cr-4KantHamannF. H. JacobiSpinozaHerderM. Mendelssohn    
 
F. A. SCHMID-NOERR
Friedrich Heinrich Jacobi
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"Wenige wußten, daß der Mann gestorben war, der, als einer der frühesten Wächter der neuen Zeit, beim ersten Morgenrot am lautesten ins Horn gestoßen hatte; der Mann, dessen Geist in allen Wirkungen dieser neuen, veränderten Epoche des geistigen Lebens lebendig war;  der erste, deutsche Romantiker; mehr als das:  der erste, ernsthafte und gründliche Verkünder und Vorkämpfer des modernen Individualismus, dessen Wesen er darum nicht weniger tief verstand, als viele, überkluge Leute nach ihm, weil er ihn  ethisch nahm, und weil er ihn  religionsphilosophisch begründet wissen wollte."


Vorwort

Als eine Studie zur Religionsphilosophie FRIEDRICH HEINRICH JACOBIs begann dieser Arbeit vor vier Jahren, angeregt durch einen Hinweis WILHELM WINDELBANDs, meines verehrten Lehrers. Bald jedoch mußte ich erkennen, daß es bei der Natur des Mannes und seiner Philosophie, deren einen Teil ich herausheben wollte, unmöglich sei, zu teilen und den Mittelpunkt des Ganzen zu verschieben, geschweige denn, einen selbstgewählten willkürlich einzusetzen.

So veränderte sich zugleich mit der Disposition auch die Aufgabe des Buches in etwas, und die Frage selbst gewann an Interesse, wie sich dieses seltsame Verhalten der Form zum Inhalt erklären lassen soll, daß nämlich eine Philosophie aus Aphorismen die unauslösliche und feste Struktur eines streng geschlossenen Systems aufzuweisen vermag.

Es fand sich, daß die vielfachen Antworten auf diese Frage allzusehr an der Oberfläche blieben, als daß sie genügen konnten und daß die Gedankenwelt JACOBIs allzu beziehungsreich und bedeutsam sich mit den Problemen der Philosophie seit KANT verknüpft, als daß sie sich mit der Charakteristik einiger ihrer Merkmale abtun ließe. Die Religionsphilosophie steht wohl im Mittelpunkt der Gedanken JACOBIs, aber sie selber ist wiederum nur das Resultat einer erkenntnistheoretischen Problemstellung, die JACOBI mit KANT gemein hatte, und die sich als die Frage nach den zureichenden Gründen für das Zustandekommen aller Erfahrung präzisieren läßt. JACOBI erkannte, daß diesem Problem ein gewisser Gegensatz von Theorie und Leben zugrunde liegt und bemerkte zugleich, daß KANT diesen Gegensatz durch den Primat des Willens, als eines Einschlags von Lebensunmittelbarkeit in die Theorie, auszugleichen geneigt schien. JACOBI erklärte diesen Versuch für unzureichend, und viele und scharfsinnige Versuche stellte er an, bündig aufzudecken, daß mit dem theoretisierten Willensakt, oder dem "Sollen" nichts in der Erklärung und Konstruktion des Erkennens und Wesens auszurichten ist. Mit diesem kritischen Gedanken nahm er die Kritik der nachkantischen, idealistischen Metaphysik vorweg. Und in dieser  kritischen Tat  wird ihn jede Philosophie, die vom deutschen Idealismus herkommt und die auf irgendeine Weise fortbauend über FICHTE, SCHELLING und HEGEL hinauswill, an ihre eigenen, historischen Anfänge setzen müssen.

Darin beruth JACOBIs Bedeutung und das lebendige Interesse für ihn in der Gegenwart, das zunehmen wird und zunehmen muß, sofern diese Philosophie der Gegenwart selber zunimmt.

Demgegenüber möchte JACOBIs Religionsphilosophie von verhältnismäßig untergeordneter Bedeutung scheinen. Denn sie stellt einen Rückfall in die aristotelische Metaphysik dar, wenn nicht im Prinzip, so doch allzusehr in der Sache. Trotzdem bedeutet auch sie eine grundsätzliche Neubegründung des Problems und seiner Notwendigkeit, wie wir es noch heute zu sehen gezwungen sind.

Unter einem vierjährigen Studium änderten sich mir so Plan, wie Einsicht; und wenn davon nicht alle Spuren im vorliegenden Buch getilgt erscheinen, so müßte es darum noch kein Schaden sein. Denn wir mir mein Buch wuchs, so wünschte ich, daß dem Leser die Überzeugung wächst, daß in der Person und Philosophie JACOBIs vielleicht die interessanteste Erscheinung vor uns steht, die das ausgehende, achtzehnte Jahrhundert unter den Philosophen hervorbrachte. Ich sage ausdrücklich: die interessanteste vielleicht; und von KANT abgesehen. So vieldeutig, wie das Wort, so vieldeutig das Wesen, das es meint. Interessant ist das Vielversprechende. Denn es fordert immer wieder zu der Frage heraus, wieviel es zu halten vermag. Dies mag wenig genug sein; aber nie wird der Fragende ohne eine reiche Belehrung bleiben.

Und daher kommt es, daß das Interessante manchmal fruchtbarer ist, als das Einfache und Gewisse.


Erster Teil
Leben und Persönlichkeit Jacobis

Erstes Kapitel
Das Leben

Das aber begreifen wir vollkommen, daß  Vorsehung und
 Freiheit, wenn sie nicht waren am Anfang, dann auch überall nicht sind. So lautete meine früheste Rede:
ich ende, wie ich begann.

(Vorrede und zugleich Einleitung in die sämtlichen Schriften)


FRIEDRICH HEINRICH JACOBIs Leben währte 76 Jahre. Es war kein Leben der großen Kämpfe, Entschließungen und Taten, und doch ein Leben voller Tätigkeit; es war auch kein Leben der gelehrten Zurückgezogenheit und beschaulichen Muße, in der die großen, dem Tag abgekehrten Werke des einsamen Geistes wachsen. Will man dieses Leben mit seinen stillen und unauffälligen, aber darum nicht weniger tiefen Widersprüchen recht verstehen, so muß man es begreifen als das Leben eines passiven Charakters. Damit ist viel zur Kennzeichnung des Mannes und seiner Art, auch im Denken, vorweggenommen.

GOETHE muß zu mancherlei Vergleichen herhalten; es ist nicht gesucht, GOETHE und sein Leben zu vergleichen mit dem seines Jugend- und Altersfreundes JACOBI, denn es läßt sich für diesen Vergleich eine gute Formel finden:

GOETHEs und JACOBIs äußere Schicksale sind in den großen Zügen merkwürdig ähnlich. Aber GOETHE hat sich die seinen mehr oder weniger geschaffen; JACOBI hat sie erlitten. Ihm fehlte bei ansehnlichen Gaben des Geistes und bei einem keineswegs unpraktischen Sinn der Eigenwille, der nach selbstgesteckten Zielen mit kühner Beharrlichkeit strebt. JACOBI ließ sich tragen; als Mensch von seinen Schicksalen, als Denker von einer Gewißheit, die er außer und über sich befestigt wußte, und der sich zu unterwerfen, ihm ein Bedürfnis war. Sein Schicksal hat ihn aus einem reichen Elternhaus hinaustreten lassen, hat seine Lehr- und Wanderjahre reich an Freundschaft, Genuß und Belehrung gemacht, verband ihn früh mit einer liebenswürdigen Frau, durch die sein Leben vielfältig an Genüssen edler Geselligkeit gewann, erwarb ihm zeitig einflußreiche Gönner, hohes Amt und stattliche Würden, und führte den Alternden langsam durch manche schwere Prüfung an eine der ersten Stellen, die im gelehrten Deutschland seinerzeit zu vergeben waren; und mit gelassener weltmännischer Würde schickte sich der Greis in dieselben Ehren, die mehr als ein Menschenalter zuvor ihn schon einmal emporgehoben hatten. So war JACOBI während seines Lebens Geschäftsmann, Dichter, Gelehrter, Philosoph, Publizist, Staatsmann, Politiker und höfischer Diplomat, und dies alles auf einer zum Teil noch größeren Bühne, als GOETHE; unermüdlich, gewandt und erfolgreich, gleich diesem, ein Theoretiker und Praktiker der Lebenskunst gleichfalls wie jener; und doch der Träger eines Lebens, dessen Betrachtung den Eindruck einer seltsamen Planlosigkeit hinterläßt:

So mußte ein GOETHEsches Leben mit all seiner Gunst und Kunst ausfallen, dem der gestaltende Wille fehlte.

Durch solche Bedingungen begrenzt, nahm dieser Lebensweg schon von der Kinderstube seinen fatalistischen Ausgang.

FRITZ war der zweite Sohne eines reichen Kaufmanns in Düsseldorf, dessen Protestantismus nicht hinderte, daß er in der katholischen Stadt und bei der den Protestanten nicht eben geneigten Regierung in gutem Ansehen stand. Dieser Mann bemerkte zu seinem geringen Vergnügen, daß sein jüngerer Sohn hinter dem älteren in all den Dingen zurückblieb, die ihm am Herzen lagen, weil er sie zu demjenigen Stand für nötig hielt, den er für seine Söhne wünschte: für den öffentlichen oder den gelehrten Beruf. In seinen patriarchalisch-gewaltsamen und hochfliegenden Plänen muß dieser Mann manch einen Zug mit dem kaiserlichen Rat in Frankfurt gemeinsam gehabt haben, wie auch in der Neigung, mit raschen, etwas unbesonnen-herrischen Entschlüssen und wenig Geduld auf die Durchführung seiner durchaus liebevollen Absichten zu bestehen, oder sie gleich gänzlich aufzugeben.

JOHANN GEORG, der spätere Freiburger Philologe und dilettantisch-liebenswürdige Dichter, schien bei seinem hellen Kopf und entschiedenen Schulfleiß dem Vater die Erfüllung seiner Wünsche zu gewährleisten. FRITZ zeigte sich verträumt, dem griesgrämigen Hauslehrer gegenüber unlustig, wo nicht gar widerspenstig, und, zum Kummer seines Vaters, mehr durch den Umgang mit einer alten, pietistischen Magd, als durch den mit den Wissenschaften befriedigt. Der Knabe war früh ein stiller Grübler. Er selbst hat bekannt, wie ihn schon im zarten Alter die religiösen Zweifel quälten und ihn schließlich mit visionärer Gewalt verfolgten und die Gesundheit seiner reizbaren Nerven bedrohten:
    "Ich ging noch im *polnischen Rock, da ich schon anfing, mich über die Dinge einer anderen Welt zu ängstigen. Mein kindischer Tiefsinn brachte mich im achten oder neunten Jahr zu gewissen sonderbaren Ansichten. - Ursprüngliche Gemütsart und die Erziehung, welche ich erhielt, vereinigten sich, mich in einem billigen Mißtrauen gegen mich selbst, und nur zu lange in einer desto größeren Erwartung von dem, was andere leisten könnten, zu erhalten." (1)
Der Vater, der bei seinem Sohn die handfesten Talente vermißte, auf die es ihm ankam, und mit ihm die anderen Leute von gedrungenem Verstand, erklärten FRITZ für schwach begabt und für unfähig, die Hoffnungen zu erfüllen, die man auf ihn, wie auf seinen Bruder gesetzt hatte. Das empfindsame Gemüt des Knaben bekam davon manche Bitterkeit zu kosten, und die Folge war, daß seine scheue Unsicherheit zugleich mit seinem Bedürfnis zunahm, in fast hallzinatorischen Vorstellungen sich der beruhigenden Liebe der religiösen Mächte hinzugeben. Der Vater jedoch, dessen praktischer Geist diejenigen Eigenschaften des Charakters am höchsten zu schätzen geneigt war, deren es zur kräftigen Erfüllung der Pflichten seines eigenen Standes vorzüglich bedurfte, war, wie es öfters zu geschehen pflegt, in der sonderbaren Meinung befangen, daß diese Eigenschaften höherer Gegenstände würdig sind, und daß für die Gegenstände seines Berufes eben noch eine jede, mindere Begabung ausreicht. Auf diese Weise wurde der lebensscheue und in der Entwicklung seines Verstandes geschreckte Knabe zum Kaufmann bestimmt.

Mit 16 Jahren verließ er das Elternhaus und den Kreis der Freunde, dem er sich in der letzten Zeit seines Aufenthaltes in der Heimat eng und eifrig angeschlossen hatte. Das war ein pietistischer Konventikel [religiöse Versammlung außerhalb kirchlicher Kontrolle - wp], dessen Mitglieder sich "die Feinen" nannten, und bei denen es ja wohl recht unirdisch und seelenzart zugegangen sein wird.

Jetzt wurde FRITZ nach Frankfurt am Main geschickt und dort in eine Großhandlung als Lehrling gesteckt. Das war im Geburtsjahr SCHILLERs, als GOETHE schon als kleiner Patrizier durch die Gassen seiner Vaterstadt stolzierte.

FRITZ fühlte sich in der neuen Umgebung völlig unglücklich; und hätte wohl auch seine christliche Sanftmut die groben Späße duldend ertragen, denen er sich ausgesetzt sah, so war es doch in dem Augenblick mit seiner Fassung zuende, als er von Geschäftspraktiken Kenntnis erhielt und diese sich selber zugemutet sah, von denen sich sein empfindliches Moralgefühl aufs Äußerste abgestoßen zeigte. Zum erstenmal drang der junge Mann mit Ernst und festem Willen in seinen Vater, ihn aus dieser Umgebung zu befreien. Der Vater willfahrte dieser Forderung und sandte ihn nach Genf, teils weil der Sohn dort zugleich seine kaufmännische Ausbildung beträchtlich erweitern, teils weil er erwarten konnte, daß in dieser frommen Stadt sein Sohn vor ähnlichen Anfechtungen besser bewahrt bleibt.

Mehr als drei Jahre blieb der junge JACOBI in Genf und nutzte seine Zeit. Er bildete sich zum tüchtigen Kaufmann und genauen Kenner vieler der sozialpolitischen und nationalökonomischen Fragen, die in jener Zeit zuerst brennend wurden. Gleichzeitig aber war Genf auf der Ort seiner geistigen Neugeburt. JACOBI hat einiges aus dieser Zeit mit feiner und leise ironischer Bescheidenheit selber bei Gelegenheit erzählt. (2)

Sein Interesse für die Wissenschaften, das allmählich immer stärker aufwachte, fand einen liebevollen Pfleger und Führer an LESAGE, der Professor der Mathematik an der Universität wär, und immer neue Anregung im Umgang mit den besten und führenden Geistern der Stadt, meist persönlichen Freunden JEAN JACQUES ROUSSEAUs. Dazu ernannte sich der zarte, aber wohlgewachsene Jüngling zu einer munteren und körperfrohen Lebensweise, und unter Reiten und Schwimmen, Wandern und Eislauf wuchsen ihm neue Aussichten und Kräfte des Geistes wie über Nacht. Der Grund zum neuen Menschen war so gelegt. Nun schrieb JACOBI dem Vater und bat ihn, ihm den Übertritt zum gelehrten Stand zu erlauben. Der Vater lehnte rundweg ab. Er mochte sich nicht wenig freuen, daß sein FRITZ sich so tüchtig und wider alles Erwarten entwickelt hatte; und nun riet ihm sein praktischer Sinn, eine so unverhofft gewonnene Kraft, die einmal in die Bahn des praktischen Lebens gelenkt war, nicht unbenutzt für die Interessens seines eigenen Hauses zu lassen. Er rief also seinen Sohn zurück und übertrug ihm, da er seine Hoffnungen übertroffen sah, sofort die ganze Leitung seines Düsseldorfer Geschäfts. Gleichzeitig sorgte er als ein umsichtiger Hausvater dafür, daß die nötige Stabilität in das Leben seines so rasch veränderten und darum vielleicht gar veränderlichen Sohnes kommt, und hielt ihm gleich zu seiner Rückkehr nach patriarchalischem Brauch die Braut bereit.

FRITZ, in der seinem Wesen innewohnenden Passivität gegenüber dem Schicksal, das sich ihm von außen bereitete, unverändert, verließ Genf mit schwerem Herzen und mit dem einzigen Trost einer reichhaltigen und sorgfältig gesammelten Bibliothek. Zu seiner Bibliothek nahm er nun die Frau, die ihm wohlgefiel; und ein seltenes Glück begünstigte ihn so, daß diese Frau allmählich sondermaßen in seine eigenen Bedürfnisse und Neigungen und am Ende in seine Liebe hineinwuchs, daß ihm aus dieser Ehe das reinste und reichste Glück seines Lebens aufblühte.

Einundzwanzig Jahre alt, reichte er BETTY von CLERMONT die Hand fürs Leben.

Der Vater, wie sich denken läßt, hatte in keiner Hinsicht schlecht gewählt, sondern bei der Wahl sein eigenes Ansehen, als eines reichen Kaufherrn, nach Möglichkeit ins Gewicht gelegt. Die junge, vornehme Niederländerin brachte ihrem Gatten eine reiche Mitgift, die Aussicht auf ein künftiges Vermögen von bedeutender Höhe und zugleich die große Zahl ihrer Freunde und einflußreichen Verbindungen. So fand sich der junge JACOBI nicht ohne Behagen in den ihm aufgedrungenen Beruf. Er erwarb das Landgut  Pempelfort  bei Düsseldorf und verbrachte dort, im Kreis der alten und der neuen Freunde, nach redlicher Tagesarbeit in der Stadt seine immerhin reichlichen Mußestunden. Glänzende Namen der Geburt und des Verdienstes wären schon in dieser frühen Zeit seines beruhigten Lebens zu zählen, wenn man die Gäste in Pempelfort alle nennen wollte. Es waren vor allem JOHANNES MÜLLER, GEORG FORSTER, HEINSE, Graf WINDISCHGRÄTZ, die Fürstin GALLIZIN, SOPHIE von LAROCHE, ELISE REIMARUS, LESSING und HEMSTERHUIS, der Freiherr von HOMPESCH und Graf GOLTSTEIN, der Gouverneur zu Düsseldorf. Dieser vor allem, sonst ein rauher Mann, schloß JACOBI in sein Herz; und ohne ihn lange zu fragen, verschaffte er dem noch nicht dreißigjährigen das Amt und das nicht unerhebliche Gehalt eines Mitglieds der Herzoglichen Hofkammer. JACOBI, gewissenhaft, wie er von Natur war, nahm die Ehre nicht ohne die Selbstverpflichtung auf sich, in dem neuen Amt nach seiner Kraft sich auch nützlich zu machen. Er erneuerte aus diesem Anlaß seine nationalökonomischen Studien, namentlich anhand der Arbeiten des ADAM SMITH, und begab sich unverzüglich an eine umfangreiche Untersuchung über den Stand der Gewerbe in den Herzogtümern Jülich und Berg. Er unternahm zu diesem Zwecke vielfache Reisen in die Industriebezirke dieses Gebietes und erregte in der Folge durch die umsichtigen und fleißigen Ergebnisse seiner Arbeit das nachhaltigste Aufsehen in den Kreisen seiner Regierung.

Inzwischen trübte sich auf einige Jahre der heitere Horizont seines Daseins in etwas durch das unerwartete und schwere Unglück, das seinen Vater betraf.

Dieser hatte nach der Übergabe seines Hauses an seinen Sohn in unermüdlicher Tatkraft sich und sein Vermögen einem anderen Unternehmen gewidmet. Eine große Zuckerfabrik in Pempelfort, die er ungesäumt errichtete, brachte guten Gewinn. Da zerstörte sie nach kurzer Betriebsdauer ein Schadenfeuer. Gleichzeitig verschlechterte sich die Konjunktur für Zucker. Die Regierung aber drang bei dem alten JACOBI auf den Neubau der Fabrik und leistete dazu einen Vorschuß von 26 000 Reichstalern. JACOBI baute, und die Spekulation auf bessere Zeiten schlug fehl. Mit dem Verlust seines ganzen Vermögens endete die Katastrophe.

In dieser bösen Zeit, da FRITZ JACOBI den Gewinn aus dem Stammgeschäft redlich mit seinem auf so tragische Art verarmten Vater teilte, wurden die Mittel zum Unterhalt der großangelegten Lebensführung in Pempelfort äußerst knapp. JACOBI, der sich um keinen Preis von dem ihm so lieb gewordenen Wohnsitz trennen mochte, sah sich nach weiteren Hilfsquellen um. Da kam ihm die Freundschaft mit WIELAND, die eben um diese Zeit mit großem Enthusiasmus geschlossen worden war, recht gelegen. Die Herausgabe des "Deutschen Merkur" wurde verabredet; und da beide Herausgeber zugleich recht gewandte Geschäftsmänner waren, so schlug das Unternehmen reichlich ein und brachte willkommenen Gewinn.

Für den  Merkur  ergriff JACOBI zum erstenmal öffentlich die Feder. Er schrieb einige kleine Aufsätze und lieferte Übersetzungen; Arbeiten, in denen er die Tragkraft des eigenen Talents noch sorgfältig schonte und langsam erprobte. Auf diese Weise war JACOBI im innigsten Zusammenhang und Übergang der Beweggründe vom Kaufmann zum Schrifsteller gediehen. Auch hier hatten die Verhältnisse das meiste, JACOBIs eigener Entschluß das wenigste dazu getan. Der  Merkur  florierte; aber die Begeisterung in der Freundschaft der beiden Herausgeber ließ merklich nach. WIELANDs kühle, manchmal hämische, und im Grunde durchaus praktisch-berechnende Natur mußte das Gemüt JACOBIs abstoßen, sobald die Selbsttäuschung gewichen war. Der Bruch erfolgte. Zuerst suchte ihn JACOBI, dem das Herz dabei ehrlich blutete, auf das Sachliche der Meinungsverschiedenheiten zu beschränken, und den Freund weiter zu lieben, dessen Gesinnungen er nicht teilte. Bald danach aber wandte er sich entrüstet auch vom Menschen ab, nachdem WIELAND in seiner Schrift "Über das göttliche Recht der Obrigkeit" der Moral des Despotismus das Wort geredet hatte, im Sinne eines fürstendienerischen Schmeichlers, der gerne den den neuen MACCHIAVELLI gespielt hätte (3).

Und JACOBI, mit dem das Glück war, fand um dieselbe Zeit für den Verlust dieser Freundschaft reichlichen Ersatz. Er lernte GOETHE kennen. Nicht ohne das alte, scheue Mißtrauen gegen seinen eigenen Wert trat er dem Strahlenden gegenüber. Aber die Begegnung entschied, in einem gewissen Sinn, in der Tat über sein Leben. Bald danach schrieb JACOBI an seine Herzensfreundin SOPHIE von LAROCHE (4):
    "Goethe  ist der Mann, dessen mein Herz bedurfte, der das ganze Liebesfeuer meiner Seele aushalten, ausdauern kann. Mein Charakter wird nun erst seine  echte, eigentümliche Festigkeit  erhalten, denn  Goethes  Anschauung hat meinen besten Ideen, meinen besten Empfindungen - den einsamen, verstoßenen - eine unüberwindliche Gewißheit gegeben."
Und an WIELAND (5):
    "Was  Goethe und ich einander sein sollten, sein  mußten,  war, sobald wir vom Himmel runter nebeneinander hingefallen waren, im Nu entschieden. Jeder glaubte vom Anderen mehr zu empfangen, als er ihm geben könnte; Mangel und Reichtum auf beiden Seiten umarmten sich einander; so wurde Liebe unter uns. Sie kanns überdauern, seine Seele, ... die ganze Glut der meinigen; nie werden sie einander verzehren."
WIELAND hatte kurz zuvor ein anderes Bekenntnis aus erkaltetem Herzen abgelegt. Er schrieb an JACOBI (6):
    "Ganz gewiß, mein  Jacobi,  sind Sie der beste und wärmste Sterbliche, den ich kenne. Sie empfinden immer sehr richtig; nur manchmal ein wenig zu stark für uns andere, schwächere Geschöpfe. Ihr Zorn verzehrt, und Ihre Liebe - erdrückt. Wenn Sie, Seele von Feuer! ein wenig sanfter  brennen könnten, so würden Sie, wie die wohltätige Sonne, leuchten und erwärmen."
Ein sardonisches Lächeln steht hinter diesen Zeilen, das dem Herzensenthusiasmus JACOBIs eine Kette herber Enttäuschungen prophezeite. Völlig ausgeblieben sind sie nicht. Der neue Bund zu Schutz und Trutz, den JACOBI mit GOETHE geschlossen hatte, war auch zu voreilig geschlossen. Fürs Erste indessen tat er genug. Er reiste und zeitigte den ganzen Segen, den JACOBIs Talente zu geben und zu ernten hatten.

Auf GOETHEs Drängen wurde der "Allwill", von dem einzelne Briefe schon im  Merkur  zum Abdruck gelangt waren, zusammengestellt, ergänzt und vollendet. (7) Ebenso der "Woldemar", der zuerst 1779 mit seinem ersten Teil erschien (8). Inzwischen hatten sich auch die äußeren Umstände seines Lebens wieder glänzend gestaltet. 1776 gelangte er in den vollen Besitz seines Vermögens seiner Frau, und um dieselbe Zeit zog er sich von den Geschäften gänzlich zurück. Doch dauerte die gewünschte Freiheit des unabhängigen Schriftstellers nur kurze Zeit. Sein Amt als Mitglied der Hofkammer hatte JACOBI beibehalten. Eine neue, wohl durchgearbeitete Denkschrift über die bessere Ordnung und Verwaltung der Binnenzölle, deren Vorteile und Ausführbarkeit er mit Geschick und Erfolg vor der Hofkammer und deren Widerspruch verteidigte, verschaffte ihm den Ruf eines genialen Verwaltungsbeamten. Im Jahre 1779 erhielt er zusammen mit seinem Freund, den Herrn von HOMPESCH, einen ehrenvollen Ruf nach München, um dort der geplanten Verbesserung des Zollwesens seinen Rat zu leihen. (9) Er wurde zum Geheimen Rat ernannt und sehr rühmlich empfangen. Aber JACOBI war wohl der Mann der treuen Pflichterfüllung und scharfblickender Einsichten, aber keineswegs von Grund aus der Diplomat, der sich und seine Sache jederzeit so darzustellen versteht, daß er mit dem Vorteil seiner Stellung auch seinen Forderungen Nachdruck zu verschaffen weiß. JACOBI kam, arbeitete, schlug wor, zeigte, was fehlte und was not tat, und war im übrigen nicht dazu zu bringen, sich gegen die rasch aufkeimenden Hofintrigen seiner Neider und Gegner mit Tatkraft, Entschluß und starken Gegendruck zu behaupten und durchzusetzen. Es waren im wesentlichen genau dieselben Verhältnisse, mit denen GOETHE am Anfang in Weimar so schwer zu kämpfen hatte und die dieser doch mit überlegenem Willen meisterte. JACOBI stand ihnen müßig und verzagt gegenüber, und als er sich zuletzt entschloß gege die scheinbaren Sachlichkeiten seiner Gegner ein Wort zu sprechen, tat er es in der denkbar ungeschicktesten Weise. Anstatt sich das Ohr seines Fürsten zu verschaffen, flüchtete er in die Öffentlichkeit und ließ in den "Bayrischen Beiträgen" einen Aufsatz erscheinen, in dem er unter Berufung auf ADAM SMITH die Torheit geißelte, Handel und Verkehr durch Binnenzölle und allerlei Steuerschikanen zu belasten. Damit kompromittierte er seine eigene Regierung; seine mit Mühe durchgesetzten Reformen, in Bezug auf die bäuerlichen Fronden und Abgaben und ihrer Ersetzung durch eine jährliche Pauschalleistung, ergaben für die böswillige Kurzsichtigkeit seiner Feinde nicht rasch genug die vorhergesagten, günstigen Resultate; und damit war über das Schicksal des angehenden Finanzministers entschieden. Er fiel in Ungnade, bemerkte mit empfindlicher Deutlichkeit, daß er überflüssig sei, und ging. Er kehrte nach Pempelfort zurück. Das Jahr darauf wurde ihm die Zulage entzogen, die er bei seiner Ernennung zum Geheimen Rat erhalten hatte. Trotz dieser offenkundigen Kränkung blieb er in seinem Ämtern; und auch LESSINGs Rat vermochte nicht, ihn darin wankend zu machen, die Beschäftigung mit den Angelegenheiten des Staates als eine würdige, und besonders einem Philosophen wohl anstehende Art, seine Interessen zu verteilen, aufzufassen, sowie als eine schickliche Vielseitigkeit, die einen wohltätigen Ausgleich der Kräfte mit sich führt.

Denn JACOBI, als der unermüdliche Arbeiter, der er war, hatte sich mitten in den Schwierigkeiten des Münchner Jahres nicht abhalten lassen, den Ergebnissen der Philosophie in seiner Zeit mit Aufmerksamkeit zu folgen. Kurz nach seiner zweiten Rückkehr in die Heimat nun fand sich der äußere Anlaß, der seinen Entschluß zur Reife brachte, als philosophischer Schriftsteller hinfort das Beste seiner Kräfte und seiner Begabung in den Dienst der Wissenschaften und vor allem der Spekulation zu stellen.

Dieser Anlaß war die Begegnung und die daran sich anschließenden Gespräche mit LESSING. JACOBIs Freundeskreis hatte bis dahin von Jahr zu Jahr zugenommen; es war nun bald an dem, daß kaum ein Mann von literarischer oder philosophischer Bedeutung mehr in Deutschland lebte, mit dem JACOBI nicht in einem persönlichen, brieflichen, direkten oder indirekten Verkehr gestanden hätte. Vor allem waren es HERDER und HAMANN, an denen er voll Begeisterung neue Freunde gefunden glaubte, und durch HAMANNs Vermittlung bahnte sich auch die ersehnte, schriftliche Bekanntschaft mit KANT an.

Bei JACOBI hatte sich aus einem fleißigen Studium der leibnizschen und spinozistischen Philosophie die Überzeugung befestigt, daß in SPINOZA der Vater aller dogmatischen Metaphysik zu sehen sei. Diese Metaphysik widersprach von Grund aus seinem religiös-unmittelbar gestimmten, den Wert des persönlichen Lebens suchenden Bedürfnis. Die Lösung des Problems war für ihn religiös vorausbestimmt. In LESSING nun, dem verehrten Freund und Förderer echter Humanität, fand er einen mehr oder weniger erklärten Spinozisten. JACOBI rang mit ihm; ohne Erfolg. LESSING "wollte sich alles natürlich ausgebeten haben", JACOBI macht ihm seinen religiösen salto mortale vom Begrifflichen zum Unbegrifflich-Göttlichen vor, ohne Beifall und Lust zur Nachahmung bei LESSING zu erregen. Die beiden Männer schieden als Freunde, denn LESSING war ein durchaus gutmütiger und herzensvornehmer Spötter; JACOBI aber hatte aus diesen Gesprächen umso mehr Klarheit und Sicherheit für sich selber davongetragen. LESSING starb.

Als JACOBI vernahm, daß dessen Freund MOSES MENDELSSOHN über LESSING eine Art von Biographie, Nachrichten aus seinem Leben mitzuteilen entschlossen sei, ließ er ihm durch die allen Dreien gemeinsame Freundin, ELISE REIMARUS, MENDELSSOHN mitteilen, daß er imstande sei, wichtiges Material zur Charakteristik des Denkers LESSING beizusteuern. LESSING sei erklärter Spinozist gewesen.

MENDELSSOHN antwortete notgedrungen höflich, ließ aber durchblicken, daß er seinen toten Freund bis zur äußersten Grenze, die ihm die Wahrhaftigkeit gestattete, gegen den Anwurf einer solch entsetzlichen und ruchlosen Gesinnung zu verteidigen entschlossen sei.

JACOBI, der in einer Zeit noch solcher beschämender Vorurteile gegenüber SPINOZA mit naiver Freiheit des Geistes in diesem Denker einen der reinsten, ja heiligsten Menschen verehrte, verstand entweder MENDELSSOHN nicht, oder setzte nun den Eigensinn der rechtschaffenen Überzeugung gegen die verblendete Angst eines Mannes, der das Andenken LESSINGs für geschändet hielt, wenn man ihn einen Spinozisten nannte. (10) MENDELSSOHN, der meinte, "es solle  Lessing  auf solche Weise der Prozeß gemacht werden" (11), unterließ die beabsichtigte Schrift über LESSING, veröffentlichte aber in der Rolle des Anklägers einen Teil seiner Korrespondenz mit JACOBI und zeigte mit dieser Veröffentlichung ebensosehr seine ungenaue Kenntnis der spinozistischen Philosophie, wie auch seine Unfähigkeit, der Meinung JACOBIs über den Wert seiner Gespräche mit LESSING irgendwie gerecht zu werden.

Dies war für JACOBI das Signal. Er sammelte seine Notizen über SPINOZA und noch viele andere Gegenstände, und eröffnete nun, indem für ihn die Angelegenheit mit LESSING mehr und mehr zur Nebensache wurde, in Summa den Krieg gegen die seichte Schulphilosophie der Aufklärer, wie auch gegen ihren ungleich viel größeren Schutzpatron, gegen SPINOZA und seine Erkenntnismetaphysik.

JACOBI war achtundreißig Jahre alt geworden, als er in die Arena des Polemikers herabstieg und sich seine ersten schriftstellerischen Lorbeeren auf dem Gebiet der Wissenschaften erwarb. Freunde und Gegner traten mit Lebhaftigkeit überall auseinander. JACOBI war mit einem Schlag eine geliebte und gehaßte, bewunderte und verhöhnte, erhöhte und verdächtige Persönlichkeit.

Nun waren die Würfel gefallen, ein Aufhalten nicht mehr möglich und auch gar nicht gewollt; JACOBI schritt planmäßig und manchmal auch auf zufälligen Umwegen weiter, und fügte mitten im Kampf und Geschrei seiner Gegner mit sicherer Hand den Bau seines philosophischen Systems. Daß es am Ende doch nicht ganz so ausfiel, wie es JACOBI gewünscht haben mochte, dafür sind die Gründe an anderer Stelle ausführlich angegeben. (12) Hier genügt es, zu erkennen, daß für JACOBIs bewegliches Gemüt die Erschütterungen neuer Einsichten und Blicke in das Wesen dessen, was ihm Wahrheit war, und die lebhaften Bewegungen des geistigen Kampfes und Widerspruchs allzuoft und allzu heftig zusammentrafen, als daß nicht sowohl der Ausdruck, wie auch das Gefüge des Systems von Anfang an viele Verbiegungen und Sprünge hätten aufweisen müssen.

Die Folge der wesentlichen Schriften, an denen JACOBI von da an bis ans Ende seines Lebens arbeitete, aufzuzählen, sei einem anderen Zusammenhang vorbehalten. (13) Es bleibt übrig, den Fortgang und das Ende dieses Lebens zu erzählen.

Pempelfort war der Musensitz. Von Jahr zu Jahr wuchs die Schönheit und wuchs der Ruf des Landsitzes. JACOBI verwandte die größte Sorgfalt auf seine Vervollkommnung durch immer neue und schönere, gärtnerische Anlagen, durch Neu- und Umbauten des Landhauses und nicht zuletzt durch die Versammlung einer immer größeren, immer edleren Geselligkeit in den grenzenlos gastlichen Räumen. Zehn, zwölf und mehr Logiergäste zur gleichen Zeit waren keine Seltenheit, und Liebe, zarteste Rücksicht und Herzlichkeit für jeden einzelnen, der unter diesem Dach wohnte, machte ihnen den Aufenthalt zum Fest, den Abschied allein zum Wiederkommen leicht. Eine Schilderung dieses Lebens eines auf das Höchste kultivierten Kreises vornehmer Menschen verdiente für sich zu bestehen als ein Denkmal des edelsten Deutschtums im 18. Jahrhundert, das französische Grazie mit englischem Anstand verband und allein jenen gemütlichen Herzenston hinzufügte, der den Deutschen dort mit Recht nachgesagt wird, wo sie sich über den Zustand der gesellschaftlichen Barbarei in den Salons erhoben haben. Die ausführliche Schilderung Pempelforts verdiente, als eine Monographie zur deutschen Kultur geschrieben zu werden. - Reichlichen Stoff bieten die zahllosen Briefe, die in Pempelfort aus- und eingingen. Das Staunen wächst gelegentlich zum Unvermögen, zu begreifen, wo JACOBI die Zeit hernahm, im Tag ein Dutzend Briefe zu schreiben, während ein Schwarm von Gästen sich von seinem liebenswürdigen Wirt keine Stunde vernachlässigt fühlte, und wie und wann sich dieser Mann sein sehr achtenswertes Wissen erwarb, da er in tausend und allerlei Geschäften jeden seiner Tage bis auf das Äußerste gefüllt zu Ende lebte.

Aus der Reihe der Intimen war GOETHE ausgeschieden. JACOBIs Schmerz war tief, den geliebtesten Freund seiner Jugend sich mehr und mehr entfremdet zu sehen. Aber er fühlte wohl selber, daß GOETHEs Wege so notwendig waren, wie für ihn selber die seinigen, und die Freunde verstummten voreineinander ohne Klage. GOETHE auf seiner Seite half sich wohl mit einiger Ironie über den unverbesserlich weichen Schwärmer und mit einiger Abneigung gegen den gelegentlichen Rückfall JACOBIs in die pietistische, ein wenig einseitig betonte Religiosität über die Wallungen seines Herzens hinweg.

JACOBIs Selbstbewußtsein und Meinung von sich selber und seinem Wert waren kräft genug geworden, um mit einer Mißbilligung, der die Haltung nicht fehlte, auf GOETHEs Leben und poetische Lehren zu schauen, von welchen beiden der gesellschaftliche Klatsch ihm manches übertriebene oder verzerrte Gerücht zugebracht haben mag. Kurz, das Leben hatte getrennt, was die Glut der Jünglingsbegeisterung fürs Leben zusammengeschmiedet haben sollte.

Und dann fiel der erste, schwere Schatten in das Idyll von Pempelfort: BETTY starb im Jahre 1784, im zwanzigsten Jahr einer ungemein glücklichen und gesegneten Ehe. Die Seele des geselligen Kreises, die Freude von Pempelfort war tot.

Nach schweren Tagen schrieb JACOBI zuerst an HAMANN über den Tod seiner Frau. In diesem Brief stehen die Worte:
    "Ich hatte zwanzig Jahre, und von meinem einundzwanzigsten Jahr an mit ihr gelebt, und nie erblickt, was ihr an Reinheit des Herzens und Größe der Seele, an Liebe, Treue und himmlischem Wohltun gleich war." (14)
Gute Kinder, die sie ihm hinterlassen, und bald auch muntere Enkel gaben ihm allmählich Trost und Lebensfreude zurück. Immerhin waren die besten Tage vorüber. Es mehrten sich die Anwandlungen eines Leidens, das sich schon in den Hypochondrien seiner Knabenjahre vorbereitet hatte. Nervöse Depressionen, die sich bis zur gänzlichen Mutlosigkeit zu steigern vermochten, verbunden mit heftigem Kopfschmerz und allgemeinen nervösen Störungen der Verdauungsorgane verbitterten ihm manche Stunde, die der Arbeit oder den Freunden gehören sollte; und in den schlimmsten Fällen dieser Krankheit hielt ihn in der Tat nur die Zuversicht seiner philosophisch-religiösen Überzeugungen aufrecht. Dazu kam mit dem Anfang der neunziger Jahre von Westen das rote Gespenst der Revolution, das die Rheingrenze vor allem bedrohte. JACOBI gehörte zu den wenigen Führern der Humanität in dieser Zeit, die von Anfang an in der französischen Volksbewegung nicht das Heil, sondern das Unheil Europas voraussahen. Er war, im Gegensatz zu den idealistischen Schwärmern, in diesem Fall Politiker und nüchterner Beobachter genug, um zu erkennen, daß von der Revolution der Advokaten keine Beruhigung und friedliche Erneuerung des Erdballs zu erwarten stand. Im Jahre 1794 endlich wurde die Gefahr unmittelbar und drohend. Die Sanskulotten marschierten an den Rhein. JACOBI verließ mit den Seinen schweren Herzens sein geliebtes Pempelfort und folgte der Einladung seiner Freunde in Holstein und Hamburg, bei ihnen die weitere Entwicklung der politischen Ereignisse abzuwarten.

Von da an begann der nun Fünfzigjährige ein seltsames Wanderleben, das ganz seiner Neigung, sich von den Dingen treiben zu lassen, entsprach. Zu einer Zeit, in der die Verhältnisse unruhig wurden, war auch aus dem auf seiner Scholle scheinbar festgewurzelten Gutsbesitzer ein unsteter Gast geworden. Nichts ist für ihn bezeichnender, als daß es ziemlich genau bis dahin dauerte, wo NAPOLEONs Imperium die Dinge und Zustände wieder einigermaßen befestigte, daß auch JACOBI wieder zu der früheren Lebensweise zurückkehrte und sich für den Rest seines Lebens ein neues Heim gründete. So sehr war JACOBI ein Blatt im Wind, daß er unruhig wurde, sobald er anhub, planlos umhergetrieben wurde, solange er blies, und ruhte, sobald er zu blasen aufhörte.

Zehn Jahre lang lebte JACOBI nun auf den Gütern und in den Häusern seiner Freunde in Wandsbek, Hamburg und Eutin; pflegte, so gut es sich machen ließ, den alten Verkehr, verlor diesen, gewann jenen neuen Freund und verbrachte seine übrige Zeit in den gewohnten Beschäftigungen. Ein Augenübel, das zu seinem nervösen Leiden hinzutrat, machte diese Jahre noch unerquicklicher für ihn, als sie ohnedies schon waren. Auch seine Freunde hatten nun manchmal Gelegenheit, für frühere, weitherzigste Gastlichkeit in Pempelfort den Dank abzutragen. Endlich, da die Kriegsgefahr von den nordwestlichen Teilen Deutschlands gänzlich fern zu bleiben schien, fing JACOBI an, sich in Eutin zu einem dauernden Wohnen einzurichten.

Da trafen neue Schläge sein zunehmendes Alter. JACOBI hatte ein sorgenfreies, ja mit sehr reichlichen Mitteln ausgestattetes Leben bis zu dieser Zeit als eine süße Gewohnheit gekostet. Sein Schwager hatte seinerzeit JACOBIs Vermögen in Verwaltung genommen und es in seinen geschäftlichen Unternehmungen sehr gewinnbringend angelegt.

Dieser Schwager war ein ausgezeichneter Kaufmann und JACOBI, der selber nicht ohne gutes Urteil in diesen Dingen war, vertraute ihm bedingungslos sein Vermögen an. Solange nun der vortreffliche Geschäftsmann lebte, ging alles gut und JACOBIs Zinsen flossen reichlich.

Plötzlich starb der Schwager, unter dessen Augen alle diese Unternehmungen geglückt waren. Sofort zeigte sich der Rückgang in den Geschäften; und da JACOBIs Geld für diesen Fall allzusehr festgelegt war, konnte er nicht vermeiden, daß mit dem Ruin der Firma zwei Drittel seines Vermögens in Rauch aufgingen. Auf seine alten Tage stand JACOBI also, wenn nicht vor der Armut, so doch vor dem Zwang, mancher gemächlichen Gewohnheit zu entsagen. JACOBIs Glücksstern, der immer dann aufzuleuchten pflegte, wenn die Not es erforderte, verließ ihn auch diesmal nicht.

Zu gleicher Zeit, als sich der Zusammenbruch seines Vermögens enthüllte, erhielt er aus München, zum zweitenmal in seinem Leben, eine glänzende Berufung. Seine dortigen Freunde hatten in der Stille mit großem Eifer seine Berufung an die neugegründete Akademie der Wissenschaften betrieben. Unter glänzenden Bedingungen und ehrenvollen Auszeichnungen bot ihm der Kurfürst MAXIMILIAM die Würde des Präsidenten der Akademie an.

JACOBI, der in seinem einundsechzigsten Jahr nur geringe Lust hatte, sich noch einmal in die Unruhe und Lasten der großen Welt zu schicken, nahm trotzdem an, denn das Gehalt von 5000 Gulden versprach ihm ein sorgenloses Alter.

Aber auch diesmal fand es sich, daß, was mit so großer Ehre und mit so hohen Erwartungen begann, nicht lange dauern sollte; vorzüglich wieder durch JACOBIs eigene Schuld, der nun einmal bei aller Gewandtheit und Sicherheit, ganz und gar die Gabe entbehrte, sich die Stellung zu  erwerben,  die er besaß. Die Hofintrigen begannen von vorne, und JACOBI stand ihnen ratloser und müder gegenüber, als ehedem. Er bedurfte der Ruhe, und sollte kämpfen. Er nahm nach seiner Art einen Anlauf, hielt, anstatt unter der Hand, wie seine Widersacher, seine Sache direkt zu fördern, eine öffentliche Rede in der Akademie, hinter der aber keine Truppen der Energie und Kampfbereitschaft standen, und bemerkte selber, daß den Forderungen und Zielen, die er wies, alle Unterlagen zum gegebenen Zeitpunkt fehlten. Der passive Lebenskünstler versagte gegenüber den aktiven Widerständen des Lebens; der scharfsinnige Theoretiker erlag den Aufgaben der positiven Politik.

Seine Freunde waren enttäuscht, er selber entmutigt und ohne alle Lust zu neuen Versuchen, das erzwingen zu wollen, was man doch angeblich von ihm gewünscht hatte, als man ihn rief, und wozu das Zeug allerdings in ihm saß: Organisation und Reformen.

In seinem siebzigsten Jahr bat er um seinen Abschied. Sein inzwischen zum König aufgestiegener Herr, MAXIMILIAN I. JOSEPH, bewies dieses Mal eine vornehmere Gesinnung, als sein Vorgänger KARL THEODOR und beließ JACOBI im Genuß seines vollen Gehalts, als Pension.

So waren die letzten Jahre sorgenfrei. Diese letzten Jahre konnten sich trotzdem in nichts mehr vergleichen mit der schönsten Zeit seines Lebens in Pempelfort. JACOBI kostete all die Leiden des Mannes, der sich selber zu alt geworden ist. Die Freunde der Jugend waren fast alle tot. Die Gegenwart in Politik und Geistesleben verstand er nicht mehr und sie verstand ihn nicht mehr; schlimmer: sie hatte ihn so gut, wie ganz vergessen. Kinder und Enkel waren fern; zwei alternde Schwestern führten ein stilles, ja einsames Leben, sobald JACOBIs altes Leiden, das keineswegs nachgelassen, sich vielmehr verschärft hatte, ihm jede Geselligkeit unmöglich machte. Trotzdem blieb er im Großen und Ganzen aufrecht und in guten, nicht allzu seltenen Stunden selbst heiter, jugendlich bewegt und so begeistert, wie je. Eine große Freude seines ausgehenden Lebens war die wehmütige Erneuerung seiner Freundschaft mit GOETHE durch einen kurzen Briefwechsel, in dem ihm der, nun auch durch viele Erfahrungen gegangene, Kollege in Weimar seine alte Liebe für den treuen FRITZ gestand. Für JACOBIs weiches Herz war dieses Bekenntnis köstlich und ein Reichtum seines Alters. Wenige, ergebene Schüler und Freunde belebten ihm zur guten Stunde das Haus. Vor allem FRIEDRICH KÖPPEN, der Siegelbewahrer seiner Lehre und Herausgeber seiner gesammelten Werke. Diese Sammlung seiner Lebensarbeit war JACOBIs letztes Anliegen, das er mit großer Sorgfalt und jugendlichem Eifer betrieb. Er erlebte noch das Zustandekommen der ersten drei Bände, zu denen er mit dem alten Feuer der Beredsamkeit die Vorworte schrieb, letzte, zum Teil prächtige Abrechnungen mit Freunden und Feinden.

Dann starb er am 10. März 1819, im gleichen Monat, der dreizehn Jahre später seinem ihm trotz allem so seltsam ähnlichen Freund GOETHE den Tod brachte.

Sein Tod berührte das größere Deutschland kaum mit einer stärkeren Erinnerung. Wenige wußten, daß der Mann gestorben war, der, als einer der frühesten Wächter der neuen Zeit, beim ersten Morgenrot am lautesten ins Horn gestoßen hatte; der Mann, dessen Geist in allen Wirkungen dieser neuen, veränderten Epoche des geistigen Lebens lebendig war;  der erste, deutsche Romantiker;  mehr als das:  der erste, ernsthafte und gründliche Verkünder und Vorkämpfer des modernen Individualismus,  dessen Wesen er darum nicht weniger tief verstand, als viele, überkluge Leute nach ihm, weil er ihn  ethisch  nahm, und weil er ihn  religionsphilosophisch  begründet wissen wollte.

JACOBI und sein Geist ist am heutigen Tag alles andere mehr, als tot. Er ist genauso lebendig, wie GOETHE. Und dies nicht ohne Zusammenhänge und tiefere Bedeutung.
LITERATUR: Friedrich Alfred Schmid-Noerr, Friedrich Heinrich Jacobi, Heidelberg 1908
    Anmerkungen
    1) Sämtliche Werke, Bd. IV, Abteilung I, Seite 48; vgl. dazu ebd. Abteilung II, Seite 67f.
    2) vgl. Sämtliche Werke, Bd. II, Seite 179f.
    3) Vgl. dazu JACOBIs Aufsatz "Über Recht und Gewalt". Ein Fragment, das im November 1777 im  Deutschen Merkur  so verstümmelt zum Abdruck kam, daß JACOBI, erzürnt, das Material zur Fortsetzung verweigerte. (Sämtliche Werke, Bd. VI, Seite 419f)
    4) JACOBIs Briefwechsel, Bd. I, Seite 174.
    5) Briefwechsel, a. a. O., Seite 179
    6) Briefwechsel, a. a. O., Seite 165f.
    7) Zuerst: Kunstgarten. Ein philosophisches Gespräch; und Eduard Allwills Papiere. Bd. I der "Vermischten Schriften" aus dem Jahr 1781.
    8) Woldemar, Eine Seltenheit aus der Naturgeschichte, Bd. I, Flensburg und Leipzig 1779.
    9) Unter dem Kurfürsten KARL THEODOR war eine vollkommene Zerrüttung der Finanzen bei total korrumpiertem Zustand des Beamtentums und der Regierung eingetreten.
    10) Derselbe MENDELSSOHN urteilte über GOETHEs Prometheus, den JACOBI aus Anlaß jener Gespräche LESSING, ohne den Verfasser zu nennen, vorgelegt, und den LESSING als ein gutes Gedicht befunden hatte, folgendermaßen: "Jacobi ... läßt ihn (Lessing) schlechte Verse, von abenteuerlichem Inhalt, eine wahre Armseligkeit, gut finden, so daß man durchaus seinen Scharfsinn und seine Laune, seine Philosophie und seine Kritik verkennt." (!) Ein Beispiel vom Geist jener Art von Aufklärung, statt vieler.
    11) Sämtliche Werke, Bd. VI, Abt. II. Seite 183.
    12) Vgl. 1. Jacobi und Kant im dritten Teil, erstes Kapitel, zweiter Abschnitt dieser Monographie.
    13) Vgl. den III. Teil, Kapitel 1
    14) JACOBI an HAMANN, 18. Oktober 1784. Vgl. Sämtliche Werke, Bd. I, Seite 375 bis 377.