tb-2cr-2WindelbandF. MünchL. SsalagoffF. GoldnerA. Liebert    
 
EMIL LASK
Zum System der Logik

"Bei irgendeinem Letzten müssen wir haltmachen. Aber so ein Letztes ist das Logische für sich noch nicht. Es läßt sich einem Höheren unterordnen, nämlich: Gelten, Wert (Sinn, Bedeutung). Davon ist es eine bestimmte Unterart, es ist theoretische Gültigkeit. Erst damit ist das eigentliche Verständnis der Logik erreicht. Wir sehen sie in den erleuchtenden Zusammenhang mit den übrigen Wertwissenschaften geraten."

"Erkennen besteht in einem Sichverhalten gegenüber einem Objekt, in einem intentionalen Akt, wie sich die Scholastik und im 19. Jahrhundert Brentano und seine Schule ausdrückt. Wir schließen uns den neueren Urteilstheorien Windelbands und Rickerts an, die erkannt haben, daß das Objekt, zu dem Stellung genommen wird, ein Wert ist."

"Es ist kaum möglich, dem eigentümlichen Charakter des Wertes, der Erhabenheit und Unbedingtheit des Geltens einen treffenderen Ausdruck zu geben als durch die bekannten Wendungen vom Fordern und darauf bestehen, vom Gebieten und der Norm. Geltender Wert ist Anerkennungswürdigkeit, Anerkennungswert, was Hingabe verdient, dem sie gebührt, auch was sie fordert und worauf sie besteht, Gelten ist Wert, Fordern, Norm."


I. Die Grundbegriffe der
Geltungsphilosophie

Durch die philosophische Bewegung am Ende des 19. Jahrhunderts scheint mir die letzte Orientierung für alle philosophische Spekulation erarbeitet zu sein. Ich erblicke die befreiende, klärende Tat darin, daß mit unerhörter Schroffheit die Gesamtheit des überhaupt Denkbaren auf eine letzte Gegensätzlichkeit zurückgeführt, daß erkannt wurde, es gäbe eine letzte Scheidung und Sichtung, den Urgegensatz nämlich zwischen Seiendem und Geltendem, zwischen Wirklichkeit und Wert, zwischen dem was da  ist  und  geschieht,  und dem was  gilt,  ohne sein zu müssen. Mit dieser letzten Lichtung und Ordnung im Bereich des Denkbaren ist auch die fundamentale Gegensätzlichkeit alles wissenschaftlichen Erkennens aufgezeigt, der Anarchie der Gesichtspunkte alles überhaupt möglichen Fragens und Forschens ein endgültiges Ende bereitet. Was in der deutschen idealistischen Philosophie gemeint und zur Phrase von Natur und Vernunft zu erstarren drohte, was in der gesamten Geschichte der Philosophie in solchen Gegenüberstellungen wie Erscheinung und wahre Wirklichkeit (Materie und Geist), Endliches und Unendliches (Sinnliches und Übersinnliches), Empirisches und Überempirisches, Zeitliches und Zeitlos-Ewiges geahnt wurde, das ist jetzt zu schärfster, klarster Ausprägung gelangt. Mit einem Schlag hat diese Einsicht uns über die Verworrenheit philosophischen Strebens hinausgeführt, der Philosophie Klarheit über sich selbst gebracht und ausgesprochen. In der Ergründung von geltendem Wert, Sinn, Bedeutung ist ihr eine einheitliche und eindeutige Aufgabe zuerteilt. Erst durch diese Erkenntnis konnte auch die Logik zum erstenmal einen eigentlichen Halt bekommen und als Grübeln über theoretisches Gelten, somit als eine Art philosophischer Besinnung verstanden werden. Wenn auch seit alters her die "Wahrheit" schon als ein Wert erkannt worden ist, so hat sich doch bis zur Gegenwart die Logik nicht vom Wertgedanken beherrschen und durchdringen lassen. Daß das Reich der logischen Formen ein Reich von Wertformen ist, dazu hat sie sich fast nie durchzuringen vermocht.

Auch das ganze Wiedererwachen der Logik und Erkenntnistheorie im 19. Jahrhundert, ihr Sichlosringen von Psychologie und Metaphysik erscheint hierin noch nicht als ein Zustand völliger Wachheit. Da ist noch ein bloßes Stammeln von Worten und ein Tappen im Dunkeln. Wenn da versichert wird, nicht um Entstehung, sondern den Begriff, nicht um die Ursachen, sondern die Gründe der Erfahrung, nicht um psychologische, sondern "logische" Charakterisierung handelt es sich, nicht um Erkennen im subjektiven, sondern im "objektiven" Sinne - dann sind das alle Worte mit der flehentlichen Bitte, sich das Richtige zu denken. Besonders auf dem Wort "logisch" selbst ruht ein uralter ehrwürdiger Zauber. Was ist logisch? Es wird für etwas Letztes, Ungergleichbares, Unkoordinierbares ausgegeben, über das nicht hinausgefragt werden darf. Logisch ist eben logisch und nicht psychologisch. Aber aus welchem Stoff ist es denn gewebt? Hat es nirgends seinesgleichen? Was sind den Begriffe und Gründe? Was ist Identität, Syllogismus, Ding und Kausalität? Sind es Realitäten oder ideale, unzeitliche Gebilde? Aber was bedeutet denn Realität und was ideal oder unzeitlich? Da ist es nun der entscheidende Schritt der gegenwärtigen Philosophie gewesen, das Reich des Logischen eindeutig und fraglos und unerbittlich in jener wahren Zweiweltentheorie, in der Dualität des Seienden und Geltenden untergebracht, ihm seine sachliche Heimat bestimmt zu haben. Bei irgendeinem Letzten müssen wir haltmachen. Aber so ein Letztes ist das  Logische  für sich noch nicht. Es läßt sich einem Höheren unterordnen, nämlich: Gelten, Wert (Sinn, Bedeutung). Davon ist es eine bestimmte Unterart, es ist theoretische Gültigkeit. Erst damit ist das eigentliche Verständnis der Logik erreicht. Wir sehen sie in den erleuchtenden Zusammenhang mit den übrigen Wertwissenschaften geraten.

Schon dem naiven Bewußtsein läßt sich in der Tat leicht nahebringen, daß sich der Inbegriff des Denkbaren überhaupt nicht mit der Gesamtheit des Seins und in der Zeit abrollenden Geschehens erschöpft. Die Gesamtheit des durch den Zeitenfluß sich hindurcherstreckenden Weltgeschehens einschließlich aller in sämtlichen bewußten Wesen sich abspielenden psychischen Prozesse ist nicht das Einzige, was es gibt, nicht das All des Denkbaren überhaupt. Vom Seienden zu einem Nichtseienden, von der gesamten Wirklichkeit zu einem Unwirklichen vorzudringen, ist der primitivste Anfang eines Verständnisses für das, worauf alle philosophische Spekulation allein gerichtet ist. Denn es ist nicht ihres Amtes, Bau und Einrichtung des Kosmos zu enthüllen, all die Arten und Gattungen lebloser und lebender Wesen zu beschreiben, ihren gesetzmäßigen Mechanismus zu begreifen. Ihre Aufgabe ist vielmehr, sich in das zu vertiefen, was aus der Fläche des Seins gänzlich herausfällt, was ein anderes ist als das Wirkliche, ein Unwirkliches und dennoch nicht ein  Nichts. 

Dinge  sind,  Ereignisse  geschehen,  indem Seiendes sich verändert. Und es mag hierbei sogleich eingeschaltet werden, daß unser Seins- und Geschehensbegriff ein das Physische und Psychische gleichmäßig umspannender ist. Ebenso wie Gestirne, Steine, Berge, Billardkugeln, Organismen, so sind auch Empfindungen und Gefühle  Realitäten.  Und wie mit jenen etwas  geschehen  kann, wie: Bewegungen, fallen, rutschen, bröckeln, wachsen, springen, fliegen, so gibt es auch ein Geschehen auf psychischem Gebiet. Es gibt Wahrnehmungsakte, Willensprozesse, Gefühlsregungen. Wenn ich eine Stunde über philosophische Probleme gegrübelt habe, so haben sich dabei vorkommend eine Stunde lang psychische Prozesse vollzogen. Das sind tatsächlich passierte, eine meßbare Zeitdauer erfüllende Fakten, reale Vorgänge, ein Stück des universalen kosmischen Geschehens.

Dagegen eröffnet sich der Blick in die ganz andersartige Region des Nichtsinnlichen, wenn wir an die Wahrheit irgendeines Satzes denken. Die Wahrheit  gilt,  es ist absurd, zu sagen, sie  ist  oder  geschieht.  Die Wahrheit eines Satzes "folgt" aus ihren "Gründen", aus der Wahrheit ihrer Prämissen. Ein solcher Geltungszusammenhang ist ein Verhältnis unvergleichbar anderer Art als ein Geschehenszusammenhang zwischen Realitäten. Verschiedene Ereignisse, z. B. das Herausgeschleudertwerden eines Steins aus einem Vulkan und das Wehen des Sturmes "bewirken" ein drittes Ereignis, etwa die Zertrümmerung des durch den Stein getroffenen Hauses.  Bewirkt  vielleicht die Wahrheit der Prämissen die Wahrheit der Konklusion? Die geltenden Wahrheiten der Vordersätze sind doch nicht reale Potenzen, zeiterfüllende Ereignisse, die zusammentreffen und so die Wahrheit der Konklusion realiter in die Welt setzen, als drittes Ereignis ursächlich hervorbringen. Vielmehr ist die Abhängigkeit des Gegründetseins - wenn die einen Sätze gelten, dann gelten auch die anderen -, dieses dem  Sinn  nach Durcheinanderbedingtsein, der Geltung nach ein Auseinanderhervorgehen und Zusammengeschlossensein etwas unvergleichbar anderes als die ursächliche Verkettung zwischen realen Geschehnissen. Wer solche Geltungsbeziehungen verstanden hat, weiß, daß wir damit auf eine zeitlose Ordnung hingewiesen sind. Das soll nichts anderes heißen, als daß es wiederum unsinnig ist, Zeitbestimmungen auf das anzuwenden, was außerhalb des realen Geschehens liegt. Daß die eine Wahrheit aus der anderen folgt, in ihr mitenthalten, durch sie mitgefordert ist, dieses Aneinandergebundensein dem  Sinn  nach ist nicht ein Verhältnis zeitlicher Sukzession, sondern es ist jenes eigentümliche sachliche Geltungsverhältnis, das jeder versteht, der die Wahrheit des syllogistischen Wahrheitsgefüges einsieht. Die Sprache freilich vermag diese Verhältnisse nur in Gleichnissen auszudrücken, die der Welt des Seienden entnommen sind. Sie gebraucht die räumlichen und zeitlichen Bilder: "Folge", "Grund", "Hervorgehen" usw. Aber ebensowenig wie die Wahrheiten sich über einem Grund wie Stockwerke räumlich übereinandertürmen, so wenig folgen sie einander in der Zeit. Oder man denke an das Verhältnis der Unverträglichkeit zweier einander kontradiktorisch entgegengesetzter Sätze. Wie vorher das Zusammengehörigkeitsverhältnis keine Verbindung, so ist das Ausschließungsverhältnis keine Abstoßung zwischen Realitäten, keine "Realrepugnanz" [Realgegensatz - wp]. Auch hier hat die Sprache nur Bilder aus dem Bereich der anschaulichen Realitäten zur Verfügung, Bilder eines räumlichen Auseinanderliegens oder Aufeinanderstoßens und Kämpfens,  antinomia, oppositio,  Widerstreit, Unverträglichkeit und dgl. Auch das, was die einzelnen Teile des Kunstwerkes, wenn man unter Teilen nicht die Bestandteile der äußeren Darstellungsmittel versteht, zur Einheit verbindet, versetzt uns aus der Region des zeitlich verlaufenden, kausal verknüpften Geschehens heraus. Wenn ein begonnenes Dram einen bestimmten Abschluß fordert, so sind die vorangegangenen Akte nicht die Ursache des letzten, ziehen nicht als kausale Antezedenzien [Vorleben - wp] in einem zeitlichen Prozeß später eintretende Ereignisse nach sich, sondern es findet ein gegenseitiges Sichbedingen der Elemente eines ästhetischen Gesamtgehaltes statt. Durch eine umspannende Zusammengehörigkeit des Sinnes sind die einen Bestandteile zu den übrigen hingefordert.

Im Vorausgegangenen liegt der Ton darauf, daß es überhaupt das Auseinanderfallen des Denkbaren nicht monistische, sondern nur dualistische aufzufassen ist. Nennen wir die eine Sphäre die der Wirklichkeit, des Seins und Geschehens, so soll damit lediglich ein Name für die ganze andere Sphäre als solche gegeben sein. Aus dieser Sphäre fällt keineswegs heraus, was etwa keine selbstständige Existenz hat, wie das allgemeine Blau oder der einer Tiergattung gemeinsame Merkmalskomplex, und was in diesem Sinne der Wirklichkeit, die nur dem Konkreten zukommt, entbehrt. Der Sphäre der Wirklichkeit gehören die abstrakten Gattungsinhalte genauso an wie die lebendigen Konkretissima der Vollwirklichkeit. Sind es auch Wirklichkeits gattungen,  so sind es doch  Wirklichkeits gattungen, aus dem Inhaltsreichtum der Wirklichkeit geschöpft, wenn auch noch so filtrierte Wirklichkeitsresidua beibehaltend. Dagegen aus dieser ganzen Sphäre werden wir herausgeworfen, wenn wir uns etwas Geltendes, etwas Sinnhaftes vergegenwärtigen. Man darf deshalb nicht etwa meinen: der Sinne komme der Wirklichkeit zu wie die Eigenschaft einem Ding. Das ist unmöglich. Die Wirklichkeit kann nichts von Sinn einschließen, ebensowenig wie der Sinn etwas von Wirklichkeit. Sinn ist in einem ganz anderen Sinn unwirklich als die abstrakte, an der Wirklichkeit haftende Eigenschaft, nämlich im Sinne der  Sphäre  der Wirklichkeit  Entrücktseins. 

Für die gänzliche Heterogenität [Verschiedenheit - wp] der beiden Sphären sind Zeitlichkeit und Zeitlosigkeit hervorstechende oder diagnostische Merkmale. Wie das unbedingte Gelten durch das sinnliche Bild der Unerschütterlichkeit, Festigkeit symbolisch bezeichnet wird, so die Zeitlosigkeit, die Unzeitlichkeit gerade durch das eine Zeitbestimmung ausdrückende Gleichnis der ewigen Dauer. Unentstandenheit, Unvergänglichkeit = Zeitbestimmung. Aber das ewigwährende Beharren ist nach PLATONs (Timaios 37) richtiger Ansicht nur ein Abbild der wahren Ewigkeit, die Unendlichkeit der Zeit nur ein Symbol der Zeitlosigkeit (SPINOZA, Ethik). Wir glauben die Wahrheit eines Satzes unabhängig vom Moment ihrer Entdeckung, auch vorher bereits geltend und auch dann noch gültig, wenn kein Denken mehr davon weiß, kurz, als an keinen Zeitpunkt und keine Zeitdauer gebunden. Aber eine solche Symbolik verleitet die Phantasie dazu, sich die Wahrheit als ein die Zeit dauernd und unbewegt Erfüllendes, Unentstandenes und Unvergängliches zu denken. Es kommt der falsche Nebensinn hinein, durch den die Unbedingtheit des Geltens zu einer den Weltveränderungen trotzenden, von der Gewalt der Zeit nicht bedrohten Wesenheit umgewandelt wird. Aus diesem Hineingebanntsein des Denkens in die Zeitlichkeit gibt es keine andere Errettung als die Besinnung darauf, daß  jegliche  Art zeitlicher Bestimmtheit, das Beharren und das eine Stelle in der Zeit Einnehmen ebensogut wie alle übrigen Zeitverhältnisse charakteristische und ausschließliche Eigentümlichkeit der Wirklichkeitssphäre sind. Nur das gänzliche Hinausgewiesensein aus der  Sphäre  des Zeiterfüllenden kann hier Klarheit bringen. Und da mag die stete Erinnerung an die eigentümlichen Verhältnisse des "Sinnes" dazu verhelfen, sich mit der wahren Betrachtungsweise  sub specie aeterni  [unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit - wp] vertraut zu machen. Über die bloße Negation der Zeitlichkeit gelangen wir nur dadurch hinaus, daß wir das Zeitlose positiv als Reich des Geltens, Sinnes verstehen, dem Urgegensatz zwischen Zeitlichkeit und Zeitlosigkeit diese Lebendigkeit und Farbigkeit verleihen, ihn durch die Konstatierung von Sinn und Nichtsinn interpretieren. Denn so wahr die eigentliche Kluft zwischen allem Denkbaren überhaupt die von Seiendem und Geltendem, von Wirklichkeit und Sinn ist, zeigt sich sofort, daß ebenso wie der Sinn unwirklich, nichtseiend, der Wirklichkeit entgegengesetzt, so die Wirklichkeit nicht sinnhaft, nicht geltend, dem Sinn entgegengesetzt sein muß. Sinn ist einfach der positive Ausdruck für das Unwirkliche, wie Wirklichkeit nichts weiter als der zusammenfassende Name für das Nichtsinnhafte.

Der Zentralbegriff auf dem Gebiet des Sinnes war der des Geltens. Doch nach den bisherigen Andeutungen hat er uns von seinem Wesen noch fast nichts erschlossen. Wir müssen über die Unbestimmtheit und Farblosigkeit des bloßen Wortes "gelten" hinwegkommen. Wir müssen dringender fragen, was denn das heißt, daß eine Wahrheit "gilt", und was die umschließende Geltung des syllogistischen Gefüges, die Zusammengehörigkeit mehrerer Wahrheiten, bedeutet. Was ist die "Notwendigkeit", die uns aus diesen Geltungsverhältnissen entgegenblickt, und was ist das Wesen des Kunstwerkes, das als Einheit die Bestandteile dem Sinn nach zusammenzwingt, über ihre Zugehörigkeit und Ordnung verfügt? Wir erreichen erst die ganze Positivität der Antwort, Farbe bekommt das zeitlose Gelten erst, wenn wir den  Wert  als das einheitliche Prinzip in der Vielfarbigkeit des Sinnes begreifen. Die Wahrheit, Gültigkeit eines Satzes ist Wert, Höhe und Würde eines Zurechtbestehens, absolute Berechtigung. Der  Wert  der Schönheit ebenso ist das entscheidende Prinzip, das die Zusammengehörigkeit der Bestandteile eines Kunstwerkes fordert. Das dem bloß Daseienden Entgegengesetzte, das Unwirkliche, Überwirkliche ist Wert. Gelten des Wertes und Sein des Nichtwerthaften, so lautet uns jetzt die letzte Dualität des Denkbaren. Wir werden allmählich zur Erkenntnis gelangen müssen, daß die ganze Sphäre des Sinnes in tausendfacher Zersplitterung, Abschattung, Verblassung nichts anderes ist als Wert.

Da nach unserer Ansicht die philosophische Erkenntnis auf die Sphäre des Nichtseienden gerichtet ist, die Logik aber als philosophische Disziplin begriffen werden soll, so könnte erwartet werden, daß wir jetzt ohne Umschweife mit dem Nachweis begönnen, daß auch die Logik oder theoretische Philosophie in nichts anderem als im Ergründen eines bestimmten Wert-, Geltungs- oder Sinngehaltes besteht. Allein ehe man sich der Aufgabe zuwenden kann, aus der Mannigfaltigkeit überhaupt vorfindbarer Inhalte den Feingehalt theoretischen Geltens herauszuziehen, ehe man den bloßen und reinen Sinngehalt für sich betrachtet, ist es erforderlich, noch einiges Weitere zur allgemeinen, nicht speziell der Logik angehörenden Lehre vom Gelten beizutragen. Hierbei aber wird man dessen gewärtig sein müssen, daß "Wert" und "Gelten" letzte, einfache, unzerlegbare, irreduzible Begriffe sind; so versteht es sich, daß alle Versuche eines Definierens, aufschlußreicheren Bestimmens und Näherbringens sich im Kreis drehen, mit lediglich umschreibenden Komplikationen des zu Definierenden vorlieb nehmen müssen. Es ist darum nicht überraschend, daß wir das Gelten, um weitere Aufschlüsse über sein allgemeines Wesen zu erhalten, fortan nicht für sich, sondern unter Konfrontierung mit der ihm gegensätzlichen Sphäre, mit der ihm fremden Tatsächlichkeit zu betrachten haben werden.

Das Thema der weiteren Ausführungen dieses Abschnittes wird darum, kurz gesagt, die Beziehung zwischen Wert und Wirklichkeit, zwischen Geltendem und Seiendem sein. Gibt es eine Berührung, ein Zusammentreffen irgendwelcher Art zwischen den beiden entgegengesetzten Sphären? Wir werden sehen, daß sich neue Beleuchtungsmöglichkeiten für den Grundbegriff des Geltens gewinnen lassen, wenn man es in seiner Bezogenheit zum Reich des Tatsächlichen denkt. Es wird sich dabei zeigen, daß mancherlei Nebensinn, manches im strengsten Sinne schon fremdartige Beiwerk den ursprünglichen Begriff des bloßen Geltens umgibt, wenn man es sich nicht rein und abgeschieden für sich, sondern gleichsam bereits hinblickend auf die Tatsächlichkeit vergegenwärtigt. Solche eigentümlichen Abschattungen und Begleitbedeutungen des allgemeinen Geltungsbegriffs, wie Sinn "von", Bedeutung, Objekt, Norm, werden wir als eine das Gelten umhüllende Bedeutungsschicht zu begreifen haben, die am schlichten Geltungsbegriff erst hervortritt, wenn das Gelten mit Tatsächlichkeit verbunden, ihr zugekehrt gedacht wird. Indem wir uns so sorgfältig davor hüten, die vielfachen Verengungen des Geltungsgedankens, in denen er bereits als auf Bestimmtheiten des Seienden zugeschnitten erscheint, eine Verbindung mit fremdem Stoff eingegangen, durch modifizierende Medien hindurchgegangen ist, schon für das Letzte und Einfachste zu halten, so ist damit bereits unsere Tendenz ausgedrückt, bis zum äußersten Punkt im Reich des Nichtseienden vorzudringen, das Gelten in seiner unvermischten Reinheit, in seiner unvermittelten, einfachsten Gestalt zu erfassen.

Bei jeder Erforschung eines Verhältnisses zwischen Geltendem und Seiendem stoßen wir auf einen fundamentalen Umstand, auf den alles Aufeinanderbezogensein der beiden gegensätzlichen Sphären schließlich hinausläuft, nämlich auf den Umstand, daß mannigfacher  Geltungsgehalt vorfindbar ist in der Tatsächlichkeit des Erlebens.  Wir müssen den Satz der Erlebbarkeit des Geltens, der Antreffbarkeit des Geltens im Erleben an die Spitze unserer Betrachtungen setzen. Das Hineingestelltsein des Geltens in die Erlebnistatsächlichkeit ist die primitivste und bescheidenste Form einer "Beziehung" zwischen Geltendem und Seiendem. Wer vom Erkennen als vom Erfassen irgendeiner bestimmten Wahrheit redet, der meint damit, daß ein Stück theoretischer Geltungsgehalt, ein ansich Gültiges vor dem der Wirklichkeit angehörenden Erleben steht, in die Erlebensrealität hineingebannt, in ihr antreffbar vorliegt. Das Geltende hat hier eine Realisierung gefunden, d. h. unbeschadet seiner Gültigkeit und seiner Fremdheit gegenüber aller Realität, also ohne sich in einen zur Realität gehörigen Bestandteil aufzulösen, ohne damit zur Art der Realität zu gehören, hat es den Boden der Wirklichkeit als Schauplatz betreten, in der Realität eine Realisationsstätte gefunden. Ungeachtet seiner hierbei bewahrten Gegensätzlichkeit zum Seienden ist es doch an ein seiendes Erleben gebunden, in eine Tatsächlichkeit hineinscheinend und davor hingestellt. Das, was  gilt,  ohne zu sein, "erscheint" doch irgendwie am Seienden.

Daß das Gelten "Bewußtseinsinhalt", "immanentes Objekt", "Gegebenes" für ein Subjekt, für ein tatsächliches Erleben wird, erweist sich als nicht unvereinbar mit seiner gänzlichen Fremdheit, Andersartigkeit und Selbständigkeit gegenüber der Sphäre des Tatsächlichen.

Dem Zweifel an der Erlebbarkeit des Geltens stehen die uralten Argumente gegen allen Skeptizismus entgegen. Wer etwa nur die Wahrheit ansich als einen Inbegriff von Geltungsgehalt zugestehen, dagegen die Erlebbarkeit des Geltens, dieses Zusammenstoßen von Gelten und Sein, die "Berührung" für unmöglich erklären sollte, stände mit sich selbst im Widerspruch, mit seinen eigenen "Behauptungen", mit seinem eigenen Wahrheitserlebnis, mit seinem Erleben der verkündbaren Wahrheit, daß es nur eine Wahrheit ansich gibt.

Ebenso verfehlt wäre es, dem Begriff des Geltungserlebnisses dadurch von vornherein die philosophische Bedeutung absprechen zu wollen, daß man ihn für eine Angelegenheit von bloß psychologischer Tragweite erklärt. Aber nicht jede Frage des Erlebtwerdens ist eine psychologische. Vielmehr ist das Psychische für uns ein Realitätsbegriff, und das Kriterium des Psychologischen deshalb das Verharren im Umkreis des Nur-Tatsächlichen. Das Problem des Geltungserlebnisses weist aber über den Bereich des Tatsächlichen ausdrücklich hinaus, es ist ja ein Problem der "Berührung" beider gegensätzlicher Sphären. Im Begriff des Geltungserlebnisses liegt ein Plus über die bloße Tatsächlichkeit hinaus: es ist darin neben dem Moment der Erlebenstatsächlichkeit der davorstehende Geltungsgehalt mitgemeint.

Erst später wird von dem Wahn zu reden sein, als ob die Typen des Geltungserlebnisses, wie "Erkennen" oder ästhetisches Verhalten psychische Zustände des Zumuteseins darstellen, und zu zeigen sein, daß in ihnen sogar der geltende Sinngehalt und nicht die sinnbare Tatsächlichkeit die ausschlaggebende Rolle spielt. Vorerst weisen wir nur vorläufig darauf hin. Es geht nicht an, den Zugang vom Erleben zum Gelten dadurch ein- für allemal verbauen zu wollen, daß man uns einzureden sucht, mit unseren Sinnerlebnissen seie wir eben in die Welt der bloßen Erlebnisse, der Zustände unseres Bewußtseins, der Seltsamkeiten unseres Befindens, unserer Gefühle eingeschlossen. Denn die  petition principii  [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp] liegt ja schon in der naiven Unterstellung, daß solche Sinnerlebnisse bloße psychische Realitäten repräsentieren. In Wahrheit muß vielmehr, was so die Einheitlichkeit eines bloßen psychischen Zumuteseins lediglich vortäuscht, in eine Dualität zerschlagen, in die Zweiheit eiens Erlebensmomentes, also allerdings eines Minimums von Zumuteseins, und eines davorstehenden, daran angeschmiedeten Sinngehalts auseinandergelegt werden. Hierbei kommt es nicht einmal darauf an, ob sich das absolut Geltende dem Erleben erschließt, oder ob das Erleben in einem ewigen Irrtum und Unsicherheit befangen bleibt. Denn echtes Sinnerleben, also über das Bloß-Psychische ein Plus enthaltend, ist auch das sich täuschende Erleben, z. B. auch das unrichtige theoretische Verhalten, das bloß vermeintliche Wahrheit- und Falschheit-Erleben, das Wahrheit für Falschheit und Falschheit für Wahrheit nimmt, oder das bloß vermeintliche theoretische Verhalten, bei dem etwa statt des Theoretischen ästhetischer Phantasiegehalt produziert wird. Es kommt nur darauf an, daß irgendein Sinngehalt, mag er auch mit noch so vielen Gebrechen versehen, und mag er auch aus dem Wahn erzeugt sein, dem ein Erleben vorschwebt. Dann liegt jedenfalls das, was allein wesentlich ist, dieses Plus, eine Zweiheit und Verbundenheit von Nichtseiendem und Seiendem, von Erlebensmoment und Sinngehalt vor.

Der Schritt vom bloßen Geltungsgehalt zum Geltungserlebnis ist so naheliegend, daß man versucht sein könnte, den Begriff des bloßen Geltungsgehaltes für etwas Gekünsteltes zu halten. Allein das Geltungserlebnis ist nicht das sachliche Prius, sondern nur das  proteron pros nemas  [was zuerst bewußt wird - wp]. Wir  gelangen  zum bloßen Gelten durch das Geltungserleben hindurch. Wird über das Gelten reflektiert, so muß es freilich zum gedachten Objekt, der es betreffende Wahrheitsgehalt zum Erlebnis werden. Dessenungeachtet ist das Erlebtwerden für das Gelten nur ein von außen kommendes Schicksal, das ihm zustößt. Aber es ist der einzige Zustand, in den es geraten kann, allerdings der darum von unvergleichlicher Bedeutung ist. Dazu gesellt sich noch, daß das Erlebtwerden der Weg ist, der zum Gelten hinführt. Das Hineingestelltsein ins Erleben wird darum leicht zu einer gar nicht mehr fortzudenkenen Situation. Als ob es der ursprüngliche Beruf des Geltungsgehaltes wäre, dem Erleben zugekehrt zu sein. Geltungsgehalt und Erlebenssubstrat erscheinen dann als zusammengehörig und wie zwei Seiten eines einheitlichen Gebildes nur durch einen künstlichen oder gewaltsamen Eingriff scheidbar. Vom bloßen Geltungsgehalt werden wie so in Gedanken stets fortgetrieben zum erlebensmäßigen Träger, an dem das Gelten haftet.

Wie naheliegend dieser Schritt vom bloßen, gleichsam in der Luft schwebenden Geltungsgehalt zum Erlebensuntergrund ist, in dem er seine Stätte findet, in dem er seine Stätte findet, dafür läßt sich leicht das Zeugnis der Geschichte herbeirufen. Wo man jemals den Logos, die Vernunft, die Norm, das Gültige zu erforschen trachtete, da war der Gegenstand der Untersuchung niemals ein bloß losgelöster Sachgehalt, ein bloßer Schatz und Bestand von Nichtseienden. Nicht Arten des bloßen Sinngehalts treten uns entgegen, sondern Tatbestandsgebiete, Tätigkeits- und Erlebensgebiete, Inbegriffe von Akten und Funktionen, Gebiete des Erkennens, Wollens, Fühlens, Schauens. Gebiete eines wertvollen Verhaltens, Sichhingebens, Sinn ins Erleben Aufnehmens, Sinntragens, Leistens, in denen gewisse wertvolle Ziele erreicht werden sollen. Gebiete, die zweifellos umschlossen und abgegrenzt sind durch beherrschende Prinzipien des Sinngehalts, aber eben doch  Tat bestands-,  Akt gebiete, somit Inbegriffe von Substraten, in denen der Sinngehalt bereits als  realisiert  gedacht wird. Ein Moment des Seienden, an dem das Nichtseiende bereits seinen Halt gefunden hat. Ein Moment von Aktivität und damit von Tatsächlichkeit, das zum bloßen Sinngehalt bereits hinzugenommen ist. Man braucht sich bloß die Definitionen sämtlicher Logiken anzusehen, in denen stets vom Denken, Erkennen, Wissen, Urteile usw. oder von idealen Akten, von transzendentalen Subjekt- und Ichbegriffen die Rede ist. Mag dabei auch dem "Gesichtspunkt" und Interesse nach die Untersuchung ganz auf den Sinn gerichtet sein, nirgends ist doch der bloße Sinngehalt herausgeschält, freigemacht und erlöst von einem Aktivitätsanhängsel, das ihm stets hinzugegeben wird. Der Sinngehalt erscheint in lauter Agilität verpflanzt, eingebettet in und dahingetragen von Funktionen. Und es ist ja auch häufig nicht vom Sinngehalt selbst, sondern ausdrücklich vom Sinn der Akte, und d. h. von den sinnvollen Funktionen, die Rede, vom Bejahen, Verneinen, Folgern, Schließen usw. Der Sinngehalt tritt hier stets wie unlöslich verkettet mit aktiven Trägern auf.

Für uns erwächst aus dieser Gewohnheit gegenüber als wesentlich die Aufgabe, hier eine Verbundenheit, eine Komplexität aufzudecken, das Angeschmolzensein eines Tatsächlichkeitsmomentes festzustellen, mag dieses sich auch noch so sehr hinter der Maske eines "idealen Trägers" verstecken. Für uns liegt hier bereits ein Schritt vom bloßen Sinngehalt zu einer zweiten Station, zu einer Realisierungsstätte vor. Indem wir in solchen Gebilden ein Zusammengesetztes erkennen, wird damit als unser Programm ausgesprochen, daß die philosophische Forschung einen  bloßen  Sinngehalt herauszupräparieren, von dem ihm anklebenden Tatsächlichkeitsbestand zu befreien hat. Und zwar ist das zu eliminierende Aktmoment ein Subjekts- oder Erlebensmoment.

Wir müssen nun die Begriffswelt, in der sich bisher die philosophischen Disziplinen fast ausnahmslos bewegt haben, von unserer dualistischen Grundansicht aus näher charakterisieren. In allen diesen Begriffen, wie Erkennen von Wahrheit, bejahendes, verneinendes, fragendes Verhalten zu theoretischem Sinngehalt, Stellungnehmen zu ästhetischem Wertgehalt, finden wir etwas Neues vor neben dem, was wir vorher so scharf voneinander gesondert hatten, etwas Drittes neben dem  nur  Seienden und dem  nur  Geltenden. Wir haben es ja andeutungsweise schon abgelehnt, diese Gebilde entweder bloß der einen oder bloß der anderen Seite zuzuweisen. Wir wandten uns sowohl dagegen, darin lauter Realität, nichts als Sinnbares und Tatsächliches, wie z. B. nur Psychisches, zu erblicken, als auch dagegen, sie in reinen, durch keinen Tatsächlichkeitszusatz belasteten Sinngehalt aufzulösen. Von uns aus gesehen, können sie deshalb nicht als ein drittes Einheitliches dem bloßen Sinngehalt und dem bloßen Seinsbestand an die Seite treten. Ist der Gegensatz zwischen Geltendem und Seiendem in Wahrheit die letzte Gespaltenheit,  die  Kluft zwischen allem Denkbaren überhaupt, dann müssen wir alles, was nicht rein in der einen oder der anderen Sphäre aufgeht, aus Seiendem und Geltendem wie aus letzten Komponenten irgendwie aufgebaut zu verstehen suchen. Auch jene Gebilde des theoretischen und ästhetischen Verhaltens können für uns deshalb nur ein  Zusammengesetztes,  ein Gemisch aus den Urelementen dessen, was es überhaupt gibt, darstellen. Und in der Tat: in ihnen allen erscheint ja der Sinn gebunden an einen Empfänger seienden Erlebens. Beide Bestandteile aber, den Sinnbestandteil wie den Seinsbestandteil, denken wir uns zur Einheit eines Gefüges zusammengeschlossen. Es soll das Verhalten zu einem Sinngehalt, es soll das Hingestelltsein eines Sinngehaltes vor ein Verhalten sein. Ein solches Zweiheitliches, Spaltbares, in die letzten Gegensätzlichkeiten Zerfallendes und doch nur ein verknüpfendes Band Zusammengehaltenes, ein solches Aneinandergebundensein des urgegensätzlich Auseinanderklaffenden nennen wir ein "komplexes Gebilde". Überall da also haben wir komplexe Gebilde (1) vor uns, wo wir Begriffe bilden, die einen Gehalt reinen Sinnes an den Schauplatz der Erlebenstatsächlichkeit gebunden zeigen. Und es läßt sich leicht nacheinander dartun, daß so wenig der eine wie der andere Bestandteil hierbei fortzudenken ist.

Wir wollen zunächst den Anteil der Sinnhaftigkeit bei der Konstruierung solcher Gebilde bestimmen, um damit den Irrtum abzuhalten, daß sie rein Tatsächliches und bloß Psychisches darstellen. Wenn wir etwas als Erkennen und ein anderes als ästhetisches Verhalten charakterisieren, haben wir dann etwa auf zwei verschiedene psychische Zustände hingewiesen, auf rein Psychisches, auf bloß Tatsächliches, auf etwas, was durch und durch nichtgeltungsartig und unsinnhaft ist? Keineswegs! In Wahrheit haben wir uns hier zweimal über das Vorliegen von Geltungsgehalt schlüssig gemacht. Wo hätten wir denn das Kriterium dafür her, wie könnten wir uns vermessen, das eine als Erkennen, das andere als ästhetisches Verhalten zu bezeichnen, hätten wir uns nicht im Stillen darüber entschieden, daß das eine Mal theoretischer, das andere Mal ästhetischer Geltungsgehalt vorlag? Lediglich um eines gewissen dem Erleben vorschwebenden Geltungsgehaltes willen  nennen  wir das diesem Sinngehalt gegenüberstehende Erleben "Erkennen" oder "ästhetisches Verhalten": der Sinn macht es erst dazu. Komplexe Gebilde haben wir statuiert, über einen hineinragenden Sinngehalt ebenso eine Entscheidung gefällt, wie über die Existenz eines Erlebens. Idealgebilde sind es, ideale Mustergebilde, d. h. aber weiter nichts als: es steckt in ihnen eine Komponente von Sinngehalt. Sie sind gleichsam von oben her dekretiert, d. h. vom Sinn aus konstruiert und postuliert, durch den Machtspruch des Wertbegriffs hervorgezaubert. Und wir müssen das noch dahin steigern, daß der Sinn hierbei das prävalierende [vorherrschende - wp] und leitende Prinzip ist. Denn während (innerhalb eines Wertgebietes) auf der Seite des Sinnes eine Vielheit von Formen liegt, so gesellt sich ihm an Tatsächlichkeitsbestand lediglich eine Konstante hinzu, das überall gleiche Erlebensmoment als Träger und Empfänger des Sinngehaltes. Immer ist das eine gleichförmige Aktmoment, das hinzutritt, die Mannigfaltigkeit des Sinngehalts erscheint, in Erlebnisfunktion eingeführt, in Aktform umgewandelt, tritt in der verbalen Wendung z. B. eines Identifizierens, Gleichsetzens, Unterscheidens, Folgens, kausal Beziehens, Synthese usw. auf. Wir dürfen darum nicht auf irgendwelche Konkreta des wirklichen Erlebens hinweisen und meinen, in ihnen Bestandteile der komplexen Gebilde zu erfassen. Vielmehr  an  allem konkreten Erlebnis hat man sich ein gewisses Abstraktum des Erlebens oder "Verhaltens" herausgeschöpft und dem Sinngehalt als Empfänger gegenüberstehend zu denken. Reden wir von Urteilen, Unterscheiden, kausal Beziehen usw., so haben wir mit jedem dieser Worte kurz angedeutet, daß wir aus der Fülle der konkreten Tatsächlichkeit ein gewisses Erlebensmoment als Realisierungstätte herausgeschnitten und dem Sinngehalt hinzugesetzt, es aus der konkreten Fülle heraus zum Schauplatz des Sinngehaltes ausersehen haben. Also lauter Sinngehalt steckt darin, mit alleiniger Hinzunahme eines solchen gattungsmäßigen Minimums an Erlebenstatsächlichkeit. Machen wir wirklich Ernst mit der Heterogenität und dem gegenseitigen Sichausschließen von Geltendem und Seiendem, so können wir nicht umhin, solche Gebilde reinlich in ihre Bestandteile aufzulösen, dualistisch ein Zweierlei herauszuanalysieren, sie so irgendwie zusammengefügt und dennoch nicht ineinander aufgehend zu denken.

Und wir dürfen gerade nur ein solches  Minimum  von Erlebensrealität und keinen lebendigeren und inhaltsvolleren Erlebensbestand konstruktiv herausarbeiten. Nur so interpretieren wir jene unumgänglichen Begriffe wie Erkennen, ästhetisches Verhalten richtig, in denen eben nicht mehr  liegt  als eine bloße Realisierung im Erleben überhaupt, ein dem Erleben Vorschweben, ein den Boden der Erlebensrealität irgendwie Berühren, ein bloßes Eingehen ins Erleben: und dieses Erleben ist ein bloßes Haben, als "Subjekt" ein "Objekt" vor sich stehend haben, ein bloßes "Erfassen" und "Bewußtsein" davon. Wir dürfen uns hier noch keinen komplizierteren und voraussetzungsvolleren Aktfaktor denken, sondern müssen alles ausschalten, was nicht für den ersten Schritt unerläßlich ist, für den entscheidenden Schritt vom bloßen Geltungsgehalt zur Realisierung im Seienden. Hierfür aber genügt das ganz abstrakte ausgehöhlte Erlebensmoment überhaupt. Weiter gibt es auf seiten des Realen hier noch keine Eigenmächtigkeit und Funktion; seine Rolle erschöpft sich darin, dem Sinngehalt als Erleben gegenüberzustehen. Alles im wirklichen konkreten Erleben, z. B. in zusammenhängender wissenschaftlicher Tätigkeit sich vielleicht unlöslich damit verbindende Getriebe von allen möglichen Vorstellungsprozessen, Triebkräften des Wollens und Suchens, von Motiven, Absichten, ist hier noch ganz fernzuhalten; denn wir bedürfen dessen nicht, wenn wir lediglich auf die eine große Tatsache der Realisierbarkeit, des Aufgenommenseins, Eingebettetseins von Sinngehalt im Erleben achten. Nichts anderes als lediglich ein solches Angeschmolzensein des Erlebensfaktum an Sinngehalt liegt ja in jenen komplexen Gebilden. Wir müssen uns deshalb auch davor hüten, für das als Bestandstück ins komplexe Gebilde eingehende bloße Innewerden von Geltungsgehalt ohne weiteres die lebendigeren Formulierungen einzusetzen, die sich sofort unwillkürlich einstellen, wenn wir an ein Haben und Ergreifen von Wertgehalt, ein "Verhalten" dazu denken, also Ausdrücke wie Stellungnehmen, Sichhingeben, Sichunterwerfen, Sichunterordnen, Wert um des Wertes willen anerkennen und wollen. Hierbei wird stets, wie später noch zu zeigen ist, ein Überschuß über das erforderliche Minimum von Erlebensbasis hinzugenommen.

So sehr wir den Realitätsbestand der komplexen Gebilde auf ein bloßes abstraktes Realitätsmoment einzuschränken haben, so sehr ist doch andererseits immer wieder als Kehrseite aufrechtzuerhalten, es steckt ein  Realitäts moment darin, das nicht verflüchtigt werden darf. Es tritt zum Sinngehalt etwas rein Tatsächliches, Sinnbares, Sinnfremdes, die aus der gegensätzlichen Sphäre des Seienden stammende und nicht fortzudenkende Tatsächlichkeit des Erlebens hinzu. Also ein aus der seienden Erlebensmasse herausgenommenes Abstraktum,  das  Minimum sinnbaren Zumuteseins,  das  Erleben überhaupt. Dieses eine Moment mußten wir von der Gegenseite aus dem Gebiet des Seienden heranziehen, bei der Konstruktion der komplexen Gebilde zu Hilfe nehmen! Ganz vom Geltungsgehalt her und doch mit Benutzung dieser einen Urtatsache des Erlebens überhaupt sind jene Begriffe gebildet. Auf seine Rechnung kommt das darin hineinspielende Etwas von Aktivität und Geschehnis, die darin enthaltene Spur von Faktizität.

[Hier fehlt eine ganze Seite des Manuskripts. - E. H.]

Sage ich dagegen:  "Das  Urteil:  a  ist die Ursache von  b",  so meine ich zwar ein ganz bestimmtes, nämlich  a  und  b  betreffendes theoretisches Gelten, eine bestimmte "Wahrheit", aber nicht ein bestimmtes Urteilen, sondern ich hänge diesem bestimmten theoretischen Gelten das ganz allgemein gehaltene Erlebensmoment an, ich stelle das komplexe Gebilde her, das da lautet: Diese bestimmte Wahrheit denken. Alles einzelne Urteilen, das unrichtige ebenso wie das richtige, ist nicht bloß vermeintliches, sondern echtes Urteilen, Hingabe an theoretisches Gelten. Auch das Ausgehen vom  tatsächlichen  Urteilen ist nicht ein Ausgehen von  bloßer  Tatsächlichkeit und rein Psychischem. Schon die Festlegung des Urteilscharakters involviert eine Entscheidung über das Vorliegen theoretischen Geltens und komplexer Gebilde.

Die beste Gewähr für das Gebundensein des fordernden Geltens an die Erlebenstatsächlichkeit bietet seine Ablösbarkeit von einem zeitlich bestimmten Schauplatz. Das in die Zeitlichkeit Hineingebannte läßt sich aus den Einzelfällen komplexer Gebilde aus bestimmten Stücken zeitlichen Geschehens wieder ablösen. Ein Gehalt geltenden Sinnes, ein Inbegriff von Wahrheiten z. B. läßt sich als der Sinn tatsächlichen Urteilens, als durch tatsächliches Meinen Gemeintes von diesem ablösen. Ein dreiviertelstündiger Vortrag ist eine eine Zeitdauer von Dreiviertelstunden erfüllende Kette psychophysiologischer Vorgänge. Wie können wir vom Sinn gerade  dieses  ein zeitliches Gefüge von Ereignissen ausmachenden Vortrages reden? Dieser Sinngehalt ist nun ein Gefüge von Einzelheiten geltender Wahrheiten, die in ganz anderen Beziehungen zueinander stehen als in denen zeitlicher Sukzession. Und doch ist das Eine früher und das Andere später gedacht, gesprochen und gehört, während es unsinnig wäre, sich das Eine als früher, das Andere als später geltend, die Bestandteile des Sinnes also gleichfalls in zeitlicher Entfaltung zu denken. Was sich somit zu zeitlosen Zusammenhängen des Sinnes zusammenschließt, ist den eine bestimmte Stelle in der Zeit einnehmenden Erlebensvorgängen sicher zuzuordnen. Genau wie der Vortrag aus einzelnen Urteilsakten, so baut sich alles wissenschaftliche Arbeiten des Einzelnen, der Generationen, der gesamten geschichtlichen Entwicklung aus Sinnerlebnissen auf. Aber auch alles künstlerische, sittliche, religiöse Leben, ja das gesamte Leben und alles Kulturgeschehen läuft auf Sinnerlebnisse hinaus. Auch "Leben" und "Geschichte" sind aus lauter komplexen Gebilden zusammengesetzt. Auch hier muß ein analytisches Eindringen das unbekümmert als Wirklichkeit einheitlich Aufgefaßte in eine Basis faktischen Geschehens und einen darin realisierten Gehalt und Ertrag von Sinn auseinanderbrechen.

Man könnte versucht sein, dieser Behauptung mit dem Einwand zu begegnen, daß auch ein anderer Realitätsbestand und nicht nur seiendes Erleben der Beherbergung von Sachgehalt dient, daß in symbolischen und anderen Darstellungs- und Aufspeicherungsmitteln, wie Sprache, Material in der bildenden Kunst, Sitten, Gebräuchen, Institutionen, symbolischen Gegenständen und Handlungen, Werkzeugen u. a. Sinn(gehalt), Sachlichkeit investiert und verkörpert wird. Wertverwirklichung  verkörpert.  So sind z. B. die unmittelbaren Niederlegungsmittel, die unmittelbare Ablösungsstätte des theoretischen Sinngehaltes sprachliche Zeichen, gesprochene und geschriebene Worte, Lautkomplexe und Schriftzeichen. Sie sind Sinnbilder, bildliche, sinnliche Darstellungsmittel des Unsinnlichen, reale Zeichen als Vertreter des Nichtrealen, z. B. der gemeinten Wahrheit, im Vortrag. Ihre Leistung besteht darin, daß sie eine Ablösung des Sinnes vom komplexen Gebilde, vom Erlebensakt in einer bestimmten Hinsicht erst wirklich ausführbar machen. Sie verschaffen dem Sinngehalt eine Verselbständigung gegenüber dem Erleben, eine vom einzelnen Realisierungserlebnis unabhängige allgemeine Erlebbarkeit und Antreffbarkeit, indem sie ihm einen Halt in nicht nur realen, sondern körperlichen Trägern gewähren. So dienen die sprachlichen Niederlegungsmittel der mitteilenden und aufbewahrenden Verselbständigung des erlebten Sinnes. Wir besitzen also in der Tat einen an realen Trägern vorfindbaren Sinn, wir sind imstande, Sinngehalt von realen Substraten abzuheben, ohne daß wir ihn der Erlebensbasis zu entnehmen hätten.

Wenn wir so durch das Ausgehen von der Tatsache der sprachlichen Ausdrucksmittel in den Stand gesetzt werden, den Sachgehalt vom Erlebensmoment bereits losgelöst anzutreffen, so ist es begreiflich und verdienstlich, daß neuere Logiker, wie BOLZANO und HUSSERL (vgl. auch RICKERT), in der Flucht vor dem Psychologismus und beim Suchen nach einem reinen Sachgehalt sich an die reinen Wort- und "Aussagebedeutungen", an die Namen ansich und die Sätze ansich zu halten suchten. Denn der Sinn des Satzes steht dem Psychischen noch ferner als dem komplex gebildeten Urteil, bei dem doch immerhin noch das Minimum eines Erlebens mitgeschleppt wird. Kümmern wir uns lediglich um das Verhältnis zwischen sprachlichem Ausdruck und Sinn der Worte und Sätze, so haben wir das so mysteriöse Verhältnis zwischen Sinn und Erleben glücklich gemieden.

Somit haben wir allerdings auch hier noch den Sinn auf einem realen Substrat ruhend vor uns. Das uns Vorliegende ist nicht bloßer Sachgehalt, sondern Sachgehalt mitsamt symbolischen Niederlegungsmitteln. Aber es ist gar keine Gefahr vorhanden, dieses symbolische Substrat, die toten Zeichen, in derselben Weise wie den Erlebensakt mit dem Sachgehalt zu einem unklaren Idealgebilde zu verschmelzen, dem überindividuellen Geist analog den überindividuellen Buchstaben zu konstruieren. Hier ist es viel leichter dualistisch auseinanderzuhalten, hier herrscht Klarheit darüber, daß das sinntragende Realitätsmoment  nur  Ablösungsstätte ist, sich nicht anmaßen darf, in das, worauf es bei der philosophischen Sinnergründung abgesehen ist, als überempirische Komponente mit einzugehen. Insofern ist den genannten Denkern zuzugeben, daß das Ausgehen vom Satz anstelle des Umwegs über die komplexen Gebilde des Verhaltens den nächsten Weg zum bloßen Sachgehalt darstellt.

Terminologisch sollte man deshalb, wie hier eingeschaltet werden mag, zwischen Urteilsakt oder Erkenntnisakt, Satz und bloßem theoretischem Sachgehalt oder Wahrheitsgebilde unterscheiden. Der Urteilsakt mit dem Inhalt "a" ist die Ursache von "b", ist das komplexe Gebilde, das Denken dieses bestimmten Wahrheitsgehaltes, das Verhalten zu ihm, dieser Wahrheitsgehalt als Gemeintes einschließlich des ihn Meinens. Dagegen der Satz "a ist die Ursache von b" bedeutet einen gewissen Wahrheitsgehalt mitsamt seinem sprachlichen Ausdruck. Deshalb kann das Ausgehen vom Satz nicht als strenger methodischer Ausgangspunkt anerkannt werden. Es sinkt völlig zur Nebensache herab nebem dem sachlich allein Ausschlaggebenden, der Scheidung des transsubjektiven Sinngehalts von allen Resten des dahinterstehenden Verhaltens. Ebenso wie man unter Erkenntnissen sowohl ein theoretisches Verhalten einschließlich des darin erfaßten Sinngehaltes, also einen Inbegriff komplexer Gebilde, als auch lediglich das bloße Verhalten zu einem theoretischen Sachgehalt verstehen kann, so kann man mit Sätzen entweder sprachliche Ausdrucksmittel mitsamt ihrem Sinn oder auch die bloßen Sprachgebilde, aber diese als  Ausdruck  des Sinnes, die bloße Realität des Sprachlichen, aber diese bereits in der Rolle der Sinnträgerschaft gedacht, meinen. So bedeutet  logos  das Wort, die Rede als Niederlegungsmittel des Sinnes, aber auch den sprachlich ausgedrückten Sinn. Der Wahrheitsgehalt ist nun ebenso Sinn des komplexen Erkenntnisgebildes (Urteils) wie Sinn des komplexen Satzgebildes.

Terminologisch unkorrekt ist es dagegen, den  bloßen  Wahrheitsgehalt, also "die Wahrheiten" als "Sätze" zu bezeichnen (wie HUSSERL tut), anstatt zwischen Sätzen als Aussagen und den "idealen Aussagebedeutungen", also zwischen Satz und Sinn des Satzes zu unterscheiden. Ebensowenig sollte man, wie in der Logik bisher üblich, die Bezeichnung "das Urteil" gebrauchen, wenn man den bloßen theoretischen Urteilsgehalt, also den Wahrheitsgehalt und nicht das theoretische Verhalten mitmeint. Es entsteht dadurch geradezu eine Doppeldeutigkeit, indem unter "Urteil" in manchen Partien der Logik der bloße Sinngehalt verstanden, in manchen dagegen gerade das Verhalten mitgemeint wird, weshalb auch die Einteilung der Urteile nicht nach einheitlichen Prinzipien, sondern bald nach Arten des Sinngehalts, bald nach Arten des Verhaltens vorgenommen wird.

Wir geben also zu, daß auch in symbolischen Zeichen eine Realisierung von Sinngehalt stattfindet. Aber wir fügen sogleich hinzu, daß dadurch unsere These, daß aller in der Tatsächlichkeit antreffbarer Sinn ans tatsächliche  Erleben  gebundener Sinn ist, nicht angetastet wird. Denn die symbolischen Zeichen, in denen Sinngehalt niedergelegt ist, sind ja nur eine Zwischenstation zwischen Sinngehalt und Erlebnis. Sie weisen über sich in einem doppelten Sinn hinaus: erstens als "Ausdruck" auf den von ihnen symbolisierten Sinn, aber zweitens schon durch ihr bloßes Dasein als Spur, Anzeichen, Merkzeichen "Kundgabe" auf ein dahinterstehendes Erlebnis. Gerade die sprachliche Formulierung ist ein unbezweifelbares Symptom der Gebundenheit des sprachlich niedergelegten Sinnes an ein  Erleben.  Die sprachlichen Zeichen als willkürlich gesetzte sind Dokument der Niederlegung irgendeines  erlebten  Sinnes. Sprachlich "ausgedrückter" Sinn muß kundgegebener, also erlebter Sinn sein. Haben wir Sinn an sprachlichen Trägern angetroffen, so haben wir ihn damit zugleich komplexen Gebilden in unserem Sinn, d. h. im Hintergrund stehenden Erlebensträgern entnommen. Aller irgendwie vorgefundene Sinn ist im Erleben vorgefundener Sinn, ist ein Sinn, der das Kennzeichen der Zugehörigkeit zu einem komplexen Gebilde, des einem Erleben Vorschwebens, des tatsächlichen Gemeintseins an sich trägt. Analog in der Kunst.

Hier müssen wir jedoch eine Einschränkung machen. Die Existenz symbolischer Darstellungsmittel ist nur ein Anzeichen für das Bestehen  irgend eines Sinnerlebnisses, bietet jedoch keine Garantie dafür, daß das, was in Wahrheit im niedergelegten Sinn  liegt,  wirklich  erlebter  Sinn ist. Vorliegende Ausdrucksmittel von Sinn sind zwar stets eine Kundgabe von Sinnerlebnissen, aber nicht ein Beweis dafür, daß der ausgedrückte Sinn seinem genauen Gehalt nach mit dem erlebten übereinstimmt, zu dessen Ausdruck die Niederlegung stattfand, mit dem, was eigentlich "gemeint" war.

Nicht eine weitere und engere Bedeutung von Sinn, sondern eine Erlebtwerdung bedeutet die Getragenwerdung des Sinns. Das Vorverhältnis, in das der Sinn gerät, ist stets zugleich ein Sinnverhältnis. Denn: Der Sinn eines Wortes ist ein Sinn für den das Wort (Setzenden) Erlebenden. Also auf ein Erlebensgebiet zurückgeführt: Der Sinn von Erlebensgebieten ist ein Sinn für den Erlebenden. Allerdings ist beim Sinn von Worten noch nicht gesagt, daß es sich um einen Sinn in einem absoluten Sinn handelt. Wohl aber beim Sinn der Geschichte, des Lebens.

Also das Ergebnis: Sinn  von  ist Sinn  vom  Erleben im komplexen Gebilde. Was von der Bedeutung gilt, gilt auch vom Sinn.

Freilich weist der Terminus "Sinn" in diesem engeren Sinne, noch mehr der in dieser Hinsicht gleichbedeutende Terminus "Sinn" in diesem engeren Sinne, noch mehr der in dieser Hinsicht gleichbedeutende Terminus "Bedeutung" mit Rücksicht gerade auf das Verhältnis von  Zeichen  und Sinn hin. Am geläufigsten ist es, von Sinn und Bedeutung der Worte zu sprechen (Urteil). Sinn und Bedeutung ist das, worauf ein Zeichen (als bloßer Träger und Stellvertreter) zeigt, hindeutet, das durch ein Zeichen Bedeutete, und es ist ursprünglich immer an dieses Verhältnis zwischen Zeichen und Bezeichnetem zu denken.

Nun aber ist das, worauf hingedeutet wird, oft das Wesen der Sache, das Zeichen dagegen ein bloßes unscheinbares Mittel, es zum Ausdruck zu bringen. Bedeuten heißt darum bei Worten bezeichnen, ausdrücken, bei Sachen symbolisch repräsentieren, z. B. die Bretter, die die Welt bedeuten, Freude dieser Stadt bedeutet, das wird bedeutet durch den runden Hut ... Indem das Zeichen auf etwas anderes hindeutet, erhält es selbst eine gewisse Gewichtigkeit: etwas anderes bedeuten heißt: selbst etwas bedeuten, auf sich haben, besagen, repräsentieren, und so erhalten die Wendungen "etwas", "viel", "nichts" bedeuten, bedeutend, Bedeutung einen absoluten Sinn von Wesentlichkeit, der sich besonders durch GOETHEs Sprache eingebürgert hat, in dem die Relation des auf etwas anderes Hindeutens oder von etwas anderem Bedeutetwerdens teilweise verschwunden ist. Einen engeren, nämlich rein theoretisch-absoluten Sinn hat "bedeuten" bei manchen Denkern, wie z. B. bei LOTZE, angenommen. Hier heißt "bedeuten" das theoretische Gelten, theoretischer Sinn der "einzelnen Begriffe" sein. Bei HUSSERL wird in einer ausgeführten Bedeutungslehre, die wir später noch einer Kritik zu unterziehen haben werden, der LOTZEsche absolute Sinn von Bedeutung mit dem relativen Sinn, Bedeutung der sprachlichen Ausdrücke zu sein, vereinigt, womit die Ansicht ausgesprochen ist, daß die Wortbedeutungen im relativen Sinn, d. h. das durch die Worte Ausgedrückte, Bedeutung im absoluten Sinn, d. h. theoretisches Gelten, theoretischer Sinn ist. Das, worauf hingedeutet wird, ist Bedeutung.

So ist also "Sinn von etwas sein", Sinn  von  in allgemeiner Anwendung zunächst soviel wie Bedeutung eines Zeichens sein. Sinn von etwas wird jedoch nebenher auch in einer ganz anderen Bedeutung gebraucht, wie die Ausdrücke "Sinn des Lebens", "Sinn der Geschichte" und dgl. beweisen. Wir haben nur vorher gezeigt, daß die erstere Anwendung des Terminus mit einer anderen zwar nicht zusammenfält, aber auf sie zurückweist. Gerade insofern etwas Sinn hindeutender Zeichen ist, gibt es sich ja damit als sinnhaften Bestandteil eines komplexen Erlebensgefüges kund. Gerade die Sinnstellung in der einen Hinsicht, nämlich die des Bedeutetseins durch hinweisende Symbole, ist ja ein untrügliches Merkmal für die Sinnstellung in der anderen Hinsicht, nämlich für das Hineingestelltsein ins tatsächliche Erleben. Sinn von Wort = Sinn des das Wort setzenden Erlebens. Wir stoßen darum hiermit auf den sachlich umfassendsten und bedeutsamsten Begriff von "Sinn  von",  demgegenüber Sinn im Sinne von "Bedeutung" (eines Zeichens) erst als abgeleitet erscheint. Von der Absolutheit und Beziehungslosigkeit gerät das Gelten in das Stadium des  "Sinnes",  des Sinnes von etwas, wenn man es als in die Position hineingerückt denkt, ein Moment, aber das sinnverleihende Moment an komplexen Akten abzugeben. So wird geltende Wahrheit dem "Urteilen" gegenüberstehend gedacht, zum Sinn des Wissens, des Wahrheitserfassens, sowie im einzelnen irgendwelche zeitlos gültige Wahrheiten dazu ausersehen sind, den Sinn eines dreiviertelstündigen Vortrages zu bilden. Dadurch wird erst Sinn zur Tatsächlichkeit. Denn zweifellos macht den Sinn eines Vortrages der Inbegriff der vorgetragenen Wahrheiten aus. (Sinn von = eindeutig zugeordnet sein.) Analog wird man den ästhetischen Geltungsgehalt, den Ertrag an Kunstwerken, als Sinn des ästhetischen Erlebens, des schöpferischen Vorerlebens, wie des genießenden Nacherlebens bezeichnen können. Eine gewisse Vieldeutigkeit bekommt der Ausdruck "Sinn von etwas" noch dadurch, daß damit nicht nur der bloße sinngebende Bestandteil, sondern die ganze sinntragende Funktion des komplexen Erlebens, seine Rolle, Sinnerlebnis, Verhalten zum Sinn, sinnbelebter Schauplatz zu sein, gemeint sein kann. Wenn man definiert, die philosophische Urteilslehre habe es nicht mit dem psychischen Sein, sondern mit dem logischen inn des Urteils zu tun (so z. B. RICKERTs Gegenstand der Erkenntnis), und diesen z. B. im Anerkennen und Verwerfen, im Stellungnehmen zu einem Fordern findet, so versteht man hierbei unter Sinn nicht die geltende Wahrheit, sondern die sinnvolle Funktion des  Verhaltens  zur Wahrheit. Man hat hierbei also das Tatsächlichkeitsmoment des komplexen Gebildes mit zum Objekt geschlagen, aber so, daß man es lediglich unter Vorurteilen des Sinnes charakterisiert, d. h. sich ausschließlich für seinen Beruf als Sinnträger interessiert. Man hat eben ein komplexes Gebilde vor sich und d. h. nicht nur Geltendes, sondern eine "ideale" Leistung, Struktur, Einrichtung, ein in den Dienst einer Aufgabe gestelltes Werkzeug. Unter derselben Vieldeutigkeit stehen all die Wendungen, wie z. B. "Sinn der Geschichte". Damit kann wiederum entweder der gesamte Gehalt an geltenden Werten verstanden werden, die jemals in der Geschichte zur Anerkennung gelangt sind, oder  der  Sinn, der der geschichtlichen Entwicklung als der allmählichen zeitlichen Erfüllung der in der Zeit sich durchbrechenden Realisierung des zeitlos Gültigen zukommt.

Der Terminus "Sinn", so können wir das Vorangegangene jetzt zusammenfassen, vereinigt für uns ein Moment absoluter und ein Moment relativer Bedeutung. Es ist etwas absolut Genommenes, indem es nicht wie "Bedeutung" (im ursprünglichen Sinne) darin  aufgeht,  Objekt einer Hinweisung, ein Etwas an einem andern, ein Getragenes gegenüber einem Träger zu sein. Es bezeichnet vielmehr die ganze Sphäre des Verstehbaren im Gegensatz zur undeutbaren Tatsächlichkeit, also die eine Hemisphäre in der ursprünglichen Zweiheit des Denkbaren. Aber es ist dieses Absolutgenommene behaftet gedacht mit einem Relationsmoment. Denn "Sinn" nennen wir das Geltende, wenn wir es herabgezogen denken zu einem Erlebensschauplatz. In Sinn steckt schon die Nebenbedeutung, daß es zwar im Gegensatz zum Seienden steht, aber zugleich in Relation und Zugehörigkeit zu einem Sein sich befindet,  wovon  es der Sinn ist.

Für das Hineingebanntsein ins Erleben, für das Hineingeratensein in die Stellung des "Sinnes von" bietet sich noch ein einfacher und naheliegender Ausdruck dar. Wir können das dem Erleben vorschwebende, gegenüberstehende Gelten das  Objekt  des Erlebens nennen. Freilich begnügen wir uns auch bei der Bezeichnung "Objekt" oder "Vorwurf" mit einem unzulänglichen Bild für das Gefesseltsein des Geltens an die Erlebenstatsächlichkeit. Und dennoch ist es kein unpassendes Bild für das, was wir meinen; vielmehr umgekehrt das, was wir meinen, stets der eigentliche Sinn dieses bildlichen Ausdrucks. Denn Objekt bedeutet immer ein dem Erleben Vorschwebendes und somit auf das Erleben sich Beziehendes und Hinweisendes. Aber nicht nur das! Es bedeutet zugleich ein trotz seines Gegenüberstehens Unabhängiges und Selbständiges, ein Entgegentretendes, Entgegenstehendes. Und der tiefste Grund dieses Entgegentrotzens, dieses vom Erleben Sichlosreißens und zu einem selbständigen Objekt sich Gegenüberstellens, der tiefste Grund aller "Objektivität" ist die Eigenart, Fremdartigkeit und Nichtauflösbarkeit des Geltens gegenüber der bloßen Tatsächlichkeit des Erlebens. Denn auch die Selbständigkeit der Wirklichkeit, der Welt, der Dinge, der anschaulichen Gegenstände besteht, wie an dieser Stelle lediglich behauptet werden soll, in nichts anderem als in der Selbständigkeit und Eigenherrlichkeit eines Geltens, nämlich geltender Wahrheit. Objektsein ist also nicht eine Rolle, die wie allem möglichen anderen, so gelegentlich auch dem Gelten zufällt. Vielmehr besteht Objektsein darin, dem Erleben ein vorschwebendes  Gelten  zu sein. Im Objekt liegt dies beides vereinigt: das Hingestelltsein vor das Erleben, das  objectum esse,  das dem Erleben Gegenüberstehen, Vorliegen (einfach das Gemeintsein!) im Gegensatz zum bloß für sich und nicht vor das Erleben gestellt, hingeholt usw. gedachten Gelten und andererseits die in dieser Hineinstellbarkeit und Hineingestelltheit bewahrte Heterogenität und Selbstständigkeit gegenüber dem Erleben.

Das sinngewordene Gelten ist objektgewordenes Gelten, wir können es darum auch als objektives Gelten oder als objektiven Sinn bezeichnen.

Steckt in "Objekt" der dem Erleben entgegengeltende Wert, so klärt sich damit auch auf das einfachste und einheitlichste die Bedeutung von "Subjekt" und der Sinn der Subjekt-Objekt-Korrelation auf. "Subjekt" ist das Erleben, aber nicht die harmlose, vom Sinn gänzlich unberührte Tatsächlichkeit, nicht jener Einschlag an bloßer Faktizität, sondern gerade das vom Sinn berührte, das Gelten einfangende und tragende Erleben, das Erleben, insofern es dem Gelten gegenübersteht. Nur wenn man unter Subjekt ein mit so einer Nebenbedeutung behaftetes Erleben versteht,  korrespondiert  das "Subjekt" dem "Objekt", das dafür Gelten ist. Die komplexen Gebilde können wir jetzt auch als Subjekt-Objekt-Gefüge bezeichnen.

Komplexe Gebilde sind Erlebensgebilde, Subjektgebilde. Der Schritt vom objektiven Gelten zum komplexen Gebilde ist ein Fortgang zur Subjektivierung. Wo die Philosophie sich an komplexen Gebilden orientiert, muß sie von idealen Subjektgebilden ausgehen, wie die kantische und die fichtesche Transzendentalphilosophie es tut. "Subjekt" ist hier überall ein Gebilde, nicht eine bloß biologische und psychologische Ichheit, sondern "ideales" Erleben, reines Ich, Bewußtsein überhaupt. Das komplexe Gebilde besteht aus einem objektiven und einem subjektiven Bestandteil. Das Subjektgebilde ist also nicht gleichbedeutend mit dem ganzen komplexen Gebilde; es ist lediglich dessen subjektiver Bestandteil, nämlich das Erleben, aber nicht das Erleben vor, sondern nach seiner Hineinstellung ins komplexe Gebilde, also schon einschließlich seiner innerhalb des komplexen Gebildes im zugewiesenen Rolle. Wir bezeichneten vorher Hingabe, Erkennen, Schauen als komplexes Gebilde. Jetzt müssen wir genauer unterscheiden. Komplexe Gebilde sind die Hingabe mitsamt ihrem Objekt, das Erkennen mitsamt dem erkannten theoretischen, das Schauen mitsamt dem geschauten ästhetischen Geltensgehalt. Dagegen sind Subjektgebilde das Hingegebensein an das Objekt, das dem theoretischen und ästhetischen Gelten gegenüberstehende Erleben. "Urteilen" und "Schauen" sind Subjektbegriffe, sind kurze Ausdrücke für das dem theoretischen und dem ästhetischen Gelten gegenüberstehende Erleben. Es sind nicht einfach Namen für psychische Realitäten, sondern verschiedenerlei Sinngehalt ist in ihnen angedeutet. Aber ausdrücklich genannt wird nicht der objektive Sinn, nicht das Gelten, sondern das gegenüberstehende Erleben erscheint hier mit einer vom objektiven Gelten gleichsam abfärbenden, ihm korrespondierenden, ihm auf der subjektiven Seite gegenüberliegenden Sinnhaftigkeit ausgestattet. Auf das Erleben, das werthaftem Gelten gegenübersteht, scheint sich selbst ein Wert zu übertragen, und zwar um dieses Gegenüberstehens willen. Ein solches Erleben empfängt den Wert, Träger werthaften Geltens zu sein. Wir müssen uns aber darüber klar bleiben, daß wir hiermit keinen Fortschritt zu etwas Neuem gemacht haben. Gegen die Redeweise von der mit einem Wert versehenden Subjektivität läßt sich zwar nichts weiter einwenden. Nur darf man nicht vergessen, daß das mit dem Wert der Wertträgerschaft Ausgestattetseins lediglich ein anderer Name ist für das Stehen im Rahmen des komplexen Gebildes, für die Funktion, Wertträger zu sein. Es ist genau das, was wir vorher das "ideale" Erleben nannten, nämlich das Erleben rein unter dem Gesichtspunkt der Wertträgerschaft betrachtet (einfach als Empfänger gegenüberstehen). Es mag unverwehrt sein, vom Sinn, Sinnträger zu sein, vom Wert, Wertträger zu sein, von der Rolle, der Funktion, der Aufgabe, dem Beruf, der Ehre, dem Verdienst, das werthafte Gelten sich gegenüberstehend zu haben, zu reden. Man mag dem Subjekt mit Rücksicht und hindeutend auf das ihm objektiv vorschwebende Gelten ein Beiwort wert- und sinnhafter Färbung zubilligen. Aber sachlich liegt doch all diesen sprachlichen Auszeichnungen nichts anderes zugrunde als das in der Subjektstellung dem Gelten gegenüberstehend gedachte Erleben.

Ein Fortschritt der Betrachtung von der Versenkung ins bloße Gelten liegt ja zweifellos vor. Es wird nicht nur am Gelten, sondern auch an der Wirklichkeit ein Interesse genommen, die zum Erlebensschauplatz des Geltens geworden ist. Aber es entsteht nicht - außer in Worten - ein neuer, vom Objektiven abgeleiteter subjektiver, um des vorschwebenden Geltens willen über dem Erleben schwebender Wert (so daß  zwei  Werte und Sinne sind). Freilich erscheint es als einleuchtend, daß der Wert des geltenden objektiven Sachgehalts selbst ein anderer ist als der von ihm erst seine Bedeutung entlehnende Wert des das Gelten Habens, Haltens, Findens, Erlebens, daß z. B. der Wert der geltenden Wahrheit, den das Erkennen sucht, ein anderer ist als der Richtigkeitswert des die Wahrheit erfassenden Urteils, der dem Erkennen dabei zuteil wird. Aber was ist denn ein solches mit einem Wert behaftetes, glückgekröntes Besitzen und Ergreifen anderes als das bloße Gegenüberstehen von Sachgehalt und Erlebenstatsächlichkeit, als das schlichte komplexe Gebilde? Das mit dem Wert geschmückte Erleben heißt doch weiter nichts als einfach  das  Erleben, dem ein werthafter Sachgehalt gegenübersteht, und ein solches gegenüberstehendes Erleben ist allerdings etwas anders als das objektive Gelten selbst. Man mag sich wohl so ausdrücken, daß der Wert sich vom objektiven Gelten auf den Schauplatz des Geltens "überträgt", aber das ist doch nur ein umständlicherer Ausdruck dafür, daß es mit dem Erleben eben die Bewandtnis hat, daß es Schauplatz  ist.  Ebenso verhält es sich, wenn von etwas gesagt wird, daß es den Wert hat, Träger, Mittel, Werkzeug zu sein. Ganz allgemeingesprochen klingt es ja plausibel, daß der Wert, der einem Objekt unseres Verhaltens zukommt, ein anderer ist als der Wert unseres Verhaltens zu diesem Objekt, der Wert eines geliebten Gegenstandes ein anderer als der Gefühlswert der Liebe zu ihm, der Wert eines erkämpften Gutes ein anderer als der Verdienstlichkeitswert eines solchen Kämpfens. Aber das vorher Gesagte läßt sich auch auf diese Fälle analog erweitern: alle beliebigen mit subjektiver Wertqualität ausgezeichneten Gebilde sind nichts anderes als solche Erlebensbestimmtheiten, Verhaltensweisen, Vitalitätsäußerungen, deren Vorzug es eben ist, sich gegenüber irgendwelchen werthaften Objekten zu befinden und zu verhalten. Alles nur erdenkliche Behaftet- und Gefärbtsein mit Wert, alle Leistungswerte, Vorzüge, Verdienstlichkeiten, Tüchtigkeiten, Vollkommenheiten, alle Vornehmheit, Würde, Höhe, Erhabenheit, Großheit - all das ist zurückzuführen auf die dem Wert gegenüberbefindliche Erlebensbestimmtheit, was hinsichtlich der Persönlichkeitswerte später noch mit einigen Worten genauer bestätigt werden soll. (Einfacher ist zu zeigen, daß der Sinn des Urteils sekundär gegenüber dem Sinn ist.)

Hat man die wahre Bedeutung der Subjektwerte meinenden Bezeichnungen durchschaut, so kann man sie ruhig als bequeme und unschädliche Ausdrücke für die vom Gelten berührte, vom Wert gefärbte, dem Geltungsgehalt als zeitliche Realisierungsstätte sich darbietende Erlebenstatsächlichkeit gebrauchen. Wie die Geschichte der Philosophie zeigt, ist man fast nie vom objektiven Sinn, sondern fast stets von dem in die Subjektivität eingebetteten Geltungsgehalt, nicht vom objektiven theoretischen Sinn, sondern von den Formen des Urteils, nicht vom objektiven "ästhetischen" Sinn, sondern vom "Anschauen", "Fühlen" ausgegangen. Die mit Wert und Sinn behaftete Subjektivität war eben das Näherliegende, das  proteron pros hemas.  Meist wurde gar nicht bis zum objektiven Gelten vorgedrungen, sondern das an die Erlebenstatsächlichkeit angeheftete, schon terminologisch mit ihm wie zu einem einheitlichen Gebilde verschmolzene Gelten ohne weiteres für den Repräsentanten des Wertes überhaupt ausgegeben. Daher ist es gekommen, daß das Subjektive, das Ichhafte, das Geistige, die Vernunft, der Verstand, nicht nur als Schauplatz, sondern geradezu als die Sphäre, als der Kern des Wertes selbst angesehen wurde. Wie wir uns vorher gegen die völlige Psychologisierung des Geistigen und Seelischen wenden mußten, so jetzt gegen den entgegengesetzten Fehler einer Sublimierung und Auflösung in bloß Geltendes und einer Ignorierung des darin dann doch mitenthaltenen Tatsächlichkeitsmoments. Es ist ganz unerfindlich, warum da, wo es sich um eine Ergründung des objektiven Geltungsgehaltes handelt, an dessen Stelle uns die zweite Etappe, die Region der komplexen Gebilde, das mitangeschmolzene Erleben geboten, der ganz unnötige Ballast der Erlebenstatsächlichkeit immerwährende mitgeschleppt, dem objektiven Gelten stets noch die Subjektivität angehängt werden soll. Durch diese dauernde subjektive Umhüllung wird die primäre Geltensschicht ganz verdeckt, während es uns gerade darauf ankommen muß, sie bloßzulegen, sie zu entsubjektivieren.

Allen unseren Ausführungen lag ein Entwurf zugrunde, wonach alle Werthaftigkeit ihren ursprünglichen Sitz in einem transsubjektiven Gelten hat, das sich als entgegengeltendes Objekt dem Erleben gegenüberstellt. Danach sind alle überindividuellen Subjektgebilde, wie sie in den Konstruktionen der Transzendentalphilosophie vorkommen, einheitlich als Subjekt-Objektgefüge zu interpretieren. Ihren Subjektcharakter wie ihre Idealität verdanken sie der Rolle, Empfänger gegenüberstehenden Geltens zu sein. Alle Wertträger müssen Werterlebungen sein. Allein gerade in der klassischen Transzendentalphilosophie tritt diese Zerlegung in ein aufnehmendes Erleben und ein geltendes Objekt nicht hervor, die Transzendentalität der Akte läuf nicht auf den Typus eines Verhaltens zu etwas hinaus, zumindest nicht in dem Sinne, daß im  Objekt  das richtunggebende Gelten steckt. Wir wollen davon absehen, daß nicht einmal der komplexe Charakter dieser Gebilde überall mit Deutlichkeit hervortritt. Wir wollen einmal annehmen, soviel sei allgemein zugestanden, daß es nicht den monistischen Begriff überempirischen Agierens gibt, sondern daß transzendentale Akte dualistisch zu interpretieren sind, in ein Aktsubstrat und ein von diesem irgendwie getragenes, wertverleihendes Moment gespalten werden müssen. Denn wir brauchen doch ein von der bloßen  Tätigkeit  unterschiedenes Wertmoment, auf dessen Rechnung wir die "Idealität" und "Vorbildlichkeit" der Akte zu setzen haben. Mit einem monistisch aufgefaßten bloßen Handeln kommen wir doch auf keine Weise aus. Irgendein bloßes Tun und weiter nichts als Tun, Leisten, Geschehen, einen Erfolg herbeiführen, mag man es nun ein Verarbeiten, Gestalten, Zusammenfügen oder ein auf Reize reagierendes Abbilden nennen, ist ja lediglich Wirklichkeitsbewegung, Wirklichkeitsveränderung, zeiterfüllender Prozeß und kann niemals vorbildlich sein, denn als Nurwirklichkeit, als bloßer Seinsgehalt steht es ja per definitionem im Gegensatz zu allem Gelten, Wert und Sinn. Es muß sich unter allen Umständen mit den Akten etwas Nichtgeschehensartiges, Nichtagiles verbinden. Aber wenn nun so die Auseinanderhaltung von Aktsubstrat und Wertmoment auf alle Fälle angenommener Weise als unerläßlich begriffen wird, so braucht darum in der Transzendentalphilosophie das Wertmoment noch nich in eine Objektstellung gesetzt werden. Vielmehr steht nach der Vorstellungsweise des Kantianismus auf der einen Seite das aposteriorische, gegebene Inhaltsmaterial und auf der anderen Seite die gültigkeitbringende apriorische Funktion. Der die materialen Inhalte durchsetzende Gegenständlichkeitscharakter kommt auf Rechnung von "Notwendigkeit" und Objektivität tragenden synthetischen Akten. Aber es ist gar keine Rede davon, daß der in die anschaulichen Inhalte Objektivität hineintragende "Verstand" das Objektivitätsmoment objektartig sich gegenüberstehen hat. Er wird stets nur als Heranträger der Gültigkeit, aber niemals als Sichverhalten  zur  Gültigkeit gekennzeichnet. Das Stehen der Gültigkeit auf der Objektseite gilt als eine nachträgliche Erscheinung, bei der sich zu beruhigen ein Beweis ist, daß man ihren wahren transzendentalen Ursprung vergessen hat. Hier wird also eine ander Beziehung zwischen Wert und Wertträger angenommen als das Subjekt-Objekt-Verhältnis. Der Wert läßt sich irgendwie anders als objektartig auf seinen Aktsubstraten nieder.

Diese Vorstellungsweise belastet uns jedoch mit ganz unnötigen Verwicklungen. Auch sie kann ja das Bestehen der Subjektgebilde in unserem Sinne nicht bestreiten, z. B. nicht leugnen, daß das Erkennen ein erlebendes Verhalten  zu  einem ihm vorschwebenden objektiven Gelten, daß von den Erkenntnisakten als der ihnen zugehörige objektive Sinn, als von ihnen Erlebtes, Gemeintes, etwas ablösbar ist, in dem theoretisches Gelten steckt. Nun ist es ganz unberechtigt, sich gegen die uns durch diese Struktur des komplexen Gebildes aufgedrängte Anschauungsweise zu sträuben. Es ist vielmehr eine müßige Spielerei, anzunehmen, daß das Wertmoment ursprünglich mit dem Erkenntnisakt in irgendeiner anderen Weise verbunden ist und erst nachträglich in eine Vereinigung mit bestimmtem Inhaltsmaterial auf die Objektseite herübertritt. Wir werden vielmehr daran festhalten, daß der im objektiven theoretischen Sinn investierte Geltensgehalt ein an sich indifferentes Erleben erst zum Erkennen macht, zum komplexen Gebilde ergänzt. Wir kehren damit zu der seit jeher vertretenen Auffassung zurück, daß Erkennen in einem Sichverhalten gegenüber einem Objekt, in einem intentionalen Akt besteht, wie sich die Scholastik und im 19. Jahrhundert BRENTANO und seine Schule ausdrückt. Wir schließen uns den neueren Urteilstheorien WINDELBANDs und RICKERTs an, die erkannt haben, daß das Objekt, zu dem "Stellung genommen" wird, ein  Wert  ist.

Wir befolgen somit eine streng objektivistisches Tendenz. Das Letzte, Unvermittelte ist für uns der der Subjektivität entgegengeltende Sinn. Alle sonstigen Wertgebilde, alle wertberührte Wirklichkeit, alle Vollkommenheits- und Tugendbegriffe sind für uns erst eine zweite Etappe von vermittelter Werthaftigkeit, die von einem unvermittelten, ursprünglich sinnverleihenden Gelten herstammt, von dorther ihre Bedeutung erborgt hat. Diese abgeleitete Wertstation weist über sich hinaus, ist für uns eine Aufforderung, die primäre herauszulösen; sie entsteht ja erst, wenn man das objektive Gelten zum komplexen Gebilde komplettiert, die Erlebenstatsächlichkeit hinzugenommen hat; sie ist darum eine komplizierte Station des Wertes und Sinnes, um eine Schattierung reicher, voraussetzungsvoller als der dem Erleben nur entgegengeltende Sinn, bei dem das dahinterstehende Erleben eben noch nicht hinzugekommen ist. Es muß möglich sein, durch die Entfernung dieses subjektiven Zusatzes, durch einen Abzug dieses subjektive Korrelats, zum objektiven Gelten vorzudringen.

Wie berechtigt es ist, als zweiten Begriff neben dem objektiven Gelten des des dem Gelten zugekehrten Verhaltens einzuführen, dafür liefern einen vorzüglichen Beweis die in der Wertlehre seit jeher geläufigen Umschreibungen für den geltenden Wert. Es ist kaum möglich, dem eigentümlichen Charakter des Wertes, der Erhabenheit und Unbedingtheit des Geltens einen treffenderen Ausdruck zu geben als durch die bekannten Wendungen vom Fordern und darauf bestehen, vom Gebieten und der Norm. Geltender Wert ist Anerkennungswürdigkeit, Anerkennungswert, was Hingabe  verdient,  dem sie  gebührt,  auch was sie fordert und worauf sie besteht, Gelten ist Wert, Fordern, Norm. Wir können jetzt nach den vorangegangenen Ausführungen diese Ausdrücke in voller Schärfe verstehen. Wir brauchen bloß daran zu denken, daß nur das objektgewordene, dem Erleben gegenüberstehend gedachte, das entgegengeltende Gelten zum fordernden, zum entgegenfordernden Gelten werden kann. Fordern ist nichts anderes als das ins komplexe Gebilde hineingestellt gedachte Gelten. Denn auch die Voraussetzung des Forderungscharakters ist das Subjekt-Objekt-Gefüge. All jene Terminie wie "Würdigkeit", "verdienen", "gebühren", "fordern" sind korrelative Begriffe, deuten auf ein dem Gelten korrespondierendes subjektives Verhalten hin: würdig irgendwie behandelt oder angesehen zu werden, es verdient, ihm gebürt, anerkannt zu werden, es fordert ein gewisses Verhalten, kurz, all diese Ausdrücke sind Beziehungsausdrücke, weisen  über sich hinaus,  zeigen nach dem Gegenglied der Beziehung hin, sind gar nicht verständlich ohne ein gewisses Tun,  dessen  würdig  zu sein,  das zu verdienen, zu fordern das Wesen des Geltens ausmacht. Wir haben hier stets die beiden Seiten oder Bestandteile eines Subjekt-Objekt-Gefüges, eine, der etwas gebührt, und eine, die das Gebührende gewährt, ein forderndes und ein gefordertes Verhalten, eine Norm und eine Adresse, an die die Norm gerichtet ist. Für die Kennzeichnung der absoluten Dignität des Geltens wird hier eine Möglichkeit geschaffen, die erst durch eine Zuhilfenahme des gegenüberstehenden Erlebens zum Vorschein kommt. Das Gelten zeigt sein eigenes Wesen durch einen Hinweis auf eine außerhalb seiner liegende Sphäre. Wert, Fordern ist das durch einen Nebengedanken leise modifizierte Gelten. Es ist das Gelten, das ein Symptom des Gegenübergestelltseins, eine Erinnerung an die Gegenseite des Erlebens an sich trägt, in das dieses Beziehungsmoment hineingekommen ist, das gleichsam berührt, tangiert erscheint durch dieses Hingewandtsein nach der gegenüberliegenden Subjektssphäre. So enthüllt sich also der normative Charakter des Geltens erst, wenn wir nicht nur das Gelten ins Auge fassen, sondern zugleich den Nebengedanken an die ihm fremde und doch von ihm berührbare Tatsächlichkeit des Erlebens haben. Norm kann das Gelten nur für etwas anderes sein, als es selbst ist.

Also ist das Fordern nichts weiter als die im Gelten liegende Erfordernis, wobei wir lediglich ein "entsprechendes" und d. h. aber nur ein gegenüberstehendes Erleben in Gedanken hinzuzunehmen haben. Wir sagen z. B., die Konklusion "folgt" aus den Prämissen; mit diesem Geltungsverhältnis ist gleichbedeutend: die Prämissen "fordern" die Konklusion. Genauer: der Geltungszusammenhang zwischen den drei Wahrheiten fordert es, sich bei der Hingabe an die Prämissenwahrheiten auch die Konklusionswahrheit als geltendes Objekt vorschweben zu lassen. Als fordernd erscheint somit das Folgeverhältnis mit Rücksicht auf ein das "Folgen" ins Erleben aufnehmendes, "konsequentes", "folgerndes" Verhalten. Daraus ist ersichtlich, was für eine Bewandtnis es mit der "normativen Wendung" in der Logik hat. Die Geltungsverhältnisse werden normativ ausgesprochen, wenn man sie als wertverleihende Objekte gegenüber einem möglichen Subjektsverhalten denkt. Das vom Gelten ausgehende Fordern richtet sich lediglich darauf, ihm ein Subjektsverhalten, eine Erlebensstätte zu gewähren, es Objekt für ein Subjekt werden zu lassen, es ins komplexe Gebilde hineinzustellen. Die Sache, die Sache des logischen Geltungsgehalts verlangt es so, und  was  sie verlangt, ist lediglich ihre Realisierung in der Zeitlichkeit, Erlebenstatsächlichkeit. An nichts anderes haben wir zu denken als an eine solche Realisierungsmöglichkeit, noch nicht jedoch an den nach Erkenntnis strebenden Menschen. Die Adresse der Norm ist vielmehr an allem wissenschaftlichen Leben lediglich das daraus konstruktiv herausschöpfbare Idealgebilde des theoretischen "noetischen" Subjektverhaltens, die bloße Realisierung des logischen Sachgehalts im gegenüberstehenden Erleben. Schon daß die Norm "Anerkennung" "fordert", ist darum eine leicht irreführende Verlebendigung im Ausdruck für das bloße Gegenüberstehenmüssen eines das Gelten als Objekt habenden Erlebens. Man darf das normativ gewandte theoretische Gelten auch nicht einmal als eine an den Erkennenden ergehende  Vorschrift  fassen, nach der er sich zu richten hat, falls er das Ziel der Wahrheitserfassung erreichen will, noch weniger es mit normativ-technischen Regeln einer Logik als Kunstlehre gleichsetzen. Denn die Voraussetzung für den Begriff des logischen Erfordertseins ist ausschließlich die Existenz der Realisierbarkeit des Geltens, des komplexen Idealgebildes, und nicht die zielsuchender Menschen.

Genau wie mit dem Fordern verhält es sich mit einem anderen Hauptbegriff der Wertlehre, mit dem "Sollen". Urteilen wie geurteilt werden  soll,  heißt soviel wie normentsprechend urteilen. Es soll also dem Gelten "entsprochen" werden, d. h. aber, es soll ihm ein Subjektverhalten entstehen.

Das Korrelatverhältnis von Fordern und Sollen, diese beiden Ausdrücke im weitesten Sinn genommen, führt uns somit sachlich nicht über den bisher erörterten Begriff des komplexen Gebildes, nicht über das schlichte Erlebensmoment hinaus.

Aber gerade die Umbiegung ins Normative verleitet uns, über den schlichten Sinn des Subjekt-Objekt-Gefüges hinauszugehen, bedroht die Einsicht, daß das subjektive Sichgegenüberbefinden gegenüber einem Geltungsgehalt das bloße Erleben und Vorsichhaben in seiner äußersten Schlichtheit ist, daß der Normcharakter des geltenden Sinnes ein Hineinblicken lediglich auf die Realisierbarkeit, die Aufnehmbarkeit durch das Erleben bedeutet. Es drängt sich an die Stelle der bloßen "Berührung" des Sinnlichen mit dem Unsinnlichen, des "Empirischen" mit dem "Überempirischen", des tatsächlichen Erlebens mit dem unwirklichen und überwirklichen Geltungsgehalt sofort ein voraussetzungsvolleres, inhaltvolleres Hingegebensein der Subjektivität an die Werthaftigkeit heran, das allerdings in der Vollwirklichkeit des Erlebens im Einzelfall so eng mit dem schlichten Erleben verwachsen mag, daß man leicht versucht wird, es mit ihm zu einem einzigen Wertgebilde zu verschmelzen.

Alle  Subjektivität gegenüber der Werthaftigkeit erscheint dann als "praktisches", als "autonomes" Verhalten, als Hingabe des Willens an den Wert um des Wertes willen, als Beugung unter ein Sollen um des Sollens willen. Es entsteht daraus die Lehre von einem "Primat der praktischen Vernunft". Ihr Wesen besteht darin, daß sie mit der Überspringung und Verdeckung unseres schlichten Erlebensbegriffs im fordernden Geltungsgehalt das sittliche Aufgehen des Willens als unmittelbares Subjektkorrelat hinstellt. Wir halten ihr den Begriff einer Subjektivität entgegen, die weiter nichts ist als eine Realisierungsstätte objektiven Wertgehalts.

Damit ist nebenbei bemerkt noch gar nichts darüber ausgemacht, ob ein solches Subjektverhalten sich in absoluter Passivität zu einem ihm in fertiger Angliederung entgegentretenden Sinngehalt verhält. Denn auch alles mögliche Anstiften und Produzieren von einzelnem Sinngehalt durch das Erleben kann ein zusammenfügendes Heranerleben der Elemente zueinander bleiben, kann den Typus des bloßen Sichvorschwebenlassens bewahren. Es kommt nur darauf an, daß das Erleben lediglich die Rolle, Leistung, Verdienstlichkeit aufzeigt, das Zustandekommen des an Seiendes gebundenen Sinngehaltes durch das Mittel eines schlichten Zugekehrtseins zu seinem Objekt zu realisieren. Wir behaupten, es  gibt  eine Realisierungsschicht, in der nicht mehr liegt als lediglich dieser blasseste und dünnste Erlebensbestand, hinzugenommen gedacht zum objektiven Sinngehalt.

Wir brauchen für das Verständnis solcher Idealgebilde wie "Erkennen" oder "Urteilen" den Begriff einer ersten Station subjektiver Wertrealisierung, in der nichts anderes enthalten ist als das bloße Hingestelltsein spezifischen Sinngehalts vor das Erleben. Dagegen "praktisches" Verhalten, mag es auch im weitesten Sinne genommen sein, versetzt uns bereits in eine neue Station, in eine andere Welt des Wertes und Sinnes, des "subjektiven Wertes" und das heißt ja für uns nichts anderes, als ein von seinem Minimum unterschiedener und zwar verstärkter, kräftigerer, herzhafterer Erlebensbestand ist objektiver Werthaftigkeit gegenüberstehend zu denken. Einen solchen lebendigeren, aktiveren Subjektbestand irgendwelchem werthaften Objekt entgegenkommend gedacht, ergibt eine andere Region subjektiven Wertes, d. h. es liegt darin eine andere vom Wert her gefärbte Subjektrealität vor. Auch hier müssen wir alles scharf als Subjekt-Objekt-Gefüge erfassen und den Unterschied darin erblicken, daß auf der einen Seite ein stärkerer Gehalt an Erleben, Ichhaftigkeit, Subjektivität steht, nicht bloß jenes schattenhafte Erlebenssubstrat, sondern erhöhte Wesenhaftigkeit und Eigentümlichkeit des subjektiven Verhaltens, das also gleichsam mehr aus der realen Lebendigkeit herausgeschnitten zu denken ist, als entgegenkommend. Einen solchen lebendigeren, aktiveren Subjektsbestand irgendeinem werthaften Objekt entgegenkommend gedacht ergibt eine andere Region "subjektiven Wertes", d. h. also nach unseren früheren Erörterungen einen durch einen anderen Subjektsbestand gleichsam hindurchgegangenen, hindurchgetauchten Wertcharakter, einen Wertcharakter, dessen spezifische Färbung der Besonderheit des betreffenden Subjektsbestandes verdankt wird, somit auf Rechnung einer gewissen Realitätsmasse kommt. Es ist hier keineswegs unsere Aufgabe, das Gebiet des Praktischen exakt abzugrenzen, den es konstituierenden Subjektsgehalt genau und erschöpfend zu bestimmen. Es mag uns vielmehr genügen, als auf einen Repräsentanten der neu hinzutretenden Subjektsschicht auf das  Willens moment eines Verhaltens hinzuweisen. Nicht jenes blasse Erlebensminimum, sondern ein  Wollen,  das einem werthaften Objekt gegenübersteht, ihm hingegeben gedacht, führt uns ins Gebiet des Sittlichen im weitesten Sinne. Irgendeinem werthaften Objekt um seines absoluten Wertes willen hingegebener  Wille  ist sittliches Verhalten, Verhalten einer sittlichen Persönlichkeit. Wir können die neue Subjektssphäre vielleicht auch als personale Sphäre bezeichnen, ihren "subjektiven Wert" als Würde der Persönlichkeit.

Genau wie vorher beim Subjektsminimum sehen wir hier etwas, das für sich genommen, außerhalb seiner Substrats- oder Subjektsrolle stehend gedacht,  bloßer  Realitätsgehalt,  bare  Tatsächlichkeit ist, also etwa als bloßes "Begehren", "Trieb" oder als sonstige bloß "natürliche" Bestimmtheit auftritt, in "Berührung" geraten mit einem werthaften Objekt. Durch dieses Hineinrücken in die Stellung subjektiver Wertträgerschaft wird es in seiner vorsubstratlichen Nacktheit und Brutalität als einen Einschlag barer Tatsächlichkeit bildend kaum mehr wiedererkannt. Es tritt also etwas scheinbar ganz Neues auf. Ein ehedem "natürliches Substrat" erscheint als "geadelt", da es ganz in den Dienst einer solchen Leistung, eines solchen Berufes gestellt ist. Aber auch hier müssen wir wieder streng dualistisch denken und den Schein eines Zwittergebildes von "Sinn" (zeitlos) und "Sein" (zeitlich) zerstören. Ebensowenig wie es ein Idealgebilde (Bewußtsein überhaupt) gibt, gibt es ein solches emporgehobenes Naturgebilde. Es bleibt vielmehr etwas als bloße Tatsächlichkeit bestehen, und als  bloße  Tatsächlichkeit bewahrt es sich und hebt es sich scharf vom Wertobjekt ab, auch nachdem es in die Rolle des Substrates hineingestellt ist. Immer in dieses Zweierlei von Wert und gegenüberstehendem Substrat müssen wir das anscheinend Einheitliche zerschlagen. Wir müssen ein bloßes Realitätsmoment als Faktor im komplexen Gebilde rechnerisch festnageln und uns nicht dadurch täuschen lassen, daß es im Ergebnis, nämlich in einem bestimmten Wertcharakter, den wir mit einem einzigen Wort, wie z. B. "sittlich" andeuten, nur noch so hindurchschimmert, sich dahinter verbirgt, durch die Substanz des "subjektiven Wertes", der über ihm schwebt, gleichsam verklärt und überstrahlt wird, und wir müssen auf der anderen Seite als wertverleihenden Faktor ein werthaftes Objekt gegenüberstellen. Genau wie vorher die ideale Subjektivität, die Urbilder und Idealgebilde des Erkennens und ästhetischen Verhaltens ein Realitätsmoment als bloße und reine Geltungsträgerschaft gedacht bedeuteten, so ist entsprechend auch die ideale Personalität, der geadelte, reine, freie sittliche Wille als Idealgebilde zu interpretieren, als wertbares Willensmoment, das aber  rein  als Subjekt werthaften Objekts gedacht ist, an der Willensrealität alle konkretisierende Willensinhaltlichkeit weggeläutert und lediglich soviel übrig gelassen und herausgeholt gedacht, als rein darin aufgeht, auf ein werthaftes Objekt gerichtet zu sein. Also alles auf das Geheimnis eines Gegenüberstehens und Sichberührens zurückzuführen. Es gibt kein überirdisches Wesen in uns, sondern ein irdisches, dem ein überirdisches gegenübersteht.

Wir entnehmen aus dieser Sachlage zugleich eine wichtige Einsicht für die Stellung des Ethischen in der Reihe der Werte. Das Ethische ist ein Bereich "nur subjektiver" Werte, d. h. ein Wertgebiet, dessen Eigenart ausschließlich auf der Besonderheit des der Werthaftigkeit gegenüberstehenden Verhaltens beruth, und in dem es  ausschließlich  Werte des Verhaltens, Subjektwerte gibt. Die personale Wertsphäre ist eine Shäre  nur  personaler Werte. Das ethische Wertgebiet ist insofern dem theoretischen und ästhetischen nicht koordiniert. Denn mag auch das Spezifische des Theoretischen und des Ästhetischen durch eine bestimmte Erlebensspezies determiniert sein, durch das Hinblicken auf bestimmte Arten des Erlebens eine Spur davontragen, so gibt es hier doch immerhin einen, wenn auch durch die Subjektivität tangierten, unsubjektiven, unpersönlichen, transsubjektiven Geltungsgehalt, irgendwelche Bestimmtheiten des Geltens, das ja wie überhaupt der Realität wie der Subjektivität fremd gegenübersteht. Hier gibt es also den bloßen, wenn auch irgendwie belasteten und insofern auf die Subjektivität hinweisenden Geltungsgehalt. Im ethischen Wertgebiet dagegen fehlt ein solcher transsubjektiver Geltungsgehalt, der sich als dritte Art den beiden anderen anreiht. Freilich gibt es auch Objekte spezifisch ethischen Charakters, ethische "Güter" und "Zwecke", die somit objektartig dem ethischen Subjekt entgegentreten (und alle Forderungen). Aber die ethischen Güter sind nur im funktionellen Sinn Objekte, auf ihren Gehalt hin angesehen jedoch nicht transsubjektiven Charakters, wie doch z. B. die Menschenwürde ihrem Gehalt nach subjektiver Wert bleibt, auch wenn sie als zu achtendes Gut dem sittlichen Verhalten gegenübertritt. Seinem Stoff nach ist das Objekt ethischen Charakters stets eine auf einem personalen Substrat oder einer Beziehungseinheit von personalen Substraten sich niederschlagende Werthaftigkeit. Oder exakter ausgedrückt: irgendeinem werthaften Objekt gegenüberstehend gedachtes personales Substrat. Die gesamte Welt des Ethischen nicht bloß ihren formalen, sondern auch ihren inhaltlichen Prinipien nach baut sich aus dem Stoff subjektiver Werthaftigkeit auf. Da das Kriterium des Ethischen ausschließlich im Spezfischen eines Subjektverhaltens liegt, so vermag ein Objekt der ethischen Stellungnahme nicht - wie beim theoretischen und ästhetischen Verhalten - nur ein bestimmter Sinngehalt zu werden, mag er auch noch so sehr sich zu einem objektiven Ethos verselbständigen, sondern jeglicher Sinngehalt kann unterschiedslos als Objekt vom sittlichen Verhalten ergriffen werden. Es gibt nicht, wie einen spezifisch theoretischen und ästhetischen, einen spezifisch ethischen Objektgehalt, sondern es kann höchstens ein spezifisch ethischer Subjektwert die Funktion des ethischen Objekts als eins unter allen übrigen ethischen Objekten einnehmen. Die drei Wertgebiete enthalten also nur zwei Arten geltenden Sinngehalts, das ethische bringt dazu nur noch ein bestimmtes, Sinngehalt gegenüberstehend gedachtes Verhalten. Hier wird man jedoch noch folgende Einschränkung hinzufügen müssen. Dem ethischen Verhalten steht niemals ein bloßer transsubjektiver Sinngehalt als Objekt gegenüber, sondern höchstens die  Realisierung  eines transsubjektiven Geltungsgehaltes, also sinnvolles Geschehen, sinnrealisierendes Tun. Auf geltenden Wahrheitsgehalt z. B. ist wohl im unmittelbaren Erleben das Erkennen (und in der Reflexion die theoretische Philosophie) gerichtet, aber autonomes, den Wert um des Wertes willen wollendes Verhalten geht nicht auf den bloßen Wahrheitsgehalt, sondern auf die Erfüllung des zeitlos Gültigen in zeitlicher Wirklichkeit. Wir können also wohl den Wahrheitsgehalt im einzelnen als Erkennende im schlichten Erleben erfassen, wir können ihn auch "werten" und "anerkennen", als Wert erkennen, uns in seinen Wertcharakter versenken, nämlich in der philosophischen Reflexion uns auf die Wahrheit hinsichtlich seiner besinnen, aber ein ihn als Wert  Wollen  liegt weder im einen, noch im anderen Fall vor. Sobald wir etas um seines Wertes willen "wollen", kann es nicht der Wahrheitsgehalt, sondern höchstens die Erkenntnis sein. Die  Persönlichkeit  in uns verhält sich niemals zum bloßen Wahrheitsgehalt, höchstens zur Erkenntnis. Das bejahende Sichhingeben an einen Wertgehalt ist stets das Bejahen des Wertgehalts als eines Lebensinhalts, also die Hingabe an ein im Leben Realisierbares, an eine Erfüllung des Lebens mit Wertgehalt, an ein im Realisiertwerden Leben; ebenso ist das Sichhingebenwollen an einen Wertgehalt keine Hingabe an den  bloßen  Wertgehalt, sondern ein Sicherfüllenwollen mit ihm, ihm zum Durchbruch in sich verhelfen, ihn über sich herrschen lassen wollen, wobei also nicht der bloße Wertgehalt, sondern die Gewährung einer Realisierungsstätte in uns gewollt wird. Kurz, die ethischen Objekte sind nie bloßer Sinngehalt, letzte Objekte, Objekte in einem absoluten Sinn, die ihres transsubjektiven Charakters wegen in keiner Hinsicht Subjektsgebilde repräsentieren, sondern Objekte lediglich in einem funktionellen und relativen Sinn, ihrem Gehalt nach Subjektsgebilde, entweder komplexe Realisierungen transsubjektiven Sinnes oder personale Wertgebilde. Was im ursprünglichen Subjekt-Objekt-Gefüge ein Subjektsgebilde ist, kann dem ethischen Verhalten gegenüber Objekt sein. Theoretisches Subjekt zu werden, kann ein ethisches Objekt für das wissenschaftliche Leben, für die wissenschaftliche Persönlichkeit sein. Die Objektwerdung im ursprünglichen komplexen Gebilde und die Objektwerdung dem ethischen Verhalten gegenüber müssen wir deshalb gar wohl auseinanderhalten. Wie der bloße Sinngehalt auf das schlichte Erleben hinblickend die Note "Objekt", "Sinn von", Norm oder Fordern davonträgt, so erhalten alle Sinnrealisierungen und personalen Wertgebilde als von ethischem Verhalten Ergriffenes den Beigeschmack des "Gutes", "Zwecks", "Zieles", der Norm oder der "Forderung" im engeren ethischen Sinn. Eine Doppeldeutigkeit von Fordern, Norm, usw. besteht, je nachdem in welchem Bannkreis etwas gesehen wird.

Das Ergebnis dieser Abschwenkung zum ethischen Wertgebiet ist dies: Auch wenn man den Wertbegriff als Zentralbegriff aller Philosophie erkannt hat, kommt doch in die philosophischen Disziplinen vom transsubjektiven Sinngehalt nirgends, auch nicht da, wo es sich um eine subjektive Realisierung handelt, das praktische Verhalten hinein, so daß von einem Primat des Praktischen nicht die Rede sein kann.

Wir kehren jetzt zum schlichten Subjekt-Objekt-Gefüge zurück und zeigen, daß die Lehre vom Erleben als der Realisierungsstätte für den Geltungsgehalt uns zu würdigen gestattet, was es für eine Bewandtnis mit dem Satz der Immanenz und aller Immanenzphilosophie hat. Wir können den Zustand des Eingeschlossenseins in ein komplexes Erlebensgebilde, des Vorschwebens, Gemeintseins, der Intentionalität und Objektwerdung des Geltens auch als Zustand der Immanenz bezeichnen, insofern das Objektsein für ein Subjekt, der "Bewußtseinsinhalt" für ein Bewußtsein als Immanentsein, als Immanenz bezeichnet werden darf. Dagegen das transsubjektive Gelten außerhalb des komplexen Gebildes stehend, vom Erleben noch nicht ergriffen denken, das hieße es im Zustand der Transzendenz denken. Wir stehen somit im schroffsten Gegensatz zu einem Standpunkt der Immanenz hinsichtlich des Geltungsgehaltes, wir vertreten keine Immanenzlehre, sondern eine Transzendenzlehre, wir behaupten die Transzendenz des Geltungsgehalts, und seine Objekt- oder Immanentwerdung sehen wir nur für ein von außen hinzutretendes Schicksal an, das ihm widerfahren kann. Wir können somit höchsten von einer Erlebbarkeit oder der Möglichkeit einer Immanentwerdung des ansich transzendenten Geltungsgehalts reden, so daß die Immanenz nur eine zufällige Situation ist, in die der von dieser Situation unabhängige Geltungsgehalt hineingerät. Wir werden mithin fortan den in der Tatsächlichkeit eines Gemeintwerdens angetroffenen Sinn kurz als immanenten Sinn bezeichnen, ohne uns vorläufig darum zu kümmern, ob es noch innerhalb des immanenten Sinns wichtige Unterscheidungen gibt, ob vielleicht die beiden Fälle möglich sind, daß der transzendente Sinn bei seiner Immanentwerdung in seinem transzendenten Gehalt entweder unangetastet bleibt oder in irgendeiner Hinsicht Schaden erleidet, wie wir ja überhaupt Subjektivität immer nur als empfangende hatten.

Sobald wir den Beziehungen zwischen unserem transzendent-philosophischen Standpunkt und der Immanenzphilosophie nachzugehen suchen, müssen wir uns allerdings eingestehen, daß bei einem großen Teil der Immanenzphilosophen unser Problem gar nicht berührt wird. Bei vielen Vertretern dieser Lehre wird die Transzendenz des Geltens weder behauptet noch geleugnet. Bei ihnen ist meist nicht nach einer Immanenz des Geltens, sondern nach einer Immanenz des außerhalb jedes, auch des theoretischen Sinngehalts liegenden Etwas die Frage. Dabei ist wegen der Vieldeutigkeit des "Subjekts"- oder "Bewußtseinsbegriffs" die Immanenzphilosophie gar keine einheitlich erfaßbare Theorie. Es stecken in ihr zwei grundverschiedene Thesen, die aber beide verschmolzen zu einem Ganzen bei SCHUPPE, bei anderen isoliert, auftreten. Von denen bewegt sich die eine ausschließlich innerhalb der Grenzen des bloßen tatsächlichen Erlebensbestandes, ohne irgendwie das Hineinragen von Sinngelten zu berücksichtigen. Es ist gar keine Angelegenheit des theoretischen Geltungsgehalts selbst, sondern eine lediglich das "Material", den "Stoff", aus dem das Seinsgebiet gemacht ist, betreffende spezielle Streitfrage, eine interne Angelegenheit des Seinsmaterials. (Erst später kann die hier noch überall herrschende Doppeldeutigkeit all der Ausdrücke wie "Tatsächliches", "Realität", "Sein", "Wirklichkeit" usw. aufgedeckt werden, worunter bald ein bloßes "Material" verstanden, bald das, wozu es der bloße "Stoff" ist, mitgemeint wird.) Immanenzlehre in diesem Sinn ist das Problem, ob die Seinsmasse (das geltungsfremde Etwas) in Erlebensmasse besteht, mit Erlebensmasse zusammenfällt. Ob alles bestimmte Wirklichkeitsmaterial ein bestimmtes Erleben, ein bestimmtes Zumutesein, ein bestimmtes Bewußtsein, alle konkrete Bestimmtheit konkrete Bewußtseinsbestimmtheit, in diesem Sinne Bewußtseinskonkretion ist. So daß sich als abstrakte Art, als gemeinsames Wesen das Merkmal "Bewußtsein" herausabstrahieren ließe und alle konkrete Mannigfaltigkeit Bewußtseinsmannigfaltigkeit, konkretes Bewußtsein wäre. Die Immanenz aller Inhalte bedeutet also: daß sie nichts Selbständiges und Unabhängiges gegenüber dem Bewußtsein sind, sondern aus künstlich isolierten konkreten Momenten des Bewußtseins, daß sie aus konkreter Bewußtseinsmasse bestehen. Die Analyse bei diesem hat lediglich im Umkreis des Seinsmaterials gearbeitet, lediglich die Bestandteile in allerdings umfassendster Charakterisierung gegeneinander abgegrenzt. Sie hat mit dem "Bewußtsein", d. h. dem Bewußtseinszentrum, den abstraktesten Seinsmaterialbestandteil herausgearbeitet, der aber darum doch nicht Wirklichkeitsbestandteil, sondern Bestandteil des Wirklichkeitsmaterials, ein  Seinsmaterial bestandteil bleibt. Durch noch so große Verdünnung seines Inhalts fällt ein abstraktes Moment nicht aus der Region heraus, aus der es durch Abstraktion herausgewonnen ist. So unterscheidet sich wohl das abstrakte Bewußtseinsmoment von aller konkreten  Bestimmtheit  "meines" und "Deines" Bewußtseins, aber es bleibt von dieser Welt, von der Welt unseres Bewußtseins, es gehört ja zu ihr als in ihr steckendes, abstraktes Moment. Es ist "unpersönlich" und "überindividuell" lediglich im Gegensatz zur Einzelperson und zur Individualität alles konkret Seienden, aber nicht im Sinne des überpersönlichen und überindividuellen Geltungsgehalts.

Das Schillern des Subjektsbegriffs bei manchen Immanenzphilosophen, wie z. B. SCHUPPE, bringt es nun mit sich, daß im Satz der Immanenz neben dieser Lehre vom Enthaltensein aller Inhalte im abstrakten Ichmoment außerdem noch die ganz andersartige Lehre vom Erfaßt- und Ergriffensein aller Inhalte durch die "Denk"- oder "Erkenntnisformen" steckt. Hier verwandelt sich also das abstrakte Bewußtsein plötzlich in den Subjektbegriff der Transzendentalphilosophie, in einen "Anteil der Denkarbeit" gegenüber dem "Gegebenen", also in Formen des Denkgehalts, des in der Subjektivität investierten theoretischen Sinngehalts. Hier taucht auf einmal ein ganz anderes Problem auf, die Abhängigkeit oder Unabhängigkeit der Inhalte von den Formen theoretischen Sinngehalts anstatt vom abstrakten Erlebensmoment. Die außerhalb allen Sinngehalts verharrende Bewußtseinsimmanenzlehre schlägt in eine Immanenzlehre des Geltungsgehalts, der Bewußtseinsidealismus in einen "transzendentalen", "erkenntnistheoretischen" Idealismus um. Diese Immanenzlehre steht nicht im Widerspruch zu unserer Transzendenzlehre, denn sie behauptet die "Immanenz" einer Inhaltsmasse, innerhalb deren bezüglich ihrer Bestandteile bereits eine Bewußtseinsimmanenz stattfindet, gegenüber den Formen transzendenten theoretischen Sinngehalts. Diese zweite Lehre geht über den in der ersten Lehre nicht überschrittenen Umkreis der Immanenz hinaus und statuiert der Sache nach eine Immanenz des Immanenten gegenüber dem Transzendenten. Jedenfalls steht in keinem der beiden Fälle der Sinngehalt in der Stellung des immanenten Objekts, und im zweiten Fall spielt außerdem gar nicht das Erleben die Rolle des Subjekts der Immanenz, sondern Subjekt ist . . . (?) Geltungsform.

Entschließen wir uns, unter Immanenz nicht das Erfaßtwerden durch Formen des subjektiviert verkleideten Sinngehalts, sondern ausschließlich eine Immanenz gegenüber dem Erleben, Subjekt, Bewußtsein zu verstehen, so sind drei verschiedene Immanenztheorien denkbar. Die eine behauptet die Immanenz des Seinsmaterials und bewegt sich außerhalb des Geltungsgehalts, die beiden anderen statuieren die Immanenz des Geltungsgehalts, aber in verschiedenem Sinn. Die eine hält das Immanent- oder Objektsein des Geltungsgehalts für seinen unerläßlichen wesenhaften Zustand, nicht bloß für ein zufälliges Schicksal. Sie begnügt sich damit, die Unabhängigkeit des Geltungsgehalts vom Erleben nur in diesem Sinne zu bestreiten, und leugnet nicht die Andersartigkeit des immanenten Objekts gegenüber dem Subjekt. Die andere dagegen steigert die Abhängigkeit des Geltungsgehaltes bis zu seiner Vernichtung. Sie macht den Geltungsgehalt zum immanenten Bewußtseinsmoment in dem radikalen Sinn, daß sie keine Kluft zwischen Bewußtsein und Sinngehalt anerkennt, den Geltungsgehalt zu einem bloßen Bewußtseinsbestandteil, zu etwas, das aus Erlebensmasse besteht, zur Erlebensmasse als  ihresgleichen  gehört, herabdrückt. Sinnerleben ist ihr einfach ein konkretes Erleben, der Geltungsgehalt "Bewußtseinsinhalt" im Sinne irgendeiner konkreten Erlebensbestimmtheit. Es ist der Nihilismus und Vandalismus hinsichtlich des Geltungsgehalts, der den Sinngehalt dem Erdboden des Erlebens, der Erlebensstätte gleichmachen möchte, sein Herausragen aus der Fläche der Tatsächlichkeit leugnet. Wo der Bewußtseinsidealismus nicht eine interne Angelegenheit des sinnbaren Materials bleibt, sondern sich als das Ganze der Philosophie aufspielt, den Sinngehalt mit ergreift, ihn wie das konkrete Seinsmaterial zur konkreten Bewußtseinsbestimmtheit, zum bloßen Moment am Bewußtsein, zu einem Stück konkreten Erlebens, zu einer bloßen Erlebensangelegenheit nivelliert, da geht der Bewußtseinsidealismus in eine umfassende naturalistische und psychologistische Theorie über, da schreitet er zur Proklamierung des Nurtatsächlichen, zu einem Monismus der Erlebensrealität und der Erlebensfakten, zu einem den "überempirischen" und "unsinnlichen" Geltungsgehalt leugnenden Empirismus und Sensualismus fort. Für den Psychologismus im strengsten Sinne erschöpft sich der Geltungsgehalt darin, realer Teilfaktor, konkreter Bestandteil am realen Ablauf des Geltungserlebnisses, des tatsächlichen für gültig "Haltens" und halten Müssens zu sein. Die Ablösbarkeit, Heterogenität und Selbständigkeit des Geltungsgehalts gegenüber den abrollenden Begebenheiten erscheint im als Jllusion. Den beiden verschiedenen Immanenzlehren gegenüber verfechten wir in einem doppelten Sinn die Transzendenz des Geltungsgehalts. Wir behaupten zunächst seine Unabhängigkeit von der Objektstellung gegenüber dem Erleben und sodann erst recht seine Andersartigkeit, seine Unauflösbarkeit in der Tatsächlichkeit des Erlebens. Die Transzendenz in diesem letzteren Sinne ist uns einfach eine Folge aus der Urgegensätzlichkeit des Geltenden und Seienden. Ohne uns darum zu kümmern, wie der Erlebens- und der Seinsbegriff sich zueinander verhalten, also ohne uns um das Immanenzproblem als die interne Angelegenheit des Seinsmaterials zu kümmern, stellen wir den Sinn dem Erleben, das jedenfalls zum Nichtgelten gehört, als etwas Fremdes und "Transzendentes", darin nicht Auffangbares, gegenüber.

Diese Übersicht über die verschiedenen Arten der Bewußtseinsimmanenz, also der, die wir nur allein als solche gelten lassen, zeigt, daß unter dem gemeinsamen Namen "Immanenz" zwei grundverschiedene Verhältnisse gemeint sein können. Das eine Mal ist Immanenz die Objektsstellung von einem geltenden Sinngehalt gegenüber dem erlebenden Subjekt, also ein Verhältnis zwischen zwei durch die letzte Kluft voneinander geschiedenen Gliedern. Das andere Mal dagegen bedeutet Immanenz das Verhältnis der das abstrakte Ichmoment inhaltlich ausfüllenden konkreten Erlebensbestimmtheit zu einer abstrakten Gattung, nämlich Bewußtseinskonkretion = Bewußtsein, d. h. aber ebenso wie z. B. der Empfindungsbestimmtheit zur Gattung  Empfinden,  der Bestimmtheit des einzelnen Lust- und Unlustgefühls zur Gattung  Fühlen,  der Triebbestimmtheit zur Gattung  Begehren.  Nicht Intentionalität! Hier besteht keine Kluft, sondern lediglich ein Verhältnis zwischen  Seinesgleichen.  Die gehabten Empfindungen, Gefühle, Triebe stehen dem "Haben" der Empfindungen, Gefühle, Triebe nicht so als "Objekte" wie der Geltungsgehalt dem Erleben gegenüber. Nur Sachgehalt-Erleben ist ein Objekt-Erleben, sondern ein bestimmtes Erleben; es wird dabei nicht Konkretes als Objekt erlebt, sondern es wird konkret erlebt, so dahinerlebt . . . objektsvergessen. Trotz des unangemessenen sprachlichen Ausdrucks muß man sich unter einem solchen Erleben eine objektfreie Tätigkeit denken. Nennt man die konkret-peripherische Bestimmtheit des Erlebens peripherische Bewußtseinskonkretion oder Erlebenskonkretion ein Erleben, das kein Etwas-Erleben im Sinne eines Objekt-Erlebens ist, so muß man zwischen Erlebensobjekt und peripherischer Erlebenskonkretion, zwischen dem Subjekt-Objekt-Verhältnis einerseits und dem Verhältnis von Erlebenszentrum und peripherischer Erlebenskonkretion oder Bewußtsein und Bewußtseinskonkretion andererseits unterscheiden.

Wie zwischen Objekt und Konkretion kann man auch zwischen den beiden anderen Gegensätzlichkeiten Subjekt und Bewußtsein unterscheiden. Hier müssen wir jedoch sofort bedenken, daß das nur verschiedene Namen für dasselbe Erlebensmoment sind. Wir nennen es Subjekt, wenn wir es Sinngehalt gegenüberstehend denken, und wir nennen es Bewußtseinszentrum, wenn wir es durch eine konkrete Erlebensbestimmtheit, also durch seinesgleichen, ergänzt denken. Es gibt darum in der Philosophie überhaupt und ebenso in einer einzelnen philosophischen Disziplin, z. B. in der theoretischen Philosophie, nicht zwei verschiedene "Bewußtseins"-Begriffe, z. B. ein vorstellendes Bewußtsein, demgegenüber alle Inhalte immanent sind, und ein urteilendes Bewußtsein, das zu einem transzendenten Geltungsgehalt Stellung nimmt. Vielmehr können wir höchstens so unterscheiden: wir nennen eine Erlebensmoment  Vorstellen,  wenn wir es als Abstraktum zu aller Konkretheit des Seinsmaterials denken, und wir nennen ebendasselbe erkennendes Subjekt, wenn wir es als Subjekt gegenüber einem transzendenten Geltungsgehalt engagiert denken. Es handelt sich bei dieser Immanenzlehre nicht, wie wir bereits gesagt haben, um die höchsten Prinzipien theoretischen Sinngehalts, sondern um ein Problem des "Seinsmaterials", das in einer dienenden Stellung steht. Es ist deshalb auch irreführend, das abstrakte Bewußtseinsmoment "Bewußtsein überhaupt" zu nennen. Denn "Bewußtsein überhaupt" ist es nur im Sinne des bloßen höchsten Abstraktums  Bewußtsein das da im Gegensatz zu aller bewußten Inhaltlichkeit steht, aber nicht im Sinne einer "Idealität". Es ist ja lediglich das durch äußerste Verringerung seines Inhaltes entstandene ausgehöhlte Bewußtseinsmoment  in abstracto. 
LITERATUR: Die Logik der Philosophie und die Kategorienlehre [eine Studie über den Herrschaftsbereich der logischen Form] in: Gesammelte Schriften, herausgegeben von Eugen Herrigel, Bd. III, Tübingen 1924
    Anmerkungen
    1) Was ich komplexes Gebilde nenne, ist etwas ganz Berechtigtes, nämlich  eine  Art der Komplexion, und zwar die bekleidete, also beide Seiten in der Materialsstellung. Erlebt wird das Unsinnliche  nur  des Objekts, aber nicht die  eigene  unsinnliche Form, wovon das Erlebensmaterial betroffen wird. Auf der Objektseite meines komplexen Gebildes stehen als für  mich  als Betrachtenden zwei Stockwerke! Abgesehen ist davon von der Form-Material-Komplexität. - - - Wenn also das wirkliche Erleben Wirklichkeiten erlebt, so ist das nicht ein Wirklichkeitsverhalten, weder in seiner Nacktheit, noch bekleidet für den Betrachtenden. Denn in Nacktheit auf  einer  Seite Sinn, auf der anderen Bedeutungsfremdes bekleidet, steht dies sich eben bekleidet gegenüber, d. h. auf der einen Seite zwei Stockwerke, auf der anderen Realität = Sinn. - - - Das Erleben tritt nicht als Realität, sondern nur um seines  Materials,  nicht um seiner Form willen als Subjekt dem Geltenden gegenüber. Aber ist das zwingend? Nicht um seiner Form willen gewiß! Aber damit ist nicht bewiesen, daß  nur  um des Materials willen. - - - Dieselben Schwierigkeiten wie beim Erlebensträger und erlebten Sinn, daß nämlich Erleben selbst schon Realität und also Sinn ist, wiederholen sich bei symbolischen Zeichen. Auch diese sind Realitäten, körperliche Realitäten, so daß also  Sein  Sinn vertritt, körperlicher Zeichensinn vertritt Sinn überhaupt.