ra-2P. SakmannA. KöppenG. Bruno    
 
ADOLF LASSON
Giordano Bruno

    "Am 9. Februar 1600 wurde ihm sein Todesurteil mitgeteilt. Ihr sprecht mir das Urteil vielleicht mit größerer Furcht, sprach er, als ich es empfange. Noch ließ man ihm eine Frist von acht Tagen, aber er widerrief nicht. Am 17. Februar wurde er auf dem Campo di Fiora verbrannt, seine Asche in die vier Winde zerstreut. Er starb, ohne einen Laut des Schmerzes hören zu lassen; von dem Kruzifix, das man ihm vorhielt, soll er unwillig sein Auge abgewandt haben."

Es verlohnt sich wohl, auf BRUNOs Lebensgang näher einzugehen, sowohl weil der Mann nach Gesinnung, äußerer Haltung und endlichem Schicksal als ein rechter Typus der wissenschaftlichen Tendenzen seiner Zeit das Interesse auf sich lenkt, als auch weil erst in neuerer Zeit gewonnene Aufschlüsse der das herkömmliche Lebensbild in wesentlichen Stücken geändert oder genauer bestimmt haben, noch keineswegs allgemeiner bekannt geworden sind. Das erschütternde Schauspiel, das BRUNOs Märtyrertod gewährt, wird durch die neu bekannt gewordenen Einzelheiten zu einer nur noch gewaltigeren und eindringlicheren Predigt gegen eine allem geistigen Aufschwunge feindliche stumpfsinnige und verderbte Hierarchie.

GIORDANO BRUNO wurde in Nola in Campanien1548 geboren. Sein Taufname war FILIPPO; erst mit dem geistlichen Gewand nahm er den Namen des Bruders GIORDANO an. Wie es scheint, war er von guter Abkunft; sein Vater GIOVANNI, von Stand Kriegsmann, war ein Freund des Dichters TANSILLO. In seiner Vaterstadt herrschte ein reges geistiges Leben; durch ausgezeichnete Schriftsteller wie PONTANUS und LAURENTIUS VALLA wurde Nola zu einem Mittelpunkt für die literarischen Bestrebungen des Zeitalters. BRUNO erzählt, daß er einst, noch in der Wiege, von einer Schlange bedroht plötzlich imstande gewesen war, mit artikuliertem Laut den Vater herbeizurufen und dieser die Schlange verscheucht habe. Von seiner schönen Heimat empfing er früh die tiefsten Eindrücke, und mit Stolz und Sehnsucht spricht nachmals der verbannte Mann in der Fremde von der Stätte seiner Kindheit. Nachdem der Knabe im Alter von zehn oder elf Jahren zwecks weiterer geistiger Ausbildung nach Neapel getan war, trat er 1562 oder 1563 in den Orden der Dominikaner ein und lebte bis 1576 in demselben Kloster, in welchem einst THOMAS von AQUINO gewirkt hatte. Im Jahre 1572 erlangte er die Priesterweihe und wurde nun in das Kloster San Bartolomeo in Campagna, einer Stadt östlich von Salerno, und darauf in andere Klöster versetzt, immer nur auf kurze Zeit, bis er nach drei Jahren nach Neapel zurückkam.

Es war die Zeit der katholischen Restauration. Nach der übermäßigen Lässigkeit war eine umso strengere äußerliche Zucht in Glauben und Lehre eingetreten. Denn der Same der Ketzerei war überallhin getragen worden, und es galt, ihn überall rücksichtslos zu zertreten. BRUNO gab argwöhnischen Vorgesetzten früh durch freiere Auffassungen Anstoß. Heiligenbilder tat er von sich und behielt nur ein Kruzifix; einem Novizen riet er, statt der Geschichte von den sieben Freuden der Mutter Gottes lieber das Leben der heiligen Väter oder sonst etwas Fruchtbares zu lesen. Aus solchen Gründen drohte man ihm den Prozeß zu machen; indessen wurde derselbe diesmal noch aufgegeben. Bald aber drohte ihm zum zweitenmal ein Prozeß, weil er über die Lehrmeinung des Arianismus [Gegensatz zur Trinitätslehre - wp] eine derselben scheinbar günstige Äußerung getan und Zweifel an der Transsubstantion [Wandlung von Brot und Wein - wp] geäußert hatte, und weil diesmal die Gefahr eine ernstere zu sein schien, entzog er sich derselben, verließ 1576 heimlich das Kloster und wandte sich nach Rom, wo er in das Kloster della Minerva aufgenommen wurde. Aber die Ankläger verfolgten ihn auch in Rom. Man brachte eine Reihe von Beschuldigungen gegen ihn vor, unter anderen auch die, daß er den Sankt HIERONYMUS und Sankt CHRYSOSTOMUS mit den Noten des ERASMUS gelesen habe! Weil der Ernst der Gefahr in deutlichen Beispielen von Einkerkerung und Verbrennung nur allzu nahe vor Augen stand, entschloß er sich, auch aus Rom zu fliehen.

Seitdem hat BRUNO ein unstetes Leben geführt, zuerst noch unklar über seinen Beruf, nur allmählich in ernsten Studien und Erfahrungen für seine große Aufgabe heranreifend als ein wandernder Verkündiger einer neuen und zukunftsvollen Weltanschauung. Das Mönchsgewand legte er ab, um es nur vorübergehend noch einmal zu tragen. Seit 1576 finden wir ihn in Genua, und nachdem er sich vergebens nach lohnender Tätigkeit daselbst umgesehen, fünf Monate lang in Noli bei Savona, die Knaben in der Grammatik, Erwachsene in der Astronomie unterrichtend. Innerhalb eines kurzen Zeitraums wanderte er von dort nach Savona, Turin, Venedig, Padua, Brescia, Mailand; er kehrte nach Turin zurück und trat in Chambéry - seit seinem Aufenthalt in Brescia hatte er das Ordenskleid angelegt - noch einmal in ein Kloster seines Ordens ein. Aber die üble Aufnahme, die er hier fand, zeigte ihm, daß seines Bleibens nicht länger auf italienischem Boden sei, und so begab er sich Anfang 1579 nach Genf.

Dort, im Zentrum der calvinischen Ketzerei, hatte sich eine Kolonie von italienischen Emigrierten zusammengefunden, die des Glaubens halber flüchtig geworden waren, darunter als Haupt der kleinen Gemeinde der edle GALEAZZO CARACCIOLO Marchese di VICO, ein Nepote [Enkel, Neffe, Vetter - wp] des Papstes PAUL IV. und als ihr Prediger NICOLA BALBANI. Zum calvinistischen Glauben überzutreten, fühlte BRUNO keinen inneren Anlaß. Ihn beschäftigten die philosophischen, nicht die theologischen Fragen; dem hierarchischen Joch war er entflohen, hier fand er es in anderer Form wieder; und gar die Hoffnung der Seligkeit auf den Glauben zu setzen, abgesehen von den Werken, schien ihm geradezu abgeschmackt. So hielt sich BRUNO in Genf einsam und zurückgezogen. Eine Zeit lang erwarb er sein Brot, indem er als Korrektor in einer Druckerei arbeitete; aber das Unbefriedigende seiner Lage und der ihm wiederstehende Geist, der in Genf herrschte, trieb ihn bald, seinen Stab weiter zu setzen. Über Lyon, wo er kurze Zeit verweilte, gelangte er nach Toulouse wohl gegen das Ende des Jahres 1579. Hier nun schienen ihm glücklich Sterne zu leuchten. Nach einem halben jahr wurde er, als glücklicher Sieger in der ausgeschriebenen Konkurrenz, Magister artium und ordentlicher Lehrer der Philosophie an der Universität. Aber auch hier wußte er sich auf die Dauer dem  furor scholasticus  gegenüber nicht zu halten, und schon gegen Ende 1581 begab er sich auf einen größeren Schauplatz, nach Paris. Nachdem er sich eine Zeitlang in der Stille mit schriftstellerischer Tätigeit beschäftigt hatte, trat er als Lehrer an der Sorbonne auf, und mit solchem Glück, daß er eine königliche Bestallung als außerordentlicher Professor erlangte. Eine ihm angebotene ordentliche Lehrstelle schlug er lieber aus, weil mit derselben der Zwang verbunden gewesen wäre, die Messe zu hören. Seine Lehrweise und seine Persönlichkeit erregten solche Aufmerksamkeit, daß König HEINRICH III. selber ihn kennen lernen wollte, ihn über seine mnemonische Kunst befragte und ihn zur Abfassung einer faßlichen Anleitung zu derselben veranlaßte. Dem König ist auch die erste Schrift BRUNOs gewidmet, in welcher er seinem Genius freien Lauf läßt,  De umbris idearum.  Wenn ihm trotz der Gunst des Königs der Aufenthalt in Paris verleidet war, so scheinen es diesmal die politischen Unruhen gewesen zu sein, die ihn nicht länger in der aufgeregten Stadt duldeten.

Noch im Jahre 1583 begab er sich nach London, vom König mit Empfehlungsbriefen an den französischen Gesandten MICHEL de CASTELNAU, Seigneur de MAUVISSIÉRE, versehen. Dieser, 1520 geboren, ein strenggläubiger Katholik, aber von milder Gesinnung, der der MARIA STUART eng befreundet und hilfreich war und sich gleichwohl die höchste Achtung und Zuneigung der ELISABETH von England zu bewahren wußte, ein entschiedener Gegner der spanischen Politik wie der Calvinisten, suchte überall eine vermittelnde Stellung einzunehmen und nach allen Seiten hin Gerechtigkeit zu üben. Selbst ein Gelehrter und Schriftsteller - er hat eine lateinische Schrift des PETRUS RAMUS ins Französische übertragen und höchst geschätzte Memoiren hinterlassen - war er ein Freund aller Wissenschaften und Künste. Seine Gesinnung bezeichnet es vor allem, daß er ein entschiedener Gegner allen Gewissenszwanges war. Gegen Ketzerei, meinte er, nütze keine Gewalt. Er sah die Fehler bei beiden Parteien. Die Reformation habe auch in der altgläubigen Kirche die Geistlichkeit gelehrt, ihr Amt treuer zu verwalten und die Studien ernster zu betreiben. Er verlangt, daß man das geistlische Schwert gebrauche, durch das gute Beispiel, die Predigt, die Liebe und die guten Werke die Gegner zu gewinnen suche. Die gewissenhafte Treue des wackeren Mannes gegen das legitime Königtum brachte ihm nachmals den Zorn der Guisen und der Ligue ein. Seine Stellung wurde ihm entzogen, seine Besitztümer waren in den Bürgerkriegen verwüstet worden; so war er dem Elend nahe, als HEINRICH von BÉARN, der nachmalige HEINRICH IV., dem katholisch gesinnten Mann im Vertrauen auf seine Ehrenhaftigkeit ein militärisches Kommando übertrug. 1592 ist er gestorben.

CASTELNAU nahm den ihm von so hoher Seite empfohlenen Gelehrten in sein Haus auf und verschaffte ihm für einige Zeit, was er so lange entbehrt hatte und so auch nie wieder finden sollte: einen sicheren Halt im Leben und freie Muße. BRUNO hat diese Muße wohl benutzt. Während seines Londoner Aufenthaltes sind seine bedeutendsten Schriften entstanden. Im Jahre 1584 erschienen: Das Aschermittwochsgastmahl; Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen; Vom Unendlichen, dem Weltall und den Welten; die Austreibung des herrschenden Tieres (Spaccio de la bestia trionfante). Die ersten drei sind dem Herrn von CASTELNAU gewidemet. 1585 erschien die Schrift: Heroische Affekte (De gli eroici furori), die in flammenden Zügen die Sehnsucht des Denkers nach der Vereinigung mit dem Einen, dem Wahren und Schönen, schildert, und die  Cabala des cavallo Pagaseo  (Cabala vom Pagaseischen Esel), die bitterste Satire auf ARISTOTELES, die Scholastik und das Christentum der damaligen Kirche. Vorübergehend hat BRUNO in Oxford durch Vorlesungen und Disputationen seine Lehre zu verbreiten gesucht; aber hier war kein geeigneter Schauplatz für einen originellen und schöpferischen Geist wie BRUNOs; ARISTOTELES, oder was man so nannte, herrschte unbedingt. Als im Jahr 1574 BAREBONE den Versuch machte, in Oxford die herkömmliche Schulmeinung anzugreifen und die Neuerungen des RAMUS zu vertreten, wurde er vertrieben; BRUNO zog sich lieber zur rechten Zeit freiwillig zurück. Denselben Vorwurf wie nachher BRUNO erhebt gegen die Universität PHILIPP SIDNEY: "Die vier Fakultäten sind auf eine zusammengeschmolzen, die der Wortweisen; um die Sachen kümmern sie sich nicht, Worten jagen sie nach." Drei Monate nur, bis zum Sommer 1583, hatte BRUNOs Wirksamkeit in Oxford gedauert, von deren Schwierigkeiten er im "Aschermittwochsgastmahl" eine beredte, wenn auch sehr unhöfliche Schilderung gibt, während er im ersten Dialog der Schrift "Von der Ursache" die tiefen Schäden des dortigen Treibens noch gründlicher bloßlegt.

In London lebte BRUNO in einem Kreis von ausgezeichneten Männern, darunter FULKE GREVILE, der nachmalige Lord BROOKE und Schatzkanzler des Königreichs, und vor allem der jugendliche Held PHILIPP SIDNEY, der Dichter des Schäferromans "Arcadia", der von ganz England betrauert, erst 32 Jahre alt, 1586 vor Zütphen fiel. Ihm sind die Schriften "Spaccio" und "Eroici furori" gewidmet. BRUNO wurde der Königin ELISABETH vorgestellt und fand huldvolle Aufnahme. Aber sein Schicksal trieb ihn nur zu bald auch aus diesem Hafen. Sein Gönner, der Herr von CASTELNAU, kehrte 1585 nach Paris zurück. Ihm schloß sich BRUNO an und fand auch jetzt noch eine Zeitlang gastliche Aufnahme bei seinem edlen Gönner. Aber schon 1586 trieben die immer steigenden politischen Wirren den unsteten Denker, seinen Stab weiter zu setzen. Vergebens hatte BRUNO in Paris Versuche gemacht, durch Verwendung des spanischen Gesandten beim apostolischen Nuntius die Wiederaufnahme in den Schoß der Kirche zu erlangen. Da er nicht auch wieder in seinen Orden eintreten wollte, so fehlte jede Möglichkeit, seinem Wunsch zu willfahren.

Nach Frankreich und England blieb jetzt das ketzerische Deutschland, um dort eine Wirksamkeit zu suchen. BRUNO ging über Mainz (1) und Marburg, wo er im Juli 1586 vergebens die Erlaubnis nachsuchte, öffentlich Philosophie zu lehren, nach Wittenberg. Hier wurde ihm volle Lehrfreiheit gewährt. Als aber nach dem Tod des Kurfürsten AUGUST unter CHRISTIAN I. die Calvinisten emporkamen, war auch hier seine Wirksamkeit unmöglich geworden; er verließ im März 1588 die ihm liebgewordene Stätte echter geistiger Freiheit und begab sich nach Prag. Aber schon sechs Monate später finden wir ihn in Helmstedt. (2) Am 13. Januar 1589 wurde er hier immatrikuliert, hielt am 1. Juli eine Trostrede auf den Tod des Herzogs JULIUS und verfaßte die drei Schriften  De immenso; De triplici minimo; De monade;  Nach einjährigem Aufenthalt in Konflikt mit der Geistlichkeit geraten, ging er nach Frankfurt am Main, wo er seit Juni 1590 ein halbes Jahr verweilte; einen Teil der Zeit verbrachte er in Zürich, wo er Vorträge hielt. Da läßt sich der unbesonnene Mann durch die Aufforderung eines vornehmen Venetianers, GIOVANNI MOCENIGO, der von ihm in die Kunst der Mnemonik und der Invention eingeführt werden wollte und den besonders die Kenntnis geheimer Wissenschaften anzog, die er bei BRUNO vermutete, verleiten, nach Italien zurückzukehren, obgleich er eine bestimmte Ahnung hatte vom Schicksal, das ihm bevorstände, wenn es ihm dereinst begegnen sollte, auf römisch-katholischem Boden zu sterben. Im Juli 1591 langte er in Venedig an, ging auf einige Zeit nach Padua und wohnte zuletzt im Hause des MOCENIGO, in den literarischen Kreisen Venedigs verkehrend, aber zumeist mit einer systematischen Darstellung seiner Lehre beschäftigt, die er dem Papst vorlegen wollte, um dessen Verzeihung und die Erlaubnis zu erlangen, in geistlichem Gewand außerhalb seines Ordens zu leben.

Aber ehe er sie vollendete, erreichte ihn das Verhängnis, das er wohl hätte voraussehen können und das er übermütig herausgefordert hat. Das Verhältnis zu seinem Schüler wurde allmählich ein unfreundliches. MOCENIGO, enttäuscht, weil er in BRUNOs Unterricht nicht fand, was er erwartete, schrieb dies einem bösen Willen zu, und unwillig, daß ihm sein Aufwand nicht genügend vergolten sei, auch wohl fürchtend, BRUNO möchte, was er ihm vorenthalten, anderen mitteilen, beschloß er, BRUNO der Inquisitiion zu denunzieren.

Schon bereitete sich BRUNO voll schlimmer Ahnung vor, nach Frankfurt zurückzukehren; da überfiel ihn der elende Mensch, um seine Abreise zu verhindern, verräterisch im Schlaf und lieferte ihn am 23. Mai 1592 der Inquisition aus. BRUNO weigerte sich nicht, vor der Inquisition seine Irrtümer und Zweifel einzugestehen. Er erklärte, er billige keineswegs mehr alle seine früheren Schriften; in einigen habe er zu sehr als Philosoph und zu wenig als Christ Gegenstände des Glaubens aus Gesichtspunkten der Sinne und der Vernunft behandelt. Die Grundzüge seiner Weltanschauung legte er in getreuen Umrissen dar. Er habe immer nur die Philosophie fördern, die Religion keineswegs bekämpfen wollen. An der Gott dem Vater dagegen wie ein Christ gedacht und gelehrt, während er allerdings den Ausdruck von drei Personen in der Gottheit nicht für geeignet gehalten. Die Wunder CHRISTI habe er geglaubt, aber CHRISTI Lehre für wichtiger gehalten. Ausgeschlossen von der Teilnahme an den Heilmitteln der Kirche durch seine Apostasie [Abfall - wp], habe er sich immer gesehnt, in den Schoß der Kirche zurückzukehren, überzeugt, daß unbußfertige Sünder der ewigen Verdammnis verfielen. -

Es war ganz gewiß, wie er sagt, seine aufrichtige Absicht, sein Gewissen zu entlasten. Am 3. Juni erklärte er, er verabscheue, verwerfe und bereue alle seine Irrtümer und Ketzereien gegen die katholische Lehre und die Satzungen der Kirche; er bittet um Wiederaufnahme in die Kirche, und ist bereit, zum Heil seiner Seele jede Buße auf sich zu nehmen. Nachdem man ihn zwei Monate einsam im Kerker gelassen, bittet er flehentlich auf den Knien Gott und seine Richter um Verzeihung und verspricht Besserung, wenn man ihm das Leben schenken würde.

Aber sein Schicksal war besiegelt. Weil er schon einmal in Rom in Untersuchung gewesen war, wurden die Akten nach Rom geschickt, und der Papst verlangte seine Auslieferung. Eine Zeitlang zögerte man; dann gab man nach, weil BRUNO ein Fremder, ein abtrünniger Mönch und ein Heresiarch sei, in der Tat aber wohl, weil man Grund hatte, sich mit der Kurie freundlich zu stellen. Seit dem Anfang 1593 schmachtete nun BRUNO in einem römischen Gefängnis. Hier wurde sein Benehmen, wie man annehmen muß, um die lange Dauer seines Prozesses zu erklären, ein ganz anderes. BRUNO hatte ein tief frommes, für das Heilige begeisterte Gemüt; er hatte sich auf allen seinen Irrfahrten im Leben und Denken nicht losgemacht von der Anhänglichkeit an den Glauben seiner Kinderjahre und vom Respekt vor der lange verehrten Autorität. So lange man nur an sein religiöses Gemüt appellierte, fand man ihn zur Nachgiebigkeit bereit. Aber nun drangen seine Richter nach der regelmäßigen Weise der Inquisition auf ihn ein, ihn auf "wissenschaftlichem" Weg von der Irrtümlichkeit seiner Lehre zu überzeugen und ihm einen Widerruf derselben abzuringen. Widerlegt fand er sich nicht und seine Philosophie abschwören hieß ihm der Wahrheit abtrünnig werden. So hielt er seine Richter und sich selber lange mit der falschen Hoffnung hin, widerrufen zu können, und immer neue Freisten bat er sich aus zu weiterer Überlegung. Welche Qualen mag der eins so heitere und zuversichtliche Mann gelitten haben in diesem tiefsten inneren Kampf, verlassen von aller Welt, einsam unter den Händen seiner Kerkermeister! Aber schließlich siegte die begeisterte Liebe zur erkannten Wahrheit über alle dunklen Motive des Gemütslebens und ein edler Märtyrer, getreu den Grundsätzen reiner Wahrheitsliebe, zu denen er sich dereinst bekannt hatte, zog er den Tod in den Flammen der feigen Verleugnung seiner wissenschaftlichen Überzeugung vor.

Am 9. Februar 1600 wurde ihm sein Todesurteil mitgeteilt. "Ihr sprecht mir das Urteil vielleicht mit größerer Furcht," sprach er, "als ich es empfange." Noch ließ man ihm eine Frist von acht Tagen, aber er widerrief nicht. Am 17. Februar wurde er auf dem Campo di Fiora verbrannt, seine Asche in die vier Winde zerstreut. Er starb, ohne einen Laut des Schmerzes hören zu lassen; von dem Kruzifix, das man ihm vorhielt, soll er unwillig sein Auge abgewandt haben.

Es war ein Jahr des Jubiläums; Millionen von Pilgern waren in Rom zusammengeströmt: des BRUNO jammervoller Tod fand nirgends eine teilnehmende Seele. Der einzige Berichterstatter, aus dessen mit gemeinem Hohn und niedriger Gehässigkeit durchtränkten Bericht wir einiges Nähere über die Geschichte seines Todes erfahren, ist der schmähsüchtige SCIOPPIUS, der "canis grammaticus", ein abtrünniger Protestant.

Nichtsdestoweniger ist BRUNO seines Todes wegen nicht zu beklagen. Man kann wohl sagen, in gewissem Sinne war es ein seliger Tod. Kein Zweifel, daß er sich dem Feuer hätte entziehen können; aber er hat den Tod gewollt für seine wissenschaftliche Überzeugung, die ihm eine Religion war. Ruchlos, gottlos war er nie; er war begeistert und doch kein Fanatiker. Er hatte einen Beruf und was sich dessen bewußt; in diesem klar erkannten Beruf hat er auch den gräßlichsten Tod nicht gescheut; darum ist er eher zu beneiden. Welch eine Institution aber ist das, die diesen Mann dem Feuer oder so viele andere der Folter- und Kerkerqual übergeben mußte um ihrer Selbsterhaltung willen! Denn die Menschen sind nicht so zu tadeln, die nur die Werkzeuge dieser Institutionen waren. Und welche verwildernden Wirkungen übt diese Art von "Kirche" auf die Gemüter der Menschen! Jene Menschen, die an BRUNO zu Henkern wurden, leben nicht mehr; aber die Institution lebt noch und hat sich unverändert erhalten oder gar ihre Konsequenzen immer dreister und immer schamloser gezogen. Stände ihr der "weltliche Arm" zu Gebote, wie damals, sie würde auch jetzt noch an uns allen zu größerer Ehre Gottes auf dieselbe Weise mit milder Schonung "citra sanguinis effusionem" [ohne Blutvergießen - wp] offenbaren, was die römische Kirche unter der Barmherzigkeit und der Liebe CHRISTI versteht. Es ist wohl ein nachdenkliches Kapitel! -

BRUNO hat kein allseitig geschlossenes System hinterlassen. Das begonnene Unternehmen einer systematischen Darstellung unterbrah sein trauriges Schicksal; seine Papiere wurden weggenommen, und seine letzten Manuskripte möchten in den römischen Archiven vielleicht noch zu finden sein. Außer dem geistvollen, aber unzüchtigen Lustspiel  Il candelajo  (der Lichtzieher) (3), das wahrscheinlich schon im Kloster verfaßt worden ist, veröffentlichte er im Jahre 1582 und seitdem fortdauern eine Reihe von lateinisch geschriebenen Abhandlungen von geringerem Wert, rhetorischen und mnemonischen Inhalts. BRUNO trat zuerst als Lehrer und Verbesserer der Lullischen Kunst auf, vielleicht doch auch um der Stimmung seiner Zeitgenossen willen, auf die sich durch dergleichen am leichtesten Eindruck machen ließ, und setzte diese Beschäftigung neben seinen bedeutsameren Studien fort. Zu den Werken, die seinen Namen unsterblich machen, sind zu zählen die Schrift  De umbris idearum,  1582, besonders aber die oben genannten italienischen Schriften in dialogischer Form aus den Jahren 1584 bis 85, welche kosmologische, metaphysische und ethische Probleme behandeln. Darauf folgen dann als Hauptschriften für seine Naturphilosophie die mit Erläuterungen in Prosa untermischten lateinischen Lehrgedichte, die zu Frankfurt 1591 erschienen sind:  De triplici minimo et mensua; De monade, numero et figura; De immenso et innumerabilibus.  - In allen zeigt sich eine hohe Genialität und ein kühner Gedankenflug, Meisterschaft in Spott und Ernst, eine tiefe poetische und spekulative Anlage, durch besonnene Reflexion nicht genügend im Zaum gehalten. Mit hohem Freimut bekämpfte er die vertrocknet Scholastik, zeichnete er auf der von KOPERNIKUS gegebenen Basis den Bau des Weltalls und zeigte, wie sich die Unendlichkeit und Güte des absoluten Prinzips in einem unendlichen Universum und einer unendlichen Anzahl von Weltkörpern spiegele. Besonders fruchtbar hat sich seine Lehre von den Monaden als den Elementen aller Dinge erwiesen; die Ansicht von der Beseelung der Welt hat bei ihm die vollendetste Gestalt gewonnen, indem er alle Bewegung und Gestaltung aus der der Materie immanenten vernünftigen Anlage ableitet. So hat er auf verschiedenen Gebieten Anregungen gegeben, die durch die gesamte weitere Entwicklung des philosophischen Gedankens fortwirken und besonders deutlich bei SPINOZA, LEIBNIZ und SCHELLING hervortreten.

In den letzten Jahrzehnten hat sich BRUNO ein allgemeineres und lebhafteres Interesse zugewandt. Am 9. Juni 1889 wurde ihm an der Stelle seines Todes ein Denkmal errichtet. Es ist verständlich, daß man aus dem von der römischen Kirche dem Scheiterhaufen überlieferten Ketzer einen Freigeist, einen Gegner des Katholiszismus und des Papsttums oder auch der Religion überhaupt machte, daß man sich um ihn wie um ein Symbol des Kampfes wider geistliche Herrschsucht und Glaubenszwang scharte. Dennoch war BRUNO trotz der gelegentlichen Ausbrüche seiner Spottlust ein tief religiöse und ganz katholisch kirchlich gesinnter Mann. Das Tragische an BRUNOs Schicksal ist gerade das, daß die römische Kirche mit blöder Bosheit über einen Denker, der bereit war, das römische System und die katholischen Lehren zu bekennen und gegen die Gegner zu verteidigen, den Feuertod verhängt hat hauptsächlich wegen der "neuen", der naturwissenschaftlichen Ketzerei, der Lehre von der Bewegung der Erde, von der Vielheit der Welten, der Unendlichkeit der Welt, einer Lehre also, der sie sich selber seitdem anzubequemen gelernt hat. Eben deshalb aber ist BRUNOs Gestalt geeignet, den Freunden der Geistesfreiheit und der freien wissenschaftlichen Forschung als erlauchter Ahnherr voranzuleuchten, und so hat man sein Andenken bei der 300jährigen Wiederkehr seines Todestages an vielen Orten in Italien und außerhalb Italiens gefeiert.
LITERATUR Giordano Bruno, Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen, Leipzig 1902 [Einleitung von Adolf Lasson]
    Anmerkungen
    1) Vgl. M. CARRIERE in der Zeitschrift für Philosophie, Neue Folge Bd. 54, Heft 1, Halle 1869, Seite 130
    2) Vgl. FR. KOLDEWEY, Giordano Bruno und die Universität Helmstedt, Braunschweigsisches Magazin, 1897, Nr. 5 - 7.
    3) Vgl. darüber J. L. KLEIN, Geschichte des italienischen Dramas, Leipzig 1866, Bd. I, Seite 471 - 493