cr-4G. KnauerG. StörringHobbes    
 
JOHN LOCKE
(1632-1704)

Über allgemeine Ausdrücke
[Versuch über den menschlichen Verstand - Drittes Buch, Kapitel 3]

    2. Buch / Kap. 25 - Von den Beziehungen
2. Buch / Kap. 26 - Über Ursache und Wirkung
2. Buch / Kap. 27 - Über Identität
3. Buch / Kap. 1   - Über die Wörter im allgemeinen
3. Buch / Kap. 3   - Über allgemeine Ausdrücke
4. Buch / Kap. 11   - Unser Wissen vom Dasein anderer Dinge

"Wenn wir somit die Einzeldinge beiseite lassen, so sind die  Generalia,  die übrigbleiben, nur Schöpfungen, die von uns selbst stammen."

1. Da alle existierenden Dinge Einzeldinge sind, so würde es vielleicht folgerichtig erscheinen, wenn die Wörter, die den Dingen angepaßt sein sollen, es - bezüglich ihrer Bedeutung - ebenfalls wären. Wir beobachten jedoch gerade das Gegenteil. Die weitaus größte Zahl der Wörter, die alle Sprachen bilden, sind allemeine Ausdrücke. Das beruth nicht auf Nachlässigkeit oder Zufall, sondern auf Vernunft und Notwendigkeit.

2. Erstens ist es unmöglich, daß jedes Einzelding seinen besonderen eigentümlichen Namen erhält. Denn da die Bedeutung und der Nutzen der Wörtern in der Verbindung besteht, die der Geist zwischen seinen Ideen und den Lauten herstellt, welche er als Zeichen dafür verwendet, so ist es bei der Anwendung der Namen auf die Dinge erforderlich, daß der Geist deutlich unterschiedene Ideen von den Dingen besitze und sich gleichzeitig den besonderen, jeder einzelnen Idee zukommenden Namen nebst dessen ausschließlicher Zugehörigkeit einpräge.

Es übersteigt jedoch die Fassungskraft des menschlichen Geistes, von sämtlichen einzelnen Dingen, die ihm begegnen, gesonderte Ideen zu bilden und sich einzuprägen. Alle Vögel und Tiere, die man gesehen, alle Bäume und Pflanzen, die auf die Sinne eingewirkt haben, könnten selbst in dem umfassendsten Sinn keinen Platz finden. Wenn es schon als Beispiel für erstaunliches Gedächtnis gilt, daß manche Generale imstande gewesen sind, jeden einzelnen Soldaten ihrer Armee beim Namen zu nennen, so können wir leicht den Grund dafür finden, warum die Menschen niemals versucht haben, jedes Schaf aus ihrer Herde, jede Krähe, die über ihnen dahinflog, viel weniger jedes Blatt einer Pflanze oder jedes Sandkorn auf ihrem Weg besonders zu benennen.

3. Zweitens, wenn dies auch möglich wäre, so würde es doch zwecklos sein, weil es dem Hauptzweck der Sprache nicht dienlich wäre. Die Menschen würden vergeblich Namen für einzelne Dinge anhäufen, die ihnen zur Mitteilung ihrer Gedanken nicht dienen könnten. Man erlernt Namen und gebraucht sie im Gespräch mit anderen lediglich, um verstanden zu werden. Das geschieht nur dann, wenn infolge von Gewohnheit oder Vereinbarung der Laut, den ich durch die Sprechorgane erzeugt habe, im Geist eines andern, der ihn vernimmt, eben dieselbe Idee erweckt. die ich in meinem Geist damit verbinde, wenn ich ihn ausspreche. Das aber kann nicht bei solchen Namen geschehen, die nur auf Einzeldinge bezogen werden. Solche Ideen würden nur in meinem Geiste vorhanden sein; daher müßten ihre Namen für jeden anderen sinn- und bedeutungslos bleiben, der nicht mit allen und genau denselben Einzeldingen vertraut wäre, die mir bekannt geworden sind.

4. Drittens, nehmen wir an, dies wäre durchführbar (was es meiner Meinung nach nicht ist), so würde doch ein besonderer Name für jedes einzelne Ding den Fortschritt meiner Erkenntnis gar nicht besonders fördern. Die Erkenntnis geht zwar von Einzeldingen aus, erweitert sich aber mit Hilfe von allgemeinen Beobachtungen; dafür aber ist die Zusammenfassung der Dinge zu Arten und allgemeinen Namen das geeignete Mittel. Diese Arten bleiben mit den ihnen zukommenden Namen innerhalb gewisser Grenzen; sie vermehren sich nicht fortwährend über das Maß dessen hinaus, was der Geist fassen kann oder der Zweck erfordert.

Deshalb haben sich die Menschen meist damit begnügt, ohne jedoch ganz darauf zu verzichten, Einzeldinge durch Eigennamen zu unterscheiden, sobald es die Bequemlichkeit verlangt. Darum gebraucht man am häufigsten Eigennamen innerhalb der eigenen Art, mit der man am meisten zu tun hat; denn hier sieht man sich oft veranlaßt, einzelne Personen zu erwähnen. In diesem Gebiet haben einzelne Individuen ihre einzelnen Benennungen.

5. Außer den Personen haben auch Länder, Städte, Flüsse, Berge und andere Ortsbestimmungen ähnlichen Charakters in der Regel ihre besonderen Namen erhalten. Der Grund dafür ist derselbe. Man hat häufig Veranlassung, sie einzeln zu kennzeichnen und anderen in der Unterhaltung gleichsam vorzuführen. Ich zweifle nicht daran, daß wir für die einzelnen Pferde, wenn wir Grund hätten, sie ebensooft zu erwähnen wie die einzelnen Menschen, auch Eigennamen hätten; ein Wort wie Bucephalus würde dann ebenso gebräuchlich sein wie das Wort Alexander. So können wir beobachten, daß Pferdeliebhaber ihren Pferden gewöhnlich ebenso Eigennamen geben, bei denen sie sie nennen und vermittels derer sie sie unterscheiden, wie ihren Dienern; denn sie kommen untereinander oft in die Lage, dieses oder jenes Pferd zu erwähnen, wenn sie es nicht vor Augen haben.

6. Als nächstes wollen wir untersuchen, wie allgemeine Wörter zustande kommen. Denn es erhebt sich die Frage, wie wir zu allgemeinen Ausdrücken gelangen, da doch alle Dinge, die existieren, Einzeldinge sind? Wo finden wir die allgemeinen Typen, die sie vertreten sollen? Wörter werden allgemein, indem man sie zu Zeichen für allgemeine Ideen macht. Ideen werden dadurch allgemein, daß man sie von allen örtlichen und zeitlichen Umständen trennt und alle anderen Ideen von ihnen loslöst, die sie möglicherweise auf diese oder jene Einzelexistenz beschränken könnten. Auf diesem Wege der Abstraktion erhalten sie die Fähigkeit, mehr als ein Individuum darzustellen, von denen jedes (wie wir es nennen) wegen der in ihm enthaltenen Übereinstimmung mit jener abstrakten Idee einer bestimmten Art angehört.

7. Um dies noch etwas deutlicher nachzuweisen, wird es vielleicht ratsam sein, unsere Begriffe und Namen von ihrem Ursprung an zu verfolgen und zu beobachten, in welcher Stufenfolge wir fortschreiten und durch welche Schritte wir von frühester Kindheit an unsere Ideen erweitern. Nichts ist einleuchtender als die Tatsache, daß die Ideen von den Personen, mit denen Kinder zusammenkommen (um bei diesem Beispiel zu bleiben), ebenso wie die Personen selbst, ihrem Charakter nach Einzelideen sind. Die Ideen für die Amme und die Mutter sind in ihrem Geiste gut ausgebildet und stellen gleich Bildern, die dort von ihnen vorhanden sind, nur diese Einzelwesen dar. Die Namen, die die Kinder ihnen zuerst gegeben haben, sind auf die betreffenden Einzelwesen beschränkt; die Namen  Amme  und  Mutter,  die die Kinder verwenden, beziehen sich allein auf jene Personen. Später, wenn die Zeit und die Erweiterung ihres Gesichtskreises sie die Beobachtung machen ließen, daß es sehr viele andere Dinge in der Welt gibt, die durch gewisse gemeinsame Eigentümlichkeiten der Gestalt und verschiedener anderer Eigenschaften ihren Eltern und den Menschen, an die sie gewöhnt sind ähneln, bilden sie eine Idee, an der ihrer Ansicht nach jene zahlreichen Wesen teilhaben; dieser Idee geben sie zum Beispiel den Namen  Mensch.  So gelangen sie zu einem allgemeinen Namen und zu einer allgemeinen Idee. Dadurch schaffen sie nichts Neues. Sie schalten aus der komplexen Idee, die sie von Peter und Jakob, von Marie und Johanna hatten, nur dasjenige aus, was einer jeden eigentümlich ist, und behalten zurück, was ihnen allen gemeinsam ist.

8. Auf dieselbe Weise, wie man zu dem allgemeinen Namen und zu der Idee  Mensch  gelangt, schreitet man leicht zu noch allgemeineren Namen und Begriffen fort. Denn wir beobachten, daß gewisse Dinge sich von unserer Idee  Mensch  unterscheiden und sich deshalb nicht in diesen Namen miteinbegreifen lassen; diese Dinge weisen aber dennoch bestimmte Eigenschaften auf, die sie mit den Menschen gemein haben. Indem man nun diese Eigenschaften allein festhält und sie zu einer Idee zusammenschließt, gelangt man wieder zu einer neuen und noch allgemeineren Idee. Dieser gibt man einen Namen und schafft so einen umfassenderen Ausdruck.

Diese neue Idee wird nicht dadurch gebildet, daß man etwas Neues hinzufügt, sondern nur, wie vorher, dadurch, daß man die Gestalt und verschiedene andere Eigenschaften, die durch den Namen  Mensch  gekennzeichnet sind, ausschaltet und nur einen Körper mit Leben, mit Sinnen und mit einer aus eigenem Antrieb erfolgenden Bewegung übrig behält, der unter dem Namen  Tier  erfaßt wird.

9. Ich halte es für völlig offensichtlich, daß dieses das Verfahren ist, nach dem der Mensch zuerst allgemeine Ideen und allgemeine Namen für letztere bildete; um das zu beweisen, ist meiner Meinung nach nichts weiter nötig, als den gewöhnlichen Vorgang des Erkennens bei sich und anderen zu beobachten. Wer nun aber meint,  allgemeine Naturen  oder  Begriffe  seien etwas anderes als derartige abstrakte und partielle Ideen von solchen, die in höherem Grade komplex sind und die ursprünglich von einzelnen Existenzen herstammen, der wird, fürchte ich, nicht angeben können, wo er sie finden will.

Jemand möge überlegen und mir dann sagen, worin seine Idee  Mensch  von der Idee  Peter  und  Paul  oder seine Idee  Pferd  von der Idee  Bucephalus  abweicht, wenn nicht darin, daß er etwas ausläßt, was jedem einzelnen Individuum eigentümlich ist, und von jenen einzelnen komplexen Ideen verschiedener Einzelwesen alles das zurückbehält, worin sie übereinstimmen, und wenn man aus dem letzteren dann eine neue komplexe Idee bildet, der man den Namen  Tier  beilegt, so gewinnt man einen noch allgemeineren Ausdruck, der neben dem Menschen noch mancherlei andere Geschöpfe umfaßt. Wenn man aus der Idee  Tier  die Sinne und die aus eigenem Antrieb erfolgende Bewegung ausschaltet, so wird die komplexe Idee, die aus den restlichen einfachen Ideen des Körpers, des Lebens und der Ernährung gebildet wird, eine noch allgemeiner Idee unter dem noch umfassenderen Namen  Lebewesen. 

Um nicht länger bei dieser Tatsache, die von selbst einleuchtet, zu verweilen, so ist noch festzustellen, daß der Geist auf demselben Wege zu  Körper, Substanz  und schließlich zu  Wesen, Ding  gelangt und zu ähnlichen allgemeinen sprachlichen Ausdrücken, die alle unsere Ideen, welcher Art sie auch sein mögen, bezeichnen. Um diesen Gegenstand abzuschließen: Das ganze Geheimnis der  genera  und  species , von denen in den Schulen so viel geredet wird und die man mit Recht außerhalb dieser Schulen so wenig beachtet, besteht in nichts anderem als in  abstrakten Ideen die mehr oder weniger umfassend sind und denen man Namen beigelegt hat. In all diesen Fällen gilt beständig und ausnahmslos, daß jeder allgemeinere Ausdruck eine ebensolche Idee vertritt und nur einen Teil davon darstellt, was darunter erfaßt wird.

10. Hieraus können wir erkennen, warum wir uns bei der Definition von Wörtern, die nichts anderes ist als die Erklärung ihrer Bedeutung, des  genus  oder des nächsten allgemeinen Wortes bedienen, welches das zu bestimmende in sich begreift. Hierfür besteht keine Notwendigkeit; vielmehr geschieht es nur, um der mühsamen Aufzählung der verschiedenen einfachen Ideen zu entgehen, die das nächste allgemeine Wort, das  genus  vertritt; vielleicht geschieht es auch mitunter aus Scham darüber, daß man hierzu außerstande ist. Aber wenn auch das Definieren mit  genus  und  differentia  - ich bitte um Erlaubnis, diese Ausdrücke trotz ihres lateinischen Ursprungs hier verwenden zu dürfen, weil sie den Begriffen, die sie vertreten, am besten entsprechen -, wie gesagt, wenn auch ein Definieren mit Hilfe des  genus  der kürzeste Weg ist, so läßt sich meiner Meinung nach doch bezweifeln, ob es der beste ist.

Soviel steht für mich fest: er ist nicht der einzige und folglich nicht unbedingt notwendig. Definieren besteht nämlich nur darin, einem andern durch Worte verständlich zu machen, welcher Idee der definierte Ausdruck entspricht; daher definiert man am besten, indem man diejenigen einfachen Ideen aufzählt, die in der Bedeutung des definierten Ausdrucks vereinigt sind. Wenn man sich nun aber daran gewöhnt hat, an Stelle einer derartigen Aufzählung den nächsten allgemeinen Ausdruck zu verwenden, so ist das nicht aus einer Notwendigkeit heraus oder um größerer Klarheit willen erfolgt, sondern wegen der Kürze und Schnelligkeit.

Stellen wir uns vor, jemand verlange zu wissen, welcher Idee das Wort  Mensch  entspricht. Dann können wir ihm erklären: Mensch sei eine feste, ausgedehnte Substanz mit Leben, Sinnen, mit einer aus eigenem Antrieb erfolgenden Bewegung und mit Denkfähigkeit. Hierdurch würde ihm die Bedeutung des Ausdrucks  Mensch  zweifellos ebenso faßbar und die Idee, die er vertritt, mindestens ebenso klar werden, wie wenn man den Menschen als vernunftbegabtes Tier definierte; denn diese Definition löst sich wiederum durch die verschiedenen Definitionen für  Tier, Lebewesen  und  Körper  in die oben erwähnten einfachen Ideen auf. Ich habe mich hier bei der Erläuterung des Ausdrucks  Mensch  der landläufigen Schuldefinition angeschlossen. Obwohl sie vielleicht nicht die exakteste ist, genügt sie jedoch für meinen gegenwärtigen Zweck. Auch zeigt dieses Beispiel, wie man zu der Regel gelangt ist, daß eine Definition aus  genus  und  differentia  bestehen müsse. Es zeigt uns hinlänglich, wie wenig es einer solchen Regel bedarf und wie gering der Vorteil ist, den ihre Befolgung bietet. Denn Definitionen sind, wie gesagt, nichts anderes als Erläuterungen eines Wortes durch mehrere andere, wodurch der Sinn oder die dem Wort entsprechende Idee zuverlässig vermittelt werden. Sprachen hingegen sind den Regeln der Logik nicht immer soweit angepaßt, daß der Sinn jedes einzelnen Ausdrucks durch zwei andere exakt und klar wiedergegeben werden könnte. Die Erfahrung überzeugt uns oft genug vom Gegenteil.

11. Wenden wir uns wieder den allgemeinen Wörtern zu. Aus dem bereits Ausgeführten ergibt sich deutlich, daß das Allgemeine und das Universale nicht zur realen Existenz der Dinge gehören. Sie sind vielmehr nur Erfindungen und Schöpfungen des Verstandes, die dieser für seinen eigenen Gebrauch gebildet hat, und betreffen nur Zeichen, seies es Wörter oder Ideen. Wörter sind, wie schon gesagt, allgemein, wenn sie als Zeichen allgemeiner Ideen dienen und ohne Unterschied auf viele Einzeldinge anzuwenden sind. Ideen sind allgemein, wenn sie als Repräsentanten vieler einzelner Dinge aufgestellt werden. Universalität kommt jedoch nicht den Dingen selbst zu; denn die Dinge sind in ihrer Existenz sämtlich einzeln; selbst diejenigen Wörter und Ideen sind es, die ihrer Bedeutung nach allgemein sind.

Wenn wir somit die Einzeldinge beiseite lassen, so sind die  Generalia, die übrigbleiben, nur Schöpfungen, die von uns selbst stammen. Ihr allgemeiner Charakter besteht in nichts anderem als in der ihnen vom Verstande verliehenen Fähigkeit, viele Einzelheiten zu bezeichnen oder zu vertreten. Denn ihre Bedeutung ist nichts weiter als eine Beziehung, die der menschliche Geist ihnen beigelegt hat.

12. Als nächstes haben wir daher zu betrachten, welche Art von Bedeutung den allgemeinen Wörtern zukommt. Einerseits leuchtet es nämllich ein, daß sie nicht schlechthin ein Einzelding bezeichnen; dann wären sie nicht allgemeine Ausdrücke, sondern Eigennamen. Andererseits leuchtet es ebenso ein, daß sie nicht eine Mehrheit bezeichnen; sonst wären  Mensch  und  Menschen  gleichbedeutend; damit würde die Unterscheidung der  numeri  (wie die Grammatiker es ausdrücken) überflüssig und zwecklos.

Allgemeine Wörter somit eine  Art  von Dingen; und zwar geschieht das bei jedem dieser Wörter dadurch, daß es als Zeichen für eine im Geist vorhandene Idee auftritt. Soweit die existierenden Dinge nun mit dieser Idee übereinstimmen, weden sie jenem Namen zugeordnet oder - was das selbe besagt - gehören sie zu jener Art. Daraus erhellt, daß die  Wesenheiten  der Arten oder - wenn man das lateinische Wort vozieht - der  species  von den Dingen nichts anderes sind als diese abstrakten Ideen. Denn wenn der Besitz des Wesens einer Art dasjenige ist, was die Zugehörigkeit eines Dings zu dieser Art begründet, und wenn ferner die Übereinstimmung mit der Idee, die deren Namen trägt, den Anspruch auf diesen Namen bedingt, so müssen der Besitz des Wesens und der Besitz jener Übereinstimmung notwendig ein und dasselbe sein; denn einer Art angehören und ein Anrecht auf den Namen jener Art besitzen ist völlig gleichbedeutend.

So ist beispielsweise ein  Mensch  sein und der  species  Mensch angehören sowie einen Anspruch auf den  Namen  Mensch besitzen alles einerlei. Ebenso ist ein Mensch sein, oder der Art Mensch angehören und das  Wesen  eines Menschen besitzen wiederum dasselbe. Da nun nichts ein Mensch sein oder auf den Namen  Mensch  Anspruch erheben kann, was nicht mit der abstrakten Idee übereinstimmt, die der Name  Mensch  vertritt, da ferner nichts ein Mensch sein oder Anspruch auf die Art  Mensch  haben kann, was nicht das Wesen dieser Art besitzt, so folgt daraus, daß die abstrakte Idee, die der Name vertritt und das Wesen der Art ein und dasselbe sind. Hieraus läßt sich leicht erkennen, daß die Wesenheiten der Arten der Dinge und folglich auch die Klassifizierung der Dinge das Werk des Verstandes sind, der abstrahiert und jene allgemeinen Ideen schafft.

13. Man glaube nicht, ich vergesse hier oder leugne gar, daß die Natur, wenn sie die Dinge erzeugt, manche von ihnen ähnlich gestaltet. Nichts ist offensichtlicher, speziell bei den Tiergattungen und bei allen Lebewesen, die sich durch Samen fortpflanzen. Dennoch meine ich, dürfen wir sagen, daß  die Klassifizierung unter Namen das Werk des Verstandes ist, der auf Grund der Ähnlichkeit, die er bei ihnen beobachtet, veranlaßt wird, abstrakte allgemeine Ideen zu bilden;  diese Ideen stellt er unter Beifügung von Namen als Muster oder Formen (denn in diesem Sinn hat das Wort  Form  eine durchaus passende Bedeutung) im Geist auf.

Je nachdem sich nun zwischen diesen und den existierenden Einzeldingen eine Übereinstimmung ergibt, werden die Einzeldinge einer bestimmten Art zugewiesen, erhalten einen entsprechenden Namen oder werden einer betreffenden  Klasse  zugeteilt. Wir sagen beispielsweise: Dies ist ein Mensch, jenes ein Pferd; dies ist Gerechtigkeit, jenes Grausamkeit; dies ist eine Taschenuhr, jenes ein Flaschenzug. Was tun wir dabei anderes, als daß wir die Dinge unter verschiedene Artbezeichnungen einordnen, weil sie mit denjenigen abstrakten Idee übereinstimmen, zu deren Zeichen wir jene Namen gemacht haben?

Was sind die Wesenheiten jener durch Namen hervorgehobenen und gekennzeichnetenArten anderes als die im Geist vorhandenen Ideen, die gleichsam die Verbindungsglieder zwischen den existierenden Einzeldingen und den Namen, denen sie untergeordnet werden sollen, bilden? Wenn nun allgemeine Namen mit Einzelwesen irgendwie zusammenhängen, so sind diese abstrakten Ideen das Mittel, durch das sie vereinigt werden; demnach sind die Wesenheiten der Arten, wie sie von uns unterschieden und benannt werden, nichts anderes und können auch nichts anderes sein als eben jene abstrakten Ideen, die wir in unserem Geist haben. Deshalb können die angeblich realen Wesenheiten der Substanzen, fall sie sich von unseren abstrakten Ideen unterscheiden, nicht die Wesenheiten sein, in die  wir  die Dinge ein ordnen. Denn vernünftigerweise können zwei Arten ebensowenig eine einzig sein, wie zwei verschiedene Wesenheiten das Wesen einer einzigen Art sein können.

Ich möchte wohl wissen, welche Veränderungen man mit einem  Pferd  oder mit dem  Blei  vornehmen oder nicht vornehmen kann, ohne das eine oder das andere dadurch in eine andere Art zu verwandeln. Wenn wir die Arten der Dinge nach  unseren  abstrakten Ideen bestimmen, so die Frage leicht zu beantworten; wenn sich aber jemand nach den angeblich  realen  Wesenheiten richten will, so wird er, fürchte ich, in Verlegenheit geraten; er wird niemals imstande sein, genau zu wissen, wann etwas aufhört, der Art  Pferd  oder  Blei  anzugehören.

14. Niemand wird sich auch darüber wundern, daß ich behaupte, diese Wesenheiten oder abstrakten Ideen (nach denen die Namen bemessen und die Arten abgegrenzt werden) seien das Werk des Verstandes, wenn er bedenkt, daß zumindest die komplexen Ideen bei verschiedenen Menschen häufig verschiedenartige Zusammenstellungen einfacher Ideen sind und daß daher etwas für den einen als  Habsucht  gilt, was der andere nicht dafür ansieht. Ja, sogar bei den Substanzen, wo die abstrakten Ideen von den Dingen selbst hergenommen zu sein scheinen, sind sie nicht immer dieselben; nicht einmal bei derjenigen Art, die uns am vertrautesten ist und mit der wir die intimste Bekanntschaft haben, stimmen sie immer überein. Ist doch mehr als einmal daran gezweifelt worden, ob ein von einem Weib zur Welt gebrachter  Fötus  ein  Mensch  sei; es wurde sogar die Frage erörtert, ob er ernährt und getauft werden solle oder nicht. Das aber hätte unmöglich geschehen können, wenn die abstrakte Idee oder Wesenheit, der der Name  Mensch  zukommt, eine Schöpfung der Natur wäre, nicht aber die unsichere und wechselnde Zusammenstellung von einfachen Ideen, die der Verstand vereinigt, zum Abstraktum erhoben und benannt hat.

Also stellt in Wahrheit jede besondere abstrakte Idee eine besondere Wesenheit dar; ebenso sind die Namen, die solche besonderen Ideen bezeichnen, Namen von wesentlich verschiedenen Dingen. So ist zum Beispiel ein Kreis von einem Oval ebenso wesentlich verschieden wie ein Schaf von einer Ziege; der Regen ist vom Schnee ebenso wesentlich verschieden wie das Wasser von der Erde; denn die abstrakte Idee, die das Wesen des einen dieser Dinge bildet, läßt sich dem andern nicht mitteilen. Somit bilden zwei beliebige abstrakte Ideen, die an irgendeinem Punkte voneinander abweichen und denen zwei verschiedene Namen beigelegt sind, zwei besondere Arten oder, wenn man will,  species,  die sich ebenso wesentlich unterscheiden wie zwei der am denkbar weitesten voneinander entfernten oder entgegengesetzten Arten.

15. Da indessen die Wesenheiten der Dinge von manchen (und nicht ohne Grund) für völlig unbekannt gehalten werden, so ist es vielleicht zweckmäßig, die verschiedenen Bedeutungen des Wortes  Wesenheit  näher zu betrachten.

Erstens kann man unter Wesenheit das eigentliche Sein eines Dinges verstehen, wodurch es ist, was es ist. In diesem Sinn kann die wirkliche, innere, aber im allgemeinen (bei Substanzen) unbekannte Beschaffenheit der Dinge, auf der ihre erkennbaren Eigenschaften beruhen, als ihre Wesenheit bezeichnet werden. Dies ist die eigentliche und ursprüngliche Bedeutung des Wortes, wie aus seiner Bildung zu erkennen ist. Bezeichnet doch  essentia  seiner Grundbedeutung nach eigentlich das Sein. In diesem Sinne wird es noch immer gebraucht, wenn man von dem Wesen  einzelner  Dinge spricht, ohne ihnen einen Namen zu geben.

Zweitens, da sich die Lehren und Diskussionen der Schulen eifrig um  genus  und  species  bemüht haben, hat das Wort  Wesenheit  seine ursprüngliche Bedeutung fast völlig verloren. Anstatt auf die reale Beschaffenheit der Dinge hat man es fast ausschließlich auf die künstliche Beschaffenheit von  genus  und  species  angewendet. Wohl wird gewöhnlich eine reale Beschaffenheit der Arten der Dinge vorausgesetzt; zweifellos muß es auch irgendeine reale Beschaffenheit geben, auf der jede Zusammenstellung zusammen existierender einfacher Ideen beruth. Nun erfolgt aber die Einordnung der Dinge in Arten oder  species  unter bestimmten Namen offensichtlich nur insoweit, als sie mit gewissen abstrakten Ideen übereinstimmen, denen man diese Namen beigelegt hat.

So ergibt sich, daß das Wesen jedes  genus  oder jeder  species  in nichts anderem bestehen kann als in der abstrakten Idee, die der Gattungs- oder Artname (wenn ich den letzteren Ausdruck, von Art abgeleitet, ebensogut verwenden darf wie den von Gattung abgeleiteten) bezeichnet. In dieser Bedeutung wird das Wort  Wesenheit  - wie wir sehen werden - im landläufigen Sinn meist gebraucht.

Es scheint mir durchaus nicht unpassend, die eine dieser beiden Wesenheiten als die  reale,  die andere als die  nominale  Wesenheit zu bezeichnen.

16. Zwischen der  nominalen Wesenheit  und dem  Namen  besteht eine so enge Verbindung, daß der Name irgendeiner Art von Dingen keinem einzelnen Dinge beigelegt werden kann, das nicht die Wesenheit besitzt, durch die es eben der abstrakten Idee entspricht, deren Zeichen jener Name ist.

17. Hinsichtlich der  realen Wesenheiten  körperlicher Substanzen (um nur diese zu erwähnen) gibt es, wenn ich nicht irre, zwei Ansichten. Die eine herrscht bei denen, die das Wort Wesenheit für etwas ihnen Unbekanntes gebrauchen; sie setzen eine bestimmte Anzahl solcher Wesenheiten voraus, wonach alle natürlichen Dinge gebildet seien, woran ein jedes von ihnen exakt teilhabe und deshalb dieser oder jener Art angehöre.

Die andere, vernünftigere Ansicht wird von denen vertreten, die bei allen natürlichen Dingen eine reale, aber unbekannte Beschaffenheit ihrer sinnlich nicht wahrnehmbaren Teile als vorhanden annehmen. Von dieser Beschaffenheit sollen diejenigen sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften herrühren, mit deren Hilfe man sie voneinander unterscheidet, um sie, sobald man sich dazu veranlaßt sieht, unter gemeinsamen Bezeichnungen in Arten einzuordnen.

Die erste dieser beiden Anschauungen, die die genannten Wesenheiten als ein gewisse Anzahl von Formen und Mustern ansieht, in die alle existierenden natürlichen Dinge hineingegossen worden seien und an denen sie gleichmäßig teilhätten, hat meiner Ansicht nach die Erkenntnis der natürlichen Dinge sehr verwirrt. Das häufige Vorkommen von Mißgeburten bei allen Arten von Tieren, von Idioten und anderen seltsamen Wesen menschlicher Herkunft bringt Schwierigkeiten mit sich, die mit dieser Hypothese nicht in Einklang zu bringen sind. Denn es ist ebenso unmöglich, daß zwei Dinge, die genau an derselben realen Wesenheit eines Kreises teilhaben, verschiedene Eigenschaften aufweisen. Wenn aber auch dieser Anschauung kein anderer Grund entgegenstünde, so ist doch die Annahme von Wesenheiten, die wir nicht erkennen können, die aber trotzdem für die Unterscheidung der Arten der Dinge ausschlaggebend sein sollen, derartig nutzlos und unserer Erkenntis in keiner Hinsicht dienlich, daß das allein schon ausreichte, um uns zu veranlassen, sie beiseite zu legen und uns mit denjenigen Wesenheiten der Arten oder species der Dinge zu begnügen, die in den Bereich unserer Erkenntnis fallen. Bei genauerer Prüfung wird sich, wie schon gesagt, herausstellen, daß diese nichts anderes sind als jene  abstrakten  komplexen Ideen, denen wir besondere allgemeine Namen beigelegt haben.

18. Nachdem wir die Wesenheiten so als reale und nominale unterschieden haben, können wir ferner feststellen, daß sie bei den Arten von einfachen Ideen und Modi immer identisch, bei den Substanzen dagegen immer ganz verschieden sind. So ist eine Figur, die einen Raum innerhalb dreier Linien einschließt, sowohl die reale als auch die nominale Wesenheit eines Dreiecks. Denn sie ist nicht nur die abstrakte Idee, mit der allgemeine Name verbunden ist, sondern die eigentliche  essentia  oder das Sein des Dinges selbst; sie bildet die Grundlage, der alle seine Eigenschaften entstammen und mit der sie sämtlich untrennbar verknüpft sind.

Ganz abers aber verhält es sich mit jenem Stück Materie, das den Ring an meinem Finger bildet: hier sind die beiden Wesenheiten offenbar verschieden. Denn es ist die reale Beschaffenheit seiner sinnlich nicht wahrnehmbaren Teile, durch die alle sich an ihm findenden Eigenschaften, wie Farbe, Gewicht, Schmelzbarkeit, Feuerbeständigkeit usw., bedingt sind. Diese Beschaffenheit kennen wir nicht; weil wir also keine besondere Idee von ihr besitzen, haben wir auch keinen Namen zu ihrer Bezeichnung. Gleichwohl sind es Farbe, Gewicht, Schmelzbarkeit, Feuerbeständigkeit usw., die jenes Stück  Materie  zu  Gold  machen oder ihm ein Anrecht auf diesen Namen verleihen; in ihnen besteht darum auch seine nominale Wesenheit. Denn nur das kann als Gold bezeichnet werden, dessen Eigenschaften mit der abstrakten komplexen Idee übereinstimmen, die diesen Namen führt. Dieser Unterschied der Wesenheit bezieht sich jedoch vor allem auf die Substanzen. Wir werden deshalb Gelegenheit haben, eingehender davon zu reden, wenn wir zur Behandlung der Namen der Substanzen übergehen.

19. Daß diese abstrakten Ideen, die mit Namen belegt sind, wie wir sie besprochen haben, Wesenheiten sind, kann ferner aus dem entnommen werden, was uns sonst von den Wesenheiten gesagt wird, nämlich, daß sie allesamt weder erzeugt noch zerstört werden können. Das trifft für die reale Beschaffenheit der Dinge nicht zu, die ja mit ihnen entsteht und vergeht. Alle existierenden Dinge sind, mit Ausnahme ihres Schöpfers, unterschiedslos der Veränderung unterworfen, besonders diejenigen, die wir kennen und unter besonderen Namen oder Zeichen in Klassen geordnet haben.

So ist das, was heutzutage  Gras  war, morgen das Fleisch des  Schafes,  und binnen weniger Tage wird es zum Bestandteil eines Menschen. Es liegt auf der Hand, daß bei allen diesen und ähnlichen Veränderungen die reale Wesenheit der verschiedenen Dinge, das heißt die Beschaffenheit, die ihre Eigenschaften bedingt, vernichtet wird und mit ihnen zugrunde geht. Wenn aber die Wesenheiten als Ideen angesehen werden, die mit Namen versehen dem Geist eingeprägt worden seien, so nimmt man an, daß sie sich dauernd gleichbleiben, welchen Veränderungen die Einzelsubstanzen auch unterworfen sein mögen. Denn, was aus  Alexander  und  Bucephalus  werden mag, die Ideen, mit denen  Mensch  und  Pferd  verknüpft sind, bleiben, so meint man, gleichwohl dieselben.

Ebenso würden sich die Wesenheiten jener Arten in vollem Umfang und unzerstört erhalten, gleichviel, welche Veränderungen auch einzelnen oder allen Individuen jener Art begegnet sein mögen. Das aber bedeutet, daß das Wesen einer Art ganz und unangetastet bleibt, auch ohne daß nur ein einziges Individuum dieser Art existierte.

Stellen wir uns vor, es würde in diesem Augenblick nirgends in der Welt ein Kreis existieren, (wie diese Figur vielleicht wirklich nirgends in vollkommener Form existiert), so würde gleichwohl die Idee, die mit diesem Namen verbunden ist, nicht aufhören, das zu sein, was sie ist. Sie bliebe gleichsam ein Muster, nach dem wir bestimmen könnten, welche von den einzelnen Figuren, die uns vorkommen, auf den  Namen  Kreis ein Anrecht haben und welche nicht. Sie würde uns zeigen, welche von ihnen, weil sie die Wesenheit besitzen, der betreffenden Art angehören.

Nehmen wir an, daß es in der Natur kein Tier wie das  Einhorn  und keinen Fisch wie die  Seejungfrau  gäbe oder gegeben hätte. So ist doch, vorausgesetzt, daß diese Namen komplexe abstrakte Ideen vertreten, die keinen Widerspruch in sich selbst enthalten, das Wesen der Seejungfrau ebenso verständlich wie das eines Menschen und die Idee des Einhorns ebenso bestimmt, unveränderlich und dauerhaft wie die des Pferdes.

Aus diesen Ausführungen erhellt, daß die Lehre von der Unwandelbarkeit der Wesenheiten beweist, daß diese nur abstrakte Ideen sind. Es geht ferner daraus hervor, daß diese Lehre in der Beziehung begründet ist, die zwischen ihnen und gewissen Lauten, die als ihre Zeichen auftreten, besteht. Sie wird immer wahr sein, so lange derselbe Name dieselbe Bedeutung haben kann.

20. Ich schließe ab. Was ich erläutern wollte, ist - kurz zusammengefaßt - folgendes: Die ganze große Fragestellung der  genera  und  species  und ihrer  Wesenheiten  läuft nur darauf hinaus, daß es sich die Menschen, indem sie abstrakte Ideen bilden und diese mit Namen verknüpft im Geist festhalten, ermöglichen, die Dinge gleichsam gruppenweise zu betrachten und zu erörtern. Dies geschieht im Interesse ein leichteren und rascheren Vermehrung und Mitteilung ihrer Kenntnisse. Wenn Worte und Gedanken dagegen nur auf die Einzeldinge beschränkt wären, würden sich ihre Kenntnisse nur langsam erweitern.
LITERATUR, John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, Drittes Buch, Von den Wörtern, Hamburg 1981