ra-2ra-2F. VorländerJ. RuskinK. W. C. SchuezM. J. BonnH. Dietzel    
 
OSKAR ENGLÄNDER
Die Erkenntnis des Sittlich-Richtigen
in der Nationalökonomie

[1/2]

"Die Notwendigkeit einer psychologischen Begründung der Volkswirtschaftslehre ist wohl allgemein anerkannt. Ein neuerer Versuch, die theoretische Volkswirtschaftslehre aus gewissen Annahmen unter bewußtem Verzicht auf jede psychologische Begründung zu entwickeln, wurde entschieden zurückgewiesen. Der Verzicht auf eine psychologische Begründung führt zu einer Volkswirtschaft auf anderen Sternen."

"Die ansich richtige Forderung der Ethik läßt sich im Rahmen unserer Wirtschaftsverfassung, die tatsächlich auf dem Grundsatz des Selbstinteresses aufgebaut ist, nicht verwirklichen, unsere Wirtschaftsverfassung widerspricht somit der kardinalsten Forderung der Ethik und es muß daher die Beseitigung dieser sittlich verwerflichen Wirtschaftsverfassung angestrebt werden."

"Es gibt bekanntlich keine unzutreffendere Bezeichnung für den Preis als die des Äquivalents und kein unglücklicheres Zeichen für das Preisverhältnis als das Gleichheitszeichen zwischen Ware und Geld. W = G ist von vornherein grundsätzlich unrichtig. Der Preis ist wohl eine Gegenleistung; der Abschluß eines Tausches und die Bildung eines Preises bedeutet aber nie eine Gleichheit, sondern immer eine Ungleichheit."

1. Wenn man daran geht, die Bedeutung der Erkenntnis des Sittlich-Richtigen für die Wissenschaft der Nationalökonomie festzustellen, ergibt sich eine Reihe von Problemen. Zunächst erhebt sich die Frage, ob und inwiefern die Erkenntnis des Sittlich-Richtigen für die Nationalökonomie überhaupt grundsätzlich in Betracht kommt, ob also die Nationalökonomie ihr Wissensgebiet bearbeiten kann, ohne daß sie in die Lage käme, zu berücksichtigen, was sittlich-richtig ist, oder ob sie nicht vielmehr doch auch diesem Umstand ihre Aufmerksamkeit zuwenden muß. Wird letzteres bejaht und nachgewiesen, daß und bei welcher Gelegenheit die Nationalökonomie bei ihren Untersuchungen veranlaßt ist zu fragen, was sittlich-richtig ist, ergibt sich die zweite Aufgabe: festzustellen, ob der Wissenschaft der Nationalökonomie jene Erkenntnis des Sittlich-Richtigen genügt, wie sie der normale Mensch besitzt, oder ob für sie eine wissenschaftliche Erkenntnis des Sittlich-Richtigen erforderlich ist, wie sie die wissenschaftliche Ethik vermittelt. Zu diesem Zweck wird festgestellt werde müssen welcher Grad von Genauigkeit hinsichtlich der Erkenntnis des Sittliche-Richtigen für die Nationalökonomie erforderlich ist, und ob die Nationalökonomie auch den Ursprung der sittlichen Erkenntnis und die sich hieraus ergebende Sanktion derselben zu berücksichtigen hat. Denn formulierte Sätze der sittlichen Erkenntnis und ihre Sanktion vermittelt nur die wissenschaftliche Ethik, während das normale sittliche Empfinden zumeist nur praktisch angewendet sich in der Regel weder der einzelnen sittlichen Grundsätze noch ihrer Sanktion bewußt wird. Die dritte Frage ist dann die, worin die sittliche Erkenntnis besteht, die die Nationalökonomie berücksichtigen muß, die vierte, welche Folgerungen sich für die Nationalökonomie aus der Erkenntnis des Sittlich-Richtigen ergeben.

Nur die ersten zwei Fragen können hier behandelt werden. Wird die erste Frage, die nach der grundsätzlichen Bedeutung der Erkenntnis des Sittlich-Richtigen für die Nationalökonomie verneint, entfallen selbstverständlich auch die anderen. Wird hingegen die erste Frage bejaht, also festgestellt, daß die Erkenntnis des Sittlich-Richtigen für die Nationalökonomie von grundsätzlicher Bedeutung ist, und ergibt sich ferner, daß die Nationalökonomie mit Rücksicht auf die notwendige Bestimmtheit der sittlichen Erkenntnis, mit der sie arbeiten muß, und mit Rücksicht auf die notwendige Einsicht in die Sanktion der sittlichen Erkenntnis auf die wissenschaftliche Ethik stützen muß, so hieße die Erledigung der dritten und vierten Frage große Gebiete der Ethik einerseits, der Nationalökonomie andererseits zu behandeln. Das aber fällt aus dem Rahmen dieser im wesentlichen methodologischen Abhandlung. So werden dann die Fragen, welches der Inhalt jener sittlichen Erkenntnis ist, der für die Nationalökonomie in Betracht kommt, und welche Folgerungen die Nationalökonomie aus dieser Erkenntnis zu ziehen hat, immer nur gelegentlich und auch dann nicht in jenem Umfang erörtert werden können, der der Wichtigkeit des Gegenstandes ansich entsprechen würde.

Man die zwei Fragen, welche den Gegenstand der folgenden Untersuchungen bilden sollen, die nach der grundsätzlichen Bedeutung der Erkenntnis des Sittlich-Richtigen für die Nationalökonimie und die nach dem Verhältnis der Nationalökonomie zur wissenschaftlichen Ethik auch durch die Gegenüberstellung: Ethik und Nationalökonomie ausdrücken. Nur muß eben immer festgehalten werden, daß es sich dabei um zwei Probleme handelt, von denen das eine als "das Sittliche und die Nationalökonomie", das andere als "die wissenschaftliche Ethik und die Nationalökonomie" bezeichnet werden kann.

Daß man dies nicht unterschieden hat, hat auch mit zu der bestehenden Unklarheit beigetragen. Als Unklarheit muß man wohl den Zustand bezeichnen, der heute hinsichtlich der Lösung der oben umschrieben Fragen in der Wissenchaft herrscht. Denn jene, welche die Fragen bejahen, verfehlen häufig die Begründung oder ziehen nicht die richtigen Folgerungen. Jene hingegen, welche die Frage verneinen, können - soweit es sich nicht direkt um weltfremde Konstruktionen oder um von einem ausgesprochenen Klassenstandpunkt geschriebenen Werke handelt - bei ihren Folgerungen oder praktischen Vorschlägen ihren negativen Standpunkt nicht beibehalten und müssen so praktisch davon ausgehen, was sie theoretisch verwerfen.

Wenn man das Verhältnis von Ethik und Nationalökonomie im obigen Sinn feststellen will, muß man die beiden großen Gebiete der Nationalökonomie gesondert behandeln und für jedes gesondert die Lösung versuchen: die theoretische Volkswirtschaftslehre einerseits und die Volkswirtschaftspolitik andererseits.


I. Ethik und theoretische
Volkswirtschaftslehre

2. Die theoretische Volkswirtschaftslehre ist die Lehre vom Wesen und Zusammenhang der wirtschaftlichen Erscheinungen. Sie zeigt uns, wie die einzelnen Wirtschaften bei der Erreichung ihrer wirtschaftlichen Ziele aufeinander angewiesen sind, wie sie sich im Rahmen der verkehrswirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft in einer unauflösbaren, gegenseitigen Abhängigkeit befinden, und wie in diesem Rahmen die einzelnen Wirtschaften, der Hauptsache nach ohne einheitliche Leitung, in ihren Entschließungen selbständig und doch mit dem Erfolg wieder von den Entschließungen anderer Wirtschaften abhängig, auf die Erreichung des eigenen wirtschaftlichen Zieles bedacht und damit zu den Zielen anderer Wirtschaften beitragend, in höherem oder geringerem Maß ihr wirtschaftliches Ziel erreichen.

Bei der Lösung dieser Aufgabe gelangt die theoretische Volkswirtschaftslehre zu Erscheinungen psychologischer Natur, deren Beschreibung und Erklärung sie ihren weiteren Untersuchungen zugrundlegen muß. Diese psychologischen Grundtatsachen entnimmt die theoretische Volkswirtschaftslehre teis der "gemeinen Alltagserfahrung", teils der wissenschaftlichen Psychologie, sofern erstere nicht ausreicht, diese Tatsache zu beschreiben und zu erklären. Die weitere Erforschung der psychologischen Erscheinungen für die speziellen Zwecke der Volkswirtschaftslehre, die die Psychologie nicht mehr als ihre Aufgabe erachtet, sowie die Anwendung der Ergebnisse auf die wirtschaftlichen Erscheinungen obliegt der theoretischen Volkswirtschaftslehre selbst (1).

Zu jenen psychischen Grundtatsachen, deren Erkenntnis die theoretische Volkswirtschaftslehre ihren weiteren Forschungen zugrunde legen muß, gehören die Motive des wirtschaftlichen Handelns. Nur wenn die Motive bekannt sind, von denen sich das Wirtschaftssubjekt bei seinen wirtschaftlichen Handlungen leiten läßt, lassen sich die wirtschaftlichen Handlungen selbst erklären. Nur durch die Motive können wir in das innere Wesen der wirtschaftlichen Handlungen eindringen, während wir ohne Kenntnis der Motive an der äußeren Erscheinung der wirtschaftlichen Phänomene haften bleiben, höchstens zu einer Beschreibung, nie zu einer Erklärung derselben gelangen könnten. (2)

Dabei ist die Kenntnis der Motive gerade bei jenen wirtschaftlichen Erscheinungen von besonderer Bedeutung, die sich aus den Wechselbeziehungen der Wirtschaften ergeben, also den verkehrswirtschaftlichen Erscheinungen - Preis und verkehrswirtschaftliche Einkommensarten, wie Produktionsgewinn, Handelsgewinn, Geldzins usw. gegenüber dem Wert als algemein wirtschaftlicher Erscheinung, die an eine verkehrswirtschaftliche Organisation der Volkswirtschaft nicht gebunden ist -, da eben bei diesen Erscheinungen, wie sogleich zu erörtern sein wird, ein Zusammenwirken mehrerer Motive zu berücksichtigen ist, deren Komponente die konkrete volkswirtschaftliche Erscheinung herbeiführt.

3. Die theoretische Nationalökonomie kann sich bei der Erklärung der volkswirtschaftlichen Erscheinungen nicht auf die Kenntnis bestimmter Motive beschränken. Sie muß alle Motive kennen, die auf die von ihr beobachteten Erscheinungen Einfluß üben, soweit dieser Einfluß irgendwie von Bedeutung ist. Sie muß unter den Motiven somit insbesonere auch die sittlichen Motive kennen, d. h. sie muß wissen, welche Motive sich im gegebenen Fall beim Einzelnen aus seinen sittlichen Anschauungen ergeben und sie muß diese Motive entsprechend ihrer tatsächlichen Wirksamkeit berücksichtigen. Sie muß also die konkreten sittlichen Anschauungen und die sich aus ihnen ergebenden Einwirkungen auf die wirtschaftlichen Entschließungen kennen. Allein nicht nur diese konkreten sittlichen Anschauungen der Einzelnen muß sie kennen, sie muß auch wissen, welches Verhalten im gegebenen Fall das sittlich-richtige wäre. Denn die tatsächlichen sittlichen Anschauungen leiten sich in letzter Linie aus dem Sittlich-Richtigen ab. Daher gibt nicht erst die unter Umständen sehr schwer zu beschaffende Kenntnis, was von den einzelnen im gegebenen Fall für sittlich gehalten wird, sondern mit gewissen Einschränkungen schon die Kenntnis, was im gegebenen Fall sittlich-richtig ist, die Handhabe, zu beurteilen, was im gegebenen Fall als sittlich wirkt.

So ist dann die Kenntnis, ob ein Motiv sittlich-richtig ist oder nicht, also nicht erst die Kenntnis, ob es vom einzelnen Individuum als sittlich oder nicht sittlich empfunden wird, ein wichtiger Behelff für die Beurteilung des Umstandes, mit welcher Stärke das betreffende Motiv wirkt, insofern als sie zeigt, ob das sittliche Empfinden in der Richtung des Motives wirkt, oder ob sich aus dem sittlichen Empfinden Gegenmotive geltend machen. Daher ist die Beurteilung der Motive vom Standpunkt des Sittlich-Richtigen, insbesondere dort, wo widerstrebende Interessen in Betracht kommen - und dies ist das ganze Gebiet der verkehrswirtschaftlichen Erscheinungen -, ein wichtiges Mittel zur Einsicht in den Zusammenhang von Motiv und wirtschaftlicher Erscheinung, zur Beurteilung, inwieweit diese Erscheinungen aus der Annahme des Wirkens bestimmter Motive erklärt werden können und dürfen. Aus der Notwendigkeit, Motive zu berücksichtigen, ergibt sich somit für die theoretische Nationalökonomie auch die Notwendigkeit, Motive vom Standpunkt einer sittlich-richtigen Erkenntnis zu beurteilen und damit die Notwendigkeit dieser Erkenntnis selbst.

Diese Erkenntnis des Sittlich-Richtigen, deren die Volkswirtschaftslehre bedarf, muß eine wissenschaftliche sein. Die Volkswirtschaftslehre bedarf einer präzisen Bestimmung, was sittlich-richtig ist, und sie bedarf auch einer Einsicht in die Begründung der Richtigkeit, sie soll auch wissen, warum etwas sittlich-richtig ist. Dazu aber benötigt sie eine theoretische Erkenntnis des Sittlich-Richtigen. Sie kann sich nicht mit undeutlichen Gefühlen begnügen, welche eben nur ausreichen, um das praktische Handeln des Einzelnen in nicht allzu komplizierten Fällen zu bestimmen. Sie bedarf einer wissenschaftlichen Erkenntnis, und diese entnimmt sie der Wissenschaft vom Sittlich-Richtigen, der Ethik.

So wären dann die in der Einleitung gestellten Fragen hinsichtlich der theoretischen Volkswirtschaftslehre bejahend beantwortet. Soweit die theoretische Volkswirtschaftslehre auf Motiven die Erklärung einer wirtschaftlichen Erscheinung aufbaut, bedarf sie, um die aus dem sittlichen Empfinden sich ergebenden Motive berücksichtigen zu können, der durch die Wissenschaft der Ethik vermittelten Erkenntnis des Sittlich-Richtigen.

Gegen das Ergebnis, zu dem wir so gelangt sind, sind nun Einwendungen erhoben worden. Mit den zwei wichtigsten wollen wir uns befassen. Die eine geht gegen die Berücksichtigung des sittlichen Moments durch die Volkswirtschaftslehre überhaupt und beruth auf der Behauptung, daß die theoretische Volkswirtschaftslehre sich nur auf dem Motiv des Selbstinteresses aufbauen läßt, andere Motive, also insbesondere die sittlichen Motive überhaupt nicht berücksichtigen kann. Die andere wendet sich gegen die Möglichkeit einer Verwertung von Ereignissen der Ethik mit der Begründung, daß die theoretische Volkswirtschaftslehre nur jene Motive in Betracht ziehen kann, die sich tatsächlich geltend machen, während die Ethik feststellt, welche Motive die sittlich-richtigen sind, ohne Rücksicht darauf, ob sie und in welchem Umfang sie zur Geltung gelangen. Bei der Erörterung dieser Einwendungen wird sich Gelegenheit ergeben, den in diesem Abschnitt geführten Beweis weiter auszuführen und zu begründen.

4. Nehmen wir zunächst den ersten Einwand, die theoretische Volkswirtschaftslehre könne sittliche Motive überhaupt nicht berücksichtigen, weil für sie überhaupt nur ein Motiv, das der Wahrung des eigenen Interesses, maßgebend ist. Nur auf der Annahme eines alleinigen und unbeschränkten Wirkens des Selbstinteresses könne die theoretische Nationalökonomie ihre Ergebnisse aufbauen. Sonstige Motive kann sie nicht berücksichtigen. Daher ist es für sie irrelevant, wie das Selbstinteresse vom sittlichen Standpunkt zu beurteilen ist, ob und welche sittlichen Motive sich ihm entgegenstellen.

Diesen Ausschluß aller anderen Motive außer der Wahrung des Selbstinteresses von der Berücksichtigung durch die theoretische Volkswirtschaftslehre kann man wieder in einem doppelten Sinn auffassen. Man kann einmal behaupten, daß die theoretische Volkswirtschaftslehre als Wissenschaft ihrem Wesen nach die alleinige Berücksichtigung des Selbstinteresses bei wirtschaftlichen Handlungen erfordert, die Berücksichtigung aller anderen Motive, ob sie sich nun geltend machen oder nicht, grundsätzlich ausschließt - oder aber man hält den Ausschluß der anderen Motive nur aus heuristischen Gründen für erforderlich, weil man nur durch eine solche isolierende Methode zu einer Erklärung volkswirtschaftlicher Erscheinungen gelangen kann; in diesem Fall ist die alleinige Berücksichtigung des Selbstinteresses als wirkendes Motiv nichts Grundsätzliches, und es kann daher bei dieser Auffassung die Berücksichtigung der außer dem Selbstinteresse wirkenden Motive nach Gewinnung bestimmter Ergebnisse zur Fortführung der Untersuchung zugelassen werden.

Der prinzipielle Ausschluß aller anderen Motive außer dem Selbstinteresse von der Berücksichtigung durch die theoretische Volkswirtschaftslehre ist von vornherein abzulehnen. Auch die theoretische Volkswirtschaftslehre ist eine Wissenschaft des wirklichen realen Lebens. (3) Man verlangt von ihr die Erklärung volkswirtschaftlicher Erscheinungen, die sich tatsächlich ergeben, die Erklärung, wenn auch nicht unmittelbar einer jeden individuellen volkswirtschaftlichen Erscheinung, z. B. jeder besonderen Preisgestaltung, so doch der realen Gattung, z. B. der Preise überhaupt, und daneben auch solcher individueller wirtschaftlicher Erscheinungen, denen eine größere Bedeutung zukommt, z. B. einer individuellen Krise. Hat nun die theoretische Volkswirtschaftslehre derart konkrete Erscheinungen zu erklären, so muß sie unbedingt alle Momente berücksichtigen, welche diese konkreten wirtschaftlichen Erscheinungen beeinflussen und dabei einem jeden dieser Momente gerade jenes Gewicht beilegen, welches dem Einfluß dieses Moments entspricht. Nimmt sie nur einen Moment - den Eigennutz - und konstruiert hieraus volkswirtschaftliche Erscheinungen, so gelangt sie eben nur zu konstruierten Erscheinungen und nichts berechtigt sie, diese konstruierten Erscheinungen mit Namen zu belegen, welche sonst für wirkliche volkswirtschaftliche Erscheinungen verwendet werden, solange sie nicht nachweist, daß diese konstruierten Erscheinungen dem Wesen nach mit wirklichen volkswirtschaftlichen Erscheinungen identisch sind, daß also z. B. ein so konstruierter Kapitalzins identisch ist mit dem in der Volkswirtschaft tatsächlich auftretenden Produktionsgewinn, und daß letzterer sich in jener Weise und durch all jene Momente, und nur durch diese beeinflußt entwickelt, wie die Konstruktion erfolgte. Dieser Nachweiis kann aber gundsätzlich auf den Eigennutz allein sich aufbauenden Volkswirtschaftslehre nicht gelingen, da im Wirtschaftsleben notorisch neben dem Eigennutz noch andere Motive ihren Einfluß auf die wirtschaftlichen Erscheinungen geltend machen, die konkreten wirtschaftlichen Erscheinungen also auch unter dem Einfluß dieser Motive zustande kommen und daher nur aus dem Zusammenwirken dieser Motive und nicht aus einem allein - dem Eigennutz - erlkärt werden können. (4)

Wie die nichteigennützigen Motive neben dem Motiv des Eigennutzes wirken, kommt dabei für die Lösung der grundsätzlichen Frage, ob sie zur Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen mit heranzuziehen sind, nicht weiter in Betracht. Es genügt die bloße Erkenntnis, daß sie wirken, um die Forderung zu begründen, daß sie bei einer Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen berücksichtigt werden müssen. Die Frage, in welchem Verhältnis die sonstigen und insbesondere die sittlichen Motive zum Motiv des Selbstinteresses stehen, in welcher Stärke und in welcher Richtung sie wirken, tritt erst dann auf, wenn, wie wir dies eben getan haben, die Frage nach ihrer grundsätzlichen Berücksichtigung bejaht ist. Die Feststellung der Stärke und Richtung der neben dem Eigennutz wirkenden Motive wird dann nur entscheiden für die Frage, nicht ob, sondern nur, in welchem Stadium der Forschung sie neben dem Eigennutz berücksichtigt werden müssen.

5. Dies führt zur zweiten Auffassung des Aufbaus der theoretischen Nationalökonomie auf dem Wirken des Selbstinteresses, jener Auffassung, die den Aufbau der Nationalökonomie auf der Annahme eines alleinigen Wirkens des Selbstinteresses nur aus heuristischen Gründen, aus Gründen der wissenschaftlichen Technik für erforderlich hält, ohne die Berücksichtigung anderer Motive im geeigneten Moment auszuschließen. Bei dieser Auffassung muß nun, wie oben erwähnt, zunächst festgestellt werden, in welchem Verhältnis das Selbstinteresse zu anderen Motiven steht, ob und inwieweit eine Gegenwirkung vorliegt und mit welcher Kraft sie eintritt. Erst wenn dies geschehen ist, wird im Prinzip beurteilt werden können, wie weit man bei der Annahme eines alleinigen Wirkens des Selbstinteresses zu einer richtigen Erklärung volkswirtschaftlicher Erscheinungen gelangen kann und wann man auch auf die anderen Motive zurückgreifen muß. Dabei wird man dort, wo ein Motiv dem Motiv des Selbstinteresses sogleich grundsätzlich entgegenwirkt und die Wirkung eine größere ist, dieses Motiv berücksichtigen müssen, bevor man überhaupt allgemein gültige Sätze aufstellt. Soweit dagegen ein grundsätzliches Gegenwiren nicht stattfindet, wird man das neben dem Selbstinteresse wirkende Motiv erst dann zu berücksichtigen haben, sobald und soweit ein Gegensatz eintritt.

Da es uns hier nur auf die aus dem sittlichen Empfinden sich ergebenden Motive ankommt, werden wir nur hinsichtlich dieser Motive, die wir kurz als sittliche Motive bezeichnen wollen, festzustellen haben, in welchem Verhältnis sie zum Motiv des Eigennutzes oder des wirtschaftlichen Selbstinteresses stehen, wann und in welcher Weise sie zu diesem in einen Gegensatz treten und wann sie daher bei der Erklärung volkswirtschaftlicher Erscheinungen berücksichtigt werden müssen. Anstelle des tatsächlich sich geltend machenden sittlichen Empfindens setzen wir dabei entsprechend den obigen Ausführungen (unter 3.) zum Zweck der Untersuchung zunächst ein sittlich-richtiges Empfinden, wobei gezeigt werden wird, daß das tatsächliche sittliche Empfinden hinsichtlich der von uns behandelten Frage mit dem Sittlich-Richtigen übereinstimmt. Aufgrund dieser Untersuchung werden wir dann feststellen können, inwieweit man bei einer bloßen Berücksichtigung des wirtschaftlichen Selbstinteresses vom Standpunkt der sittlichen Motive zu einer richtigen Erklärung einer verkehrswirtschaftlichen Erscheinung gelangen kann. Sonstige neben dem Eigennutz wirkende Motive außer den sittlichen Motiven kommen für unseren Zweck nicht in Betracht. (5)

Vom Selbstinteresse berücksichtigen wir wieder nur das wirtschaftliche Selbstinteresse, das ist die Wahrung des eigenen Interesses bei Verkehrsakten gegenüber den fremden Interessen. Gegenüber diesem Motiv des wirtschaftlichen Selbstinteresses kann z. B. das egoistische Motiv der Ehrfurcht zur Vernachlässigung des wirtschaftlichen Interesses bei Verkehrsakten führen. Von solchen nicht wirtschaftlichen Motiven des Selbstinteresses handeln wir nicht, und wo wir daher im Folgenden den Ausdruck Selbstinteresse gebrauchen, ist darunter ein wirtschaftliches Selbstinteresse gemeint.

6. Auf den ersten Blick scheint es nun, daß die sittlichen Motive zum Motiv des wirtschaftlichen Selbstinteresses im vollsten Gegensatz stehen. Die Ethik lehrt, daß Werte von uns nicht nur soweit anzustreben sind, als sie die eigene Person betreffen, vielmehr ist
    "Bereich des höchsten praktischen Gutes die ganze unserer vernünftigen Einwirkung unterworfene Sphäre, soweit in ihr ein Gutes verwirklicht werden kann. Nicht allein das eigene Selbst: die Familie, die Stadt, der Staat, die ganze gegenwärtige irdische Lebenswelt, ja die Zeiten fernerer Zukunft können dabei in Betracht kommen ... Das Gute ist in diesen weiten Grenzen nach Möglichkeit zu fördern, dies ist offenbar der richtige Lebenszweck, zu welchem jede Handlung geordnet werden soll. Das ist das eine und höchste Gebot, von dem alle übrigen abhängen ... Das gleiche Gute, wo immer es ist, also auch an anderen, wird nach seinem Wert, also überall gleich zu lieben sein." (Franz Brentano, Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis, Seite 29)
Wenn wir demgegenüber die wirtschaftlichen Erscheinungen aufgrund der Annahme erklären wollen, daß jede Wirtschaft ihre Interessen gegenüber der anderen wahrt, jede Wirtschaft gegenüber der anderen ihren Vorteil durchzusetzen bestrebt ist und diesen im Durchschnitt der Fälle auch erreicht, so scheint dies tatsächlich zu der angeführten sittlichen Grundforderung im vollsten Widerspruch zu stehen, und es scheint nur die Folgerung zu verbleiben: entweder die theoretische Volkswirtschaftslerhe geht bei der Annahme der Wahrung des eigenen Interesses als überwiegendes oder Hauptmotiv für die Erklärung der volkswirtschaftlichen Grunderscheinungen von einer unrichtigen Voraussetzung aus, darf also das Motiv des Selbstinteresses für sich allein bei der Erklärung volkswirtschaftlicher Erscheinungen überhaupt nicht verwenden, oder die obige Grundforderung der Ethik ist unrichtig. Wenn man aber schließlich sowohl jener Richtung der theoretischen Volkswirtschaftslehre, die die Erklärung volkswirtschaftlicher Erscheinungen unter Annahme des Selbstinteresses als Hauptmotiv durchführt, als auch der Ethik recht gibt, also sowohl die tatsächliche Annahme der theoretischen Volkswirtschaftslehre, daß das Selbstinteresse das Hauptmotiv ist, als auch die Forderung der Ethik, fremde Interessen zu berücksichtigen, als richtig anerkennt, so scheint dies zu dem Schluß zu zwingen: die ansich richtige Forderung der Ethik läßt sich im Rahmen unserer Wirtschaftsverfassung, die tatsächlich auf dem Grundsatz des Selbstinteresses aufgebaut ist, nicht verwirklichen, unsere Wirtschaftsverfassung widerspricht somit der kardinalsten Forderung der Ethik und es muß daher die Beseitigung dieser sittlich verwerflichen Wirtschaftsverfassung angestrebt werden.

Keine dieser Alternativen ist erfreulich. Sind sie nun aber tatsächlich allein möglich? Läßt sich nicht doch die Grundforderung der Ethik mit der Annahme des Selbstinteresses als Hauptmotiv bei der Erklärung von Erscheinungen der Verkehrswirtschaft vereinigen, ohne dieser die sittliche Grundlage abzusprechen?

Die Antwort lautet: Die Wahrung des Selbstinteresses kann als Grundtatsache der Verkehrswirtschaft angenommen werden, ohne das Grundgesetz der Ethik, die größtmögliche Verwirklichung von Werten auch außerhalb der eigenen Person anzustreben, zu bestreiten und ohne gleichwohl den sittlichen Standpunkt der Verkehrswirtschaft in Frage stellen zu müssen. Es besteht kein unlösbarer Widerspruch zwischen der Wahrung des Selbstinteresses und den ethischen Grundforderungen. Man muß nur diese beiden Grundsätze richtig auffassen.

Zunächst den ethischen Grundsatz. Die Forderung, Werte in möglichster Summierung im Bereich der ganzen unserer vernünftigen Einwirkung unterworfenen Sphäre zu verwirklichen, heißt nicht, das eigene Interesse nicht berücksichtigen zu dürfen oder auch nur es stets dem fremden Interesse unterordnen, ja es auch nur dem fremden Interesse gleichordnen zu müssen. Die Wahrung des eigenen Interesses, und zwar auch gegenüber dem fremden Interesse ist nichts Unethisches, nichts sittlich Verwerfliches. Die Ethik verbietet in keiner Weise grundsätzlich, das eigene Interesse zu wahren, sie gebietet es vielmehr, wobei freilich die Befolgung dieses Gebots durch natürliche Triebe unterstützt wird. Die Wahrung des eigenen Interesses ist also nichts Anti-Ethisches, nicht einmal ein Anethisches, sondern direkt ein ethisches Prinzip. (6)

Die Ethik verlangt nur neben der Wahrung des eigenen Interesses auch die Berücksichtigung des Interesses anderer und betont diesen letzten Grundsatz nur deshalb mit besonderem Nachdruck, weil die Berücksichtigung des eigenen Interesses in der Regel nicht besonders ausgetragen zu werden braucht. Dabei wird aber von der Ethik - wie erwähnt - nicht einmal die gleiche Berücksichtigung des fremden Interesses wie des eigenen verlangt, vielmehr räumt die Ethik die Wahrung des eigenen Interesses vor der des fremden jenen Vorrang ein, der dem eigenen Interesse eingeräumt werden muß, es zur größtmöglichen Summierung von Werten kommen soll. Dies hat in klassischer Weise wieder FRANZ BRENTANO und zwar im unmittelbaren Anschluß an obige Stelle, vom Bereich des praktischen Gutes, ausgesprochen:
    "Man muß sich wohl davor hüten, aus dem Prinzip der Liebe des Nächsten wie sich selbst die Forderung zu ziehen, daß jeder für jeden andern ebenso sorgen muß wie für sich selbst, was weit entfernt, das allgemeine Beste zu fördern, es vielmehr wesentlich benachteiligen würde. Es ergibt sich dies aus der Erwägung des Umstandes, daß man sich selbst eine andere Stellung als zu allen anderen hat und unter diesen wieder dem einen mehr, dem anderen weniger zu helfen und zu schaden in der Lage ist." (7)
Betrachten wir andererseits die Verfolgung des eigenen Interesses als Grundmotiv der Verkehrswirtschaft, um die Vereinbarkeit dieses Grundmotivs mit dem eben umschriebenen ethischen Prinzip festzustellen. Wir sagten, die Verfolgung des eigenen Interesses sei ansich sittlich gerechtfertigt, und es stelle sich ihr daher ansich kein sittliches Bedenken entgegen. Dort nun, wo eine Handlung nicht nur das eigene Interesse, sondern auch das fremde Interesse betrifft, muß dasselbe gelten, falls die Handlung sowohl im eigenen als auch im fremden Interesse gelegen ist. Da ist es nun von besonderer Bedeutung, daß sich in der verkehrswirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft die Verfolgung des eigenen Interesses in der Form von Vorteil gegen Vorteil geltend macht. Es gelangt in der verkehrswirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft die einzelne Wirtschaft in den dem Wesen unserer Wirtschaftsorganisation entsprechenden regelmäßigen Fällen nur dann zu einem Vorteil, wenn sie anderen Wirtschaften einen Gegenvorteil zu bieten und zu verschaffen imstande ist, und sie kommt daher überhaupt grundsätzlich nur dann in die Lage, ihr Interesse anderen Wirtschaften gegenüber geltend zu machen, wenn sie der mit ihr in einen Verkehr tretenden Wirtschaft einen Gegenvorteil anbieten kann. Dies kommt sogleich in den Austauschverhältnissen der Güter, in ihrem Preis, zum Ausdruck. Es gibt bekanntlich keine unzutreffendere Bezeichnung für den Preis als die des Äquivalents und kein unglücklicheres Zeichen für das Preisverhältnis als das Gleichheitszeichen zwischen Ware und Geld. W = G ist von vornherein grundsätzlich unrichtig. Der Preis ist wohl eine Gegenleistung; der Abschluß eines Tausches und die Bildung eines Preises bedeutet aber nie eine Gleichheit, sondern immer eine Ungleichheit, und zwar in einem doppelten Sinn. Eine Ungleichheit der Schätzung von Ware und Preis bei den beiden Vertragsparteien muß vorhanden sind, damit ein Preis überhaupt zustande kommt, und diese Ungleichheit muß bei den zwei Wirtschaften, in deren Verkehr eine Ware um einen Preis umgesetzt wird, in einem entgegengesetzten Sinn vorhanden sein. Die eine Wirtschaft muß die Ware dem Preis, die andere den Preis der Ware vorziehen, damit es zum Austausch einer bestimmten Ware um einen bestimmten Preis kommen kann (8). Was auf beiden Seiten gleich sein könnte, ist höchstens der Grad, in dem von einer jeden der beiden Parteien das zu empfangene Gut dem hinzugebenden vorgezogen wird, oder im Effekt, die durch den Tausch erzielten Vorteil. Diese Gleichheit des Vorteils ist aber - falls und soweit sie sich überhaupt beweisen läßt - in keiner Weise die Bedingung für das Zustandekommen des Austausches, der nur an die Bedingung des Vorhandenseins der Ungleichheit der Schätzung gebunden ist. Dabei genügt es nicht, daß der Schätzungsunterschied etwa nur ein ganz geringer, eben merklicher ist, um den Austausch herbeizuführen. Eine solche, nur eben merkliche Ungleichheit wird vielleicht genügen, um dort den Ausschlag zu geben, wo es sich um eine Wahl zwischen verschiedenen gegebenen Tauschmöglichkeiten handelt, die Vornahme des Tausches selbst aber als vorteilhaft schon feststeht. Mit anderen Worten: Wenn wir sowohl Tauschgut A als auch Tauschgut B dem in unserem Besitz befindlichen Preisgut vorziehen, so wird ein eben merklicher Unterschied des A vor B vielleicht genügen, um uns zu veranlassen, das Preisgut für A statt für B herzugeben. Hingegen wird uns ein nur eben merklicher Unterschied zwischen dem Tauschgut - sei es nun A oder B - und unserem Preisgut nicht zum Tauschen ansich veranlassen können; denn in diesem Fall handelt es sich nicht darum, was ich wählen soll, sondern ob ich wählen soll. Da hier somit der Entschluß zur wirtschaftlichen Handlung des Tausches erst gefaßt werden soll, für die im Selbstinteresse ein Motiv gefunden werden muß, darf der Unterschied, der die wirtschaftliche Handlung veranlassen soll, nicht nur eben merklich, sondern er muß so groß sein, um eine Motiv für die Vornahme der wirtschaftlichen Handlung, für den Austausch, tatsächlich abzugeben.

Jeder bewirkte Austausch, jede konkrete Preisfeststellung in der Verkehrswirtschaft ist also grundsätzlich, wenn wir nämlich von den Fällen des Irrtums, der Irreführung, Gewalt oder aber den Wohltätigkeitsakten absehen, der Ausdruck dafür, daß sich die an einem Tausch beteiligten Wirtschaften gegenseitig eine Vorteil zuwendeten. (9) Nach dem Prinzip von Vorteil gegen Vorteil erklärt sich der Erwerb in der Verkehrswirtschaft aus dem Zusammentreffen des Waltens des Selbstinteresses einerseits und der Möglichkeit, der Gegenseite einen Vorteil zuzuwenden, andererseit. Die Funktion der Erwerbsmittel in der Verkehrswirtschaft besteht dabei im Letzteren, also darin, daß sie einen Preis erzielen helfen, den der Ersteher vorteilhaft findet, da er die Ware dem Preis vorzieht und sich die sonst überhaupt nicht oder nur mit höheren Kosten verschaffen könnte, während der Preis dem Verkäufer wieder aus dem Grund vorteilhaft erscheint, da dieser Preis den Wert der Ware für ihn und dort, wo er den Entschluß zur Anschaffung erst zu fassen hat, auch deren Kosten übersteigt. Das Erwerbsmittel ermöglicht durch Wertungsunterschiede Verkehrsakte mit Vorteil und Gegenvorteil. Die Wahrung des Selbstinteresses führt dann diesen gegenseitigen Vorteil tatsächlich herbei. Wir haben also immer nur zu erklären, auf welche Art die Wirtschaft durch ein Erwerbsmittel in die Lage versetzt wird, einer anderen Wirtschaft in der angegebenen Weise einen Vorteil anzubieten, wobei wir vorauszusetzen haben, daß auch die andere Wirtschaft über soviele Mittel verfügt, um den Vorteil als solchen empfinden und somit im Preis einen Gegenvorteil anbieten zu können. Ist dies erklärt, ergibt sich der tatsächliche Vorteil des Eigentümers des Erwerbsmittels, den wir - je nach der Art des Erwerbsmittels - als Produktionsgewinn, Handelsgewinn usw. bezeichnen und der Gegenvorteil, den der Ersteher der Ware in deren Besitz gegenüber dem Preis findet, aus der hinzutretenden Geltendmachung des eigenen Interesses, die die Gewährung des Gegenvorteils von der Erlangung des eigenen Vorteils abhängig macht.

Die erste Voraussetzung für die zur Verwirklichung des Grundsatzes von Vorteil gegen Vorteil erforderlicehn Wertunterschiede wird durch die Teilung der Beschäftigung unter selbständige Wirtschaften geschaffen, also durch jene Einrichtung, auf der die Verkehrswirtschaft ihrem Wesen nach beruth, eine weitere sodann durch das ausschließliche Verfügungsrecht über Erwerbsmittel bei gewissen Kategorien von Wirtschaften. Die Teilung der Beschäftigungen im Verein mit der Verfügung über besondere Erwerbsmittel ergibt verschiedene Beschaffungsmöglichkeiten für dieselben Güter bei den einzelnen Wirtschaften und damit verschiedene Wertungen derselben Güter durch verschiedene Wirtschaften, was den Austausch der von den verschiedenen Wirtschaften verschieden geschätzten Güter bei Wahrung des Selbstinteresses unter gegenseitigen Vorteilen ermöglicht und veranlaßt. Im Einzelnen entscheidet dann hinsichtlich der Entstehung des von der Wirtschaft erzielten Vorteils die Art des von ihr verwendeten Erwerbsmittels. Beschafft die Wirtschaft die Güter durch Produktionsmittel, so nützt sie die Eigenschaft der Produktionsmittel aus, zu Erfolgen beizutragen, die durch Veränderungen in der Außenwelt (Produktion) herbeigeführt werden und die ohne das Produktionsmittel überhaupt nicht oder nur mit größeren Kosten erzielt werden können. Der Vorteil, der hierdurch den diese Güter benötigenden Wirtschaften gegenüber dem Preis geboten werden kann, wird die Ursache des Gegenvorteils, den die über die Produktionsmittel verfügende Wirtschat in demselben Preis erzielt: des Produktionsgewinns (10). Beschafft die anbietende Wirtschaft lediglich die Ware, ohne an ihr eine Änderung vorzunehmen, muß ihr der Umstand zugute kommen, daß der unmittelbare Austausch zwischen Produzenten und Verbraucher nicht oder nur mit größeren Kosten möglich wäre, damit wieder ein Preis entsteht, der beiderseits einen Vorteil ermöglicht: Handelsgewinn. Der aus der Verfügungsgewalt über Geld ganz allgemein erzielbare Vorteil begründet, anderen Wirtschaften zugewendet, als Gegenvorteil den Geldzins. Die Verfügung über den ausschließlichen Besitz an dauerhaften Gütern, bei denen einzelne Nutzungen abgegeben werden, begründet den Leihzins, Mietzins, weil die Empfänger, die nicht über das dauerhafte Gut verfügen, für die einzelnen Nutzungen dem Eigentümer einen im Ganzen den Kostenpreis des dauerhaften Gutes übersteigenden Preis zugestehen müssen. Schließlich begründet die Darbietung der eigenen Arbeitskraft die Möglichkeit eines Vorteils dadurch, daß infolge der Befähigung zu einer besonderen Arbeitsleistung, dann aber infolge des Sondereigentums an Produktionsmitteln sowie infolge der Ungleichheit in der Verteilung der Vermögen vom Arbeiter die Vermeindung der Arbeitsunlust geringer geschätzt wird als die von der anmietenden Wirtschaft angebotenen Güter (Löhne), während diese Wirtschaft die von ihr angebotenen Güter wieder geringer schätzt als die von ihr zu verwendende Arbeit, sei es, daß sie den Erfolg der Arbeit für sich selbst verwendet, sei es, daß sie diesen Erfolg gegen Gewinn anderen Wirtschaften zukommen läßt, wobei ein direkter Verkehr zwischen Arbeiter und der das Arbeitsprodukt verwendenden Wirtschaft durch den ausschließlichen Besitz der Produktionsmittel bei der vermittelnden Wirtschaft, unter Umständen auch nur der Umsatzmittel, ausgeschlossen wird.

Indem sich bei den einzelnen Wirtschaften mit der auf diese Art gebotenen Möglichkeit, Vorteil gegen Vorteil zu erlangen, der Wille, sein Interesse geltend zu machen und Vorteil nur gegen Vorteil zu gewähren, verbindet, erzielen die einzelnen Wirtschaften ihr Einkommen. Es vereinigt sich das Prinzip der Wahrung des Selbstinteresses mit der Möglichkeit gegenseitig Vorteile zu gewähren, zum Prinzip von Vorteil gegen Vorteil zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Organisation der Verkehrswirtschaft. Dabei ist freilich die Vereinigung von Vorteil und Gegenvorteil keine unmittelbar notwendige, derart, daß etwa eine Wahrung des eigenen Interesses ohne Vorteil der Gegenseite überhaupt nicht möglich wäre. Vielmehr ist da vereinte Auftreten von Vorteil und Gegenvorteil nur eine Folge des Wirkens desselben Interesses von beiden Seiten her. Die Wahrung des Selbstinteresses auf beiden Seiten bewirkt schließlich den Vorteil auf beiden Seiten, jedoch nur das eigene Interesse wird gewahrt, nur der eigene Vorteil gesucht - mit der später zu erwähnenden Einschränkung. Sobald das Selbstinteresse auf der anderen Seite verschwindet oder falsch verstanden wird, bleibt das Selbstinteresse und der Vorteil nur auf der einen Seite. Vorteil und Gegenvorteil sind also nicht unbedingt und immer verbunden; aber doch in den regelmäßigen Fällen, und zwar gerade in jenen Fällen, die für unsere wirtschaftliche Organisation charakteristisch sind; denn diese Fälle, in denen beim Verkehrsakt dem eigenen Vorteil auch ein Vorteil der Gegenpartei entspricht, müssen unbedingt vorherrschen, wenn nicht die ganze verkehrswirtschaftliche Organisation ins Wanken geraten soll.

Die Erkenntnis, daß die Wahrung des Selbstinteresses in der Form von Vorteil gegen Vorteil die Grundlage unserer verkehrswirtschaftlichen Organisation bildet, ist für die Beurteilung der ethischen Grundlage unserer Wirtschaftsorganisation von großer Bedeutung. Wir bemerkten schon, daß die bloße Wahrung des eigenen Interesses nichts Unsittliches ist. Fügen wir nun hinzu, daß diese Wahrung des Selbstinteresses bei Verkehrsakten in dem Bewußtsein erfolgt, daß dem eigenen Interesse von der anderen Seite gleichfalls das eigene Interesse entgegengesetzt wird, und daß infolgedessen dem Vorteil auf der eigenen Seite in der Regel auch ein Vorteil auf der Gegenseite entspricht, so ergibt sich, daß von einer Unvereinbarkeit der Wahrung des eigenen Interesses in unserer Verkehrswirtschaft mit allgemein gültigen sittlichen Geboten nicht gesprochen werden kann, daß wir vielmehr die Wahrung des Selbstinteresses bei Verkehrsakten, soweit nicht besondere Verhältnisse vorliegen und soweit keine Überspannung des Selbstinteresses eintritt, als sittlich gerechtfertigt und unter Umständen als sittliches Gebot anzusehen haben (11). Hieraus folgt dann aber zugleich auch die sittliche Rechtfertigung unserer auf Verkehrsakten beruhenden Wirtschaftsverfassung. (12)

Vergleichen wir nun die Behauptung, daß die Wahrung des eigenen Interesses gegenüber dem fremden Interesse bei Verkehrsakten sittlich-richtig und unter Umständen sittlich geboten ist, mit allgemeinen tatsächlichen sittlichen Anschauungen, auf die allein es des theoretischen Nationalökonomie im vorliegenden Fall ankommt, so werden beide zunächst nicht im Einklang erscheinen. Dies ist jedoch nur scheinbar und hängt damit zusammen, daß zu einem sittlichen Lob von Akten des wirtschaftlichen Selbstinteresses in der Regel kein Anlaß gegeben ist, wogegen wirtschaftliche Akte, in denen das Selbstinteresse dem fremden Interesse hintangesetzt wird, häufig Anlaß zu Lob, wirtschaftliche Akte ferner, bei denen das Selbstinteresse überspannt wird, noch häufiger Anlaß zu sittlicher Mißbilligung geben. Es ist eben genau zu unterscheiden, zwischen lediglich sittlich-richtigen Akten einerseits und lobenswerten sittlichen Akten andererseits. Man lobt nicht die Wahrung des Selbstinteresses bei Verkehrsakten. Damit ist aber nicht gesagt, daß man sie für sittlich verwerflich hält.
    "Es wird eben nur ein solches Verhalten geehrt und gelobt, das nützlich und schwierig, darum selten und vermehrungsbedürftig ist. Was wohl nützlich ist, aber von jedermann ohne Mühe, ja sogar mit Genuß vollbracht wird, wird nicht prämiert." (13)
Gerade das Letztere trifft in unserem Fall zu. Die Wahrung des Selbstinteresses verschafft einen Vorteil und wird deshalb allgemein auch ohne besondere Aufmunterung geübt. Es liegt daher zu einem Lob gar kein Anlaß vor. Man wird einen Händler nicht deshalb vom sittlichen Standpunkt loben, weil er mit Gewinn verkauft. Man wird ihn dagegen loben, wenn er zuweilen aus Gründen des Mitleids mit Verlust verkauft, da eine solche Handlungsweise eines besonderen Motivs bedarf, darum selten und vermehrungsbedürftig ist. Man wird noch viel eher Veranlassung nehmen können, einen Händler zu tadeln, wenn er zuviel Gewinn nimmt, da man hier gegen das Selbstinteresse ein Gegenmotiv schaffen muß. Daß gleichwohl die Wahrung des Selbstinteresses im wirtschaftlichen Verkehr auch vom Standpunkt tatsächlicher sittlicher Beurteilung ansich - also abgesehen von Ausnahmefällen, wie die eben erwähnten - das Richtige ist, ergibt sogleich die Beurteilung der nicht durch besondere Umstände begründeten Unterlassung der Wahrung des Selbstinteresses. Wäre die Wahrung des Selbstinteresses bei Verkehrsakten etwas Unsittliches, so müßte die Unterlassung des Verkehrsaktes ansich schon als etwas Sittliches empfunden werden. Mit anderen Worten: es müßte vom Standpunkt sittlicher Beurteilung richtiger sein, einen Verkehrsakt überhaupt zu unterlassen, als ihn mit der Wahrung des Selbstinteresses durchzuführen. Nun wird es aber niemandem einfallen, etwa den Beruf eines Landwirtes mit vorwiegender Naturalwirtschaft für ansich sittlicher zu halten als den Beruf eines Handwerkers oder gar eines Arztes und zwar nur aus dem Grund, weil der Landwirt von eigenen Erzeugnissen lebt, der Handwerker oder Arzt aber auf die Veräußerung seiner Leistungen angewiesen ist. Es wird niemand es als sittliche Tat preisen oder auch nur als etwas Sittlich-Richtiges bezeichnen, wenn jemand ein Geschäft nur aus dem Grund aufgibt oder nicht unternimmt, weil er aus ihm einen Gewinn ziehen könnte. Man wird eine solche Handlungsweise, wenn keine besonderen Gründe vorliegen, vielmehr nur als unvernünftig, jedenfalls aber nicht als sittlich-richtig bezeichnen. Es handelt sich dabei - wie nochmals betont werden soll - immer nur um die grundsätzliche Rechtfertigung der Wahrung des Selbstinteresses bei Akten des wirtschaftlichen Verkehrs und damit um die sittliche Rechtfertigung der Verkehrsakte mit Selbstinteresse ansich. Der Grad der Durchsetzung des Selbstinteresses kommt vorläufig nicht in Betracht. Da also die Unterlassung von Verkehrsakten mit einer Wahrung des Selbstinteresses nicht als sittlich empfunden wird, kann umgekehrt die Handlung selbst, das Gewinnnehmen ansich bzw. der Verkehrsakt, bei dem man den Gewinn erzielt, nichts Unsittliches sein. Er könnte höchstens sittlich indifferent sein; aber auch dies ist nicht der Fall. Man empfindet es als unsittlich, wenn jemand - obwohl er arbeitsfähig ist - einen Erwerb aufgibt und die Wohltätigkeit in Anspruch nimmt. Man tadelt es, wenn von einem Großgrundbesitzer ertragsfähige Flächen in Jagdgründe, also aus einem Erwerbsmittel in ein Gut erster Ordnung verwandelt werden. In diesen Fällen und einer großen Anzahl von anderen Fällen wird das Nichteingehen von Verkehrsakten, die mit Gewinn verbunden wären, also die Nichtbeachtung des Erwerbsinteresses als den sittlichen Geboten nicht entsprechend empfunden. Daß diese Empfindung nicht allgemeiner zum Bewußtsein kommt, ist - wie erwähnt - darauf zurückzuführen, zunächst, daß zu einem Lob als Ansporn zu Verkehrsakten gewöhnlich keine Nötigung vorliegt, da das Selbstinteresse ansich ein genügendes Motiv für diese Akte darstellt, es daher zu einer ausdrücklichen billigenden sittlichen Beurteilung solcher Akte überhaupt nicht kommt, sowie darauf, daß umgekehrt in den Fällen, in denen man sein Erwerbsinteresse vernachlässigt, dies in der Regel aus altruistischen, also lobenswerten Motiven geschieht, und daß endlichin jenen Fällen, wo altruistische Motive nicht im Spiel sind, die Schädigung der Gesamtheit oder einzelner, denen man durch die Vernachlässigung des eigenen Erwerbsinteresses und somit des eigenen Vorteils die Möglichkeit eines Vorteils entzieht, sehr häufig nicht empfunden wird. (14)

7. Die Feststellung der Vereinbarkeit der Grundlagen unserer verkehrswirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft mit sittlichen Forderungen, die sich aus der Stellung des Selbstinteresses zum Sittlich-Richtigen ergibt, ist nun ansich jedenfalls wichtig. Die weitere Vertiefung dieses Ergebnisses ist unbedingt Gegenstand nationalökonomischer Forschung, und wir erhalten sogleich ein Gebiet, in dem die theoretische Nationalökonomie auf der Erkenntnis des Sittlich-Richtigen und im weiteren Verfolgen auf Ergebnissen ethischer Forschung weiter zu bauen hat. Sie wird auf diesem Gebiet zu untersuchen haben, ob und inwiefern die sittlichen Gebote im Rahmen einer bestimmten wirtschaftlichen Verfassung verwirklicht sind und verwirklicht werden können und wird sodann ein Urteil über die betreffende Wirtschaftsverfassung von einem sittlichen Standpunkt fällen können. Doch wollen wir uns mit dieser Aufgabe, die mehr in ein Grenzgebiet von theoretischer und praktischer Nationalökonomie fällt, hier nicht weiter befassen; hingegen wollen wir bestimmen, welche Folgerungen sich aus der Vereinbarkeit wirtschaftlicher und sittlicher Grundsätze in der verkehrswirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft für die besondere Frage ergeben, inwieweit wirtschaftliche Erscheinungen einer so organisierten Volkswirtschaft aufgrund der bloßen Annahme einer Verfolgung des eigenen Interesses ohne besondere Berücksichtigung sittlicher Motive erklärt werden können.

Die Antwort lautet: da die Verfolgung des eigenen Interesses bei einem Verkehrsakt, dessen schließliches Ergebnis der Vorteil gegen einen anderen Vorteil ist, nichts den sittlichen Gesetzen und tatsächlichen sittlichen Anschauungen Widersprechendes ist, so wird sich gegen einen solchen Verkehrsakt und das in ihm zum Ausdruck kommende, ihn veranlassende und ihm die Richtung gebende Selbstinteresse grundsätzlich aus dem sittlichen Empfinden eines sittlich normal empfindenden Menschen kein Gegenmotiv ergeben. Das Selbstinteresse kann also bei Verkehrsakten mit Vorteil gegen Vorteil zunächst, d. h. grundsätzlich als solches, nicht dem Grad der Durchsetzung nach, ungehemmt durch entgegenstehende sittliche Erwägungen zur Wirkung gelangen, und es kann daher auch als alleinige Triebkraft der wirtschaftlichen Handlung in ihrer allgemeinen Erscheinung angenommen werden. Die auf der Wahrung des Selbstinteresses mit Vorteil gegen Vorteil beruhende wirtschaftliche Erscheinung kann als solche aus dem Selbstinteresse allein ohne besondere Berücksichtigung sittlicher Motive erklärt werden. Da wir nun oben zu zeigen versuchten, daß grundsätzlich sowohl der Preis, also das Ergebnis des Austausches, als auch die einzelnen Einkommensarten, die sich auf den Preis gründen, bei einer Wahrung des Selbstinteresses als Vorteil gegen Vorteil entstehen, ergibt sich, daß wir alle wirtschaftlichen Erscheinungen der Verkehrswirtschaft, wie Preis, Geld, Produktionsgewinn, Geldzins, Mietzins, Arbeitslohn unter Annahme eines alleinigen Wirkens des Selbstinteresses erklären können, ohne uns dem Vorwurf auszusetzen, die dem Selbstinteresse entgegenwirkenden sittlichen Motive nicht berücksichtigt zu haben; denn keiner dieser wirtschaftlichen Erscheinungen ansich wirken sittliche Motive grundsätzlich entgegen. Keine von ihnen ist ansich unsittlich, keine kommt ansich also - abgesehen von einzelnen konkreten Erscheinungsformen - gegen das sittliche Gebot zustand. Aus diesem Grund können sie ihrem Wesen nach alle aus dem ungehindert wirkenden Selbstinteresse erklärt werden, ohne damit dem Selbstinteresse mehr und den sittlichen Motiven weniger Gewicht beizulegen, als ihnen nach den tatsächlichen Verhältnissen wirklich zukommt.
    Die Erkenntnis des Sittlich-Richtigen, bestätigt durch das tatsächliche sittliche Verhalten im Verein mit der Erkenntnis des in der verkehrswirtschaftlich organisierten Volkswirtschaft herrschenden Grundsatzes von Vorteil gegen Vorteil ergibt, daß das sittliche Moment der Geltendmachung des Selbstinteresses bei Verkehrsakten ansich nicht entgegensteht und gestattet der theoretischen Nationalökonomie die Erklärung des Wesens der verkehrswirtschaftlichen Grunderscheinungen auf der Annahme der Wahrung des Selbstinteresses ohne eine besondere Betonung sittlicher Motive durchzuführen.
Dieses methodologisch wichtige Ergebnis zeigt uns nicht etwa die Entbehrlichkeit, sondern gerade die Notwendigkeit der sittlichen Erkenntnis für die theoretische Volkswirtschaftslehre; denn nur in dieser Erkenntnis findet sie die Rechtfertigung für den methodologischen Vorgang der alleinigen Berücksichtigung des Selbstinteresses bei der Erklärung verkehrswirtschaftlicher Grunderscheinungen. Wir erlangen nur durch die Erkenntnis des Sittlich-Richtigen und im besonderen durch die Erkenntnis der wahren Stellung des Selbstinteresses zur Sittlichkeit vereint mit der Einsicht in das Wesen der Verkehrsakte die richtige Begründung für die in der Erfahrung konstatierte und von der Theorie auch angewendete ausschlaggebende Wirksamkeit des Motivs des Selbstinteresses bei Verkehrsakten. Zugleich zeigt uns aber auch die Erkenntnis des Sittlich-Richtigen die Grenzen, innerhalb deren bei theoretischen volkswirtschaftlichen Untersuchungen vom alleinigen Wirken des Selbstinteresses ausgegangen werden darf.

Es ist das Gebiet der allgemeinen Erklärung verkehrswirtschaftlicher Grunderscheinungen. Was für dieses Gebiet gilt, daß wir vom Selbstinteresse allein ausgehen können, gilt nicht von der allgemeinen wirtschaftlichen Erscheinung des wirtschaftlichen Wertes, die nicht an eine Verkehrswirtschaft gebunden ist, und es gilt auch nicht für besondere Erscheinungsformen der verkehrswirtschaftlichen Grunderscheinungen. Bevor wir jedoch auf das Verhältnis der Erkenntnis des Sittlich-Richtigen zu diesen besonderen Erscheinungsformen und zum Wert eingehen, wollen wir noch zunächst das gewonnene Ergebnis durch einen Vergleich mit anderen Lösungsversuchen des Problems der Stellung des Selbstinteresses in der theoretischen Nationalökonomie einer weiteren Prüfung unterziehen.
LITERATUR Oskar Engländer, Die Erkenntnis des Sittlich-Richtigen in der Nationalökonomie, Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, 38. Jahrgang, Leipzig 1914
    Anmerkungen
    1) Die Notwendigkeit einer psychologischen Begründung der Volkswirtschaftslehre ist wohl allgemein anerkannt. Ein neuerer Versuch, die theoretische Volkswirtschaftslehre aus gewissen "Annahmen" unter bewußtem Verzicht auf jede psychologische Begründung zu entwickeln, wurde entschieden zurückgewiesen, wobei insbesondere gezeigt wurde, daß trotz des scheinbaren Verzichts auf eine psychologische Begründung es psychologische und durch psychologische Forschung erschlossene Tatsachen sind, die als Annahmen der weiteren Deduktion zugrunde gelegt werden (vgl. WIESER, in diesem Jahrbuch, Jhg. 35 (1911), Seite 1909f) und daß andererseits der Verzicht auf eine psychologische Begründung und Korrektur der rein deduktiv aus obigen Annahmen abgeleiteten Ergebnisse zu einer "Volkswirtschaft auf anderen Sternen" führt (SCHMOLLER, Artikel "Volkswirtschaft" im Handbuch der Staatswissenschaften, Seite 450); siehe ferner insbesondere BÖHM-BAWERK, Positive Theorie des Kapitals, Seite 321f, der gegenüber WIESER und MAX WEBER, die sich eher auf die allgemeine psychologische Erfahrung beschränken wollen, die Verknüpfung mit der Wissenschaft der Psychologie schärfer betont. Dann MARTY, Was ist Philosophie? und OSKAR KRAUS, Zur Theorie des Werts.
    2) "Volkswirtschaftliche Erscheinungen beobachten heißt die Motive der betreffenden wirtschaftlichen Handlungen und ihre Ergebnisse, deren Verlauf und Wirkung in der Außenwelt feststellen." (SCHMOLLER, a. a. O., Seite 450). "Will die theoretische Soziallehre das soziale Gewesensein, Sein, Werden kausaliter erkennen, so muß sie die Motive des Menschen kennen" (DIETZEL, Artikel "Selbstinteresse" im Handbuch der Staatswissenschaften). Dann WAGNER, Grundlegung der ... Bd. I, Seite 20. Vgl. auch HESSE, Werturteile in der Nationalökonomie, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 1912, Seite 186.
    3) MARSHALL, Principles of Economics, Seite 78: "In all this they (economists) deal with man as he is; not with an abstract or "economic" man." [In all dem haben es die Ökonomen mit dem Menschen, wie er ist zu tun, nicht mit einem abstrakten oder "ökonomischen" Menschen. - wp] MENGER, Methode der Sozialwissenschaften, Seite 33: "Der Zweck der theoretischen Wissenschaften ist das Verständnis, die über die unmittelbare Erfahrung hinaus reichende Erkenntnis und die Beherrschung der realen Welt.
    4) Daß neben dem Motiv der Wahrung des Selbstinteresses auch andere Motive im Menschen tatsächlich wirksam werden und bei wirtschaftlichen Entschließungen sich geltend machen, bedarf keines weiteren Beweises. Es genügt, in dieser Beziehung auf die innere und äußere Erfahrung eines jeden normalen Memnschen hinzuweisen. Das wird auch ganz allgemein anerkannt. Vgl. z. B. BÖHM-BAWERK, a. a. O., Seite 316: "Die Tatsächlichkeit altruistischer Motive kann nicht gut von jemandem geleugnet werden."
    5) Vgl. hinsichtlich dieser Motive WAGNER, Grundlegung I. Teil, Seite 83f
    6) Die Gegenüberstellung von Selbstinteresse und ethischem Motiv als Gegensatz ist also grundsätzlich unrichtig. Die Gegenüberstellung soll lauten: Selbstinteresse und altruistisches Motiv, wobei Ersterem der ethische Charakter überhaupt nicht abgesprochen wird. Die Identifizierung der altruistischen Motive mit den ethischen und die Stellung des Selbstinteresses im Gegensatz zu diesen hat - wie noch weiter auszuführen sein wird - die Hauptschwierigkeit für die richtige Lösung der Frage gebildet. Es hat daher z. B. LEXIS, wie auch andere, die Verwendung der Bezeichnung Egoismus für Selbstinteresse mit Recht abgelehnt, da im Wort "Egoismus" eine sittliche Mißbilligung liegt, die nicht ohne weiteres berechtigt ist (Allgemeine Volkswirtschaftslehre). Wir gehen freilich noch weiter, indem wir sagen, daß die sittliche Mißbilligung für die Wahrung des Selbstinteresses nicht nur nicht ohne weiteres berechtigt, sondern - soweit nicht bestimmte Gründe vorliegen - überhaupt nicht berechtigt ist. Siehe PHILIPPOVICH, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, § 35; ferner GIDE/RIST, Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen", Seite 403: "Individualismus bedeutet durchaus nicht Egoismus, wenigstens nicht im gewöhnlichen Sinn dieses Wortes. Diese Konfusion ... ist nach dem, was sie behauptet, ein sinnloser Streit."
    7) Vgl. auch die interessante Bemerkung bei JOHN STUART MILL: "In den Vorschriften des Jesus von Nazareth finden wir den wirklichen utilitaristischen Geist: Tue deinem Nächsten, was du willst, daß er dir tue. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Wie dich selbst: man muß daher beginnen, sich selbst zu lieben, ehe man andere lieben kann." (L'Utilitarsm, Zitat bei GIDE/RIST, a. a. O. Seite 403).
    8) Siehe BÖHM-BAWERK, a. a. O., Seite 358: "Ein Tausch ist ökonomisch möglich nur zwischen Personen, die Ware und Preis abweichend, ja entgegengesetzt schätzen.
    9) Daß dieser Satz von Vorteil gegen Vorteil nicht identisch ist mit dem Satz, daß jede Förderung des eigenen Vorteils eine Förderung des fremden Vorteils bedingt und daß er auch nichts mit der Lehre von der Harmonie der Volkswirtschaft zu tun hat, sei gleich hier bemerkt.
    10) Vgl. hinsichtlich dieser Erklärung des Produktionsgewinns meine "Theorie des Produktiv-Kapitalinses", Halle/Saale 1908.
    11) "Die wirtschaftliche Verantwortlichkeit kann nur bedeuten: Verantwortlichkeit für eine verständige und den Interessen der Gesamtheit nicht widersprechende Ausnützung der in der menschlichen Gemeinschaft und durch ihre Solidaritätseinrichtungen gebotenen Gelegenheit zur Selbstbehauptung." PHILIPPOVICH, Geschichte der wirtschaftspolitischen Ideen, Seite 135.
    12) Selbstverständlich ist damit nicht gesagt, daß nur die gegenwärtige Wirtschaftsverfassung sittlich gerechtfertigt ist oder auch nur, daß sie vom sittlichen Standpunkt vorzüglicher ist als andere Wirtschaftsverfassungen.
    13) OSKAR KRAUS: Lob, Lohn, Tadel und Strafe bei Aristoteles, Seite 31
    14) LEXIS erblickt die sittliche Rechtfertigung für die Wahrung des Selbstinteresses in der Drohung des wirtschaftlichen Untergangs, dem jener ausgesetzt ist, der sein eigenes Interesse im wirtschaftlichen Kampf nicht wahrt. (Allgemeine Volkswirtschaftslehre und Artikel "Selbstinteresse" im Wörterbuch der Volkswirtschaft). Wäre dies tatsächlich die alleinige Rechtfertigung der Wahrung des Selbstinteresses bei Verkehrsakten, müßte sich hieraus folgendes ergeben: Da nach dieser Auffassung nur der wirtschaftliche Kampf das Selbstinteresse entschuldigte, müßte eine jede geschlossene Wirtschaft einer jeden für den Markt arbeitenden Wirtschaft in sittlicher Beziehung vorzuziehen sein, da bei ersterer eine Wahrung des Selbstinteresse gegenüber anderen Wirtschaften überhaupt nicht stattfindet. Es wäre ferner in all jenen Fällen, woe eine wirtschaftliche Notlage nicht vorliegt, also wo man von freiwilligen Gaben leben könnte, ein Erwerb mit Wahrung des Selbstinteresses vom sittlichen Standpunkt aus nicht zulässig, mit anderen Worten: der Nichterwerb mit der hierdurch ermöglichten Unterlassung der Wahrung des Selbstinteresses müßte von einem sittlichen Standpunkt dem Erwerb mit einer Wahrung des Selbstinteresses vorzuziehen sein. Unser sittliches Empfinden weist uns aber - wie an obigen Beispielen gezeigt wurde - das Gegenteil. Wir ziehen vom sittlichen Standpunkt unter sonst gleichen Umständen ein erwerbstätiges Leben dem erwerbslosen vor. Da somit auch beim Entfall des wirtschaftlichen Zwanges der Erwerb mit einer Wahrung des Selbstinteresses nichts Unsittliches wird, sondern sittlich gerechtfertigt ist, kann die sittliche Rechtfertigung für die Wahrung des Selbstinteresses nicht in einem wirtschaftlichen Zwang, der wirtschaftlichen Notwehr gelegen sein. Vielmehr ergibt sich die sittliche Rechtfertigung der Wahrung des Selbstinteresses daraus, daß die Wahrung des Selbstinteresses mit der Annahme des gleichen Interesses auf der Gegenseite beim Verkehrsakt Hand in Hand geht. Der Erwerb mit Wahrung des Selbstinteresses wird dadurch nicht nur sittlich entschuldbar, sondern sittlich gerechtfertigt. Dabei ist natürlich nicht zu übersehen, daß hinsichtlich des Grades der Wahrung des Selbstinteresses, also hinsichtlich des Verhältnisses des Vorteils zum Gegenvorteil die wirtschaftliche Lage - also insbesondere der Zwang zur Erhaltung - für die sittliche Beurteilung von Wichtigkeit ist; doch mit diesen graduellen Verschiedenheiten haben wir uns hier, wo es nur auf die sittliche Rechtfertigung des Erwerbs mit einer Wahrung des Selbstinteresses ansich ankommt, nicht zu beschäftigen.