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JULIUS BERGMANN
Die Gegenstände der Wahrnehmung
und die Dinge ansich

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"Daß man auch in Bezug auf bloße Erscheinungen Wahres denken kann, bestreite ich nicht, aber die Erscheinung, auf die sich ein wahrer Gedanke bezieht, ist nicht dessen Gegenstand, sondern das wahrnehmende Bewußtsein, dem die Erscheinung erscheint."

"Weder das Dasein von Dingen, die den Erscheinungen des äußeren Sinnes zugrunde liegen, noch das unseres den inneren Sinn auffizierenden Gemütes ist unserem Anschauungsvermögen gegeben.  Gegeben ist unserem Anschauungsvermögen nichts anderes als ein unseren Empfindungen korrespondierendes Mannigfaltiges im Raum und in der Zeit, und hierin liegt  nicht das, was wir im Begriff des Daseins denken, keine Unabhängigkeit vom Angeschaut-werden durch uns."

Ist die alte Erklärung des Begriffes des Wahrheit richtig, daß ein Gedanke wahr sei, wenn er mit seinem Gegenstand übereinstimmt, indem er sich nach ihm richtet, so können nur wirklich existierende Dinge Gegenstände wahrer Gedanken sein. Denn nur von einem Gedanken, dessen Gegenstand die Bestimmtheit, die er ihm zuschreibt, unabhängig von der Vorstellung, welche der Denkende von ihm hat, besitzt, kann man sagen, daß er sich nach seinem Gegenstand richtet und so mit ihm übereinstimmt; diese Unabhängigkeit aber eines Dings von der Vorstellung, die irgendjemand von ihm hat, diese Selbständigkeit ihr gegenüber, oder, genauer, das, wodurch ein Ding in diesem Verhältnis der Unabhängigkeit oder Selbständigkeit zu der Vorstellung, deren Gegenstand es ist, steht, ist eben das, was wir Sein oder Dasein oder Existieren oder, wenn wir den Gegensatz zum bloßen Schein des Seins für ein wahrnehmendes Wesen hervorheben wollen, Ansich-sein nennen.

Es ist der Einwand zu erwarten: auch nach einem Gegenstand, der nicht existiert, kann sich das urteilende Denken richten, so daß es mit ihm übereinstimmt, denn die den ursprünglichen oder konstituierenden Inhalt seiner Vorstellung oder seines Begriffes bildende Beschaffenheit kann gewisse Bestimmtheiten nach sich ziehen, und dann stimmt die Bejahung dieser Bestimmtheiten von ihm mit ihm überein, während ihre Verneinung ihm widerstreitet. Zum Beispiel das Urteil "Jeder vollkommene kugelförmige Körper ist so beschaffen, daß jede durch ihn hindurchgelegte Ebene ihn in einem Kreis schneidet" richte sich nach seinem Gegenstand und stimme mit ihm überein, gleichviel ob derselbe existiert oder nicht. Allein ein Urteil, das aus einem Begriff eine Bestimmtheit ableitet, hat zum Gegenstand nicht den Gegenstand dieses Begriffs, sondern ihn selbst, und nach diesem Begriff, nicht nach dem Gegenstand desselben, richtet es sich. Vom Gegenstand eines Begriffes, in dessen Inhalte man eine gewisse Bestimmtheit findet, darf man diese Bestimmtheit, z. B. von den vollkommen kugelförmigen Körpern die Eigenschaft, daß jede sie schneidende Ebene sie in einem Kreis schneidet, nur dann aussagen, wenn zuvor seine Existenz festgestellt ist.

Die Unabhängigkeit vom Vorstellen, könnte ferner eingewandt werden, die ein vorgestelltes Ding besitzen muß, damit das Denken sich nach ihm richten kann, komme einem wahrgenommenen Ding auch dann zu, wenn es, statt wirklich zu existieren, nur dem Wahrnehmenden zu existieren scheint. Wenn man z. B. ein Spiegelbild sich bewegen sieht, hat man das Recht, dies von ihm auszusagen; und angenommen, die ganze Körperwelt sei nur ein Phänomen unseres wahrnehmenden Bewußtseins, so bleibt es doch wahr, daß alle Körper schwer sind, daß Eisen in feuchter Luft rostet, daß Köln am Rhein liegt und dgl. Daß man auch in Bezug auf bloße Erscheinungen Wahres denken kann, bestreite ich nicht, aber die Erscheinung, auf die sich ein wahrer Gedanke bezieht, ist nicht dessen Gegenstand, sondern das wahrnehmende Bewußtsein, dem die Erscheinung erscheint. Die Wahrheit z. B., die in dem Satz "Das Bild, das ich hier im Spiegel sehe, bewegt sich" ihren Ausdruck findet, hat zum Gegenstand nicht das Bild, das ich sehe, sondern mich selbst hinsichtlich meines Sehens. Oder daß alle Körper schwer sind, würd, wenn das Dasein von Körpern nur ein Schein für unser wahrnehmendes Bewußtsein sein sollte, nur dann wahr sein, wenn damit ein Gesetz nicht über das Verhalten der Körper, sondern über den Zusammenhang unserer sich auf die Körperwelt beziehenden Wahrnehmungen und Erfahrungen gemeint wäre.

Ein dritter Einwand könnte sich auf die Urteile berufen, die das Dasein eines Dings bejahen oder verneinen. Die Behauptung, daß die  Verneinung  des Daseins von einem Ding nur dann wahr sein kann, wenn dieses Ding da ist, enthält einen offenbaren Widerspruch; und wenn auch das Urteil, welches von einem Ding das Dasein  bejaht,  selbstverständlich nur dann war ist, wenn es ein daseiendes Ding zum Gegenstand hat, so setzt es doch nicht das Dasein seines Gegenstandes voraus, wie es der Fall sein müßte, wenn das Dasein eines Dings eine Bedingung der Möglichkeit dafür wäre, daß überhaupt etwas Wahres von ihm gedacht wird. Es ist, erwidere ich, freilich einleuchten, daß die Urteile, durch die wir ein Ding als daseiend oder als nicht daseiend denken, nicht schon das Dasein eben dieses Dinges voraussetzen; aber daß es wahre Urteile über nicht seiende Dinge geben kann, würde hieraus nur dann folgen, wenn es ausgemacht wäre, daß die Existentialurteile das Ding, dem sie Existenz zuschreiben oder absprechen, zum Gegenstand hätten. Diese Voraussetzung nun ist in Wahrheit unrichtig. Wovon wir in einem Satz von der Gestalt "Es gibt ein A" oder "Es gibt kein A" etwas aussagen, ist nicht das Ding  A,  sondern, wie später näher dargelegt werden wird, das Weltganze, und zwar sagen wir von ihm, indem wir seine Existenz voraussetzen, aus, daß es das Ding  A  in sich faßt, bzw. nicht in sich faßt.

Hängt hiernach die Möglichkeit wahrer Gedanken und mithin auch, da ein Gedanke, um Erkenntnis zu sein, vor allem wahr sein muß, die Möglichkeit von Erkenntnissen, davon ab, daß von den Gegenständen der Vorstellungen, die wir besitzen, mindestens  einer  wirklich da ist, so ist die Möglichkeit des Erkennens weiter dadurch bedingt, daß uns das Dasein des Gegenstandes mindestens  einer  unserer Vorstellungen auch  gewiß  ist, d. h. daß wir eine Bürgschaft für die Wahrheit der Annahme seines Daseins besitzen, oder daß uns diese Annahme hinreichend begründet ist. Denn nicht bloß Wahrheit, sondern auch Gewißheit fordern wir von jedem Gedanen, der auf den Rang einer Erkenntnis Anspruch erhebt, und dieser Forderung genügt ein Gedanke nur dann, wenn ihr auch seine Voraussetzung, daß seinem Gegenstand ein Dasein zukommt, genügt.

Um ferner des Daseins irgendeines vorgestellten Dinges gewiß sein zu können, müssen wir bezüglich mindestens  einer  Vorstellung im  unmittelbaren  Besitz dieser Gewißheit sein. Unmittelbar gewiß aber ist uns das Dasein eines Dinges nur dann, wenn wir es von ihm wahrnehmen, oder, was dasselbe heißt, wenn es uns eine Tatsache ist. Die Möglichkeit, daß wir überhaupt etwas erkennen, ist also an die Bedingung gebunden, daß unter den Gegenständen unseres Wahrnehmens mindestens  einer  sich befindet, dessen Dasein uns eine Tatsache ist.

Die Möglichkeit, zwar nicht des Erkennens überhaupt, aber desjenigen, welches sich nicht auf das Dasein eines gewissen Dings oder einer gewissen Klasse von Dingen beschränkt, sondern einem Gegenstand, dessen Dasein bereits ausgemacht ist, eine Bestimmtheit zuschreibt und näher eine solche, die nicht schon offen oder vesteckt im konstituierenden Inhalt seiner Vorstellung liegt, ist noch an eine andere das Wahrnehmen betreffende Bedingung gebunden. Damit wir eine Erkenntnis solchen Inhaltes haben, genügt es nicht, daß unserem Wahrnehmen das Dasein mindestens  eines  Dinges gegeben ist, sondern wir müssen von diesem Ding auch mindestens  eine  zu diesem konstituierenden Inhalt seiner Vorstellung hinzukommende Bestimmtheit wahrnehmen, - bezüglich mindestens  eines  Dings, mit anderen Worten: muß uns eine Tatsache sein nicht bloß, daß es da ist, sondern auch, daß es eine gewisse Bestimmtheit hat, die es nicht schon insofern hat, als es dieses besondere Ding ist, dessen Dasein uns gewiß ist. Denn gibt es überhaupt solche Erkenntnisse, so ist darunter mindestens  eine  von unmittelbarer Gewißheit; unmittelbar gewiß aber kann uns, wie das Dasein eines Dings, so auch jede Bestimmtheit, die wir in einem synthetischen Urteil von ihm prädizieren nur dadurch sein, daß wir sie von ihm wahrnehmen, daß sie uns eine Tatsache ist.

Die Frage nun, ob überhaupt und wie die das Wahrnehmen betreffenden Bedingungen für die Möglichkeit der Erkenntnis erfüllt sind und erfüllt sein können, zu beantworten, soll im folgenden der Versuch gemacht werden. Weiter soll dann untersucht werden, ob uns nicht bezüglich derjenigen Wahrnehmungen, die jenen Bedingungen nicht entsprechen, von denen es also nicht unmittelbar gewiß ist, daß ihre Objekte Dinge-ansich und ihre Inhalte Bestimmtheiten ansich seiender Dinge sind, doch eine  mittelbare  Gewißheit erreichbar ist, sei es dafür, daß ihre Objekte ansich existieren und ansich so beschaffen sind, wie sie uns erscheinen, sei es dafür, daß ihre Objekte Erscheinungen ansich seiender Dinge von gewisser Beschaffenheit sind, - ob uns also diese Wahrnehmungen nicht doch dazu dienen können, die Erkenntnis des Ansichseienden, für die wir in den anderen eine Quelle besitzen, zu erweitern. Es ist aber zu erwarten, daß diese Kritik des Wahrnehmungsvermögens zugleich einen gewissen Aufschluß über die allgemeine Beschaffenheit des Ansichseienden geben und so von grundlegender Bedeutung für die Metaphysik sein wird.


I.

1. Daß nicht Alles, was wir wahrnehmen, wirklich, ansich existiert, und wirklich, ansich, so beschaffen ist, wie wir es wahrnehmen, lehrt uns schon der Widerstreit, den wir vielfach auf dem Gebiet der Wahrnehmungen antreffen, indem sich derselbe Gegenstand dem Einen so, dem Anderen anders darstellt, oder verschiedene Sinne derselben Person demselben Gegenstand unvereinbare Bestimmtheiten, z. B. das Auge und die Hand verschiedene Gestalten, zuschreiben, oder demselben Sinn derselben Person dasselbe Ding, ohne sich inzwischen verändert zu haben, jetzt so, dann anders erscheint. Wer aber daran denkt, daß die Sinne manchmal täuschen, wird weiter einräumen müssen, daß die Wirklichkeit eines sinnlich Wahrgenommenen niemals eine  Tatsache  ist, daß selbst der Glaube an das wirkliche Dasein von Dingen mit Qualitäten, die, wie die Farbe, der Ton, der Geruch, der Geschmack, die Wärme, zur Ausdehnung oder Körperlichkeit hinzukommen, überhauppt, oder auch nur von ausgedehnten Dingen überhaupt sich nicht auf die Tatsächlichkeit des Geglaubten berufen kann. Denn zwischen den anerkannten Sinnestäuschungen und denjenigen Wahrnehmungen, von denen uns ihre Vergleichung mit anderen zu glauben gestattet, daß sie Wirkliches zum Inhalt haben, z. B. zwischen dem Anblick eines in Wasser getauchten Stabes, der uns gebrochen erscheint, und dem eines wirklich gebrochenen, besteht kein Unterschied, der uns das Recht gäbe, die Tatsächlichkeit ihrer Übereinstimmung mit dem Wirklichen, die wir den ersteren nicht zugestehen, für die andern in Anspruch zu nehmen.

Es bedarf jedoch zur Begründung der eben aufgestellten Behauptung nicht des Hinweises auf die Sinnestäuschungen. Um ihre Wahrheit einzusehen, braucht man sich nur den Sinn der entgegengesetzten klar zu machen. Daß das wirkliche Dasein eines wahrgenommenen Gegenstandes dem Wahrnehmenden eine Tatsache ist, würde nämlich heißen: zu demjenigen, was dem Wahrnehmenden von seinem Gegenstand gegeben ist, was er nicht durch sein Auffassen des Gegebenen zum Gegenstand hinzudenkt, sondern in ihm antrift, gehört auch, daß ihm Bestimmtheiten unabhängig von seinem Wahrgenommen-werden zukommen, so daß es Gedanken geben kann, die mit ihm übereinstimmen, indem sie sich nach ihm richten. Und diese Unabhängigkeit vom Wahrgenommen-werden würde dann, wenn es sich um einen Gegenstand des sinnlichen oder äußeren Wahrnehmens, d. h. um ein nicht mit dem wahrnehmenden Bewußtsein, dessen Gegenstand es ist, identisches Ding handelt, näher darin bestehen, daß das Wahrgenommen-werden nicht zu seiner Natur oder Wesenheit gehört, sondern zu dem vollendeten Ding noch als eine zufällige Beziehung zu einem wahrnehmenden Subjekt hinzukommt. Um aber von einem Ding diese Entbehrlichkeit des Wahrgenommen-werdens wahrzunehmen, müßte ich es zu einem nicht von mir wahrgenommenen machen und als ein solches wahrnehmen, müßte ich es also wahrnehmen, ohne es wahrzunehmen; ich müßte es außerhalb meines wahrnehmenden Bewußtseins lassen und als ein außerhalb desselben gebliebenes in ihm haben.

2. Anders als mit dem sinnlichen oder äußeren Wahrnehmen scheint es sich mit dem nicht sinnlichen oder inneren, dessen Inhalt das äußere bildet, mit dem Bewußtsein, das wir von unseren äußeren Wahrnehmungen haben, zu verhalten. Wie es auch um das Dasein dessen, was wir sehen, hören, schmecken usw., stehen mag, so können wir doch, scheint es, nicht zweifeln, nicht nur, daß wir, so oft wir etwas zu sehen, zu hören, zu schmecken uns bewußt sind, es wirklich in diesen Weisen wahrnehmen, sondern auch, daß diese Wirklichkeit unseres Wahrnehmens für unser Bewußtsein eine Tatsache ist. Es ist z. B. zwar keine Tatsache, daß das Blatt Papier, welches ich im Spiegel sehe, und ebensowenig, daß das andere, auf welches ich gegenwärtig schreibe, ein ansich existierendes Ding ist, wohl aber ist es eine solche, daß beide Blätter mir dazusein  scheinen,  oder, was dasselbe ist, daß ich sie sehe und nicht bloß zu sehen meine, daß der Schein, sie seien da, nicht selbst bloß dazusein scheint.

Wir nehmen in der Tat in jedem Augenblick, wenigstens in jedem, in welchem wir wach sind, äußere Wahrnehmungen so in uns wahr, daß uns wirklicher Besitz eine Tatsache ist. Aber voreilig wäre die Behauptung, daß es sich so mit  allen  äußeren Wahrnehmungen, die wir innerlich wahrnehmen, verhält, daß wir also in jedem Augenblick all das wirklich wahrnehmen, was wir uns wahrzunehmen scheinen. Zu ihrer Widerlegung bedürfte es nur der Erinnerung an das Einbilden. Denn das Vorstellen eines sinnlich wahrnehmbaren Gegenstandes durch die Einbildungskrat besteht darin, daß man, ohne ihn wirklich wahrzunehmen, sich so verhält, als ob man ihn wahrnimmt, sich in den Zustand des auf ihn gerichteten Wahrnehmens versetzt; so aber verhält man sich, man versetzt sich in den Zustand des sinnlichen Wahrnehmens eines gewissen Gegenstandes, indem man ihn selbst als diesen Gegenstand wahrnehmend vorstellt; und dieses Vorstellen ist ein Wahrnehmen, man müßte denn die Vorstellung, etwas sinnlich wahrzunehmen, selbst nur dann Wahrnehmung nennen wollen, wenn das vorgestellte sinnliche Wahrnehmen wirklich stattfindet, wo dann die Behauptung, alle sinnlichen Wahrnehmenungen, die wir in uns wahrnehmen, seien wirklich in uns vorhanden, eine Tautologie wäre. Man stellt einen sinnlichen Gegenstand, z. B. einen schwarzen Fleck auf weißem Grund, einen Glockenton, den Duft einer Nelke, in der Weise des Einbildens vor, erzeugt ein Phantasiebild von ihm dadurch, daß man sich einbildet,  ihn wahrzunehmen,  und dieses sich Einbilden, daß man den Fleck sieht, den Ton hört, den Duft riecht, ist selbst Wahrnehmen.

Können wir aber nach diesem Zugeständnis noch die Behauptung aufrecht erhalten, es sei unserem inneren Wahrnehmen wenigstens mitunter eine Tatsache, daß wir wirklich äußere Wahrnehmungen haben? Müssen wir nicht vielmehr weiter einräumen, daß vielleicht  alles  innere Wahrnehmen eines äußeren Wahrnehmens ein bloßes Einbilden ist? Wenn wir bedenken, daß wir im Traum durch unsere Einbildungskraft getäuscht werden oder vielmehr die Täuschung, in die uns die Einbildungskraft versetzt, nicht bemerken, so daß wir in den Urteilen, mit denen wir uns über das bloße Einbilden erheben, in ihr befangen bleiben, müssen wir dann nicht die Möglichkeit zugeben, daß wir uns immer täuschen, wenn wir etwas sinnlich wahrzunehmen glauben, daß wir immer träumen, im Schlaf undeutlich vielfach zusammenhanglos, mit dem einen Teil des Traumes dem andern widersprechend, keinen Traum an den andern anschließend, im Wachen deutlich, lebhaft, zusammenhängend, ohne uns zu widersprechen, und den Traum, der durch den vorhergehenden Schlaf unterbrochen wurde, fortsetzend? Oder besitzen wir etwa ein Kriterium, um eingebildete äußere Wahrnehmungen von tatsächlich wirklichen zu unterscheiden?

Ein solches Kriterium, meine ich, besitzen wir allerdings nicht, aber wir bedürfen seiner auch nicht. Auch der Skeptiker setzt voraus, daß zwischen den inneren Wahrnehmungen eines wirklich stattfindenden äußeren Wahrnehmens, wenn es solche geben sollte, und denen, die bloße Einbildungen sind, ein Unterschied besteht. Und er muß zugeben, daß wir wenn wir ein wirklich stattfindendes äußeres Wahrnehmen innerlich wahrnehmen würden, dieses innere Wahrnehmen auch ohne Kriterium von dem ihm im übrigen gleichen, welches ein bloßes Einbilden wäre, unterscheiden könnten, solbald es uns gelänge, es deutlich aufzufassen, es in seiner Eigentümlichkeit mit dem Auge des Geistes zu erblicken, gleichwie wir keines Kriteriums bedürfen, um eine rote Fläche, die wir deutlich vor Augen haben, von einer blauen zu unterscheiden. Wenn wir umgekehrt, muß er weiter zugeben, von einer inneren Wahrnehmung eines äußeren Wahrnehmens, die wir besitzen, in dieser unmittelbaren Weise erkennen würden, daß sie keine Einbildung ist, sondern ein wirklich in uns stattfindendes äußeres Wahrnehmen zum Inhalt hat, dann hätten wir auch die Gewißheit, daß diese innere Wahrnehmung wirklich von dieser Art ist, denn es wäre uns eine Tatsache, daß sie es wäre. Wir besitzen aber in der Tat innere Wahrnehmungen, von denen wir, indem wir sie daraufhin prüfen, unmittelbar erkennen, daß sie keine Einbildungen sind. Es ist uns eine Tatsache und mithin gewiß, daß wir wirklich innere Wahrnehmungen eines äußeren Wahrnehmens haben, die keine Einbildungen sind, und so ist uns die Tatsächlichkeit des Besitzes äußerer Wahrnehmungen selbst eine Tatsache.

Der Skeptiker wird sich indessen mit dieser Erwiderung nicht zufrieden geben. Wenn wir, wird er einwenden, von der inneren Wahrnehmung eines äußeren Wahrnehmens unmittelbar zu erkennen glaube, daß sie kein eingebildetes, sondern ein wirkliches äußeres Wahrnehmen zum Inhalt hat, so haben wir keine Gewißheit, daß wir uns hierin nicht täuschen. Es kommt ja wohl auch im Traum vor, daß wir uns fragen, ob wir nicht etwa das, was wir zu erleben meinen, bloß träumen, und dann diesen Zweifel zurückweisen. Vielleicht verhält es sich stets so, wenn uns unsere Selbstbeobachtung die Aussage der inneren Wahrnehmung, daß wir im Besitz äußerer Wahrnehmungen sind, zu bestätigen scheint.

Ich gebe zu, daß Täuschungen der auf das innere Wahrnehmen eines äußeren Wahrnehmens gerichteten Selbstbeobachtung möglich sind, und daß sie nicht bloß im Schlaf, sondern auch im Wachen vorkommen, insbesondere dann, wenn die Einbildungskraft den Inhalt einer undeutlichen und unvollständigen äußeren Wahrnehmung bestimmter macht und ergänzt, wie sich dies z. B. leicht bei Beobachtungen mit dem Mikroskop oder Fernrohr ereignet. Aber wo eine solche Selbstbeobachtung uns  nicht  täuscht, wor wir von einer äußeren Wahrnehmung, die wir innerlich wahrnehmen, ganz klar und deutlich bemerken, daß wir sie wirklich haben und nicht bloß zu haben uns einbilden, da haben wir auch die vollkommene Gewißheit, daß es so ist, denn wir sehen, daß es eine Tatsache ist und die Tatsächlichkeit des Geglaubten verbürgt uns unbedingt die Wahrheit des Glaubens. Angenommen wir machten diese Selbstbeobachtung, - ich lasse es dahingestellt sein, ob dies möglich ist -, so müßten wir allerdings, um des Ergebnisses der ersteren gewiß zu sein (des Ergebnisses, daß das innere Wahrnehmen eines äußeren Wahrnehmens uns nicht täuscht, daß also das innerlich wahrgenommene äußere Wahrnehmen kein bloß eingebildetes ist), auch des Ergebnisses der zweiten gewiß sein, daß nämlich die erstere uns nicht täuscht, daß sie wirklich das Bemerken einer Tatsache ist; denn erschiene es uns zweifelhaft, ob wir wirklich bemerkten, daß unser inneres Wahrnehmen eines äußeren Wahrnehmens kein bloßes Einbilden ist, so müßten wir natürlich auch das bezweifeln, was wir zu bemerken glaubten. Aber diese Gewißheit würde auch nicht fehlen können. Bemerken wir wirklich von einem inneren Wahrnehmen, daß es kein Einbilden, sondern das Erfassen eines wirklichen äußeren Wahrnehmens z. B. des wirklichen Sehens eines Farbflecks ist, so haben wir damit die Gewißheit, daß wir wirklich sehen und uns nicht bloß einbilden zu sehen, und diese Gewißheit kann nicht dadurch zerstört werden, daß wir wieder auf unser Bemerken reflektieren und uns fragen, ob wir das vermeintlich Bemerkte auch wirklich bemerken; eine solche Reflexion könnte also (ihre Möglichkeit vorausgesetzt) kein anderes Ergebnis haben als die Gewißheit, daß wir wirklich bemerken, was zu bemerken wir uns schon vorher gewiß waren. Ganz ebenso wie mit der Selbstbeobachtung der Selbstbeobachtung der ein wirklich stattfindendes äußeres Wahrnehmen zum Inhalt habenden inneren Wahrnehmung würde es sich wieder mit der Selbstbeobachtung dieser Selbstbeobachtung verhalten müssen, wenn eine solche möglich wäre.

3. Doch nach dieser Verteidigung muß uns die Möglichkeit, daß uns der Besitz äußerer Wahrnehmungen eine Tatsache ist, als ein Problem erscheinen, wenn wir uns des Grundes erinnern, aus dem wir es für unmöglich erklärten, daß uns das wirkliche Dasein eines äußerlich Wahrgenommenen jemals eine Tatsache sein soll. Das wirkliche Dasein eines äußerlich Wahrgenommenen, fanden wir, kann uns niemals eine Tatsache sein, weil dazu erforderlich wäre, daß wir von einem Ding außerhalb von uns Bestimmtheiten als ihm unabhängig von unserem Wahrnehmen zukommend vernehmen würden, daß wir also wahrnehmen, ohne es wahrzunehmen. Gilt nicht aber dasselbe von einem innerliche Wahrgenommenen? Der Besitzt einer äußeren Wahrnehmung, die wir innerlich wahrnehmen, kann uns eine Tatsache nur dann sein, wenn das Dasein unserer selbst, des Subjekts des äußeren Wahrnehmens, es ist. Müßten wir aber nicht, damit uns unser eigenes Dasein eine Tatsache sein kann, uns innerlich wahrnehmen, ohne uns wahrzunehmen?

Bevor wir jedoch diese Schwierigkeit zu heben suchen, werden wir den Gegenstand des inneren Wahrnehmens, das äußerlich wahrnehmende Subjekt, näher ins Auge fassen müssen.

Zunächst ist hier festzustellen, daß im Begriff des Subjekts des äußeren Wahrnehmens nicht der eines materiellen oder immaterielen Substrates enthalten ist, dem das Wahrnehmen anhaftet oder von dem es getragen würde, - daß, mit anderen Worten, dieser Begriff nicht der eines Dinges ist, aus dessen Natur ein wahrnehmendes Bewußtsein, sie es immer, sei es unter bloß zeitweilig erfüllten Bedingungen, hervorginge. Mag das äußerlich wahrnehmende Subjekt ein solches Ding sein (was zu untersuchen hier noch nicht der Ort ist), so ist es doch als äußerlich wahrnehmendes Subjekt, d. h. wenn von all dem abgesehen wird, was es außerdem sein mag, nichts weiter als das wahrnehmende Bewußtsein selbst, insofern es das Eine und Ganze und Bleibende ist, wozu sich die mannigfaltigen und wechselnden Wahrnehmungstätigkeiten, die wir vom wahrnehmenden Subjekt aussagen, als besondere Weise verhalten. Ein Etwas, aus dem unser wahrnehmendes Bewußtsein hervorginge, oder dem es anhaftete, oder von dem es getragen würde, gehört auch nicht zu dem, was uns vom Subjekt der äußeren Wahrnehmung in der inneren Wahrnehmung, die wir von ihm haben, gegeben ist.

Mit Bedacht habe ich das Subjekt des äußeren Wahrnehmens nicht dem Bewußtsein, insofern es ein  äußeres  Wahrnehmen, sondern dem Bewußtsein, sofern es  überhaupt  ein Wahrnehmen ist, gleichgesetzt. Das Erstere wäre in der Tat unrichtig gewesen. Denn das äußerlich wahrnehmende Subjekt, welches ein Objekt meines inneren Wahrnehmens ist, bin ich selbst, - bin ich, der ich das Subjekt eben dieses inneren Wahrnehmens bin. Das mir durch mein inneres Wahrnehmen bekannte äußerlich wahrnehmende Subjekt ist also sich selbst in seinem äußeren Wahrnehmen ein innerlich wahrnehmendes Subjekt. Und daß es dieses ist, ist ihm wesentlich; es muß, um ein äußerlich wahrnehmendes Subjekt zu sein, sich selbst als äußerlich wahrnehmendes innerlich wahrnehmen. Aber nicht bloß für dasjenige äußerlich wahrnehmende Subjekt, von dem ich durch mein inneres Wahrnehmen weiß, für mich, sondern für jedes ist es wesentlich, sich in seinem äußeren Wahrnehmen innerich wahrzunehmen. Demjenigen Subjekt, von dem ich durch meine innere Wahrnehmung weiß, ist eigentümlich nur dies, daß eben ich es bin, von dem es innerlich wahrgenommen wird; überhaupt von dem Subjekt, mit dem es identisch ist, innerlich wahrgenommen zu werden, gehört zum allgemeinen Begriff des wahrnehmenden Subjekts. Wer es für möglich hält, daß ein Wesen äußere Wahrnehmungen hat, ohne sein äußeres Wahrnehmen innerlich wahrzunehmen, versteht entweder unter Wahrnehmen etwas mit dem, was ich darunter verstehe, völlig Unvergleichbares, oder er hat es versäumt, die Natur dessen, was er mit mir Wahrnehmen nennt, scharf ins Auge zu fassen.

Doch auch hiermit ist der Begriff des Subjektes [mfk] des äußeren Wahrnehmens noch nicht erschöpft. Ich bin nicht bloß mit dem äußerlich wahrnehmenden Subjekt, welches das Objekt meines inneren Wahrnehmens ist, identisch, sondern ich nehme auch diese Identität wahr, indem ich mir des äußeren Wahrnehmens, das ich innerlich wahrnehme, als des meinigen, als eines mir, der ich es innerlich wahrnehme, angehörigen bewußt bin. Ich kann aber die Identitt des innerlich von mir wahrgenommenen äußerlich wahrnehmenden Subjekts mit mir, dem innerlich wahrnehmenden Subjekt, nicht wahrnehmen, ohne mein inneres Wahrnehmen selbst wahrzunehmen. Mein inneres Wahrnehmen hat also nicht bloß mein äußeres, sondern zugleich mit diesem sich selbst zum Gegenstand. Demnach ist das mir durch meine innere Wahrnehmung bekannte äußerlich wahrnehmende Subjekt sich selbst in seinem äußeren Wahrnehmen in der Weise ein innerlich wahrnehmendes Subjekt, daß sein inneres Wahrnehmen sich selbst zum Gegenstand hat. Und auch dies ist ihm wesentlich; es kann gar nicht äußerlich wahrnehmen und sein äußeres Wahrnehmen innerlich wahrnehmen, ohne daß sein inneres Wahrnehmen seines äußeren Wahrnehmens sich selbst erfaßt. Was ich hiermit von demjenigen äußerlich wahrnehmenden Subjekt, das mir duch innere Wahrnehmung bekannt ist, festgestellt habe, gilt aber auch von jedem andern. Es gehört also zur Natur des Subjekts des äußeren Wahrnehmens überhaupt, daß es sein äußeres Wahrnehmen innerlich wahrnimmt, und daß dieses innere Wahrnehmen zugleich sich selbst zum Gegenstand hat.

Gehört es zum Wesen des Bewußtseins, sich selbst zum Gegenstand zu haben, so muß es auch, insofern es dieser Gegenstand ist, wieder sich selbst zum Gegenstand haben, muß unser Bewußtsein also Bewußtsein vom Bewußtsein unseres Bewußtseins sein, denn sonst würde dem Bewußtsein, sofern es Gegenstand ist, etwas daran fehlen, Bewußtsein zu sein. Aus demselben Grund muß das Bewußtsein wieder insofern, als es der Gegenstand des bereits Gegenstand seienden Bewußtseins ist, sich selbst zum Gegenstand haben. Und so fort ohne Ende. Auf der andern Seite muß das Bewußtsein, insofern es sich zum Gegenstand hat, wieder Gegenstand seiner selbst sein, und dasselbe gilt wieder von ihm, isofern es sich, das zum Gegenstand habende, zum Gegenstand hat, und so fort ohne Ende. Mit anderen Worten: wenn das Ich selbst selbst zum Objekt hat, so ist es auch, insofern es dieses Objekt ist, ein Subjekt, das sich selbst zum Objekt hat, und so fort, und andererseits ist das Ich, wenn es selbst das Subjekt ist, dessen Objekt es ist, auch schon Objekt, sofern es dieses Subjekt ist, und so fort.(Ausführlicher habe ich die im Begriff des Ich enthaltene nach beiden Seiten hin unendliche Reihe von Selbsterfassungen in Übereinstimmung mit FICHTE und HERBART im letzten Abschnitt der im "Archiv für systematische Philosophie II, Heft 2 und 3 veröffentlichten Abhandlung über den Begriff des Daseins und das Ich-Bewußtsein nachgewiesen.) Wie läßt sich nun diese anfangs- und endlose Reihe, zu der sich das Ich dem, der sich seinen Begriff klar zu machen sucht, auseinanderzieht, mit der Einfachheit und der vollendeten Wirklihkeit, die dort auh zu seinem Begriff gehören, vereinigen?

Soll diese Vereinigung möglich sein, so muß unserem Ich für das unmittelbare Bewußtsein, das wir von ihm haben, für unser Wahrnehmen, eine Bestimmtheit zukommen, vermöge deren es sich unter den Begriff des Unendlichen, bestimmter des in zwei entgegengesetzten Richtungen Unendlichen, bringen läßt. Dies ist nun in der Tat der Fall. Denn eine solche Bestimmtheit ist das Sein in der Zeit, das Dauern. Man wird einwenden, die Annahme, daß die Dauer unseres Ich ohne Anfang und ohne ist, widerspreche der Erfahrung: die Erfahrung nötige uns anzunehmen, daß, wie es auch um das Dasein unserer Seele stehen mag, doch jedenfalls unser Bewußtsein, also unser Ich, nicht immer gewesen ist und nicht immer sein wird, sondern daß es vor der Verbindung unserer Seele mit unserem Leib zumindest eine Zeit lang nicht gewesen ist und nach dem Tod zumindest eine Zeit lang nicht sein wird und zwischen unserer Geburt und unserem Tod zahlreiche Untersuchungen erleidet. Ich kann indessen diese Berufung auf die Erfahrung nicht gelten lassen. Die Erfahrung lehrt uns, daß unser Bewußtsein bald heller bald dunkler ist, bald einen mehr bald einen weniger intensiven, und bald einen mannigfaltigeren, bald einen einförmigeren Inhalt hat, bald mehr, bald weniger lebhaft, oft vielleicht gar nicht, sich mit seinen Vorstellungen beschäftigt, mit  einem  Wort: daß es wachsen und abnehmen, sich entfalten und zusammenschließen kann; sie reicht aber nicht hin zum Beweis, daß unser Bewußtsein jemals, etwa in den Zuständen des traumlosen Schlafes, der Ohnmacht, der Betäubung, völlig, bis auf das letzte Fünkchen, erlöscht; vielmehr werden wir daraus, daß wir uns nach dem Erwachen aus solchen Zuständen bewußt sind, dasselbe Ich zu sein, das wir vorher waren, schließen müssen, daß wir keinen Augenblick aufgehört haben, es zu sein, denn ebensowenig wie die Flamme, mit der heute abend meine Lampe brennt, identisch ist mit derjenigen, mit der sie gestern abend brannte, wären ein Bewußtsein, das jetzt aufhörte zu sein, und ein Bewußtsein, das kürzere oder längere Zeit nachher anfinge zu sein, dasselbe Bewußtsein, dasselbe Ich.

Es findet sich in der Wahrnehmung, die wir von unserem Ich haben, nichts anderes, was es ermöglichen würde, den Begriff des Unendlichen auf das Ich anzuwenden, als das Dauern. Mithin muß die Unendlichkeit, von der gezeigt wurde, daß sie im Begriff des Ich als des sich selbst zum Gegenstand habenden Bewußtseins liegt, einerlei sein mit der Unendlichkeit des Dauerns. Angenommen nun, die Zeit wäre eine unendliche Reise von unteilbaren Zeitpunkten in der Weise, daß sie aus ihnen als ihren Teilen zusammengesetzt wäre, daß man also jede endliche Zeitstrecke durch ein wiederholtes Ansetzen eines Zeitpunktes an den vorher gesetzten konstruieren könnte, so wäre die Identität der im Begriff des Ich nachgewiesenen Unendlichkeit mit einer Unendlichkeit der Dauer so zu denken, daß das Bewußtsein in jedem unteilbaren Zeitpunkt seines Daseins einerseits zum Gegenstand hat sich als das in dem unmittelbar vorhergegangenen Zeitpunkt gewesene, und andererseits selbst Gegenstand wird für sich als das in den unmittelbar folgenden Zeitpunkt übergegangene. Die unendlich vielen Bewußtsein oder Ich, auf welche die Betrachtung des Begriffs des Ich führte, wären ein und dasselbe Bewußtsein oder Ich in den unendlich vielen Zeitpunten, aus denen die anfangs- und endlose Zeit zusammengesetzt wäre. Diese Auffassung entspricht aber weder der Wesenheit des Ich noch der Natur der Zeit; der ersteren Nicht, weil das Bewußtsein des Ich von sich nicht Bewußtsein seines vergangenen, sondern seines gegenwärtigen Daseins ist; der anderen nicht, weil die Zeit keine Aneinanderreihung von Zeitpunkten ist, vielmehr zwei Zeitpunkt, wenn sie nicht völlig zusammenfallen sollen, ebenso wie zwei nicht zusammenfalende Raumpunkte, einen wenn auch noch so kleinen, unendlich viele Punkte enthaltenden Abstand voneinander haben müssen. Dieser verfehlte Versuch, das unendliche Sich-selbst-Erfassen des Ich mit unendlicher Dauer zusammenfallen zu lassen, führt jedoch sofort auf die richtige Auffassung. Das Bewußtsein hat in jedem unteilbaren Zeitpunkt seines Daseins sich selbst als das in diesem Zeitpunkt, dem jedesmaligen Punkt der Gegenwart, seiende zum Gegenstand, jedoch besteht zwischen dem Bewußtsein, welches gewußt wird, und dem Bewußtsein, welches weiß, der Unterschied, daß das erstere das in den Zeitpunkt der Gegenwart eintretenden, das andere das ihn verlassende ist, oder, was dasselbe ist: zwischen dem Zeitpunkt, in welchem das gewußte, und demjenigen, in welchem das wissende Bewußtsein ist, besteht, obwohl sie derselbe unteilbare Zeitpunkt sind, doch der Unterschied, daß der erstere die Gegenwart als Endpunkt der Vergangenheit, der andere dieselbe als Anfangspunkt der Zukunft ist. Nach dieser Auffassung (ich wiederhole hier einige Sätze meiner oben erwähnten Abhandlung über den Begriff des Daseins und das Ich-Bewußtsein) ist das Ich in jedem Augenbick seines Daseins ein selbstbewußtes Wesen, aber dazu ist erforderlich, daß es ein solches schon bisher gewesen ist und zu sein fortfährt, sodaß sein Selbstbewußtsein zwar stets vollendet ist, aber von Ewigkeit zu Ewigkeit sich kontinuierlich erneuert, also ein ewiges Selbstbewußt werden  ist. Es erfaßt sich im jedesmaligen Punkt der Gegenwart als bis dahin gewesenes und jetzt seiendes, indem es gleichsam mit rückwärts gewandtem Blick ihn verläßt. Indem es in den Punkt der Gegenwart eintritt, setzt es sein Dasein bis in denselben fort und seines Daseins in demselben wird es sich bald bewußt, indem es, ihn verlassend und einen anderen Punkt zum Punkt der Gegenwart machend, auf ihn zurückblickt.

4. Ich kehre nunmehr zu der Frage zurück, wie uns das Dasein des Objekts unseres inneren Wahrnehmens, welches das Subjekt unseres äußeren Wahrnehmens und auch unseres inneren Wahrnehmens selbst ist, eine Tatsache sein kann.

Die Behauptung, daß ich da bin, ist enthalten in der, daß ich wahrnehme, denn wenn ich nicht wäre, könnte ich auch nicht wahrnehmen. Und die Behauptung, daß mir mein Dasein eine Tatsache ist, d. h. daß mein Dasein zu demjenigen gehört, was ich von mir wahrnehme, ist mithin enthalten in der, daß ich mich als identisch mit mir, dem wahrnehmenden Subjekt, daß ich, mit anderen Worten: mich als das, was ich eben mit dem Wort Ich bezeichne, oder daß ich von mir mein Ich-sein wahrnehme. Einen Gegenstand, der nicht mit mir identisch ist, kann ich wahrnehmen, ohne daß mir seinn Dasein eine Tatsache ist, und er braucht auch gar nicht dazusein, um von mir wahrgenommen zu werden. Ich würde mir aber widersprechen, wenn ich dächte, daß ich, der ich wahrnehme, nicht bin, und nicht weniger, wenn ich dächte, daß ich, indem ich mich als identisch mit mir, dem wahrnehmenden Subjet, wahrnehme, nicht mein Dasein vom mir wahrnähme, oder daß mir mein Dasein keine Tatsache ist. Die Frage, wie es möglich ist, daß uns unser eigenes Dasein eine Tatsache ist, ist also einerlei mit der, wie es möglich ist, daß wir uns selbst und von uns selbst das Wir-selbst-sein wahrnehmen. Diese aber ist oben beantwortet worden.

Man wird mir entgegenhalten: auch nach der Beantwortung der Frage, wie das Bewußtsein sich selbst zum Gegenstand haben kann, erscheint es bezüglich des Objekts der inneren Wahrnehmung, des Ich, ebenso unmöglich wie bezügich jedes beliebigen Objekts der äußeren, daß uns sein Dasein eine Tatsache ist, wenn das Dasein eines Dings in seiner Unabhängigkeit vom Wahrnehmen besteht; denn möge ein Gegenstand der äußeren oder der inneren Wahrnehmung angehören, in beiden Fällen müßte man, um sein Dasein d. h. seine Unabhängigkeit vom Wahrnehmen wahrzunehmen, ihn als einen nicht wahrgenommenen wahrnehmen, also ihn wahrnehmen, ohne ihn wahrzunehmen. Aus meiner Entwicklung des Begriffs des Ich folgt sogar, daß nicht nur die Tatsächlichkeit seines Daseins, sondern schon sein Dasein selbst unmöglich ist. Denn nach ihr gehört es zum Wesen des Ich, von sich selbst wahrgenommen zu werden, gehört also zu Wesen des Ich die Abhängigkeit von seinem Wahrgenommen-werden, sei es mithin nichts weiter als ein von ihm selbst Vorgestelltes, nicht ein Ding-ansich, sondern eine bloße Erscheinung für es selbst.

Einem Ding, lautet meine Antwort, dem es wesentlich ist, oder zu dessen Natur es gehört, wahrgenommen zu werden, braucht darum nocht nicht die Unabhängigkeit von seinem Wahrgenommen-werden zu fehlen, die ihm zugeschrieben wird, wenn ihm ein Dasein zugeschrieben wird, und die darin besteht, daß die Prädizierung von Bestimmtheiten von ihm sich nach ihm richten und mit ihm übereinstimmen kann. Denn es ist denkbar, daß ein daseiendes Ding zu einem wahrnehmenden Subjekt, von dessen Wahrnehmen es in jenem Sinn des Wortes unabhängig ist, nicht zufällig, sondern durch seine Natur oder Wesenheit in  dem  Verhältnis steht, daß es von ihm wahrgenommen wird, wobei in diesem Fall dieses Verhältnis eine reale Beziehung zwischen dem Ding und dem wahrnehmenden Subjekt sein würde. Aber nur dann ist dies denkbar, wenn das Ding mit dem Subjekt, von dem wahrgenommen zu werden zu seiner Natur oder Wesenheit gehört, identisch ist. Und dann ist es nicht bloß denkbar, sondern denknotwendig. Ein Ding, das von einem anderen Ding wahrgenommen wird und an dieses Wahrgenommen-werden gebunden ist, ist nicht, sondern scheint nur zu sein, nämlich dem Ding, von dem es wahrgenommen wird; dagegen ein Ding, das von sich selbst wahrgenommen wird und dieses Wahrgenommen-werdens nicht entbehren kann, scheint nicht bloß zu existieren, sondern existiert wirklich, da, wenn es nicht existieren würde, es auch nicht zu existieren  scheinen  könnte, und seine Existenz ist Unabhängigkeit von seinem Wahrgenommen-werden in dem Sinne des Wortes, in welchem sie es sein muß.

Nachdem gezeigt ist, wie uns das Dasein unseres Ich als des Subjektes unseres Wahrnehmens eine Tatsache sein kann, hat es keine Schwierigkeit mehr, die Möglichkeit zu verstehen, daß wir uns im tatsächlichen Besitz bestimmter äußerer Wahrnehmungen und innerer Wahrnehmungen von diesen äußeren Wahrnehmungen antreffen. Denn wenn es möglich ist, daß wir unser Ich, insofern es überhaupt unser Ich, das Subjekt unseres Wahrnehmens, ist, als daseiend wahrnehmen, so ist nicht einzusehen, warum wir nicht auch die ihm wirklich zukommenden Bestimmtheiten als ihm wirklich zukommende, d. h. als besondere Weisen seines Ich-seins sollten wahrnehmen können.

5. Es wird zur Vertiefung und Befestigung des Ergebnisses der vorstehenden Verhandlung über den Grund der Gewißheit "Ich bin" dienen, wenn wir auch den zweiten der in dieser Gewißheit verknüpften Begriffe, den des Daseins, etwas näher ins Auge fassen. (Das Nachfolgende ist in der Hauptsache eine kurze Zusammenfassung der Abhandlung über den "Begriff des Daseins und das Ich-Bewußtsein", auf die ich schon oben Bezug genommen habe.)

Eine erste Antwort auf die Frage, was wir damit meinen, wenn wir einem Gegenstand unseres Vorstellens oder Denkens ein Dasein zuschreiben, hat die gegenwärtige Untersuchung schon in ihrem Eingang gegeben und weiterhin zu dem Nachweis benutzt, warum uns das Dasein eines Gegenstandes der äußeren Wahrnehmung niemals eine Tatsache sein kann, dagegen dasjenige des Gegenstandes der inneren, des eigenen Ich, eine solche nicht bloß sein kann, sondern sein muß. Indem wir einen Gegenstand als daseiend vorstellen, stellen wir ihn vor als einen solchen, mit welchem unser Denken im Prädizieren von Bestimmtheiten übereinstimmen kann, indem es sich nach ihm richtet; und wir verstehen unter seinem Dasein das, wodurch es diese Unabhängigkeit von seinem Vorgestellt werden, diese Selbständigkeit dem Vorstellen gegenüber besitzt.

Hiernach setzt jedes Urteil das Dasein seines Gegenstandes voraus. Denn wer von einem Ding  A  urteilt, es habe eine Bestimmtheit  B,  meint, daß sein Urteil wahr ist, was so viel heißt, wie daß es mit seinem Gegenstand übereinstimmt, indem es sich nach ihm richtet. Wenn dem nun so ist, so kann, wie KANT lehrte, das Dasein niemals zum Prädikat eines Urteils dienen. Das Urteil dadurch wir einem Ding Dasein zuschreiben, hat also nicht zum Subjekt dieses Ding und nicht zum Prädikat das Dasein. Von welchem Gegenstand sagt denn nun aber das Existenzialurteil "Es gibt ein A" welche Bestimmtheit aus? Andererseits knüpft sich an die aufgestellte Erklärun vom Begriff des Daseins die Frage, was in einem daseienden Ding das ist, wodurch es zum Denken in einem Verhältnis steht, welches als Selbstständigkeit oder Unabhängigkeit bezeichnet wurde, - worin das Dasein als dasjenige, was einem Ding jene Selbständigkeit oder Unabhängigkeit verleiht, besteht. Die Beantwortung der einen dieser beiden Fragen wird zugleich die der anderen sein müssen.

KANT gab auf die erste die Antwort: das Existentialurteil habe zum Gegenstand einen  Begriff;  vom Begriff eines Dings sage es aus, daß er der Begriff eines existierenden Dinges ist oder daß er zum Inhalt eine Bestimmtheit hat, die von einem existierenden Ding prädiziert werden darf: z. B. der Sinn des Satzes: "Es gibt ein See-Einhorn" ist der, daß der Begriff des See-Einhorns der Begriff eines existierenden Dings ist, oder alle die Prädikate, die im Begriff des See-Einhorns zusammengefaßt sind, einem existierenden Tier zukommen. Und auf die zweite würde er antworten: das Dasein sei gar nichts, was zum Ding, dem es zugeschrieben wird, gehört, nichts, was ein alles durchdringendes Wahrnehmungsvermögen in diesem Ding antreffen würde: das Existentialurteil "Es gibt ein A" denkt keine Eigenschaft, keinen Zustand, kein Tun oder Leiden, keine reale Beziehung, keine Bestimmtheit des Dinges  A,  sondern es setzt dieses Ding mit all seinen Bestimmtheiten, das Dasein sei nichts weiter als die Position eines Dings. Die Unhaltbarkeit beider Antworten liegt auf der Hand. Kann das Dasein nicht zum Prädikat eines Dinges dienen, so auch das "Begriffe eines daseienden Dinges sein" nicht zum Prädikat eines Begriffs, denn daseiendes Ding heißt doch nichts anderes als Ding, welches da ist, von welchem also das Dasein prädiziert werden darf. Und wenn das Dasein nichts in den daseienden Dingen Liegendes wäre, wenn also die daseienden Dinge sich in nichts von nicht daseienden unterscheiden, wenn das Dasein eines Dinges nur sein Gesetzt-sein von uns wäre, so hinge es lediglich von unserem Denken ab, was dawäre und was nicht; was zu setzen uns beliebt, das existiert, und was zu setzen wir ablehnen, sowie alles, was wir bloß zu setzen unterlassen, indem wir es wir gar nicht an es denken, das existiert nicht. KANT verwechselt Dasein und Wirklichkeit des Daseins. Wenn ich sage, es gibt wirklich und nicht bloß möglicherweise ein Ding A, so bedeutet freilich das Wort  wirklich  nichts, was im Ding  A  zu finden ist: es zeigt nur an, daß ich den Gedanken, daß es ein  A  gibt, bestätige, an seine Wahrheit glaube, und das ist wohl das, was KANT als Setzen des Dinges  A  bezeichnete. Dagegen dasjenige, dessen Wirklichkeit ich behaupte, das Dasein des Dinges  A,  ist etwas zu diesem Ding Gehörendes, wenngleich es aus dem oben angegebenen Grund nicht von ihm prädiziert werden kann, - ebenso, wie der Satz "A ist wirklich B" zwar nicht die Wirklichkeit des B-seins, wohl aber das B-sein selbst in das Ding  A  hineinlegt.

Wenn ich die in Rede stehenden Fragen zunächst, statt auf das Dasein überhaupt, auf dasjenige eines Dings außerhalb von mir (eines nicht mein Ich seienden Dinges) beziehe, so scheinen mir die richtigen Antworten diese zu sein: Das Dasein eines Dinges außerhalb von mir als dasjenige, was ihm meinem Denken gegenüber jene Selbständigkeit verleiht, die der Grund der Möglichkeit dafür ist, daß ich Urteile fälle, welches ich nach ihm richten und, indem sie sich nach ihm richten, mit ihm übereinstimmen und also wahr sind, besteht in seinem Zusammenhang mit anderen Dingen in einem daseienden Ganzen, der Welt, also in seinem Enthalten-sein in der daseienden Welt. Das Urteil aber, dadurch ich einem Ding außerhalb von mir Dasein zuschreibe, sagt nit etwa von diesem Ding aus, daß es in der Welt enthalten ist (denn diese Aussage würde das Dasein des Dings voraussetzen), sondern es sagt von der Welt aus, daß sie dieses Ding enthält. Die Welt ist das, wonach es sich richten, womit es übereinstimmen will; und es kann dies wollen, weil es das Dasein der Welt, die sein Gegenstand ist, voraussetzt.

Ein Ding, sagte ich, das nicht mein Ich ist, denke ich als daseiend, indem ich es als enthalten in der Welt denke. Bestimmter ist zu sagen: ich denke ein Ding außerhalb von mir daseiend, indem ich es denke als zusammenseiend in der Welt mit meinem es denkenden Ich, das ich als daseiend denke. Denn indem ich ein Ding außerhalb von mir als daseiend denke, setze ich es zu meinem Ich in das Verhältnis, daß es ein von meinem Denken im oben angegebenen Sinn des Wortes Unabhängiges, ein ihm selbständig gegenüber Stehendes ist, und um es so zu denken, muß ich mein Ich selbst als ein Daseiendes und das Ding als ein durch eine reale Beziehung mit ihm Verknüpftes, mithin als ein mit meinem Ich in einem alle daseienden Dinge in sich fassenden Ganzen Zusammenseiendes denken. Hiermit beantwortet sich nun auch die Frage, was ich von der  Welt  denke, indem ich sie als daseiend denke, oder worin für mein Denken das Dasein der Welt besteht, das ich in allen Urteilen durch die ich einem Ding außerhalb von mir Dasein zuschreibe, voraussetzt. Ich denke die Welt als daseiend, indem ich sie als mein sie denkendes Ich enthaltend denke. Indem ich ein Ding außer mir als zusammenseiend mit meinem daseienden Ich in der Welt denke, denke ich zugleich dieses Ding und die Welt als daseiend. Das Urteil, welches der Welt ein Dasein zuschreibt, hat mein Ich zum Gegenstand, dessen Dasein es voraussetzt, und zum Prädikat sein Einhalten-sein zusammen mit anderen Dingen in der Welt.

Besteht das Dasein eines Dings außerhalb von mir in seinem Zusammensein mit meinem Ich, so dasjenige meines Ich in seiner  Identität  mit mir, der ich mein Ich denke, und von dem ich weiß, daß ich dabin. Ich denke mich als daseiend, indem ich von mir, dem als daseiend erkannten Subjekt dieses Denkens, denke, daß ich Ich, das Objekt dieses Denkens, bin. Wie ein Ding außerhalb von mir, so kann ich auch mich selbst als daseiend nicht anders denken, als indem ich das Dasein meiner, des Subjektes dieses Denkens, voraussetze. Wie dies möglich ist, ist oben gezeigt worden.

6. Auf die Frage, worin das Dasein meines Ich besteht, kann ich auch antworten: darin, daß ich mich selbst denke, mir meiner selbst bewußt bin; denn daß ich, das Subjekt meines Denkens, und ich, das Objekt meines Denkens, identisch sind, heißt nichts mehr, als daß ich mich selbst denke, und dieses nichts mehr als jenes. Nun bin ich eben dadurch Ich, daß ich mich selbst denke. Ich kann also auch sagen: das Dasein meines Ich besteht darin, daß ich Ich bin, es ist einerlei mit meinem Ich-sei. Wenn dem aber so ist, so würde das Urteil "Ich bin nicht" einen Widerspruch einschließen; das Urteil "Ich bin" ist also analytisch, mithin a priori und von notwendiger Gültigkeit. Ebenso wahr ist es jedoch, daß mir mein Dasein aus keinem anderen Grund gewiß ist, als weil es mir eine  Tatsache  ist, daß also, wenn alle Urteil a posteriori oder empirisch genannt werden sollen, die sich, um Zustimmung zu erzwingen, auf eine Tatsache berufen müssen für das "Ich bin" dann diese Bezeichnung auch zutrifft. Denn nur darum weiß ich, daß ich bin, weil ich mich als mit mir identisches, als als daseiendes Objekt meines Bewußtseins antreffe, mir als ein Objekt, in dessen Natur oder Wesenheit das Dasein liegt, gegeben bin. Das Ich, dessen ich mir bewußt bin, wäre nicht ich, wenn es nicht identisch wäre mit mir, der ich mir seine bewußt bin, wenn ihm also das Dasein fehlt, und darum weiß ich analytisch und a priori, daß ich bin; aber ich weiß es doch nur darum, weil mir mein Ich gegeben ist, und ich in ihm sein Ich-sein und mit mithin sein Dasein antreffe, und so ist mir mein Dasein eine Tatsache und, weil es mir eine Tatsache ist, gewiß.

Ich möchte jetzt noch kurz zeigen, daß das eigene Ich der einzige Gegenstand unseres Denkens ist, dessen bloße Vorstellung schon die Erkenntnis seines Daseins ist, oder, was dasselbe ist, dessen Dasein wir durch ein analytisches Urteil erkenen. (Ausführlicher ist dies, im Zusammenhang mit der Kritik des ontologischen Beweises, in der mehrfach erwähnten Abhandlung geschehen.)

Jedes Ding, das wir uns vorstellen, stellen wir uns als ein Daseiendes vor, auch dann, wenn wir wissen, daß es in Wirklichkeit nicht da ist. Des weiteren stellen wir alles, was wir uns vorstellen, so vor, als sei das Dasein die allgemeinste im konstituierenden Inhalt unserer Vorstellung (d. h. in demjenigen Inhalt, dadurch sie erst Vorstellung dieses bestimmten Gegenstandes und keines anderen ist) enthaltene Bestimmtheit, als sei also der konstituierende Inhalt unserer Vorstellung eine besondere Weise des Daseins, gleichwie wir jedes körperliche Ding so vorstellen, als sei der konstituierende Inhalt unserer Vorstellung eine besondere Weise des Körper-seins. Das Dasein braucht aber darum nicht wirklich in dem konstituierenden Inhalt unserer Vorstellungen wie das Allgemeine im Besonderen enthalten zu sein. Wir wir eine Vorstellung eines Körpers bilden können, in deren konstituierendem Inhalt das Körper-sein nur nach unserer Meinung, nicht aber in Wirklichkeit enthalten ist- eine Vorstellung dieser Art ist z. B. die eines von zwölf Quadraten begrenzten Körpers, da das Begrenzt-sein von zwölf Quadraten in Wirklichkeit dem Körper-sein widerspricht -, so können wir auch Dinge als daseiend vorstellen, deren Natur zum Dasein nicht im Verhältnis der Unterordnung, sondern in dem des Gegensatzes steht. Ist nun wirklich im konstituierenden Inhalt einer Vorstellung die Existenz wie das Allgemeine im Besonderen enthalten, dann und nur dann existiert ihr Gegenstand wirklich. Hier sind wieder zwei Fälle zu unterscheiden.  Entweder  nämlich stellt der Vorstellende den wirklich existierenden Gegenstand so vor, daß er die Existenz im konstituierenden Inhalt seiner Vorstellung antrifft, daß er, mit anderen Worten, nicht bloß meint, sie sei darin enthalten, sonern sie darin bemerkt, gleichwie im Inhalt der Vorstellung eines von zwölf regelmäßigen Fünfecken begrenzten Körpers nicht bloß ansich, sondern auch für denjenigen, dem die mathematische Konstruktion eines solchen Körpers gelingt, das Körper-sein wirklich wie das Allgemeine im Besonderen enthalten ist,  oder  seine Vorstellung ist nicht zu diesr Vollkommenheit ausgebildet. Im ersten Fall ist die Vorstellung eine Erfahrung der Existenz des vorgestellten Gegenstandes, oder, was dasselbe heißt, ist dem Vorstellenden die Existenz des vorgestellten Gegenstandes eine Tatsache. Andererseits ist in diesem Fall und nur in ihm die bloße Vorstellung eines Gegenstandes die Erkenntnis seiner Existenz. Mithin kann eine Vorstellung nur dann lediglich vermöge ihres konstituierenden Inhaltes eine Erkenntnis der Existenz des vorgestellten Gegenstandes sein, wenn diese Existenz für den Vorstellenden eine Tatsache, wenn die Vorstellung eine Erfahrung der Existenz ihres Gegenstandes ist. Nun gibt es, wie oben gezeigt wurde, nur  ein  Ding, dessen Existenz uns eine Tatsache ist: das eigene Ich. Folglich kann auch von allen möglichen Vorstellungen nur  eine,  die des eigene Ich, eine Erkenntnis der Existenz ihres Gegenstandes sein.

7. Die bis jetzt angestellten Erwägungen haben die Frage, der sie galten, nur unvollständig beantwortet. Denn sie haben eine Klasse von Wahrnehmungen ganz unbeachtet gelassen. Ich meine diejenigen, die den Bestimmtheiten, welche ihren Inhalt bilden, die Bedeutung zugleich von Zuständen des eigenen Ich und von solchen eines Körpers, des eigenen Leibes, beimessen, und denen demnach das Ich als ein Körper erscheint. Wahrnehmungen dieser Art - ich will sie unter dem Namen der sinnlichen Gefühle zusammenfassen - sind z. b. die, von denen wir sprechen, wenn wir sagen: ich habe kalte Füße, es ist mir warm, ich fühe ein Jucken auf dem Rücken, ein Prickeln auf der Zunge, ein Kitzeln in der Nase, die Berührung mit einer rauhen Oberfläche in den Fingerspitzen usw. Auch die Zustände der sinnlichen Lust und Unlust gehören hierher, denn ob ein Zustand unseres Ich, den wir in einem Teil des Leibes zu haben glauben, angenehm oder unangenehm oder gleichgültig ist, kommt hier nicht in Betracht. Wir nehmen also unseren Leib auf zweifache Weise wahr: in derselben Weise wie andere Körper, indem wir ihn sehen, hören, tasten usw., und in einer anderen Weise, indem uns gewisse Zustände zugleich als solche unseres Ich, des wahrnehmenden Subjekts, und als unserem Leib anhaftende erscheinen. Beide Arten sind sinnliche, d. h. sie schließen sich an Eindrücke auf unseren Leib, die sich bis zum Gehirn fortpflanzene Erregungen zur Folge haben, an. Und vielfach schließen sich an denselben Eindruck sowohl eine äußere Wahrnehmung als auch ein Gefühl an. Vielleicht gibt es keine äußere Wahrnehmung, mit der sich nicht ein wenn auch nur ganz schwaches sinnliches Gefühl verbindet. Fahren wir z. B. mit dem Finger über eine Fläche, so fühlen wir, während wir äußerlich ihre Gestalt, ihre Rauheit oder Glätte sowie ihre Temperatur wahrnehmen, im Finger den Eigenschaften, die wir dem berührten Körper zuschreiben, korrespondierende Zustände: die Süßigkeit, die wir schmecken, fassen wir als eine Eigenschaft lediglich des Stückes Zucker auf, das wir im Mund haben, nicht auch unserer Zunge, aber zugleich mit dieser Eigenschaft des Zuckers nehmen wir einen Zustand unseres Ich wahr, der uns am Zungenrücken zu haften scheint, den süßen Geschmack; das Geräusch, das wir hören, stellen wir als einen Vorgang außerhalb unseres Leibes vor, aber, wenigstens im Allgemeinen, mit ihm zugleich, wenn auch nur dunkel und unbestimmt, ein eigentümliches subjektives Befinden in dem das Gehörorgang umschließenden Teil unseres Kopfes; sehen wir eine intensiv leuchtende Flamme, so fühlt sich das Auge geblendet; usw. Über das zwischen den äußeren Wahrnehmungen und den Gefühlen bestehende Verhältnis ist weiter zu bemerken, daß diese eine Bedingung jener sind. Wir stellen nämlich den Gegenstand, den wir äußerlich wahrnehmen, durch dieses Wahrnehmen als daseiend vor, und so stellen wir ihn, wie oben gezeigt wurde, vor, indem wir ihn vorstellen als zusammenseiend mit unserem Ich, das wir seinerseits als daseiend dadurch vorstellen, daß wir es vorstellen als identisch mit sich, dem Subjekt, dessen Objekt es ist. Wir können also keinen Gegenstand äußerlich wahrnehmen, ohne ihn zu unserem Ich in die Beziehung des Zusammenseins mit demselben zu setzen. Die Möglichkeit aber, einen Körper als zusammenseiend mit unserem Ich vorzustellen, ist dadurch bedingt, daß uns unser Ich selbst als ein Körper, ein Ding im Raum, erscheint. Das nun ist eben der Begriff der Gefühlswahrnehmung, daß sie das Ich als einen Körper vorstellt. Wir müssen also unseren Leib fühlen, um irgendetwas außerhalb von ihm, sowie auch um ihn selbst äußerlich wahrnehmen zu können. Es braucht nicht immer eine äußere Wahrnehmung in der oben erwähnten Weise ein Gefühl, das sich an denselben leiblichen Eindrück knüpft wie sie, zu korrespondieren. Aber auch da, wo dies nicht der Fall ist, fühlen wir doch, während wir äußerlich wahrnehmen, unseren Leib und setzen den wahrgenommenen Gegenstand zu ihm in eine mehr oder weniger bestimmte räumliche Beziehung. Zum Beispiel jedes Ding, das wir sehen, sehen wir in einer gewissen Richtung, gerade vor uns oder seitwärts, höher oder niedriger, und in einer gewissen Entfernung von unserem Leib, bestimmter von unseren Augen, obwohl wir von der Affektion der Netzhaut im allgemeinen kein Gefühl haben, oder doch das Gefühl unseres leiblichen Daseins, ohne welches wir den Gegenstand nicht in einer gewissen Richtung und Entfernung sehen könnten, nicht ein durch die Affektion der Netzhaut hervorgerufenes ist.

8. Wie nicht alle äußeren Wahrnehmungen so sind auch nicht alle Gefühle, deren wir uns innerlich wahrnehmend bewußt sind, wirklich in uns vorhanden. Wir können uns ja fühlbare Zustände ebensogut wie äußerlich wahrnehmbare Dinge durch die Einbildungskraft vorstellen, und das Vorstellen eines fühlbaren Zustandes durch die Einbildungskraft ist inneres Wahrnehmen eines Fühlens, das man nicht wirklich hat, sondern nur zu haben sich einbildet. Wenn wir jedoch wirklich etwas fühlen, so ist der wirkliche Besitz dieses Gefühls für die innere Wahrnehmung, die wir von ihm haben, eine Tatsache, ebenso wie es der wirkliche Besitz jeder äußeren Wahrnehmung ist, die wir wirklich besitzen.

Aber wie verhält es sich, wenn wir wirklich etwas fühlen, mit dem  Gefühlten?  Ist uns auch das wirkliche Dasein jedes wirklich gefühlten Zustandes eine Tatsache? Ist mir z. B., wenn ich Kälten in den Füßen fühle oder ein Brennen auf der Zunge oder einen Schmerz im Zahn, nicht bloß dieses Fühlen eine Tatsache, sondern auch das wirkliche Dasein des in den Füßen, auf der Zunge, im Zahn gefühlten Zustandes?

Jedenfalls wäre eine allgemein bejahende Beantwortung dieser Frage unrichtig. Denn die Erfahrung lehrt ust, daß es Sinnestäuschungen nicht bloß auf dem Gebiet der äußeren Wahrnehmungen, sondern auch in dem der Gefühle gibt. Eine Sinnestäuschung ist es z. B., wenn die Reizung eines sensiblen Nerven etwa an der Stelle, wo er aus dem Rückenmark abzweigt, ein Gefühl des Schmerzes nicht an dieser Stelle, sondern in dem das peripherische Ende des Nerven enthaltenden Körperteil hervorruft, oder wenn gar jemand, dem ein Bein amputiert ist, sich noch im Besitz desselben fühlt. Bei diesem Zugeständnis können wir aber nicht stehen bleiben. Ein Schluß, ganz analog demjenigen, der sich uns oben an die Erfahrungen von Sinnestäuschungen auf dem Gebiet der äußeren Wahrnehmungen knüpfte, nötigt uns einzuräumen, daß es gar kein sinnliches Gefühl gibt, durch welches wir das wirkliche Dasein unseres Leibes und des in demselben gefühlten Zustandes als eine Tatsache erfaßten. Denn wie die auf Sinnestäuschung und die nicht auf Sinnestäuschung beruhenden äußeren Wahrnehmungen, so sind auch die auf Sinnestäuschungen beruhenden Gefühle und die andern inhaltlich durchaus gleichartig.

Es liegt der Einwand nahe: die Täuschungen, die im Geist der Gefühle vorkämen, beträfen nur die Beziehung des gefühlten Zustandes auf diesen oder jenen Teil des Leibes, seine Lokalisation, nicht aber seine Beziehung auf das fühlende Ich, sie bewiesen daher nur, daß das Sein des gefühlten Zustandes in dem Teil des Leibes, in den der Fühlende ihn verlegt, und im Leib überhaupt, nicht aber auch, daß sein Sein im fühlenden Ich, der Seele, niemals eine Tatsache ist. Allein die Beziehung auf den Leib ist den gefühlten Zuständen wesentlich. Wie es die allgemeine Natur der Inhalte des äußeren Wahrnehmens ist, lediglich körperlich, und die der innerlich wahrgenommenen Wahrnehmungstätigkeiten, lediglich seelisch zu sein, so ist es die Natur der Gefühlsinhalte, sowohl körperlich als auch seelisch zu sein. Würde einem Gefühlsinhalt seine körperlichen Natur genommen, so büßte er zugleich seine seelische ein. Die Annahme, daß ein Gefühlsinhalt wirkliches Dasein hat, insofern, als er seelischer Natur ist und  nicht  hat, sofern er körperlicher Natur ist und ebenso die, daß die Wirklichkeit zwar seines seelischen, nicht aber auch die seines körperlichen Daseins dem Fühlenden eine Tatsache ist, würde sich daher widersprechen. Zum Beispiel aus dem Gefühl des Kitzesl in der Nase, das uns zum Nießen treibt, läßt sich kein Gefühl, das seinen Inhalt nur auf das seelische und nicht auch auf das leibliche Ich bezöge, herausheben, und es geht daher nicht an, von diesem Gefühl zu sagen, das wirkliche Dasein seines Inhaltes sei ihm nur insofern, as ihm derselbe einen seelischen, nicht auch insofern, als er ihm einen leiblichen Zustand bedeutet, eine Tatsache. Ich kann allerdings nicht beweisen, daß es keine Wahrnehmungen geben kann, die einerseits, wie die sinnlichen Gefühle und im Gegensatz zu den inneren Wahrnehmungen, das mit den äußeren Wahrnehmungen gemeinsam hätten, daß sie nicht wieder Wahrnehmungstätigkeiten und überhaupt keine Bewußtseinstätigkeiten zum Inhalt hätten, und die andererseits, wie die inneren Wahrnehmungen, ihre Inhalte nicht zugleich auf das wahrnehmende Ich und den Leib, sondern nur auf das wahrnehmende Ich bezögen, Wahrnehmungen lediglich seelischer, jedoch nicht in Bewußtseinstätigkeiten bestehender Verhaltensweisen, aber solche Wahrnehmungen würden eben nicht zu der Klasse derer, von denen gegenwärtig die Rede ist, zur Klasse der sinnichen Gefühle, gehören.

Was eben aus der Gleichartigkeit aller nicht unter den Begriff der Sinnestäuschung fallenden sinnlichen Gefühle, die wir in uns beobachten können, mit den unter diesen Begriff fallenden geschlossen wurde, folgt auch aus dem, was oben allgemein über die Möglichkeit, daß uns das Dasein eines Gegenstandes eine Tatsache ist, bemerkt wurde, und zwar nicht bloß bezüglich derjenigen Gefühle, die wir in uns beobachten können, sondern auch derjenigen, die sich etwa unserer Selbstbeobachtung entziehen, und nicht bloß bezüglich unserer selbst und der uns ähnlichen fühlenden Subjekte, sondern aller Wesen, die es geben mag, schlechthin. Keinem Wesen, wurde oben gezeigt, kann ein anderes Dasein als Tatsache gegeben sein als das des eigenen Ich und zwar desselben, inwiefern es sich selbst ein zum Gegenstand habendes wahrnehmendes Bewußtsein ist. Wird nun weiter gefragt, wie es uns eine Tatsache sein kann, daß uns eine Bestimmtheit, derer wir uns bewußt sein, wirklich zukommt, so ist zu antworten: das Haben einer Bestimmtheit, die wir wahrnehmend auf unser Ich beziehen, ist uns dann und kann uns nur dann eine Tatsache sein, wenn sie in einer besonderen Weise unseres Ich-seins, also des Bewußtseins, das wir von uns selbst haben, besteht und uns als eine darin bestehende gegeben ist. Angenommen auch, unser Ich gehe nicht in unserem sich selsbt zum Gegenstand habenden Bewußtsein auf, sondern sei eine Seele, zu deren Natur es unter anderem gehört, Bewußtsein und Selbstbewußtsein in sich zu erzeugen, so ließe sich zwar vielleicht denken, daß wir wirklich uns zukommende Bestimmtheiten, Bestimmtheiten, die keine besonderen Weisen unseres Ich-seins, des Bewußtseins von uns selbst wären, wahrnähmen, aber von keiner derartigen Bestimmtheit unserer Seele könnte es uns eine Tatsache sein, daß sie uns wirklich zukommt, da uns das Dasein unseres Ich nur insofern eine Tatsache ist, als es unser sich selbst zum Gegenstand Bewußtsein ist, nicht auch insoweit, als es eine mit dem Vermögen, Bewußtsein in sich zu erzeugen und noch andere als in Bewußtseinstätigkeiten bestehende Bestimmtheiten anzunehmen, ausgerüstete Seele ist. Hiernach kann uns der Besitz äußerer Wahrnehmungen, die wir in uns wahrnehmen, eine Tatsache sein, denn das wahrnehmende Bewußtsein, dessen Objekte die Dinge außerhalb von uns sind, die wie wahrnehmen, ist dasselbe Bewußtsein, welches das Ich zum Gegenstand hat; ein und dasselbe wahrnehmenden Bewußtsein setzt das Ich und mit dem Ich zusammenseiende Dinge, das Nicht-ich, das äußere Wahrnehmen ist also nur eine Seite des Bewußtseins, das wir von uns selbst haben. Desgleichen kann uns der Besitz von inneren Wahrnehmungen, durch die wir uns eines äußeren Wahrnehmens bewußtsein, eine Tatsache sein, denn solche innere Wahrnehmungen sind besondere Weisen des wahrnehmenden Bewußtseins, daß wir von unserem Ich als solchem haben, besondere Weisen unseres Ich-seins. Dasselbe gilt drittens von den sinnlichen Gefühlen, die wir in uns wahrnehmen, und viertens von den inneren Wahrnehmungen von Gefühlen. Es gilt aber  nicht  von  dem, was  wir fühlen, von den Zuständen, die wir als die unsrigen in irgendeinem Teil unseres Leibes wahrnehmen, - es gilt von dem, was wir fühlen, ebensowenig wie von dem, was wir äußerlich wahrnehmen. Denn jene Zustände sind nicht selbst wieder die Gefühle, deren Inhalte sie sind, besondere Weisen des Bewußtseins, das wir von uns sebst haben, ebensowenig wie die Inhalte des äußeren Wahrnehmens, die Farben, die Töne usw. es sind.

9. Es wurde oben die Frage berührt, ob es nicht auch Wahrnehmungen gibt, welche, wie die sinnlichen oder leiblich-seelischen Gefühle, Bestimmtheiten, die nicht in Wahrnehmungs- oder überhaupt nicht in Bewußtseinstätigkeiten bestehen, auf das Ich bezogen, sich aber von den leiblich-seelischen Gefühlen dadurch unterscheiden, daß sie ihren Inhalten die Bedeutung von Zuständen nur des Ich, inwiefern es das Bewußtseinssubjekt ist, nicht auch des Leibes gäben - rein seelische Gefühle, die, während die leiblich-seelischen in der Gesamtreihe der Wahrnehmungen zwischen ihnen und den äußeren Wahrnehmungen ihren Platz hätten, ihrerseits ein vermittelndes Glied zwischen den leiblich-seelischen Gefühlen und den inneren Wahrnehmungen bildeten. Ich glaube, daß diese Frage verneint werden muß. Angenommen aber, sie ist zu bejahen, so könnte uns das wirkliche Dasein der Inhalte der rein seelischen Gefühle ebensowenig eine Tatsache sein, wie dasjenige der Inhalte der leiblich-seelischen, denn auch die rein seelisch gefühlten Zustände wären, der Voraussetzung nach, nicht besondere Weisen des Ich-seins, des sich selbst zum Gegenstand habenden Bewußtseins.

Doch auch jetzt haben wir noch nicht alle Wahrnehmungen berücksichtigt. Es fehlen noch diejeningen, die das unmittelbare Bewußtsein ausmachen, welches wir von den Bestandteilen unseres höheren geistigen Lebens, von unserem begrifflichen Denken, unserem Wollen, unseren Gemütserregungen, haben. Wenn die Vermutung richtig ist, die ich eben aussprach, daß es keine rein seelischen Gefühle (in dem oben festgestellten Sinn dieser Bezeichnung) gibt, so sind alle jene Vorgänge Bewußtseinstätigkeiten und, indem sie dies sind, besondere Weisen unseres sich selbst zum Gegenstand habenden Bewußtseins, unseres Ich-seins, denn gäbe es unter ihnen solche, die nicht in besonderen Weisen unseres Ich-seins beständen, so wären die Wahrnehmungen, die wir von ihnen hätten, rein seelische Gefühle. Und es wird dann angemessen sein, die Wahrnehmungen, durch die wir uns der Vorgänge unseres höheren geistigen Lebens bewußt sind, mit denen, die zum Inhalt ein äußeres Wahrnehmen der ein sinnliches Fühen haben, zu  einer  Klasse, der Klasse der Wahrnehmungen von Bewußtseinstätigkeiten, zusammenzufassen, und für die ganze Klasse den Namen der inneren Wahrnehmungen in Anspruch zu nehmen. Die Frage aber, die uns bis jetzt beschäftigt hat, ist dann bezüglich der neu in die Klasse der inneren aufgenommenen Wahrnehmungen in derselben Weise zu beantworten, wie bezüglich der bisher betrachteten, der Wahrnehmungen von äußeren Wahrnehmungen und sinnlichen Gefühlen und der Wahrnehmungen von solchen Wahrnehmungen, nämlich dahin, daß wir höhere Bewußtseinstätigkeiten (begriffliches Denken, Wollen, Gemütserregungen) in der Weise in uns wahrnehmen, daß uns ihre Wirklichkeit eine Tatsache ist. Von allen Bestandteilen unseres höheren geistigen Lebens deutlich zum achen, daß sie, gleich den äußeren Wahrnehmungen, den sinnlichen Gefühlen und den inneren Wahrnehmungen äußerer Wahrnehmungen und sinnlicher Gefühle, besonderes Weisen unseres sich selbst zum Gegenstand habenden Bewußtseins, unseres Ich-seins, sind, bin ich nicht imstande, und wäre ich es imstande, so würde ich es doch hier nicht unternehmen können, sondern der Psychologie überlassen müssen. Die Lösung dieser Aufgabe würde übrigens nur dazu erforderlich sein, uns begreiflich zu machen, wie es uns eine Tatsache sein kann, daß die Gedanken, die Willensbewegungen, die Stimmungen, die wir innerlich wahrnehmen, ein wirkliches Dasein in uns haben, - nicht auch dazu, es uns gewiß zu machen,  daß  es eine Tatsache ist; denn diese Gewißheit gibt uns die bloße Selbstbeobachtung.
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LITERATUR | Julius Bergmann, Die Gegenstände der Wahrnehmung und die Dinge ansich, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Neue Folge, Bd. 110, Leipzig 1897