K. H. RauJ. RuskinF. KellerK. W. C. SchüzE. JafféO. Engländer | ||||
Ethik und Volkswirtschaft
I. Einleitende Betrachtungen Unsere Voreltern lebten dagegen ein traumhaftes Leben. Innerhalb des engen Kreises war das Bewußtsein allerdings rege. Entwicklung und Schicksale der einzelnen Familienmitglieder wurden mit Teilnahme verfolgt und den Einflüssen von außen her nachgegangen, soweit die Angehörigen darunter litten. Aus der Außenwelt drang in diesen Kreis sonst nur die Kenntnis hervorragender Persönlichkeit und merkwürdiger Ereignisse hinein. Die gesellschaftliche Umgebung als Ganzes genommen mit ihren Bewegungen, Haupt- und Unterströmungen aber bildete keinen Gegenstand bewußter, kritischer, positiver Überlegung. Nach dieser Richtung hin lebten unsere Eltern in der Tat wie im Traum und wandelten verschlossenen Auges durch die Welt. Diese individualistische Betrachtungsweise, der der Sinn für die sozialen Erscheinungen abgeht, rührte im wesentlichen aus der Reformationszeit her. Sie hatte den einzelnen auf eigene Füße gestellt und seinen Blick nach Innen gerichtet. Wie kann ich, so fragte sich der einzelne, innerhalb der Grenzen der evangelischen Botschaft, fromm werden auf eigenem Weg. Jeden einzelnen auf die Höhe inneren Kraft und persönlicher Vollendung zu führen, das wollte die Reformation. Sie löste den mittelalterlichen Menschen von jeder fremden Vermittlung seiner religiösen Beziehungen zu Gott. Und sie tat recht daran. Die Religion hat ihren Sitz im Zentrum des Individuums, nicht im Hallenbau der Kirchen. Die individualistische Anschauung, die im Religiösen ihre volle Berechtigung besitzt, erstreckte sich in der Folgezeit auch auf das politische Gebiet und gipfelt hier in der Auffassung, daß der Staat eine mechanische Summierung von Individuen ist, die aus freien Stücken zusammengetreten sind, um unter Aufgeben des angeborenen Rechts auf absolute Freiheit den Staat zu begründen, sei es als Demokratie oder als Monarchie. Es ist vielleicht nicht zufällig, daß auch das hervorragendste philosophische System jener Zeit, das von LEIBNIZ, eine Weltkonstruktion aus den songenannten Monaden vornahm, die als Mikrokosmen gedacht für sich isoliert sind, deren Einheit nur durch die Annahme einer "prastäbilierten Harmonie" garantiert sind. Die Herrschaft der individualistischen Strömung geht dann in die Aufklärungszeit über und von hier in den Liberalismus, der sich ja bis auf den heutigen Tag von dieser Auffassung nicht zu befreien vermag. Allerdings bereitet sich in der Aufklärungszeit insofern ein Fortschritt vor, als sich die Auffassung des Menschen als eines nicht bloß individuellen, sondern auch sozialen Wesens anbahnte. Der Mensch steht nicht mehr vereinzelt da, als Individuum, sondern sozial, auf andere bezogen, als Subjekt. Von der Mitte des 18. Jahrhunderts an vollzieht sich ein Umschwung, der als subjektivistisches Zeitalter charakterisiert wird. FRIEDRICH der Große und JOSEF II. legen Zeugnis davon ab, wie sich der Blick nicht nur auf die Aufklärung des eigenen Inneren, sondern auch auf die Rationalisierung der Wirklichkeit richtet, da man im Glauben an die Allmacht und Allwirksamkeit der Vernunft lebte. Jeder Mensch ist intellektuell Herr der Welt in seiner Weise; aber erst die Summe aller individuellen Potenzen, die in einer menschlichen Gemeinschaft in sehr verschiedener Weise wirken, bilden organisch verbunden ein Kulturganzes, in dem sich eine höhere Menschlichkeit entwickeln und der einzelne an seinen Aufgaben wachsen kann. So bereitete sich der Übergang zu einer sozialen Denkweise an der Wende des 18. und 19. Jahrhunderts allmählich vor. In seiner Ethik (1808) entwickelte HERBART, seiner Zeit weit vorauseilend, neben den Individual-Musterbegriffen bereits gesellschaftliche Ideen. Aber erst gegen Ende des Jahrhunderts fing man an, sie zu begreifen. Die Philosophie des 19. Jahrhunderts stand weit ab von einer Beeinflußung der Wirklichkeit, abgesehen von KANT, dessen kategorischer Imperativ das preußische Beamtentum stählte und die innere Kraft des preußischen Staates mehrte; und abgesehen von FICHTE, dessen begeisterte Reden an die deutsche Nation den Gedanken einer Wiedergeburt von innen heraus mit Hilfe einer Nationalerziehung nahe legten. Die Einführung und Verbreitung einer sozialen Denk- und Gefühlsweise kam aber nicht von der Philosophie, die in erkenntnistheoretischen Fragen aufging, noch weniger von der Theologie, die in dogmatischen Streitigkeiten, Textkritiken usw. sich genug tat, auch nicht von der Nationalökonomie, die noch ganz unter dem Einfluß von ADAM SMITH stand, auch nicht von GOETHE, dessen Wilhelm Meister ja den meisten dunkel blieb. Der Anstoß kam vielmehr von unten, aus dem vierten Stand heraus, der sich mit der Entwicklung der Industrie in die bestehende überlieferte Struktur der Gesellschaft einzuschieben suchte und eine lebhafte Bewegung der Geister hervorrief. Zunächst innerhalb der Kirche. Es entstand der "christliche Sozialismus", der die Bahn für ein tatkräftiges Handeln in der wirtschaftlichen Bewegung frei machen und der christlichen Sittenlehre zur Anwendung verhelfen wollte, nicht nur für das Leben des einzelnen, sondern für die gesamte irdische Ordnung. Die Sache war in einem guten Zug, als für die evangelischen Geistlichen ein Wink von oben kam, der ihre Tatkraft lähmte, während ihren katholischen Kollegen volle Bewegungsfreiheit in politischen und sozialen Kämpfen stillschweigend zugestanden wurde. Dann vollzog sich ein Umschwung innerhalb der Nationalökonomie, als die Wirklichkeit anfing, eine so deutliche und eindrindgliche Sprache zu reden, daß auch die Wände der Gelehrtenstube davon widerhallten. Die Predigt vom allein seligmachenden Egoismus und vom Recht des Stärkeren im wirtschaftlichen Leben machte keinen Eindruck mehr. Die Tatsachen der Wirklichkeit widersprachen diesem Evangelium in schroffster Weise. Indem man den sittlichen Ideen in der Wirtschaftslehre und im wirtschaftlichen Leben die Tür gewiesen hatte, hatte man den Geist der Menschlichkeit aus der Gesellschaft verbannt und ihm allenfalls ein Plätzchen im innersten Kämmerlein des Herzens zugestanden. Aber diese Verbannung konnte er auf die Dauer nicht ertragen. Er brach siegreich durch und drang in die Wirtschaftslehre ein, so daß aus der Geschäfts-Nationalökonomie wieder eine moralpolitische Wissenschaft wurde. Nach dem Urteil SCHMOLLERs (1) beruhen die besten neueren volkswirtschaftlichen Werke in ihrer großen Mehrheit auf psychologisch sittlichen Betrachtungen, die realistisch von den Trieben und Gefühlen ausgeht, die sittlichen Kräfte anerkennt, alle Volkswirtschaft als gesellschaftliche Erscheinung aufgrund von Sitte und Recht, von Institutionen und Organisationen betrachtet und das wirtschaftliche Leben im Zusammenhang mit Staat, Religion und Moral untersucht. Und die Ethik? Auch sie wollte und konnte nicht zurückbleiben. Sie hatte Großes geleistet in den Untersuchungen über das Wesen des Sittlichen, um das Absolute in der Moral aufzuzeigen, nach dem sich die Einzelpersönlichkeit richten und sich damit auf die innere Höhe des Menschentums emporschwingen könnte, auf welcher der Mensch eine persönliche Fühlung mit dem absoluten Grund allen Daseins gewinnt. Mit dieser Betrachtung war allerdings die Gefahr verbunden, daß der einzelne sich in das Mysterium seines Innern zurückzog, daß das Treiben der Welt ihm nur wie das Geräusch von Brandungen aus weiter Ferne erschien, ähnlich wie der Christ weltflüchtig wird, wenn ihn ausschließlich die egoistische Glaubensfrage beherrscht: Wie kann ich selig werden? Dem gegenüber drang eine neue Richtung der Ethik darauf, die ethische Wissenschaft mit dem gesellschaftlichen Leben in eine nahe Berührung zu bringen und der bisherigen rein individuellen eine soziale Betrachtungsweise hinzuzufügen und zu zeigen, wie das wirtschaftliche Leben nicht eine Domäne gleichsam außerhalb des menschlichen Handelns bildet, die eigenen Gesetzen zu folgen hat, sondern vielmehr mitten in dieses Handeln hineinfällt und an denselben Maßstäben gemessen werden muß, denen auch das übrige Verhalten der Menschen unterworfen ist. So erhielt die Ethik eine neue große Aufgabe, die moralische Wechselwirkung zwischen dem einzelnen und einer von sittlichen Ideen beseelten Gemeinschaft zu zeigen und hier den Grund für den sittlichen Fortschritt im Aufsteigen der Menschheit zu begreifen. Es gereicht der deutschen Ethik zum Ruhm, von ihrem Standpunkt aus der neueren Nationalökonomie entgegen gekommen zu sein und mir ihr vereint den Deutschen mit steigender Kraft Aufgaben ins Gewissen zu schieben, die zum Teil bereits in Angriff genommen wurden - ich erinnere an die soziale Gesetzgebung des Reiches, an die teilweise Einführung der Bodenreform und dgl. - in ihrer Weiterführung den Kulturvölkern ein Beispiel geben können, wie ein Volk das Leben nach Ideen zu organisieren vermag, um es menschenwürdig zu gestalten. Aber stecken wir Deutsche uns hierin nicht in zu hohes Ziel? Ich denke nicht. Die philosophische Arbeit des 18. und des 19. Jahrhunderts hat uns den Beinamen des Volkes der Denker verschafft; wir werden diesen Namen mit Recht verdienen, wenn wir darum besorgt sein werden, die philosophische Erkenntnis nicht nur als Ruhm weniger bevorzugter Geister zu verehren, sondern ihre Ergebnisse so tragfähig zu gestalten, daß sie als Grundlage für den Weiterbau des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens dienen können. Hierzu kann uns auch folgende Erwägung führen. Der Mensch ist nicht bloß ein erkennendes, sondern auch ein wollendes Wesen. In letzterem liegt ohne Zweifel der Schwerpunkt. Denn im Erkennen ist der Mensch gebunden; nur zu bald ist er an die Grenzen seines Wissens gelangt. Das bekannte "ignoramus" [Wir wissen es nicht. - wp] gilt für ihn in vollstem Maß; und auch das "ignorabimus" [Wir werden es niemals wissen. - wp] besteht heute noch zu vollem Recht, ja mehr als je. Denn je tiefer die Naturwissenschaften in die geheimnisvollen Fäden eindringen, die das Weltall zusammenschließen, umso mehr Rätsel türmen sich vor dem forschenden Blick auf, so daß das faustische Wort
Das will mir schier das Herz verbrennen - Ganz anders liegt die Sache auf der Seite des Wollens. Nicht als ob wir hier in schrankenloser Willkür vorgehen könnten; auch hier sind wir gebunden, teils an die Natur der Dinge und ihren gesetzmäßigen Verlauf, teils an Normen, die wir wählen und anerkennen, um an ihnen unser Handeln zu orientieren. Und doch liegt hier unsere Freiheit. Den Naturgesetzen sind wir unterworfen; wir können nicht das geringste an ihnen ändern; wir haben einfach zu gehorchen. Den Sittengesetzen gehorchen wir zwar auch, aber - und hierin liegt der Unterschied - in freiwilligem Gehorsam. Wir Menschen geben uns diese Gesetze selbst, und wir unterwerfen uns ihnen selbst. Hier sind wir autonom. Allerdings rücken wir die sittlichen Normen in eine mächtigere Instanz, in den Willen Gottes, hinein, um ihnen eine mächtigere Instanz zu verleihen, und wir haben eine Berechtigung hierzu, weil die Frage nach dem letzten Ursprung der sittlichen Gefühle nicht restlos aufgeht. Aber wenn auch eine intelligible Welt in die moralische Entwicklung in unfaßbarer Weise hineinspielt, so ist uns doch ein weiter Wirkungskreis für unser Wollen und Handeln gegeben, in dem unser Wille sich betätigen kann. Den Weltlauf zu regulieren geht über unsere Kraft. Unser Leben aber und das der Gesellschaft zu beeinflussen, liegt in unserem Bereich. Unser Wille ist hier nicht machtlos. Er sieht Ziele und Wege vor sich, um unser Dasein in bestimmte Richtungen zu zwingen. Hier liegt die Befriedigung unseres Lebens, das nach Herkunft und Hingang in ein Dunkel gehüllt ist. Trotz der vielfachen Gebundenheit eröffnet sich hier für uns ein Reich der Freiheit. Seien wir nur echte, tüchtige Bürger dieses Reiches, mit bewußtem Wollen und voller Tatkraft! Damit erheben wir uns über die Wirklichkeit und schaffen eine Welt des Sollens, die sich ebenfalls kraft unseres Willens in ein Sein umwandeln kann. Die Ethik soll dazu verhelfen. Allerdings nicht eine Ethik, die sich begnügt, eine ideale Zeichnung des persönlichen Lebens zu zeichnen, sondern eine solche, die weiter vordringt und nicht davor zurückschreckt, mitten in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben hinein vorzustoßen. Ethik ist praktische Philosophie. Sie sucht die Normen für die sittliche Lebensgestaltung der einzelnen und der Gesamtheit aus der Betrachtung der Menschheitsentwicklung abzuleiten. Aber indem sie die Ergebnisse dieser Entwicklung in Form von Ideen, die das Absolute gegenüber allem bloß Wandelbaren festhalten sollen, niedergelegt, blickt sie zugleich in die Zukunft. Sie will in den Normen Richtlinien für die Weiterarbeit geben und heißt darum mit Recht: praktische Philosophie. Denn in den Ideen, die sie vertritt, liegen zugleich die Maßstäbe, an denen alles Einzel- und Gesellschaftsleben gemessen werden soll, und hierin die Antriebe zu weiterer Förderung und Höherbildung des Geschlechts. Damit ist gesagt, daß eine Kultur, die nur auf Ausnutzung und immer weitere Bezwingung der Naturkräfte ausgeht, zwar ein leuchtendes Zeichen für die Intelligenz des Menschen bedeutet, aber doch nicht auf die Höhe des Menschentums hinaufführt. Diese kann nur in der Veredelung des Willens gesehen werden. Daß dies die wichtigste und höchste Aufgabe bleibt, kann leicht aus der Tatsache erkannt werden, daß im Einzel- wie im Völkerleben eine einseitige Pflege der materiellen Kultur leicht zu einer Einschläferung der sittlichen Spannkräfte führt, und damit zu einer Herabdrückung der Einzelpersönlichkeit wie des gesellschaftlichen Lebens. So behauptet die Ethik eine zentrale Stellung auch für das Wirtschaftsleben. Aus dieser Stellung kann sie nicht mehr vertrieben werden, auch wenn man ihr bestreitet, daß sie in der Lage wäre, unangreifbare Richtlinien zu geben. Sie vermag es. Nur darf man von ihr nicht mehr erwarten, als sie leisten kann. Die Richtlinien kann sie geben. Die Ausführung im einzelnen muß sie der Gesetzgebung und den Verwaltungsbehörden überlassen. Bei der Anwendung der Prinzipien im wirklichen Leben sind verschiedene Wege denkbar und möglich. Wenn nur die Prinzipien so klar und überzeugend sind, daß sie eine Bewegung hervorrufen, die Schlafenden wecken, die Träumer zur Tat aufrufen! Verbindung des Sittlichen und Wirtschaftlichen Im Mittelpunkt der sittlichen Ideen steht die Idee des Wohlwollens. Sie setzt die Idee des Rechts voraus und bereitet die Idee des sittlichen Fortschritts vor. Diese drei Ideen geben der Idee der inneren Freiheit den Inhalt: Wer sein Einzelwollen im Einklang hält mit den Forderungen des Rechts, des Wohlwollens und des sittlichen Fortschritts, ist innerlich frei. Dieselben Ideen beherrschen auch das Gemeinschaftsleben. Die Rechtsidee ist hier zum Rechtssystem geworden, die Idee des Wohlwollens organisiert das wirtschaftliche Leben zu einem Verwaltungssystem; die Idee des sittlichen Fortschritts aber führt zu einem Kultursystem. Die Verwirklichung dieser drei Sozialideen haucht der Gesellschaft die Beseelung ein. Sie erscheint dann in der Form der beseelten Geselschaft (2). Aus diesem Prozeß, dem die sittlichen Ideen als Leitstern dienen, greifen wir nun die eine große Idee heraus, die berufen ist, das wirtschaftliche Leben zu regulieren, die Idee des Wohlwollens. Sie fällt im wesentlichen zusammen mit der Idee der Liebe, dem Zentrum der christlichen Sittenlehre. Die tiefe, innere Herzensgüte als Trägerin der Persönlichkeit ist es, welche allein den Egoismus, den persönlichen wie den Klassen- und Standesegoismus in Schranken zu halten und ihm das nötige Gegengewicht zu bieten vermag. Wo sie herrscht, da ist das Tun des Menschen in Wahrheit ein fortwährender Dienst für andere. Diese Willensrichtung soll zunächst bestimmend sein für die innere Ausprägung des Einzellebens. Aber hierbei kann sie nicht stehen bleiben. Sie rückt auch die öffentlichen Einrichtungen unter ihre Beleuchtung und namentlich die wirtschaftlichen, da in ihnen ja die Bedingungen für die Lebensführung und die Lebenshaltung jedes einzelnen Gliedes der Gesellschaft gegeben sind. Es muß innerhalb der Gesellschaft eine gewisse Stufe eines gesicherten materiellen Wohlseins in allen Schichten geshaffen sein, ehe an die Entfaltung höherer geistig-sittlicher Kräfte gedacht werden kann. Die Befriedigung der wirtschaftlichen Bedürfnisse wird zur Trägerin der Befriedigung geistiger Erfordernisse gemacht. Die wirtschaftliche Arbeit erhält dadurch ihren sittlichen Adel, daß sie als die Grundlage für höhere Interessen, die die wahre Kultivierung der Menschheit ausmachen, betrachtet wird. Damit hören die Organisationsfragen der Volkswirtschaft auf, bloße Fragen der Technik zu sein und als sittlich gleichgültig betrachtet zu werden. Sie verwandeln sich in Fragen der ethischen Lebensordnung. Die Machtfragen des wirtschaftlichen Lebens sollen nicht in Widerspruch zur Idee des Wohlwollens stehen. Das geschieht aber nicht durch sentimentale Klagen über die Natur des Geldes, über die Börse, den Fabrikbetrieb usw., sondern durch die Vertretung des Satzes, daß alle Übelstände, die wir im Gefolge der historisch gewordenen Wirtschaftsordnung erblicken, nicht etwas ansich Notwendiges, durch die Natur der wirtschaftlichen Dinge Gegebenes sind, sondern Folgen einer unvollkommenen wirtschaftlichen Lebensordnung, die aufgrund sittlicher Ideen durch den Willen der Menschen geändert werden kann. Die Idee des Wohlwollens verlangt gebieterisch, daß jeder sich stets auf den Standpunkt des Gesamtwohls stellen soll, um die gesunde Entwicklung unseres Volkes zu fördern. Geschieht dies, dann ist damit die Anerkennung ausgesprochen, daß die Freiheit des Einzelnen und des Eigentums als Ergebnisse unserer Entwicklung zwar nicht wieder verschwinden kann, daß sich aber damit eine steigende wirtschaftliche Vergesellschaftung verbinden läßt, die zu neuen Einrichtungen und Formen der Güter- und Einkommensverteilung führen wird. Unser sittliches Bewußtseins fühlt sich in diesem Gedanken befriedigt, der unter Beibehaltung des Privateigentums auf die Erhaltung und Mehrung des Gemeineigentums innerhalb gewisser Grenzen gerichtet ist. Eine vollständige Beseitigung des Privateigentums und eine konsequente Durchführung des Kommunismus widerspricht unserem sittlichen Gefühl und zwar aus folgenden Gründen:
2. In jedem lebt von Haus aus ein tiefes Freiheits gefühl. Nach einem Ausspruch FRIEDRICHs des Großen ist kein Gefühl so innig mit dem Wesen des Menschen verknüpft als das der Freiheit. Dazu gehört, daß auch jeder danach strebt, über gewisse Sachgüter, die er sein eigen nennt, freie Verfügung zu haben. Was er sich erarbeitet hat, darüber will er nicht nur frei verfügen, sondern auch damit seine Unabhängigkeit begründen. Jeder ist bestrebt, eine möglichst unabhängige Lebensstellung und Lebensführung zu erlangen, in der er sich selbst darstellen kann, denn es liebt ein jeder frei sich selbst zu leben nach dem eigenen Gesetz. Der Besitz gibt ihm diese äußere Unabhängigkeit und Selbständigkeit in der Lebensführung. So beeinflußt das Privateigentum die sittliche Haltung, während die kommunistische Gesellschaftsordnung das Sittliche zugrunde zu richten droht, ohne es zu wollen, weil dem persönlichen Ich nicht genug Spielraum bleibt zur Entfaltung, weil das Leben und die Tätigkeit des einzelnen eingespannt erscheint in den wirtschaftlichen Mechanismus wie der Teil einer Maschine in den strengen festgefügten Rahmen des Ganzen. In der rein individualistisch eingerichteten Gesellschaftsordnung kann jeder so reich werden, wie er will; aber auch an Hunger sterben und in die Grube fahren. Die sozialistische Ordnung nimmt sich eines jeden an. Aber er muß es sich gefallen lassen, daß man in seine privatesten Verhältnisse hineinspricht und über seine Kräfte verfügt. Ein allmächtiger Wille bestimmt von außen her den Inhalt und das Ziel seines Lebens, so wie die Maschine, in Bewegung gesetzt, die einzelnen Teile gehen heißt, nicht wie sie sollen, sondern wie es die Einrichtung verlangt. Dies aber wird umso unerträglicher empfunden werden, je höher die Bildung des einzelnen gestiegen ist. 3. Die geschichtliche Entwicklung zeigt, wie der Kommunismus nicht das Ziel der Fortbildung sein kann, da er den Anfang der Menschheitsgeschichte bildet. Ursprünglich nahmen die Menschen einfach, was die Natur ihnen bot. Diese aber gab mehr als genug, solange die Zahl der Menschen und ihrer Bedürfnisse gering war. In Gruppen vereinigt zu einer gemeinsamen Erwerbung des Lebensunterhaltes (Jagd und Fischfang) und des Schutzes leben sie in einem Zustand, der eine soziale und wirtschaftliche Differenzierung ausschließt. Eine individuelle Verknüpfung von Gegenständen der äußeren Natur mit einzelnen Personen findet nur in geringstem Maß statt, etwa bei selbstgefertigten Waffen, Schmucksachen usw. Einen positiven Charakter nimmt die Gemeinwirtschaft an, als die Menschen wohl unter dem Druck der Bevölkerungszunahme zum Hirtenleben übergehen. Die inneren Bedingungen der Weidewirtschaft schließen jedes Sondereigentum aus. Auch der Übergang zur Ackerwirtschaft vollzieht sich noch in gemeinwirtschaftlicher Form. Aber hieraus entwickelt sich bei weiterem Anwachsen der Bevölkerung eine verschiedenartige intensive Kultur des Bodens und damit eine erst vorübergehende, dann allmählich dauernde Sondernutzung des Ackerlandes. Damit ist die Entwicklung beim Privatbesitz an Grund und Boden angelangt, nachdem sie früher schon hinsichtlich der beweglichen Sachgüter den gleichen Weg gegangen war. So ist das Gemeineigentum mit organischer Notwendigkeit dem Sondereigentum gewichen, das in der weiteren Entwicklung in immer fortschreitender Differenzierung das Wirtschaftsleben der Kulturvölker beherrscht bis zu der Zeit, wo der Widerspruch zwischen der Gleichheit vor dem Gesetz und der wirtschaftlichen Ungleichheit sich so stark ins sittliche Bewußtsein der Menschen drängt, daß man auf Abhilfe sinnt und sie erwartet von der teilweisen Ersetzung des Privateigentums durch das Kollektiveigentum in irgendeiner Form. 4. Schließlich kann noch zugunsten des Privateigentums hervorgehoben werden, wie es die einzelnen anspornt und ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen geeignet ist, während eine kommunistische Eigentumsordnung die Gefahr in sich birgt, daß beim Aufheben allen Wettbewerbs die menschlichen Kräfte erlahmen, die Mittelmäßigkeit sanktioniert und der allmähliche Niedergang des Menschengeschlechts herbeigeführt wird. So sind wir innerlich genötigt, für die Beibehaltung des Privateigentums prinzipiell einzutreten. Aber ebenso empfinden wir eine innere Nötigung, sittlich berechtigte Schranken für das Privateigentum, für Erwerb und Gebrauch, für Ansammlung und Vererbung anzuerkennen, Schranken, die durch die Rücksicht auf das Gemeinwohl gezogen werden. Für die sittliche Beurteilung kann es nicht gleichgültig sein, wenn durch eine übergroße Ansammlung und ungenügende Verwertung von Privateigentum in den Händen einzelner ein sozialer, wirtschaftlicher und sittlicher Notstand bei anderen herbeigeführt wird. Es kann nicht Sache der Ethik sein, über die Grenzen zwischen Privateigentum und Gemeinschaftseigentum Vorschriften bis ins einzelne hinein zu geben. Die Ausführung im einzelnen ist der Gesetzgebung unterworfen. Es kann sich nur um gewisse allgemeine Richtlinien handeln, die sich darauf beziehen, wie der Einzelne sein Eigentum gebrauchen soll und in welcher Weise dem Mißbrauch durch die Einführung von Gemeineigentum entgegengetreten werden kann. Damit greifen wir auf den deutschrechtlichen Eigentumsbegriff zurück, der vom römisch-rechtlichen Eigentumsbegriff verdrängt worden war. Letzterer ist ein individualistischer, ersterer ein sozialer. Dieser gewährt dem einzelnen eine Sphäre persönlicher Freiheit und ein Recht freier Verfügung, aber innerhalb der durch die sozialen Anforderungen der Gemeinschaft gebotenen Schranken und einer Gebundenheit, die durch die Gegenseitigkeit der menschlichen Beziehungen gefordert wird. Es ist schon viel gewonnen, wenn dem sittlichen Bewußtsein die Wandelbarkeit der Eigentumsordnung als eine selbstverständliche Wahrheit erscheint. Vor nicht langer Zeit wurde jeder Versuch, auf eine andere Vermögensverteilung einzuwirken, in einigen Kreisen als "empörender Sozialismus" gebrandmarkt; aber auch in sie wird nach und nach das sittliche Gefühl eindringen und gestärkt werden, das vor allem wach gerufen wird, wenn wir die Wohnungsverhältnisse unserer Tage ins Auge fassen. Sie ist eine in eminentem Sinne sittliche. Auf den ersten Blick hin scheint sie allerdings nur etwas rein Äußerliches für das Leben der Menschen bedeuten. Was hat der äußere Wohnraum mit dem sittlichen Leben des Menschen zu tun? Bei näherem Hinsehen weit mehr, als sich zunächst zu erkennen gibt. Ja, für die arbeitenden Schichten steht die Wohnungsfrage geradezu im Mittelpunkt der Lebensinteressen und beeinflußt auch sehr stark die sittliche Lebensführung. Eine ausreichende Wohnung ist die erste Grundbedingung für ein sittlich geordnetes Familienleben. Letzteres aber bildet die Grundlage jedes aufstrebenden Staatswesens. In der Familie entstehen die Tugenden und Kräfte, die einem Volk emporhelfen. Wird das Familienleben zerstört, so wird die Quelle des Gemeinschaftsgefühls und der Sittlichkeit verschüttet. Damit aber ist das Volk zum Niedergang verurteilt. Ein festes, treues Familienleben bedeutet Volksgesundheit; jede Lockerung desselben birgt große Gefahren für den sittlichen Stand und die sittliche Kraft des Volkes in sich und stellt die Zukunft des Staates sin Frage (3). Nun haben zu allen Zeiten gewisse Gründe in den oberen und unteren Gesellschaftsschichte auf eine Gefährdung und Lockerung der Familienbande hingewirkt, unten die Besitzlosigkeit, oben die Genußsucht und Leidenschaftlichkeit. In unserer Zeit aber drohen dem Familienleben besondere Gefahren. Im Zeitalter des Verkehrs, der Maschinen und der damit verbundenen Ansammlung der Menschen in Großstädten ist die Familie mehr als sonst gefährdet. Die Verkehrsunruhe der Neuzeit mit den modernen Völkerwanderungen der Arbeiter, Sachsengänger usw. ist der Festigung des Familienlebens im allgemeinen nicht günstig, noch viel weniger aber die Massenansammlung der Menschen in den Industriezentren. Denn um leben zu können, ist hier nicht bloß der Mann, sondern auch die Frau, ja vielfach auch die Kinder auf den Erwerb angewiesen. Das schlimmste ist, daß die Frau, die den Haushalt zu führen und damit die Familie zusammenzuhalten hat, genötigt wird, ihren Hauptberuf zu vernachlässigen und dem Verdienst nachzugehen. Auf sie drückt die soziale Not noch weit stärker als auf den Mann. Denn ihr obliegt außer dem Haushalt auch noch die Pflege der Kinder. Daraus ist der Gedanke entsprungen, die Auflösung der Familie als etwas Unvermeidliches anzusehen und sich wohl oder übel mit ihr abzufinden. Dieser Gedanke ist aber mit aller Schärfe zu bekämpfen und zurückzuweisen. Alle Verzweiflung an der Aufrechterhaltung der Familie bedeutet Verzweiflung an der Zukunft des Volkes. Dem Gedanken der Auflösung muß die Forderung der Erhaltung und des Aufbaus gegenübergestellt werden. Von hier aus gewinnt der Kampf der Arbeiterschaft um bessere Löhne eine sittliche Bedeutung; denn dieses Ringen muß betrachtet werden als ein Kampf zugunsten der Familie. Aber die Erlangung besserer Löhne ist solange nutzlos, solange die steigenden Ausgaben für Wohnungsmiete jede Lohnerhöhung sofort illusorisch machen. Wenn die Bodenrente alljährlich ein Viertel oder ein Drittel des Arbeitereinkommens beansprucht, so kann der Arbeiter mit seinem Lohn nicht durchkommen. Daher das Zusammendrängen von Menschen in wenigen Räumen, um billiger auszukommen. Damit aber werden Brutstätten von Lastern und Gemeinheiten schlimmster Art hervorgerufen und das Familienleben verseucht. Die Übelstände, die hier entstehen, liegen also zunächst nicht an den Personen, sondern an den Wohnungsverhältnissen, in die sie durch die Not hineingezwungen werdn. Da sieht man mit einem Schlag die große Bedeutung der Wohnungsfrage für den sittlichen Zustand der Gesellschaft. Will die Gesellschaft die Familie retten, so muß sie zu allererst für geeignete Wohnungen sorgen. Hier ist anzusetzen. Mit steigender Klarheit und mit siegender Gewißheit bricht sich dieser Gedanke immer mehr Bahn. Hinter der Frage, wie man den Arbeitern billige und gute Wohnungen verschaffen kann, treten die übrigen Fragen der Gemeindepolitik zurück. Hier setzt nun die Bodenreform ein. a) Grundsätzliches Bei der Durchführung dieser Forderung tritt uns eine besondere Schwierigkeit entgegen, die aus der übertriebenen Furcht entstanden ist, in die Verhältnisse des Privateigentums einzugreifen. An keinen anderen Beispiel macht sich vielleicht die Tatsache so scharf geltend, daß das Privateigentum, dessen sittliche Berechtigung innerhalb gewisser Grenzen wir oben nachzuweisen versuchten, doch auch nur eine gesellschaftliche Institution ist, die dem Wohl der Gesamtheit zu dienen hat und nur innerhalb dieses Rahmens gerechtfertigt werden kann. Die stete Steigerung der Mietpreise, die immer zunehmende Verteuerung der Wohnungen ist eine Folge dies stetig steigenden Bodenwerts, eine Steigerung, die sich hauptsächlich in aufstrebenden Gemeinwesen und in den Großstädten bemerkbar macht. Es gibt genug Beispiele, die da zeigen, in wie ungesunder und sogar unsittlicher Weise die Preise des Grund und Bodens in kurzer Zeit gesteigert werden. Diese Wertvergrößerungen beruhen nicht auf eigener harter Arbeit des Grundbesitzers, wie sie der Bauer z. B. bei der Verbesserung seines Ackers anwendet, der den Wertzuwachs seines Bodens selbst schafft. Vielmehr sind sie bedingt durch die Lage eines Grundstücks, durch das Wachstum der Gemeinde, durch den Aufschwung des gesamten wirtschaftlichen Lebens in Handel und Verkehr. Sie werden also niemals erzeugt durch die Arbeit des Besitzers, sondern durch die Arbeit der Gesamtheit. Trotzdem geht letztere leer aus, nur der glückliche Eigentümer genießt die Früchte des "unverdienten Wertzuwachses" seiner Baustelle. Er braucht gar nichts zu tun, er hat nur zu warten; sein Grundstück steigt von selbst im Wert. Darin liegt das Unsittliche: Das unbeschränkte Privateigentum an Grund und Boden gibt dem Inhaber die Möglichkeit, sich die Hauptvorteile des wirtschaftlichen Fortschritts ohne Arbeit zum Schaden der Gesamtheit anzueignen. Dieses schreiende Unrecht muß beseitigt werden. Der Gesamtheit hat die "Zuwachsrente", weil sie das Produkt der Zusammenarbeit aller, auch zu gute zu kommen. Das fordert unser sittliches Gefühl und die Rücksicht auf die Tausende, die unter den hohen Mieten und unzureichenden Wohnungsverhältnissen schwer leiden müssen. Die Verbesserungen der Löhne, die Aufbesserungen der Beamtengehälter, die Verbesserungen der wirtschaftlichen Lage aller Bevölkerungsklassen kommen schließlich nur den Grundeigentümern zugute in Gestalt gesteigerter Mieten. Unsere Wohnungsnot rührt zum größten Teil vom Bodenmonopol der städtischen Grundeigentümer, der Baustellenbesitzer, der Grundstückspekulanten und der Hauseigentümer her. Dieses städtische Bodenmonopol - beim ländlichen Boden liegen die Dinge wesentlich anders - muß zuerst gebrochen werden, wenn wir gesunde, sittlich wirkende Wohnungsverhältnisse herbeiführen wollen. Dies kann geschehen auf dem Weg der Besteuerung. Der durch die Arbeit des Volkes erzeugte Mehrwert des Bodens soll auf dem Weg der Steuer in die Gemeinde- oder Staatskasse zurückgeleitet werden. Die Bodenreformer schlagen dazu drei Arten von Steuern vor: Die Umsatzsteuer, die Grundsteuer nach dem "gemeinen Wert" und die "Zuwachssteuer", die sich alle drei schon in der Praxis als möglich und heilsam bewährt haben. Die Bodenreform tastet also nicht an die privatwirtschaftliche Tätigkeit und die privatwirtschaftliche Kapitalverwendung, sondern sie sucht nur nach einer Ordnung des Bodenrechts, die den Gemeinden oder dem Staat seinen Anteil an der allein von der Gesamtheit erzeugten "Zuwachsrente" sichert, und damit zugleich den verderblichen Mißbaruch mit dem vaterländischen Boden ausschließt. Unserer Marineverwaltung gebührt das große Verdienst, das mit den Jahren in steigendem Maß Anerkennung finden wird, den ersten bodenreformerischen Versuch des Deutschen Reiches im fernen Ostasien eingeleitet und befestigt zu haben. Damit haben diese Männer nicht nur unsere dortige Kolonie auf gesunde Grundlagen gestellt, die eine glückliche Entwicklung verheißen, sondern auch den sittlichen Forderungen, die der Bodenreform zugrunde liegen, für unsere heimischen Verhältnisse eine außerordentliche Stärkung verliehen, wofür ihnen alle, die von der tiefen sittlichen Bedeutung der *Bodenreformbewegung für unser Volk durchdrungen sind, den wärmsten Dank schulden. Dem Mißbrauch mit dem Boden kann auch entgegengetreten werden durch eine Bauordnung, die nicht in erster Linie das Interesse der Besitzer wahrzunehmen hat, sondern das Interesse der Leute, die in den Häusern wohnen sollen. So hat sie vor allem zu verhüten, daß an den Räumen für das Dienstpersonal in unwürdiger und gesundheitsschädlicher Weise gespart wird, daß, um den Grund und Boden auszunutzen, zu hoch gebaut und damit Luft und Licht abgeschlossen wird, namentlich bei der Anlage sogenannter Lichthöfe und dgl. Durch eine verständige Bauordnung wird der ursprüngliche Bodenwert des Ackerlandes an der Peripherie unserer aufblühenden Industrieorte nicht getroffen. Künstlich gesteigerter Spekulationswert kann allerdings dadurch erniedrigt werden. Aber nur auf billigem Boden können die Häuser gesünder, geräumiger und besser gebaut werden. Solange aber der Grund und Boden so enorme Summen verschlingt, wird am Bauen allenthalben gespart werden auf Kosten der Gesundheit der Bewohner! Wer dem Bodenwucher entgegentreten will, muß deshalb für die Durchführung einer guten Bauordnung eintreten! Dies wird nun auch - neben der Einführung einer geeigneten Besteuerung - dadurch geschehen, daß eine nachhaltige Unterstützung der freien Baugenossenschaften, die die Herstellung billiger zweckentsprechender Wohnungen verfolgen, seitens der Gemeinde eintritt. Es gibt in Deutschland zwei Arten von Baugenossenschaften. Die eine Art baut Häuser, die in das Eigentum der Genossen übergehen. Diese Art ist nicht zu empfehlen, weil hier die Gefahr vorliegt, daß, sobald das Haus Privatbesitz geworden ist, sich die Spekulation derselben bemächtigt. Die andere Art ist weit mehr gemeinnützig und kann deshalb allein ethische gerechtfertigt werden. Hier bleiben die Häuser Eigentum der Genossenschaft; die Genossen erwerben in den Häusern Wohnungsheimstätten. Damit ist jede spekulative Ausnutzung, jede Bereicherung einzelner auf Kosten anderer ausgeschlossen. Mit diesen Maßnahmen verbindet sich nun das Bestreben, möglichst viel Grund und Boden als Gemeineigentum zu erwerben. Für eine zweckmäßige Verwertung dieses Gemeindegrundeigentums bietet das "Bürgerliche Gesetzbuch" in seinen Bestimmungen über das "Erbbaurecht" (§§ 1012-1019) eine geeignete Form, bei der die Gemeinden einzelnen oder Genossenschaften Grundeigentum zur Verfügung stellen und sich dabei doch Grundrente und Zuwachsrente sichern können. Dabei steht dem kapitallosen Teil der Bevölkerung die Möglichkeit offen, ein Haus gegen bloße Zinszahlung zu einem eigentumsähnlichen Recht zu erwerben, und zwar auf bestimmte Zeit, wie dies z. B. in London der Fall ist. Die Zuwachsrente wird nicht dem Spekulanten, sondern der Gemeinde als Besitzerin von Grund und Boden zugeführt. (4) So macht sich vor allem beim Grundeigentum der deutsch-rechtliche Eigentumsbegriff geltend, von dem wir oben gesprochen haben. Es kann nicht nach der Schablone des Mobiliareigentums behandelt werden. Denn beim Grundeigentum macht sich, wie wir gesehen haben, die soziale Gebundenheit, die Rücksicht auf die Gemeinschaft hinsichtlich des Erwerbs und der Benutzung in einem erhöhten Maß geltend. Der Grundbesitz hat für die soziale und sittliche Entwicklung der Gesellschaft eine ganz andere Bedeutung wie das mobile Kapital. Dies ist bisher nicht genügend beachtet worden in unserer Gesetzgebung. Wir müssen lernen, uns von diesem Grundfehler zu befreien und der deutsch-rechtlichen Auffassung zum Durchbruch zu verhelfen. Und wie es mit dem vaterländischen Boden dort ist, wo er uns als städtisches Bauland entgegentritt, so ist es auch mit dem Boden der Landwirtschaft, mit seinen Schätzen im Bergbau. Beim landwirtschaftlich benutzten Boden tritt das Verhängnisvolle des Warenrechts, unter das man auch die Gaben der Natur in falscher Anwendung römisch-rechtlicher Eigentumsbegriffe gestellt hat, in der Hypotheken-Verschuldung hervor. Die Realverschuldung der deutschen Landwirtschaft muß auf über 18 Milliarden Mark geschätzt werden, so daß an jedem Tag, Sonntag und Wochentag, der deutsche Landwirt 2 Millionen Mark Zinsen zu entrichten hat, zumeist an die großen städtischen Geldinstitute. Und diese Verschuldung steigt ständig. Es ist nicht leicht, hier Wege der Besserung zu finden. Aber die Landwirtschaft muß kräftig und lebensfähig erhalten bleiben, weil in der Erhaltung einer absolut und relativ bedeutenden heimischen landwirtschaftlichen Bevölkerung eine unbedingte Voraussetzung des Wohles und der dauernden wirtschaftlichen, sozialen, sittlichen, kulturellen und politischen Sicherung der gesamten Nation gesehen werden muß. Eine weitausschauende Schuldenentlastung und Sicherung vor künftiger Überschuldung wäre eine Tat, die der Bauernbefreiung am Anfang des vorigen Jahrhunderts an Segen gleich käme! (5) Die Wichtigkeit des Bergbaus in der Weltwirtschaft steht der Landwirtschaft zur Seite. Die Massenerzeugung von Kohlen und Eisen bildet das Fundament der Weltindustrie; die Kalisalzindustrie ermöglicht eine größere und stetigere Ertragsfähigkeit der landwirtschaftlich benutzten Bodenflächen. Im 12. und 13. Jahrhundert wurde der Berbaug in Deutschland als Königliches Regal betrachtet und entweder von der Krone in eigenem Betrieb oder durch Überlassung an Dritte gegen Leistung von Abgaben ausgeübt. Allmählich bemächtigten sich die Landesherren des Bergregals in ihren Territorien und nutzten es weiter im gleichen Sinn aus. Von da aus wurde, namentlich seit der Entwicklung der Industrie und dem Ausbau der Eisenbahnen, vor allem der Bergbau auf Kohlen in gewaltigem Umfang betrieben, aber durch eine verkehrte Wirtschaftspolitik der Willkür der Privatspekulation ausgeliefert. Die Naturschätze, die eine gütige Vorsehung unserem gesamten Volk in den Schoß gelegt hat, wurden zumeist dem Privatbesitz ausgeliefert und damit einer Ausbeutung des Volkes Tür und Tor geöffnet, wie sie verwerflicher nicht gedacht werden kann. Daher regt sich der sittliche Wille, einer solchen Ausbeutung entgegenzutreten, und zwar durch eine Überführung der privaten Kohlenbergwerke in Gemeinbesitz, d. h. in den Besitz un in den Betrieb des Staates. Soviel nun auch auf dem Weg der Gesetzgebung erreicht werden kann, wieviele Mißstände dadurch beseitigt werden, so bleibt doch die Hauptsache die Weckung und Läuterung des öffentlichen Gewissens. Die Spekulationen, die auf schnelle, mühelose Weise Reichtümer anzuhäufen suchen, müssen von der öffentlichen Meinung viel schärfer, als dies jetzt noch geschieht, verurteilt werden. Sie dürfen nicht zu den Operationen gerechnet werden, die man für anständig hält. Man muß den Spekulanten die ganze Verachtung zeigen, die sie verdienen und die Presse, als Vertreterin der öffentlichen Meinung, sollte hierin das öffentliche Gewissen unterstützen. Wenn es wahr ist, daß es vor allem die Grundstücksspekulation ist, welche die Befriedigung der wichtigsten Lebensbedürfnisse verteuert, wenn sie bei weitem gemeingefährlicher ist als z. B. die Spekulation in Wertpapieren, so muß sich die Verurteilung besonders gegen sie richten und dazu führen, daß ihr mit allen Mitteln entgegen gearbeitet wird. Eine solche Gestaltung der Gesinnung muß zunächst herbeigeführt werden, indem man anhand sittlicher Maßstäbe in die wirtschaftlichen Dinge hineinleuchtet, dann werden wir in Deutschland auf bessere Wege kommen. Soviel umstritten die wirtschaftlichen Dinge auch sein mögen, deshalb darf die Ethik doch nicht vor ihnen zurückschrecken und zumindest den Versuch wagen, die durchgreifenden Gesichtspunkte hoch zu heben, ohne sich selbstverständlich in eine eingehende technische Behandlung einzulassen, was nicht ihres Amtes ist. Wohl aber ist es ihres Amtes, auch den Besitzenden nahezulegen, welche Pflichten sie im Leben des Volkes und im Interesse der Gesamtheit zu erfüllen haben. "Es wäre das großartigste Kulturfaktum, es wäre ein Triumph des deutschen Namens und der deutschen Nation", so schreibt LASSALLE im Jahr 1863, "wenn in Deutschland die Initiative in der sozialen Frage gerade von den Besitzenden ausginge, wenn sie aufträte als ein Produkt der Wissenschaft und der Liebe, nicht als eine Gärund des Hasses und der wilden sanskulottischen Wut". Die Sozialethik bedeutet eine sittliche Reaktion gegen den Kommunismus einerseits und den individualistischen Liberalismus andererseits. Sie geht davon aus, daß die Organisation des wirtschaftlichen Lebens nicht im Interesse einzelnen Individuen, auch nicht einzelner herrschender Klassen, sondern mit Rücksicht auf das Interesse der Gesamtheit vorzunehmen ist. Die Gemeinschaft kann weder die Aufgabe haben, dem Kapitalismus Schützenhilfe zu leisten, noch die besitzenden Klassen auf Kosten der nicht besitzenden zu bevorzugen. Vielmehr muß sie vor allem ihr Augenmerk darauf richten, daß
2. Auch die sozial Tiefstehenden müssen eine dem allgemeinen Bedürfnis der Zeit entsprechende Lebenshaltung genießen können. Hierin liegt die Anerkennung der materiellen Wohlfahrt des vierten Standes ausgesprochen. Die heutige Gesellschaft ist nicht bedroht durch die Anziehungskraft utopistischer Theorien einer Neugestaltung der Gesellschaft, die, wenn sie ihre Zeit gehabt haben, in sich selbst zusammenfallen, sondern durch die egoistisch gerichtete Kraft der Besitzenden, die veränderten Rechtsanschauungen und Bedürfnissen keine Rechnung tragen wollen, weil sie dabei materiell zu verlieren fürchten. Die Lebensfähigkeit und Gesundheit des Ganzen hängt nicht davon ab, daß sich die besitzenden Klassen einen großen Besitz erhalten und immer mehr dazu erwerben. Viel wichtiger ist, daß die herrschenden Klassen sittlich gesund, innerlich tüchtig und dadurch lebensfähig bleiben. Das ist aber nicht Sache des Besitzes, dieser birgt vielmehr schwere Gefahren in sich, die nur durch sittliche Charakterstärke überwunden werden. Wer diese Gedanken verwirft, muß auch die STEIN-HARDENBERGsche Gesetzgebung verwerfen; der muß überhaupt der Gemeinschaft das Recht absprechen, da, wo die Entwicklung der Verhältnisse zu einem Zwang geworden ist, der die sittliche Vervollkommnung unterbindet, einzuschreiten und neue gesunde Verhältnisse herzustellen. Wenn ARISTOTELES Recht hat, daß im Leben der Völker die verteilende Gerechtigkeit noch wichtiger ist, als die vergeltende, so kann es nur begrüßt werden, wenn das Gewissen der Gesellschaft sich verantwortlich fühlt für die Güter- und Einkommensverteilung und das Unrecht, das mit der wirtschaftlichen Klassenbildung verbunden ist, möglichst zu beseitigen sucht. Es drängen sich mit steigender Kraft die Fragen auf: Ist die Verteilung der Güter und die damit zusammenhängende Gliederung der Gesellschaft gerecht und den sittlichen Forderungen entsprechend? Es mag zugegeben werden, daß die Menschen von Natur ungleich sein, und daß hieraus die Ungleichheit ihrer wirtschaftlichen Macht entspringt. Trotzdem ist die Frage berechtigt: Muß es so bleiben? Daß der Starke den Schwachen bezwingt, ist die Vernunft des Kindesalters der Menschheit; soll es auch die Vernunft des sittlich erstarkten Geschlechts sein? Stimmt die bestehende Verteilung des Eigentums zu den Tugenden, Kenntnissen und Leistungen der einzelnen, wie der verschiedenen Klassen? Machen sich moralisch verwerfliche Erwerbsarten ungehindert breit? Werden die großen Vermögen mehr durch ehrenhaften oder unehrenhaften Erwerb geschaffen? Sobald das Auge geöffnet ist für die verwerflichen Seiten des wirtschaftlichen Lebens, macht sich die sittliche Beurteilung in scharfer Kritik geltend und verbindet sich mit dem Streben, durch einzuleitende Reformen auf ihre Beseitigung hinzuarbeiten. Die Sozialethik weist auf die sittlichen Grundlagen dieser Bestrebungen hin und richtet die Aufmerksamkeit im wesentlichen auf drei große Gebiete:
2. Auf eine gerechte Heranziehung der steuerpflichtigen Bürger zur Erhaltung des Gemeinwesens unter Schonung der schwachen Schultern. 3. Auf die Durchführung einer sozialen Gesetzgebung, die auf die materielle und gesellschaftliche Hebung und Sicherstellung der arbeitenden Schichten eingerichtet ist. Ist der Wille von einzelnen, die diese Forderungen vertreten, allmählich zu einem sittlichen Gemeinwillen verdichtet, dann werden leicht Mittel und Wege gefunden werden, um sie in die Wirklichkeit zu überführen. Je höher die Macht der deutschen Intelligenz, der deutschen Industrie und Technik, sowie des deutschen Handels nach außen steigt, umso mehr macht sich die Notwendigkeit geltend, unser Leben im Innern immer mehr auf gesunde Grundlagen zu stellen, damit wir die großen Aufgaben erfüllen können, zu denen wir uns durch eine gütige Vorsehung berufen glauben! -
1) GUSTAV SCHMOLLER, Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, 1. Teil, Leipzig 1900, Seite 122. 2) WILHELM REIN, Grundriß der Ethik, Osterwieck 1902 3) ADOLF DAMASCHKE, "Die Bodenreform", Berlin 1902 und derselbe "Aufgaben der Gemeindepolitik, Jena 1901. Dazu ADOLF WAGNER, Wohnungsnot und städtische Bodenfrage (Soziale Streitfragen XI). 4) SOHM, OERTMANN und ESCHENBACH, Die Bedeutung des Erbbaurechts, Berlin 5) POHLMANN, Die Not der Landwirtschaft und die Bodenreform (Soziale Streitfragen, Heft IV) |