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Die Theorie des Gegenstandes und die Lehre vom Ding ansich bei Immanuel Kant [Ein Beitrag zum Verständnis des kritischen Systems] [3/3]
Schlußbetrachtung Auf dem Verhältnis eines Unbekannten zu mir, der ich mir dem Wesen nach selbst unbekannt bin, beruth meine Erscheinungswelt, das Reich meiner Erfahrung, das mir Gegebene. In ihm finde ich nichts als Vorstellungen und Vorstellungsgesetze. Weil ich nun die gesamte Erfahrung zwar der Form nach antizipieren kann, den Stoff derselben aber weder bewußt schaffe, noch ihn unbewußt zu schaffen mir bewußt bin, so stoße ich in diesem auf die Vorstellung eines Fremden. Es ist da, aber es bleibt unerkennbar, denn jeder Versuch es zu bestimmen, würde es hineinziehen in den Kreis der Vorstellungen ... es ist da, so wie ich da bin, der ich mich auch nur als Erscheinung kennen. Alle Wissenschaft kann nur vom Gegebenen ausgehen. Gegeben sind uns Vorstellungen und zwar sind alle in der Zeit und erscheinen durch Gesetze zu einem Bewußtsein verbunden. Insofern das Gegebene in der Zeit ist, der Form unseres Sinns, wird es in diesem durch die Synthesen der Einbildungskraft geordnet, verknüpft und in Verhältnisse gebracht. Insofern aber das mir Gegebene zu einem Bewußtsein gehört, müssen alle diese Verknüpfungen mit der Einheit des Bewußtseins zusammenstimmen. So verarbeitet die Einbildungskraft unter Anerkennung der Gesetze, welche aus jener Einheit fließen, das Mannigfaltige in der Zeit zu einem Ganzen der Erfahrung. In diesem, das den inneren Sinn sozusagen erfüllt ... denn er ist nicht mehr und nicht weniger als "ein Inbegriff, darin alle unsere Vorstellungen enthalten sind ...", ist auch unser Ich gegeben und zwar als der Träger all jener zeitlichen Vorgänge; es ist ja nichts anderes als das stets wechselnde Bewußtsein von allem, was in uns vorgeht. Dieses veränderliche Ich, die empirische Apperzeption, wird aber selbst getragen von der transzendentalen Apperzeption, dem unveränderlichen, aber inhaltsleeren, armen Ich. Als empirisches Bewußtsein sagt das Ich: ich nehme die wechselnden Vorgänge wahr; als transzendentales sagt das Ich nur: Ich denke, d. h. ich fasse das Mannigfaltige zur Einheit zusammen. So wird das empirische Bewußtsein einmal von einem transzendentalen Ding-ansich affiziert, d. h. mit Empfindungen erfüllt, die es seiner Beschaffenheit gemäß auffaßt, und andererseits auch von den Synthesen der produktiven Einbildungskraft, die unter dem Gesetz der Einheit der reinen Apperzeption steht, indem diese im Anschaulichen Anschauungen abgrenzt und diese in sich und untereinander verknüpft. So wird das empirische Ich unter dem Einfluß des transzendentalen der Träger einer gesetzmäßig verknüpften Vorstellungswelt, einer Welt der Erscheinungen, in welche das "arme" Ich ebensowenig in irgendeiner Beschaffenheit eintritt, wie das transzendente Ding-ansich, die aber zu ihrem Brenn- und Mittelpunkt das "Ich der Erscheinung" hat. Der innere Sinn, in dessen Schoß das empirische Ich erwächst und dessen Kreis es nach und nach ausfüllt, ist aber schließlich nur der "Inbegriff all unserer Vorstellungen", d. h. gewissermaßen die gemeinsame Wirkungssphäre der beiden transzendenten Dinge-ansich, welche sich als "transzendentales Subjekt" und als "transzendentales Objekt" immer wieder von Neuem in die Erfahrung hineindrängen wollen. In dieser Sphäre entsteht die vielgestaltig Welt der Erfahrung ... sie beruth auf dem Verhältnis der beiden Transzendenten. Ein Punkt ist noch unklar geblieben! "Woher die bestimmten Gestalten bestimmter Dinge? ... diese Frage ist nach der kantischen Ansicht schlechterding unbeantwortbar!" So HERBART und COHEN (2) weist im Hinblick auf sie zunächst darauf hin, daß die kantische Antwort nicht in der transzendentalen Ästhetik zu suchen ist. Und mit vollem Recht: Alle Formung entsteht durch die unbewußten Synthesen der reinen Einbildungskraft, welche unter den Gesetzen der transzendentalen Apperzeption stehen. Die Sinne liefern uns ja zwar Eindrücke, setzen aber nichts zusammen und geben allein keine Bilder. Wir verglichen die Einbildungskraft mit einem Künstler, der eine Idee in einem Ideal ausdrückt und dieses dann in einem gegebenen Stoff ausführt. Bei diesem Gleichnis wollen wir einen Augenblick stehen bleiben, um es noch etwas auszuführen. Der Künstler soll ein Mosaikbild fertigen. Als Material sind ihm verschieden gefärbte und verschieden gestaltete Steinchen in regellosen Haufen gegeben; aus ihnen macht er sein Bild, indem er sie einzeln auswählt, sie miteinander verbindet und so ein einem einheitlichen Zusammenhang Figur auf Figur herstellt gemäß dem Ideal, welches ihm vorschwebt. Bei der Auswahl der Steinchen hat er eine gewisse Freiheit, aber keine absolute und namentlich ist er im Fortgang seines Werkes an dessen Anfänge gebunden. Schließlich entsteht aber doch ein Mosaikbild und nicht eine Statue oder ein Gemälde, und dieses Bild ist ein Ausdruck für die Idee, welche in einem Ideal bestimmte Formen angenommen hat und dann in einem gegebenen Stoff ausgeführt wurde. Wir können uns aber noch eine andere Art von Mosaikarbeit denken. Ein Glasgemälde zerbricht in lauter kleine Splitterchen - es handelt sich darum, aus diesen, vielleicht ohne daß man das Bild kennt, welches sie darstellen, das Kunstwerk wiederherzustellen, indem man Splitter an Splitter fügt. Hier ist gar keine Freiheit gelassen ... jedes Teilchen hat von vornherein seinen bestimmten Platz. In den Synthesen der Einbildungskraft, welche die Erfahrung produzieren, entstehen Raum und Zeit; sie sind nicht als unendliche Gefäße gegeben, in welche die Sinne ihre Empfindungen hineinschütten. Rezeptivität und spontane Funktion arbeiten stets gemeinsam und sind nur zwecks erkenntnistheoretischer Untersuchung zu trennen. Demnach muß jede Affektion des Dinges-ansich von uns aufgenommen worden sein, ehe sie der Synthese unterliegen kann. Bei dieser Aufnahme unterliegt sie der Form unserer Anschauung, d. h. sie bekommt ein zeitliches und vielleicht auch ein räumliches Moment. Aus den empirischen Anschauungselementen, welche durch eine bestimmte Empfindungsqualität und Intensität und ein bestimmtes zeitliches (eventuell auch räumliches) Moment ausgezeichnet sind, setzt die Einbildungskraft ihre Bilder zusammen. Sind nun diese Elemente jenen Steinchen oder jenen Splitterchen zu vergleichen? Die reine Einbildungskraft ist bei KANT in der Tat eine Künstlerin, und als solche ist sie produktiv und nicht reproduktiv. Darauf ist Gewicht zu legen. Auch FICHTE (3) hat begriffen, daß sie nichts nachschafft, sondern durchaus selbständig zu Werke geht. Dabei vergaß er aber, daß KANT ein Mannigfaltiges der Anschauung voraussetzt, aus dem sie ihre Gegenstände bildet, und daß bei ihm das Angeschaute nicht lediglich durch das Anschauen selbst entsteht. Die Kategorien als Arten der Einheit des Selbstbewußtseins sind den Ideen des Künstlers vergleichbar. Diesen Gesetzen gemäß schafft die Einbildungskraft ihre Bilder, sie arbeitet sie heraus aus dem in der Zeit gegebenen Mannigfaltigen. Um dies aber zu können, muß sie den zeitlosen Begriff in die Zeit einführen, d. h. ihn zu einem Schema zu machen, das die Anwendbarkeit des reinen Begriffs in der Zeit ermöglicht. Dieses Schema entspricht dem Ideal des Künstlers. Wie der Künstler zwar durch eine bestimmte Idee beschränkt ist, bei ihrer Ausführung im gegebenen Stoff aber mannigfache Freiheit hat, so steht auch die Einbildungskraft unter den Gesetzen der reinen Apperzeption und bildet unter ihrem Zwang, sonst aber freitätig, aus dem Gegebenen die Welt der Erfahrung. Eine gewisse Beschränkung wird ihr allerdings auch durch das Material auferlegt ... der Mosaikkünstler kann das fein gegliederte Laubdach eines sommerlichen Waldes nicht aus lauter gleichgestalteten, plumpen, roten und blauen Steinen herstellen. Bei KANT ist die Einbildungskraft keine Arbeiterin, welche die Scherben eines Kunstwerkes zusammensetzt und nach ihnen vielleicht mit technischer Fertigkeit fremde Ideale in diesem oder jenem Stoff restituiert - sie ist eine wahre und echte Künstlerin (4). Ob diese Auffassung ansich haltbar ist, liegt ganz außerhalb des Kreises meiner Untersuchung. Sie hängt auf das Innigste zusammen mit der psychologischen Basis der Kritik, mit der scharfen Trennung von Rezeptivität und spontaner Funktion. Die Sinne setzen gar nichts zusammen, und wenn sie uns schon - außerhalb der Sphäre des Ichs - Zusammengesetztes liefern würden, so würde die Übereinstimmung der Gesetze dieser Zusammensetzung mit den Gesetzen unseres Verstandes ein Wunder sein und nur durch irgendeine prästabilierte [vorgefertigte - wp] Harmonie oder ein Präformationssystem zu erklären sein. Alle Form entsteht durch die spontane Funktion unseres Ich, zu der auch unsere Anschauungsformen in gesetzmäßiger Beziehung stehen und demnach auch nur Stoff liefern können, der verarbeitet werden kann; form dat esse rei [Die Form gibt dem Ding Existenz. - wp] Allerdings tragen die gegebenen Empfindungen, das Arbeitsmaterial, die Spur des Transzendenten in sich; von diesem können wir nichts wissen und deshalb ist die Frage, ob jene Elemente doch gewissermaßen die Scherben einer Welt sind, welche wir in uns aufs Neue aufbauen, eine Frage der dogmatischen Metaphysik. Solche Fragen können im Geiste der Kr. d. r. V. nur auf dem Weg der Dichtung gelöst werden. Wie aber KANT dazu kam, die Einbildungskraft jene hervorragende Rolle spielen zu lassen, geht aus folgender Stelle hervor (5):
So war es auch hier der Leitfaden der Mathematik, an welchem KANT sich im Labyrinth der dogmatischen Metaphysik zurechtgefunden hat und so gewinnt die bekannte Bemerkung von KUNO FISCHER einen neuen Geltungsbereich. Wir dürfen sogar noch einen Schritt weiter gehen. An der Mathematik gelangte KANT zu jener unbedingten Achtung vor der Unerschütterlichkeit der Gesetze, und weil ihm die ganze Erfahrung nichts anderes war als eine Konstruktion der Einbildungskraft, derselben Einbildungskraft, welche die geometrischen Gestalten unabhängig von aller Erfahrung verzeichnet, so mußten jene allgemeinen und notwendigen Beziehungen, welche in der Erscheinungswelt gelten, dieselben Gesetze sein, welche a priori in unserem Verstand liegen. Gegeben sind uns Vorstellungen und deren Gesetze in einem Ganzen, das wir Erfahrung nennen. Damit muß alle Philosophie seit KANT beginnen und sehen, wie weit sie damit kommt. Das - aber auch nur das - ist der unerschütterliche Boden für die gemeinsame Arbeit. Wer die Realität seiner Vorstellungen als solcher in Frage stellt, mit dem ist nicht zu rechten, und auch
![]() N a c h w o r t Die Veröffentlichung obiger Abhandlung aus dem Jahr 1881 hat das Vorwort zu rechtfertigen gesucht. Sie erschöpft die "Theorie des Gegenstandes" einigermaßen, und ebensi die "Lehre vom Ding-ansich", soweit letztere für das theoretische Gebiet von Bedeutung ist. Ein Punkt (vgl. weiter oben) in der "Theorie des Gegenstandes" bedarf der weiteren Erörterung: die Antwort auf die Frage HERBARTs: "Woher die bestimmten Gestalten bestimmter Dinge?" ist noch nicht ausreichend gegeben worden, fals man "Dinge", wie es sein muß, als "Gegenstände der räumlich-zeitlichen Welt" auffaßt, die nicht nur für mich da sein. Wenn meine Einbildungskraft als wahre und echte Künstlerin gemäß den Gesetzen des Verstandes mir meine Gegenstände schafft, so ist meine Erfahrungswelt begreiflich, es ist aber nicht ohne weiteres einzusehen, warum meine Gegenstände auf für Andere Gegenstände sind und danach im üblichen Sprachgebrauch als "Dinge" bezeichnet werden dürfen. Es erhebt sich also noch die Frage: "Warum stimmt die Erfahrungswelt meines Ichs mit den Erfahrungswelten Anderer soweit überein, daß objektive Aussagen möglich sind?" Da KANT voraussetzt, daß die Gesetze der Rezeptivität und der Spontaneität für alle Menschenseelen dieselben sind, so ist die tatsächlich gegebene Übereinstimmung der Erfahrungswelten der Einzelnen erklärbar, falls deren Stoff und dessen erste Formungen durch die Einbildungskraft die erforderliche Übereinstimmung zeigen. Nimmt man den Stoff als rein gemeinsam Gegebenes an, so bleibt die Frage übrig: "Woher der erste Formung der Gegenstände der räumlich-zeitlichen Welt? Wodurch wird sie eindeutig bestimmt?" Warum wird z. B. eine gewisse Gruppe von Lichtempfindungen für verschiedene Menschen zu der hellen Mondscheibe auf dunklem Hintergrund? Warum eine andere Gruppe zu einem flüchtigen Feuerstreifen einer Sternschnuppe? usw. Warum schafft die produktive Einbildungskraft der Einzelnen in solchen Fällen nicht die Ansätze zu verschiedenen Objekten? Vor KANT sah man in den Gegenständen der räumlich-zeitlichen Welt mehr oder weniger getreue Abbilder eines an und für sich Bestehenden, und diese Auffassung machte die fragliche Übereinstimmung verständlich. Woher aber diese Übereinstimmung, wenn jede Formung aus dem Ich stammt? So weit ich sehe, kann man diese Frage in dreifacher Weise behandeln, und zwar wie folgt:
b) durch eine prästabilierte Harminie bestimmt, c) völlig unerklärlich. a) Da das Ding-ansich die Empfindungen als völlig ungeformte Masse liefert, so müßte jede Empfindung ein bestimmtes Merkmal haben, durch welches die Einbildungskraft des Einzelnen veranlaßt wird, ihr eine bestimmte Stelle in der Zeit anzuweisen, und Entsprechendes müßte auch für die räumliche Anordnung gelten usw. In diesem Fall wäre die raum-zeitliche WElt doch wieder eine Art von Abbild eines ansich Bestehenden, wobei die Abbildung allerdings nur in einem eindeutigen Zeichensystem zu bestehen braucht (7). b) Spricht man den Empfindungen alle Merkmale ab, welche die Einbildungskraft zu einer bestimmten Formung veranlassen, so bleibt nur übrig anzunehmen, daß die Einbildungskraft des Einzelnen unter einem inneren Zwang steht, durch welchen die Übereinstimmung der verschiedenen Erfahrungswelten gewährleistet wird, d. h. man gelangt wie Leibniz zur Lehre einer prästabilierten Harmonie. c) Nimmt man die ersten Ansätze zur Bildung von Objekten als etwas Unerklärbares hin, so erwächst die neue Aufgabe, die Grenze zwischen diesen ersten Formungen und den weiteren Formungen, welche durch die eigene Tätigkeit des Ichs erklärbar erscheinen, festzustellen, und diese Aufgabe dürfte sich als unlösbar erweisen.
Dagegen findet sich bei KANT keine Antwort auf die Frage: "Wodurch wird die erste Formung der Gegenstände der räumlich-zeitlichen Welt eindeutig bestimmt?" Ich ziehe dazu noch die neueste Darstellung des kantischen Systems heran, die eben (1904) erschienenen Vorlesungen von GEORG SIMMEL (11). Dort heißt es (12) u. a.:
Auch bei Herrn SIMMEL findet sich keine Antwort (14) auf diese Frage, und es scheint also so, als ob man sie vom Standpunkt der Erkenntnistheorie bzw. Erkenntniskritik überhaupt zurückweisen dürfte ... dagegen sprechen aber vor allem die Bedürfnisse der "Analytik der Grundsätze" in beiden Auflagen der Kritik. Sollte aber diese Zurückweisung von seiten der Erkenntnistheorie bzw. Erkenntniskritik doch gerechtfertigt erscheinen, so wird die Psychologie die Frage von Neuem aufnehmen müssen, den der Begriff vom Menschengeist, mit dem die Transzendentalphilosophie arbeitet, muß sich auch für die Psychologie bewähren. Dieser Begriff ist vor allem bedingt durch die strenge Unterscheidung von Stoff und Form. (15) Damit wird das alte aristotelische Wortpaar mit veränderter begrifflicher Bedeutung von Neuem eingeführt. Der Stoff ist bei KANT zunächst das völlig Ungeformte, dann aber auch bereits Geformtes als Material für weitere und weitere Formungen. Soweit geht die Übereinstimmung mit ARISTOTELES, während die kantische Auffassung des Stoffes als "Empfindungen" und seine weitere Charakteristik der Formungen durchaus im Gesetz zur Philosophie des ARISTOTELES steht. Die Form, welche bei materiellen Dingen allgemein als das Gesetz der räumlichen Anordnung ihrer Teilchen aufgefaßt wird, ist bei KANT überhaupt das Gesetz der Anordnung der Teile in einem Ganzen, durch welche dieses überhaupt erst seine innere Einheit erhält, aber diese Einheiten stammen nur aus dem Ich und haben gar keine Beziehungen zu entsprechenden übersinnlichen Einheiten, mögen sie nun Dinge heißen oder Atome oder Ideen. Der Rest des Platonismus, der bei ARISTOTELES noch vorhanden ist, wird von KANT für die räumlich-zeitliche Welt völlig abgelehnt, nur das ungeformte Rohmaterial der Empfindungen läßt sich auf einen übersinnlichen Ursprung zurückführen. Bewährt sich diese Voraussetzung der kritischen Philosophie, daß jede Formung des Stoffes zu Gegenständen nur der Spontaneität des Geistes zuzuschreiben ist, nicht auch für die Psychologie, so kann sie überhaupt nicht festgehalten werden, bewährt sie sich aber, so muß unser Problem von seiten der Psychologie behandelt werden, falls es die Erkenntnistheorie zurückweist. Wenn sich nun bei KANT selbst keine Behandlung dieses Problems findet, so dürfte doch der Schluß der Streitschrift (1790) gegen Eberhard mit seinem Hinweis auf die Kritik der Urteilskraft (1790) einige Aufklärung geben. Dort heißt es: Wir konnten aber doch keinen Grund angeben, warum Rezeptivität (Sinnlichkeit) und Spontaneität (Verstand)
Daß die freie Tätigkeit jedes einzelnen Ich doch eine gemeinsame Erfahrungswelt voll Notwendigkeit schafft, ist ein Problem, ein Teil des großen Problems der Übereinstimmung von Natur und Freiheit, dessen Lösung Gott als Α und Ω fordert: Auf dieses Problem wirft erst die Kritik der praktischen Vernunft das erforderliche Licht, und darum vollendet sich auch erst in ihr die "Lehre vom Ding-ansich". Diese Vollendung ist freilich schon in der Kritik der reinen Vernunft angedeutet, und zwar sowohl in der ersten wie auch in der zweiten Auflage, aber doch eben nur angedeutet. Ob wir das ungeformte Rohmaterial der Empfindungen auf einen übersinnlichen Ursprung zurückführen oder es schlechthin als gegeben annehmen, ist für die theoretische Erkenntnis ziemlich gleichgültig, da für diese das Ding-ansich doch nur ein Grenzbegriff ist, der niemals zu einem theoretisch-bestimmten Gegenstand werden kann. Erst die Kritik der praktischen Vernunft lehrt uns, daß jedes Ich als Träger des Sittengesetzes über die Welt der Erfahrung hinausweist und darum in seiner Freiheit als ein Ding-ansich aufzufassen ist, welches Unsterblichkeit für sich fordern muß und erst in Gott die Lösung aller seiner Fragen theoretischer und praktischer Natur findet. Hier erhält der Platonismus seine Rechte wieder, auf die er innerhalb der räumlich-zeitlichen Welt verzichten mußte, denn
So weit sich auch KANT in seiner kritischen Periode als Erkenntnistheoretiker von den LEIBNIZ-WOLFF'schen Gedankengängen entfernt hatte, so nahe bleibt er ihnen doch als Metaphysiker. In beiden Auflagen der Kr. d. r. V. (18) findet sich die transzendentale Hypothese, daß unser irdisches
Als Erkenntnistheoretiker folgt KANT den Spuren PLATONs, indem er sein Auge auf die Mathematik als Wissenschaft richtet, er geht aber über ihn hinaus, indem er zugleich LEIBNIZ berichtigend Sinnlichkeit und Verstand als gleichberechtigte Stämme der Erkenntnis hinstellt (20). Als Metaphysiker sieht KANT in der LEIBNIZ'schen Welt der Monaden das platonische Reich der ewigen Ideen, sie werden ihm zu einer Welt von ewigen Dingen-ansich, welche als freie Wesen in gegenseitiger Anregung sich ihre Vorstellungswelten schaffen und in praktischer Hinsicht in Gott den Zweck aller Zwecke sehen. Darum kennzeichnen die Ideen "Freiheit, Unsterblichkeit und Gott", nachdem einmal die Grenze zwischen theoretischer Erkenntnis und praktischer Erkenntnis (Glaubensgewißheit) festgestellt ist, das System IMMANUEL KANTs. Er zerstörte das vermeintliche Wissen der alten Metaphysik, um Platz für den Glauben zu schaffen, suchte aber das echte Wissen umso fester zu begründen (21), und zwar getragen von der Überzeugung, daß jedes Ich ein freitätiges Wesen ist, welches die Gesetze seiner Lebensäußerungen in sich selbst hat. Die Spontaneität der einzelnen Ich kommt in doppelter Weise zur Wirkung.
2. Sie ist die autonome Deuterin des Sittengesetzes, insofern sie frei ist von jeder Affektion und nur ihren eigenen Gesetzen folgt, aber sie erkennt a priori auch hier nur das Formale. ![]()
2) Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, Seite 142. 3) Fichte, Grundlage des Naturrechts, Gesammelte Werke, Bd. III, Seite 57. 4) Mit dieser ganzen Auffassung stimmt Riehls Darstellung in seiner "Geschichte des philosophischen Kritizismus" gar nicht überein. Die Betonung des Eigenartigen der kantischen Methode und die gerechte Beachtung des Aposteriorischen machen mir dieses Buch sonst sehr wertvoll. 5) Kr. d. r. V., Seite 182. 6) Über die Fortschritte, die die Metaphysik etc., in "Kleinere Schriften der Logik und Metaphysik", PhB Bd. 46 (Vorländer) 7) Außerhalb des kantischen Systems kann man natürlich auf das Ding-ansich verzichten und Empfindungen mit Merkmalen dieser oder jener Art als letztes Gegebenes ansehen. 8) Neben Stellen der Kr. d. r. V. selbst vergleiche man vor allem auch die große Anmerkung in der Vorrede zu den "Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft". 9) Kr. d. r. V., Seite 109 10) vgl. auch die Dissertation von 1770, namentlich § 4 und § 15 E. 11) Georg Simmel, Vorlesungen über Kant, Leipzig 1900. 12) a. a. O., Seite 12 13) a. a. O., Seite 36 und 37. 14) Auf eine briefliche Anfrage schrieb mir Herr Simmel, daß er sich entweder für die oben unter a) gegebene Lösung aussprechen oder das Problem durch eine Art von Selektion im Sinne der Entwicklungstheorie zu lösen versuchen würde. 15) Mit dem Sieg der kantischen Philosophie zieht auch das Schlagwort der formalen Bildung überall ein. Vgl. dazu Wernicke, "Weltwirtschaft und Nationalerziehung", Leipzig 1900. 16) Kr. d. r. V., Seite 304 17) vgl. meinen diesbezüglichen Aufsatz in den Monatsheften der Comenius-Gesellschaft, 1904. 18) Kr. d. r. V., Seite 604 19) Vgl. z. B. die Schrift "Träume eines Geistersehers usw." 20) Vgl. im "Pädagogischen Archiv", 1903: Die kulturelle Bedeutung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Forschung. 21) vgl. dagegen die verzerrte Darstellung in Willmans "Geschichte des Idealismus". |