p-4ra-1Husserlvon AsterSchappHartmann     
 
ARNOLD METZGER
Der Gegenstand der Erkenntnis
[Studien zur Phänomenologie des Gegenstandes]
[1/2]

"Phänomenologische Darlegungen sind niemals Definitionen, in keinem Sinn des Wortes, sie sind nicht Ausführungen des Begriffs, den man mit einer Sache verbindet, sondern Darstellungen des in Erfahrung gebrachten, des in einer irgendwie gearteten Anschauung zugänglich gemachten Phänomens. Sie beginnen deshalb nicht geradewegs mit der Beschreibung der in Frage stehenden Objekte, sondern vor der letzteren liegt die oft sehr schwierig zu vollziehende Aufgabe, diese zunächst in die Hand zu bekommen, sie zu haben. Die Durchführung dieser Aufgabe, die also lediglich darin besteht, sich der Objekte zu bemächtigen, auf die Erlebnisse einzugehen, die zu ihnen führen, ist der Schritt, den unsere Arbeit zuerst machen muß."


I.Einleitung

1. Natürliche und transzendentale Einstellung. Die nachfolgenden Untersuchungen sind von der Absicht geleitet, über ein Gebilde phänomenologische Klarheit zu gewinnen, welches das philosophische Interesse stets in starkem Maß auf sich gezogen hat, seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, als die Lehre KANTs ihren erneuten mächtigen Einfluß geltend machte, geradezu in seinem Mittelpunkt steht. Aber gerade der Einfluß KANTs ist es gewesen, der den am "Gegenstand der Erkenntnis" geleisteten und an seine Lehre irgendwie anknüpfenden Untersuchungen eine ganz bestimmte und eigenartige Richtung gab. Man hielt sich nicht an den Gesichtspunkt, der uns in einem bestimmten Sinn als "natürliche" (1), daß der Gegenstand für uns da ist als dasjenige, was unserem Vorstellen, unserem Wahrnehmen, unserem Urteilen usw. als das Objekt von möglichen Bestimmungen gegenübersteht. Man knüpfte sich an ihn, als das unseren Vorstellungen gegebene, nämlich in der Form des "gegenüber" gegebene Etwas an und fragte: was ist dieses Gebilde? Wie ist es in seinem wesenhaften Bau zu beschreiben? Man wollte und gab niemals eine beschreibende Darstellung dieses Gebildes, so dringend erforderlich sie auch erschien. Man war in einer ganz anderen Richtung interessiert. Man sah im "Gegenstand" ein Problem, das Kernproblem der Erkenntnis. Die Untersuchungen über den Gegenstand waren von einem erkenntnistheoretischen Problem beherrscht und bekamen, wie wir gleich sehen werden, von dorther das Gepräge. Im Sinne KANTs fragte man sich: "Mit welchem Recht nimmt man einen Gegenstand an?" (2). Wie ist die Erkenntnis des Gegenstandes möglich, der "transzendent existiert? (3) Wie ist die Erkenntnis des Gegenstandes - die Objektivität der Erkenntnis - überhaupt möglich? Welches die sehr mannigfaltigen Beweggründe sind, die die einzelnen Forscher zu diesem Problemansatz geführt haben, ist hier nicht zu erwägen. Aber es ist ganz offenbar, daß der Ansatz auf einem Standpunkt erfolgte und nur erfolgen konnte, der gegenüber dem der "natürlichen" Einstellung radikal geändert ist.

Zunächst: Für die "natürliche Einstellung" ist der Gegenstand "da". Er ist die schlechthin hinzunehmende Grundtatsache ihres Lebens. Überall und immer finden wir, in unseren Vorstellungskreise uns umsehend, Gegenstände vor. Der Zielrichtung unseres Vorstellens, unseres Wahrnehmens usw. folgend, stoßen wir geradewegs auf das Entgegenstehende, auf das Transzendente (in diesem Sinn). Wir sprechen von Vorstellung im denkbar weitesten Sinn, den wir später präzisieren werden. Hier mag der vorläufige Hinweis genügen, daß in die Klasse von Erlebnissen, die wir unter dem Titel "Vorstellung" abgrenzen werden, Wahrnehmungen ebenso gehören wie Erinnerungen, *Phantasien, Bildvorstellungen, Urteile usw. Dementsprechend meinen wir unter Gegenstand zunächst lediglich dasjenige, was diesen Vorstellungs-Erlebnissen gegenübersteht, was vor-stellig gemacht wird oder gemacht werden kann, dasjenige, was erinnert, was phantasiert, worüber geurteilt usw. wird. Worauf es hier ankommt, ist dies, daß man sich von vornherein hütet, den Gegenstandsbegriff zu begrenzen und ihn etwa im Sinne eines äußeren Naturdings oder gar eines physikalischen Objekts zu nehmen, wohin man so gerne neigt. Es bedarf keiner weiteren Erwähnung, daß ebenso wie die wirklichen Dinge unserer Umwelt (die unbelebten Gegenstände, Tiere, fremde Seelen und Leiber, Menschen usw.). dasjenige in den Umkreis der Gegenstände fällt, war wir in einer Fiktion vorstellen, Phantasietatsachen ebenso wie die eigentlich idealen, zeitlosen Objekte der idealen (logischen, mathematischen) Wissenschaften. Aus sie sind Gegenstände in dem Sinne, daß sie möglichen (sogenannten kategorialen) Vorstellungen, Urteilen gegenüberstehen. Gegenstand ist insofern auch das eigene Ich und alles eigene ichliche, psychische Leben. Man spricht von den auch Ichliches (Immanentes) gerichteten Wahrnehmungen, Erinnerungen usw. Es gibt auf der inneren Wahrnehmung aufgebaute, beschreibende Wissenschaften des seelischen Lebens. Man geht sogar so weit, von der Vorstellung als Erlebnisgattung zu sprechen, welche in die beiden Arten der äußeren und inneren Wahrnehmung usw. zu differenzieren ist. Wie weit solchen Behauptungen ein Recht zukommt, ist hier nicht zu entscheiden. Hier handelt es sich darum, einen ersten, wenn auch noch sehr vagen Begriff von einem formalen, d. h. an kein bestimmtes Gebiet gebundenen Umfang des Reiches der Vorstellung und des Gegenstandes zu geben. Wir sagen also: Gegenstand ist alles und jedes, als mögliches Objekt von Vorstellungen, was es auch ist, welcher Seinsart auch immer, ob ideal oder real, und gleichgültig ob es von der Sphäre der äußeren Umwelt oder des eigenen inwendigen Lebens ist (4), anknüpft. "Gegeben" ist zunächst der Gegenstand, ist das All gegenständlicher Realitäten usw. Es ist schlechterdings nicht einzusehen, wie es zur Frage nach der Möglichkeit, der Objektivität unserer Erkenntnis kommen sollte, wenn nicht vor dem eigentlichen Problemansatz die Sachlage der Erkenntnis bestände. Daß sich die Transzendentalphilosophie bei dieser "natürlichen" Sachlage nicht beruhigt, ist zunächst das erste beachtliche Merkmal.

2. Wenn wir fragen, welches die Motive sind, die über die Position der "natürlichen Einstellung" hinausführen, so werden wir, so verschieden, wie bemerkt, die Formulierungen im Einzelnen auch sein mögen, auf den einen Punkt geführt: Der Standort der transzendentalen Gegenstandsbehandlung ist der der Immanenz (wie wir im Anschluß an RICKERTs "Gegenstand der Erkenntnis" bezeichnen wollen). Sagen wir etwas genauer, was wir meinen! Die Frage KANTs lautet: "Was versteht man denn, wenn man von einem der Erkenntnis korrespondierenden, mithin davon unterschiedenen Gegenstand redet?" (5) Was versteht man darunter - fügen wir dem Sinn der Frage gemäß hinzu - wenn man von der Immanenz, dem Strom eines immanenten Seins, dem "Mannigfaltigen der Vorstellungen" herkommt, jener Sphäre, die auf dem transzendentalen Boden allein als "gegeben", unmittelbar oder ursprünglich gegeben, angesehen wird? Der Gegenstand wird fraglich, weil, wie wir uns ausdrücken dürfen, anstelle des natürlichen Standpunkts, für welchen er da ist, ein Standpunkt tritt, auf dem, wie sich KANT ausdrückt, "wir es nur mit dem Mannigfaltigen unserer Vorstellung zu tun haben" (6), auf dem allerdings der Gegenstand nicht als "gegeben" (denn das sind nur unsere Vorstellungen), sondern zunächst eine rätselhafte, befremdliche Tatsache ist, die "erklärt werden muß". Man sieht, was auf diesem Standpunkt die Theorie des Gegenstandes besagt und allein besagen kann, Gegenstand ist hier nicht das mögliche Objekt einer statisch phänomenologischen Betrachtung, die es sich zur Aufgabe macht, einen gegebenen Befund herauszustellen. Die Frage Was ist ein Gegenstand? besagt: welches sind die in der Immanenz liegenen, im Kontinuum des Stroms der Erlebnisse gegebenen "transzendentalen Faktoren", die ihn als das vom Fluß des Mannigfaltigen "unterschiedene" Gebilde möglich machen, ein Gebilde, das als das eine immerfort im Wandel der Vorstellungen identifizierbar und begreiflich faßbar ist, über das gültige Urteile gelten? Die Frage Was ist ein Gegenstand? besagt, transzendental gesprochen, "Wie ist eine synthetische Einheit in der Mannigfaltigkeit" möglich? Wie ist die Synthesis a priori möglich? In welchen aus der Immananenz herzuleitenden und von dorther verständlichen Faktoren ist die Erkenntnis des Gegenstandes bedingt? (7) Wie ist ein Gebilde begreiflich zu machen, "was dawider ist, daß unsere Erkenntnisse nicht aufs Geratewohl oder beliebig, sondern a priori bestimmt sind? (8))

3. So mannigfach die auf dem Boden der Immanenz entworfenen Theorien des Gegenstandes sind, darin haben sie das Gemeinsame, daß sie den Gegenstand, bzw. die Erkenntnis desselben genetisch aus der Subjektivität und ihren immanenten Faktoren entwickeln. Transzendentale Darstellungen des Gegenstandes sind genetische Darstellungen. Der Gegenstand, das Gebilde, das anfänglich in der naiv auf ihn zugehenden Haltung der "natürlichen" Einstellung vorhanden ist, ist jetzt der Leitfaden der Untersuchungen, die, - so können wir es vom Standpunkt der "natürlichen" Einstellung sagen - nach ihm selbst eigentlich zugewandt sind, sondern Sachlagen der Immanenz, nämlich transzendentalen Sachlagen, d. h. solchen Bedingungen, die in ihrer Gesamtheit darauf bezogen sind, ihn "möglich zu machen".

Es sei nun bemerkt, daß die folgenden phänomenologischen Studien am Gegenstand sich nicht mit der Absicht tragen, irgendwelche Beiträge zu einer transzendentalen Theorie des Gegenstandes zu geben. Sie bewegen sich auf dem Boden der "natürlichen" Einstellung. Unsere Absicht ist mit wenigen Worten gekennzeichnet. Wir wollen auf dem Boden, auf dem uns die Welt als Inbegriff von Gegenständen gegeben ist, jenes Fundamentalgebilde "Gegenstand" in den Blick nehmen und einer von Grund auf entworfenen Betrachtung unterziehen. Wir erfahren ständig von unserer Umwelt, von lebendigen, von unbelebten, von geistigen, von idealen Gegenständen. Alles und Jedes, sagen wir, sprechen wir als Gegenstand von Vorstellungen an, und eben jenes Gebilde, das da als Gegenstand bezeichnet wird, das also weder als Ding im Sinne einer bestimmten Gattung, noch überhaupt irgendwie gattungsmäßig Bestimmtes angesprochen werden kann, sondern das, wie wir vorwegnehmen wollen, die "Form" von all dem ist, so beschrieben werden. Es soll also beschrieben werden nicht in dem Sinne, daß wir irgendwelche sachhaltigen Materialien (z. B. die Dinge der realen Außenwelt) beschreiben, sondern lediglich die Grundform herausheben, welche es macht, daß wir dieses unendliche, in mannigfachen Typen antreffbare Material als das Objekt möglicher Vorstellungen erfahren. Unsere Untersuchungen sind also statisch, in gewisser Weise ontologisch (9). Der Gegenstand ist für uns kein Gebilde, dessen Faktoren des Ursprungs in der Immanenz wir nachgehen. Er wird nicht als das Endglied konstitutiver Prozesse betrachtet. Er ist für uns sozusagen ein fertiges Gebilde, das wir wie die Dinge unserer Umwelt erfahren, das uns in gewisser Weise, die zu beschreiben sein wird, in der Vorstellung gegeben ist. Als was er sich da gibt, wollen wir nun erfassen. (10)


II. Bemerkungen zur Methode der
Phänomenologie

Wir sagen, wir geben eine Phänomenologie des Gegenstandes. Wir wollen mit einigen vordeutenden Sätzen sagen, was wir damit meinen. "Gegenstand" ist, wie wir sehen, zunächst ein Wort, unter dem vielerlei verstanden wird. Jedes beliebige Etwas, das in irgendeinem Sinn vorstellbar (anschaubar) ist, heißt als Substrat "möglicher wahrer (vernünftiger) Prädikationen" Gegenstand. So sprechen wir das Ding, die res extensa [ausgedehnte Sache - wp] und materialis, aber auch einen Sachverhalt, eine Relation, jede kategoriale Form und dgl. als "Gegenstand" an. Wir meinen damit nicht die Bedeutung, den Begriff, den ein Wort als Ausdruck hat und von dem es unausgemacht ist, ob er leer oder sinnerfüllt ist, ob ihm ein irgendwie anschaubarer Gegenstand entspricht oder nicht, sondern diesen selbst, worüuber in Sätzen geurteilt wird, worauf der Begriff hin - mein also den Baum selbst, den Sachverhalt selbst, die kategoriale Form selbst usw. Die Sachen sind die Gegenstände, nicht die Begriffe, die Aussagen, mittels deren gegebenenfalls sie gemeint werden, wobei wir von letzteren absehen, wenn wir Gegenstände, d. h. dasjenige, was möglichen Vorstellungen gegenübersteht, im Auge haben.

Mit einer solchen Worterklärung ist aber noch nicht viel gewonnen. Wir wollen nicht Definitionen über den Gegenstand geben, sondern phänomenologisch darstellen, beschreiben, was durch solche Erklärungen symbolisch angezeigt wird. Es ist nötig, des Phänomens, dem unsere Betrachtungen gelten, habhaft zu werden, die Analysen auf dem Grund seiner womöglich leibhaften Gegebenheit durchzuführen. Phänomenologische Darlegungen sind niemals Definitionen, in keinem Sinn des Wortes, sie sind nicht "Ausführungen des Begriffs", den man mit einer Sache verbindet, sondern Darstellungen des in Erfahrung gebrachten, des in einer irgendwie gearteten Anschauung zugänglich gemachten Phänomens. Sie beginnen deshalb nicht geradewegs mit der Beschreibung der in Frage stehenden Objekte, sondern vor der letzteren liegt die oft sehr schwierig zu vollziehende Aufgabe, diese zunächst in die "Hand zu bekommen", sie zu "haben". Die Durchführung dieser Aufgabe, die also lediglich darin besteht, sich der Objekte zu bemächtigen, auf die Erlebnisse einzugehen, die zu ihnen führen, ist der Schritt, den unsere Arbeit zuerst machen muß. Auf dem Grund des aktuellen Vollzugs seiner Erfahrung "haben" wir den Gegenstand und auf sein Haben kommt es dem Phänomenologen in fundamentaler Weise an. Vor die eigentlichen, dem Gegenstand zugewandten Auslegungen treten die Besinnungen auf die erfahrenden Akte, welche zu ihm führen, ihn aufzeigen, ihn sozusagen, als das eigenartige Gebilde aufspringen lassen.

Doch es ist nötig, daß wir etwas weiter ausholen und verständlicher machen, was wir mit der "Phänomenologie des Gegenstandes" meine Wir werden dabei genötigt sein, die im vorigen Paragraphen gemachten Ausführungen unter einem neuen Gesichtspunkt zu behandeln. Wenn zu der neuerdings oft erhobenen Frage Stellung genommen wird: "Was ist Phänomenologie?" so wird mit Vorliebe von der "Hingabe an die Sache" gesprochen. Fraglos trifft man damit, wenn auch in allgemeinster Form, auf einen kardinalen Punkt. Das Richtige dieser Redeweise besteht darin, daß man das Eigenartige der Phänomenologie nicht in der Lehre einer bestimmten Lehrmeinung oder einem bestimmten Lehrsystem sucht, daß man davon absieht, gewisse erkenntnistheoretische oder metaphysische Theorien - etwa die des transzendentalen Idealismus oder Realismus - als phänomenologisch anzusprechen. Man verlegt mit Recht den Schwerpunkt auf die Weise des Verhaltens zu den Sachen, die zur Bearbeitung stehen. Doch was ist eine "Hingabe an die Sachen?" Wir sagten oben dem Forscher kommt es auf die Darstellung der in Erfahrung gebrachten Phänomene an. Mit der Erledigung dieser Aufgabe - mit der Darstellung des Erfahrungsbefundes - ist sein phänomenologisches Interesse befriedigt. Negativ läßt es sich so sagen: dem Forscher kommt es nicht darauf an, Probleme zu erörtern und Theorien zu geben, in denen Probleme gegebenenfalls eine Erklärung, oder wie man sagt, Auflösung finden. Auf die Sachen, wie sie in sich selbst erfahren werden, und nicht auf Theorien über die Sachen, über den Problemgehalt an den Sachen, kommt es ihm an, Theorien, welche, dem vorgelegten Ziel nach nicht von einem Interesse an der Darstellung der fraglichen Phänomene geleitet sind, sondern eben davon, zu einem "philosophischen" Verständnis eines Problems zu kommen, von einem Interesse, einen Standpunkt oder eine Lehre zu formulieren, von wo aus das herausgestellte Problem eine widerspruchslose Erklärung findet. Der Schwerpunkt einer solchen Philosophie liegt auf der Lehre, auf einem widerspruchslosen System von Gedanken, wenn man will auf einer Metaphysik.

Für das Verständnis des Eigenwesens der Phänomenologie ist dieser Punkt (11) von größter Wichtigkeit. Die Philosophie seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts - speziell der Neukantianismus, den wir im Folgenden im Auge haben - was Lehre, war "formulierter Standpunkt". Die Richtung, in welche die erste Vernunftkritik KANTs die Philosophie gebracht hat, muß vorzüglich in dieser Hinsicht gesehen werden, daß man am Problemansatz der Kritit "wie sind synthetische Urteile a priori möglich" anknüpfte und das Geschäft der Philosophie, genau wie KANT, darin sah, dieses "schwierige Rätsel§ aufzulösen. Wir wollen damit nicht sagen, daß das Problem der Epigonen genau dasjenige des großen Metaphysikers ist. Es ist im Gegenteil gewiß (wenn auch heute noch nicht genügen erkannt), daß dem nicht so ist. Aber darin ist man gewiß in der Richtung KANTs gegangen, als man den eigentlichen Frageansatz der "Deduktion der reinen Verstandesbegriffe", "Wie ist der Gegenstand möglich?" aufnahm und demgemäß die Analysen des Gegenstandes, wie wir sahen, den Charakter von Theorien hatten, welche der Erklärung dieser (auf dem Boden der Immanenz erwachsenen) Frage galten.

Man ging zwar, wie bemerkt, wenn auch meist ohne deutliches Bewußtsein, von einem Faktum, einem Erfahrungsbefund aus: der Gegenstand ist "da". Die Welt wird als Welt der Gegenstände erfahren. Sie gegenüber dem Fluß der immanenten Vorgänge als identisch eine "gegeben", als "begrifflich geordneter" Kosmos, als "Sinn". Die Dinge in ihr werden in ihrem Charakter des Gegenüber als Einheitspunkte eines geregelten Zusammenhangs von Erscheinungen erfahren. Sie sind kein Konglomerat von Erscheinungen, von Erscheinungsgegebenheiten. Sie sind "Einheiten in der Mannigfaltigkeit", kein "roher Stoff von Empfindungen". Die Welt ist kein Chaos; als solche ist sie für unsere Wahrnehmungen usw. niemals vorhanden. Sie ist ein einheitliches Ganzes, bezogen auf ihr begrifflich identisches, kategoriales Wesen. Und so ist jedes Einzelding in ihr ein Ganzes, eine Einheit des Sinns, ein Gegenstand.

Dieser Befund ist gegeben. Er ist sozusagen der Ausgangsbefund. Wir können es so sagen: Betrachtungen auf dem Boden jener Einstellung, für welche jene Sachlagen gegeben sind, sind Betrachtungen des Anfangs, insofern als jede an irgendeinem Problem des Gegenstandes anknüpfende Erörterung davon ausgeht. Die Feststellung, daß die Welt eine solche des Sinnes ist, daß jedes Phänomen in ihr in der Form eines in seinem Selbst identifizierbaren und begrifflich faßbaren Gegenstandes gegeben ist, wird von dorther übernommen. "Vor" der Frage nach der Möglichkeit des Gegenstandes und der Theorie des Ursprungs des Gegenstandes aus den Faktoren der Immanenz steht das Grundphänomen der Vorstellung (der Erkenntnis) und des in ihr gegebenen Gegenstandes. Mit dem Hinweis darauf beginnt die transzendentale Philosophie. Sagen wir besser: sie sollte damit beginnen. Denn es ist bekannt, daß in der neueren kantianisierenden Erkenntnistheorie dieser Hinweis keine erhebliche Rolle spielt. Der Neukantianismus hat eine gewisse Geringschätzung für Analysen, die außerhalb seiner Theorie liegen. Es gibt heute kaum einen Kant nahestehenden Forscher, der ein Bewußtsein von der Bedeutung der Betrachtungen des Anfangs hatte, dem daran gelegen wäre, eine "vorstandpnktliche" Einsicht in jenes Gebilde zu gewinnen, um dessen Erklärung willen er seine "standpunktlichen" Analysen anstellt. Für KANT selbst hatten bekanntlich solche Betrachtungen noch einen gewichtigen Sinn. Der Frage: Was ist ein Gegenstand? Welches sind die "obersten Gründe", welches die Anschauungs- und Denkbegriffe, welche in ihrer Gesamtheit das ausmachen, was wir die Gegenständlichkeit der Welt (die Welt in ihrem Charakter des Gegenstandes) nennen - der Beantwortung jener "metaphysischen" Frage ist bekanntlich ein großes Stück der Vernunftkritik gewidmet. Die Erörterungen, die KANT an dieser Stelle vornimmt, sind Fundamentalbetrachtungen im Sinne eines "Anfangs". Sie bewegen sich auf dem Boden der "natürlichen" Einstellung, für welche die in begrifflichen Formen geordnete Welt da ist, und für welche die Frage: "Was ist ein "Gegenstand?" Wie ist ein Gegenstand möglich? lediglich den Sinn hat: welches sind die Prinzipien, welch am vorhergehenden Material unserer Vorstellung aufweisbar sind und in denen sich der Gegenstandscharakter der Welt letztlich konstituiert.

Das ist genau die Frage, die wir uns zwar vorgelegt haben, wenn man dabei lediglich im Auge hat, daß es sich hier um eine auf dem Boden einer "natürlichen Einstellung" zu gebende, bloße "Exposition" des Gegenstandes (bzw. der Erkenntnis) handelt. Welches nun, in Beantwortung dieser Frage, die Methode ist, mit der KANT vorgeht, ist hier nicht zu erörtern. Nur auf einen Punkt muß hingewiesen werden. Die Begriffe, auf die in der metaphysischen Erörterung" aufmerksam gemacht wird, sind ausschließlich als Erkenntnisprinzipien der materiellen, mathematisierbaren Natur gemeint. KANT hatte, wie überhaupt die Aufklärung, dem materiellen Ding, der in der der transzendenten und speziell physikalisch-objektiven Zeit und dem Raum liegenden res [Sache - wp] unter den Gegenständen, die wir in der Erfahrung antreffen, eine fraglose Vorzugsstellung eingeräumt. Die "Bedingungen einer möglichen Erfahrung überhaupt", die Kategorien, fielen zusammen mit denjenigen, welche für die Erfahrung der objektiven Natur wesentlich sind. Man sah in einer Epoche , welche unter dem Einfluß der großen Leistungen der Naturforschung stand, nur Dinge als Objekte der Erfahrung, nur eine auf Dinge gerichtete Erkenntnis (Vorstellung). Theorien der Erkenntnis waren im allgemeinen Theorien der Naturerkenntnis.

Man sieht hieraus, was für KANT die "metaphysische Erörterung" allein besagen konnte. Es handelte sich ihm nicht um eine Phänomenologie der Gegenstandes in einem weiteren Wortsinn, den wir unseren Untersuchungen zugrunde gelegt haben, sondern um die prinzipielle Untersuchung eines bestimmten, fachumgrenzten Gebietes, so daß demgemäß der Geltungsbereich der herausgestellten Begriffe durch das Gebiet, auf das sie bezogen sind, beschränkt ist. Von "Gegenstand" in einem universalen Sinn der Logik, wie ihn etwa LEIBNIZ gekannt hat und wie der Begriff seit LOTZEs, BOLZANOs und vor allem EDMUND HUSSERLs Arbeiten in das moderne Bewußtsein getreten ist, kann bei KANT keine Rede sein. Es ist ein großer, verhängnisvoller Irrtum des Neukantianismus, daß er zum Teil dieses Faktum übersehen hat, ein Irrtum, der jenen groben zu Beginn des Jahrhunderts herrschenden Naturalismus zur Folge hatte, die Kategorien der Natur als schlechthin universal anzusprechen und auf jedes, außerhalb der anorganischen Natur liegende Sein "anzuwenden". Erst der neuere Kantianismus, vor allem HEINRICH RICKERT (in seinen "Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung"), hat die Gebietsbegrenztheit der kantischen Untersuchungen begreiflich gemach und vor allem war es EMIL LASK, der jenen bedeutsamen Versuch unternommen hat, eine Kategorienlehre auszubilden, die von der Einschränkung auf irgendein, aber bestimmtes Gegenstandsgebiet frei ist, eine Lehre, die anhand des logischen Gegenstandsbegriffs versucht wurde. Erst bei ihm ist - und wenn wir recht sehen, nur bei ihm - das Gegenstandsproblem ein solches des Gegenstands überhaupt geworden, des Seienden schlechthin, unabhängig davon, ob es der Gebietsgattung "Ding" oder sonst irgendeiner einzuordnen ist. (12)

Man kann also sagen, daß unsere Unterschungen in der Richtung von KANTs "metaphysischer Erörterung" liegen. Sie unterscheiden sich von dieser, wie jeder gebietsbegrenzentn Phänomenologie durch ihr Objekt. Im Sinne der (von KANT geteilten) Tradition ist der Gegenstand, von dem wir spechen, allerdings kein Objekt, kein Gebilde, kein Phänomen, das die Unterlage gewisser Erfahrungen und darauf gebauter kategorialer Feststellungen abgeben konnte. Spricht man von "Gegenstand", dann kenn ihn die Tradition lediglich in der Definition als "Subjekt gültiger Aussagen". Oder man sagt "Gegenstand" ist das den Vorstellungen entgegenstehende Objekt. Daß durch solche Definitionen ein Phänomen angezeigt wirde, das sich durch einen einzigartigen Bau, durch von jedem sachhaltigen Gegenstand zu unterscheidende Beschaffenheiten auszeichnet, hat man leider nur zu oft übersehen. Sehr zum Schaden der Philosophie! Gerade jenes Gebilde, das schlechthin fundamental ist, das überall zugrunde liegt, wo Wissenschaft vorliegt, dieses Gebilde ist als darzustellendes Phänomen kaum gekannt. Am formalen Gegenstand sind, soweit ich sehe, kaum eingehende, von Grund auf erfolgte Betrachtungen vorgenommen worden. Eine Kategorienlehre des Gegenstandes, in diesem Sinne, ist kaum jemals angestrebt worden. Es scheint mir, daß jener Mangel neuerdings auf die oben erwähnte transzendentale Betrachtungsart zurückzuführen ist, welche das Interesse an statisch-phänomenologischen Beschreibungen verkümmern ließ.

Wohl gibt es Theorien des "Gegenstandes". Vor allem sind HUSSERLs Arbeiten (schon die "Logischen Untersuchen") formal gemeint, in dem Sinne, den wir, ihm folgend, noch genauer präzisieren werden. Aber der kundige Leser wird finden, daß das Interesse HUSSERLs der letztlich transzendentalen Begründung der mathesis universalis [universale Wissenschaft - wp] gewidmet ist. Dort handelt es sich primär darum, zu zeigen, welches die mannigfachen "Abwandlungen" sind, wenn ein Gegenstand mit einem zweiten in Beziehung gesetzt, verglichen usw. wird, weiterhin darum, zu zeigen, welche Formen erwachsen, wenn sich ein Subjekt wahrnehmend, urteilend (logisch prädizierend), wertend, praktisch verhält, wenn es in einen Wechselverkehr mit anderen Ichen tritt usw. Wir wollen sagen: HUSSERLs Interesse gilt der Ausbildung bzw. der transzendentalen Grundlegung der Mannigfaltigkeitslehre. Sein Thema ist der Gegenstand, soviel ich sehe, in dem Sinne, wo Gegenstand der Pol ist von logischen, ästhetischen, praktischen Handlungen. Eben jenem Gegenstand gilt auch unser Interesse mit dem Unterschied, daß wir dem Substrat selbst, gewissermaßen diesseits seiner mathematischen Abwandlungen zugewendet sind. Wir wollen uns mit ihm beschäftigen, wie er "in sich selbst" ist. Zunächst läßt sich mehr nicht sagen. Die Untersuchung muß den Weg selbst zeigen, den wir gehen (13).

Zum Schluß dieses Paragraphen noch ein Wort über den "Positivismus" unserer Methode. Wir sagten oben: Die phänomenologische Beschreibung eines Gegenstandes ist eine Beschreibung desselben als eines in Erfahrung gebrachten "Phänomens". Die Beschreibung wird auf dem Grund seiner womöglich leibhaften Erfahrung vollzogen. Er wird beschrieben, "als was er sich gibt, aber auch nur in den Schranken, in denen er sich gibt". Nicht immer hielt man sich in der Forschung an den Grundsatz, sich um den erfahrenden Zugang zu demjenigen, was man behandeln will, zu bemühen. Selten hat man die Aufgabe gesehen, die sich an das Problem der Zueignung knüpft. Man ging meist von dem, dem Menschen des Naturalismus angestammten Vorurteil aus, daß alle Erfahrungen von Gegenständen überall von einer durchgehend identischen Struktur, letztlich dingliche Erfahrungen sind, die Gegenstände in der Weise einer sinnlichen Gegebenheit schlechthin vor uns "liegen". Eine derartige Auffassung darf unsrer Untersuchung nicht untergeschoben werden. Der Schwerpunkt der Phänomenologie liegt darin, daß die Gegenstände, "wie sie sich darbieten", im Vollzug ihrer lebendigen Erfahrung ergriffen und dargestellt werden. Das wollen wir mit dem Ausdruck sagen: wir beschreiben einen Gegenstand als "Phänomen". Bei jedem Schritt der Analyse wollen wir gewiß sein, daß die Wahrheiten über den Gegenstand nicht schlechthin gesetzt sind, sondern aus der Quelle fließen, aus der ursprünglich das Wissen über alles Erfahrbare aus ihrer Erfahrung fließt. Wir fragen: Was ist ein "Gegenstand"? Der Frage nachgehend, realisieren wir die in ihr liegende Forderung, den Gegenstand aufzusuchen und ihn, als in seiner Erfahrung gehabten, d. h. als Phänomen zu beschreiben. Nur so geben wir eine Phänomenologie des Gegenstandes. Es wird somit, wie bemerkt, das Erste sein, was wir zu tun haben, den Zugang zu dem, was wir unter dem Titel "Gegenstand" angezeigt haben, zu finden. Wir müssen zunächst auf das Gebilde, dem die Betrachtungen gelten, hinführen. "Gegenstand" sagten wir, ist alles und jedes, was vorstellig gemacht werden kann. Auf die Klasse von Erlebnissen, die unter den Begriff "Vorstellung" vorlufig abgegrenzt wurden, wollen wir eingehen. Deutlicher: wir greifen den eigentümlichen Charakter auf, der dem erfahrendenauf, der dem erfahrenden Leben die Funktion gibt, ein Seiendes vorstellig zu machen. Wir stellen uns auf den Boden einer bestimmten Einstellung, auf den Boden des fundamentalen Verhaltens "Vorstellung" und diese ihrer Form nach festhaltend, stoßen wir auf das Phänomen "Gegenstand".
LITERATUR - Arnold Metzger, Der Gegenstand der Erkenntnis, Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung Bd. VII, Halle/Saale, 1925
    Anmerkungen
    1) siehe Anmerkung 4
    2) siehe Anmerkung 4
    3) HEINRICH RICKERT, Der Gegenstand der Erkenntnis, Seite 21
    4) Wenn wir den Vorstellungs- bzw. Gegenstandsbegriff in einem formalen, alles Sein umfassenden Sinn einführen, so sind wir uns bewußt, daß dabei die Frage unerörtert bleibt, ob in der Tat alles und jedes, alles von uns faktisch Erfahrene und Erfahrbare in der Weise der Vorstellung bzw. des Gegenstandes faßbar ist. Genauer gesprochen: Trifft für alle Phänomene zu, daß sie als solche, wie sie erfahren werden, in der Weise eines im Laufe der folgenden Untersuchungen in seinem deskriptiven Gehalt zu enthüllenden Gebildes "Gegenstand" faßbar sind? Wir sagen: Diese Frage bleibt unerörtert, jene so fundamental wichtige, und echt phänomenologische Frage des erfahrenden Zugangs zu den Phänomenen, die vorurteilslose Darlegung dessen, als was sich das erfahrende Leben jeweilig charakterisiert und als was sich die in ihm auftretenden Phänomene jeweilig charakterisieren. Ist z. B. das Historische als Historisches gegenständlich faßbar? Unsere Erörterungen beginnen jenseits dieser Fragen. Die Einstellung, die wir hier im Anschluß an den Naturalismus, vor allem aber an die Darlegungen EDMUND HUSSERLs ("Ideen zur reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie", Bd.1, Seite 27f) "natürlich" nennen - ohne die Frage zu prüfen, mit welchem Recht hier von "natürlich" gesprochen wird -, ist gekennzeichnet durch das eigenartige, von manchen Forschern "objektivierend" genannte Verhalten Gegenstände sind da und Akte, intentionale Erlebnisse, die den spezifischen Charakter haben, "Gegenstände vorstellig zu machen". Das Phänomen der Erfahrung ist also hier keineswegs selbst ein Problem, sondern die ganz spezifisch gegenständliche Erfahrung - die Vorstellung - wird als "Grundklasse" von Erlebnissen angesetzt, woran man alles Erfahr- und Erkennbare teilnehmen läßt. - - - Für die "natürliche Einstellung", wie wir sie hier charakterisieren, ist also das vorkritische, naive Gegenüberstellen eines Seienden, des bestimmbaren Gegenstandes, entscheidend. Diese Erlebnisrichtung bedurfte einer genauen Interpretation, die vielleicht bisher in grundsätzlicher Weise noch nicht gegeben wurde und die wir uns auch in dieser Schrift versagen müssen. Was erfahren wird, wird als mögliches Objekt vorstellig machender Akte erfahren. Davon ist auszugehen. Das besagt allerdings nicht, daß in dieser Einstellung alles Erfahrene und Erfahrbare als solches als Gegenstand der Vorstellung von vornherein gegeben wird. Die Vorstellung - der objektivierende Akt - gilt vielmehr als Grundakt, als "Fundamentalerlebnis" insofern, "daß jedes intentionale Erlebnis entweder ein objektivierender Akt ist oder einenen solchen zur Grundlage hat" (HUSSER, "Logische Untersuchungen". Bd. II, Seite 493). Das besagt, daß prinzipiell all der Erfahrung zugänglichen Phänomene, soweit sie nicht selbst Gegenstände von Vorstellungen sind, in ein gegenständlich Seiendes, ein ein "bloß" Vorgestelltes, in eine "bloße Sache" umgewandelt werden können. In jedem Erlebnis, das nicht vom Typus der Vorstellung ist - wie die sogenannten Gemütserlebnisse, der Wille usw. - steckt die Vorstellung ("Doxa") als mögliches, aktualisierbares Erlebnis. In all dem sind gewichtige Probleme enthalten. Uns kommt es lediglich darauf an, einen ersten Blick für den fundamentalen Charakter der "natürlichen" Einstellung zu gewinnen, daß ihr alles und jedes ein Gegenstand ist oder dazu werden kann.
    5) KANT, Kr. d. r. V., Ausgabe A, Seite 104
    6) a. a. O, Seite 105.
    7) Man vergleiche dazu HANS CORNELIUS, "Die transzendentale Systematik", 1916, wo das Problem treffend formuliert ist. Ebenso RICKERT, a. a. O., Kapitel 1. Gerade CORNELIUS, der vom Positivismus herkommt, scheint mir deutlich zu machen, wie grundlegend für jeden transzendentalen Problemansatz der Positivismus HUMEs ist.
    8) KANT, a. a. O., Ausgabe A, Seite 104.
    9) Warum wir trotzdem den Ausdruck "Ontologie des Gegenstandes" vermeiden, wird später zu besprechen sein.
    10) Wenn wir recht sehen ist der Gegenstandsbegriff den wir zugrunde legen, von demjenigen verschieden, von dem RICKERT in seinen Untersuchungen (a. a. O.) ausgeht. RICKERT spricht von der "transzendentalen Realität" als dem "Objekt, nach dem sich die Erkenntnis zu richten hat, um "objektiv" zu sein" (Seite 21), und welches das Grundproblem der Erkenntnistheorie ist. Er begreift also lediglich den realen Gegenstand, das Ding in die Objektsphäre ein, was auch darin zum Ausdruck kommt, daß er das Objekt "als vom Bewußtsein unabhängiges Sein" definiert. Jedenfalls kann man sagen, daß der Objektsbegriff in einem universalen Sinn des den Vorstellungen entgegenstehenden Gegenstandes, wozu sowohl ein fiktives wie ein ideales Sein wie das ganze Reich des immanent Vorstellbaren gehört, nicht der Gegenstand der Erkenntnis ist, für den sich RICKERT interessiert. Er steht auf dem "Standpunkt der Immanenz", wonach alles Sein Bewußtseinsinhalt ist. Er weiß natürlich, daß in der Sphäre der Bewußtseinsinhalte die Vorstellungen, Wahrnehmungen usw. zu unterscheiden sind von dem, was vorgestellt, wahrgenommen usw. wird. Aber all das fällt ihm unter den Begriff des "immanenten Gegenstandes". Seine Frage ist allein diese: "Gibt es außer den vorgestellten Dinge, die Inhalt eines Bewußtseins überhaupt sind, noch Dinge, die als transzendente Dinge nie den Charakter der Bewußtheit tragen oder nie immanente Objekte werden können?" (a. a. O., Seite 51) Sein Problem der Erkenntnis ist letztlich metaphysisch. Demgegenüber ist unser Ausgang vorgeschrieben durch den phänomenologischen Befund Vorstellung - Gegenstand. Der Gegenstand ist das Objekt der Vorstellung, er mag nun fiktiv oder real sein, er mag im Sinne RICKERTs ein Bewußtseinsinhalt sein oder transzendent, "bewußtseinsjenseitig". Als mögliches Objekt von Erkenntnis ist er ein Gegenstand, wobei dies spezielle Frage nach dem transzendenten "real existierenden" Gegenstand unerörtert bleibt. Bei RICKERT hat, wie überhaupt vielfach im neueren Kantianismus, der sich auch dann abhängig von KANT zeigt, das Gegenstandsproblem die spezielle Fassung der Frage nach der Möglichkeit der Erkenntnis "transzendenter Realität". Aber das Gegenstandsproblem liegt in jedem Fall der Gegenstandserkenntnis vor, auch bei fiktiven Gegenständen, auch schon in der Immanenz, was ja neuere transzendentale Untersuchungen (bei HUSSERL, CORNELIUS u. a.), die der Konstitution des immanenten (phänomenalen) Gegenstandes eingehende Studien gewidmet haben, zeigen.
    11) NICOLAI HARTMANN hat neuerdings darauf hingewiesen (vgl. "Die Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis", 1921). 12)
    Doch gerade das Beispiel EMIL LASKs zeigt uns, wie weit er, der Kantianer, von einer Phänomenologie (Ontologie) des Gegenstandes entfernt ist. Es hat den Anschein, als ob es ihm darauf ankäme, über den Gegenstand eine analytische Aufklärung zu geben. Es scheint, als ob bei ihm der immanente Standpunkt RICKERTs und die Aufgabe der "Erklärung" des Gegenstandes aus den Faktoren der Immanenz nicht mehr bestände, daß anstelle jener Theorie eine statische Betrachtung eines gegebenen Gebildes getreten wär. Aber tatsächlich setzt seine "Ontologie" des Gegenstandes den ganzen Apparat der transzendentalen Theorie (speziell in der Fassung RICKERTs) voraus sie bedeutet lediglich eine unter kantfremden Einflüssen stehede ontologische Umbiegung dieser Theorie, die also keineswegs als ein Analogon zu KANTs "metaphysischer Erörterung" anzusehen ist.
    13) Die Unterscheidung zwischen dem Gegenstand als dem Pol von (z. B. syntaktischen) Abwandlungen und dem Gegenstand als dem Substrat seiner eigenen, in ihm selbst liegenden Beschaffenheiten ("Substratkategoriene") haben wir von HUSSERL übernommen ("Ideen" a. a. O. § 14, vgl. §7 dieser Abhandlung), dem wir in dieser und in vielen anderen Hinsichten als dem verehrten Meister, zu herzlichem Dank verpflichtet sind. Es liegt uns also fern, zu sagen, daß Betrachtungen unserer Art dem Gedankenkreis HUSSERLs fremd sind. MEINONGs "Gegenstandstheorie" ist (abgesehen von seiner Betrachtungsmethode, die wir nicht teilen, vgl. § 2) nicht als eine Morphologie [Lehre von den Gestalten, Formen - wp] des formalen Gegenstandes anzusprechen. Die "Gegenstandstheorie" hat zu ihrem Objekt die Sphäre der "daseinsfreien Gegenstände". Aber der daseinsfreie Gegenstand, das Apriori, ist eine spezielle, wenn auch sehr wichtige Form oder Abwandlung des Gegenstandes, welche zu ihrer Grundlage das volle gegenständliche, formale Substrat hat, das keineswegs mit MEINONGs Objekt zusammenfällt (vgl. den zweiten Abschnitt, vor allem § 17). Es sei hier noch über unsere statische Betrachtungsweise des Gegenstandes gegenüber HUSSERLs transzendental, genetischen bemerkt: Unter einer Phänomenologie des Gegenstandes versteht HUSSERL den Aufweis der Erlebnisse, in denen sich der Gegenstand "ursprünglich" konstituiert. Speziell handelt es sich bei ihm um die Analyse der "reinen, außerhalb aller Einordnung in die wirkliche Welt gesetzten" Bewußtseinsvorkommnisse bezüglich ihrer "Funktion" Gegenständliches "möglich zu machen". Im Sinne des transzendentalen Idealismus wird das Bewußtsein als die "Seinssphäre absoluter Ursprünge" genommen. "An die Stelle der an den einzelnen Erlebnissen haftenden Analyse und Vergleichung, Deskription und Klassifikation tritt die Betrachtung der Einzelheiten unter einem "teleologischen" Gesichtspunkt ihrer Funktion, eine "synthetische Einheit" möglich zu machen" (a. a. O. Seite 176). Aber es ist nun nicht so, daß bei HUSSERL jede vor der Genealogie des Gegenstandes liegende "natürliche" Betrachtung des Gegenstandes fehlt. Mit Analysen auf dem Boden der "natürlichen Einstellung" beginnen seine Betrachtungen, und es wird auf jene "reine Beschreibung vor aller Theorie" der größte Wert gelegt (a. a. O § 20). In diesem Punkt unterscheidet sich, wie der Verfasser schon in einer früheren Arbeit hervorgehoben hat ("Untersuchungen zur Frage der Differenz der Phänomenologie und des Kantianisms", Jenaer Dissertation, 1915) HUSSERL sehr wesentlich von den Vertretern des Neukantianismus, daß ihm die in der "natürlichen" Erfahrung an die Hand gegebenen Objekte, ihrer obersten Gattung nach, zu Vorgegebenheiten, zu Leitfaden für transzendental, der Immanenz zugewandet Untersuchungen werden. Die Unterscheidung von Gegenstand als "Leitfaden" ("Ideen" § 150) und als Gegenstand als "Korrelat" singebender Akte, als Endglied konstitutiver Prozesse, ist für das Verständnis der Anschauungen HUSSERLs sehr wesentlich. Der in "gerader Blickrichtung gegebene Gegenstand ragt in Gestalt des Leitfadens in die Sphäre transzendentaler Sinngebungen hinein. Er ist die Kreuzungsstelle sozusagen der Ontologie und der transzendentalen Phänomenologie. In gewissem Sinn kann man von hier aus sagen, daß wir es mit dem Gegenstand als einem Leitfaden zu tun haben, nicht aber mit einem Gegenstand als Korrelat sinngebender Akte.