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WLADIMIR von BECHTEREW
Die Bedeutung der Suggestion
im sozialen Leben

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"Auf der Straße, auf dem Trottoir an einem großen Platz bleibt ein Händler stehen und gibt einen ganzen Strom Geschwätz von sich, schmeichelt dem Publikum und preist seine Ware an. Die Passanten sind neugierig geworden, sie bleiben stehen. Alsbald wird unser Held zum Mittelpunkt der Menge, die stumpf die Wunderdinge anstarrt, welche ihr feilgeboten werden. Nach einigen Minuten beginnt man schon die Sachen zu kaufen, die der Händler den Leuten als schön und billig suggeriert hat."

V o r w o r t

Suggestion, ursprünglich als hypnotische oder posthypnotische Suggestion in den Kreis spezialärztlicher Tätigkeit eingeführt, ist gegenwärtig mit dem Fortschreiten der Erkenntnis zu einer umfassenderen Bedeutung gelangt. Suggestionswirkungen sind nämlich keineswegs mit Notwendigkeit an besondere Zustände der Seelentätigkeit, die man als Hypnose bezeichnet hat, gebunden. Es sind vielmehr mit Sicherheit viele Fälle nachgewiesen, wo Suggestionen bei vollem Wachzustand zur Verwirklichung kommen.

Noch mehr. Suggestion im weiteren Sinn erscheint als eines der Mittel persönlicher Beeinflussung unter Verhältnissen des Alltagslebens.

So gestaltet sich Suggestion zu einem bedeutungsvollen Element unseres gesellschaftlichen Lebens, das als solches nicht bloß die Aufmerksamkeit des Arztes anregt, sondern auch aller derjenigen, die die Bedingungen des sozialen Lebens und seine Gesetze aufzuhellen bemüht sind.

Wir haben es hier jedenfalls mit einer jener Seiten der Sozialpsychologie zu tun, die sich dem Forscher als weites, wenig bearbeitetes Feld der Untersuchung darbietet.


I.
Ansichten über das Wesen der Suggestion

Dem Contagium vivum [belebter Ansteckungsstoff - wp] körperlicher Infektionen, dessen Natur und Wirkungen immer deutlicher aus den Forschungen hervorleuchten, steht ein "Contagium psychicum" [psychischer Ansteckungsstoff - wp] gegenüber, das sich zwar jeder grob-sinnlichen Betrachtung entzieht, aber wie jener durch die Gefahr unmittelbarer Infektion den menschlichen Organismus bedroht.

Wie die physischen Ansteckungskeime gern Massenwirkungen entfalten und über den Einzelnen hinaus ganzen Bevölkerungsgruppen verderblich werden können, so erscheinen auch psychische Kontagien überallhin wirksam und geneigt, durch Worte oder Gesten übertragen, durch Bücher und Zeitungen verbreitet zu werden. Psychische "Mikroben" sind allerorts und unter allen Verhältnissen entwicklungsfähig und wo immer wir uns befinden mögen, ist die Gefahr einer psychischen Infektion vorhanden.

Daraus ergibt sich ohne weiteres die Bedeutung des Problems der Suggestion und Psychoinfektion für das Individuum und nicht minder für die Menschheit und ihre sozialen Gruppierungen.

Was heißt Suggestion?

Die Frage nach dem Wesen des Begriffs  Suggestion  gehört zu den wichtigsten Problemen der Psychologie. Sie hat besonders durch das Studium des Hypnotismus in letzterer Zeit eine hervorragende praktische Bedeutung erlangt, obwohl gegenwärtig feststeht, daß Suggestion im allgemeinen eine unvergleichlich größere Tragweite hat, als die eigentliche hypnotische Suggestion, da sie sich auch im Wachzustand äußert und im gesellschaftlichen Leben überall und allezeit unter den verschiedenartigsten Verhältnissen hervortritt.

Aber trotz der großen praktischen Bedeutung der Suggestion ist ihre psychologische Natur bisher noch außerordentlich wenig erforscht.

Der Ausdruck Suggestion hatte noch bis vor kurzer Zeit keine eigentliche wissenschaftliche Bedeutung und wurde nur im gewöhnlichen Leben hauptsächlich dazu gebraucht, um irgendwelche "Eingebungen" von Person zu Person zu bezeichnen. Eine spezielle wissenschaftliche Bedeutung erhielt das Wort erst in neuerer Zeit, als die Erfahrungen über die Vorgänge des sogenannten psychischen Rapports an Umfang zunahmen. Jedoch blieb immer noch eine gewisse Willkür in der Anwendung des Wortes bestehen, das man vielfach auf Dinge bezog, zu denen es nicht gehörte oder auch zur Bemäntelung unklarer Tatsachen zu benutzen suchte.

Diesen Mißbrauch mit dem Wort hat in die zum Gebiet der Suggestion gehörenden psychologischen Erscheinungen viel Wirrwarr gebracht und wir müssen daher vor allen Dingen auf eine Definition und genaue Umgrenzung des Begriffs Bedacht nehmen.

Der Begriff "Suggestion" ist schon von vielen Autoren bestimmt worden. Wenden wir uns zur Literatur des Gegenstandes, so finden wir die allerverschiedensten Definitionen des Wortes Suggestion.

Nach LEFÉVRE (Les phénoménes de suggestion, Paris 1903, Seite 101) bestehen die Erscheinungen der Suggestion und Autosuggestion in Assimilation von Gedanken und überhaupt irgendwelchen Ideen, die unmotiviert und zufällig auftreten und in ihrer schnellen Umsetzung in Bewegungen, Empfindungen oder Hemmungen.

LIÉBAULT versteht unter Suggestion ein durch Worte oder Gesten beim Hypnotiker bewirktes Auslösen einer Vorstellung, in deren Gefolge bestimmte physische und psychische Erscheinungen auftreten.

Nach BERNHEIM ist Suggestion eine Einwirkung, bei welcher eine Vorstellung in das Gehirn eingeführt und dort aufgenommen wird.

LÖWENFELD (Der Hypnotismus) versteht unter Suggestion eine Vorstellung von psychischer oder psychophysischer Art, die durch ihr Auftreten eine ungewöhnliche Wirkung entfaltet, als Folge von Beschränkung oder Unterdrückung der Assoziationstätigkeiten. Dieser Autor führt auch eine Reihe von Definitionen anderer Autoren auf. Wir nennen hier nur die wesentlichsten:

FOREL versteht unter Suggestion Hervorrufung einer derartigen dynamischen Veränderung des Nervensystems, bei welcher die Vorstellung erwacht, daß diese Veränderung eintrat, eintritt oder eintreten wird.

MOLL liefert eine analoge Definition. Nach ihm ist Suggestion der Fall, wenn eine Wirkung dadurch bedingt wird, daß man die Vorstellung ihres Eintretens erweckt.

Nach WUNDT ist Suggestion eine Assoziation mit nebenhergehender Einengung des Bewußtseins in Bezug auf Vorstellungen, die, indem sie entstehen, die Entwicklung entgegengesetzter Assoziationen verhindern.

Nach SCHRENCK-NOTZING äußert sich Suggestion als Beschränkung der Assoziationstätigkeit in Bezug auf einen bestimmten Bewußtseinsinhalt.

Nach BINET ist Suggestion ein moralischer Druck, den eine Person auf eine zweite ausübt durch Vermittlung von Intellekt, Energie und Willen.

VINCENT sagt: Unter Suggestion verstehen wir gewöhnlich einen Rat oder Befehl; im Zustand der Hypnose dagegen ist Suggestion ein Eindruck auf die Psyche, der eine unmittelbare Anpassung des Gehirns und alles von ihm Abhängigen hervorruft.

HIRSCHLAFF will unter Suggestion verstanden wissen seitens des Hypnotisierenden: eine Behauptung, die unmotiviert ist und der Wirklichkeit nicht entspricht, seitens des Hypnotisierten Verwirklichung dieser Behauptung.

Von den erwähnten Definitionen, die sämtlich mehr oder weniger einseitig, sich widersprechend und ungenau sind, erscheint besonders die letzte außerordentlich eng und LÖWENFELD wendet sich mit Recht dagegen; denn man müßte dabei nicht nur alle therapeutischen Suggestionen ausschließen, die nach HIRSCHLAFF nicht als Suggestionen, sondern als Ratschläge, Hoffnungen und dgl. zu betrachten wären, sondern auch eine ganze Reihe von Erscheinungen, die unter dem Namen Kontrasuggestionen bekannt sind, müßten aus dem Gebiet der Suggestion eliminiert werden, da sie mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung stehen. Wie unbestimmt ist überhaupt schon der Begriff "der Wirklichkeit nicht entsprechend". Einem Schlafenden wird in Hypnose z. B. suggeriert, er soll nach dem Erwachen eine Zigarette vom Tisch nehmen und sie anzünden und er erfüllt diese Suggestion unweigerlich. Was widerspricht denn hier so sehr der Wirklichkeit? und doch ist unbestreitbar, daß wir hier eine Suggestion vor uns haben, wie in vielen anderen Fällen auch.

Noch weitere Definitionen anzuführen wäre überflüssig und nutzlos, denn schon aus dem bisherigen geht deutlich genug hervor, wieviel Verwirrung, Unklarheiten und Unbestimmtheiten man in den Begriff Suggestion eingeführt hat.

Sehr charakteristisch äußert sich darüber B. SYDIS in der Einführung seines Buches "Psychologie der Suggestion": "Die Psychologen gebrauchen den Ausdruck Suggestion so verworren, daß der Leser über die wahre Bedeutung des Wortes oft im Unklaren bleibt. Es werden damit manchmal Fälle bezeichnet, wenn die eine Idee eine andere nach sich zieht; dabei werden Suggestion und Assoziation miteinander identifiziert. Einige fassen den Begriff der Suggestion so weit, daß sie jeden Einfluß eines Menschen auf seinen Nebenmenschen damit in Zusammenhang bringen. Andere beschränken Suggestion und Suggestibilität auf die einfachen Symptome der hysterischen Neurose, wie das bei den Anhängern der Salpétriére der Fall ist. Die Schule von Nancy nennt Suggestion eine Ursache, welche jenem besonderen Geisteszustand hervorruft, bei dem die Erscheinungen der Suggerierbarkeit stark in den Vordergrund treten.

Dieser Zustand der Suggestionsfrage führt, wie B. SYDIS bemerkt, selbstverständlich zu jenen außerordentlichen Verwirrungen auf dem Gebiet der psychologischen Untersuchungen über Suggestion, von denen schon vorhin die Rede war. Indem SYDIS den Begriff Suggestion an Beispielen erläutert, verweilt er u. a. bei der Definition BALDWINs (1), wonach Suggestion als eine große Klasse von Erscheinungen zu verstehen ist, als deren Typus sich darstellt ein von außen her sich vollziehendes Eindringen einer Idee oder eines Bildes in das Bewußtsein, wobei die Idee oder das Bild zu einem Teil des Gedankenstromes wird und die Neigung aufweist, seine gewöhnlichen Folgen, nämlich Muskel- und Willensanstrengungen hervorzurufen. B. SYDIS hält die Definition für unzureichend; er findet in der Suggestion noch andere, wichtigere Züge, die darin bestehen, daß die Suggestion vom Subjekt  ohne Kritik  aufgenommen und von ihm fast  automatisch  ausgeführt wird.

Aber unabhängig davon gibt es nach B. SYDIS in der Suggestion noch ein weiteres Element, ohne das jede Definition unvollständig erscheint. "Dieses Element oder dieser Faktor ist Überwindung oder Umgehung des Widerstandes des Subjekts." Die suggerierte Idee kommt gewaltsam in den Bewußtseinsstrom; sie erscheint dort als etwas Fremdes, als ein unwillkommener Gast, als Parasit, von dem das Bewußtsein sich zu befreien sucht. Der Bewußtseinsstrom des Individuums ringt mit den suggerierten Ideen, wie der Organismus mit Bakterien, die ihn aus dem Gleichgewicht bringen wollen. Dieses Element des Widerstandes hatte Dr. J. GROSSMANN im Sinn, als er Suggestion definierte als einen Prozeß, bei welchem irgendeine Vorstellung sich dem Gehirn aufdrängen will. (2)

B. SYDIS kommt schließlich zu folgender Begriffsbestimmung der Suggestion: "Suggestion ist Eindringen irgendeiner Idee in den Geist, wobei sie unter geringerem oder stärkerem Widerstand seitens des Individuums schließlich ohne Kritik aufgenommen wird und ohne Überlegung fast automatisch zur Ausführung gelangt."

In dieser Fassung steht die Definition von SYDIS recht nahe einer früher (3) von mir gegebenen Bestimmung des Suggestionsbegriffs, doch kann auch sie nicht als ganz ausreichend bezeichnet werden.

Vor allem stößt Suggestion bei weitem nicht immer auf Widerstand beim Suggerierten. Dies kommt am häufigsten zur Beobachtung bei jenen hypnotischen Suggestionen, die die moralische Seite des Individuums berühren oder im Widerspruch stehen mit dem gewohnten Verhalten des betreffenden Individuums zu jenen Erscheinungen, die im gegebenen Fall Gegenstand der Suggestionen sind. In den meisten anderen Fällen gelangt die Suggestion zur Psyche, ohne jeden Widerstand seitens des Suggerierten, nicht selten dringt sie in seine Psyche ganz unbemerkt ein, trotzdem die Wirkung im Wachzustand vor sich geht.

Daß dem so ist, beweist ein Beispiel, welches B. SYDIS selbst aus OCHOROWITZs "Über Gedankensuggestion" anführt:
    "Mein Freund P., ein ebenso zerstreuter wie scharfsinniger Mensch, spielte im Nebenzimmer Schach und wir übrigen unterhielten uns an der Tür. Ich hatte bemerkt, daß mein Freund, wenn er in das Spiel ganz vertieft war, die Angewohnheit hatte, eine Arie aus "Madame Angot" zu pfeifen. Ich wollte ihm schon durch Trommeln auf dem Tisch akkompagnieren: aber dieses Mal begann er den Marsch aus dem "Propheten" zu pfeifen.

    Hört, wandte ich mich zu meinem Freund, wir wollen mit P. einen Scherz machen und ihm in Gedanken befehlen, vom "Propheten" auf "La fille de Madame Angot" überzugehen.

    Ich trommelte nun zuerst den Marsch und ging dann mit einigen beiden Stücken gemeinsamen Noten unverzüglich in die schnellere Taktart des Lieblingsstückes meines Freundes über. Da ändert P. plötzlich die Melodie und pfiff "Madame Angot". Alles lachte. Mein Freund war allzu sehr in sein Spiel vertieft, um etwas zu merken. "Jetzt noch einmal", sagte ich, "und wieder den Propheten." Sofort hörten wir wieder MEYERBEERs berühmte Fuge. Mein Freund wußte nur soviel, daß er irgendetwas gepfiffen hatte."
Es ist ohne weiteres klar, daß hier eine eigentliche Gedankensuggestion nicht vorlag, sondern eine Gehörssuggestion, die in die Psyche gelangt war, ohne daß der Betreffende etwas davon merkte und ohne daß er irgendeinen Widerstand dabei leistete.

So ist es auch in anderen Fällen. Hier ein weiteres Beispiel aus B. SYDIS:
    "Ich habe eine Zeitung in der Hand und fange an, sie zusammenzurollen; bald darauf sehe ich, daß mein Freund, der mir gegenüber sitzt, im Begriff steht, seine Zeitung ebenfalls zusammenzurollen. Wir würden sagen: Das ist ein Fall von Suggestion."
Man könnte noch viele ähnliche Fälle anführen, wo eine Suggestion in die Psyche eindringt, ohne daß das betreffende Individuum etwas davon merkt oder sich dagegen auflehnt.

Man darf überhaupt sagen, daß Suggestionen wenigstens im Wachzustand weitaus am häufigsten gerade auf so unmerkliche Weise in die Psyche gelangen und jedenfalls ohne besonderen Kampf und Widerstand seitens der "suggerierten" Person. Darauf gründet sich auch ihre Wirksamkeit als sozialer Faktor. Nehmen wir ein Beispiel aus B. SYDIS:
    "Auf der Straße, auf dem Trottoir an einem großen Platz bleibt ein Händler stehen und gibt einen ganzen Strom Geschwätz von sich, schmeichelt dem Publikum und preist seine Ware an. Die Passanten sind neugierig geworden, sie bleiben stehen. Alsbald wird unser Held zum Mittelpunkt der Menge, die stumpf die Wunderdinge anstarrt, welche ihr feilgeboten werden. Nach einigen Minuten beginnt man schon die Sachen zu kaufen, die der Händler den Leuten als schön und billig suggeriert hat."

    "Ein Straßenredner besteigt ein Holzscheit oder einen Wagen und beginnt vor der Menge zu reden. Auf ganz grobe Weise rühmt er den großen Verstand und die Ehrlichkeit des Volkes, den Ruhm der Bürger und gibt geschickt seinen Zuhörern zu verstehen, daß so begabte Leute deutlich einsehen müßten, wie das Blühen des Landes von der Politik abhängt, die er billigt, von der Partei, als deren oberster Vorkämpfer er erscheint. Seine Beweise sind unsinnig, seine Beweggründe verächtlich und doch reißt er die Menge in der Regel hin, es sei denn, daß irgendein anderer Redner auftaucht und sie nach einer anderen Richtung fortreißt. ANTONIUS Rede in "Julius Cäsar" ist ein vorzügliches Beispiel von Suggestion."
In allen diesen Fällen wäre es offenbar nie zu einer suggestiven Wirkung gekommen, wenn allgemein  bemerkt  worden wäre, daß der Händler seine Sachen über Gebühr anpries, daß der Straßenredner die Macht seiner Partei übertrieb und ihre Verdienste in lächerlicher Weise hervorhob. Wer das Unsinnige und Lügenhafte solcher Versicherungen kennt, kehr derartigen Rednern ohne weiteres den Rücken und um sie herum bleibt dann nur eine vertrauensselige Menge, die ohne Verständnis, auf grobe Schmeicheleien und lügenhafte Versicherungen hin sich suggestiven Einflüssen ohne weiteres preisgibt.

Die Suggestivwirkung weist demnach, wenigstens in den angeführten Fällen, nichts "Gewaltsames" auf, nichts, was überwunden werden müßte, auch nichts, wovon das Bewußtsein des Subjekts sich "zu befreien brauchte".

Alles geht auf ganz gewöhnliche, natürliche Weise vor sich und doch ist es eine wirkliche Suggestion, die sich in die Seele schleicht wie ein Dieb und dort verhängnisvolle Folgen nach sich zieht.

Es bedarf natürlich nicht erst des Beweises, daß Suggestion in einzelnen Fällen tatsächlich auf Widerstand beim betreffenden Individuum stößt und doch gelangt sie wie ein Parasit, nach einem gewissen Kampf und auf fast gewaltsame Weise in sein Bewußtsein.

Ein gutes Beispiel von Suggestion mit Widerstand bietet OTHELLO. Er widersteht anfangs einigermaßen JAGOs Suggestionen, gibt späterhin allmählich nach, sowie in seiner Seele das "Gift der Eifersucht" seine verheerende Arbeit zu tun beginnt. Auch einige hypnotische Suggestionen begegnen zuweilen einem gewissen Widerstand seitens des Hypnotisierten. Am häufigsten ist das der Fall bei Leuten, denen etwas suggeriert werden soll, was mit ihren moralischen Grundsätzen im Widerspruch steht. Einige französische Autoren glauben bekanntlich aus dem Widerstand gegen moralwidrige Suggestionen auf die moralische Höhe des betreffenden Individuums schließen zu können.

Es ist klar, daß selbst in Hypose die Persönlichkeit meist nicht ganz zurücktritt und jeder überzeugungswidrigen Suggestion mehr oder weniger Widerstand leistet.

Indessen liegt im Widerstand von Seiten des Individuums nichts, was notwendig zur Suggestion gehörte oder gar dafür charakteristisch wäre, denn zahlreiche Suggestionen gelangen ohne den geringsten Widerstand in die Psyche. Ich erkläre einem, der sich im Wachzustand befindet, daß seine Hand sich zur Faust ballt, daß sein Arm Krämpfe bekommt und sich schulterwärts hinaufstreckt und die Suggestion geht augenblicklich in Erfüllung. Einem anderen sage ich, daß er nicht mit der Hand anfassen kann, daß sie ihm gelähmt ist: von dem Moment an hat er wirklich den Gebrauch der Hand verloren und das dauert so lange, bis ich dem Betreffenden sage, daß er seinen Arm wieder wie früher gebrauchen kann. Weder inm einen, noch im anderen Fall findet sich auch nur ein Schatten von Widerstand und ebensowenig läßt sich ein solcher in vielen anderen ähnlichen Fällen nachweisen.

Ick kann deshalb B. SYDIS nicht Recht geben, wenn er sagt, der Widerstand ist ein  Grundzug  der Suggestion, der Bewußtseinsstrom des Individuums steht im Kampf mit den zu suggerierenden Ideen, wie der Körper mit Bakterien, die ihn aus dem Gleichgewicht bringen wollen. Weder Kampf noch Widerstand gehört notwendig zur Suggestion, also gehört das Widerstandsmoment auch nicht in die Definition des Suggestionsbegriffs hinein.

Man darf auch nicht glauben, daß Suggestion keine Kritik duldet. Denn wo es einen Widerstand gegen Suggestion gibt, da beruth er doch auf Kritik, auf Bewußtsein des inneren Widerspruchs zwischen der suggerierten Idee und den Überzeugungen des betreffenden Individuums, auf der Empfindung fehlender Übereinstimmung mit seinem "Ich", wenn dieses "Ich" nicht ganz wegfiel. Denn sonst käme es zu keinem Widerstand. Es ist klar, daß Suggestion in gewissen Fällen selbst Kritik nicht ausschließt und doch nicht aufhört, Suggestion zu sein. Dies ist gewöhnlich in leichten Hypnosezuständen zu bemerken, wenn das Individuum, das noch nicht völlig eliminierte "Ich" noch Kritik übt an der Umgebung und an dem, was ihm suggeriert wird.

Ich suggeriere jemandem in Hypnose, er soll nach dem Erwachen eine Fotografie, die er auf dem Tisch finden wird, holen. Er erwacht, sucht sofort nach dem Tisch und heftet seinen Blick auf den bestimmten Punkt. "Sehen Sie etwas?" frage ich ihn. "Ja, die Fotografie." Ich nehme Abschied, bereite mich zum Fortgehen, er betrachtet noch imer den Tisch. "Sollten Sie nicht etwas tun?" frage ich. "Ich wollte diese Fotografie nehmen, aber ich brauche sie nicht" antwortet er und geht fort, ohne die Suggstion erfüllt zu haben und offenbar dagegen ankämpfend.

Ein sehr gutes Beispiel dieser Art findet man auch bei B. SYDIS. Jemand bekommt in leichter Hypnose die Suggestion, er werde auf ein Klopfen hin eine Zigarette nehmen und sie anzünden. Nach dem Erwachen ist ihm alles erinnerlich. Ich klopfe schnell einige mal. Er steht auf, setzt sich aber gleich wieder und sagt lachend: "Nein, das tue ich nicht." - "Was tun Sie nicht?" frage ich. "Ich werde die Zigarette nicht anzünden, denn das ist Unsinn." - "Aber haben Sie es sehr gewollt?" frage ich und tue so, als handle es sich um einen vergangenen Wunsch, während es doch klar war, daß er noch jetzt dagegen ankämpfte. Er antwortet nicht. Ich frage nochmals: "Hatten Sie es sehr gewollt?" "Nicht allzu sehr", gibt er kurz und ausweichend zur Antwort.

Alsoauch eine "kritiklose Aufnahme suggerierter Ideen und Wirkungen" ist kein unbedingt notwendiges Attribut der Suggestion, obwohl die Mehrzahl der Suggestionen, wie wir sahen, allerdings ohne jeden Widerstand in die Sphäre der Psyche eintritt.

Ebensowenig macht sich ein vollkommener Automatismus bei Verwirklichung von Suggestionen bemerkbar. Selbst bei Personen, die in tiefer Hypnose sind, findet man öfters, daß eine bestimmte Suggestion nicht ohne einen gewissen Kampf zur Verwirklichung kommt. Analoge Beobachtungen wird man auch in Fällen von posthypnotischer Suggestion machen. Manchmal endet jener Kampf in der Weise, daß eine Suggestion, die ihrer Verwirklichung nahe war, schließlich doch illusorisch bleibt, wie dies in dem soeben angeführten Beispiel der Fall war. Freilich nimmt sich diese Gegenwirkung verschieden aus, je nach der Intensität der Suggestion, je nach ihren Besonderheiten und je nach den Nebenumständen und dennoch ist ein Widerstand in vielen Fällen nicht nur möglich, sondern auch tatsächlich vorhanden. Es ist also auch ein motorischer Automatismus kein unbedingt notwendiges Attribut der Suggestion.

Demnach gelangt Suggestion unbemerkt in das Gebiet der Psyche, ohne jede Gewalt; sie ruft gelegentlich einen Widerstand seitens der Persönlichkeit des Subjekts hervor, unterliegt selbst einer gewissen Kritik und gelangt, wenn auch gewaltsam, aber durchaus nicht immer automatisch zur Verwirklichung.

Übrigens ist hervorzuheben, daß in gewissen Fällen Suggestionen in der Tat sozusagen auf gewaltsame Weise in die Psyche hineintreten, dort ohne jegliche Kritik und ohne jeden inneren Widerstand aufgenommen und nahezu automatisch erfüllt werden.

Beispiele dafür bietet das berühmte Suggestionsverfahren des Abbé FARIA, der nur mit Befehlen arbeitete.

Zur gleichen Art von Suggestionen gehört auch das Kommandowort, das stets nicht so sehr auf Furcht vor Strafe des Ungehorsams und auf Erkenntnis der Zweckmäßigkeit freiwilliger Unterordnung rechnet, als vielmehr auf wirkliche Suggestion gegründet ist, die im vorliegenden Fall gewaltsam und unvermittelt in das Bewußtsein eintritt und, da es zum Nachdenken und zur Kritik keine Zeit gibt, automatisch ihre Verwirklichung findet.

LITERATUR - Wladimir von Bechterew, Die Bedeutung der Suggestion im sozialen Leben, Leipzig 1899
    Anmerkungen
    1) JAMES M. BALDWIN, Psychologie II
    2) S. GROSSMANN, Zeitschrift für Hypnotismus, April 1893
    3) WLADIMIR von BECHTEREW, Die Suggestion und ihre soziale Bedeutung, St. Petersburg 1898, Leipzig 1899