WeisÖlzelt-NewinM. VerwornL. NelsonJ. Goldstein | ||||
Über die Grenzen des Naturerkennens
A little we can read. Meine Damen und Herren! Ich setze mir also vor, die Grenzen des Naturerkennens aufzusuchen und beantworte zunächst die Frage, was Naturerkennen sei. Naturerkennen - genauer gesagt naturwissenschaftliches Erkennen oder Erkennen der Körperwelt mit Hilfe und im Sinne der theoretischen Naturwissenschaft - ist Zurückführen der Veränderungen in der Körperwelt auf Bewegungen von Atomen, die durch deren von der Zeit unabhängige Zentralkräfte bewirkt werden, oder Auflösung der Naturvorgänge in Mechanik der Atome. Es ist psychologische Erfahrungstatsache, daß, wo eine solche Auflösung gelingt, unser Kausalitätsbedürfnis sich vorläufig befriedigt fühlt. Die Sätze der Mechanik sind mathematisch darstellbar und tragen in sich dieselbe apodiktische Gewißheit, wie die Sätze der Mathematik. Indem die Veränderungen in der Körperwelt auf eine konstante Summe potentieller und kinetischer Energie, welche einer konstanten Menge von Materie anhaftet, zurückgeführt werden, bleibt in diesen Veränderungen selber nichts zu erklären übrig. KANTs Behauptung in der Vorrede zu den Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft, "daß in jeder besonderen Naturlehre nur so viel eigentliche Wissenschaft angetroffen werden könne, als darin Mathematik anzutreffen sei" - ist also vielmehr noch dahin zu verschärfen, daß für Mathematik Mechanik der Atome gesetzt wird. Sichtlich dies meinte er selber, als er der Chemie den Namen einer Wissenschaft absprach und sie unter die Experimentallehren verwies. Es ist nicht wenig merkwürdig, daß in unserer Zeit die Chemie, indem sie durch die Entdeckung der Substitutin gezwungen wurde, den elektrochemischen Dualismus aufzugeben, sich vom Ziel, eine Wissenschaft in diesem Sinne zu werden, scheinbar wieder weiter entfernt hat. Denken wir uns alle Veränderungen in der Körperwelt in Bewegungen von Atomen aufgelöst, die durch deren konstante Zentralkräfte bewirkt werden, so wäre das Weltall naturwissenschaftlich erkannt. Der Zustand der Welt während eines Zeitdifferentials erschiene als unmittelbare Wirkung ihres Zustandes während des vorigen und als unmittelbare Ursache ihres Zustandes während des folgenden Zeitdifferentials. Gesetz und Zufall wären nur noch andere Namen für mechanische Notwendigkeit. Ja, es läßt sich eine Stufe der Naturerkenntnis denken, auf welcher der ganze Weltvorgang durch eine mathematische Formel vorgestellt würde, durch ein unermeßliches System simultaner Differentialgleichungen, aus dem sich Ort, Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit jedes Atoms im Weltall zu jeder Zeit ergäbe. "Ein Geist," sagt LAPLACE, "der für einen gegebenen Augenblick alle Kräfte kennte, welche in der Natur wirksam sind und die gegenseitige Lage der Wesen, aus denen sie besteht, wenn er sonst umfassend genug wäre, um diese Angaben der Analysis zu unterwerfen, würde in derselben Formel die Bewegungen der größten Weltkörper und des leichtesten Atoms begreifen: nichts wäre ungewiß für ihn und Zukunft wie Vergangenheit wäre seinem Blick gegenwärtig. Der menschliche Verstand bietet in der Vollendung, die er der Astronomie zu geben gewußt hat, ein schwaches Abbild solchen Geistes dar. (1) In der Tat, wie der Astronom nur der Zeit in den Mondgleichungen einen gewissen negativen Wert zu erteilen braucht, um zu ermitteln, ob, als sich PERIKLES nach Epidaurus einschiffte, die Sonne für den Piräus verfinstert war, so könnte der von LAPLACE gedachte Geist durch geeignete Diskussion seiner Weltformel uns sagen, wer die Eiserne Maske war oder wie der "President" zugrunde ging. Wie der Astronom den Tag vorhersagt, an dem nach Jahren ein Komet aus den Tiefen des Weltraums am Himmelsgewölbe wieder auftaucht, so läse jener Geist in seinen Gleichungen den Tag, da das griechische Kreuz von der Sophienmoschee blitzen oder England seine letzte Steinkohle verbrennen wird. Setzte er in der Weltformel t = - ∞, so enthüllte sich ihm der rätselhafte Urzustand der Dinge. Er sähe im unendlichen Raum die Materie bereits entweder bewegt oder ungleich verteilt, da bei gleicher Verteilung das labile Gleichgewicht nie gestört worden wäre. Ließe er t im positiven Sinn unbegrenzt wachsen, so erführe er, ob CARNOTs Satz erst nach unendlicher oder schon nach endlicher Zeit das Weltall mit eisigem Stillstande bedroht. Solchem Geist wären die Haare auf unserem Haupte gezählt und ohne sein Wissen fiele kein Sperling zur Erde. Ein vor- und rückwärts gewandter Prophet, wäre ihm, wie schon d'ALEMBERT in der Einleitung zur Enzyklopädie, LAPLACEs Gedanken im Keim hegend, es ausdrückte, "das Weltganze nur eine einzige Tatsache und eine große Wahrheit." (2) Es braucht nicht gesagt zu werden, daß der menschliche Geist von dieser vollkommenen Naturerkenntnis stets weit entfernt bleiben wird. Um den Abstand zu zeigen, der uns sogar von deren ersten Anfängen trennt, genügt eine Bemerkung. Ehe die Differentialgleichungen der Weltformel angesetzt werden könnten, müßten alle Naturvorgänge auf Bewegungen eines substantiell unterschiedslosen, mithin eigenschaftslosen Substrates dessen zurückgeführt sein, was uns als verschiedenartig Materie erscheint, mit anderen Worten, alle Qualität müßte aus Anordnung und Bewegung solchen Substrates erklärt sein. Dies ist völlig im Einklang mit der Lehre von den Sinnen. Allem Ermessen nach leiten Sinnesorgane und -Nerven den zugehörigen Hirnprovinzen oder, wie JOHANNES MÜLLER sie nannte, den Sinnsubstanzen schließlich einerlei Bewegung zu. Wie in dem von Herrn BIDDER ersonnenen, Herrn VULPIAN gelungenen Versuch am Tast- und Muskelnerven der Zunge Empfindungs- und Bewegungsfasern der einen Art durch die Narbe auf Fasern der anderen Art übergeht, so würden, wäre der Versuch möglich, vollends Fasern verschiedener Sinnesnerven miteinander verschmelzen. Bei übers Kreuz verheilten Seh- und Hörnerven, hörten wir mit dem Auge den Blitz als Knall und sähen mit dem Ohr den Donner als Reihe von Lichteindrücken. (3) Die Sinnesempfindung als solche entsteht also erst in den Sinnsubstanzen. Diese Substanzen sind es, welche die in allen Nerven gleichartige Erregung überhaupt erst in Sinnesempfindung übersetzen und dabei je nach ihrer Natur, als Träger der "spezifischen Energien" JOHANNES MÜLLERs, die Qualität erzeugen. Das mosaisch: Es ward Licht, ist physiologisch falsch. Licht ward erst, als der erste rote Augenpunkt eines Infusorium [Einzeller - wp] zum ersten Male Hell und Dunkel unterschied. Ohne Seh- und ohne Gehörsinnsubstanz wäre diese farbenglühende, tönende Welt um uns her finster und stumm. Und stumm und finster ansich, d. h. eigenschaftslos, wie sie aus der subjektiven Zergliederung hervorgeht, ist die Welt auch für die durch objektive Betrachtung gewonnene mechanische Anschauung, welche statt Schalles und Lichtes nur Schwingungen eines eigenschaftslosen, dort zur wägbaren, hier zur unwägbaren Materie gewordenen Urstoffes kennt. Aber wie wohlbegründet diese Vorstellungen im Allgemeinen auch sind, zu ihrer Durchführung im Einzelnen fehlt noch so gut wie Alles. Der Stein der Weisen, der die heute noch unzerlegten Stoffe ineinander umwandelte und aus einem höheren Grundstoff, wenn nicht dem Urstoffe selber, erzeugte, müßte gefunden sein, ehe die ersten Vermutungen über Entstehung scheinbar verschiedenartiger aus in Wirklichkeit unterschiedsloser Materie möglich würden. Obschon der menschliche Geist von dem von LAPLACE gedachten Geist stets weit entfernt bleiben wird, ist er doch nur stufenweise davon verschieden, etwa wie eine bestimmte Ordinate einer Kurve von einer zwar ausnehmend viel größeren, jedoch noch endlichen Ordinate derselben Kurve. Wir gleichen diesem Geist, denn wir begreifen ihn. Ja, es ist die Frage, ob nicht ein Geist wie NEWTONs von dem von LAPLACE gedachten Geist sich weniger unterscheidet, als der Geist eines Australnegers oder eines Pescherähs [Eingeborener Feuerlands - wp] vom Geiste NEWTONs. Mit anderen Worten, die Unmöglichkeit, die Differentialgleichungen der Weltformel aufzustellen, zu integrieren und das Ergebnis zu diskutieren, ist keine grundsätzliche, sondern beruth auf der Unmöglichkeit, die nötigen tatsächlichen Bestimmungen zu erlangen, und, selbst wenn das möglich wäre, auf deren unermeßlicher Ausdehnung, Mannigfaltigkeit und Verwicklung. Die Naturerkenntnis, welche der von LAPLACE gedachte Geist besäße, stellt somit die höchste denkbare Stufe unseres eigenen Naturerkennens vor. Wir können deshalb jene Erkenntnis bei der Untersuchung über die Grenzen dieses Erkennens zugrunde legen. Was bei ihr unerkannt bliebe, das wird unserem in so viel engeren Schranken eingeschlossenen Geist vollends verborgen bleiben. Zwei Stellen sind es nun, wo auch der von LAPLACE gedachte Geist vergeblich weiter vorzudringen trachten würde, wir vollends stehen zu bleiben gezwungen sind. Erstens nämlich ist daran zu erinnern, daß das Naturerkennen, welches vorher als unser Kausalitätsbedürfnis vorläufig befriedigend bezeichnet wurde, in Wahrheit dies nicht tut und kein Erkennen ist. Die Vorstellung, wonach die Welt aus stets dagewesenen und unvergänglichen kleinsten Teilen besteht, deren Zentralkräfte alle Bewegung erzeugen, ist gleichsam nur Surrogat einer Erklärung. Sie führt, wie bemerkt, alle Veränderungen in der Körperwelt auf eine konstante Summe von Kräften und eine konstante Menge von Materie zurück und läßt an den Veränderungen selber also nichts zu erklären übrig. Beim gegebenen Dasein jenes Konstanten können wir, der gewonnenen Einsicht froh, eine Zeitlang uns beruhigen; bald aber verlangen wir tiefer einzudringen und es selber seinem Wesen nach zu begreifen. Da ergibt sich dann bekanntlich, daß zwar innerhalb bestimmter Grenzen die atomistische Vorstellung für den Zweck unserer physikalisch-mathematischen Überlegungen brauchbar, ja unentbehrlich ist, daß sie aber, wenn die Grenzen der an sie zu stellenden Forderungen überschritten werden, als Korpuskular-Philosophie in unlösliche Widersprüche führt. Ein physikalisches Atom, d. h. eine im Vergleich zu den Körpern, mit denen wir Umgang haben, verschwindend klein gedachte, ihres Namens ungeachtet in der Idee aber noch teilbare Masse, der Eigenschaften oder ein Bewegungszustand zugeschrieben werden, mittels welcher das Verhalten einer aus unzähligen solchen Atomen bestehenden Masse sich erklärt, ist eine in sich folgerichtige und unter Umständen nützliche Fiktion der mathematischen Physik. Doch wird selbst deren Gebrauch neuerlich möglichst vermieden, indem man statt auf diskrete Atome, auf Volumenelemente der kontinuierlich gedachten Körper zurückgeht. (4) Ein philosophisches Atom dagegen, d. h. eine angeblich nicht weiter teilbare Masse trägen wirkungslosen Substrates, von der durch den leeren Raum in die Ferne wirkende Kräfte ausgehen, ist bei näherer Betrachtung ein Unding. Denn soll das nicht weiter teilbare, träge, ansich unwirksame Substrat wirklichen Bestand haben, so muß es einen gewissen, noch so kleinen Raum erfüllen. Dann ist nicht zu begreifen, warum es nicht weiter teilbar sei. Auch kann es den Raum nur erfüllen, wenn es vollkommen hart ist, d. h. indem es durch eine an wirkende abstoßende Kraft, welche alsbald größer wird als jede gegebene Kraft, gegen Eindringen eines anderen Körperlichen in denselben Raum sich wehrt. Abgesehen von anderen Schwierigkeiten, welche hieraus entspringen, ist das Substrat alsdann kein wirkungsloses mehr. Denkt man sich umgekehrt mit den Dynamisten als Substrat nur den Mittelpunkt der Zentralkräfte, so erfüllt das Substrat den Raum nicht mehr, denn der Punkt ist die im Raum vorgestellte Negation des Raumes. Dann ist nicht mehr da, wovon die Zentralkräfte ausgehen und was träge sein könnte, gleich der Materie. Durch den leeren Raum in die Ferne wirkende Kräfte sind ansich unbegreiflich, ja widersinnig und erst seit NEWTONs Zeit, durch Mißverstehen seiner Lehre und gegen seine ausdrückliche Warnung, den Naturforschern eine geläufige Vorstellung geworden. Denkt man sich mit DESCARTES und LEIBNIZ den ganzen Raum erfüllt und alle Bewegung durch Übertragung in Berührungsnähe erzeugt, so ist zwar das Entstehen der Bewegung auf ein unserer sinnlichen Anschauung entlehntes Bild zurückgeführt, aber es stellen sich andere Schwierigkeiten ein. Unter anderem ist es bei dieser Vorstellung unmöglich, die verschiedene Dichte der Körper aus verschiedener Zusammenfügung des gleichartigen Urstoffes zu erklären. Es ist leicht, den Ursprung dieser Widersprüche aufzudecken. Sie wurzeln in unserem Unvermögen, etwas anderes als mit unseren äußeren Sinnen entweder oder mit unserem inneren Sinn Erfahrens uns vorzustellen. Beim Bestreben, die Körperwelt zu zergliedern, gehen wir aus von der Teilbarkeit der Materie, da die Teile sichtlich etwas einfacheres und ursprünglicheres sind, als das Ganze. Fahren wir in Gedanken mit der Teilung der Materie ins Unendliche fort, so bleiben wir mit unserer Anschauung in dem uns angewiesenen Geleise und fühlen uns in unserem Denken unbehindert. Zum Verständnis der Dinge aber tun wir keinen Schritt, da wir in der Tat nur das im Bereich des Großen und Sichtbaren Erscheinende auch im Bereich des Kleinen und Unsichtbaren uns vorgestellt haben. Wir kommen so zum Begriff des physikalischen Atoms. Hören wir nun irgendwo willkürlich mit der Teilung bei angeblichen philosophischen Atomen auf, die nicht weiter teilbar, vollkommen hart und überdies ansich wirkungslos und nur Träger der Zentralkräfte sein sollen, so verlangen wir von einer Materie, die wir uns unter dem Bild der Materie denken, mit der wir Umgang haben, ohne daß wir irgendein neues Erklärungsprinzip einführen, daß sie neue, ursprüngliche, das Wesen der Körper aufklärende Eigenschaften entfalte. So begehen wir den Fehler, der sich in den vorher bloßgelegten Widersprüchen offenbart. (5) Niemand, der etwas tiefer gedacht hat, verkennt die transzendente Natur des Hindernisses, das sich uns hier entgegenstellt. Wie man es auch zu umgehen versuche, in der einen oder anderen Form stößt man immer darauf. Von welcher Seite, unter welcher Deckung man sich ihm nähere, man erfährt seine Unbesiegbarkeit. Die alten ionischen Physiologischen standen davor nicht ratloser als wir. Alle Fortschritte der Naturwissenschaft haben nichts dawider vermocht, alle ferneren werden dawider nichts fruchten. Nie werden wir besser als heute wissen, was, wie PAUL ERMAN zu sagen pflegte, "hier", wo Materie ist, "im Raum spukt". Denn sogar der von LAPLACE gedachte, über den unseren so weit erhaben Geist würde in diesem Punkt nicht klüger sein als wir und daran erkennen wir verzweifelnd, daß wir hier an der einen Grenze unseres Witzes stehen. Sehen wir aber von dieser ursprünglichen Schranke ab, setzen wir Materie und Kraft als gegeben und bekannt voraus, so ist in der Idee, wie gesagt, die Körperwelt verständlich. Vom Urzustand eines kreisenden Nebelballes führt die von Herrn HELMHOLTZ an der Hand der mechanischen Wärmetheorie weiter entwickelte KANTsche Hypothese (6) zur Einsicht in die Entstehung unseres Planetensystems. Schon sehen wir unsere Erde als feurig flüssigen Tropfen mit einer Atmosphäre unfassbarer Beschaffenheit in ihrer Bahn rollen. Wir sehen sie sich im Lauf unermesslicher Zeiträume mit einer Schale erstarrenden Urgesteines umgeben, Meer und Veste sich scheiden, den Granit durch heiße kohlensaure Wolkenbrüche zerfressen das Material zu kalihaltigen Erdschichten liefern und schließlich Bedingungen entstehen, unter denen Leben möglich war. Wo und in welcher Form es zuerst erschien, ob auf tiefem Meeresboden als Bathybius-Urschleim oder unter Mitwirkung der noch mehr ultraviolette Strahlen entsendenden Sonne bei noch höherem partiärem Druck der Kohlensäure in der Atmosphäre, wer sagt es je? Aber der von LAPLACE gedachte Geist im Besitze der Weltformel könnte es sagen. Denn beim Zusammentreten unorganischer Stoffe zu Lebendigem handelt es sich zunächst nur um Bewegung, um Anordnung von Molekülen in mehr oder minder festen Gleichgewichtslagen und um Einleitung eines Stoffwechsels teils durch Spannkräfte der Moleküle, teils durch von außen überkommene Bewegung. Was das Lebende vom Toten, die Pflanze und das nur in seinen körperlichen Funktionen betrachtete Tier vom Kristall unterscheidet, ist zuletzt dieses: im Kristall befindet sich die Materie in stabilem Gleichgewicht (7), während durch das organische Wesen in seinem Bestehen von gewissen äußeren Bedingungen, den integrierenden Reizen der älteren Physiologie, abhängt, in sich potentielle Energie in kinetische verwandelt und umgekehrt und einem bestimmten zeitlichen Verlauf unterworfen ist. Ohne grundsätzliche Verschiedenheit der Kräfte im Kristall und im organischen Wesen erklärt sich so, daß beide miteinander inkommensurabel sind, wie ein bloßes Bauwerk inkommensurabel ist mit einer Fabrik, in die hier Kohle, Wasser, Rohstoffe, aus welcher dort Kohlensäure, Wassergas, Rauch, Asche und Erzeugnisse ihrer Maschinen strömen. Das Bauwerk kann man sich aus lauter dem Ganzen ähnlichen Teilen so gefügt vorstellen, daß es gleich dem Kristall in ähnliche Teile spaltbar ist; die Fabrik ist gleich dem organischen Wesen, wenn wir von dessen Aufbau aus Zellen und der Teilbarkeit mancher Organismen absehen, ein Individuum. Es ist daher ein Mißverständnis, im ersten Erscheinen lebender Wesen auf Erden etwas Supernaturistisches, etwas anderes zu sehen, als ein überaus schwieriges mechanisches Problem. Von den beiden Irrtümern, auf die ich hinweisen wollte, ist das der eine. Nicht hier ist die andere Grenze des Naturerkennens; hier nicht mehr als in der Kristallbildung. Könnten wir die Bedingungen herstellen, unter denen organische Wesen einst entstanden, wie wir dies für gewisse, keineswegs für sämtliche Kristalle können, so würden nach dem Prinzip des Aktualismus (8) wie damals auch heute noch organische Wesen entstehen. Sollte es aber auch nie gelingen, Urzeugung zu beobachten, so wäre doch hier kein unbedingtes Hindernis. Wären uns Materie und Kraft verständlich, die Welt hörte nicht auf begreiflich zu sein, auch wenn wir uns jetzt die Erde von ihrem äquatorialen Smaragdgürte. bis zu den letzten flechtengrauen Polarklippen mit der üppigsten Fülle von Pflanzenleben überwuchert denken, gleichviel welchen Anteil an der Gestaltung des Pflanzenreiches man organischen Bildungsgesetzen, welchen der natürlichen Zuchtwahl einräume. Nur die zur Befruchtung vieler Pflanzen jetzt als unentbehrlich erkannte Beihilfe der Insektenwelt müssen wir aus Gründen, die bald einleuchten werden, in dieser Betrachtung beiseite lassen. Im übrigen bietet das reichste, von BERNARDIN de SAINT PIERRE, von HUMBOLDT oder PÖPPIG entworfene Naturgemälde eines tropischen Urwaldes dem Blick der theoretischen Naturforschung schlechterdings nichts dar, als bewegte Materie. Es ist dies, wie mir scheint, eine neue und sehr einfache Form, die man dem Beweis erteilen kann, daß es keine Lebenskraft im Sinne der Vitalisten gibt. Allein es tritt nunmehr, an irgendeinem Punkt der Entwicklung des Lebens auf Erden, den wir nicht kennen und auf den es hier nicht ankommt, etwas Neues, bis dahin Unerhörtes auf, etwas wiederum, gleich dem Wesen von Materie und Kraft, Unbegreifliches. Der in negativ unendlicher Zeit angesponnene Faden des Verständnisses zerreißt und unser Naturerkennen gelangt an eine Kluft, über die kein Steg, kein Fittig trägt: wir stehen an der anderen Grenze unseres Witzes. Dieses neue Unbegreiflich ist das Bewußtsein. Ich werde jetzt, wie ich glaube in sehr zwingender Weise, dartun, daß nicht allein beim heutigen Stand unserer Kenntnis das Bewußtsein aus seinen materiellen Bedingungen nicht erklärbar ist, was wohl jeder zugibt, sondern daß es auch der Natur der Dinge nach aus diesen Bedingungen nie erklärbar sein wird. Die entgegengesetzte Meinung, daß nicht alle Hoffnung aufzugeben sei, das Bewußtsein aus seinen materiellen Bedingungen zu begreifen, daß dies vielmehr im Laufe der Jahrhunderte oder Jahrtausende dem alsdann in ungeahnte Reiche der Erkenntnis vorgedrungenen Menschengeiste wohl gelingen könne: dies ist der zweite Irrtum, dessen Bekämpfung ich mir in diesem Vortrag vorgesetzt habe. Ich gebrauch dabei absichtlich den Ausdruck "Bewußtsein", weil es hier nur um die Tatsache eines geistigen Vorgangs irgendeiner, sei es der niedersten Art, sich handelt. Man braucht nicht WATT sein Parallelogramm erdenkend, nicht SHAKESPEARE, RAPHAEL, MOZART in der wunderbarsten ihrer Schöpfungen begriffen sich vorzustellen, um das Beispiel eines aus seinen materiellen Bedingungen unerklärbaren geistigen Vorgangs zu haben. Wie die gewaltigste und verwickeltste Muskelleistung eines Menschen oder Tieres im Wesentlichen nicht dunkler ist, als einfache Zuckung eines einzelnen Primitivmuskelbündels; (9) wie die einzelne Sekretionszelle das ganze Rätsel der Absonderung birgt: so ist auch die erhabenste Seelentätigkeit aus materiellen Bedingungen in der Hauptsache nicht unbegreiflicher, als das Bewußtsein auf seiner ersten Stufe, der Sinnesempfindung. Mit der ersten Regung von Behagen oder Schmerz, die im Beginn des tierischen Lebens auf Erden ein einfachstes Wesen empfand, ist jene unübersteigliche Kluft gesetzt und die Welt nunmehr doppelt unbegreiflich geworden. Über wenig Gegenstände ist anhaltender nachgedacht, mehr geschrieben, leidenschaftlicher gestritten worden, als über die Verbindung von Leib und Seele im Menschen. Alle philosophischen Schulen, dazu die Kirchenväter, haben darüber ihre Lehrmeinung gehabt. Der neueren Philosophie liegt diese Frage ferner; umso reicher sind deren Anfänge im siebzehnten Jahrhundert an Theorien über die Wechselwirkung von Materie und Geist. DESCARTES selber hatte sich die Möglichkeit, diese Wechselwirkung zu begreifen, durch zwei Aufstellungen vorweg abgeschnitten. Erstens behauptet er, daß Körper und Geist verschiedene Substanzen, durch Gottes Allmacht vereinigt, seien, welche, da der Geist als unkörperlich keine Ausdehnung habe, nur in einem Punkt, nämlich in der sogenannten Zirbeldrüse des Gehirns, einander berühren. (10) Er behauptet zweitens, daß die im Weltall vorhandene Bewegungsgröße beständig sei. (11) Je sicherer daraus die Unmöglichkeit zu folgen scheint, daß die Seele Bewegung der Materie erzeuge, umso mehr erstaunt man, wenn nun DESCARTES, um die Willensfreiheit zu retten, die Seele einfach die Zirbeldrüse im nötigen sinne bewegen läßt, damit die tierischen Geister, wir würden sagen das Nervenprinzip, den richtigen Muskeln zuströmen. Umgekehrt die durch Sinneseindrücke erregten tierischen Geister bewegen die Zirbeldrüse und die mit dieser verbundene Seele merkt die Bewegung. (12) DESCARTES' unmittelbare Nachfolger, CLAUBERG (13), MALEBRANCHE (14), GEULINCX (15) bemühen sich, einen so offenbaren Mißgriff zu verbessern. Sie halten fest an der Unmöglichkeit einer Wechselwirkung von Geist und Materie, als zweier verschiedener Substanzen. Um aber zu verstehen, wie dennoch die Seele den Körper bewege und von ihm erregt werde, nehmen ise an, daß das Wollen der Seele Gott veranlasse, den Körper jedesmal nach Wunsch der Seele zu bewegen. Umgekehrt die veranlassen die Sinneseindrücke Gott, die Seele jedesmal in Übereinstimmung damit zu verändern. Die causa efficiens [Wirkursache - wp] der Veränderungen des Körpers durch die Seele und umgekehrt ist also stets nur Gott; das Wollen der Seele und die Sinneseindrücke sind nur die causae occasionales [veranlassende Ursachen - wp] für die unaufhörlich erneuten Eingriffe seiner Allmacht. LEIBNIZ endlich pflegte dieses Problem mittels des, wie es scheint, ursprünglich von GEULINCX herrührenden Bildes zweier Uhren zu erläutern, die gleichen Gang zeigen sollen. (16) Auf dreierlei Art, sagt er, könne das geschehen. Erstens können beide Uhren durch Schwingungen, die sie einer gemeinsamen Befestigung mitteilen, einander so beeinflussen, daß ihr Gang derselbe werde, wie das HUYGHENS beobachtet habe und wie es zu Beginn dieses Jahrhunderts BREGUET sogar angewendet hat, um den Gang jeder der beiden Uhren gleichförmiger zu machen (17). Zweitens könne stets die eine Uhr gestellt werden, um sie in gleichem Gang mit der der anderen zu erhalten. Drittens könne von vornherein der Künstler so geschickt gewesen sind, daß er beide Uhren, obschon ganz unabhängig voneinander, gleich gehend gemacht habe. Zwischen Leib und Seele sei die erste Art der Verbindung anerkannt unmöglich. Die zweite, dier okkasionalistischen Lehre entsprechende, sei Gottes unwürdig, den sie als Deus ex machina [Gott aus der Maschine - wp] verwende. So bleibe nur die dritte übrig, in der man LEIBNIZ' eigene Lehre der prästabilisierten Harmonie wiedererkennt. Allein diese und ähnliche Betrachtungen sind in den Augen der neueren Naturforschung entwertet und der Wirkung auf die heutigen Ansichten beraubt durch die dualistische Grundlage, auf welche sie, gemäß ihrem halb theologischen Ursprung, sich gleich anfangs stellen. Ihre Urheber gehen aus von der Annahme einer vom Körper unbedingt verschiedenen geistigen Substand, der Seele, deren Verbindung mit dem Körper sie untersuchen. Sie finden, daß eine Verbindung beider Substanzen nur durch ein Wunder möglich ist und daß, auch nach diesem ersten Wunder, ein ferneres Zusammengehen beider Substanzen nicht anders stattfinden kann, als wiederum durch ein entweder stets erneutes oder seit der Schöpfung fortwirkendes Wunder. Diese Folge nun gegen sie für eine neue Einsicht aus, ohne hinreichend zu prüfen, ob nicht sie selber sie vielleicht die erst so zurechtgemacht haben, daß eine Wechselwirkung zwischen Ihr und dem Körper undenkbar ist. Mit einem Wort, der gelungendste Beweis, daß keine Wechselwirkung von Körper und Seele möglich sei, läßt dem Zweifel Raum, ob nicht die Prämissen willkürlich seien und ob nicht Bewußtsein einfach als Wirkung der Materie gedacht und vielleicht begriffen werden könne. Für den Naturforscher muß daher der Beweis, daß die geistigen Vorgänge aus ihren materiellen Bedingungen nie zu begreifen sind, unabhängig von jeder Voraussetzung über den Urgrund jener Vorgänge geführt werden. Ich nenne astronomische Kenntnis eines materiellen Systems die Kenntnis aller seiner Teile, ihrer gegenseitigen Lage und ihrer Bewegung, daß ihre Lage und Bewegung zu irgendeiner vergangenen und zukünftigen Zeit mit derselben Sicherheit berechnet werden kann, wie Lage und Bewegung der Himmelskörper bei vorausgesetzter unbedingter Schärfe der Beobachtungen und Vollendung der Theorie. Um die Differentialgleichungen anzusetzen, deren Integration die gewünschen Bestimmungen liefert, genügen gleichsam drei Positionen der Teile des Systems, d. h. es ist nötig und zureichend, daß in drei aufeinanderfolgenden, durch zwei Zeitdifferentiale getrennten Augenblicken die Lage der Teile des Systems bekannt sei. Aus dem Unterschied der in den gleichen, unendlich kleinen Zeiträumen durchlaufenen, nach den drei Axen zerlegten Wege folgen dann die auf das System und die in ihm wirkenden Kräfte. Astronomische Kenntnis eines materielle Systems ist bei unserer Unfähigkeit, Materie und Kraft zu begreifen, die vollkommenste Kenntnis die wir davon erlangen können. Es ist die, wobei unser Kausalitätstrieb sich zu beruhigen gewohnt ist und welche der von LAPLACE gedachte Geist selber bei gehörigem Gebrauchseiner Weltformel von diesem System besitzen würde. Denken wir uns nun, wir hätten es zur astronomischen Kenntnis eines Muskels, einer Drüse, eines elektrischen oder Leuchtorgans im gereizten Zustand, einer Flimmerzelle, einer Pflanze, des Eies in Berührung mit dem Samen, der Frucht auf irgendeiner Stufe der Entwicklung gebracht. Alsdann besäßen wir also von diesen materiellen Systemen die vollkommenste mögliche Kenntnis, unser Kausalitätstrieb wäre soweit befriedigt, daß wir nur noch verlangten, das Wesen von Materie und Kraft selber zu begreifen. Muskelverkürzung, Absonderung in der Drüse, Schlag des elektrischen, Leuchten des Leuchtorgans, Flimmerbewegung, Wachstum und Chemismus der Zellen in der Pflanze, Befruchtung und Entwicklung des Eies: alle diese jetzt hoffungslos dunklen Vorgänge wären uns so durchsichtig, wie die Bewegungen der Planeten. Machen wir dagegen dieselbe Voraussetzung astronomischer Kenntnis für das Gehirn des Menschen oder auch nur für das Seelenorgan des niedersten Tieres, dessen geistige Tätigkeit sich auf das Empfinden von Lust und Unlust beschränken mag, so wird zwar in Bezug auf alle darin stattfindenden materielle Vorgänge unser Erkennen ebenso vollkommen sein und unser Kausalitätstrieb sich ebenso befriedigt fühlen, wie in Bezug auf Zuckung oder Absonderung bei astronomischer Kenntnis von Muskel oder Drüse. Die unwillkürlichen und nicht notwendig mit Empfindung verbundenen Wirkungen der Zentralteile, Reflexe, Mitbewegung, Atembewegungen, Tonus, der Stoffwechsel des Gehirns und des Rückenmarks und dgl. mehr wären erschöpfend erkannt. Auch die mit geistigen Vorgängen der Zeit nach stets, also wohl notwendig zusammenfallenden Vorgänge wären ebenso vollkommen durchschaut. Und es wäre natürlich ein hoher Triumpf, wenn wir zu sagen wüßten, daß bei einem bestimmten geistigen Vorgang in bestimmten Ganglienkugeln und Nervenröhren eine bestimmte Bewegung bestimmter Atome stattfinde. Es wäre grenzenlos interessant, wenn wir so mit dem geistigen Auge in uns hineinblickend die zu einem Rechenexempel gehörig Hirnmechanik sich abspielen sähen wie die Mechanik einer Rechenmaschine; oder wenn wir auch nur wüßten, welcher Tanz von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff-, Phosphor- und anderen Atomen der Seligkeit musikalischen Empfindens, welcher Wirbel solcher Atome dem Gipfel sinnlichen Genießens, welcher Molekularsturm dem wütenden Schmerz beim Mißhandeln des Nervus trigeminus [Drillingsnerv im Gehirn - wp] entspricht. Die Art des geistigen Vergnügens, welche die durch Herrn FECHNER geschaffenen Anfänge der Psychophysik oder Herrn DONDERS' Messungen der Dauer einfacherer Seelenhandlungen uns bereiten, läßt uns ahnen, wie so eine unverschleierte Einsicht in die materiellen Bedingungen geistiger Vorgänge uns erbauen würden. Was aber die geistigen Vorgänge selber betrifft, so zeigt sich, daß sie bei astronomischer Kenntnis des Seelenorgans uns ganz ebenso unbegreiflich wären, wie jetzt. Im Besitz dieser Kenntnis ständen wir vor ihnen wie heute, als vor einem völlig Unvermittelten. Die astronomische Kenntnis des Gehirns, die höchste, die wir davon erlangen können, enthüllt uns darin nichts als bewegte Materie. Durch keine zu ersinnende Anordnung oder Bewegung materieller Teilchen aber läßt sich eine Brücke ins Reich des Bewußtseins schlagen. Bewegung kann nur Bewegung erzeugen oder sich in potentielle Energie zurückverwandeln. Potentielle Energie kann nur Bewegung erzeugen, statisches Gleichgewicht erhalten, Druck oder Zug ausüben. Die Summe der Energie bleibt dabei stets dieselbe. Mehr als dieses Gesetz bestimmt, kann in der Körperwelt nicht geschehen, auch nicht weniger; die mechanische Ursache geht rein auf in der mechanischen Wirkung. Die neben den materiellen Vorgängen im Gehirn einhergehenden geistigen Vorgänge entbehren also für unseren Verstand des zureichenden Grundes. Sie stehen außerhal des Kausalgesetzes und schon darum sind sie nicht zu verstehen, so wenig, wie ein perpetuum mobile es wäre. Aber auch sonst sind sie unbegreiflich. Es scheint zwar bei oberflächlicher Betrachtung, als könnten uns durch die Kenntnis der materiellen Vorgänge im Gehrin gewisse geistige Vorgänge und Anlagen verständlich werden. Ich rechne das Gedächtnis dahin, den Fluß und die Assoziation der Vorstellungen, die Folgen der Übung, die spezifischen Talente und dgl. mehr. Das geringste Nachdenken lehrt, daß das eine Täuschung ist. Nur über gewisse innere Bedingungen des Geisteslebens, welche mit den äußeren durch die Sinneseindrücke gesetzten etwa gleichbedeutend sind, würden wir unterrichtet sein, nicht über das Zustandekommen des Geisteslebens durch diese Bedingungen. Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht weiter definierbaren, nicht wegzuleugnenden Tatsachen: "Ich fühle Schmerz, fühle Lust; ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Rot" und der ebenso unmittelbar daraus fließenden Gewißheit: "Also bin ich?" Es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von Kohlenstoff,- Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- usw. Atomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewegen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich bewegen werden. Es ist in keiner Weise einzusehen, wie aus ihrem Zusammenwirken Bewußtsein entstehen könne. Sollte ihre Lagerungs- und Bewegungsweise ihnen nicht gleichgültig sein, so müßte man sie sich nach Art der Monaden schon einzeln mit Bewußtsein ausgestattet denken. Weder wäre damit das Bewußtsein überhaupt erklärt, noch für die Erklärung des einheitlichen Bewußtseins des Individuums das Mindeste gewonnen. (18) Daß es vollends ungmöglich sei und stets bleiben werde, höhere geistige Vorgänge aus der als bekannt vorausgesetzten Mechanik der Hirnatome zu verstehen, bedarf nicht der Ausführung. Doch ist, wie schon bemerkt, gar nicht nötig, zu höheren Formen geistiger Tätigkeit zu greifen, um das Gewicht unserer Betrachtung zu vergrößern. Sie gewinnt gerade an Eindringlichkeit durch den Gegensatz zwischen der vollständigen Unwissenheit, in welcher astronomische Kenntnis des Gehirns uns über das Zustandekommen auch der niedersten geistigen Vorgänge ließe und der durch solche Kenntnis gewährten ebenso vollständigen Enträtselung der höchsten Probleme der Körperwelt. Ein aus irgendeinem Grund bewußtloses, z. B. ohne Traum schlafendes Gehirn enthielte, astronomisch durchschaut, kein Geheimnis mehr und bei astronomischer Kenntnis auch des übrigen Körpers wäre so die ganze menschliche Maschine, mit ihrem Atmen, ihrem Herzschlag, ihrem Stoffwechsel, ihrer Wärme usw. bis auf das Wesen von Materie und Kraft, völlig entziffert. Der traumlos Schlafende ist begreiflich, wie die Welt, ehe es Bewußtsein gab. Wie aber mit der ersten Regung von Bewußtsein die Welt doppelt unbegreiflich wurde, so wird es auch der Schläfer wieder mit dem ersten ihm dämmernden Traumbild. Der unlösliche Widerspruch, in welchem die mechanische Weltanschauung mit der Willensfreiheit und dadurch mittelbar mit der Ethik steht, ist sicherlich von großer Bedeutung. Der Scharfsinn der Denker aller Zeiten hat sich daran erschöpft und wird fortfahren, sich daran zu üben. Abgesehen davon, daß sich Freiheit leugnen läßt, Schmerz und Lust nicht, geht dem Begehren, welches den Anstoß zum Handeln und somit erst Gelegenheit zum Tun oder Lassen gibt, notwendig Sinnesempfindung voraus. Es ist also das Problem der Sinnesempfindung und nicht, wie ich einst sagte der Willensfreiheit, bis zu dem die analytische Mechanik führt. (19) Damit ist die andere Grenze unseres Naturerkennens bezeichnet. Nicht minder als die erste ist sie eine unbedingte. Nicht mehr als im Verstehen von Kraft und Materie hat im Verstehen der Geistestätigkeit aus materiellen Bedingungen die Menschheit seit zweitausend Jahren, trotzallen Entdeckungen der Naturwissenschaft, einen wesentlichen Fortschritt gemacht. Sie wird es nie. Selbst der von LAPLACE gedachte Geist mit seiner Weltformel gliche in seinen Anstrengungen, sich über diese Schranke fortzuheben, einem nach dem Mond trachtenden Luftschiffer. In seiner aus bewegter Materie aufgebauten Welt regen sich zwar die Hirnatorme wie in stummem Spiel. Er übersieht ihre Scharen, er durchschaut ihre Verschränkungen, aber er versteht nicht ihre Gebärde, sie denken ihm nicht und deshalb bleibt, wie wir vorhin sahen, seine Welt eigenschaftslos. An ihm haben wir das Maß unserer eigenen Befähigung oder vielmehr unserer Ohnmacht. Unser Naturerkennen ist also eingeschlossen zwischen den beiden Grenzen, welche einerseits die Unfähigkeit, Materie und Kraft, andererseits das Unvermögen, geistige Vorgänge aus materiellen Bedingungen zu begreifen, ihm ewig vorschreiben. Innerhalb dieser Grenzen ist der Naturforscher Herr und Meister, zergliedert er und baut er auf und niemand weiß, wo die Schranke seines Wissens und seiner Macht liegt; über diese Grenzen hinaus kann er nicht und wird er niemals können. Je unbedingter aber der Naturforscher die ihm gesteckten Grenzen anerkennt und je demütiger erin seine Unwissenheit sich schickt, umso tiefer fühlt er das Recht, mit voller Freiheit, unbeirrt durch Mythen, Dogmen und altersstolze Philosopheme, auf dem Weg der Induktion seine eigene Meinung über die Beziehungen zwischen Geist und Materie sich zu bilden. Er sieht in tausend Fällen materielle Bedingungen das Geistesleben beeinflussen. Seinem unbefangenen Blick zeigt sich kein Grund zu bezweifeln, daß die Sinneseindrücke wirklich der sogenannten Seele sich mitteilen. Er sieht den menschlichen Geist gleichsam mit dem Gehirn wachsen und nach der empiristischen Ansicht, die wesentlichen Formen seines Denkens sich sogar erst durch äußere Wahrnehmungen aneignen. Er sieht ihn im Schlaf und Traum, in der Ohnmacht, im Rausch und der Narkose, im Fieberwahn und der Inanition [Abmagerung - wp], in der Manie, der Epilepsie, dem Blözinn und der Mikrozephalie [vergleichsweise kleinerer Kopf - wp], in unzähligen krankhaften Zuständen abhängig von der dauernden oder vorübergehenden Beschaffenheit des Organes. Kein theologisches Vorurteil hindert ihn wie DESCARTES, in den Tierseelen der Menschenseele verwandte, stufenweise minder vollkommene Glieder derselben Entwicklungsreihe zu erkennen. Vielmehr sieht er im Wirbeltierreich die Hirnteile, welche auch physiologische Versuche und pathologische Erfahrungen als Träger höherer Geistestätigkeiten bekunden, ihres vergleichsweisen Entwicklung nach mit der Steigerung diese Tätigkeiten gleichen Schritt halten. Wo von den anthropoiden Affen zum Menschen die geistige Befähigung den durch den Besitz der Sprache bezeichneten ungeheuren Sprung macht, findet sich ein entsprechender Sprung in der Hirnmasse vor. Die verschiedene Anordnung gleicher Elementarteile bei den Wirbellosen belehrt aber den Naturforscher, daß es hier wie bei anderen Organen weniger auf die Architektur, als auf die Strukturelemente ankommt. Mit ehrfurchtsvollem Staunen betrachtet er das mikroskopische Klümpchen Nervensubstanz, welches der Sitz der arbeitsamen, baulustigen, ordnungsliebenden, pflichttreuen, tapferen Ameisenseele ist. (20) Endlich die Deszendenz-[Abstammungs- wp]Theorie im Verein mit der Lehre von der natürlichen Zuchtwahl drängt ihm die Vorstellung auf, daß die Seele als allmähliches Ergebnis gewisser materieller Kombinationen entstanden und vielleicht gleich anderen erblichen, im Kampf ums Dasein dem Einzelwesen nützlichen Gaben durch eine zahllose Reihe von Geschlechtern sich gesteigert und vervollkommnet haben. (21) Wenn nun die alten Denker jede Wechselwirkung zwischen Leib und Seele, wie sie sich diese vorstellten, als unverständlich und unmöglich erkannten und wenn nur durch prästabilisierte Harmonie das Rätsel des dennoch stattfindenden Zusammengehens beider Substanzen zu lösen ist, so wird wohl die Vorstellung, die sie, in Schulbegriffen befangen, sich von der Seele machten, falsch gewesen sein. Die Notwendigkeit einer der Wirklichkeit so offenbar zuwiderlaufenden Schlußfolge ist gleichsam ein apagogischer [Schluß mit ungewissem Untersatz - wp] Beweis gegen die Richtung der dazu führenden Voraussetzung. Bei seinem Gleichnis von den beiden Uhren hat LEIBNIZ, wie Herr FECHNER treffend bemerkt (22), die vierte und einfachste Möglichkeit vergessen, nämlich die, daß vielleich beide Uhren, deren Zusammengehen erklärt werden soll, im Grunde nur eine sind. Ob wir die geistigen Vorgänge aus materiellen Bedingungen je begreifen werden, ist eine Frage ganz verschieden von der, ob diese Vorgänge das Erzeugnis materieller Bedingungen sind. Jene Frage kann verneint werden, ohne daß über diese etwas ausgemacht, geschweige auch sie verneint würde. Man erinnert sich des kecken Ausspruchs des Herrn CARL VOGTs, der in den fünfziger Jahren zu einer Art von Turnier um die Seele Anlaß gab: "daß alle jene Fähigkeiten, die wir unter dem Namen Seelentätigkeiten begreifen, nur Funktionen des Gehirns sind, oder, um es einigermaßen groß auszudrücken, daß die Gedanken etwa in demselben Verhältnis zum Gehirn stehen, wie die Galle zur Leber oder der Urin zu den Nieren." (23) Die Laien stießen sich an diesem Vergleich, weil ihnen die Zusammenstellung des Gedankens mit der Absonderung der Nieren entwürdigend schien. Die Physiologie kennt indessen solche ästhetischen Rangunterschiede nicht. Ihr ist die Nierenabsonderung ein wissenschaftlicher Gegenstand von ganz gleicher Würde mit der Erforschung des Auges oder Herzens oder sonst eines der gewöhnlich sogenannten edleren Organe. Auch das ist am VOGTschen Ausspruch schwerlich zu tadeln, daß darin die Seelentätigkeit als Erzeugnis der materiellen Bedingungen im Gehirn hingestellt wird. Fehlerhaft dagegen erscheint, daß er die Vorstellung erweckt, als sei die Seelentätigkeit aus dem Bau des Gehirns ihrer Natur nach so begreifbar, wie die Absonderung aus dem Bau der Drüse. (24) Wo es an den materiellen Bedingungen für geistige Tätigkeit in Gestalt eines Nervensystems gebricht, wie in den Pflanzen, kann der Naturforscher ein Seelenleben nicht zugeben und hierin stößt er nur selten auf Widerspruch. Was aber wäre ihm zu erwidern, wenn er, bevor er in die Annahme einer Weltseele willigte, verlangte, daß ihm irgendwo in der Welt, in Neuroglia [von den Neuronen abgrenzbare Zellen im Nervengewebe - wp] gebettet und mit warmem arteriellen Blut unter richtigem Druck gespeist, ein dem geistigen Vermögen so einer Seele an Umfang entsprechendes Konvolut [Verwachsung - wp] von Ganglienkugeln und Nervenröhren gezeigt würde? Schließlich entsteht die Frage, ob die beiden Grenzen unseres Naturerkennens nicht vielleich die nämlich seien, d. h. ob. wenn wir das Wesen von Materie und Kraft begriffen, wir nicht auch verständen, wie die ihnen zugrunde liegende Substanz unter bestimmten Bedingungen empfinden, begehren und denken könne. Freilich ist diese Vorstellung die einfachste und nach bekannten Forschungsgrundsätzen bis zu ihrer Widerlegung der vorzuziehen, wonach, wie vorhin gesagt, die Welt doppelt unbegreiflich erscheint. Aber es liegt in der Natur der Dinge, daß wir auch in diesem Punkt nicht zur Klarheit kommen und alles weitere Reden darüber bleibt müßig. In Bezug auf die Rätsel der Körperwelt ist der Naturforscher längst gewöhnt, mit männlicher Entsagung sein "Ignoramus" [Wir wissen es nicht. - wp] auszusprechen. Im Rückblick auf die durchlaufene siegreiche Bahn, trägt ihn dabei das stille Bewußtsein, daß, wo er jetzt nicht weiß, er wenigstens unter Umständen wissen könnte und dereinst vielleicht wissen wird. In Bezug auf das Rätsel abeer, was Materie und Kraft seien und wie sie zu denken vermögen, muß er sich ein für allemal zu dem viel schwerer abzugebenden Wahrspruch entschließen: [Wir werden es niemals wissen. - wp] LITERATUR - Emil du Bois-Reymond, Über die Grenzen des Naturerkennens, Vortrag in der zweiten öffentlichen Sitzung der 45. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte zu Leipzig am 14. August 1872, Leipzig 1872
1) PIERRE-SIMON LAPLACE, Essai philosophique sur les probabilités, Seconde Édition, Paris 1814, Seite 3 2) Encyclopédie, Discours préliminaire. Paris 1751, Seite IX. Noch vollständiger hat bereits LEIBNIZ den LAPLACEschen Gedanken entwickelt. BAYLE hatte gegen die Lehre von der prästabilisierten Harmonie eingewendet, sie mache für den Körper eine Voraussetzung ähnlich der eines Schiffes, welches durch eigene Kraft dem Hafen zusteure. 3) Diese schöne Art, die Grundwahrheit der Lehre von den Sinnen zu erläutern, verdanke ich Herrn DONDERS. 4) Vgl. HELMHOLTZ, Gedächtnisrede auf GUSTAV MAGNUS. In den Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Aus dem Jahr 1871, Berlin 1872, Seite 11f 5) Es versteht sich, daß es innerhalb des Rahmens dieses Vortrages meine Absicht nicht sein konnte, eine vollständige Kritik der Theorien über Materie und Kraft zu geben, sondern nur anzudeuten, daß hier unlösliche Widersprüche versteckt sind. Ausführliche Auseinandersetzungen des Gegenstandes aus der neueren Zeit findet man in: GUSTAV THEODOR FECHNER, Über die physikalische und philosophische Atomlehre, Leipzig 1855 und in FRIEDRICH HARMS, Philosophische Einleitung in die Enzyklopädie der Physik, im 1. Band von KARSTENs Allgemeiner Encyklopädie der Physik, Leipzig 1869, Seite 307f 6) Die Wechselwirkung der Naturkräfte usw., Königsberg 1854, Seite 44 7) Vgl. SMAASEN, in POGGENDORFFs Annalen der Physik und Chemie, 1846, Bd. 49, Seite 161 8) Siehe meine Gedächtnisrede auf JOHANNES MÜLLER, Aus den Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1859, Seite 129 9) Über tierische Bewegung, Rede usw. von EMIL du BOIS-REYMOND, Berlin 1851, Seite 4 und 5 10) Oeuvres de DESCARTES, Teil 1, publiées par VICTOR COUSIN, Paris 1824. Discours de la Methode, Seite 158f. - Méditation sixiéme, Seite 2244; - Objections et Réponses, Seite 414; - Oeuvres Teil 3. Les Principes de la Philosophie, Seite 102 11) Ebenda, Les Principes etc., Seite 151. - Vgl. EMILE DUBOIS-REYMOND, Voltaire in seiner Beziehung zur Naturwissenschaft, Berlin 1868, Seite 11 12) Ibidem Oeuvres, Teil IV. Les Passions de l'Ame, Seite 66f, 72f. - L'Homme, Seite 482 13) Dictionaire des Sciences philosophiques par une Sociéte de professeurs de Philosophie, Paris 1844, Teil 1, Seite 523 14) MALEBRANCHE, De la Recherch de la Vérité. Oeuvres complétes, par MM. de Genoude et de Lourdoueix. Paris 1837, Teil 1, Seite 220. - De la Prémotion physique, a. a. O. Teil 2, Seite 392. 15) HEINRICH RITTER, Geschichte der Philosophie, Hamburg 1852, Bd. XI, Seite 104f. - HARMS, a. a. O., Seite 235f. - SCHWEGLER, Geschichte der Philosophie im Umriss, Stuttgart 1870, Seite 144 16) Second Éclaircissement du Systéme de la Communication des Substances, 1696. G. G. Leibnitii Opera philosophica etc., Seite 133. - Troisième 'Eclaircissement, 1696, Seite 134. - Lettre á Basnage etc., a. a. O. Seite 152. - Das Uhrengleichnis auch bei GEULINCX. Seit RITTER hierauf aufmerksam machte (a. a. O. Seite 140), pflegt man es GEULINCX zuzuschreiben. Da aber jenes 40 Jahre GEULINCX' Tod und 13 Jahre nach dem Second Éclaircissement erschienene Buch nicht wörtlich GEULINCX' Werk ist, vielmehr manche fremde Zutat enthlt, so ist vielleicht auch das Uhrengleichnis, nachdem LEIBNIZ es erfunden und wiederholt gebraucht, als allgemein bekanntes Bild nachträglich darin aufgenommen. Um es GEULINCX sicher zuzuschreiben, müßte man es in einer der vor 1696 erschienenen Ausgaben der Ethik nachweisen. In Berlin war denen keine auzutreiben. 17) BIOTs Lehrbuch der Experimetal-Physik. Deutsch bearbeitet von FECHNER. Leipzig 1829, Bd. II, Seite 129 18) Vgl. die ähnlichen Betrachtungen LOCKEs im Essay on Human Understanding (Works, London 1812, Bd. III, Seite 54), welche auch LEIBNIZ in den Nouveaux Essais sur l'Entendement humain (Edition ERDMANN, Seite 375) sich zu eigen gemacht hat. Vgl. noch LEIBNIZ selber Seite 185, 203. - Den hier von mit entwickelten Beweis, daß wir die geistigen Vorgänge aus ihren materiellen Bedingungen nie begreifen werden, habe ich seit Jahren in meinen öffentlichen Vorlesungen "Über einige Ergebnisse der neueren Naturforschung vorgetragen und auch gesprächsweise mitgeteilt. Mein Freund Herr TYNDALL hat davon bereits in seiner Rede zur Eröffnung der mathematisch-physikalischen Abteilung der Britischen Naturforscher-Versammlung in Norwich im Jahr 1868 mit gewohnter Meisterschaft eine glänzende Darstellung gegeben. Scope an Limit of scientific Materialism, in: Fragments of Science for unscientific people. London 1871, Seite 121 19) Untersuchungen über tierische Elektrizität, Bd. I, Berlin 1848, Vorrede, Seite XXXIV. 20) CHARLES DARWIN, The Descent of man etc., London 1871, Bd. I, Seite 145 21) Vgl. EMIL du BOIS-REYMOND, Leibnizsche Gedanken in der neueren Naturwissenschaft, Berlin 1870. 22) GUSTAV THEODOR FECHNER, Elemente der Psychophysik I, Leipzi 1860, Seite 5 23) CARL VOGT, Köhlerglaube und Wissenschaft, Giessen 1855, Seite 32 24) An der oben Anmerkung 2 angeführten Stelle sagt LEIBNIZ: "Cet esprit (fini, mais incomparablement plus parfait que l'esprit humain) pourroit former un corps capable de contrefaire un homme." Er sagt nicht: "former un homme", weil in seinem Sinne dem Automaten von Fleisch und Bein, den er sich wie DESCARTES die Tiere seelenlos vorstellt, zum Menschen noch die mechanisch unfassbare Seelenmodade fehlt. Der Unterschied zwischen der LEIBNIZschen und unserer Anschauung wird hierin besonders klar. Man denke sich alle Atome, aus denen CAESAR in einem gegebenen Augenblick, am Rubicon etwa, bestan, durch mechanische Kunst mit einem Schlag jedes an seinen Ort gebracht und mit seiner Geschwindigkeit im richtigen Sinn versehen. Nach unserer Anschauung wäre dann CAESAR geistig wie körperlich wiederhergestellt. Der künstliche CAESAR hätte im ersten Augenblick dieselben Empfindungen, Strebungen, Vorstellungen wie sein Vorbild am Rubicon und teilte mit ihm seine Gedächtnisbilder, ererbten und erworbenen Fähigkeiten usw. Man denke sich das gleiche Kunststück im gleichen Augenblick mit einer gleichen Anzahl anderer Kohlenstoff-, Wasserstoff- usw. Atome ein, zwei, mehrere Mal ausgeführt. Worin sonst unterschieden sich im ersten Augenblick der neue CAESAR und seine Doppelgänger, als im Ort, an dem sie wären zusammengesetzt wurden? Aber der von LEIBNIZ gedachte Geist, der den neuen CAESAR und seine mehreren Sosia [Doppelgänger - wp] gebildet hätte, verstände gleichwohl nicht, wie die von ihm selber richtig angeordneten und im richtigen Sinn mit der richtigen Geschwindigkeit fortgeschnellten Atome deren Seelentätigkeit vermitteln. |