein Noumenon und sahen, daß wir dasselbe nur als etwas überhaupt denken dürfen, daß es der Repräsentant eines Dinges sein kann, aber niemals für uns Gegenstand wird. Noumena als Prepräsentanten von Dingen kann es nun möglicherweise in mehreren Arten geben. Ist z. B. das transzendentale Objekt, das wir kennen gelernt haben, ein solches Noumenon? Dasselbe ist
Ein Noumenon als Repräsentant eines Dings ist trotzdem vorhanden. Beim Zergliedern der Erfahrung waren wir auf ein Aposteriorisches gestoßen, von dem wir einsahen, daß es nicht durch uns allein bestimmt ist. Wir waren an jene Grenze gekommen, wo sich der apriorische Stolz bricht, wo die spontane Tätigkeit des Ichs gewissermaßen die Negation ihrer selbst anzuerkennen gezwungen ist. Wir konnten die Spuren eines nicht von uns Geschaffenen nachweisen, das aus der Form unseres Bewußtseins herauszutreten scheint, das sich uns als ein Transzendentes darstellt und außerdem als Ursache der Empfindung auftritt. Dürfen wir diese Ursache ein Noumenon nennen und das so begrifflich Bestimmte als Repräsentanten eines Dings auffassen? Als Ursache der Empfindung schafft es alle Anschauung ihrem Stoff nach und deshalb ist es selbst nicht anschaulich darstellbar, aber begrifflich ist es doch bestimmt. Es ist ein Ding, an dessen Realität nicht zu zweifeln ist, denn es ist "Maß" gebend für alle Realitätsbestimmungen, weil es die Empfindungen selbst schafft. Es liefert uns Material zu Gegenständen und ist aller Erscheinung gegenüber das Ding-ansich. Da es nur begrifflich bestimmbar ist, auch wenn es ansich völlig bestimmt sein mag, so ist es in der Tat ein Noumenon. Der Begriff erhält seine Korrelatbestimmung durch die Anschauung und wird dadurch zum Gegenstand, jede Anschauung in unserer Erfahrung ist aber sinnlich und weist durch die Empfindung auf ein nur begrifflich Bestimmtes, auf ein Transzendentes, auf das Ding-ansich hin. § 5. Die transzendente Ursache der Empfindung ist ein Noumenon und als solches unerkennbar, nicht aber, wie die alte Metaphysik wollte, als intelligibler Gegenstand gegeben. Die Kritik läßt "Noumena in negativer Bedeutung" bestehen und muß sie sogar annehmen; sie sind denkbar und müssen als völlig bestimmt gedacht, dürfen aber nicht als bestimmbar (im Gebiet unserer Erfahrung) vorausgesetzt werden. Jeder Versuch, sie nach unserer Art zu bestimmen, d. h. ihrem Begriff sinnliche Anschauung hinzuzufügen, verwickelt uns in endlose Streitigkeiten. Diese Formen der Sinnlichkeit sind auf Noumena nicht anwendbar; dieselben würden durch eine solche Bestimmung in den Kreis der Erfahrung gezogen, obwohl sie de facto außerhalb desselben stehen. Darum ist der Begriff eines solchen Noumenon ein Grenzbegriff, der die Ansprüche der Sinnlichkeit abweist. Das Noumenon, welches wir als Ursache der Empfindung einführen mußten, befiehlt uns alle Gegenstände der Erfahrung, welche unter den Gesetzen der Sinnlichkeit stehen, als Erscheinungen aufzufassen. So beruhen dieselben auf der Beziehung jenes Noumenon (45) zu unserem Ich. In diesem Sinne sagt KANT in den Prolegomena:
"Zeit und Raum sind keine den Dingen ansich, sondern nur bloße ihrem Verhältnis zur Sinnlichkeit anhängende Bestimmungen." (46)
"Was wir auch an der Materie kennen, sind lauter Verhältnisse, aber es sind darunter selbständige und beharrliche, dadurch uns ein bestimmter Gegenstand gegeben wird. Daß ich, wenn ich von diesen Verhältnissen abstrahiere, gar nichts weiter zu denken habe, hebt den Begriff von einem Ding als Erscheinung nicht auf, auch nicht den Begriff von einem Gegenstand in abstracto, wohl aber alle Möglichkeit eines solchen, der nach bloßen Begriffen bestimmbar ist, d. h. eines Noumenon." (50)
Diesem gegenständlich gedachten Noumenon, d. h. dem unberechtigterweise produzierten "transzendentalen Objekt" gilt die Polemik, welche man auf das Noumenon selbst bezogen hat. Es ist nichts anderes als das Noumenon der alten Metaphysik, was sich wieder einzuschmuggeln versucht - das Ding-ansich hat KANT stets verteidigt.
Das "transzendentale Objekt", welches wir in der Theorie des Gegenstandes kennen gelernt haben, war der Ausdruck für ein Gesetz - das, was uns eben entgegen getreten ist - ist nur eine Fiktion. Aber diese unberechtigte Schöpfung sucht sich am Gesetzmäßigen zu halten ... beide sind ja schließlich doch ein "Etwas überhaupt". Der naive Realismus, in den wir trotz aller Kritik zurückfallen, begünstigt diese Verschmelzung. Für ihn ist das "Konstruktionsgebilde aus Empfindung" ein Ding, welches in uns Empfindungen hervorruft und, da jedes Ding für ihn ein Gegenstand ist, so ist ihm auch das "Objekt der Fiktion", das sich zwischen Ding und Erscheinung schiebt, dasselbe Ding. Die Sache selbst hat KANT mit großer Klarheit durchdacht, aber der Ausdruck deckt hier nicht immer die Gedanken. Einmal hat KANT das transzendentale Objekt in seiner zweifachen Bedeutung sprachlich nicht auseinander gehalten - eine bewußte oder unbewußte Konzession an den naiven Realismus; andererseits hat er auch später das Ding-ansich, d. h. die transzendente Ursache der Empfindung mit dem Wort "transzendentales Objekt" bezeichnet. Bemerkt muß aber werden, daß ein Noumenon bei KANT zunächst ein "nur begrifflich Bestimmtes" ist und daß deshalb unter diesem Ausdruck nicht bloß das Ding-ansich zu verstehen ist; dieses ist zwar ein Noumenon, aber nicht jedes Noumenon ist ein Ding-ansich. In der zweiten Ausgabe der Kr. r. V. hat KANT das "transzendentale Objekt" als "Korrelatum der Einheit der Apperzeption zur Einheit des Mannigfaltigen in der sinnlichen Anschauung" zurücktreten lassen, ohne der Sache nach etwas zu ändern. Man kann den Ausdruck in der Tat entbehren, welcher nur bezeichnen sollte, daß in einem "Gegenstand" Vorstellungselemente nach allgemeinen und notwendigen Gesetzen vereinigt sind und daß diese Gesetze in einheitlicher Beziehung zum Selbstbewußtsein stehen. Dadurch wurde die Terminologie wesentlich gebessert, denn man hatte das transzendentale Objekt nun nicht mehr in dreifacher Bedeutung, sondern nur als jene Fiktion und als Ding-ansich zu unterscheiden. Diese Schwierigkeit findet sich, wie schon erwähnt, auch bei dem Wort "Gegenstand", das (übrigens mit Objekt gleichbedeutend) bald in seiner eigentlichen Bedeutung als Konstruktionsgebild der Einbildungskraft (53), bald als Ding-ansich aufzufassen ist. Eine Erklärung für diese störende Zweideutigkeit der Bezeichnung, die sicher vorhanden ist, soll nachher versucht werden. § 6. So unermüdlich KANT in seiner Polemik gegen den Begriff, welcher sich zum erkennbaren Ding aufbauschen will, die Waffen der Kritik handhabt, so unermüdlich benutzt er sie auch, um für das unerkennbare Ding, das hinter der Erscheinung steckt, zu streiten. KANT war nur soweit Idealist, als er es sein mußte. So tritt dann auch nach und nach klarer und klarer die Grundansicht der Kr. d. r. V. zutage, die schon in ihrem Eingang - wenn man will - als Hypothese ausgesprochen wird. Es gibt ein "Transzendentes" außerhalb unseres Bewußtseins, auf dessen Verhältnis zu uns die Welt der Erfahrung beruth, welche deshalb mit Recht als Erscheinung bezeichnet werden darf. Mit vollem Bewußtsein nennt also KANT die Gegenstände unserer Erkenntnis, die unsere Erfahrungswelt bilden, Erscheinungen. Ihre Gestaltung ist durch unsere Anschauungs- und Denkgesetze bestimmt, ihr Stoff stammt von jenem unerkennbaren Transzendenten, für das unsere Erfahrungsformen keine Geltung haben können. (54) Weil KANT von Anfang an die Gegenstände der Erfahrung Erscheinungen genannt hatte, durfte er auch sagen (55): Es folgt natürlich aus dem Begriff einer Erscheinung überhaupt, daß ihr etwas entsprechen muß, was ansich nicht Erscheinung ist usw. Hier liegt aber nicht, wie man behauptet hat, eine petitio principii [Es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist. - wp] vor, sondern es heißt:
Man hat oft behauptet, daß KANT das Ding-ansich durch einen Kausalschluß gewonnen hat. Wir sind dem schon durch die ganze Art der Behandlung der strittigen Punkte entgegengetreten. Richtig ist nur, daß KANT dem Ding-ansich in der Tat Kausalität zuschreibt und durch seine Einwirkung auf uns unsere Empfindungen entstehen läßt. Wenn wir nun bedenken, daß KANT verschiedene Arten von Kausalität unterschieden hat und z. B. der aus Notwendigkeit eine solche aus Freiheit entgegensetzte, so werden wir die Kausalbeziehung zwischen dem "Ich" und dem "Ding-ansich" nicht durchaus mit dem Kausalgesetz der Vorstellungen identifizieren dürfen. Wie dem auch sein mag, als Ursache der Erscheinungen hat KANT das Ding-ansich stets aufgefaßt. Neben jener Stelle (59) an welcher er für FICHTE das Programm vorgezeichnet hat, ist besonders der Schluß des vierten Paralogismus bemerkenswert:
So ist der Gedanke ziemlich klar, obwohl ganz bedeutende terminologische Schwierigkeiten vorliegen. Auf letztere Tatsache hat zuerst SCHOPENHAUER in weitgehender Weise hingewiesen; da er aber alles durch das Mediums seiner eigenen Philosophie gesehen hat, so haben seine Erörterungen hier, wo es sich um die Auffassung eines Fremden und nicht um die Produktion von Eigenem handelt, sehr viel Schiefes. (62) COHENs Untersuchungen, welche in vielen Punkten geradezu bahnbrechend sind, lassen die Lehre vom Ding-ansich meiner Ansicht nach nicht im richtigen Licht erscheinen und können deshalb den Pfad des Gedankens im Irrgarten der Terminologie für dieses Gebiet nicht anzeigen. Mit einigem Recht behauptet LEHMANN (63), daß FISCHER und COHEN "die metaphysischen Grundgedanken des Philosophen ganz eigentlich im Berkeleyanismus stecken lassen", was natürlich sehr berechtigt wäre, wenn es dem Tatbestand entspräche. Meiner Ansicht nach ist nun BERKELEY wirklich ganz anders aufzufassen, als ihn KANT aufgefaßt hat; zwischen dem wahren Geist seiner Schriften und dem der kantischen Arbeiten lassen sich in der Tat viele Berührungspunkt auffinden (64). Gleichwohl besteht hier - wie mir zumindest deucht - eine Differenz zwischen KANT und seinen Auslegern, und diese läßt die terminologischen Fragen, soweit es sich um die Lehre vom Ding-ansich handelt, zu keiner Erledigung kommen. Mit großer Klarheit hat EDUARD von HARTMANN (65) im Anschluß an SCHOPENHAUER eine genaue Terminologie für die fragliche Lehre festgestellt, aber er hat dabei in diesem Gebiet außerdem KANT besser verstanden als sein Vorgänger. Trotzdem ist auch hier einiges zu erinnern. So kommt z. B. die KANT eigentümliche Bedeutung der "Transzendentalen", welche in der bekannten Anmerkung (66) ausgesprochen wird und von COHEN so aufgefaßt worden ist, hier nicht zur Geltung. Außerdem findet sich bei ihm die Identifizierung von Ding-ansich und transzendentalem Objekt ohne die notwendige Einschränkung, welche die Mehrdeutigkeit des letzteren fordert. Das "transzendentale Objekt" und das "transzendentale Subjekt", d. h. die Vorstellungsrepräsentanten des Transzendenten, welche dessen Rolle spielen und doch dabei Gegenstände der Erkenntnis sein wollen, diese Fiktionen des entthronten Verstandes der alten Metaphysik vernichtet KANT allerdings und gerade seine Paralogismenlehre der ersten Auflage, ein Glanzpunkt des Ganzen, zeigt nebeneinander die Bekämpfung jener Noumena in positiver Bedeutung und die Verteidigung des Dings-ansich als Ursache der Erscheinung. Daß KANT selbst in der Empfindung die Brücke zum Transzendenten, aber nicht zu einem irgendwie erkennbaren, gefunden hat, weil hier der apriorische Stolz scheitert, weil hier der Gedanke gezwungen wird, die Negation seiner Selbst anzuerkennen, und daß dies mit seiner Lehre vom Gegenstand wohl vereinbar ist, behaupte ich gegen EDUARD von HARTMANN. Wenn ich dabei Gelegenheit nehme, wie ich es schon an einem anderen Ort getan habe, die fruchtbaren Anregungen, welche alle Schriften von HARTMANNs hervorrufen, dankbar anzuerkennen, so muß ich doch andererseits mit aller Schärfe das Resultat der kantischen Arbeiten betonen. Mit Recht sagt WINDELBAND (67):
Worin nun aber die Schwankungen der Terminologie bei KANT ihren Grund haben, das hat von HARTMANN mit großer Klarheit in den Worten niedergelegt:
In der Ästhetik und im Eingang der Analytik, wo die neue Lehre noch nicht vorgetragen ist, hat das seine volle Berechtigung, später leidet allerdings die terminologische Schärfe darunter, daß jenes Etwas, das nie für uns Gegenstand werden kann, doch des öfteren so genannt wird. Es wäre eine dankenswerte Aufgabe namentlich im ersten Teil der Kr. d. r. V. und in der Lehre von den Noumena für jede Stelle die strenge Bedeutung in kurzer Begründung anzugeben. So scheinen jene Schwankungen, die man nicht wegleugnen kann, nur allzu entschuldbar, zumal KANT selbst auf einzelne derselben aufmerksam macht (69). Erklärlich sind dieselben jedenfalls, zumal wenn man die Geschichte der Entstehung der Kr. d. r. V. berücksichtigt und außerdem bedenkt, daß KANT nach der mühevollen Arbeit eines Dezenniums bekennt, daß "bei längerem Aufschub das Werk vermutlich ganz unterblieben wäre." Ich behaupte, daß in der Kr. d. r. V. trotz aller terminologischen Schwankungen die Einheit des Gedankens gewahrt ist. Es kommt im Wesentlichen auf die Stellung der Einbildungskraft an, die das produktive synthetische Element unseres Geistes darstellt und frei tätig nach den Gesetzen des Verstandes aus dem Material der Sinnlichkeit die Gegenstände der Erfahrung schafft. ![]()
1) Zeller, Geschichte der deutschen Philosophie seit Leibniz, Seite 345. 2) Zeller, a. a. O., Seite 345. 3) Paulsen, Versuch einer Entwicklungsgeschichte der kantischen Erkenntnistheorie, Seite 189 4) vgl. Kants "Prolegomena, § 13, Anm. II 5) Kr. d. r. V., Seite 80 6) Kr. d. r. V., Seite 80 7) Zeller, a. a. O., Seite 345 8) Kr. d. r. V., Seite 197 9) Kr. d. r. V., Seite 680 10) Kr. d. r. V., Seite 191 11) Kr. d. r. V., Seite 155 12) vgl. die Betrachung bei Riehl, Philosophischer Kritizismus 13) Kr. d. r. V., Seite 133 14) Kr. d. r. V., Seite 100f 15) vgl. Kr. d. r. V., Seite 134f 16) Kr. d. r. V., Seite 134 17) Kr. d. r. V., Seite 71 18) Fichte, Zweite Einleitung in die Wissenschaftlehre 19) Kr. d. r. V., Seite 711 20) vgl. in dieser Abhandlung: A § 1. 21) Schopenhauer, Parerga und Paralipomena I. Früher stimmte er mit Schulze überein. 22) Riehl, a. a. O. I, Seite 429. 23) Leider hat Kant dieses öfters einen Gegenstand genannt. 24) Kr. d. r. V., Seite 263 25) Kr. d. r. V., Seite 257 26) Kr. d. r. V., Seite 100 27) Kr. d. r. V., Seite 257 28) Kr. d. r. V., Seite 266 29) Kr. d. r. V., Seite 669 30) Kr. d. r. V., Seite 264 31) Paulsen, Versuch etc. a. a. O., Seite 83 und Einleitung. 32) als Inbegriff aller Phänomena und Noumena 33) d. h. empirische 34) d. h. reine 35) weil dem Begriff in unserer Erfahrung keine Anschauung entspricht. 36) Kr. d. r. V., Seite 264. Man betone in der ersten Zeile das Wort "Gegenstände". Vgl. dagegen Windelband, Verschiedene Phasen etc. a. a. O., Seite 255. 37) Kr. d. r. V., Seite 230 38) weil sie zugleich als ein intellektuell Anschauliches gegeben sein müßten, während sie doch ein sinnlich anschauliches Korrelat fordern. 39) möglich und denkbar ist bei Kant nicht dasselbe. Zur Möglichkeit gehört stets ein anschauliches Korrelat. 40) der durch anschauliche Kategorien erkannt werden müßte 41) im Sinne der alten Metaphysik 42) Kr. d. r. V., Seite 286 und 287. Es bleibt wenigstens von Seite der Begriffsspekulation unbestimmt. 43) Kr. d. r. V., Seite 260 44) Kr. d. r. V., Seite 261. 45) Daß Kant bald vom Ding-ansich bald von mehreren Dingen ansich spricht, ist bedeutungslos, da der sprachliche Ausdruck für jenes Gebiet doch nur figürliche Bedeutung haben kann. 46) Prolegomena, § 37 und 34. 47) Kr. d. r. V., Seite 285 48) Kr. d. r. V., Seite 707 49) Kr. d. r. V., Seite 91 50) Kr. d. r. V., Seite 284 und 285. Hier ist Noumenon im Sinne der alten Metaphysik zu nehmen. 51) Kr. d. r. V., Seite 410 52) Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, Seite 252. 53) oder auch nur als Material zu einem solchen 54) Prolegomena, § 41. 55) Kr. d. r. V., Seite 260. Man betone "Begriff". 56) Kr. d. r. V., Seite 260 57) Kr. d. r. V., Seite 703 58) Paulsen, Versuch etc. a. a. O., Seite 182f. Auch Benno Erdmann, "Kants Kritik in der zweiten Auflage". 59) Kr. d. r. V., Seite 689 60) Hier müßte stehen: Das transzendente Ding. 61) Kr. d. r. V., Seite 712. Statt Gegenstand müßte hier Ding stehen. 62) Vgl. Cohens "Kants Theorie der Erfahrung", Seite 165f. 63) Otto Lehmann, Über Kants Prinzipien der Ethik und Schopenhauers Beurteilung derselben, Dissertation, Göttingen 1880. Ich verdanke derselben manche Anregung. 64) vgl. z. B. Robert Zimmermann, Über Humes Stellung zu Berkeley und Kant, Sitzungsbericht der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften (Philosophisch-historische Klasse), Wien 1883 65) Eduard von Hartmann, Kritische Grundlegung des transzendentalen Realismus, Einleitung. 66) Kr. d. r. V., Seite 104 67) Kr. d. r. V., Seite 261 68) von Hartmann, a. a. O., Seite XVII. 69) a. a. O., Seite XVII. |