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GOTTLOB BENJAMIN JÄSCHE
Immanuel Kants Logik
[2/2]

"Die Idee der Menschheit, die Idee einer vollkommenen Republik, eines glückseligen Lebens und dgl. mehr fehlt den meisten Menschen. - Viele Menschen haben keine Ahnung von dem, was sie wollen, daher verfahren sie nach Instinkt und Autorität."

"Die Logik hat nur von praktischen Sätzen der Form nach, die insofern den theoretischen entgegengesetzt sind, zu handeln. Praktische Sätze dem Inhalt nach, und insofern von den spekulativen unterschieden, gehören in die Moral."

"Ein Urteil aus bloßen Wahrnehmungen ist nicht wohl möglich als nur dadurch, daß ich meine Vorstellung, als Wahrnehmung, aussage: ich, der ich einen Turm wahrnehme, nehme an ihm die rote Farbe wahr. Ich kann aber nicht sagen: er ist rot."

I. Allgemeine Elementarlehre

Erster Abschnitt
Von den Begriffen

§ 1. Begriff überhaupt und dessen
Unterschied von der Anschauung.
Alle Erkenntnisse, das heißt: alle mit Bewußtsein auf ein Objekt bezogene Vorstellungen sind entweder Anschauungen oder Begriffe. - Die Anschauung ist eine einzelne Vorstellung (repraesentatio singularis), der Begriff eine allgemeine (repraesentatio per notas communes) oder reflektierte Vorstellung (repraesentatio discursiva).

Die Erkenntnisse durch Begriffe heißt das Denken (cognitio discursiva).
    Anmerkung:
    1. Der Begriff ist der Anschauung entgegengesetzt; denn er ist eine allgemeine Vorstellung oder eine Vorstellung dessen, was mehreren Objekten gemein ist, also eine Vorstellung, sofern sie in verschiedenen enthalten sein kann.

    2. Es ist eine bloße Tautologie, von allgemeinen oder gemeinsamen Begriffen zu reden; - ein Fehler, der sich auf eine unrichtige Einteilung der Begriffe in allgemeine, besondere und einzelne gründet. Nicht die Begriffe selbst, - nur ihr Gebrauch kann so eingeteilt werden.

§ 2. Materie und Form
der Begriffe
An jedem Begriff ist Materie und Form zu unterscheiden. - Die Materie der Begriffe ist der Gegenstand, die Form derselben die Allgemeinheit.

§ 3. Empirischer und
reiner Begriff
Der Begriff ist entweder ein empirischer oder ein reiner Begriff (vel empiricus vel intellectualis). - Ein reiner Begriff ist ein solcher, der nicht von der Erfahrung abgezogen ist, sondern auch dem Inhalt nach aus dem Verstand entspringt.

Die Idee ist ein Vernunftbegriff, deren Gegenstand gar nicht in der Erfahrung angetroffen werden kann.
    Anmerkung:
    1. Der empirische Begriff entspringt aus den Sinnen durch die Vergleichung der Gegenstände der Erfahrung und erhält durch den Verstand bloß die Form der Allgemeinheit. - Die Realität dieser Begriffe beruth auf der wirklichen Erfahrung, woraus sie, ihrem Inhalt nach, geschöpft sind. - Ob es aber reine Verstandesbegriffe (conceptus puri) gibt, die, als solche, unabhängig von aller Erfahrung lediglich aus dem Verstand entspringen, muß die Metaphysik untersuchen.

    2. Die Vernunftbegriffe oder Ideen können gar nicht auf wirkliche Gegenstände führen, weil diese alle in einer möglichen Erfahrung enthalten sein müssen. Aber sie dienen doch dazu, durch Vernunft, in Anbetracht der Erfahrung und des Gebrauchs der Regel derselben in der größten Vollkommenheit, den Verstand zu leiten oder auch zu zeigen, daß nicht alle möglichen Dinge Gegenstände der Erfahrung sind, und daß die Prinzipien der Möglichkeit der Letzteren nicht von den Dingen-ansich, auch nicht von Objekten der Erfahrung, als Dingen-ansich gelten.
Die Idee enthält das Urbild des Gebrauchs des Verstandes, z. B. die Idee vom Weltganzen, welche notwendig sein muß, nicht als konstitutives Prinzip zum empirischen Verstandesgebrauch, sondern nur als regulatives Prinzip zum Zweck des durchgängigen Zusammenhangs unseres empirischen Verstandesgebrauchs. Sie ist also als ein notwendiger Grundbegriff anzusehen, um die Verstandeshandlungen der Subordination entweder objektiv zu vollenden oder als unbegrenzt anzusehen. - Auch läßt sich die Idee nicht durch Zusammensetzung erhalten; denn das Ganze ist hier eher als der Teil. Indessen gibt es doch Ideen, zu denen eine Annäherung stattfindet. Dieses ist der Fall mit den mathematischen, oder den Ideen der mathematischen Erzeugung eines Ganzen, die sich wesentlich von den dynamischen unterscheiden, welche allen konkreten Begriffen gänzlich heterogen sind, weil das Ganze nicht der Größe (wie bei den mathematischen), sondern der Art nach von den konkreten Begriffen verschieden ist. -

Man kann keiner theoretischen Idee objektive Realität verschaffen oder dieselbe beweisen, als nur der Idee von der Freiheit; und zwar weil diese die Bedingung des moralischen Gesetzes ist, dessen Realität ein Axiom ist. - Die Realität der Idee von Gott kann nur durch diese und also nur in praktischer Absicht, d. h. so zu handeln, als ob ein Gott sei, - also nur für diese Absicht bewiesen werden.

In allen Wissenschaften, vornehmlich denen der Vernunft, ist die Idee der Wissenschaft der allgemeine Abriß oder Umriß derselben; also der Umfang aller Kenntnisse, die zu ihr gehören. Eine solche Idee des Ganzen, - das Erste, worauf man bei einer Wissenschaft zu sehen und was man zu suchen hat, ist architektonisch [den Aufbau betreffend - wp], wie z. B. die Idee der Rechtswissenschaft.

Die Idee der Menschheit, die Idee einer vollkommenen Republik, eines glückseligen Lebens und dgl. mehr fehlt den meisten Menschen. - Viele Menschen haben keine Ahnung von dem, was sie wollen, daher verfahren sie nach Instinkt und Autorität.

§ 4. Gegebene (a priori oder a
posteriori) und gemachte Begriffe.
Alle Begriffe sind der Materie nach entweder gegebene (conceptus dati) oder gemachte (conceptus factitii). - Die Ersteren sind entweder a priori ode a posteriori gegeben.

Alle empirisch oder a posteriori gegebenen Begriffe heißen Erfahrungsbegriffe, a priori gegebene Notionen.
    Anmerkung: Die Form eines Begriffs, als einer diskursiven Vorstellung, ist jederzeit gemacht.

§ 5. Logischer Ursprung
der Begriffe
Der Ursprung der Begriffe der bloßen Form nach beruth auf Reflexion und auf Abstraktion vom Unterschied der Dinge, die durch eine gewisse Vorstellung bezeichnet sind. Und es entsteht also hier die Frage: welche Handlungen des Verstandes einen Begriff ausmachen oder - was dasselbe ist - zur Erzeugung eines Begriffs aus gegebenen Vorstellungen gehören.
    Anmerkung:
    1. Da die allgemeine Logik von allem Inhalt der Erkenntnis durch Begriffe oder von aller Materie des Denkens abstrahiert, so kann sie den Begriff nur in Rücksicht seiner Form, d. h. nur subjektivisch erwägen; nicht wie er durch ein Objekt bestimmt, sondern nur, wie er auf mehrere Objekte kann bezogen werden. - Die allgemeine Logik hat also nicht die Quelle der Begriffe zu untersuchen; nicht wie Begriffe als Vorstellungen entspringen, sondern lediglich, wie gegebene Vorstellungen im Denken zu Begriffen werden; diese Begriffe mögen übrigens etwas enthalten, was von der Erfahrung hergenommen ist, oder auch etwas Erdichtetes oder von der Natur des Verstandes Entlehntes. - Dieser logische Ursprung der Begriffe - der Ursprung ihrer bloßen Form nach - besteht in der Reflexion, wodurch eine mehreren Objekten gemeine Vorstellung (conceptus communis) entsteht, als diejenige Form, die zur Urteilskraft erfordert wird. Also wird in der Logik bloß der Unterschied der Reflexion an den Begriffen betrachtet.

    2. Der Ursprung der Begriffe in Anbetracht ihrer Materie, nach welcher ein Begriff entweder empirisch, oder willkürlich, oder intellektuell ist, wird in der Metaphysik erwogen.

§ 6. Logische Aktus der Komparation,
Reflexion und Abstraktion.
Die logischen Verstandes-Aktus, wodurch Begriffe ihrer Form nach erzeugt werden, sind:
    1) die Komparation, d. h. die Vergleichung der Vorstellungen untereinander im Verhältnis der Einheit des Bewußtseins;

    2) die Reflexion, d. h. die Überlegung, wie verschiedene Vorstellungen in einem Bewußtsein begriffen sein können; und endlich 3) die Abstraktion oder die Absonderung alles Übrigen, worin die gegebenen Vorstellungen sich unterscheiden.

    Anmerkung:
    1. Um aus Vorstellungen Begriffe zu machen, muß man also komparieren, reflektieren und abstrahieren können; denn diese drei logischen Operationen des Verstandes sind die wesentlichen und allgemeinen Bedingungen zur Erzeugung eines jeden Begriffs überhaupt. - Ich sehe z. B. eine Fichte, eine Weide und eine Linde. Indem ich diese Gegenstände zuvörderst untereinander vergleiche, bemerke ich, daß sie voneinander verschieden sind in Anbetracht des Stammes, der Äste, der Blätter und dgl. mehr; nun reflektiere ich aber hiernächst nur auf das, was sie unter sich gemein haben und abstrahier von der Größe, der Figur derselben usw.; so bekomme ich einen Begriff vom Baum.

    2. Man gebraucht in der Logik den Ausdruck Abstraktion nicht immer richtig. Wir müssen nicht sagen: etwas abstrahieren (abstrahere aliquid), sondern von etwas abstrahieren (abstrahere ab aliquo). Wenn ich z. B. bei einem Scharlachtuch nur die rote Farbe denke, so abstrahiere ich vom Tuch; abstrahiere ich auch von diesem und denke mir den Scharlach als einen materiellen Stoff überhaupt, so abstrahiere ich von noch mehreren Bestimmungen, und mein Begriff ist dadurch noch abstrakter geworden. Denn je mehrere Unterschiede der Dinge aus einem Begriff weggelassen sind oder von je mehreren Bestimmungen in demselben abstrahiert wurde, desto abstrakter ist der Begriff. Abstrakte Begriffe sollte man daher eigentlich abstrahierende (conceptus abstrahentes) nennen, d. h. solche, in denen mehrere Abstraktionen vorkommen. So ist z. B. der Begriff Körper eigentlich kein abstrakter Begriff; denn vom Körper selbst kann ich ja nicht abstrahieren, ich würde sonst nicht den Begriff von ihm haben. Aber wohl muß ich von der Größe, der Farbe, der Härte oder Flüssigkeit, kurz: von allen speziellen Bestimmungen besonderer Körper abstrahieren. - Der abstrakteste Begriff ist der, welcher mit keinem von ihm verschiedenen etwas gemein hat. Dieses ist der Begriff von Etwas; denn das von ihm Verschiedene ist Nichts, und hat also mit dem Etwas nichts gemein.

    3. Die Abstraktion ist nur die negative Bedingung, unter welcher allgemeingültige Vorstellungen erzeugt werden können; die positive ist die Komparation und Reflexion. Denn durchs Abstrahieren wird kein Begriff; - die Abstraktion vollendet ihn nur und schließt ihn in seine bestimmten Grenzen ein.

§ 7. Inhalt und Umfang
der Begriffe.
Ein jeder Begriff, als Teilbegriff ist in der Vorstellung der Dinge enthalten; als Erkenntnisgrund, d. h. als Merkmal sind diese Dinge unter ihm enthalten. - In der ersten Rücksicht hat jeder Begriff einen Inhalt; in der anderen einen Umfang.

Inhalt und Umfang eines Begriffs stehen gegeneinander im umgekehrten Verhältnis. Je mehr nämlich ein Begriff unter sich enthält, desto weniger enthält er in sich und umgekehrt.
    Anmerkung: Die Allgemeinheit oder Allgemeingültigkeit des Begriffs beruth nicht darauf, daß der Begriff ein Teilbegriff, sondern daß er ein Erkenntnisgrund ist.

§ 8. Größe und Umfang
der Begriffe.
Der Umfang oder die Sphäre eines Begriffs ist umso größer, je mehr Dinge unter ihm stehen und durch ihn gedacht werden können.
    Anmerkung: So wie man von einem Grund überhaupt sagt, daß er die Folge unter sich enthält, so kann man auch vom Begriff sagen, daß er als Erkenntnisgrund alle diejenigen Dinge unter sich enthält, von denen er abstrahiert worden ist, z. B. der Begriff Metall, das Gold, Silber, Kupfer usw. - Denn da jeder Begriff, als eine allgemeingültige Vorstellung, dasjenige enthält, was mehreren Vorstellungen von verschiedenen Dingen gemein ist, so können alle diese Dinge, die insofern unter ihm enthalten sind, durch ihn vorgestellt werden. Und eben dies macht die Brauchbarkeit3 eines Begriffs aus. Je mehr Dinge nun durch einen Begriff können vorgestellt werden, desto größer ist die Sphäre desselben. So hat z. B. der Begriff Körper einen größeren Umfang als der Begriff Metall.

§ 9. Höhere und niedere Begriffe
Begriffe heißen höhere (conceptus superiores), sofern sie andere Begriffe unter sich haben, die im Verhältnis zu ihnen niedere Begriffe genannt werden. - Ein Merkmal vom Merkmal - ein entferntes Merkmal - ist ein höherer Begriff; der Begriff in Beziehung auf ein entferntes Merkmal ein niederer.
    Anmerkung: Da höhere und niedere Begriffe nur beziehungsweise (respective) so heißen, so kann also ein und derselbe Begriff in verschiedenen Beziehungen zugleich ein höherer und ein niederer sein. So ist z. B. der Begriff Mensch in Beziehung auf den Begriff Pferd ein höherer, in Beziehung auf den Begriff Tier aber ein niederer.

§ 10. Gattung und Art.
Der höhere Begriff heißt in Rücksicht seines niederen Gattung (genus), der niedere Begriff in Anbetracht seines höheren Art (species).

So wie höhere und niedere, so sind auch Gattungs- und Art-Begriffe nicht ihrer Natur nach, sondern nur in Anbetracht ihres Verhältnisses zueinander (termini a quo oder ad quod) in der logischen Suordination unterschieden.

§ 11. Höchste Gattung und
niedrigste Art.
Die höchste Gattung ist die, welche keine Art ist (genus summum non est species), so wie die niedrigste Art die, welche keine Gattung ist (species, quae non est genus, est infima). -

Dem Gesetz der Stetigkeit zufolge kann es indessen weder eine niedrigste noch eine nächste Art geben.
    Anmerkung: Denken wir uns eine Reihe von mehreren einander subordinierten Begriffen, z. B. Eisen, Metall, Körper, Substanz, Ding, so können wir hier immer höhere Gattungen erhalten; - denn eine jede Species ist immer zugleich als Genus zu betrachten in Anbetracht ihres niederen Begriffs, z. B. der Begriff Gelehrter in Anbetracht des Begriffs Philosoph, - bis wir endlich auf ein Genus kommen, das nicht wieder Species sein kann. Und zu einem solchen müssen wir zuletzt gelangen, weil es doch am Ende einen höchsten Begriff (conceptum summum) geben muß, von dem sich, als solchem, nichts weiter abstrahieren läßt, ohne daß der ganze Begriff verschwindet. - Aber einen niedrigsten Begriff (conceptus infimum) oder eine niedrigste Art, worunter kein anderer mehr enthalten wäre, gibt es in der Reihe der Arten und Gattungen nicht, weil ein solcher sich unmöglich bestimmen läßt. Denn haben wir auch einen Begriff, den wir unmittelbar auf Individuen anwenden, so können in Anbetracht desselben doch noch spezifische Unterschiede vorhanden sein, die wir entweder nicht bemerken, oder die wir außer Acht lassen. Nur komparativ für den Gebrauch gibt es niedrigste Begriffe, die gleichsam durch Konvention diese Bedeutung erhalten haben, sofern man übereingekommen ist, hierbei nicht tiefer zu gehen.

    In Absicht auf die Bestimmung der Art- und Gattungsbegriffe gilt also Folgendes allgemeine Gesetz: es gibt ein Genus, das nicht mehr Species sein kann; aber es gibt keine Species, die nicht wieder sollte Genus sein können.

§ 12. Weiterer und engerer Begriff.
Wechselbegriffe.
Der höhere Begriff heißt auch ein weiterer, der niedere ein engerer Begriff.

Begriffe, die einerlei Sphäre haben, werden Wechselbegriffe (conceptus reciproca) genannt.

§ 13. Verhältnis vom niederen zum höheren, -
des weiteren zum engeren Begriff.
Der niedere Begriff ist nicht in dem höheren enthalten; denn er enthält mehr in sich als der höhere; aber er ist doch unter demselben enthalten, weil der höhere den Erkenntnisgrund des niederen enthält.

Ferner ist ein Begriff nicht weiter als der andere, darum weil er mehr unter sich enthält, - denn das kann man nicht wissen, - sondern sofern er den anderen Begriff und außer demselben noch mehr unter sich enthält.

§ 14. Allgemeine Regeln in Absicht
auf die Subordination der Begriffe.
In Anbegracht des logischen Umfangs der Begriffe gelten folgende allgemeine Regeln:
    1) was den höheren Begriffen zukommt oder widerspricht, das kommt auch zu oder widerspricht allen niedrigeren Begriffen, die unter jenen höheren enthalten sind; und

    2) umgekehrt: was allen niedrigeren Begriffen zukommt oder widerspricht, das kommt auch zu oder widerspricht ihrem höheren Begriff.

    Anmerkung: Weil das, worin Dinge übereinkommen, aus ihren allgemeinen Eigenschaften und das, worin sie voneinander verschieden sind, aus ihren besonderen Eigenschaften herfließt; so kann man nicht schließen; was einem niedrigeren Begriff zukommt oder widerspricht, das kommt auch zu oder widerspricht anderen niedrigeren Begriffen, die mit jenem zu einem höheren Begriff gehören. So kann man z. B. nicht schließen: was dem Menschen nicht zukommt, das kommt auch den Engeln nicht zu.

§ 15. Bedingungen der Entstehung höherer
und niederer Begriffe: logische Abstraktion
und logische Determination.
Durch fortgesetzte logische Abstraktion entstehen immer höhere; so wie dagegen durch fortgesetzte logische Determination immer niedrigere Begriffe. - Die größte mögliche Abstraktion gibt den höchsten oder abstraktesten Begriff, - den, von dem sich keine Bestimmung weiter wegdenken läßt. Die höchste vollendete Determination würde einen durchgängig bestimmten Begriff (conceptum omnimode determinatum) d. h. einen solchen geben, zu dem sich keine weitere Bestimmung mehr hinzudenken läßt.
    Anmerkung: Da nur einzelne Dinge oder Individuen durchgängig bestimmt sind, so kann es auch nur durchgängig bestimmte Erkenntnisse als Anschauungen, nicht aber als Begriffe geben; in Anbetracht der Letzteren kann die logische Bestimmung nie als vollendet angesehen werden. (§ 11 Anm.)

§ 16. Gebrauch der Begriffe
in abstracto und in concreto.
Ein jeder Begriff kann allgemein und besonders (in abstracto und in concreto) gebraucht werden. - In abstracto wird der niedere Begriff in Anbetracht seines höheren, in concreto der höhere Begriff in Anbetracht seines niederen gebraucht.
    Anmerkung:
    1. Die Ausdrücke des Abstrakten und Konkreten beziehen sich also nicht sowohl auf die Begriff ansich, - denn jeder Begriff ist ein abstrakter Begriff, - als vielmehr nur auf ihren Gebrauch. Und dieser Gebrauch kann hinwiederum verschiedene Grade haben; - je nachdem man einen Begriff bald mehr, bald weniger abstrakt oder konkret behandelt, d. h. bald mehr, bald weniger Bestimmungen entweder wegläßt oder hinzusetzt. - Durch den abstrakten Gebrauch kommt ein Begriff der höchsten Gattung, durch den konkreten Gebrauch dagegen dem Individuum näher.

    2. Welcher Gebrauch der Begriffe, der abstrakte oder der konkrete, hat vor dem anderen einen Vorzug? - Hierüber läßt sich nichts entscheiden. Der Wert des Einen ist nicht geringer zu schätzen als der Wert des Anderen. - Durch sehr abstrakte Begriffe erkennen wir an vielen Dingen wenig; durch sehr konkrete Begriffe erkennen wir an wenigen Dingen viel; - was wir also auf der einen Seite gewinnen, das verlieren wird wieder auf der anderen. - Ein Begriff, der eine große Sphäre hat, ist insofern sehr brauchbar, als man ihn auf viele Dinge anwenden kann; aber es ist auch dafür umso weniger in ihm enthalten. Im Begriff der Substanz denke ich z. B. nicht so viel als im Begriff Kreide.

    3. Das Verhältnis zu treffen zwischen der Vorstellung in abstracto und in concreto in derselben Erkenntnis, also der Begriffe und ihrer Darstellung, wodurch das Maximum der Erkenntnis sowohl dem Umfang als auch dem Inhalt nach erreicht wird, darin besteht die Kunst der Popularität.

Zweiter Abschnitt
Von den Urteilen

§ 17. Erklärung eines Urteils überhaupt.
Ein Urteil ist die Vorstellung der Einheit des Bewußtseins verschiedener Vorstellungen, oder die Vorstellung des Verhältnisses derselben, sofern sie einen Begriff ausmachen.

§ 18. Materie und Form
der Urteile
Zu jedem Urteil gehören, als wesentliche Bestandteile desselben, Materie und Form. - In den gegebenen, zur Einheit des Bewußtseins im Urteil verbundenen Erkenntnissen besteht die Materie; in der Bestimmung der Art und Weise, wie die verschiedenen Vorstellungen, als solche, zu einem Bewußtsein gehören, die Form des Urteils.

§ 19. Gegenstand der logischen Reflexion -
die bloße Form der Urteile.
Da die Logik von allem realen oder objektiven Unterschied einer Erkenntnis abstrahiert, so kann sie sich mit der Materie der Urteile so wenig als mit dem Inhalt der Begriffe beschäftigen.

§ 20. Logische Formen der Urteile:
Quantität, Qualität, Relation und
Modalität.
Die Unterschiede der Urteile in Rücksicht auf ihre Form lassen sich auf die vier Hauptmomente der Quantität, Qualität, Relation und Modalität zurückführen, in Anbetracht deren ebenso viele verschiedene Art von Urteilen bestimmt sind.

§ 21. Quantität der Urteile:
allgemeine, besondere, einzelne.
Der Quantität nach sind die Urteile entweder allgemeine oder besondere oder einzelne, je nachdem das Subjekt im Urteil entweder ganz von der Notion des Prädikats ein- oder ausgeschlossen oder davon zum Teil nur ein-, zum Teil ausgeschlossen ist. Im allgemeinen Urteil wird die Sphäre eines Begriffs ganz innerhalb der Sphäre eines anderen beschlossen; im partikularen wird ein Teil des ersteren unter die Sphäre des anderen; und im einzelnen Urteil endlich wird ein Begriff, der gar keine Sphäre hat, folglich bloß als Teil unter die Sphäre eines anderen beschlossen. Anmerkung:
1. Die einzelnen Urteile sind der logischen Form nach im Gebrauch den allgemeinen gleich zu schätzen; denn bei beiden gilt das Prädikat vom Subjekt ohne Ausnahme. Im einzelnen Satz z. B.: Cajus ist sterblich, kann auch so wenig eine Ausnahme stattfinden, als im allgemeinen: alle Menschen sind sterblich. Denn es gibt nur einen Cajus.

2. In Absicht auf die Allgemeinheit einer Erkenntnis findet ein realer Unterschied statt zwischen generalen und universalen Sätzen, der aber freilich die Logik nichts angeht. Generale Sätze nämlich sind solche, die bloß etwas vom Allgemeinen gewisser Gegenstände und folglich nicht hinreichende Bedingungen der Subsumtion enthalten, z. B. der Satz: man muß die Beweise gründlich machen; - universale Sätze sind die, welche von einem Gegenstand etwas allgemein behaupten.

3. Allgemeine Regelnn sind entweder analytisch oder synthetisch allgemein. Jene abstrahieren von den Verschiedenheiten; diese attendieren auf die Unterschiede und bestimmen folglich doch auch in Anbetracht ihrer. - Je einfacher ein Objekt gedacht wird, desto eher ist analytische Allgemeinheit infolge eines Begriffs möglich.

4. Wenn allgemeine Sätze, ohne sie in concreto zu kennen, in ihrer Allgemeinheit nicht können eingesehen werden, so können sie nicht zur Richtschnur dienen und also nicht heuristisch in der Anwendung gelten, sondern sind nur Aufgaben zur Untersuchung der allgemeinen Gründe zu dem, was in besonderen Fällen zuerst bekannt geworden ist. Der Satz z. B.: wer kein Interesse hat zu lügen und die Wahrheit weiß, der spricht Wahrheit, - dieser Satz ist in seiner Allgemeinheit nicht einzusehen, weil wir die Einschränkung auf die Bedingung des Uninteressierten nur durch Erfahrung kennen; nämlich daß Menschen aus Interesse lügen können, welches daher kommt, daß sie nicht fest an der Moralität hängen. Eine Beobachtung, die uns die Schwäche der menschlichen Natur kennen lehrt.

5. Von den besonderen Urteilen ist zu merken, daß, wenn sie durch die Vernunft sollen können eingesehen werden und also eine rationale, nicht bloß intellektuale (abstrahierte) Form haben, so muß das Subjekt ein weiterer Begriff (conceptus latior) als das Prädikat sein. - Es sei das Prädikat jeder das Subjekt , so ist


ein besonderes Urteil; denn Einiges unter a Gehörige ist b, Einiges nicht b, - das folgt aus der Vernunft. - Aber es sei


so kann zum wenigsten Alles a unter b enthalten sein, wenn es kleiner ist, aber nicht, wenn es größer ist; also ist es nur zufälligerweise partikular.

§ 22. Qualität der Urteile:
bejahende, verneinende, unendliche.
Der Qualität nach sind die Urteile entweder bejahende oder verneinende oder unendliche. - Im bejahenden Urteil wird das Subjekt unter der Sphäre eines Prädikats gedacht, im verneinenden wird es außerhalb der Sphäre des letzteren gesetzt, und im unendlichen wird es in die Sphäre eines Begriffs, die außerhalb der Sphäre eines anderen liegt, gesetzt.
    Anmerkung:
    1. Das unendliche Urteil zeigt nicht bloß an, daß ein Subjekt unter der Sphäre eines Prädikats nicht enthalten ist, sondern daß es außerhalb der Sphäre desselben in der unendlichen Sphäre irgendwo liegt; folglich stellt dieses Urteil die Sphäre des Prädikats als beschränkt vor. -

    Alles Mögliche ist entweder A oder non A. Sage ich also: etwas ist non A, z. B. die menschliche Seele ist nicht sterblich, einige Menschen sind Nichtgelehrte und dgl. mehr; so ist dies ein unendliches Urteil. Denn es wird durch dasselbe über die endliche Sphäre A hinaus nicht bestimmt, unter welchen Begriff das Objekt gehört; sondern lediglich, daß es in die Sphäre außerhalb von A gehört, welches eigentlich gar keine Sphäre ist, sondern nur die Angrenzung einer Sphäre an das Unendliche oder die Begrenzung selbst. - Obgleich nun die Ausschließung eine Negation ist, so ist doch die Beschränkung eines Begriffs eine positive Handlung. Daher sind Grenzen positive Begriffe beschränkter Gegenstände.

    2. Nach dem Prinzipium der Ausschließung jedes Dritten (exclusi tertii) ist die Sphäre eines Begriffs relativ auf eine andere entweder ausschließend oder einschließend. - Da nun die Logik bloß mit der Form des Urteils, nicht mit den Begriffen ihrem Inhalt nach zu tun hat, so ist die Unterscheidung der unendlichen von den negativen Urteilen nicht zu dieser Wissenschaft gehörig.

    3. In verneinenden Urteilen affiziert die Negation immer die Kopula; in unendlichen wird nicht die Kopula, sondern das Prädikat durch die Negation affiziert, welches sich im Lateinischen am besten ausdrücken läßt.

§ 23. Relation der Urteile:
kategorische, hypothetische, disjunktive.
Der Relation nach sind die Urteile entweder kategorische oder hypothetische oder disjunktive. Die gegebenen Vorstellungen im Urteil sind nämlich eine der anderen zur Einheit des Bewußtseins untergeordnet entweder: als Prädikat dem Subjekt, oder: als Folge dem Grund, oder: als Glieder der Einteilung dem eingeteilten Begriff. - Durch das erste Verhältnis sind die kategorischen, durch das zweite die hypothetischen, und durch das dritte die disjunktiven Urteile bestimmt.

§ 24. Kategorische Urteile
In den kategorischen Urteilen machen Subjekt und Prädikat die Materie derselben aus; - die Form, durch welche das Verhältnis (der Einstimmung oder des Widerstreits) zwischen Subjekt und Prädikat bestimmt und ausgedrückt wird, heißt die Kopula.
    Anmerkung: Die kategorischen Urteile machen zwar die Materie der übrigen Urteile aus; aber darum muß man doch nicht, wie mehrere Logiker, glauben, daß die hypothetischen wie auch die disjunktiven Urteile weiter nichts als verschiedene Einkleidungen der kategorischen sind und sich daher insgesamt auf die letzteren zurückführen lassen. Alle drei Arten von Urteilen beruhen auf wesentlich verschiedenen logischen Funktionen des Verstandes und müssen daher nach ihrer spezifischen Verschiedenheit erwogen werden.

§ 25. Hypothetische Urteile.
Die Materie der hypothetischen Urteile besteht aus zwei Urteilen, die miteinander als Grund und Folge verknüpft sind. - Das eine dieser Urteile, welches den Grund enthält, ist der Vordersatz (antecedens, prius); das andere, das sich zu jenem als Folge verhält, der Nachsatz (consequens, posterius); und die Vorstellung dieser Art von Verknüpfung beider Urteile unter einander zur Einheit des Bewußtseins wird die Konsequenz genannt, welche die Form der hypothetischen Urteile ausmacht.
    Anmerkung:
    1. Was für die kategorischen Urteile die Kopula, das ist für die hypothetischen also die Konsequenz, - die Form derselben.

    2. Einige glauben, es sei leicht, einen hypothetischen Satz in einen kategorischen zu verwandeln. Allein dieses geht nicht an, weil beide ihrer Natur nach ganz von einander verschieden sind. In kategorischen Urteilen ist nichts problematisch, sondern Alles assertorisch [Behauptung, daß der Prädikatsbegriff dem Subjektbegriff auch tatsächlich zukommt - wp]; im hypothetischen hingegen ist nur die Konsequenz assertorisch. In den letzteren kann ich daher zwei falsche Urteile miteinander verknüpfen; denn es kommt hier nur auf die Richtigkeit der Verknüpfung - die Form der Konsequenz an, worauf die logische Wahrheit dieser Urteile beruth. - Es ist ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Sätzen: alle Körper sind teilbar, und: wenn alle Körper zusammengesetzt sind, so sind sie teilbar. In dem ersteren Satz behaupte ich die Sache geradezu; im letzteren nur unter einer problematisch ausgedrückten Bedingung.

§ 26. Verknüpfungsarten in
hypothetischen Urteilen:
modus ponens und modus tollens.
Die Form der Verknüpfung in den hypothetischen Urteilen ist zweifach: die setzende (modus ponens) oder die aufhebende (modus tollens).
    1) Wenn der Grund (antecedens) wahr ist, so ist auch die durch ihn bestimmte Folge (consequens) wahr; heißt der modus ponens.

    2) Wenn die Folge (consequens) falsch ist, so ist auch der Grund (antecedens) falsch; modus tollens.

§ 27. Disjunktive Urteile.
Ein Urteil ist disjunktiv, wenn die Teile der Sphäre eines gegebenen Begriffs einander in dem Ganzen oder zu einem Ganzen als Ergänzungen (complementa) bestimmen.

§ 28. Materie und Form
disjunktiver Urteile.
Die mehreren gegebenen Urteile, woraus das disjunktive Urteil zusammengesetzt ist, machen die Materie desselben aus, und werden die Glieder der Disjunktion oder Entgegensetzung genannt. In der Disjunktion selbst, d. h. in der Bestimmung des Verhältnisses der verschiedenen Urteile, als sich wechselseitig einander ausschließender und einander ergänzender Glieder der ganzen Sphäre der eingeteilten Erkenntnis, besteht die Form dieser Urteile.
    Anmerkung: Alle disjunktiven Urteile stellen also verschiedene Urteile als in der Gemeinschaft einer Sphäre vor und bringen jedes Urteil nur durch die Einschränkung des anderen in Anbetracht der ganzen Sphäre hervor; sie bestimmen also jedes Urteils Verhältnis zur ganzen Sphäre, und dadurch zugleich das Verhältnis, das diese verschiedenen Trennungsglieder (membra disjuncta) unter einander selbst haben. - Ein Glied bestimmt also hier jedes andere nur, sofern sie insgesamt als Teile einer ganzen Sphäre von Erkenntnis, außer der sich in gewisser Beziehung nichts denken läßt, in Gemeinschaft stehen.

§ 29. Eigentümlicher Charakter
der disjunktiven Urteile.
Der eigentümliche Charakter aller disjunktiven Urteile, wodurch ihr spezifischer Unterschied, dem Moment der Relation nach, von den übrigen, insbesondere von den kategorischen Urteilen bestimmt ist, besteht darin: daß die Glieder der Disjunktion insgesamt problematische Urteile sind, von denen nichts Anderes gedacht wird, als daß sie, wie Teile der Sphäre einer Erkenntnis, jedes des anderen Ergänzung zum Ganzen (complementum ad totum) zusammengenomen der Sphäre des ersten gleich sind. Und hieraus folgt: daß in einem dieser problematischen Urteile die Wahrheit enthalten sein oder, was dasselbe ist, daß eines von ihnen assertorisch gelten muß, weil außer ihnen die Sphäre der Erkenntnis unter den gegebenen Bedingungen nichts mehr befaßt und eine der anderen entgegengesetzt ist; folglich weder außer ihnen etwas Anderes, noch auch unter ihnen mehr als eines wahr sein kann.
    Anmerkung: In einem kategorischen Urteil wird das Ding, dessen Vorstellung als ein Teil von der Sphäre einer anderen subordinierten Vorstellung betrachtet wird, als enthalten unter dieses seinem oberen Begriff betrachtet; also wird hier in der Subordination der Sphären der Teil vom Teil mit dem Ganzen verglichen. - Aber in disjunktiven Urteilen gehe ich vom Ganzen auf alle Teile zusammengenommen. - Was unter der Sphäre eines Begriffs enthalten ist, das ist auch unter einem Teil dieser Sphäre enthalten. Demnach muß erst die Sphäre eingeteilt werden. Wenn ich z. B. das disjunktive Urteil fälle: ein Gelehrter ist entweder ein historischer oder ein Vernunftgelehrter, so bestimme ich damit, daß diese Begriffe, der Sphäre nach, Teile der Sphäre der Gelehrten sind, aber keineswegs Teile voneinander und daß sie alle zusammengenommen komplett sind.

    Daß in den disjunktiven Urteilen nicht die Sphäre des eingeteilten Begriffs als enthalten in der Sphäre der Einteilungen, sondern das,, was unter dem eingeteilten Begriff enthalten ist, als enthalten unter einem der Glieder der Einteilung, betrachtet wird, mag folgendes Schema der Vergleichung zwischen kategorischen und disjunktiven Urteilen anschaulicher machen.

    In kategorischen Urteilen ist x, was unter b enthalten ist, auch unter a;

In den disjunktiven ist x, was unter a enthalten ist, entweder unter b oder c usw. enthalten;


Also zeigt die Division in disjunktiven Urteilen die Koordination nicht der Teile des ganzen Begriffs, sondern alle Teile seiner Sphären an. Hier denke ich viele Dinge durch einen Begriff; dort ein Ding durch viele Begriffe, z. B. das Definitum durch alle Merkmale der Koordination.

§ 30. Modalität der Urteile:
problematische, assertorische, apodiktische.
Der Modalität nach, durch welches Moment das Verhältnis des ganzen Urteils zum Erkenntnisvermögen bestimmt ist, sind die Urteile entweder problematisch oder assertorische oder apodiktische. Die problematischen sind mit dem Bewußtsein der bloßen Möglichkeit, die assertorischen mit dem Bewußtsein der Wirklichkeit, die apodiktischen endlich mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit des Urteilens begleitet.
    Anmerkung:
    1. Dieses Moment der Modalität zeigt also nur die Art und Weise an, wie im Urteil etwas behauptet oder verneint wird; ob man über die Wahrheit oder Unwahrheit eines Urteils nichts ausmacht, wie im problematischen Urteil: die Seele des Menschen mag unsterblich sein; - oder ob man darüber etwas bestimmt, wie in einem assertorischen Urteil: die menschliche Seele ist unsterblich; oder endlich, ob man die Wahrheit eines Urteils sogar mit der Dignität der Notwendigkeit ausdrückt, wie in einem apodiktischen Urteil: die Seele des Menschen muß unsterblich sein. - Diese Bestimmung der bloß möglichen oder wirklichen oder notwendigen Wahrheit betrifft also nur das Urteil selbst, keineswegs die Sache, worüber geurteilt wird.

    2. In problematischen Urteilen, die man auch für solche erklären kann, deren Materie gegeben ist mit dem möglichen Verhältnis zwischen Prädikat und Subjekt, muß das Subjekt jederzeit eine kleinere Sphäre haben als das Prädikat.

    3. Auf dem Unterschied zwischen problematischem und assertorischem Urteilen beruth der wahre Unterschied zwischen Urteilen und Sätzen, den man sonst fälschlich in den bloßen Ausdruck durch Worte, ohne die man ja überall nicht urteilen könnte, zu setzen pflegt. Im Urteil wird das Verhältnis verschiedener Vorstellungen zur Einheit des Bewußtseins als problematisch gedacht, in einem Satz hingegen als assertorisch. Ein problematischer Satz ist eine contradictio in adjecto [Widerspruch in sich - wp]. - Ehe ich einen Satz habe, muß ich doch erst urteilen; und ich urteile über Vieles, was ich nicht ausmache, welches ich aber tun muß, sobald ich ein Urteil als Satz bestimme. - Es ist übrigens gut, erst problematisch zu urteilen, ehe man das Urteil als assertorisch annimmt, um es auf diese Art zu prüfen. Auch ist es nicht allemal zu unserer Arbeit nötig, assertorische Urteile zu haben.

§ 31. Exponible Urteile.
Urteile, in denen eine Bejahung und Verneinung zugleich, aber versteckterweise, enthalten ist, so daß die Bejahung zwar deutlich, die Verneinung aber erst versteckt geschieht, sind exponible Sätze.
    Anmerkung: Im exponiblen Urteil, z. B. wenige Menschen sind gelehrt, - liegt
      1) aber auf eine versteckte Weise, das negative Urteil: viele Menschen sind nicht gelehrt; und

      2) das affirmative [zustimmende - wp]: einige Menschen sind gelehrt. -

    Da die Natur der exponiblen Sätze lediglich von Bedingungen der Sprache abhängt, nach welchen man zwei Urteile auf einmal in der Kürze ausdrücken kann, so gehört die Bemerkung, daß es in unserer Sprache Urteile geben kann, die exponiert werden müssen, nicht in die Logik, sondern in die Grammatik.

§ 32. Theoretische
und praktische Sätze.
Theoretische Sätze heißen die, welche sich auf den Gegenstand beziehen und bestimmen, was demselben zukommt oder nicht zukommt; - praktische Sätze hingegen sind die, welche die Handlung aussagen, wodurch als notwendige Bedingung desselben, ein Objekt möglich wird.
    Anmerkung: Die Logik hat nur von praktischen Sätzen der Form nach, die insofern den theoretischen entgegengesetzt sind, zu handeln. Praktische Sätze dem Inhalt nach, und insofern von den spekulativen unterschieden, gehören in die Moral.

§ 33. Indemonstrable und
demonstrable Sätze.
Demonstrable Sätze sind die, welche eines Beweises fähig sind, die keines Beweises fähig sind, werden indemonstrable genannt.

Unmittelbar gewisse Urteile sind indemonstrabel, und also als Elementarsätze anzusehen.

§ 34. Grundsätze
Unmittelbar gewisse Urteile a priori können Grundsätze heißen, sofern andere Urteile aus ihnen erwiesen, sie selbst aber keinem anderen subordiniert werden können. Sie werden deswegen auch Prinzipien (Anfänge) genannt.

§ 35. Intuitive und diskursive Grundsätze:
Axiome und Akroame.
Grundsätze sind entweder intuitive oder diskursive. - Die ersteren können in der Anschauung dargestellt werden und heißen Axiome (axiomata); die letzteren lassen sich nur durch Begriffe ausdrücken und können Akroame (acroamata) genannt werden.

§ 36. Analytische und
synthetische Sätze.
Analytische Sätze heißen solche, deren Gewißheit auf der Identität der Begriffe (des Prädikats mit der Notion des Subjekts) beruth. - Sätze, deren Wahrheit sich nicht auf Identität der Begriffe gründet, müssen synthetische genannt werden.
    Anmerkung:
    1. Alles x, welchem der Begriff des Körpers (a + b) zukommt, dem kommt auch die Ausdehnung (b) zu, ist eine Exempel eines analytischen Satzes.

    Alles x, welchem der Begriff des Körpers (a + b) zukommt, dem kommt auch die Abziehung (c) zu, ist ein Beispiel eines synthetischen Satzes. - Die synthetischen Sätze vermehren die Erkenntnis materialiter, die analytischen bloß formaliter. Jene enthalten Bestimmungen (determinationes), diese nur logische Prädikate.

    2. Analytische Prinzipien sind nicht Axiome, denn sie sind diskursiv. Und synthetische Prinzipien sind auch nur dann Axiome, wenn sie intuitiv sind.

§ 37. Tautologische Sätze
Die Identität der Begriffe in analytischen Urteilen kann entweder eine ausdrückliche (explicita) oder eine nicht-ausdrückliche (implicita) sein. - Im ersteren Fall sind die analytischen Sätze tautologisch.
    Anmerkung:
    1. Tautologische Sätze sind virtualiter leer oder folgeleer; denn sie sind ohne Nutzen und Gebrauch. Dergleichen ist z. B. der tautologische Satz: der Mensch ist Mensch. Denn wenn ich vom Menschen nichts weiter zu sagen weiß, als daß er ein Mensch ist, so weiß ich gar weiter nichts von ihm.

    Implizite identische Sätze sind dagegen nicht folge- oder fruchtleer; denn sie machen das Prädikat, welches im Begriff des Subjekts unentwickelt (implicite) lag, durch Entwicklung (explicatio) klar.

    2. Folgeleere Sätze müssen von sinnleeren unterschieden werden, die darum leer an Verstand sind, weil sie die Bestimmung sogenannter verborgener Eigenschaften (qualitates ocultae) betreffen.

§ 38. Postulat und Problem
Ein Postulat ist ein praktischer unmittelbar gewisser Satz oder ein Grundsatz, der eine mögliche Handlung bestimmt, bei welcher vorausgesetzt wird, daß die Art, sie auszuführen, unmittelbar gewiß ist.

Probleme (problemata) sind demonstrable, einer Anweisung bedürftige Sätze, oder solche, die eine Handlung aussagen, deren Art der Ausführung nicht unmittelbar gewiß ist.
    Anmerkung:
    1. Es kann auch theoretische Postulate geben zum Zweck der praktischen Vernunft. Dieses sind theoretische in praktischer Vernunftabsicht notwendige Hypothesen, wie die des Daseins Gottes, der Freiheit und einer anderen Welt.

    2. Zum Problem gehört
      1) die Quäsion, die das enthält, was geleistet werden soll,

      2) die Resolution, die die Art und Weise enthält, wie das zu Leistende ausgeführt werden kann und

      3) die Demonstration, daß, wenn ich so werde verfahren haben, das Geforderte geschehen wird.

§ 39. Theoreme, Corollarien,
Lehnsätze und Scholien.
Theoreme sind theoretische, eines Beweises fähige und bedürftige Sätze. - Corollarien sind unmittelbare Folgen aus einem der vorhergehenden Sätze. - Lehnsätze (lemmata) heißen Sätze, die in der Wissenschaft, worin sie als erwiesen vorausgesetzt werden, nicht einheimisch, sondern aus anderen Wissenschaften entlehnt sind. - Scholien endlich sind bloße Erläuterungssätze, die also nicht als Glieder zum Ganzen des Systems gehören.
    Anmerkung: Wesentliche und allgemeine Momente eines Theorems sind die Thesis und die Demonstration. - Den Unterschied zwischen Theoremen und Corollarien kann man übrigens auch darin setzen, daß diese unmittelbar geschlossen, jene dagegen durch eine Reihe von Folgen aus unmittelbar gewissen Sätzen gezogen werden.

§ 40. Wahrnehmungs- und
Erfahrungsurteile.
Ein Wahrnehmungsurteil ist bloß subjektiv, - ein objektives Urteil aus Wahrnehmungen ist ein Erfahrungsurteil.
    Anmerkung: Ein Urteil aus bloßen Wahrnehmungen ist nicht wohl möglich als nur dadurch, daß ich meine Vorstellung, als Wahrnehmung, aussage: ich, der ich einen Turm wahrnehme, nehme an ihm die rote Farbe wahr. Ich kann aber nicht sagen: er ist rot. Denn dieses wäre nicht bloß ein empirisches, sondern auch ein Erfahrungsurteil, d. h. ein empirisches Urteil, dadurch ich einen Begriff vom Objekt bekomme; z. B. bei der Berührung des Steins empfinde ich Wärme, ist ein Wahrnehmungsurteil, hingegen: der Stein ist warm - ein Erfahrungsurteil. - Es gehört zum letzteren, daß ich das, was bloß in meinem Subjekt ist, nicht zum Objekt rechne; denn ein Erfahrungsurteil ist die Wahrnehmung, woraus ein Begriff vom Objekt entspringt; z. B. ob sich im Mond lichte Punkte bewegen, oder in der Luft, oder in meinem Auge.

LITERATUR: Immanuel Kants Logik, Philosophische Bibliothek, Bd. 23, Hg. J. H. von Kirchmann, zweite Auflage, Leipzig 1876.