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WILLIAM STERN
Wertphilosophie
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"Der Gegen-Standpunkt zum Personalismus ist immer und überall der Impersonalismus oder  Sach -Standpunkt. Nun kann aber diese Gegensätzlichkeit sowohl im Gebiet der Realität, wie in dem der Idealität zur Geltung kommen."

"Die personalistische Philosophie hat mit dem Idealismus, der von Platon bis zu Kant und seinen Nachfolgern reicht, gemeinsam die Überzeugung, daß das wahre Wesen des Seins niemals in der Ebene des Gegebenen zu finden ist; aber sie scheidet sich von jenem Idealismus durch die Art,  wie  sie dieses Ideelle auffaßt. Ist die, hinter allem Gegebenen ruhende, eigentliche Wesentlichkeit allen Seins personal oder impersonal zu verstehen? Als Konkretes, Individualisiertes, Einzigartiges, das - nie ganz wirklich - sich ständig selber zu verwirklichen strebt? - oder als Abstraktum, Allgemeinheit der Geltung, Gesetzlichkeit funktionaler Beziehungen? Kürzer ausgedrückt:  als Person, oder als Idee?" 

Beleitwort zu Band I, II, III.

Die systematische Darstellung der personalistischen Philosophie gelangt 1923/24 in drei Bänden zum Abschluß.

Der erste Band, die  "Ableitung und Grundlehre"  enthaltend, erschien bereits 1906; er blieb lange fast unbemerkt, erst in den letzten Jahren wandte sich ihm eine gewisse Beachtung zu, die jetzt eine Neuausgabe nötig macht. Der zweite Band,  "Die menschliche Persönlichkeit",  wurde 1918 in erster, 1919 in zweiter Auflage veröffentlicht, er wird jetzt zum dritten Mal herausgegeben. Als dritter abschließender Band tritt nunmehr die  "Wertphilosophie"  hinzu.

Eine Behandlung des Gesamtsystems in drei Bänden war schon im ersten Plan des Jahres 1906 vorgesehen; aber die dafür beabsichtigte Gliederung in sechs Hauptteile (Vgl. Bd. I, Seite 30) hat sich beträchtlich verschoben. So manches, was nach dem ursprünglichen Entwurf in eigenen Halbbänden behandelt werden sollte, hat innerhalb der jetzigen Einteilung einen bescheideneren Platz erhalten; anderes ist in einer damals noch nicht vorauszusehener Weise in den Vordergrund getreten. Nunmehr hat das System drei Hauptteile, die den drei Bänden entsprechen: Die allgemeine Philosophie und Weltlehre, die Menschenlehre, Die Wertlehre. Mit diesen sucht es den Grundriß für ein neues Weltanschauungsbild zu entwerfen und die Leitlinien für die Normen der Lebensgestaltung zu ziehen. Dabei will das System durchaus als ein "offenes" betrachtet sein; so sehr es bemüht ist, die Grundlagen domatisch und kritisch zu sichern, so muß es sich in der Einzelausführung auszusprechen, deren wissenschaftliche Nachprüfung und Rechtfertigung erst der Zukunft anheimzustellen ist, oder durch eine neue Art der geistigen Einstellung die Ansatzpunkte zum Weiterdenken, Ausgestalten und Umgestalten darzubieten.

Es ist nicht beabsichtigt, durch diese Weiterarbeit, soweit der Verfasser selbst daran beteiligt sein sollte, den Rahmen des vorliegenden Gesamtwerkes zu sprengen. Vielleicht, daß sich bei künftien Bearbeitungen der drei Bände einzelne neue Wendungen in die personalistische Gedankenführung zwanglos einfügen lassen; im übrigen aber denkt der Verfasser an eine selbständige Behandlung von Sonderproblemen, wie er solche ja auch schon vorher vereinzelt unternommen hat. (1) So ist es sein Wunsch, noch einmal seine besonderen Arbeitsgebiete, die Psychologie und die Pädagogik, von der personalistischen Philosophie her einehend zu begründen. Und ebenso hat er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, die Ansätze zu einer "Teleomechanik" weiter auszubauen.

Sollte sich aber die Erwartung, noch selbst das eine oder andere durchführen zu können, nicht erfüllen, so bleibt ja noch jene andere, bereits früher ausgesprochene Hoffnung (2), daß das jetzt schon Vorhandene auch andere in den Stand setze, den Faden der personalistischen Philosophie fortzuspinnen.



Der Abschluß des Gesamtbuches erweckte das Bedürnis zu einer zusammenfassenden Rückschau und Überschau. Ursprünglich bestand die Absicht, eine solche Schlußbetrachtung jedem Band gleichlautend als Begleitwort mitzugeben, damit auch Leser der Einzelbände sich darüber orientieren können, an welcher Stelle der personalistischen Gedankenentwicklung jeder Band stehe. Der Umfang der Schlußbetrachtung verbot aber die Wiederholung; sie wird später selbständig veröffentlicht werden. (3) An dieser Stelle kann lediglich eine Andeutung ihrer Absicht gegeben werden

Der erste Teil der Gesamtrückschau wird Konstanz und Entwicklung in den personalistischen Grundüberzeugunen der drei Bände behandeln. Eine einheitliche Richtung des Gedankenfortschritts und der Akzentverschiebun wird dem rückschauenden Blick deutlich erkennbar:  sie führt von einer vornehmlich naturphilosophischen zu einer wesentlich bedeutungsphilosophischen Betrachtungsweise.  "Zuerst interessiert die Erklärung des Gegebenen, später mehr und mehr die Deutung seines Sinnes."

Unter den Gedankenmotiven des  ersten  Bandes spielt die an der  Biologie  orientierte Gegenüberstellung von Teleoloie und Mechanistik eine richtunggebend Rolle; jene Alternative wird unter der Bezeichnung  Person / Sache  zur allgemeinen Weltproblematik erhoben, eine neue Lösung wird versucht. - Im  zweiten  Band, der vom Menschen handelt, überbaut sich der Kategorie der realen Person die der ideellen Persönlichkeit. Wird der Mensch durch den Begriff der Konvergenz noch in seiner biologischen Bedingtheit gefaßt, so bringt der neue Begriff der Introzeption [innere Wahrnehmung - wp] nun die Wendung; denn er sucht den  Sinngehalt der menschlichen Persönlichkeit  auszudrücken. - Im  dritten  Band ist dieser Introzeptionsbegriff zum Mittelpunkt der ethischen Betrachtung geworden; der kateorische Imperativ lautet: "Introzipiere!" d. h. "Gestalte Dein Ich mikrokosmisch zur Persönlichkeit, indem Du den Dienst für die Nicht-Ich-Werte Deinem individuellen Selbstwert einverleibst." Aber diese mikrokosmische Normsetzung erhebt sich erst auf einem makrokosmischen Unterbau. Die Wertphilosophie tritt auf als  allgemeine Bedeutungsmetaphysik,  die den Charakter eines konkreten Idealismus hat. IN ihr sind die "Personen" das "In-sich-Bedeutsame", die "Sachen" das "Für-andere-Bedeutsame", aber zwischen diese beiden Formen des Selbstwertes und des Sach- oder Dienstwertes schiebt sich jetzt als Mittelberiff der "Strahlwert" als das "In-anderen-Bedeutsame" ein.

Im zweiten Teil der Rückschau wird die Frage gestellt werden, was der kritische Personalismus den  Wissenschaften  zu geben habe. Da die drei Bände des Werkes nicht nach den wissenschaftlichen Einzeldisziplinen gegliedert sein können, so sind Hindeutunen und Ausblicke auf diese verstreut an verschiedenen Stellen, zuweilen auch nur zwischen den Zeilen zu finden; sie sollen nun auf kurze Formulierungen gebracht werden für folgende Gebiete: Erkenntnistheorie, exakte Wissenschaften, Biologie, Psychologie, Kulturwissenschaften. Hier wird manches gesagt werden müssen, was sehr hypothetisch, ja was den vorwaltenden Anschauungen in den einzelnen Disziplinen paradox klint, auch manches, was als bloße Zukunftsmöglichkeit auftritt. Aber es scheint, daß gerade der Philosoph zu solchen Vorwegnahmen das Recht hat und den Mut haben soll. Der Umstand, daß er der Augenblicks-Situation und Problematik der Spezialwissenschaften ferner steht als deren Fachvertreter, ist nicht  lediglich  ein Nachteil; er hat dadurch eine Freiheit, die ihm gestattet, manches in anderem Licht und vor allem in neuen und weiteren Zusammenhängen zu sehen. - Übrigens beginnt ja die Isolierschicht, die lange zwischen dem Personalismus und den Einzelwissenschaften bestand, langsam zu schmelzen. In Psychologie und Kulturwissenschaften wird eine Annäherung schon deutlich. Vielleicht werden auch die exakten Und biologischen Wissenschaften mit der Zeit die Entdeckung machen, daß hier ein philosophisches Gedankensystem besteht, das ihnen etwas zu sagen und zu bieten hat; den Anfang dürfte die Medizin mit ihrer modernen "Konstitutionslehre" machen.

Nicht viel besser als bei den Spezialwissenschaften war es dem kritischen Personalismus auf seine eigensten Heimatgebiet, der  Philosophie,  ergangen. Für ein Jahrzehnt und länger traf die Voraussage des ersten Vorworts (1906) zu: die Resonanz der zeitgenössischen Fachwelt blieb aus. Der Personalismus wich in seiner Bejahung der Metaphysik zu sehr ab von der erkenntniskritischen Vorsicht der Zeit, in seinen Problemstellungen und Antwortversuchen zu sehr von den vorherrschenden inhaltlichen Interessen der Fachphilosophie. Aber auch hier hat die Zurückhaltung, die bis zur Nichtachtung ging, ihren Höhepunkt überschritten. Verwandte Lehren - zum Teil von ganz anderen Voraussetzungen herkommend - werden an verschiedenen Stellen entwickelt, und das Verlangen wird rege, den Personalismus mit den anderen philosophischen Richtungen der Gegenwart zu vergleichen und an ihnen zu messen. Daß die Neuausgabe der früher erschienenen Bände jetzt nötig geworden ist, darf als äußeres Zeichen des steigenden Interesses gedeutet werden; ich möchte hoffen, daß der gleichzeitig möglich gewordene Abschluß der Gesamtdarstellung auch den Abschluß der Latenzepoche darstellt. Daß man ihr zustimme, kann die personalistische Philosophie nicht beanspruchen, wohl aber, daß man sich mit ihr auseinandersetzt.



Vorwort zum III. Band

Dem Begleitwort zu Band I - III ist nur noch weniges hinzuzufügen, das den vorliegenden dritten Band im besonderen angeht.

Bereits im Jahre 1906 stand mir fest, daß das Gesamtwerk eine "Wertlehre" enthalten soll (siehe Bd. I, Seite 30); zwei Jahre später lag ein Manuskript für diesen Abschnitt zum größten Teil fertig vor. Aber es blieb damals unvollendet und unveröffentlicht. Erst sehr viel später ist es mir erkennbar geworden, daß diesem Aufschub ein tieferer Sinn zugrunde lag; weder das System, noch die Kulturlage, noch der Verfasser waren damals schon reif, eine personalistische Wertphilosophie hervorzubringen.

Das System mußte erst weiter ausgebaut, insbesondere in seiner Anwendung auf die  menschliche  Persönlichkeit durchgeführt sein (was dann im zweiten Band geschehen ist).

Die kulturelle Lage ließ zwar damals schon erkennen, daß die unbestrittene Vorherrschaft der unpersönlich-mechanistischen Überzeugungen, Wertungen und Wirkungen ihrem Ende zuneigte; aber der Kampf dagegen war noch zu schattenhaft-akademisch; es fehlte noch die gewaltige Erschütterung - und mit ihr das Erwachen positiver neuer Idealbildungen, die mit der Wucht innerer Notwendigkeit auftreten konnten. Erst das letzte Jahrzehnt brachte eine solche Aufwühlung, die sich aber zunächst nur in zahllosen weltanschaulichen Kurzschlüssen Luft machte. Um so unausweichlicher erhob sich nun die Forderung nach unbeirrter, philosophischer Selbstbesinnung auf das, was letztlich werthaft und sinnvoll ist, und auf das, was die eigentliche Aufgabe menschlicher Sittlichkeit sein soll.

Der Verfasser selbst endlich empfindet es deutlich, daß gerade die Übertragung einer philosophischen Theorie in dei Sprache der Werte eine wiedergewonnene Konkretheit des Denkens und eine Weite des Gesichtskreises erfordert, wie sie den in theoretischer Abstraktion befangenen jüngeren Jahren noch nicht eigen sein kann; und so hat er auch ohne Bedauern das alte Manuskript beiseite gelassen und das vorliegende Buch in den letzten vier Jahren völlig neu geschrieben.

Was die personalistische Wertphilosophie von verwandten systematischen Wertlehren unserer Zeit vor allem unterscheidet, ist ihr ausgesprochen  metaphysischer  Zug. Das axiologische Glaubens-Apriori "Ich glaube an objektiv Wertvolles" steht an der Spitze; die "Introzeption" der objektiven Werte in den Selbstwert jedes Menschen steht als Gegenstand der sittlichen Forderung am Ende. Und eben diese Anordnung ist kennzeichnend für den leitenden Gedanken. Nicht der Mensch bildet den Anfang; auch nicht die Menschheit und die Kultur, in der sie lebt und sich verwirklicht. Wertphilosophie ist in ihrer Grundlage weder Anthropologie noch Kulturphilosophie - sondern eben Metaphysik. Die Kategorie des Wertes reicht weit über die engen Grenzen des Menschlichen hinaus, - wenn sie auch in ihrer Anwendung auf Menschliches und Kulturelles erst ihre ganze Fülle und Größe entfaltet.

Dadurch rechtfertigt sich auch die Gesamtgliederung des Buches, die zunächst befremden mag. Sie vollzieht sich nicht nach den bekannten Wertsphären: Religion, Wissenschaft, Kunst, Sittlichkeit, Recht, Wirtschaft (4) usw. Vielmehr sind in den ersten beiden der drei Hauptabschnitte allgemeine metaphysische Kategorien bestimmend für die Einteilung: die Selbstwerte, die Strahlwerte und die Dienstwerte. Erst im letzten Abschnitt wird die Stellung des menschlichen Ich zu den Werten behandelt.

Nach einer allgemeinen Wesens- und Ortsbestimmung der Wertphilosophie wird im ersten Hauptteil das  System der Selbstwerte  aufgewiesen als Hierarchie von Personen (d. h. konkreten Selbstbestimmungs-Ganzheiten). Es wird der Begriff des Selbstwertes geklärt, die (sogenannte "hypostatische") Methode zur Auffindung echter Selbstwerte entwickelt und der konkrete Stufenbau des Wertkosmos selbst entworfen, soweit es die heutigen methodischen Hilfsmittel zulassen.

Der zweite Hauptteil - der umfangreichste des Bandes - will die Grundnormen der  abgeleiteten Werte  sichtbar machen. Sie erhalten von den Selbstwerten ihren Wertcharakter entweder als deren Ausstrahlungen oder als deren Dienstorgane; aber sowohl die Strahlwerte wie die Dienstwerte sind in sich aufs mannigfachste differenziert.

Infolge dieser andersartigen Orientierung der beiden Abschnitte wird man in ihnen manches umsonst suchen, was sonst in wertphilosophischen Werken ausführlich behandelt wird (und vielleicht ist dieser Mangel eben deshalb nicht so empfindlich, weil es für die Sonderfragen der einzelnen Wertgebiet zahlreiche andere berufene Bearbeiter gibt). Andererseits aber finden sich nun die Gegenstände der  kulturellen Wertsphären  und der einzelnen  Wertwissenschaften  an verschiedensten Stellen dem metaphysischen Kosmos der Urwerte und der abgeleiteten Wert eingeordnet, wodurch die hierhergehörigen besonderen Wertprobleme vielfach in eine neue Beleuchtung rücken. Auf folgende Beispiele sei hingewiesen: Die Scheidung von Äußerungs- und Innerungswerten führt einerseits zu einer Axiologie des Ausdrucks, andererseits zur Grundlegung einer neuen Theorie des Psychischen und der Bewußtseins- und geistigen Werte. Die Wertprobleme der Geschichte erhalten eine veränderte Orientierung durch die Gegenüberstellung geschicht hafter  Substrate und geschicht licher  Tatbestände. Den Phänomenen der Wirtschaft und Technik wird nun in die Sphäre der Dienstwerte ihr axiologischer Platz zugewiesen.

Der dritte Hauptteil vollzieht, wie erwähnt, endlich die  Zentrierung der Wertprobleme um den Menschen.  Jetzt erst, da wir wissen, worin das objektiv Wertvolle besteht, läßt sich die Stellung des Menschen zu jenem Wertkosmos verständlich machen. Diese Stellung ist dialektischer Natur: Muß das menschliche Ich nicht den urtümlichen Charakter der objektiven Werte verneinen, wenn es sich als Selbstwert bejahen will? Oder die eigene Selbstwertigkeit verleugnen, wenn es  jene  anerkennt? Aber diese beiden Verhaltensweisen der Ver-Ichung und der Ent-Ichung erweisen sich als nur partiale; ihnen überhaupt sich die  Introzeption,  welche die In-eins-Bejahung des eigenen Selbstwertes und der objektiven Werte ist und die in ihrer absoluten Form zur Religiosität wird.

Diesem zentralen Begriff aller menschen-bezogenen Werttheorie gilt nun die Erörterung der letzten Kapitel. Noch einmal treten hier die verschiedenen  Kulturgebiete  auf, diesmal als die Betätigungssphären verschieden introzeptiven Verhaltens: des Liebens, des Verstehens, des Genießens, des Heiligens, des Handelns und Schaffens. Und schließlich erweist sich die Introzeption als das einzige, was unbedingt  gefordert  werden kann; das Schlußkapitel bringt die personalistische  Ethik,  die nicht nur eine Neubegründung alter Normen, sondern selbst eine neue Normierung der Lebensgestaltung zu geben versucht.

Der philosophische Standpunkt, der dem Buch zugrunde liegt, ist der des kritischen Personalismus. Aber dieser hat - wie schon im Begleitwort zum Gesamtwerk angedeutet - eine Wendung zu stärker betonter  Idealität  erfahren. Daraus aber ergibt sich eine eigentümliche neue Frontstellung.

Der Gegen-Standpunkt zum Personalismus ist immer und überall der Impersonalismus oder "Sach"-Standpunkt. Nun kann aber diese Gegensätzlichkeit sowohl im Gebiet der Realität, wie in dem der Idealität zur Geltung kommen. Im ersten Band war der Gegensatz ganz vorwiegend als ein solcher angesehen worden, der die Erklärung des real Gegebenen betrifft: die innere zielstrebige Aktivität der Person wurde der sachlichen Mechanistik eines zweckfremden Systems von einfachen Elementen und blinden Naturgesetzen gegenübergestellt.

Die vorliegende Betrachtung aber, die nach dem Sinn, der Bedeutung, dem Wert des Seienden, als nach Ideellem, fragt, muß den Gegensatz Person/Sache anders einstellen. Es zeigt sich, daß die Antithetik in der Tat auch im Bereich des Ideellen besteht. Die personalistische Philosophie hat mit dem Idealismus, der von PLATON bis zu KANT und seinen Nachfolgern reicht, gemeinsam die Überzeugung, daß das wahre Wesen des Seins niemals in der Ebene des Gegebenen zu finden ist; aber sie scheidet sich von jenem Idealismus durch die Art,  wie  sie dieses Ideelle auffaßt. Ist die, hinter allem Gegebenen ruhende, eigentliche Wesentlichkeit allen Seins personal oder impersonal zu verstehen? Als Konkretes, Individualisiertes, Einzigartiges, das - nie ganz wirklich - sich ständig selber zu verwirklichen strebt? - oder als Abstraktum, Allgemeinheit der Geltung, Gesetzlichkeit funktionaler Beziehungen? Kürzer ausgedrückt:  als Person, oder als Idee?  Der Personalismus bekennt sich zu der Antwort: als Person (genauer als  Hierarchie von Personen)  und zieht alle Konsequenzen, die dieser entscheidende Glaubenssatz mit sich bringt. Er will - gegenüber jenem abstrakten Idealismus -  konkreter Idealismus  sein. -

Der vorliegende Band bildet zwar ein Glied innerhalb des Gesamtwerks, ist aber auch in sich eine geschlossene Einheit. Die im Begleitwort ausgeführten Gründe haben ja bewirkt, daß auch die allgemeinen philosophischen Voraussetzungen, auf denen die personalistische Anschauung beruth, noch einmal in diesem Buch erörtert werden mußten - wenn auch in anderen Gedankenwendungen und Fassungen, als in Band I und II. So wird das Buch in sich verständlich sein auch für Leser, welche die anderen Bände nicht kennen.

Die Wertlehre ist für jede philosophische Gesamtüberzeugung erst die eigentliche Probe aufs Exempel. Denn erst in ihr erweist sich, ob das philosophische System mehr ist als bloße Theorie; ob es zugleich Sinndeutung der objektiven Welt, Heimat und Wegweisung für das Subjekt sein kann. An dieser Probe mag auch die philosophische Weltanschauungs-Bedeutung des kritischen Personalismus gemessen werden.



LITERATUR - William Stern, Person und Sache - System des kritisschen Personalismus, Bd. III, Leipzig 1924
    Anmerkungen
    1) Abseits vom Hauptwerk sind bisher folgende Schriften des Verfassers zum Personalismus erschienen (in zeitlicher Reihenfolge):
    - Der zweite Hauptsatz der Energetik und das Lebensproblem [Eine naturphilosophische Untersuchung], Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 121/122, 1913
    - Vorgedanken zur Weltanschauung (Niedergeschrieben 1901), Leipzig 1915
    - Die Psychologie und der Personalismus, Leipzig 1917
    - Grundgedanken der personalistischen Philosophie (Vortrag der Kant-Gesellschaft), Berlin 1918
    - Die menschliche Persönlichkeit und ihr psychisches Leben, Zeitschrift für pädagoische Psychologie, Bd. 21, Seite 1f, 1920
    Außerdem kommt auch in den psychologischen Spezialarbeiten des Verfassers die personalistsche Grundüberzeuung zur Geltun, und zwar umso deutlicher, je später sie verfaßt sind.
    2) Am Schluß des Vorwortes zum II. Band.
    3) Der in Band I und II an gleicher Stelle geäußerte Plan, diese Gesamtrückschafu dem dritten Band anzufügen, mußte wegen des Umfanges dieses Bandes aufgegeben werden.
    4) Insbesondere wird der Wertbegriff ganz aus seiner ursprünglichen wirtschaftstheoretischen Einengung gelöst.