tb-1ra-2V. CathreinW. HerrmannJ. BergmannP. NatorpR. OttoA. Kastil    
 
JAKOB FRIEDRICH FRIES
Wissen, Glaube und Ahnung

"Wer versteht, was erkennen heißt, der weiß auch, daß in aller Erkenntnis Gegenstände in Bezug auf eine Existenz erkannt werden. Das Verhältnis von Gegenstand und Existenz zur Erkenntnis ist das charakteristische Merkmal, weswegen wir eine Tätigkeit der Vernunft zum Erkennen rechnen, es ist aber weder ein Kausalverhältnis, noch auf irgendwelche andere metaphysische Begriffe zurückführbar, sondern es kann nur, wie es ist, in innerer Erfahrung erkannt werden."

"Sind die Gegenstände einer Erkenntnis bloße Erscheinungen, und nicht Dinge-ansich, so ist ja Vorstellung und Gegenstand seiner Realität nach ganz dasselbe, und es gibt für eine solche Erkenntnis keine andere Wahrheit, als die inneren Zusammenstimmungen der Vorstellungen untereinander."

"Das einzige Mittel zum Ewigen ist der Glaube, für den wir gerade nur dadurch Platz gewinnen, daß wir unser Wissen auf seine wahren Verhältnisse herabwürdigen, daß wir zeigen, daß unser Wissen um das Endliche der Natur nur Erscheinung ist, darüber hinaus aber ist die Idee des Ewigen und der Glaube an das Ewige in uns."

"Wissen heißt nur die Überzeugung einer vollständigen Erkenntnis, deren Gegenstände durch Anschauung erkannt werden; Glaube hingegen ist eine notwendige Überzeugung aus bloßer Vernunft, welche uns nur in Begriffen, das heißt in Ideen zum Bewußtsein kommen kann; Ahnung aber ist eine notwendige Überzeugung aus einem bloßen Gefühl."



Vorwort

Resultate zu geben, hat in der Philosophie überhaupt für sich wenig Wert, denn in jeder selbsttätigen Spekulation hängt ihre Richtigkeit nur von der Richtigkeit der befolgten Methode ab, nur durch die können Resultate garantiert werden. Philosophie zu lehren, ohne das Philosophieren, ist eine zwecklose Bemühung. Ich bin aber hier doch genötigt, die bloßen Resultate meiner Spekulation früher, als ich wohl gesonnen war, zusammenzustellen, um mir mein Recht zu sichern. Bisher hat man mir auf meine philosophischen Schriften von Seiten der Partei, die ich angreife, nichts geantwortet, als etwa mündlich, daß ich ein Kantianer sei, und ist darüber wieder zur Tagesordnung übergegangen. Dabei habe ich aber doch das Vergnügen, unter dieser oder jener Form in den neuesten Schriften jener Partei alte Bekannte wieder anzutreffen, oft noch in demselben Kleid, in dem ich ihre Bekanntschaft machte. Dieser Ideenübergang ist natürlich, und auch ohne Plagiat, durch die Wirkungen des Geistes der Zeit zu erklären; doch muß es mir daran gelegen sein, mein Eherecht an die Auffindung irgendeiner neuen Idee zu vindizieren [unterschieben - wp].

Ich habe an einem anderen Ort ("Reinhold, Fichte und Schelling", Seite 231) den Unterschied des arbeitsscheuen platonischen Dogmatismus, und des fleissigen Kritizismus auseinandergesetzt; hier muß ich bemerken, daß der letztere so leicht vom ersteren übervorteilt wird, indem die kritischen Schriften strenger und mühsamer geschrieben, also auch schwerer zu lesen sind; jene borgen uns die Gedanken ab, setzen sie in glänzendere Worte um, und bringen sie so in Umlauf, das Volk aber liebt in philosophischen Dingen weit mehr das geheimnisvolle, dunkle, tiefscheinende, als das streng wissenschaftliche und klare.

Der Zufall hat gewollt, daß meine Entgegensetzung des Wissens, Glaubens und Ahnens bei gewissen, mir ganz entgegengesetzten Philosophen, großen Beifall gefunden hat, wodurch in Verdacht kommen könnte, an der neuen frommen Liebe zum Mystizismus, und ähnlichen Süßigkeiten teilzunehmen, wogegen ich mich hier feierlich verwahrt haben will. Am meisten springt dieser von der Tat abwendende, alle liberale Denkungsart erstickende, entkräftende dumpfe Sinn für mystisch hinbrütende Gefühle in ESCHENMAYERs "Eremit und der Fremdling" hervor, dieser abgeschmackten Unterhaltung zweier Mönche, wo die Vernunft den Degen an die intellektuelle Empfindung abgibt, und die vergötterte Schnecke den  Apoll  und die  Athene  wohl bald aus dem Olymp verscheuchen wird. Auf welche Albernheiten kommen wir nicht wieder zurück mit dieser Empfindungs- und Gefühlsphilosophie! ESCHENMAYER sagt:
    "Das geheimnisvolle und mystische ist daher die wesentliche Seite der Religion, und je tiefer sie verborgen und den Augen der Menschen entzogen ist, desto würdiger und lebendiger ist der Glaube an sie. Je öffentlicher hingegen sie gemacht, und je mehr sie der Empfänglichkeit der Völker, und dem zu jeder Zeit unwürdigen Geist der Zeit nahe gelegt werden will, desto mehr sinkt sie zur Moral herab, und verliert ihre ursprüngliche höchste Würde."
Ja, sehr wohl ist es ein unwürdiger Geist der Zeit, der sich durch euer heiliges Hinbrüten über das Heilige, ohne Leben, Kraft und Tat ausspricht, und Gott behüte uns nur, daß wir dem zusammengeflickten Lumpenkönig nicht auch einmal zu dienen kommen. Die große Ehrfurcht der beiden Mönche vor dem heiligen Gefäß, erinnert etwas zur Unzeit an WIELANDs "Märchen vom Prinzen Biribinker". Was die Götter nicht alles für Einfälle bekommen, wenn sie einmal anfangen, verstecken zu spielen.

Schon zu einer Zeit, wo man in SCHELLINGs Schule noch um wenig mehr bemüht war, als einige Formeln der Erregungstheorie in eine andere Sprache zu übersetzen, machte ich darauf aufmerksam, wie geisttötend diese Art der Spekulation für die praktische Philosophie werden muß, in der sie notwendig der Handlung nur Andächtelei unterschiebt, und die Kunst durch Mystizismus verunstaltet. Die Geschichte der ferneren Ausbildung jener Schule hat nur allzusehr diese Wahrheit bestätigt, (wie dies dann neuerdings von einem seiner Schüler, natürlich ohne Anleitung zum Quellenstudium selbst weitläufiger behauptet wird), und selbst SCHELLINGs eigene neueste Schriften erklären sich nur allzubestimmt für diese energielose Geheimniskrämerei.

Umso notwendiger finde ich es, dem irreleitenden wahrscheinlichen in jenen Ideen entgegenzutreten, und eine deutliche Ansicht des Verhältnisses der Religion, und der Schönheit zur Philosophie nach bestimmten Begriffen, und in eine besonnenen Sprache geltend zu machen.

Das Interesse der Wissenschaft und meine Selbstverteidigung vereinigen sich also, um mich zur Bekanntmachung dieser Resultate meiner Spekulation zu bestimmen, ehe ich die Gründe derselben, ausführlich vorzulegen imstande bin. Den träumenden zum Trost, die sich nicht gern wecken lassen wollen, erscheine ich hier noch immer als Kantianer, habe aber freilich ein sehr überflüssiges Geschäft unternommen, wenn ich die Kommentare über KANTs Schriften nur noch um einen vermehre, ohne das System selbst weiter auszubilden, als er es vermochte. Darüber soll die kommende Zeit entscheiden!

Was ich hier liefere, ist also nur der exoterische Teil unserer Philosophie. Auch der Kritizismus hat seinen geheimen, esoterischen Unterricht, aber seine Geheimnisse sind nicht Mysterien, sondern  Arcana  der inneren Physik, die sich eben nicht für Geld, aber wohl gegen Fleiß und Zeit verkaufen lassen. Diese Arkana bestehen im Geheimnis einer anthropologischen Deduktion aller philosophischen Grundsätze, wozu ich die Idee in meinem System der Philosophie schon angegeben habe, die Ausführung aber schon lang in meiner Gewalt war, ehe ich irgendwie öffentlich aufgetreten bin. Dennoch wage ich es dreist, den nach Resultaten und schönen Gedanken haschenden philosophischen Putzmachern die Aufgabe zu stellen, mir den Vorteil dieser anthropologischen Deduktion abzugewinnen, und mich so um den Preis meiner mühsam vorbereiteten wissenschaftlichen Laufbahn zu betrügen.



Endliches und Ewiges Sein
oder

Erscheinung und Ding ansich

Insgemein wird die Unterscheidung der Erscheinung und des Dings-ansich für die Hauptsache der kantischen Philosophie gehalten. Nachdem man lang genug darüber hin und her gestritten hatte, und über der Menge gegebener Erläuterungen immer weniger zu verstehen anfing, was eigentlich damit gemeint war: so wurde schließlich fast allgemein im Publikum geglaubt, das arme Ding-ansich habe seinen Prozeß in erster Instanz verloren oder zumindest sei das ganze Verfahren in seiner Sache auf immer niedergeschlagen. Wirklich wurde es dann auch in REINHOLDs "Theorie des Vorstellungsvermögens" als das den Stoff vertretende, und in FICHTEs "Wissenschaftslehre" als das Nicht-Ich nur auf den gemeinen Dienst der Dinge außerhalb von uns angewiesen. Allein so nahe an seiner gänzlichen Erniedrigung stand der Tag seiner Verherrlichung, daß es in SCHELLINGs Philosophie mit neuem Glanz und Schmuck angetan, zu höheren Ehren gelangt, als jemals vorher.

Nirgends hat SCHELLING KANT richtiger verstanden und besser angewandt, als indem er den Unterschied der Erscheinung und des Seins ansich unter den faßlicheren und weniger künstlichen Ausdrücken des endlichen und des ewigen Seins in sein System einführte. Er hat hiermit die einfachsten und populärsten Ausdrücke, die sich wohl in der deutschen Sprache für dieses Verhältnis finden lassen, die durch jedes Gebetbuch autorisiert sind, wieder in Gang gebracht; vorzüglich aber dadurch der Sache mehr Verständlichkeit gegeben, daß er die Meinungen der älteren Philosophen über das Endliche und Ewige, das Reich der Natur, und das Reich der Gnade durch KANTs große Entdeckung, daß Raum und Zeit bloße Formen unserer Sinnlichkeit und somit des Endlichen sind, aufhellte, und ihnen eine bestimmtere Zeichnung gab.

Für die Anwendung hätte man sich vielen Streites überheben können, wenn man von der Unterscheidung der Erscheinung und des Seins ansich so ausgegangen wäre, wie diese im Volk gewöhnlich ist, im Katechismus, oder zumindest in den meisten Gebetbüchern vorkommt. Da wird die Ewigkeit nicht als ein Sein durch alle Zeit vorgestellt, sondern man setzt die Zeit überhaupt der Ewigkeit entgegen, man spricht von Zeit und Ewigkeit. Diese Ewigkeit, das ewige Sein bei Gott, welches uns jetzt noch ein Geheimnis bleibt und welches wir uns nur dadurch denken, daß wir uns ein Sein vorstellen, in welchem alle Beschränkung unseres Seins in der Zeit weggedacht wird, dieses ewige Sein bei Gott ist das Sein ansich, von dem wir nur die Erscheinung sehen.

Indessen glaube man nicht etwa, daß KANT sich mit seiner Unterscheidung der Erscheinung, und des Seins-ansich eine neue Entdeckung anmaßte, nur aus Unkunde dessen, was die älteren Philosophen darüber meinten. Es ist ein großer Unterschied zwischen dem Gegensatz des materiellen und geistigen, und dem des Endlichen und Ewigen, und selbst der letztere langt noch nicht hin, um KANTs wichtige Entdeckung ganz zu verstehen, wenn man nicht im Hinblich auf das Endliche Schein und Erscheinung auseinanderhält. Schwerlich aber hat sich ein einziger unter den Griechen und Neuplatonikern dem Unterschied des Endlichen und Ewigen mehr genähert, als bis zur Unterscheidung des materiellen und geistigen. Die Alten waren in der Kunst zu abstrahieren so viel unerfahrener als wir, und ihr unvollständigen Vorstellungen von Himmel und Erde, waren ihnen so hinderlich, daß sie sich selbst nur selten über alle materielle Vorstellung erheben konnten. Man sehe z. B., was der beliebte PLATON am Ende des  Phaedon  erzählt, und steigt nicht ARISTOTELES' Seele nur wegen ihrer spezifischen Leichtigkeit zu den Sternen auf? Ihre höchste Abstraktion war die, daß sie die Materie, als das Nichts, oder auch als das träge, tote, böse Prinzip von allem lebendigen, dem geistigen, als dem allein realen trennten, das heißt sich zu seinem einfachen Intellektualismus erhoben.

In all dem ist aber der wahre Gegensatz von Erscheinung und Sein ansich gar nicht berührt; selbst SCHELLING verwechselt wieder überall Erscheinung und bloßen Schein, er mach die ganze Endlichkeit zum nichts einiger Alten, was ihnen nur die Materie war, hat also die Idee der Erscheinung gar nicht rein aufgefaßt, und daher ebensowenig die reine Idee des Seins ansich. Nur in ihrer Anwendung kennt er beide Begriffe, und trennt demgemäß das Endliche und Ewige.

Bei so bewandten Umständen ist es vielleicht nicht umsonst, jetzt die alte bald verjährte Sache des Dings-ansich wieder vorzunehmen und zu versuchen, ob man ihm nicht endlich sein recht widerfahren lassen kann.

Woher erhält nun unter all dem mehr oder weniger wichtigen, das KANT entdeckt oder gesagt hat, gerade diese Unterscheidung der Erscheinung und des Seins-ansich eine so große Wichtigkeit, daß der Streit immer wieder auf sie zurückkommt? Das ist leicht zu beantworten. Eben weil sie das Hauptdogma des transzendenten Idealismus vorbereitet, oder eigentlich schon ausspricht, sie verbindet mit der Nachfrage nach dem letzten Grund der Gültigkeit unserer Erkenntnis zugleich die Antwort auf die Frage nach dem letzten Grund der Realität im Sein der Dinge. Die letzte Antwort ist nach dem Sinn des Kritizismus ein bloßes Resultat der Untersuchungen über die erstere Frage; für jede dogmatische Philosophie aber gerade das erste und nächste, worüber sie eigentlich entschieden haben will, ehe man zu philosophieren anfängt. Das Gerede um jene Unterscheidung ist also größtenteils wieder nur darum so laut und verworren geworden, weil sich nur so wenige zur Mühsamkeit der kritischen Methode verstehen, die meisten gleich wieder nur nach Dogmen griffen. So hat dann auch KANT wieder durch seine mühsamen Untersuchungen, nur dem Rationalismus Resultate an die Hand gegeben, welche er zu seine dogmatischen Spielen weiter braucht.

Wer nach dogmatischer Methode den Unterschied des Endlichen und Ewigen oder der Erscheinung und des Seins ansich auffaßt und ausbilden will, der wird gleich mit der Behauptung anfangen: Wahrheit ist nur die absolute Wahrheit des Ewigen. Das Wissen um welches den Philosophen ziemt, sich zu bemühen, ist nur das absolute Wissen, das Wissen vom Absoluten, ewigen Sein ansich, alles Wissen um das Endliche ist nur Trug und Schein. Die einzige Realität ist ihm also die Realität des Ewigen, von dieser geht er aus und von dieser allein will er sprechen. Aber leider kommt dieser in unserer Erfahrung nur äußerst selten einmal vor, es läßt sich nun äußerst wenig davon sagen, und der Philosoph befindet sich gleich in der größten Verlegenheit, um das Endliche aus dem Ewigen zu begreifen, das Endliche zum Ewigen hinzuzubringen, indem wir gemeinhin gerade nur das Ewige zum Endlichen hinzutragen, um zum gegebenen Bedingten ein Unbedingtes zu haben. Mit dieser Not haben wir uns dann auch neuerdings weidlich amüsiert; SCHELLING hat sich dabei anfangs, nur solange es gehen wollte, auf die Antwort beschränkt, daß das Endliche, wenn wir es einmal haben, recht wohl Platz hat im Ewigen, als ihm aber schließlich seine eigenen zweifelnden Freunde erwiderten, er habe ja aber eben das Endliche noch gar nicht, wenn es einmal da sei, wolle man es schon unterbringen, aber wie es denn gleichsam zum Ewigen hinzukommt: so flüchtet er sich in die praktische Philosophie, und schützt zur Antwort den Sündenfall vor, als einen Abfall der ewigen Ideen aus dem Ewigen, dessen Idee er aber anstatt sie in unserer Bibel, Gesangsbuch oder Katechismus zu suchen, nur in den Mysterien der Griechen hat auftreiben können. Die Endlichkeit ist nur zur Strafe für die abgefallenen Ideen da, und außerdem das eigentliche Nichts. Mit dieser Antwort ist dann vorderhand die Sache wieder ein wenig verworrener, und wenn SCHELLING gleich jetzt noch diesen Abfall als einen Abfall  aus  Gott vorstellt, und das ewige Sein der abgefallenen Ideen ein Sein  in  Gott nennt, so kann er doch nach und nach, da das Absolute schon nicht mehr die Gottheit selbst ist, den Abfall einen bloßen Abfall  von  Gott, und das ewige Sein der Ideen ein Sein  bei  Gott nennen, wodurch wir dann wieder die gemeine Vorstellung einer intelligiblen Welt erhalten, welche von Gott regiert wird. Das wäre nun ganz gut, und so hätten wir wieder Ruhe, es ist aber durchaus gegen den Akkord [Einklang - wp]. SCHELLING hat die erste Frage keineswegs beantwortet, sondern nur auf eine noch schlimmere Weise das Endliche im Ewigen vorausgesetzt. Wo bleibt denn hier die hochberühmte absolute Identität, Indifferenz und Einheit des Ewigen, hier haben wir ja die Mannigfaltigkeit der Formen und Gestalten des Endlichen selbst ins Ewige aufgenommen, wir haben außer dem schlechthin idealen der Gottheit noch ewige Ideen, abgefallene ewige Ideen, sogar jeder von uns ist eine davon, und die sind alle mit und neben der Gottheit und nebeneinander im Ewigen. Das Rätsel bleibt also immer dasselbe und SCHELLING geht ein ums andere mal wieder vom Endlichen aus, und nicht vom Ewigen. Der Sündenfall wird ihm so wenig zustatten kommen, daß er vielmehr den plausibelsten Grund zur Widerlegung jedes rationalen Dogmatismus an die Hand gibt, nämlich durch die Unmöglichkeit der Theodizee [Rechtfertigung Gottes - wp].

Aller Rationalismus wird auf die Frage: was ist Wahrheit? nur im Hinblick auf die Wahrheit des Ewigen antworten, und somit gleich von der Realität des Ewigen, als der einzigen ausgehen. Er kann aber dabei nicht anders verfahren, als daß er wirklich von einem Verhältnis der Erkenntnis zu ihrem Gegenstand und vom Verhältnis des Denkens zum Sein ausgeht, denn dadurch bestimmt sich der höchste Begriff der Wahrheit. Dabei verwechseln sie aber den Begriff der empirischen Wahrheit mit dem der transzendentalen und meinen nun das Verhältnis des Denkens oder des Begriffs zur Anschauung sei mit dem des Denkens zum Sein einerlei, ja es wird damit sogar das Verhältnis des ideellen zum reellen, oder des Geistes zur Materie noch verwirrt, und man kommt auf widersinnige Behauptungen wie die, daß die Seele der Begriff des Leibes, dieser aber die Anschauung der Seele ist, wobei sich allerdings nach platonischer Abstraktionsweise noch etwas denken läßt. Das reinste Verhältnis ist aber das der Erkenntnis zu ihrem Gegenstand, des Denkens zum Sein, nach SCHELLING des Subjekts zum Objekt. Bei diesem will ich hier stehen bleiben.

Wenn wir von diesem Verhältnis ausgehen, so können wir die absolute Realität nur entweder im Denken oder im Sein schlechthin oder in beiden zugleich suchen.

Suchen wir sie im Denken, so ist die Vorstellungskraft das einzige einfache Wesen, wovon wir uns eine Idee entwerfen können, wir setzen also die Realität in eine höchste absolute Vorstellungskraft, dabei ist die Idee der Wahrheit selbst für unsere Vernunft gleichsam etwas objektives, außer ihr liegendes, dem ungeachtet können wir uns aber kaum ein Sein denken, ohne ein Vorgestelltwerden; wir können wohl denken, daß etwas ist, ohne daß  wir  es vorstellen, aber das Sein ist gleichsam ein Vorgestelltwerden schlechthin, ein absolutes Vorgestelltwerden. Daher gewinnt die Idee viel Schein für sich, daß die Welt eigentlich ein Gedanke Gottes ist; Gott aber, als absolute Vorstellungskraft, schafft durch sein Denken. So bildet sich diese Meinung durch alle Stufen eines verworren gedachten Egoismus, bis zum reinen Intellektualismus von LEIBNIZ' Monadenlehre.

Wenn dem aber so ist, und wir finden doch so viel Übles und Böses in der Welt, so macht sich die Einwendung unwiderleglich: wie hat Gott wohl auf so böse Gedanken kommen können?

Auf der anderen Seite kann man aber auch sagen, das denkende ist doch auch, dem Denkenden kommt selbst ein Sein zu, nicht so notwendig dem Sein auch ein Denken, wenn wir das Seine in ein bloßes Vorgestelltwerden setzen, so kommt dem letzten Vorstellenden doch wieder ein Sein zu, wir müssen also den letzten Grund der Realität in dem suchen, was schlechthin ist. Diese Meinung bildet sich dann durch alle verworren gedachten Grade des Materialismus zu zwei Ideen aus, von denen die eine als Pantheismus den SPINOZA meint: die Welt sei Gott, die andere wie der gemeine Glaube sagt: Die Welt ist durch Gott, Gott ist die Ursache der Welt.

Diese letzte Meinung ist dann eigentlich ganz und gar unphilosophisch, indem wir das Endliche selbst zu einer Wirkung des Ewigen machen, doch wie auch immer, nach dieser Idee ist immer die Welt ein Werk Gott, und wenn wir so viel Übles und Böses darin finden, so bleibt die Einwendung unwiderleglich: wie hat Gott so etwas Böses machen können.

Wollen wir aber mit SPINOZA das Sein der Welt als das Sein Gottes ansehen, so sind wir selbst in Gott oder als abgefallene ewige Ideen zumindest ein Teil der Gottheit, wogegen aber die unwiderlegliche Einwendung stehen bleibt, daß, wenn in der Welt so viel Übles und Böses aus Gott abgefallen ist, damit ja das Wesen der Gottheit selbst anbrüchig geworden ist.

Wollen wir endlich Denken und Sein miteinander vereinigen, und von keinem von beiden allein ausgehen, so kommen wir doch immer wieder auf den Spinozismus, und wenn uns dieser nicht gefällt, auf LEIBNIZ' Intellektualismus zurück, denn in der Indifferenz des Seins und Denkens hat doch das Sein eigentlich das Übergewicht, indem jedem Denkenden noch ein Sein, dem Sein aber nicht notwendig ein Denken zukommt; was sollten wir auch bei allen Göttern mit dem positiven Ewigen anfangen, das nicht einmal  ist?  SCHELLING hat dies freilich eine zeitlang anders genommen, indem er fest auf der gänzlichen Indifferenz des Seins und Denkens in der absoluten Vernunft bestand, allein schon, daß er das Absolute doch Vernunft nennt und ihm weiterhin Selbsterkenntnis zuschreibt, zeigt, daß seine Indifferenz eigentlich zum Intellektualismus hinneigt. Denn wollte er mit der absoluten Indifferenz wirklich Wort halten, so würde er, wie ich schon sonst gezeigt habe, seinem eigenen Grundprinzip der intellektuellen Anschauung untreue, und erzeugte seine Ideen wirklich, wie wir, durch die bloße Negation, das heißt mittels der verhaßten Reflexion, er würde dann nur vom Ewigen sagen, es sei  nicht  das Endliche, und müßte also notwendig zuerst vom Endlichen ausgehen.

Doch was hilft uns das Streiten mit diesen, wir erhalten doch immer dieselbe Antwort, ungefähr so wie jemand, der einem Freund mit viel Mühe etwas glaubt deutlich gemacht zu haben; am Ende legt ihm der Freund vertraulich die Hand auf die Schulter und sagt wehmütig: ja, es ist ganz richtig, du bleibst dir darin ganz treu, und mußt wohl so reden, das kommt aber einzig daher, weil du ein Narr bist. Einer von beiden möchte dann wohl wirklich etwas dem Ähnliches sein. Sie halten uns für eine Art Kyklopen, nur ohne das Schmiedetalent, denen die böse Reflexion das eine, hellere, innere Auge rein ausgebrannt hat, so daß im wahren inneren Leben für uns eitel Nacht ist. Ihnen aber ist in der geheiligten Mystifikation der intellektuellen Anschauung ein inneres Organ für Religion aufgegangen, sie sehen die ewigen Mysterien administrieren, die Gottheit aber von Angesicht zu Angesicht, und das mit einer ganz unglaublichen Schlichtheit und Bescheidenheit. Als  Moses  einmal den Herrn gesehen hatte, so glänzte er doch fortan so, daß das Volk das blendende Licht nicht ertragen konnte, bei diesen aber phosphoresziert das höhere Licht so einzig nach innen, daß wir ihnen äußerlich nicht die mindeste Weihe anmerken, daß sie vielmehr an uns vorübergehen, alltäglich wie Schuhmacher und Schneider.

Ich fürchte aber, daß diese Mystifikationen uns armen Lesern noch viel werden zu schaffen machen, wenn die jungen Leute durch das Hinbrüten über dem ehrlichen Schuhmacher-Genie erst einmal klug geworden sind. Die Albernheiten in den kindischen Versuchen der Schüler in der Naturphilosophie waren noch darin naiv, daß die Leutchen, wenn sie ein paar Wochen zugesehen hatten, schon meinten, dem lieben Gott die Kunst abgelernt zu haben, eine Welt zu machen, und uns dann gleich aus leichtem Zimmerzeug ein Modell davon zimmerten; dagegen versprechen die kindisch mystifizierten Andachtsäußerungen einzig ekelhaft zu werden.

SCHELLING zögerte zu lang, bis er die neu aus Gott geborene Religions- und Tugendlehre kund machte, die Schüler wurden der losen, immer wiederholten theoretischen Speise müde, suchten sich selbst mystisch religiöse Nahrung, und fingen nun an, jene Leerheit seinem Intellektualismus, den man jetzt Idealismus nennt, vorzuwerfen.v Der Idealismus kommt aus der Mode, und man verspricht uns einen neuen Realismus, um den es aber noch so tumultuarisch aussieht, daß sich noch nicht viel dazu sagen läßt. Indessen scheint man darin geradezu mit Gott und aus Gott zu beginnen, und was kann einem da wohl noch fehlen, wenn man den einmal hat? Am weitläufigsten hat Professor WAGNER bisher in seiner Idealphilosophie davon gesprochen. Diese ist aber als wahre Phantasmagorie [Trugbild - wp] über den Grundsatz erbaut, daß Philosophie und Poesie völlig eins sind, ist so durch und durch ein Phantasiestückchen, selbst ohne den Versuch zu systematischer Konsequenz, daß es viel zu früh wäre, um den kaum angefangenen Traum schon deuten zu wollen.

Gar lächerlich nimmt es sich aus, wenn bei diesen Schülerarbeiten der Verfasser seine Ungebildetheit so ganz treuherzig dem Publikum aufheften will, indem er meint, er schreibe bloß darum anfangs so tumultuarisch und verworren, weil das Publikum noch gar nicht vorbereitet ist, seine neuen hohen Gedanken zu fassen. Sobald er aber irgendwie selbst in Sprache und Form sich gehörig gebildet hat, so läuft seine ganze Entdeckung auf nichts als einen mehr oder weniger gut verstandenen Leibnizianismus oder Spinozismus hinaus. Also genug hiervon, wir wenden uns an die Kritik zurück.



Die Wahrheit

Die Nachfrage nach dem letzten Grund der Gültigkeit unserer Erkenntnis ist die, von welcher alle Spekulation ausgeht, und auf welche sie immer wieder zurückkommt. Die Schwierigkeiten, die sich bisher immer gezeigt haben, diese Frage sicher und hinreichend zu beantworten, liegen darin, daß die menschliche Vernunft in ihrer Selbsterkenntnis an einen inneren Sinn gebunden ist, daß wir erst wahrnehmen und erfahren müssen, was wir erkennen und erkannt haben, und nicht unmittelbar durch unser Erkennen auch wissen, was wir erkennen. Diese Tatsachen der inneren Erfahrung sind bisher noch nicht gehörig betrachtet worden.

Es wird zwar in jeder Logik bemerkt, daß wir ungleich mehr dunkle Vorstellungen haben, als solche, deren wir uns in jedem Augenblick eben wieder bewußt wären, allein die ganze Geschichte dieses Wiederbewußtseins der Erkenntnisse ist noch bei weitem nicht hinlänglich erörtert worden. Es sieht zwar jedermann leicht ein, wie ungeheuer viele Vorstellungen und Erkenntnisse im Gemüt eines gelehrten, gebildeten oder erfahrenen Mannes jederzeit gegenwärtig sind und wie weniger davon er sich in jedem Augenblick bewußt ist, und dessen ungeachtet behaupten noch jetzt sehr gelesene Schriftsteller im Fach der Philosophie, daß wir, so wie wir Vorstellungen haben, uns gleich auch bewußt wären, daß wir sie haben. Die Vernachlässigung, daß bis jetzt die Verhältnisse der Erkenntnis zum inneren Sinn und zur inneren Erfahrung noch nicht gehörig beobachtet sind, ist fast noch der einzige Fehler, weswegen die Gründe der Gültigkeit unserer Erkenntnis noch für so dunkel gehalten werden.

Die Aufhellung dieser Dunkelheit wird eigentlich im esoterischen Unterricht der kritischen Philosophie gezeigt, das heißt sie erfordert mehr Fleiß und Zeit, als die meisten auf das Studium der Philosophie verwenden wollen. Hier habe ich es nur mit den Resultaten dieser Untersuchung zu tun, welche im Ganzen im Grunde schon exoterisch genug gemacht worden wäre, durch mein System der Philosophie als evidente Wissenschaft, welches bei HINRICHS in Leipzig herausgekommen ist, wenn diese Lehre dessen überall empfänglich sein könnte.

Die Vernunft, ihrem theoretischen Gebrauch nach, ist ein Erkenntnisvermögen; ihre eigentliche Tätigkeit ist hier immer ein Erkennen, aber ihre Erkenntnis läßt sich nicht immer so unmittelbar wahrnehmen.

Jede zur Erkenntnis gehörige Tätigkeit der Vernunft heißt vielmehr eine Vorstellung, aber nicht jede Vorstellung ist schon Erkenntnis, sondern die Erkenntnis ist eine zusammengesetzte Tatsache in innerer Erfahrung, welche oft erst durch die Vereinigung vieler Vorstellungen zustande kommt. Wer versteht, was erkennen heißt, der weiß auch, daß in aller Erkenntnis Gegenstände in Bezug auf eine Existenz erkannt werden. Das Verhältnis von Gegenstand und Existenz zur Erkenntnis ist das charakteristische Merkmal, weswegen wir eine Tätigkeit der Vernunft zum Erkennen rechnen, es ist aber weder ein Kausalverhältnis, noch auf irgendwelche andere metaphysische Begriffe zurückführbar, sondern es kann nur, wie es ist, in innerer Erfahrung erkannt werden.

Bloße Bilder der Phantasie oder abgezogene, allgemeine Begriffe, so wie sie für sich gedacht werden, auch bloße problematische Urteile, die wir uns nur als mögliche Aufgaben denken, sind bloße Vorstellungen, ohne noch Erkenntnis zu sein. Zur Erkenntnis gehört die Assertion [versichernde Feststellung - wp], die Aussage oder das Bewußtsein, daß etwas ist, so oder so beschaffen ist.

Von den Erkenntnissen nennen wir aber diejenigen Anschauungen, deren wir uns unmittelbar wieder bewußt sind, die wir unmittelbar wahrnehmen. Dagegen bedienen wir uns des Denkens eigentlich, um uns desjenigen mittelbar bewußt zu werden, was wir in unseren Erkenntnissen nicht unmittelbar wahrnehmen können. Alles Denken, dessen Gebiet wir im allgemeinen mit dem Wort  Reflexion  bezeichnen, alle Abstraktion und Vergleichung, alle logische Tätigkeit des Verstandes, alles Begreifen und Begriffe machen, alles Urteilen und Urteile machen, alles Schließen, ja die ganze Form der systematischen Einheit, die Wissenschaft gehört nur zu der Art, wie wir uns unserer Erkenntnisse wieder bewußt werden, wie wir von der inneren Wahrnehmung zur inneren Erfahrung gelangen.

In der unmittelbar wahrgenommenen Anschauung bin ich mir nun nur einer Erkenntnistätigkeit meiner Vernunft bewußt, die ihr gerade jetzt in diesem Gemütszustand zukommt, hingegen um mir irgendetwas mit Allgemeinheit und Notwendigkeit bewußt zu werden, brauche ich eine Erkenntnis in Urteilen. Urteile aber sind jederzeit mittelbare Erkenntnisse, in denen ich mir erst wieder bewußt werde, was für eine Erkenntnis schon in meiner Vernunft ist. Jedes Urteil setzt eine andere Erkenntnis voraus, durch die es wahr ist, dies ist eigentlich der logische Satz des Grundes. Wenn ich z. B. mit Allgemeinheit und Notwendigkeit behaupte: zwei mal zwei sei vier, so berufe ich mich darin auf eine unmittelbare Erkenntnis, welche hier Anschauung ist, durch die ich zu diesem Urteil berechtigt bin, durch das Anschauen könnte ich mir aber der Notwendigkeit und Allgemeinheit in meiner Erkenntnis nicht bewußt werden, wenn ich sie nicht erst zum Urteil erhebe.

Urteile sind also immer um einer anderen, unmittelbaren Erkenntnis willen wahr, welche ihren zureichenden Grund enthält, aus der sie abgeleitet werden. So lange nun dieser Grund selbst wieder in Urteilen besteht, so lange heißt jene Ableitung  Schließen  oder  Beweisen.  Das Schließen oder Beweisen besteht also darin, daß ich ein Urteil aus anderen, schon bekannten Urteilen ableite. Ein erweisliches Urteil ist also immer wieder in anderen Urteilen begründet, und die Wahrheit aller Urteile entspringt eigentlich nur aus den Grundsätzen, aus denen die obersten Beweise geführt werden, und die nicht wieder in Urteilen gegründet sind. Diese Grundsätze sind aber selbst wieder Urteile, und müssen daher aus einer anderen, unmittelbaren Erkenntnis in unserer Vernunft entspringen. Diese Erkenntnisart ist gewöhnlich die Anschauung, aus dieser aber entspringt keine Allgemeinheit und Notwendigkeit; wir haben vielmehr außer den Anschauungen noch andere unmittelbare Erkenntnisse in unserer Vernunft, welchen eigentlich die Notwendigkeit gehört, und diese nennen wir Erkenntnisse  a priori. 

Hiergegen wird leicht gefragt werden, diese Erkenntnisse  a priori  sind also wohl angeborene Ideen? Der Fragende kommt zu dieser Frage auf folgende Weise. Er besinnt sich aus der Geschichte der Philosophie, daß LEIBNIZ und mehrere berühmte Männer ehedem behauptet haben, unsere Vernunft habe angeborene Ideen, nachher aber sei diese Meinung durch andere berühmte Männer gänzlich widerlegt worden. Der Frager weiß dies auswendig, hat aber selbst nur so auf halbem Weg eine verworrene Vorstellung von dem, was eine angeborene Idee sein mag, welche ihn zu einem  eigenen  Urteil in der Sache gar nicht berechtigt. Ich bin also gar nicht verbunden, ihm auf seine Frage zu antworten, will aber doch ein übriges tun und sage ihm daher, jene Erkenntnisse  a priori  sind keine angeborenen Ideen, um aber zu erfahren, was sie denn sonst sind, soll er einmal innere Physik studieren, um die Organisation der Vernunft kennen zu lernen; dann wird er nicht nur dies verstehen lernen, sondern noch dazu erfahren, welche Erkenntnisse  a priori  jede endliche Vernunft hat. Hat er dazu keine Lust, so pfusche er nicht in fremde Geschäfte, sondern lasse die Philosophen in Ruhe.

Aus dem einfachen Satz, daß alle Wahrheiten, welche in Urteilen ausgesagt werden, eigentlich doch in einer anderen, unmittelbaren Erkenntnis in der Vernunft liegen, können wir ein sehr gewöhnliches Vorurteil beleuchten. Im Volk gilt das Vorurteil: die Philosophen behaupteten, sie können alles beweisen, und wer dies nicht kann, ist kein Philosoph. Manche meinen sogar einen Philosophen dadurch zuschanden zu machen, wenn sie ihm zeigen, er könne ihnen irgendeine seiner Behauptungen nicht beweisen; sie bedenken dabei aber nicht, daß, wenn es auf Überzeugung und nicht auf bloße Überredung abgesehen ist, man dem Gescheiten leicht sehr vieles, dem Dummen aber mit vieler Mühe nur sehr weniges begreiflich machen kann, und daß im Disputieren die größte Kunst, um sich nichts beweisen zu lassen, darin besteht, sich recht dumm zu stellen. Das Vorurteil, daß sich alles beweisen läßt, schreibt sich daher, weil wir in der Ableitung von Urteilen selten auf die letzten Gründe zurückgehen, also gewöhnlich nur Urteile von Urteilen ableiten, das heißt beweisen. Dieses Vorurteil hat sich vorzüglich durch die Verbreitung der WOLFFischen Philosophie allgemeiner gemacht und recht festgesetzt. Denn in der Tat war die richtig verstandene Absicht dieser Schule keine andere als die, den diskursiven Verstandesgebrauch, der sich eben im Urteilen zeigt, zum alleingültigen Quell der Wahrheit zu machen und also alle Wahrheit dem Beweis zu unterwerfen, und in dem berühmten Streit zwischen JACOBI und MENDELSSOHN machte eigentlich JACOBI dem eleganten Wolfianer nur die sehr gegründete Einwendung, daß doch durch alle logischen Weitläufigkeiten nie eine unmittelbare Gewißheit erhalten werden kann, daß vielmehr immer noch ein erstes Vorausgesetztes als der eigentliche Quell der Gewißheit und Wahrheit fehlt, er benannte diesen unmittelbaren Quell der Wahrheit aber zu unbestimmt mit den Worten  Glaube  und  Offenbarung,  und ihm war der Weg noch nicht bekannt, auf dem man sich näher im Hinblick auf diese unmittelbare Erkenntnis der Vernunft orientieren kann.

Die Wahrheit der Urteile beruth also zuletzt immer auf einer anderen, unmittelbaren Erkenntnis der Vernunft. Daraus läßt sich dann leicht zeigen, daß aller Unterschied von Wahrheit und Irrtum in unseren Erkenntnissen nur auf diese mittelbare Gewißheit der Urteile geht, und der tiefste Irrtum niemals die unmittelbare Erkenntnis unserer Vernunft antastet. In der Logik wird gezeigt, daß aller Irrtum, der uns vorkommt, entweder ein logischer Irrtum ist oder ein Sinnestrug. Die Sinne aber betrügen nicht, sondern es ist auch hier jederzeit der Verstand, der sich irrt. Der optische Betrug beruth auf einer der Willkürlichkeit unterworfenen Tätigkeit der produktiven Einbildungskraft, welche selbst durch vorhergehende Urteile des Verstandes veranlaßt wird; es liegt also allem Sinnestrug eigentlich ein logischer Irrtum zugrund. Der logische Irrtum aber entspringt ganz den Urteilen, er beruth immer auf einem voreiligen Wahrscheinlichkeitsschluß, das heißt, ich nehme unzureichende Gründe, welche ich für ein Urteil habe, irrigerweise für zureichend an. Mit all diesem Irrtum gehen wir so nie über das Gebiet der Urteile hinaus, das einzige Irrige in unseren Vorstellungen, so wie wir gemeinhin von Irrtum sprechen, sind irrige Urteile. Dies betrifft also keineswegs die unmittelbare allem Urteil zugrunde liegende Erkenntnis der Vernunft, diese wird hier vielmehr eben als der Quell der Wahrheit angesehen, und die Wahrheit der Urteile beruth eben darauf, daß sie mit dieser unmittelbaren Erkenntnis übereinstimmen. Wenn wir also die Wahrheit nur nehmen, so wie sie dem Irrtum entgegensteht, so wird mit der Wahrheit einer unmittelbaren Erkenntnis nur ihr Vorhandensein im Gemüt ausgesagt, mit der Wahrheit eines Urteils aber seine Übereinstimmung mit der unmittelbaren Erkenntnis.

Wir können also nicht, wie es gewöhnlich geschieht, von der dem Irrtum entgegengesetzten Wahrheit sagen: Wahrheit ist die Übereinstimmung einer Vorstellung mit ihrem Gegenstand; sondern nur Wahrheit eines Urteils ist die Übereinstimmung desselben mit der unmittelbaren Erkenntnis der Vernunft, in der es begründet ist. Der erste Satz hingegen hat nur den Schein für sich, daß jene unmittelbare Erkenntnis, z. B. die Anschauung, dem Gegenstand näher ist, als das Urteil, welches mittelbar erst von ihr den Gegenstand entlehnt. Es ist also die gemeine Bedeutung der Wahrheit eigentlich nur eine innere Zusammenstimmung der mittelbaren Erkenntnis mit der unmittelbaren; diese unmittelbare Erkenntnis hat ihre Wahrheit in der Rücksicht dann bloß in ihrem Vorhandensein in der Vernunft.

Es ist hier kein Streit darüber, denn es ist eine bloße Erfahrungssache, daß wir eine innere Konsequenz in unsere Erkenntnisse bringen können, die durchgeführte Erkenntnis würde uns dann die Erkenntnis vollständig so darstellen, wie sie in unserer Vernunft unmittelbar vorhanden ist, und damit erhielten wir dann dasjenige, was wir gemeinhin Wahrheit der Erkenntnis nennen.

Ich nenne diese Wahrheit die  innere  oder  empirische Wahrheit  der Erkenntnis, weil wir mit ihrer Idee nur auf die Vereinigung unserer Erkenntnisse in ein System der Vernunft gehen, wir aber dieser Wahrheit noch eine andere Idee derselben entgegensetzen können. Wir können nämlich nach dem obigen Satz: daß Wahrheit die Übereinstimmung einer Vorstellung mit ihrem Gegenstand ist, von einer Vergleichung dieses ganzen vollendeten Systems unserer Erkenntnisse mit dem Sein des Gegenstandes sprechen, von einer Übereinstimmung der unmittelbaren Erkenntnis mit ihrem Gegenstand. Diese Idee der Wahrheit nenne ich zum Unterschied von jener die  transzendentale Wahrheit,  und will die Untersuchung im Hinblick darauf weitläufiger machen, weil davon die berühmte kantische Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding-ansich abhängt.



Die Natur ist nur Erscheinung

ARISTOTELES führt einmal als eine ganz besondere Art wechselseitiger Beziehungen an: wenn ein Mensch sitzt, so ist die Aussage wahr, daß er sitzt, und wenn diese Aussage wahr ist, so sitzt der Mensch. Wahrheit einer Aussage und Dasein des Gegenstandes, von welchem dieselbe gilt, sind jederzeit in einer solchen wechselseitigen Abhängigkeit voneinander, daß keines ohne das andere stattfinden kann; wo aber doch offenbar das Dasein des Gegenstandes der Grund, die Wahrheit des Urteils die Folge sein soll. Alle Wahrheit einer Erkenntnis hängt insofern vom Dasein ihres Gegenstandes ab, Wahrheit ist die Übereinstimmung einer Vorstellung mit ihrem Gegenstand.

Aber nach diesem Begriff der Wahrheit beurteilen wir unser Fürwahrhalten zunächst noch nicht. Uns gibt es vielmehr erst noch eine innere empirische Wahrheit, bei der nur die Frage ist, wie stimmt unsere Erkenntnis in sich zusammen, wie stimmt die mittelbare Erkenntnis mit der unmittelbaren, und welche unmittelbare Erkenntnis haben wir eigentlich, so daß das Vorhandensein dieser unmittelbaren Erkenntnis eigentlich die innere Wahrheit für unsere Vernunft ausmacht. Wenn wir nun aber das ganze System unserer Erkenntnisse, das ganze System unserer Erkenntnisse, das ganze Eigentum unserer Vernunft kennen, so wiederholt sich dann nochmals die zuerst aufgeworfene Frage, als die Frage nach der transzendentalen Wahrheit unserer Erkenntnisse, wie stimmt das ganze System unserer Erkenntnisse mit dem Sein ihrer Gegenstände zusammen?

Hier nennen wir das Sein der Gegenstände, so wie es unabhängig von irgendeiner Art, wie sie erkannt werden, stattfindet, oder auch so wie es selbst der Grund einer Erkenntnis dieser Gegenstände wäre, ihr Sein ansich. Unser Fürwahrhalten bestimmt sich also unmittelbar nicht im Hinblick auf dieses Sein der Dinge-ansich, sondern nach inneren in der Vernunft enthaltenen subjektiven Gesetzen der Wahrheit unserer Erkenntnis, welche zuletzt nur auf das Dasein der Erkenntnis in derselben zurückkommen.

Wie verhält sich nun wohl dieses ganze System der Erkenntnisse unserer Vernunft mit seiner inneren Wahrheit zum Sein der Gegenstände ansich?

Hier sind für eine erkennende Vernunft, indem man sie gleichsam der Beurteilung einer andern unterwirft, drei Fälle möglich. Eine Vernunft erkennt entweder Gegenstände, so wie sie ansich sind, oder sie erkennt Gegenstände, welche zwar ansich sind, aber nach einer subjektiv beschränkten Erkenntnisweise, oder drittens, sie erkennt Gegenstände, welche außer ihrer Erkenntnis gar keine Realität haben.

Die Gegenstände der ersten Erkenntnisweise wären hier unmittelbar  Dinge ansich;  die der zweiten, welche sich noch auf ein Sein ansich beziehen, heißen  Erscheinungen,  die der dritten, welche außer ihrer Erkenntnis gar keine Realität haben, sind bloßer  Schein. 

Um diese Begriff vorläufig ein wenig deutlicher zu machen, gebe ich eine bildliche Vorstellund dieses Unterschiedes. Nimmt man an, daß, wer mit hellen Augen die Dinge ansieht, sie sähe, wie sie ansich sind, so kann man sagen, daß, wer gezwungen ist, sie durch gefärbte Gläser zu betrachten, nur Erscheinungen sähe, wer aber nur im Traum oder im Phantasieren Dinge sieht, desser Erkenntnis geht nur auf einen Schein.

In welchem Fall befinden wir uns nun? Erkennen wir die Dinge, so wie sie ansich sind oder nicht?

Soviel ist gleich anfangs gewiß, wir sind uns nicht unmittelbar bewußt, daß wir Dinge so erkennen, wie sie auch ansich sind, denn in unserer Erkenntnis kommen die Gegenstände nicht unmittelbar als die Gründe ihrer Gültigkeit vor, vielmehr beurteilen wir in einer inneren Erfahrung das Fürwahrhalten nach ganz anderen Gesetzen. Der Gegenstand selbst kommt uns nie unter den bestimmenden Gründen dieser Gültigkeit als Ursache derselben vor, sondern nur schlechthin als das Angeschaute. Denn wenn wir gleich in der sinnlichen Anschauung den angeschauten Gegenstand selbst wieder unter der Reihe der Gründe, welche die Anschauung bewirken, vorfinden, so ist doch dieser Zusammenhang nicht der Grund, warum wir die Anschauung für gültig anerkennen, sondern ihre Gültigkeit findet früher ganz für sich selbst statt. Bei Erkenntnissen  a priori  können wir aber gar keinen außerhalb des Gemüts vorhandenen Grund derselben in der inneren Erfahrung auffinden.

Ja, wir können uns nicht einmal die Möglichkeit denken, wie sich ein solcher Beweis führen ließe, daß die Gegenstände unserer Erkenntnis auch ansich sind, oder daß unsere Erkenntnis durch das Sein der Dinge ihrer Wahrheit nach begründet würde. Denn wir können nicht gleichsam aus unserer Erkenntnis heraustreten und sie mit dem Sein ihres Gegenstandes vergleichen, wir können uns nicht unabhängig von unserer Erkenntnis ihr und dem Gegenstand gegenüberstellen und beide vergleichen. Vielmehr, wenn wir auch zu erkennen vermöchten, wie die Dinge wirklich der Grund sind, warum wir sie so oder so erkennen, so käme doch diese ganze Begebenheit, meine Erkenntnis als Wirkung und das Sein des Gegenstandes als Ursache nur wieder als Objekt einer anderen Erkenntnis vor, im Hinblick darauf dann eigentlich der Beweis geführt werden müßte.

Selbst für einen Verstan, dem die synthetische Einheit des ganzen Universums in ewigen Ideen vor der intellektuellen Anschauung läge, bleibt die gleiche Schwierigkeit stehen, auch dieser kann nicht aus seiner intellektuellen Anschauung heraustreten, um zu vergleichen, ob das Universum seiner Erkenntnis auch außerhalb derselben eine Realität hat. Die einzige Erkenntnisweise, für die das Sein ansich ihrer Gegenstände gewiß wäre, wäre die einer schaffenden Vorstellungskraft, wie LEIBNIZ sich die Gottheit dachte, indem hier die Erkenntnis eben die Ursache des Seins ihrer Gegenstände wird, welches gerade das umgekehrte Verhältnis ist. Allein, eine solche göttliche Vorstellungskraft könnte dann doch nach unserer Ansicht nicht einmal zum Selbstbewußtsein gelangen, weil kein Ding schlechthin sich selbst hervorbringen kann.

Wir sind also nicht imstande zu beweisen, daß die Gegenstände unserer Erkenntnis  ansich sind,  dadurch aber ist auch das Gegenteil noch nicht klar. Wir müssen also entweder geradezu beweisen, daß die Gegenstände unserer Erkenntnis keine Dinge ansich sind, und sein können, oder wir müssen den ganzen Streit unentschieden liegen lassen.

Hier müssen wir nun vorläufig auf den Unterschied des endlichen und ewigen Seins, so wie er für unsere Erkenntnisse angewandt wird, aufmerksam machen. Unsere Absicht ist, zu beweisen, daß die Sinnenwelt oder die Welt unter Naturgesetzen, zu deren Erkenntnis wir mittels unserer sinnlichen Anschauung gelangen, nicht ansich sein kann, sondern höchstens nur Erscheinung ist; daß man ihrem Dasein, als dem Endlichen, also noch die Idee des Ewigen, als des Seins ansich entgegensetzen kann. Indem wir diesen Beweis führen, sind wir also mit dem neuesten Dogmatismus ganz einverstanden, welcher sogar die endliche Erkenntnis nicht nur in eine Erscheinung, sondern sogar in einen Trug und Schein verwandelt.

KANT hat eigentlich zuerst den Unterschied der empirischen und transzendentalen Wahrheit bemerkbar gemacht, er hat zuerst die Begriffe der Erscheinung und des Seins ansich unterschieden, und durch die Trennung der Vorstellung von Raum und Zeit von den Verstandesbegriffen dem Unterschied des endlichen und ewigen Seins eine Bestimmtheit und Haltung verschafft. Dadurch ließ sich überhaupt erst neben einem empirischen Realismus dennoch ein transzendentaler Idealismus annehmen, und für letzteren stimmte sein Kritizismus im Hinblick auf die Sinnenwelt wirklich. Seine Widerlegungen der ihm entgegenstehenden Meinungen macht er aber immer nur für den Standpunkt der empirischen Wahrheit, das heißt so, als wenn der Gegner keinen Unterschied des endlichen und ewigen Seins annähme. So wird z. B. in der Kritik der Vernunft der empirische Realismus gegen den empirischen Idealismus gerechtfertigt. Er nimmt hierbei immer an, daß diese Systeme vorher nur in immanenten Behauptungen voneinander abwichen, in transzendentaler Rücksicht aber alle die transzendenten Grundsätze von ein und demselben Dogmatismus miteinander gemeint hätten. Allein vor seiner bestimmten Auseinandersetzung und Gegeneinanderstellung des Daseins der Dinge ansich und bloßer Erscheinungen wurden vielmehr die Begriffe der empirischen und transzendentalen Wahrheit beide, aber nur verworren, gedacht, ohne richtig unterschieden zu werden. Natürlich so, daß sobald diese Scheidung geschehen war, in jenen alten Systemen, wo es anging, zwei verschiedene Meinungen auseinander traten, von denen die eine im Hinblick auf bloßer empirischer Wahrheit wohl für widerlegt gelten, die andere aber immer noch Ansprüche zu machen fortfahren konnte. So tritt dann auch der Platonismus in einer neuen Gestalt auf und macht die nämlichen Unterscheidungen des Endlichen und Ewigen, welche wir fordern. Hier sind wir also mit diesem gar nicht in Streit.

Wir haben daher nur einmal gegen den gemeinen Dogmatismus zu sprechen, welcher unvorsichtig, ohne einen Unterschied in der Realität zu machen, die Gegenstände der Erfahrung für Dinge ansich nimmt, und dann mit dem Skeptizismus, welcher behauptet, es lasse sich in dieser Sache nichts entscheiden. Dem transzendentalen Idealismus der Kritik ist nämlich auf ein eigener transzendentaler, oder, wie PLATTNER ihn nennt, kritischer Skeptizismus entgegengetreten, welcher unbeschadet der empirischen Realität nur behauptet, wir können nicht entscheiden, ob der Sinnenwelt sein Sein ansich zukommt, oder nicht.

Mit dieser letzten Meinung haben wir es hier eigentlich zu tun, denn der gemeine Dogmatismus ist durch das Bisherige schon zurechtgewiesen. Wir erkennen die Dinge überhaupt nicht bestimmt als Dinge ansich, ein solcher Dogmatismus könnte sich also nur noch hinter einen Glauben zurückziehen. Er kann sagen: der Ursprung der Gültigkeit unserer Erkenntnis ist uns unbekannt, in diesem könnte es wohl liegen, daß die Dinge selbst die bestimmende Ursache der Beschaffenheit unserer Erkenntnis von ihnen wären, daß auf diese Weise ihrer Wirklichkeit gemäß sowohl unsere sinnlichen Affektionen als auch die Grundbeschaffenheiten unseres Erkenntnisvermögens, aus welchen die Erkenntnisse  a priori  entstehen, beschaffen wären. Ja, dies ist sogar höchst wahrscheinlich, da das unbekannte Wesen eines erkennenden Subjekts gewiß von der Natur so eingerichtet sein wird, daß es zu diesen Bedingungen zusammenstimmt. Was übrigens Allgemeinheit und Notwendigkeit betrifft, so wird diese durch die Erkenntnis  a priori  allen unseren Erkenntnissen mitgeteilt, und wissenschaftliche Erkenntnis als die einzig vollständige, muß von allem bloß subjektiv Gültigen gereinigt vorgestellt werden. - Allein, hierin würdigt der Dogmatismus sein Urteil über diesen Gegenstand selber nur zu einer wahrscheinlichen Meinung herab, er entsagt der vollkommenen Gewißheit, und tritt also insofern auf die Seite des Skeptizismus. Mit diesem müssen wir also den Streit entscheiden.

Die Skeptiker sagen mit dem hellsehenden PLATTNER: wie kann man entscheiden, ob die Gegenstände unserer Erfahrung Dinge-ansich sind oder nicht, solange der letzte Grund der Gültigkeit unserer Erkenntnis noch unbekannt ist? Es läßt sich wohl zeigen, daß in unserer Erfahrung die Prinzipien  a priori  aus inneren Beschaffenheiten des Gemüts entspringen, aber hier ist unsere Erfahrung am Ende, was bestimmt wohl diese Beschaffenheit des Gemüts wieder? Das Gemüt ist ja hier nur das unergründliche Subjekt der inneren Erfahrung, welches wohl auch noch unter uns unbekannten Einwirkungen stehen kann. - Und damit scheint mir der von den Kritikern gemeinhin gebrauchte Beweisgrund wirklich widerlegt zu sein. Allein, wir haben noch einen anderen Beweis, der eigentlich allein gebraucht werden darf, welcher sich mit der Erfahrung nicht einmal bemengt, sondern einzig darin besteht, daß wir zeigen: die Beschaffenheit der Sinnenwelt widerspricht dem Begriff eines Dings ansich.

Dieser Beweis ist von KANT bestimmt genug gedacht und gebraucht worden, allein er hat ihn nicht in der Form aufgestellt, und im Grunde den ganzen Streit in dieser Sache dadurch veranlaßt, daß er sich zunächst immer auf jenen erst angeführten Beweisgrund beruft. Seine Ideen in der "Kritik der reinen Vernunft" sind folgende:

Schon in der Vorrede zeigt er, daß unser höchstes praktisches Interesse den Beweis fordert, durch welchen die Sinnenwelt als bloße Welt der Erscheinungen von einer intelligiblen Welt der Dinge ansich getrennt wird, indem durch ihn allein die Freiheit des Willens vor der allgewaltigen Naturnotwendigkeit gerettet werden kann. Im Verlauf des Werkes selbst ist dieser Beweis die Hauptidee, gleichsam der Mittelpunkt des ganzen Systems.

Den ersten Beweisgrund dafür stellt er in der transzendentalen Ästhetik auf, indem er sagt, durch Erkenntnisse  a priori  können keine Dinge ansich erkannt werden. Sollen Dinge als Dinge-ansich erkannt werden, so muß die Erkenntnis allgemeingültig sein und das so und nicht anders sein des Gegenstandes Ursache der gleichen Beschaffenheit werden. Nun sind unsere sinnlichen Anschauungen gegebener Objekte ursprünglich nur subjektiv gültig, unmnittelbar durch sie werden die Dinge also nicht als Dinge ansich erkannt. Zweitens unsere Erkenntnisse  a priori  hängen von bloß subjektiven Grundbestimmungen des Gemüts ab, und also nicht von irgendeiner Beschaffenheit ihres Gegenstandes.

Hiergegen findet aber eben die obige Einwendung statt: könnte nicht das Gemüt in jenen Grundbestimmungen wieder von den Gegenständen abhängen, oder gar das Dasein derselben und die Erkenntnis von einer höheren Ursache. Oder, wenn KANT einmal sagt: weder absolute noch relative Bestimmungen können vor dem Dasein der dinge, welchen sie zukommen, mithin nicht  a priori  angeschaut werden, so ließe sich erwidern: wenn nun aber ihr Dasein unter der Bedingung allgemeiner Gesetze in der Natur steht, so könnte dieses Allgemeine doch zuerst erkannt werden durch Einwirkungen auf unser Gemüt, welche jenseits der Grenzen unserer, zumindest bisherigen, inneren Erfahrung liegen.

Es folgt hieraus vielmehr wirklich nur so viel, daß wir uns in unserer Erfahrung nicht unmittelbar bewußt werden, die Dinge als Dinge ansich zu erkennen, und weiter würde auch KANT diesen Beweis nicht gebraucht haben, ja vielleicht hätte er ihn gar nicht angeführt, wenn er nicht den anderen Fehler begangen hätte, die subjektive Gültigkeit unserer sinnlichen empirischen Erkenntnis darauf zu gründen, daß der Gegenstand selbst nur insofern angeschaut wird, als er das Gemüt affiziert. Er sagt: synthetische Vorstellungen und ihre Gegenstände können nur zusammentreffen, wenn der Gegenstand die Vorstellung, oder diese den Gegenstand allein möglich macht. - Ersteres ist der Fall mit Erscheinungen in Anbetracht dessen, was an ihnen zur Empfindung gehört. Ich sage dagegen: sind die Gegenstände einer Erkenntnis bloße Erscheinungen, und nicht Dinge-ansich, so ist ja Vorstellung und Gegenstand seiner Realität nach ganz dasselbe, und es gibt für eine solche Erkenntnis keine andere Wahrheit, als die inneren Zusammenstimmungen der Vorstellungen untereinander. Die Empfindungen müssen allerdings durch etwas das Gemüt Affizierendes bewirkt sein, aber dieses Affizierende ist keineswegs als solches des Gegenstand der in der Empfindung enthaltenen Anschauung, wenngleich anderweitige Erfahrungen den Gegenstand als eine entfernte Ursache des Eindruck angeben. Unsere Erfahrung ist das Resultat aus der unmittelbar gegebenen sinnlichen Anschauung und den formalen Gesetzen  a priori,  wobei auf die Beschaffenheit des Affizierenden als solchem gar nichts, alles nur auf die durch die Affektion entstandene Vorstellung ankommt. Das Affizierende geht uns nur an, wenn die Erkenntnis subjektiv als Gemütszustand, und nicht im Hinblick auf ihr Objekt betrachtet wird, wie dies z. B. in der Anthropologie zutrifft. Sehen wir also, daß das Dasein des Gegenstandes selbst in empirischer Anschauung nicht die Ursache der Erkenntnis wird, so werden wir demgemäß auch die Erkenntnis  a priori  anders beurteilen.

Dieser unzulängliche Beweis hat häufig, weil er an der Spitze steht, den kantischen Hauptbeweis unseres Satzes nicht gehörig bemerken lassen. Dadurch möchte wohl auch größtenteils REINHOLDs neuer rationaler Realismus veranlaßt worden sein. REINHOLD meint nach dieser Ansicht, KANT habe nur den LOCKE mit LEIBNIZ vereinigt, indem er durch die empirische Anschauung und den Stoff den Gegenstand zur Vorstellung, durch die Erkenntnis  a priori  und die Form aber gleichsam die Vorstellung wieder zum Gegenstand bringt, und so beide vereinigt. Nun meint er aber noch besser einen rationalen Realismus begründen zu können, wenn er überhaupt beweist, daß das Prinzip des Seins der Dinge mit dem Prinzip des Denkens derselben ein und dasselbe ist, beide also so notwendig zusammentreffen müssen. Allerdings, dann würde er Dinge ansich erkennen, er wird aber niemals imstande sein, diesen Beweis allgemeinverständlich zu führen, und vorläufig müßte er zumindest erst zeigen, daß unser Beweis gegen die Naturerkenntnis nichtig ist; denn, wenn die Sinnenwelt bloße Erscheinung ist, so kann das Denkprinzip doch nicht durchaus mit dem Prinzip des Seins der Dinge zusammentreffen.

Unser Beweis aber, daß die Sinnenwelt nicht ansich besteht, ist derjenige, den KANT durch die Auflösung der Antinomie geführt hat. Die Antinomie der Vernunft mit der Aufstellung des transzendentalen Idealismus enthält den ganzen Beweis, den ihr hier gegen den kritischen Skeptizismus führen will, welcher aber in der Kritik, so ausführlich er auch darin behandelt worden ist, doch nicht in der Form vorkommen konnte, indem KANT die Idee des transzendentalen Idealismus, selbst erst gegen Ende der Untersuchung aufstellen kann.

Dieser Beweis besagt: der Begriff eines Dings ansich widerspricht der Beschaffenheit der Gegenstände der 'Erfahrung, diese sind also keine Dinge-ansich.

Erstens zwei Einwendungen, welche schon vor dem Beweis selbst gemacht werden. Man hat gesagt, daß sich über Dinge-ansich nichts beweisen läßt, solange nicht einmal gewiß ist, ob und was sie sind. Allein es kommt uns hier nicht auf die Beschaffenheit solcher Dinge an,  sondern nur auf den Begriff des Dings-ansich, den wir selbst gemacht haben,  und der nur ein gewisses Verhältnis der Gegenstände einer Erkenntnis zu dieser selbst enthält. Ferner muß ich noch bemerken: Der Beweis könnte apagogisch [indirekter Beweis durch Aufzeigen der Unrichtigkeit des Gegenteils - wp] scheinen, er ist es aber nicht, sondern der zu beweisende Satz selbst ist negativ und läßt sich deshalb nur so beweisen, daß sein Prädikat dem Subjekt widerspricht. Denn wir behaupten nur: die Gegenstände der Erfahrung sind nicht Dinge-ansich.

Nun den Beweis selbst. Dinge ansich sind da unabhängig von irgendeiner Art, wie sie erkannt werden. Soll also den Dingen ansich Dasein und Gegebensein zukommen, so wäre ihr Dasein ein  schlechthin Gegebensein Sind also die Gegenstände der Erfahrung Dinge-ansich, so müssen sie in dieser Art ihres Daseins schlechthin gegeben sein, und nicht nur in Bezug auf irgendeine Erkenntnis.

Nun ist aber das Einzelne in der Erfahrung bedingt, und wenn dann die Bedingung wiederum bedingt ist, so entsteht eine Reihe von Bedingungen und Bedingtem, welche sich auf zwei Seiten, regressiv auf Seiten der Bedingungen und progressiv auf Seiten des Bedingten verlängert denken läßt. Soll nun ein Bedingtes schlechthin gegeben, soll also eine Reihe von Bedingtem und Bedingungen schlechthin gegeben sein: so muß irgendeine Bedingung die letzte, das heißt unbedingt sein, bei Dingen ansich müßte also jede solche Reihe regressiv absolut vollständig sein, zu einem Unbedingten führen und dadurch das Ganze der Reihe unbedingt werden. Dinge-ansich müßten ihrem Dasein nach vollendet gegeben sein, oder gleichsam für irgendeine mögliche Erkenntnis derselben vollendet gegeben werden können. Unvollendbarkeit im Gegebenwerden der Dinge kann nicht von Dingen ansich stattfinden.

Jeder einzelne Gegenstand der Erfahrung hat aber Größe, und dem Ganzen all dieser Gegenstände der Sinnenwelt kommt also ebenfalls Größe zu, welche aus der Zusammensetzung des Gleichartigen aller einzelnen Gegenstände entsteht, in welcher jeder einzelne Teil durch die anderen begrenzt, und also bedingt ist. Die Größe der Welt in Raum und Zeit ist also eine solche Reihe, welche von Seiten ihrer Bedingungen, das heißt des Begrenzenden vollständig sein muß, wenn sie ansich sein soll. Sie muß daher entweder eine vollendete, das heißt endliche, vollständig begrenzte, oder eine unendliche Größe sein.

Eine endliche Größe kann ihr aber nicht zukommen, denn dann müßte sie begrenzt sein, was sie wieder unter die Bedingung einer Größe außerhalb von ihr setzt.

Eine unendliche Größe ist sie aber ebensowenig, denn eine wirklich gegebene unendliche Größe müßte eine solche sein, welche eine nicht zu vollendende Zusammensetzung des Gleichartigen in ihr vollendet enthalten würde, was sich widerspricht.

Die Sinnenwelt hat also gar keine bestimmte oder bestimmbare Größe, sondern sie ist von unvollendbarer und unbestimmbarer Größe, jede Grenze in ihr ist nur die Grenze meiner jedesmaligen Erfahrung; die Sinnenwelt kann nicht ansich sein, sie ist nur ein Gegenstand meiner Erfahrung.

Dasjenige, was dem Realen überhaupt zugrunde liegt, ist die Substanz. Die veränderliche Größe der Substanz muß eine extensive Größe sein, denn die Vermehrung oder Verminderung einer intensiven Größe ist die Erzeugung oder Vernichtung eines Grades derselben, die Quantität der Substanz kann aber in der Natur weder vermehrt, noch vermindert werden. Dagegen ist die Veränderung der extensiven Größe eine bloße Teilung, in welcher die Quantität dieselbe bleibt, und nur ihre Verhältnisse ändert.

Alle extensive Größe ist teilbar, also auch alle extensive Größe der Substanz. Soll die Substanz aber ansich sein, so ist sie durch ihre Teile gegeben, ihrer Teilbarkeit muß eine bestimmte Größe zukommen, sie muß entweder bis zu einer gewisen Grenze gehen, wo alsdann einfache Teile übrig bleiben, oder sie muß unendlich sein, so daß die Substanz aus unendlich vielen Teilen zusammengesetzt wird. Allein diese beiden Behauptungen enthalten den nämlichen Widerspruch in sich, wie die vorhergehenden. Die Substanz in der Sinnenwelt kann nicht ansich sein, sondern es kommt jedem Gegenstand der Anschauung eines stetige Größe zu.

Ferner das Gesetz der Naturnotwendigkeit ist nicht genug, um eine vollendete Reihe der Gründe und Folgen in der Natur darzustellen, indem jede Veränderung eine andere voraussetzt, welche der Grund ist, warum sie in einer gegebenen Zeit angefangen hat. Die Unvollständigkeit in der Natur durch eine Kausalität mit Freiheit ergänzen zu wollen, geht aber ebensowenig an, indem diese dem Gesetz der Naturnotwendigkeit widerspricht. Die Reihe der Veränderungen in der Sinnenwelt ist also unvollendbar und gehört nicht zum Sein der Dinge-ansich.

Endlich, jeder einzelne Zustand der Existenz des Veränderlichen ist zufällig, es muß also diesem Zufälligen etwas schlechthin notwendiges zugrunde liegen, um die Reihe des zufällig Existierenden, als etwas ansich, zu vollenden. Dies kann aber nicht die ganze Reihe sein, so lange jeder ihrer Teile zufällig ist, es müßte also vielmehr ihr Anfang sein, als die oberste Bedingung, allein ein solcher Anfang ist wiederum nicht möglich, weil jede Veränderung eine andere voraussetzt, welche ihr vorausgeht. Also ist auch diese Reihe unvollendbar und gehört nicht zum Dasein der Dinge-ansich.

Kurz, in der Antinomie der Vernunft wurde jeder Satz durch die Widerlegung seines Gegenteils bewiesen, diese Gegensätze gelten aber nur für Dinge-ansich als Gegensätze, und da sie also beide widerlegt sind, so bleibt nur das dritte übrig, daß die Sinnenwelt überhaupt nicht ansich ist.

Die Beschaffenheit unserer Naturerkenntnis widerspricht also dem Begriff des Seins ansich, der Sinnenwelt kommt kein Sein ansich zu, sondern wir können ihrem Sein, als dem Endlichen die Idee des ewigen Seins oder des Seins ansich entgegensetzen.

Für unsere Erfahrung wäre also bewiesen, daß sie nicht auf Dinge ansich geht; dann wären noch zwei Fälle für die Erkenntnis im allgemeinen möglich, entweder ihre Gegenstände sind Erscheinung, oder nur Schein. Welches wird unser Fall mit der Erfahrung sein?

Gegenstände, welche sich noch auf eine Realität ansich beziehen, wiewohl sie nicht so erkannt werden, wie sie ansich sind, sollten Erscheinungen sein; dagegen hat der Schein außerhalb seiner Erkenntnis gar keine Realität. Erscheinung in transzendentaler Hinsicht ist also noch nicht Schein, beide verhalten sich vielmehr wie Sinn und Phantasie. Was ich bloß phantasiere, hat außer meiner Vorstellung gar keine Realität, und wenn ich es für eine Erkenntnis halte, so sind die Gegenstände derselben, wie im Traum, bloßer Schein. Hingegen kann meine Art die Dinge zu erkennen, durch einen Sinn allerdings an subjektive Beschränkungen gebunden sein, wodurch ich außer Stand gesetzt bin, die Dinge so zu erkennen, wie sie ansich sind; demungeachtet kann diese Erkenntnisart sich aber doch noch auf eine Realität, in dem, was ansich ist, beziehen.

Welches ist nun unser Fall, sind die Gegenstände unserer Erfahrung Erscheinung oder bloßer Schein?

Soviel ist gewiß, eine empirische innere Wahrheit der notwendigen Zusammenstimmung zu einem Ganzen kommt unserer Erfahrung zu, in transzendentaler Hinsicht aber ist sie eine subjektiv bedingte Erkenntnisweise, in der die Dinge nicht geradezu erkannt werden, wie sie ansich sind. Ist sie also in dieser höheren Rücksicht ein bloßer, betrüglicher Traum, oder kommt ihr dennoch mittelbar der Wert zu, daß durch sie Erscheinungen erkannt werden, welche sich noch auf ein Sein ansich beziehen?

Wir sagen, der Glaube an das Ewige, und in diesem an die Realität des höchsten Gutes, ist das erste Vorausgesetzte in jeder endlichen Vernunft. Wir wissen nur durch die Erfahrung um das Endliche, aber wir beziehen mit Notwendigkeit das Sein des Endlichen auf die Idee des Ewigen, wir setzen das Ewige voraus, und finden, daß die gleiche Realität des Ewigen auch im Endlichen wieder erscheint. Dieser Übersprung vom Wissen zum Glauben ist für jede faule und für jede dogmatische Philosophie ein  salto mortale  von der Philosophie zur Unphilosophie, vom Stolz des sich selbst genugsamen Wissens zur Resignation eines bloß gegebenen, nicht zu schützenden Glaubens, den man durch Sehnsucht und Liebe wohl über das Gemeine bloß wahrscheinlicher Meinungen zu erheben, aber nicht mit Vernunft, sondern nur mit dem Arm zu verfechten vermag. Dagegen zeigt die kritische Philosophie, wie dieser Glaube im Wesen der Vernunft entspringt, wie zwar alles unser Wissen an das Endliche gebunden ist, der Glaube aber das Ewige faßt, und die Ahnung das Ewige mit dem Endlichen verbindet, und das Endliche mit dem Ewigen vereinigt. Es ist also zwar unmöglich zu beweisen, daß ein Gott existiert, denn ein solcher Beweis müßte vom Endlichen des Wissens ausgehen, wie kann man aber Göttliches aus Menschliches und Irdisches gründen wollen: aber es wird hier deutlich bewiesen, daß jede endliche Vernunft glaubt: es sei ein Gott, und mit ihm das höchste Gut, und daß jede endliche, gebildete Vernunft in ihren schönen Formen die heilige Allmacht in der Natur ahnt.

Hier aber haben wir es, gewzungen durch jene, nur mit den Resultaten des Kritizismus zu tun, es bleibt uns die gleiche Lücke offen, ich mache daher auch den Mystagogen, und sage: Aus der totalen Indifferenz des Lichts und der Finsternis, aus dem ewig leeren Abgrund, der alle Dinge in sich verschließt, aus dem ewigen Nichts, der uralten Nacht, der Mutter aller Dinge, ist das Ewige und Göttliche dem Endlichen und Irdischen eingeboren; dem Glauben, dem ewigen väterlichen Prinzip, ist das Wissen, das unendliche mütterliche Prinzip, ewig vermählt, und aus ihnen das dritte, die Ahnung erzeugt und geboren worden. Denen aber, die am Überfluß der Schaugerichte nicht verhungert sind, sage ich weiter: Der Mittelpunkt unseres Wesens ist ein unendlicher Glaube und eine ewige Liebe, es ist uns nicht gegeben, das höchste Gut selbst zu schauen, aber die heilige Weihe wird euch leiten, daß ihr in der unendlichen Schönheit der Formen und des Lebens im Endlichen der Natur, den göttlichen Geist der eigenen Würde eures Wesens würdig zu ahnen vermögt.

Gegen alle diese Herrlichkeiten kehren uns die Platoniker die Sache um, und sagen: Wenn ihr einmal den Unterschied des Endlichen und Ewigen gefaßt habt, wie mögt ihr euch da mit dem Endlichen in seiner Endlichkeit noch befassen, nur das Ewige ist wahr, und es ist keine Wahrheit, als die des Ewigen. Wir wenigstens wollen nur von dieser Wahrheit des Ewigen ausgehen, so ziemt es allein der wahren Philosophie, alles Endliche aber werden wir verachten, als das nichts, das wahre Nichts, in dem nur die leben, welche die Weihe noch nicht empfangen haben. - Wenn wir sie nun fragen, wie kommt ihr aber dazu, von einer Erkenntnis des Ewigen ausgehen zu können, so antworten sie: wir haben ein eigenes Organ der inneren intellektuellen Anschauung, wodurch uns ein inneres Licht aufgeht, in dem wir unmittelbar das Ewige, und mit ihm die Gottheit erkennen.

Da müssen wir freilich beschämt zurücktreten, denn so einer hohen Gnade sind wir nicht teilhaftig geworden; sie müßten denn etwa mit ihrem neuen Organ unseren Glauben der Vernunft meinen, so scheint es zuweilen, aber das is dann doch unmöglich, weil unser Glaube ohne das Endliche weder Leben noch Farbe hat, und so eigentlich vor dem Wissen um das Endliche, und ohne dasselbe gar nichts besagt, auch keineswegs eine höhere Anschauung enthält, sondern sich nur durch die Reflexion, den Verstand, den jene sehr verachten, kundgibt.

Hören wir nun aber, was sie so untereinander sprechen, wenn sie sich aus ihrer intellektuellen Anschauung miteinander unterhalten: so dünkt es uns anfangs, als ob wir sie eifrig beschäftigt sähen, das Faß der Danaiden [Faß ohne Boden - wp] endlich einmal auszufüllen; denn so eifrig sie sich mit ihrer absoluten Indifferenz, höchsten Einheit, absoluten Identität, Reinheit, Klarheit und Durchsichtigkeit auch abarbeiten, so bleiben sie doch damit immer bei der alten absoluten Leerheit, und das reine Licht ihres ewigen Tages scheint der unendlichen Nacht unabtrennbar anzugehören. Nachher aber ist es, als wenn sie sich in der leeren, ausgestorbenen, totenstillen Welt des Ewigen zu langweilen anfingen, da wenden sie sich an das anfangs so verachtete  menon,  an das Nichts des Endlichen zurück, und scheinen sehr erfreut, wenn es ihnen nach und nach glückt, eine schöne Form oder eine lebendige Gestalt aus dem Nichts in ihre Ewigkeit aufnehmen und diese damit bevölkern zu können.

Die Wahrheit ist diese: Wir können nicht dadurch zum Ewigen gelangen, daß wir unser Wissen zum Absoluten steigern, dadurch überheben wir uns unserer Kraft und verlieren uns in die absolute Leere; im Gegenteil ist das einzige Mittel zum Ewigen der Glaube, für den wir gerade nur dadurch Platz gewinnen, daß wir unser Wissen auf seine wahren Verhältnisse herabwürdigen, daß wir zeigen, wie hier geschehen ist, daß unser Wissen um das Endliche der Natur nur Erscheinung ist, darüber hinaus aber ist die Idee des Ewigen und der Glaube an das Ewige in uns.

Denn in der Tat liegt unserem Auge keine andere, als die endliche Welt der Natur offen, die Welt der Erfahrung füllt mit ihren Gegenständen die ganze positive, in unserer Anschauung begründete Erkenntnis vom Sein der Dinge aus. Über diese hinaus haben wir nur einen Glauben, den wir nur wieder in dieser Natur brauchen und anwenden können, einen Glauben, der uns in den Ideen der Gottheit, der intelligiblen Welt, der Freiheit und Unsterblichkeit nur dadurch lebendig wird, daß wir die Bedingtheit und Unzulänglichkeit der Naturerkenntnis sehen und einzig mit den Ideen von der Negation dieser Schranken ergänzen.

Die Dogmen unserer Philosophie gehen also aus von der Beschränkung des Wissens, welches sich gemeinheit zu viel anmaßt; sie weisen dann den reinen Glauben der Vernunft an das Ewige auf, und lassen endlich diesen im Endlichen lebendig werden. Sie lassen sich also nach drei ideellen Grundsätzen ordnen, von denen das erste das Prinzip der Beschränkung des Wissens ist, das andere das Prinzip des Glaubens, das dritte das Prinzip der Ahnung. Das Wissen wird nämlich beschränkt durch den Satz, daß die Sinnenwelt nur Erscheinung ist; der Glaube beruth auf der Überzeugung: es ist eine Welt der Dinge ansich, als die Ewigkeit des höchsten Gutes; die Ahnung schließlich gründet sich auf die Überzeugung, daß das endliche Sein die Erscheinung des Ewigen ist, daß uns in der Natur das Ewige selbst erscheint.



Wissen, Glauben und Ahnen

Die Sinnenwelt, als Inbegriff der Gegenstände der Erfahrung, oder die Natur ist keineswegs ansich so, wie wir sie erkennen, sondern sie ist nur der Gegenstand unserer subjektiv bedingten Vorstellungsweise. Wir müssen ihr vielmehr die Idee des Ewigen oder des Seins ansich entgegensetzen. Wie aber diese Idee des Ewigen für unsere Erkenntnis Realität erhält, und warum unsere Erkenntnis von der Natur kein bloßer Schein, sondern Erscheinung ist, dies ist im vorigen nur sehr kurz aufgewiesen.

Es stehen drei Gesetze für unsere Erkenntnis fest: die Welt unter Naturgesetzen ist bloße Erscheinung; ihr liegt ein Sein ansich zugrunde, welches durch die Idee des Ewigen gedacht wird; und in diesem ewigen und endlichen Sein ist die gleiche Realität, das Ewige erscheint uns in der Natur. Die Welt unter Naturgesetzen ist das Einzige, um welches wir wissen, zum Ewigen gelangen wir nur durch den Glauben, diesen Glauben aber verbinden wir notwendig mit dem Wissen um das Endliche, indem wir unser Dasein in beiden Welten erkennen, unseren Willen, der in der inneren Natur erscheint, doch zugleich als frei annehmen.

Es ist also wohl klar, daß wir durch das Selbstbewußtsein unserer Freiheit vom Wissen zum Glauben übergehen. Unsere Meinung ist aber, daß wir keineswegs aus diesem Selbstbewußtsein, aus der bloßen Idee der Freiheit des Willens und der sittlichen Verpflichtung einen Beweis zu führen vermögen (sei es spekulativ oder moralisch) von der Realität des ewigen Gutes überhaupt, oder dem Dasein Gottes, sondern wir entdecken dadurch nur in uns das tiefste Innere unseres Bewußtseins, welches sich unmittelbar in einem Glauben an das ewige höchste Gut selbst ausspricht.

Wir setzen hier diesen Glauben an das höchste Gut unmittelbar dem Wissen gegenüber und sehen es dann als bloße Folge an, daß wir, die wir uns in beiden Welten finden, unser Wissen nur als Erscheinung des Ewigen selbst betrachten können.

Die nähere Kenntnis dieses Verhältnisses und die wahre Rechtfertigung dieses Glaubens bleibt aber nur der vollendeten kritischen Philosophie vorbehalten; wir glauben zwar nur an das Ewige, aber wir  wissen  um unseren Glauben, und wir wissen um unsere Ahnung. Es gibt also eine Philosophie von allen dreien, welche ihre Notwendigkeit und Unvermeidlichkeit für die endliche Vernunft aufweist. Hier haben wir es nur mit den Resultaten dieser Lehre zu tun, müssen uns aber dabei zuerst über den Unterschied der drei Arten des Fürwahrhaltens, den wir gebrauchen, deutlicher machen.

Wir unterscheiden das Wissen, Glauben und Ahnen als drei getrennte, voneinander gänzlich verschiedene Arten der Überzeugung. Man hat bisher höchstens nur versucht, einen Unterschied des Wissens und Glaubens in der Philosophie zu rechtfertigen, aber selbst damit sich nicht allgemein verständlich machen können. In der Religionslehre war der Unterschied zwar anerkannt, wenn man ihne aber bisher in die Philosophie übertragen wollte, so erhielt man am Ende doch nur eine ganz unphilosophische Art des Fürwahrhaltens, eine bloße durch Interesse begünstigte Meinung, welche nur einen niederen Grad des Wissens bezeichnete. Die Ahnung aber hat man meist den Dichtern und Schwärmern überlassen, sie in die Philosophie einzuführen, ist, soviel ich weiß, vor mir noch keinem Philosophen eingefallen.

Man hat bisher die Unterscheidungen des Fürwahrhaltens so genommen, daß im Grunde jede vollständige Überzeugung ein Wissen sein mußte. Ich sage hingegen, Wissen heißt nur die Überzeugung einer vollständigen Erkenntnis, deren Gegenstände durch Anschauung erkannt werden; Glaube hingegen ist eine notwendige Überzeugung aus bloßer Vernunft, welche uns nur in Begriffen, das heißt in Ideen zum Bewußtsein kommen kann; Ahnung aber ist eine notwendige Überzeugung aus einem bloßen Gefühl.

Um aber diese Begriffe näher zu erörtern, muß erst darauf aufmerksam gemacht werden, daß wir mit den Worten  Meinen  und  Glauben  gemeinhin niemals eine Art nach vom Wissen unterschiedene Überzeugung, sondern nur verschiedene Grade derselben Gewißheit im Fürwahrhalten bezeichnen. Jedes gesetzmäßige Fürwahrhalten ist im Gegensatz zur Überredung eine gegründete Überzeugung. Wegen der Schranken unserer Kräfte sind wir aber nicht immer imstande, mit unserem Urteil bis zur vollständigen Gewißheit zu gelangen, sondern für uns hat die Gewißheit Grade, welche größer oder kleiner sein können, der höchste Grad gehört der Wahrheit selbst, die niederen geben bloße Wahrscheinlichkeit. Hier nennen wir nun gemeinhin unser Fürwahrhalten  Wissen,  wenn wir es mit einem Urteil bis zur vollständigen Gewißheit bringen können. Neben dem Wissen steht aber noch Meinung und Glaube. Meinung ist nämlich mit allgemeiner Einstimmung des Wortgebrauchs, ein unvollständiges Fürwahrhalten aus Wahrscheinlichkeit, dessen Unvollständigkeit anerkannt wird, also nur ein niederer Grad, wo Wissen den Höchsten bezeichnet.

Glaube hingegen soll mehr sein als Meinung, wie er aber vom Wissen unterschieden wird, ist streitig. Man nennt gewöhnilch den Glauben eine nur subjektiv hinlänglich begründete Überzeugung, dagegen soll das Wissen objektiv hinlänglich begründet sein; so wie wir z. B. bei einer Überraschung zuweilen sagen: ich sehe es wohl, aber ich kann es noch gar nicht glauben, gleichsam die Überzeugung mir zu eigen machen. Diese Unterscheidung ist sehr vieldeutig, wir können hier bei einem bestimmteren Ausdruck stehen bleiben, indem wir sagen: Glaube ist eine Überzeugung, welche willkürlich durch ein Interesse bestimmt wird. Wenn wir etwas nur glauben, so haben wir unser Urteil bestimmt, weil wir uns dafür interessieren. Der Einfluß eines Interesses auf unser Fürwahrhalten kann aber von zweierlei Art sein; entweder das Interesse treibt und überhaupt nur unser Urteil über einen Gegenstand zu bestimmen, oder Neigung und Furcht wirken selbst zu dieser Bestimmung mit. Der erste Fall ereignet sich unzähligemal im gemeinen Leben. Wenn wir zu einem Urteil noch kein vollständigen Gründe haben, so ist unsere Meinung im Hinblick auf dasselbe nur ein vorläufiges Urteil, wir sind in dem Fall eigentlich noch gar nicht zu urteilen befugt, und sind uns auch bewußt, daß wir unser Urteil nur auf unsichere Weise bestimmen können: wir würden also gar nicht absprechen, wenn uns nicht irgendein Interesse triebe, oder gar nötigte, über diesen Gegenstand gerade ein bestimmtes Urteil zu haben, z. B. in der Unterhaltung, um nur darüber zu sprechen; in der Wissenschaft, um auf ein solches vorläufiges Urteil hin die Konsequenz eines Systems zu probieren, oder in Geschäften, ein Kaufmann wagt eine Spekulation, ein Arzt entscheidet sein Urteil über eine unsichere Krankheit, eben nur, um danach handeln zu können. In diesem Fall ist das Fürwahrhalten des Glaubens aber von der Meinung gar nicht verschieden, der Glaube ist eine Meinung, die ich genötigt bin, zur meinigen zu machen. Der andere Fall war, daß Neigung oder Furcht, oder irgendein Interesse selbst mit einwirken und uns glauben machen, daß das wahr sei, was wir gern wollten, oder das, wovor wir uns fürchten. Ein solches Fürwahrhalten scheint aber auf den ersten Blick durchaus gesetzwidrig und übereilt, es scheint eine bloße Überredung zu sein, die man in der Übereilung annimmt, und niemals zur Überzeugung taugen zu können. Man hat daher auch KANT gegen seinen angeblichen reinen Vernunftglauben die Einwendung gemacht, er fordere, daß wir mit ruhiger Überlegung eine Überzeugung annehmen sollen, nur weil wir sehr angelegentlich wünschen, die Sache möge sich so verhalten; ein solches Fürwahrhalten sei aber etwas psychologisch Unmögliches, indem wir uns mit ruhiger Überlegung doch niemals frei zu einer Überzeugung im Ernst entschließen können, bloß weil wir es gern sehen, die Sache möchte so oder so beschaffen sein.

KANT antwortet darauf, etwas anderes ist ein bloßes Interesse der Furcht oder Neigung, und etwas anderes ein notwendiges Interesse der Vernunft, nur das letztere kann uns zu einem reinen Vernunftglauben nötigen. Ich fürchte aber sehr, daß er dessenungeachtet dem Einwurf nicht wird ausweichen können. Sein Räsonnement ist ungefähr folgendes: Wir können keinen spekulativen Beweis führen, daß ein Gott existiert und daß die Seele unsterblich ist, aber wir haben in uns das Bewußtsein, daß wir Sollen und dieses Sollen ist das Höchste und Größte in unserem ganzen Wesen. Alles Sollen wäre aber für uns ohne Bedeutung und ein klarer Widerspruch, wenn wir nicht Gott und die Unsterblichkeit der Seele voraussetzen. Wir müssen das Letztere also glauben, nicht nur, weil wir uns von dem Gebot, welches sich im Sollen ankündigt, nicht losmachen wollen, sondern vorzüglich, weil wir uns gar nicht davon losmachen können. Dieses Räsonnement wäre unwiderleglich, wenn der Widerspruch, der ohne Gott und Unsterblichkeit im Sollen liegt, ein logischer wäre, das ist er aber nicht, er ist ein bloßer Widerstreit der Zwecke. Es wird mir im Sollen ein Zweck mit Notwendigkeit aufgegeben, dessen sich aber die Weltregierung selbst nicht annimmt, der außer mir ohne Bedeutung ist, ohne Gott und Unsterblichkeit, und der doch auch nicht eigentlich mein Zweck ist, von dem ich mich aber nicht losmachen kann. Hieraus würde dann doch ohne Gottheit und Unsterblichkeit kein logischer Widerspruch in der Annahme des Sittengesetzes, sondern nur eine Zwecklosigkeit in der Welteinrichtung folgen. Wenn ich also aus dieser Bedeutungslosigkeit des Sollens ohne jene Voraussetzung eben auf das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele schließe, so ist der Beweisgrund im Schluß eigentlich die vorausgesetzte Zweckmäßigkeit in der Welteinrichtung, das heißt, ich setze die Realität des höchsten Gutes, oder den Grundsatz der besten Welt eigentlich schon voraus, und schließe daraus erst auf das Dasein Gottes. Aber die Realität des höchsten Gutes und das Dasein Gottes sagen mir im Grunde ein und dasselbe, der ganze Beweis ist ein  hysteron proteron  [das Spätere als das Frühere - wp] aus der ursprünglichen Überzeugung, daß die Welt die beste ist. Mein Interesse für das Gesetz figurierte bloß in einem Beweis, ohne dabei nötig zu sein.

Also auch so wie KANT noch den Begriff des Glaubens bestimmt hat, ist er entweder nur eine Überredung, oder eine besser oder schlechter begründete Meinung, das heißt nur dem Grad nach vom Wissen unterschieden. Allein wiewohl er sich in seinen moralischen Beweisen im Grunde geirrt hat, so behalten doch seine bis dahin gehörigen Untersuchungen für uns einen sehr großen Wert, sie können uns leicht zu einer richtigeren Bestimmung der Begriffe leiten.

Die gewöhnlichen Bedeutungen des Wortes  Glaube  lassen darin also nur einen niederen Grad der Überzeugung unter dem Wissen verstehen. Noch in einem anderen Sinn aber bediente sich JACOBI dieses Wortes, wie wir schon früher anführten. Ihm ist Wissen die durch Schlüsse begründete Überzeugung, Glaube eine unmittelbare Überzeugung ohne Schluß. Der größte Teil der Rationalisten unter den Philosophen gestand allein der Vernunfterkenntnis im Gegensatz zum Sinn eine Realität zu, dachte aber unter Vernunft nur den Verstand als das Vermögen der Begriffe, das heißt, als das Vermögen der Reflexion, und hielt dadurch die erschlossene Wahrheit für die einzige allgemeingültige. Jede Wahrheit sollte erweislich sein bis auf das höchste Prinzip. Diese widersprechende Vorstellungsart rührte nur von einer unzulänglichen Kenntnis der Logik und der Reflexion her, indem man nicht bedachte, daß man durch alles Schließen niemals mehr Wahrheit erhält, als die dürftige Ausbeute der obersten Prämissen, welche die leersten und allgemeinsten Formeln in unserer Erkenntnis sind und doch selbst nicht wieder erschlossen sein können. Diese Lehre bildete sich am weitesten in der WOLFFischen Philosophie aus, und JACOBI zeigte dagegen, wie man durch alles Schließen zu gar nichts kommt, ohne eine unmittelbare Erkenntnis, welche allem Schluß vorausgeht. Diese nennt er dann  Glaube  im Gegensatz zum Wissen durch Schlüsse. Aber ein solcher Wortgebrauch ist uns zu allgemein, indem wir nicht nur mit Glauben, sondern auch mit Wissen und Ahnung Arten der Überzeugung benennen, denen unmittelbare Erkenntnisse, und nicht bloß erschlossene zukommen.

Wir gehen also, um unsere Unterscheidung dieser drei Überzeugungsarten deutlich zu machen, zu dem zurück, was soeben von KANTs moralischen Beweisen gesagt wurde.

KANTs moralischer Beweis des Daseins Gottes sollte eigentlich nur aufweisen, daß unsere Vernunft für das Bewußtsein, daß wir Sollen, notwendig das Dasein Gottes postulieren muß; allein selbst in dieser Form läßt er sich nicht einmal recht anwenden, indem sogar dieses Postulat auch dann nur unter der Voraussetzung der Realität des höchsten Gutes oder einer zweckmäßigen Welteinrichtung gilt. Wir müssen also dasjenige, was KANT eigentlich wollte, ganz abgesehen von seinen moralischen Beweisen oder Postulaten ansehen, so wie wir es, von ihm aufmerksam, in der Vernunft selbst finden.

Alsdann ergibt sich, daß ursprünglich im Wesen der Vernunft, als das erste Vorausgesetzte, ein Glaube an die ewige Realität des höchsten Gutes liegt, welcher sich, gemäß ihren spekulativen Ideen, in einem Glauben an Gott, die Ewigkeit unseres Wesens, und die Freiheit des Willens entfaltet. Dieser Glaube entspringt rein aus der Vernunft, findet aber für uns nur dadurch Anwendung, daß wir unser Wissen, welches wir aus der Erfahrung schöpfen, nur auf Erscheinungen beschränken, und so die Schranken der innerhalb der Erfahrung unumschränkten Naturnotwendigkeit durchbrechen, endlich aber in der Ahnung das Endliche mit dem Ewigen wieder vereinigen durch die Schönheit der Natur.

Es ist uns für keinen Begriff möglich, durch einen spekulativen Beweis vom Endlichen der Natur zum Ewigen zu gelangen, denn die Natur mit ihrer strengen Notwendigkeit stößt zwar die Idee des Seins ansich von sich aus, ist sich aber in ihrer Unvollendbarkeit durchaus selbst genug und hinreichend, sie ist etwas in sich durchaus Erklärliches, und führt selbst nicht über ihre Grenzen hinaus. Wiewohl wir in der Spekulation durch die Unvollendbarkeit des Naturganzen auf eine höhere Idee des Unbedingten geleitet werden, und für diese durch die in einer inneren Natur aufgefundenen Ideen der Pflicht und des Rechts Realität fordern: so müssen wir doch erst über das Wissen hinaus gehen, um ihnen diese zu verschaffen, denn für das bloße Wissen fordert das Endliche kein Ewiges, das Bedingte kein Unbedingtes, sondern wir können da zwischen Schein und Erscheinung nicht unterscheiden.

Ebenso ist es den logischen Ideen des Glaubens als Begriffen der Vernunft unmöglich, aus dem Ewigen heraus das Endliche zu berühren, sie mahen für sich wieder ein geschlossenes Ganzes, welches mit der Natur in gar keine Berührung käme, sondern für sie ein bloßer leerer Gedanke einer fremden Welt wäre, ohne das Gefühl und die ästhetischen Ideen der Ahnung.

Es fällt nämlich jenes Wissen um das Endliche und dieses Glauben an das Ewige in unserem Gemüt in ein und demselben Bewußtsein zusammen, so daß die Realität beider sich innig vereinigt; diese Vereinigung kann aber nur durch das Gefühl der frei reflektierenden Urteilskraft in den ästhetischen Ideen der Ahnung zum Bewußtsein kommen.

Der richtige Unterschied des Wissens und Glaubens geht als darauf aus, daß das Wissen seine Gegenstände aus der Anschauung nimmt, der Glaube aber nicht, auf das Nicht-sehen und doch glauben.

Wir wissen um alle Erfahrungs- oder Naturerkenntnis, denn wiewohl uns nicht alle Naturerkenntnis durch die Anschauung gegeben wird, so erhalten wir durch diese doch allein  Gegenstände  derselben. Die Welt dieser Erkenntnisses ist die Sinnenwelt, deren Inhalt uns nur die Anschauung liefert, wenngleich ihre Form in den obersten Gesetzen der Naturnotwendigkeit nur aus Begriffen erkannt wird. Die Gesetze der Kausalität und der Stetigkeit z. B. erkennen wir zwar nur in Begriffen, ihre Anwendung geht aber nur auf die Gegenstände der Natur, welche in die Anschauung fallen, sie gehören also noch zum Wissen.

Dagegen entspringen uns die Ideen des Ewigen, Freien und Absoluten bloß in Begriffen, und ihre Anwendung geht auf eine Welt, welche uns nicht in der Anschauung, sondern nur im Glauben gegeben ist. Die Gegenstände dieser Weltordnung, Seele, höhere Welt und Gottheit, werden von uns nicht angeschaut, sondern durch den bloßen Glauben erkannt nach Ideen, denen die endliche Vernunft kraft ihres eigenen Wesens eine notwendige Realität zuschreiben muß.

Die Ahnung aber bezieht die Gegenstände der Anschauung auf diese Ideen, kann das aber nur durch Gefühle zustande bringen. Dem Wissen gehört der Begriff, dem Glauben die Idee, der Ahnung das reine Gefühl.

Wer dies näher verstehen lernen will, bemühe sich um die Vollendung der philosophischen Kritik, deren Resultate im Folgenden kurz zusammengestellt sind, so wie sie uns bisher bekannt wurden. Auch wir stehen mitten in der Geschichte, und können uns nicht anmaßen, dasjenige vollendet zu haben, woran seit so langer Zeit so viele mit verschiedenem Glück und noch verschiedenerer Anmaßung gearbeitet zu haben.
LITERATUR - Jakob Friedrich Fries - Wissen, Glaube und Ahnung, Jena 1805