ra-2ra-2Böhm-BawerkR. StammlerA. VoigtG. Schmoller    
 
KARL DIEHL
Wirtschaft und Recht
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"Die Nationalökonomie bedarf nicht der Konstruktion eines unempirischen von  Eigennutz  oder von  wirtschaftlichem Interesse  geleiteten Normalmenschen, um auf der Grundlage einer derartigen Abstraktion zu typischen Erscheinungsformen und Entwicklungstendenzen zu kommen: richtiger ist der Ausgangspunkt von gewissen wichtigen Rechtsinstitutionen, durch welche das wirtschaftliche Leben einer rechtlich verbundenen Menschengemeinschaft erst bestimmt wird; auf der Grundlage des Privateigentum an den Produktionsmitteln, der freien Konkurrenz und des freien Lohnvertrags ergeben sich gewisse Gestaltungstendenzen von Arbeitslohn, Grundrente, Zins etc. - Bei der Forschung nach dieser Regelmäßigkeit ist es wiederum unnötig, von einem nur von  Egoismus  oder nur von  wirtschaftlichem Interesse  beherrschten Menschen auszugehen, sondern es kann immer nur Frage des einzelnen Falles sein, ob es gestattet ist, das reine Selbstinteresse für so ausschlaggebend zu halten, daß alles andere ignoriert werden könnte. Es liegt im Wesen der genannten Rechtsinstitutionen, namentlich des Privateigentums, schon begründet, daß das individuelle Interesse, das Streben nach persönlichem Vorteil geweckt werden soll: es sollen die Bedürfnisse der Gesamtheit derart befriedigt werden, daß jeder für sich selbst sorgt: die persönlichen Interessen werden dadurch einem Gemeinschaftszweck dienstbaren gemacht."

Aus zwei Ursachen ist es vornehmlich zu erklären, daß in der deutschen nationalökonomischen Wissenschaft in neuerer Zeit die Beschäftigung mit historischen und statistischen Einzeluntersuchungen, sowie mit sozialpolitischen Problemen stark in den Vordergrund getreten ist gegenüber der Behandlung grundlegender theoretischer Fragen: einmal, weil seit der Neubegründung des Reiches der deutschen Wirtschaftspolitik eine Fülle der schwierigsten und wichtigsten Aufgaben gestellt wurden, deren gründliche Erwägung den Nationalökonomen die günstigste Gelegenheit zur Mitarbeit gab und zweitens weil früher unter dem Einfluß der klassischen Nationalökonomie der abstrakten Forschung ein zu weiter Spielraum gegeben war.- Daß die Reaktion gegen dieses Überwiegen der Theorie neuerdings in weitem Umfang zu Vernachlässigung, ja Geringschätzung systematischer Arbeit geführt hat, ist aber gerade auch im Hinblick auf die gründliche Bearbeitung der praktischen Sozialpolitik zu bedauern: denn bei jeder tieferen Erörterung volkswirtschaftlicher Probleme, mag es sich um Rentengüter, Handwerkerfrage, Branntweinsteuer oder Handelsverträge handeln, wird man immer wieder auf die Grundbegriff und Grundtatsachen des sozialen Lebens zurückgeführt. Wer vollend es unternimmt, eine der in neuerer Zeit so beliebten "Widerlegungen des Sozialismus" zu schreiben, wird dieser Aufgabe gar nicht gewachsen sein, ohne scharfe systematische Schulung, ohne gründliche Durcharbeitung der Fundamente der Sozialwissenschaft; wird er nicht einmal imstande sein, die Gedanken des betreffenden Autors richtig wiederzugeben - wovon wir mannigfach Beispiele erlebt haben.

Unter diesen Umständen ist es mit der größten Freude zu begrüßen, daß STAMMLER es unternommen hat, die grundlegenden Probleme der Sozialwissenschaft einer eingehenden kritischen Prüfung zu unterziehen (1). Wenn der Autor - wie im vorliegenden Fall - ein gleichzeitig juristisch, nationalökonomisch und philosophisch geschulter Denker ist, so wird man mit umso größerer Zuversicht sich dem Führer durch dieses schwierige Gebiet anvertrauen.

Nichts geringeres ist in diesem Werk unternommen, als eine grundlegende Untersuchung der juristischen und nationalökonomischen Wissenschaft auf ihre Erkenntnisbedingungen hin. Gerade in neuester Zeit ist wiederholt auf den engen Zusammenhang beider Disziplinen hingewiesen worden; ihre Zusammengehörigkeit wurde durch die Verschmelzung beider Fächer zu einer Fakultät an mehreren Universitäten auch äußerlich anerkannt: umso bedeutsamer, daß hier in gründlicher und eigenartiger Weise die Stellung beider Wissenschaften im Kreis der gesamten Wissenschaften zur Erörterung gelangt ist. -

Das kritische Referat des STAMMLERschen Werkes, das in den folgenden Blättern gegeben werden soll, wird dem Charakter dieser "Jahrbücher" entsprechend vorwiegend dem nationalökonomischen Erörterungen des Verfassers gewidmet sein - der übrige Inhalt des reichen Werkes kann nur kurz skiziiert werden. -


1. Gegenstand der Sozialwissenschaft.
Begriff von "sozial" und "sozialem Leben".

STAMMLER will das Fundament liefern zu einer Sozialphilosophie, d. h. zu einer wissenschaftlichen Untersuchung darüber, unter welcher grundlegenden formalen Gesetzmäßigkeit das soziale Leben des Menschen steht. Er sucht nach Sätzen, die sich für das gesellschaftliche Dasein vom Menschen notwendig und allgemein gültig feststellen lassen. Den wahren Ausgangspunkt für die Sozialphilosophie findet STAMMLER weder im "Recht" noch in der "Wirtschaft", die beide kein selbständiges Dasein führen, sondern im  sozialen Leben,  bei dessen grundlegender Analyse erst dem Recht wie der sozialen Wirtschaft ihre zutreffende Stellung im ganzen des gesellschaftlichen Daseins der Menschen angewiesen werden könnte. - Welches ist das feste Merkmal, durch das der Begriff des sozialen Lebens der Menschen als eigener Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung konstituiert wird? Mit der Vorstellung eines gesellschaftlichen Zusammenlebens muß zweifellos etwas anderes und mehr gemeint sein, als nur die Tatsache eines in Zeit und Raum zugleich vorhandenen Daseins vom Menschen. STAMMLER findet das Kriterium, wodurch das soziale Leben als eigener Gegenstand unserer Erkenntnis so konstituiert wird, daß es dem bloß physischen Nebeneinanderbestehen verschiedener Menschen in bleibender, formaler Eigenart sicher gegenübertritt, in der  von Menschen herrührenden Regelung ihres Verkehrs und Miteinanderlebens,  und kommt zu der Erklärung, daß soziales Leben nichts anderes bedeutet als  äußerlich geregeltes Leben.  - "Die äußere Regelung" des menschlichen Verhaltens gegeneinander ermöglicht erst den Begriff eines  sozialen  Lebens als eines besonderen Objekts. Sie ist das letzte Moment, auf das formal alle soziale Betrachtung in ihrer Eigenart zurückzugehen hat. Erst unter der Bedingung einer bestimmten äußeren Regelung des menschlichen Zusammenlebens ist eine eigenartige Synthesis in Begriffen möglich, die nun in sachlicher Besonderheit als  sozialwissenschaftliche  auftreten können" (Seite 89). - Mit dieser Begriffsbestimmung ist ein sicherer sachlicher Gegensatz gegeben zum  isolierten Dasein  der einzelnen Menschen; es wird hierdurch ein neuer Gegenstand der Erkenntnis geschaffen, wie er für den isoliert gedachten Menschen nicht existieren könnte. - Mit dem Begriff der äußerlichen Regelung ist noch nicht der  rechtlicher  oder  staatlicher  Regelung verbunden: welche  Form  diese Regelung annimmt, kann jetzt noch außer Betracht bleiben. Für Begriff und Wesen des sozialen Lebens ist die Tatsache genügend, daß vom Menschen ausgehende Normen vorhanden sind, die sich auf die Regelung ihres Miteinanderlebens beziehen.

Wie das soziale Leben einen Gegensatz bildet zu einem vorgestellten isolierten Dasein des Menschen, so haben die  Regeln des sozialen Lebens  ihren Gegensatz in den  Moralgeboten:  erstere sind Normen eines äußerlich korrekten Verhaltens, letztere Anweisungen zu objektiv rechtem Wollen und Tun.

Wir können uns mit diesem systematischen Ausgangspunkt des STAMMLERschen Werkes durchaus einverstanden erklären: in der Tat ist damit das richtige Kriterium für die sozialwissenschaftliche Betrachtung angegeben. Gewiß ist vielen Nationalökonomen diese Tatsache schon bekannt gewesen - aber der Gedanke ist noch nie in solcher Klarheit und Präzision ausgesprochen und noch nie, wie hier, in alle seine Konsequenzen verfolgt worden. Mit dieser prinzipiellen Feststellung ist auch energisch jeder Versuch zurückgewiesen, naturwissenschaftliche Methoden fruchtbar zu machen für soziale Erkenntnisse. Was beide Wissenschaften scharf unterscheidet, ist das Moment der äußerlichen menschlichen Regelung, welches der Naturwissenschaft fremd ist. Allbekannt sind die Versuche einer "organischen" Volkswirtschaftslehre von SCHÄFFLE und von LILIENFELD; in neuester Zeit hat wiederum ein Schriftsteller versucht, mit Hilfe naturwissenschaftlicher Forschungsmethoden das soziale Leben zu ergründen: OTTO AMMON, der schon durch den Titel, den er seinem Werk gab: "Die Gesellschaftsordnung und ihre  natürlichen  Grundlagen" (zweite Auflage, Jena 1896) das Fehlerhafte seines Vorgehens dokumentierte. Er meint, die Gesellschaftsordnung beruhe auf der  Arbeitsteilung  und auf der  Differenzierung  der Individuen und sei den verschiedenen Aufgaben angepaßt (2) und läßt die "kapitalistische Produktionsweise auf einem Naturgesetz beruhen, nämlich auf der Verteilung der individuellen Begabungen unter den Menschen, welche ihrerseits wieder von den mathematischen Gesetzen der Kombinationslehre bestimmt ist" (3). Allen Schriftstellern, die in derartiger Weise Naturwissenschaft und Sozialwissenschaft miteinander verquicken, womit meist eine Anwendung der darwinistischen Lehre auf das soziale Leben verknüpft ist, kann nicht dringend genug das Studium gerade dieser grundlegenden Erörterungen des STAMMLERschen Werkes empfohlen werden.

Entsprechend dem Begriff des sozialen Lebens wird der Begriff von "sozial" dahin erläutert, daß  sozial  bedeute: äußerlich geregelt. Damit wird von STAMMLER diesem so unendlich oft gebrauchten und so selten exakt erklärten Wort die richtige Bedeutung gegeben. Sobald man "sozial" im weitesten Sinne auffaßt, bedeutet es in der Tat nichts anderes, als  gesellschaftlich;  und weil wir gesellschaftliches Leben wissenschaftlich nur erfassen können, wenn es ein durch menschliche Normen  geregeltes  ist, so muß der Fundamentalbegriff des Sozialen im äußerlichen Geregeltsein gelegen sein. Diese Definition dürfte allerdings heftigem Widerspruch begegnen; denn es ist Mode geworden, das Wort "sozial" in so vielen Bedeutungen anzuwenden, daß es wohl unmöglich sein dürfte, dem weiten Sinn, in dem es STAMMLER faßt, allgemeine Geltung zu verschaffen. Abgesehen davon, daß dieses Wort als überflüssiges Flickwort in gedankenloser Weise angewandt wird, sind es nicht weniger als sechs Bedeutungen, die STAMMLER aufzählt, in denen es gebraucht wird und zwar im Sinne von
    1) äußerlich geregelt;
    2) gesetzmäßig äußerlich geregelt;
    3) direkt befehlend durch planmäßige Zwangsregelung;
    4) im Gegensatz zum politischen Leben;
    5) im Gegensatz zu rechtlichen Verhältnissen nur konventionaler Art;
    6) betrachtet vom Verteilungsstandpunkt.
Von den genannten Bedeutungen ist namentlich die letzte von größter Wichtigkeit; in diesem Sinne hat das Wort "sozial" eine Art Bürgerrecht in der Nationalökonomie erworben, das ihm nicht mehr streitig gemacht werden kann. Wie STAMMLER richtig hervorhebt, soll in dieser Bedeutung, die namentlich von ADOLF WAGNER scharf betont wird, ein Gegensatz statuiert werden zu der einseitigen individualistischen Auffassung mancher Vertreter der klassischen Nationalökonomie. Während diese bei ihren volkswirtschaftlichen Erörterungen vielfach nur die  produktive Wirkung  ins Auge faßten und alles unter dem Gesichtspunkt betrachteten, wie die größte Vermehrung der Produktion zu erzielen sei, soll nach der "sozialen" Auffassung vor allem die Frage der Verteilung der durch die gemeinschaftliche Arbeit hergestellten Produkte in den Kreis der Betrachtung gezogen werden. So wird nicht nur von ADOLF WAGNER, sondern von einer großen Anzahl von Nationalökonomen das Wort "sozial" im Sinne von anti-individualistisch oder anti-manchesterlich gebraucht; man will damit eine Auffassung kennzeichnen, die nicht die persönlichen Interessen einzelner Individuen oder Klassen in den Vordergrund stellt, sondern die Interessen der Gemeinschaft, des zu einem ganzen Volk verbundenen Gemeinwesens. Es würde sowohl möglich sein, das Wort "sozial" in einem zweifachen Sinn zu gebrauchen
    1) im weitesten Sinne = äußerlich geregelt;
    2) im engeren Sinne = anti-individualistisch in der oben erörterten Bedeutung
So mißlich es im allgemeinen sein mag, ein Wort derart in einem doppelten Sinn zu gebrauchen, so ist es in diesem Fall umso eher möglich, weil zwischen beiden Bedeutungen ein enger Zusammenhang besteht.

Eine soziale Betrachtung in der zweiten Bedeutung des Wortes ist eine solche, die sich der wahren Grundbedingung des sozialen Lebens, die in der äußeren Regelung beruth, bewußt ist. Es soll eine Auffassung sein, gemäß welcher die Volkswirtschaft nicht ein Nebeneinanderleben vereinzelter Individuen ist, sondern ein durch eine rechtliche Ordnung zusammengefügtes Ganzes. Auch bei dieser richtigen Fassung kann die denkbar größte wirtschaftliche Freiheit postuliert werden: sozial hat ja nichts mit "sozialistisch" zu tun, also mit einer zwangsgemeinwirtschaflichen Organisation, und selbst der Anarchismus verlangt eine äußerliche Regelung, wenn auch nicht durch Rechtsregelung, sondern nur durch Konventionalregel; aber wer von diesem "sozialen" Standpunkt eine freiheitliche Ordnung auf wirtschaftlichem Gebiet verlangt, kann dieses Postulat nicht auf die  Freiheitsrecht  der  einzelnen Individuen  begründen, kann unmöglich in jedem Gesetz auf diesem Gebiet einen ungehörigen Eingriff des Staates in das "freie Getriebe" des Wirtschaftslebens erblicken, sondern er wird nur ein relativ geringes Maß an Zwangsmaßregeln für nötig erachten in einer Tätigkeitssphäre der Menschen, die aber nur als eine rechtlich geordnete und nie als eine "freie" vorgestellt werden kann. Es ist kein Zufall, daß die Epigonen von ADAM SMITH, die für die volle Durchführung des  laisser faire laisser passer  [machenlassen, laufenlassen - wp] eintreten, methodologisch regelmäßig von der Wirtschaft isolierter Individuen ausgehen, so namentlich die französische Freihandelsschule, unter ihnen wieder besonders BASTIAT; - es ist das Verdienst von RODBERTUS, auf diese fehlerhafte Methode mit Nachdruck hingewiesen zu haben. BASTIAT erklärte einmal:
    "Die ökonomischen Gesetze wirken ihrem Prinzip nach überall gleich, es mag sich nun um eine Menge von Menschen, um zwei oder einen einzigen handeln, der durch die Umstände gezwungen ist, isoliert zu leben. Der einzelne, wenn er überhaupt eine Zeit lang so leben könnte, würde nur Kapitalist, Unternehmer, Arbeiter, Produzent und Konsument in einer Person sein und die ganze ökonomische Entwicklung müßte sich an ihm allein vollziehen; aber wollte er nur jedes Element dieser Entwicklung mit Sorgfalt beobachten - das Bedürfnis, die Arbeit, die Befriedigung, die Nutzbarkeit, welche die Natur umsonst liefert, und die, welche Arbeit kostet - so würde er dennoch eine richtige Vorstellung vom ganzen wirtschaftlichen Mechanismus gewinnen können, obgleich dieser auf seinen einfachsten Ausdruck zurückgebracht wäre" -
RODBERTUS, der diesen Ausspruch zitiert (4) konnte mit Recht erwidern:
    "Das ist grundfalsch. Erstens kann es zwar in der isolierten Wirtschaft ökonomische Begriffe und eine ökonomische Entwicklung, aber keine nationalökonomischen Begriffe und keine nationalökonomische Entwicklung geben, um eine solche handelt es sich doch nur bei  Bastiat.  Die Nationalökonomie entsteht erst mit der  Teilung der Arbeit,  und diese macht gerade der isolierten Wirtschaft ein Ende."
Von beiden Sozialphilosophen, von RODBERTUS und STAMMLER, wird in gleich energischer Weise die  isolierte Wirtschaft  als falscher methodologischer Ausgangspunkt abgelehnt; aber das Kriterium, durch welches soziales Leben erste konstituiert wird, wird in beiden verschieden bestimmt: RODBERTUS erblickt dieses in der  Arbeitsteilung,  also in einem materiellen Band, welches die Individuen miteinander verkettet, das den einen in eine wirtschaftliche Abhängigkeit vom anderen bringt und bewirkt, daß einer für alle, alle für einen arbeiten müssen, STAMMLER ersieht das ausschlaggebende Moment richtiger in der formalen Regelung.


2. Die Form und die Materie des sozialen Lebens.
Monismus des sozialen Lebens.
Rechtswissenschaft und Nationalökonomie

Die äußere Regelung, worin wir das  formale Element  erkannt haben, welches das soziale Leben konstituiert, kann in zweierlei Form auftreten, entweder in Form von rechtlichen Satzungen oder in Form von Konventionalregeln: das Unterscheidende dieser beiden Klassen sozialer Regeln findet STAMMLER darin, daß das Recht formal als  Zwangsgebot  über dem Einzelnen in Geltung steht, während die Konventionalregel lediglich zufolge der  Einwilligung  des Unterstellten gilt. Da in allen uns geschichtlich bekannten sozialen Verhältnissen nur  rechtlich  geordnete Menschengemeinschaften vorgekommen sind, zieht STAMMLER bei seiner Analyse des sozialen Lebens als  Form  desselben repräsentativ zunächst allein das  Recht  in Betracht.

Was ist die  Materie  dieses sozialen Lebens und was macht demnach den Gegenstand der Sozialwissenschaft aus? Nicht die Betrachtung der Art und Weise, wie die Menschen den Kampf mit den Naturgewalten aufnehmen, wie sie die Gesetzmäßigkeit der Natur zur Verfolgung ihrer Zwecke benutzen: dies würde vielmehr Aufgabe der  Technik  sein. Die Eigentümlichkeit des sozialen Lebens beruth vielmehr darauf, daß die äußere Regelung sich an die zusammenlebenden und zusammenwirkenden Menschen wendet und deren zusammenwirkendes Verhalten zum Gegenstand hat. Da Tun und Wirken des Menschen auf die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse (im weitesten Sinne) geht, wird von STAMMLER kurz als Materie des sozialen Lebens bezeichnet:  das auf Bedürfnisbefriedigung gerichtete menschliche Zusammenwirken.  -

Die oft erörterte Frage des Zusammenhangs von Technik und Wirtschaft wird hier mit Recht von STAMMLER dahin entschieden, daß beide einen Gegenstand total verschiedener Erkenntnis darstellen: "Die Gegenstände der Betrachtung, die Naturkräfte und die geregelten Beziehungen sind der Art nach total verschieden" (Seite 139). Auch wir halten für das Unterscheidende zwischen technischer und sozialwissenschaftlicher Betrachtung die wissenschaftliche Methode, die in beiden Fällen anzuwenden ist: daß die erstere es nur mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu tun hat, unterscheidet sie klar und deutlich von der sozialwissenschaftlichen Erwägung. Bei der Betrachtung wirtschaftlicher Bedürfnisbefriedigung vom  technischen  Standpunkt aus würde z. B. gefragt werden, wie nach dem Stand der naturwissenschaftlichen Forschung am besten die Widerstände der Natur zu überwinden sind, um dieses oder jenes Produkt mit dem geringsten Aufwand an Kraft und Stoff zu gewinnen; ob in einer bestimmten Branche Hand- und Maschinenarbeit aus dieser Erwägung vorzuziehen sei - welche Düngemittel für bestimmte Kulturarten zweckmäßig, nach welcher Methode am meisten Zucker aus dem Rüben gewonnen werden kann - das alles sind Fragen der Technik. Sobald dabei die Aufmerksamkeit auf die Frage gelenkt wird, welche Folgen damit für die Beziehungen der beteiligten Menschengemeinschaften verknüpft sind, beginnt die Sphäre der Sozialwissenschaft. Wie die Einführung der Maschinenarbeit anstelle der Handarbeit auf die Verschiebung der Besitz- oder Erwerbsverhältnisse der beteiligten Arbeiter und Arbeitgeber wirkt, wie eventuell die Gesetzgebung gewissen schädlichen Folgen der Maschinenarbeit entgegenwirken kann, das alles geht über die rein technische Betrachtung hinaus, kann nach naturwissenschaftlicher Methode nicht mehr erörtert werden. -

STAMMLER nennt das auf Befriedigung menschlicher Bedürfnisse gerichtete Zusammenwirken  Sozialwirtschaft.  Dabei ist jedoch zu beachten, daß nur von  sozialen,  nicht von  individuellen  Bedürnissen die Rede ist; Bedürfnisse einzelner Menschen für sich allein kommen hier nicht in Frage: der Sinn für Naturschönheiten, das Bedürfnis, zu Gott zu beten, gehören nicht hierher; dagegen muß natürlich die gemeinsame Auffassung von Kirche und Tempeln in den Kreis der Betrachtung fallen:
    "Indem wir also die individuellen Bedürfnisse von den sozialen trennen, verstehen wir unter den letzteren diejenigen, bei deren Befriedigung in tätiges Verhalten von jemandem in unmittelbarer Rücksicht auf ein solches anderer Menschen stattfinden muß; sei es, daß von vornherein eine irgendwie zusammenstimmende Arbeit mehrerer aufgewendet wird, oder daß doch der einzelne eine durch individuale Tätigkeit zu erlangende Bedürfnisbefriedigung nicht erhält, sofern nicht ein anderer mit Rücksicht hierauf in besonderer Weise eingeschränkt ist und sich zurückzieht." (Seite 141) -
Mit Recht lehnt es STAMMLER ab, für das Gebiet der Sozialwirtschaft eine Scheidung von höheren oder niederen, oder von materiellen und immateriellen Bedürfnissen vorzunehmen, und nur den Kreis der niederen, materiellen Bedürfnisse als "wirtschaftliche" der Sozialwirtschaft zuzuzählen; ganz abgesehen davon, daß es im einzelnen sehr schwer fallen dürfte, die Grenze zwischen höheren und niederen Bedürfnissen zu ziehen, liegt es auf der Hand, daß auch die religiöse, die künstlerische Betätigung des Menschen mit einem Aufwand sogenannter wirtschaftlicher Güter verknüpft ist.

Die beiden Disziplinen, denen die Aufgabe zukommt, das soziale Leben zu erforschen und gesetzmäßig zu erfassen, sind die  Rechtswissenschaft  und die  Nationalökonomie. - Das Wesen und die Eigentümlichkeit dieser beiden Wissenschaften wird von STAMMLER in folgender Weise geschildert:

Es ist Sache der Jurisprudenz, die in der Geschichte aufgetretenen rechtlichen Regeln in ihrem formalen Dasein und die durch jene ermöglichsten Rechtsverhältnisse zu betrachten; sie sucht diese in sicheren Begriffen zu erfassen und zu beherrschen, die jedesmal ein  einheitliches  Verfahren bedeuten, sich eine bestimmt geregelte Beziehung unter Menschen vorzustellen; die Rechtswissenschaft hat die regelnde Form darzustellen, unter der sich das dadurch konstituierte soziale Leben abspielt. Dabei kann sie von der wirklichen Ausgestaltung des sozialen Lebens, von der tatsächlichen Vollführung des betreffenden rechtlich geregelten Zusammenlebens ganz absehen: welcher Gebrauch vom Recht in Wirklichkeit gemacht wird, ist eine Frage für sich. - Diese Unabhängigkeit der formalen Rechtsbetrachtung von der jeweils wirklichen sozialen Wirtschaft darf nicht zu dem Fehler verführen, in den gewisse Naturrechtslehre verfallen sind, Rechtssätze postulieren zu wollen, die von wechselnder geschichtlicher Erfahrung unabhängig wären. - Zum Problem des Naturrechts stellt sich STAMMLER so, daß er ein Naturrecht in dem Sinne, daß es ideale Rechtsgrundsätze liefern soll, die mit einem  unwandelbaren Inhalt  demjenigen empirisch bedingter und darum  inhaltlich veränderlicher  positiver Rechtsordnungen gegenübertreten, als wissenschaftlich unmöglich erachtet; aber er leugnet keineswegs die Brauchbarkeit eines Naturrechts mit  wechselndem Inhalt,  worunter er diejenigen Rechtssätze versteht, die unter  empirisch bedingten Verhältnissen  das  theoretisch richtige  Recht enthalten: die selbstverständlich bloß zufolge dieser Einsicht noch keine positive Gestaltungskraft haben, sondern sich an die Rechtsquellen, als Erzeugerinnen des positiven Rechts, mit der Forderung wenden, eine Änderung oder Umgestaltung des geltenden Rechts vorzunehmen.

Während das  Recht,  als  Form  des sozialen Daseins, in gänzlicher Abstraktion vom geregelten Stoff technisch-wissenschaftlich behandelt werden kann, ist dies bei der  Nationalökonomie  nicht der Fall: sie hat immer eine Bezugnahme auf die besondere Form nötig, in welcher sich das Zusammenwirken als ein bestimmt geregeltes darstellt; bei allen nationalökonomischen Untersuchungen liegt ganz unvermeidlich eine bestimmte rechtliche Regelung in dem Sinn zugrunde, daß diese konkrete rechtliche Normierung die  logische Bedingung  des betreffenden nationalökonomischen Begriffs und Satzes ist. Somit gelangt STAMMLER zu der Erklärung: die Nationalökonomie ist die Untersuchung bestimmter einzelner Rechtsordnungen nach der Seite ihrer konkreten Durchführung.

Unsere Kritik der vorhergehenden STAMMLERschen Ausführungen hat zunächst die völlige Übereinstimmung mit den grundlegenden Sätzen über die Beziehung zwischen Recht und Wirtschaft zu konstatiern. - Mit Recht hat STAMMLER in den Vordergrund seiner Erörterungen gestellt, daß es sich nicht darum handeln kann, daß die Volkswirtschaft nur durch das Recht beeinflußt wäre, so daß also etwa alle ökonomischen Erörterungen auch Rücksicht auf Rechtsverhältnisse zu nehmen hätten, sondern das Schwergewicht darauf gelegt, daß jede volkswirtschaftliche Betrachtung notwendigerweise eine rechtliche Basis verlangt, ohne diese gänzlich haltlos wäre. Es gibt tatsächlich nicht eine eigene "Volkswirtschaft" und davon getrennt ein "Recht", die in gewisser Wechselwirkung ständen, sondern nur rechtlich geordnete wirtschaftliche Verhältnisse können überhapt den Gegenstand der nationalökonomischen Wissenschaft bilden. Privatwirtschaftliche Erörterungen können auch angestellt werden in naturwissenschaftlich-technischer Art; jede volkswirtschaftliche Erwägung setzt eine Rechtsordnung voraus. Der enge Zusammenhang beider Disziplinen wird erst klar, wenn man sie mit STAMMLER als Unterabteilung der Sozialwissenschaft auffaßt, deren Gegenstand im Gegensatz zur Naturwissenschaft, die auch vom isolierten Dasein des Menschen ausgehen kann, das Zusammenwirken von Menschen ist. - Die immer noch anzutreffende Manier, zwischen Begriffen im "juristischen" und im "nationalökonomischen" Sinn zu unterscheiden, wird hoffentlich bald verschwinden, wenn man sich von der Unzweckmäßigkeit einer eigenen Terminologie für zwei so eng zusammengehörige Wissenschaften überzeugt hat. Allerdings wird der Jurist gewisse Begriffe nötig haben, die der Nationalökonom völlig entbehren kann, und umgekehrt; die Erörterungen, die der Jurist an gewisse Begriffe knüpft, werden anderer Art sein als die, welche dem Volkswirt wichtig erscheinen: dies ergibt sich aus der verschiedenen Aufgabe beider Wissenschaften. Aber welchen Zweck soll es z. B. haben, Geld im "juristischen" und Geld im "wirtschaftlichen" Sinn zu unterscheiden? Die Definition "Geld ist das rechtlich anerkannte Zahlungsmittel" dürfet für die Rechtswissenschaft wie für die Nationalökonomie gleich akzeptabel sein. - Schon KNIES hatte nachdrücklich auf die fehlerhafte Definition des Vermögens hingewiesen, die sich auch heute noch in manchen nationalökonomischen Lehrbüchern findet: "Vermögen ist die Summe aller wirtschaftlichen Güter, die sich im  Eigentum  einer Person befinden" - wenn die betreffenden Nationalökonomen aber den Einwand erheben, daß sie gar nicht den juristischen Eigentumsbegriff im Sinn hatten, so muß auch hier wieder betont werden, daß die Nationalökonomie sich nicht einen besonderen Eigentumsbegriff zu bilden, sondern denselben aus der Rechtswissenschaft zu entnehmen hat. - Wer eine nationalökonomische "Begründung" des Eigentums zu geben sucht und in der  Legaltheorie  die Lösung des Problems so formuliert:
    "Das Privateigentum, insbesondere das private Grund- und Kapitaleigentum ist (zumindest in allem Wesentlichen) nur auf die von der rechtsbildenden Kraft im Gemeinschaftsleben ausgehende Rechtsbildung, auf Gewohnheitsrecht, auf die staatliche Anmerkung zu begründen" (5),
hat tatsächlich nur gesagt, was Privateigentum überhaupt ist, aber noch nichts zur "Begründung" des Eigentums gesagt. Die Frage, die CARL MENGER einmal aufwirft und die er als vielleicht "merkwürdigstes Problem der Sozialwissenschaft bezeichnet":
    "Wieso vermögen dem Gemeinwohl dienende und für dessen Entwicklung höchst wirksame Institutionen ohne einen auf ihre Begründung gerichteten  Gemeinwillen  zu entstehen?" (6),
ist dahin zu beantworten, daß es derartige sozialwissenschaftliche Institutionen gar nicht gibt.

Schon mehrfach war von Vorgängern STAMMLERs auf den engen Zusammenhang zwischen Recht und Wirtschaft hingewiesen worden, so namentlich von ARNOLD (7) in folgenden Sätzen:
    "Wie jeder wirtschaftliche Akt Rechtsformen voraussetzt, so haben auch alle Rechtssätze, zumal die des Privatrechts, direkt oder indirekt einen wirtschaftlichen Inhalt oder Bezug ... Es liegt klar zutage, daß jedes Volk, auf welcher Kulturstufe es stehen mag, für seine wirtschaftliche Tätigkeit einer rechtlichen Ordnung bedarf, die sie erst höher stellt, oder wie der Jurist sagt, rechtlich möglich macht. Jedes wirtschaftliche Institut kann daher von einer anderen Seite als Rechtsinstitut betrachtet werden." (8).

    "Im wirklichen Leben gibt es kein Rechtsverhältnis ohne materiellen Inhalt und alle Sätze des Privatrechts haben direkt oder indirekt eine wirtschaftliche Bedeutung." (9)

    "Denn die Volkswirtschaft ist so wenig etwas Isoliertes und Selbständiges als das Recht." (10)
KARL KNIES und ADOLF WAGNER sind besonders eifrig bemüht gewesen, auf die "innige Wechselbeziehung zwischen Wirtschaft und Recht" immer wieder hinzuweisen. Aber keiner der genannten Autoren hat in der systematischen Schärfe und Konsequenz diese Zusammenhänge verfolgt wie STAMMLER; selbst bei ARNOLD, der dem wahren Sachverhalt so nahe kam, finden sich so unklare Sätze wie z. B. (11):
    "Das wirtschaftliche Leben ist in mehr als einer Hinsicht die Grundlage des rechtlichen und politischen."
Vor allem aber ist die Art und Weise neu, wie STAMMLER Nationalökonomie und Rechtswissenschaft als Teildisziplinen der allgemeinen Sozialwissenschaft betrachtet, deren Eigenwert zuerst klar von ihm herausgestellt wurde; noch nie war vorher in dieser Schärfe gezeigt worden, daß der Ausgangspunkt sozialwissenschaftlicher Untersuchungen nicht die einzelnen Individuen mit ihren Begehrungen sein dürfen.

Meine Übereinstimmung mit den leitenden Gesichtspunkten, von denen aus STAMMLER die Beziehung zwischen Wirtschaft und Recht behandelt, soll jedoch nicht Zustimmung zu allen Einzelausführungen bedeuten; besonders in terminologischer Hinsicht möchte ich vielfache Bedenken äußern, von denen einiges hier erwähnt sein möge. Ich gehe von STAMMLERs Definition von "Recht" aus; das Recht soll nach STAMMLER die  soziale Wirtschaft  regeln; die soziale Wirtschaft aber soll das zusammenwirkende Verhalten von Menschen bedeuten, das auf die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse gerichtet ist. - Diese Definition scheint mir zu eng; das Recht ordnet mehr als die "Wirtschaft", mag man diese auch im denkbar weitesten Sinn nehmen. Das Recht straft auch den, der meine persönlichen Gefühle verletzt; wer meine Ehre angreift, wer meine religiösen Gefühle beleidigt, wer mein sittliches Empfinden durch sein Gebahren verletzt, kann der Strafe verfallen; dies alles fällt nicht unter die soziale Wirtschaft; man müßte denn geradezu das Geschütztwerden der Ehre etc. als Befriedigung eines menschlichen Bedürfnisses auffassen, was dem Sprachgebrauch geradezu Gewalt antun hieße. - Das Recht hat das Zusammenwirken von Menschen in allen seinen Beziehungen, nicht nur soweit es sich auf die Bedürfnisbefriedigung bezieht, zum Gegenstand. - Meine von STAMMLER etwas abweichende Erklärung würde demnach lauten: Die  Sozialwissenschaft  hat das äußerlich geregelte Zusammenwirken der Menschen zum Gegenstand; das  Recht  handelt von der formalen Regelung dieses Zusammenwirkens - die  Nationalökonomie  behandelt das tatsächliche Zusammenwirken, soweit es auf die Beschaffung von Sachgütern zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung gerichtet ist. - Die Nationalökonomie hat es allerdings  nicht  mit den inneren Gütern, wie Ehre, Religion etc. zu tun - nicht nur in dem Sinne, daß diese individuellen Bedürfnisse nicht in ihren Bereich gehören; denn soweit es sich um individuelle Vorgänge handelt, sind sie auch aus dem Recht und der Sozialwissenschaft ausgeschieden; sondern auch in ihrer sozialen Geltung, also im Verband mehrerer Rechtsgenossen, in gemeinsamer Betätigung gehören sie nur insofern dorthin, als eine Bedürfnisbefriedigung durch ein Zusammenwirken in Frage kommt, als es gilt, gemeinsame Opfer an Arbeit und Kosten zu bringen, also wo es sich z. B. auf dem Gebiet des Religiösen um die Errichtung von Gotteshäusern handelt etc. Deshalb bin ich auch mit STAMMLER durchaus einverstanden, wenn er nicht das Gebiet der Wirtschaft auf sogenannte materielle Bedürfnisse einschränken will; auch die idealen Bedürfnisse haben hier Raum, da sie alle auch ihre "wirtschaftliche" Seite haben, insofern gemeinsame Opfer gebracht werden müssen und die Beschaffung von Sachgütern in Frage kommt. Auch die "persönlichen Dienstleistungen" gehören nur insofern zum Gebiet der Nationalökonomie, als sie im Zusammenhang mit der Sachgüterbeschaffung stehen. Die Definition der Nationalökonomie bedarf auch in anderer Hinsicht einer Abänderung, wenn nicht arge Mißverständnisse entstehen sollen; STAMMLER definiert:
    "Objekt der Nationalökonomie ist die  konkrete Ausführung  eines  bestimmt geregelten  zusammenwirkenden Verhaltens, das auf die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse gerichtet ist" (Seite 157)
und an anderer Stelle:
    "Nationalökonomie oder soziale Erwägung ist nichts, als die Untersuchung  bestimmter einzelner Rechtsordnungen nach der Seite ihrer konkreten Durchführung." 
Diese Begriffsbestimmungen leiden an dem Fehler, daß ein zu großes Gewicht auf die "einzelnen bestimmten Rechtsordnungen" gelegt wird; wer die genannte Erklärung liest, könnte fast auf den Gedanken kommen, daß die Nationalökonomie eine Art Kommentar für bestimmte Gesetzbücher zu liefern hätte. Man könnte die Anschauung gewinnen, jede besondere Gesetzeskodifikation bedarf einer besonderen Nationalökonomie, so daß eine Volkswirtschaftslehre des  corpus juris civilis,  eine solche des deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs, eine des  code civil  etc. zu unterscheiden wäre. Es ist aber klar, daß in allen Ländern, denen einzelne wichtige Rechtsinstitutionen gemeinsam sind, wie z. B. Privateigentum an den Produktionsmitteln, freier Lohnvertrag etc. gewisse nationalökonomische Entwicklungstendenzen sich gleichmäßig zeigen, daß wir über die Bewegung des Kapitalzinses, der Grundrente, des Arbeitslohnes etc. dieselben Beobachtungen machen können, selbst wenn im einzelnen die Rechtssysteme der betreffenden Länder die größten Verschiedenheiten aufweisen. Eine derartige enge Beziehung zwischen Wirtschaft und Recht liegt auch STAMMLER gänzlich fern; er sagt ausdrücklich (Seite 222):
    "Da nun zur Befassung mit diesen ökonomischen Phänomenen die allgemeinen Institutionen einer rechtlichen Ordnung regelmäßig ausreichen, so ist auch die Betrachtung jener Einrichtungen über das räumliche und zeitliche Geltungsgebiet eines einzelnen Rechts hinaus möglich, sobald wir auf die gleichen grundsätzlichen Einrichtungen in einem anderen Rechtskreis stießen."
Umso mehr mußte schon in der Definition das Mißverständnis ausgeschlossen werden, das offenbar durch eine Hineinbeziehung der "bestimmten einzelnen Rechtsordnungen" gegeben ist. Es würde genügen zu sagen: Die Nationalökonomie als Teil der Sozialwissenschaft hat das zwecks Bedürfnisbefriedigung auf die Sachgüterbeschaffung gerichtete Zusammenwirken der Menschen zum Gegenstand. Der Zusatz "geregelt" ist überflüssig, da ein Zusammenwirken von Menschen uns nur als ein äußerlich geregeltes überhaupt erfaßbar ist, zudem auch bereits im Begriff der Sozialwissenschaft enthalten ist. -

Wenn STAMMLER nur solche nationalökonomische Begriffe gelten lassen will, die unter der Bedingung einer rechtlichen Ordnung stehen, so scheint mir dies zu weit zu gehen, und seine Aufforderung, ihm
    "einen einzigen nationalökonomischen Begriff oder Lehrsatz zu nennen, der zur wissenschaftlichen Aufhellung und Erfassung des sozialen Lebens der Menschen als solchen beiträgt, und der nicht unter der Bedingung einer bestimmten äußeren Regelung menschlichen Zusammenlebens steht - also daß er bei Wegdenken dieser konkreten Regelung nicht auch allen Sinn verliert und in sein Nichts zusammensinkt" - (Seite 204)
möchte ich mit dem Hinweis auf den Begriff des "Kapitals" erwidern. Gerade den Kapitalbegriff hat STAMMLER erwähnt, um die Irrigkeit des nationalökonomischen Sprachgebrauchs zu zeigen und er hat dabei den kritischen Äußerungen von MARX in der Hauptsach zugestimmt; die betreffende Stelle bei STAMMLER lautet (Seite 210):
    "Marx  war der grundsätzlich richtigen Auffassung sehr nahe. Er spottet in treffender Weise über die Nationalökonomen, welche das  Kapital  dahin definieren, daß es aufgehäufte Arbeit sei, da es aus Rohstoffen, Arbeitsinstrumenten und Lebensmitteln aller Art besteht, die verwandt werden, um neue Rohstoffe, neue Arbeitsmittel und neue Lebensmittel zu erzeugen;
      "Was ist ein Negersklave?  Ein Mensch der schwarzen Rasse. Die eine Erklärung ist die andere wert." - "Ein Neger ist ein Neger. In  bestimmten Verhältnissen  wird er erst zum Sklaven. Eine Baumwollspinnmaschine ist eine Maschine zum Baumwollspinnen. Nur in  bestimmten Verhältnissen  wird sie zu  Kapital.  Aus diesen Verhältnissen herausgerissen, ist sie so wenig Kapital, wie Gold an und für sich Geld oder der Zucker der Zuckerpreis ist." - "Das Kapital ist ein  bürgerliches  Produktionsverhältnis ... Es ist eine Summe von Waren, von Tauschwerten, von  gesellschaftlichen  Größen."
    Das ist ganz richtig. Es bedürfte nun auch eines Schrittes, um zur Klarheit über die grundlegende Bedingung einer  sozialen  Erkenntnis überhaupt zu gelangen und als solche notwendige Bedingung eine  bestimmte äußere Regelung  des menschlichen Zusammenlebens einzusetzen, unter welcher auch der Begriff von Kapital erst einen festen Halt gewinnen kann und eine klärende Lehre darüber möglich wird. Die  unbestimmten Verhältnisse,  die bei  Marx  überall wiederkehren, sind eben  rechtlich  bestimmte Verhältnisse, besonders ausgestaltete  Rechts verhältnisse; und die Vorführung von  gesellschaftlichen  Größen fußt unvermeidlicherweise auf Beziehungen, die durch eine äußere Regelung bestehen. Stattdessen hat sich  Marx  davon in anderen Erörterungen direkt abgewandt."
Ich finde, daß der Spott von MARX in diesem Fall sehr wenig "treffend" ist. - Das "Kapital" in der Bedeutung von produzierten Produktionsmitteln ist etwas ganz anderes als "Kapital" im Sinne eines bestimmten Produktionsverhältnisses; kein verständiger Nationalökonom wird leugnen, daß    dem Kapital im ersten Sinne noch "Kapital" im zweiten Sinne zu unterscheiden ist; die Unterscheidung von "Kapital in einem ökonomisch-technischen Sinn" von einem "Kapital als einer historisch-rechtlichen Kategorie" (ADOLF WAGNER) und ähnliche Formulierungen bei anderen Schriftstellern haben längst gezeigt, daß der Doppelbegriff des Kapitals der Nationalökonomie durchaus geläufig ist; aber es ist nicht einzusehen, warum nicht der erste und allgemeinste Kapitalbegriff ein rein technischer sein soll.  Die Nationalökonomie kann sehr wohl Begriffe rein technischer Art anwenden, wenn sie sich nur der engen Grenzen bewußt bleibt, in welchen natürlich derartige Begriffe zu verwenden sind.  Die Grenze ist aber in diesem Fall dadurch gegeben, daß bei der ersten Kapitaldefinition noch gar kein bestimmte volkswirtschaftliches Produktionsverhältnis bezeichnet werden soll, sondern nur ein Name gegeben werden soll für gewisse in jedem Wirtschaftssystem notwendige Mittel zur Herstellung von Gütern. Jede Sozialwirtschaft - wie immer sie  rechtlich  geordnet sein mag - bedarf gewisser elementarer Mittel zu allem wirtschaftlichen Tun. Wenn - rein technisch betrachtet - zu jeder Produktion zwei elementare Faktoren nötig sind, nämlich "Arbeit" und "Naturkräfte", so verläuft doch jede entwickelte Produktion regelmäßig so, daß diese beiden Faktoren zunächst auf die Herstellung eines Zwischenproduktes gerichtet werden, aus dem erst das fertige Endprodukt hervorgeht. Für diese "produzierten Produktionsmittel" hat man die Bezeichnung "Kapital" gewählt. Kapital  in diesem Sinn  gibt es in der kollektivistischen so gut wie in der individualistischen Wirtschaftsweise; es kann sehr lehrreich sein, von diesem technischen Begriff ausgehend zunächst die technischen Wirkungen des Kapitals Begriffe ausgehend zunächst die technischen Wirkungen des Kapitals im Produktionsprozeß etc. zu schildern, bevor man sich  zu ganz anderen Betrachtungen,  nämlich zur Stellung des Kapitals in einer  bestimmten  rechtlich geregelten Wirtschaftsordnung wendet. Das Privateigentum am Kapital ergibt natürlich ganz andere wirtschaftliche Phänomene, als das Kollektiveigentum daran, Kapital im Eigentum eines selbsttätigen Produzenten hat einen ganz anderen Charakter als das des Unternehmers, der Lohnarbeiter beschäftigt etc. Aber warum soll hierfür ein besonderer Name geprägt werden, anstatt einfach den ursprünglich rein technischen Begriff zu übernehmen und die rechtlichen und sonstigen Bedingungen zu schildern, unter welchen man gerade die "produzierten Produktionsmittel" im Hinblick auf ihre Bedeutung für Produktion, Distribution und Konsumtion schildern will? Wer freilich vorgeht, wie BASTIAT und die Frage der Berechtigung des Zinsbezugs in der kapitalistischen Produktionsweise dadurch erledigt, daß er uns einen armen Tischler namens  Jakob  vorführt, der ursprünglich ohne Werkzeuge 300 Tage im Jahr arbeitet und beschließt, 10 Tage davon zur Herstellung eines Hobels zu verwenden, so daß er von  Wilhelm,  dem er den Hobel leiht, außer der Rückgabe des Hobels noch eine Entschädigung verlangen kann, hat die beiden Probleme total verwechselt. Denn wie soll es möglich sein, die Frage der Berechtigung des Zinsbezuges für eine Zeit, wo die Kapitalbesitzer in der Regel Unternehmer sind, die Lohnarbeiter beschäftigen, durch die Vorführung eines gänzlich anderen sozialen Verhältnisses, nämlich eines Handwerkers, der sein Werkzeug selbst anfertigt, lösen zu wollen? -

Aber abgesehen von solchen Verirrungen á la BASTIAT hat die wissenschaftliche Nationalökonomie nicht nötig, sich von MARX den richtigen methodologischen Weg zeigen zu lassen. STAMMLER erkennt selbst an, daß MARXens Erklärung des Kapitalbegriffs nicht die richtige ist, aber er meint doch, daß MARX "der grundsätzlich richtigen Auffassung sehr nahe ist" und daß es "nur noch eines Schrittes bedurft hätte, um zur Klarheit durchzudringen". - Ich glaube, daß MARX sehr weit entfernt ist von der im STAMMLERschen Sinn richtigen Auffassung. Wenn MARX als "Kapital" nur die Produktionsmittel bezeichnet, die sich im Privateigentum eines Unternehmers befinden, der freie Lohnarbeiter beschäftigt - so könnte es scheinen, als ob MARX hier eine "rechtliche Grundlage" im Auge gehabt hätte - daß dies aber nicht der Fall ist, wird klar, wenn man hinzusetzt, daß dies nur gelten soll für die Zeit vom 16. Jahrhundert ab. Das "Kapital" war für MARX nur ein einer  bestimmten historischen Gesellschaftsformation  angehörendes Produktionsverhältnis: erst nachdem eine bestimmte Stufe der  Technik  erreicht war, und gewisse sonstige Kulturverhältnisse geschaffen waren, konnte "Kapital" entstehen. Gerade all die  rechtlichen Voraussetzungen,  auf die STAMMLER das Hauptgewicht legt, sind für MARX keineswegs das Ausschlaggebende: sonst wäre es nicht einzusehen, warum es nicht schon im Altertum "Kapital" hätte geben können, da doch die rechtlichen Voraussetzungen vorhanden waren: Privateigentum an Produktionsmitteln und freie Lohnarbeiter. Daß es letztere in großer Anzahl gab, und daß die Sklaverei gar nicht die dominierende Stellung einnahm, wie öfters angenommen wird, wurde neuerdings von EDUARD MEYER (12) gut nachgewiesen. - MARX erscheint die kapitalistische Produktionsweise als eine historische Entwicklungsstufe und darum prägt er auch seine Begriffe für diese und für diese ausschließlich. Aus systematischen Erwägungen, wie sie STAMMLER anstellt, ist jedenfalls der Spott von MARX gegen die üblichen Kapitaldefinitionen nicht hervorgegangen, sondern sie entspringen seiner geschichtsphilosophischen Auffassungsweise. Gerade bei der scharfen Kritik, die STAMMLER an den geschichtsphilosophischen Theorien von MARX übt, muß seine gelegentliche Zustimmung zu gewissen gegen die bürgerliche Nationalökonomie gerichteten Vorwürfen, die doch im Wesentlichen auf demselben Boden erwachsen sind, auffallen.

Somit ergeben sich zwei Möglichkeiten, wie man sich zum Kapitalbegriff stellen kann: entweder man bleibt bei der bereits öfter eingeschlagenen auch von uns als zweckmäßig erachteten Methode, für die "produzierten Produktionsmittel" das Wort "Kapital" anzuwenden und dann für weitere Untersuchungen zu unterscheiden zwischen Privatkapital, Genossenschaftskapital, Kollektivkapital etc. je nach den Eigentumsverhältnissen, unter denen die produzierten Produktionsmittel betrachtet werden - oder man muß - dem STAMMLERschen Vorschlag folgend - für  jede  wichtige Rechtsform, in der diese produzierten Produktionsmittel vorkommen, einen besonderen Namen wählen: dann wäre Kapital = Produktionsmittel im Privateigentum des Unternehmers, und eine Reihe anderer Beziehungen müßte geprägt werden für die anderen Rechtsformen, was jedenfalls sehr umständlich und lästig wäre. -

Als weiteres Beispiel eines nationalökonomischen Begriffs, der nicht unter der Bedingung einer bestimmten Ordnung steht, ist die "Grundrente" zu erwähnen. Es ist eine rein naturwissenschaftliche Tatsache, daß Böden verschiedener Fruchtbarkeit den gleichen Aufwand an Arbeit und Kapital mit ungleichen Ertrag lohnen: wir nennen  Grundrente  denjenigen Teil des Bodenertrags, der diesen natürlichen Fruchtbarkeitsdifferenzen geschuldet wird; es ist klar, daß es Grundrente in diesem Sinne in allen Rechtssystemen gibt, auf dem Gebiet des  Mir  so gut, wie unter dem Privateigentum an Grund und Boden; sie würde nicht verschwinden nach einer Durchführung der Bodenverstaatlichungspläne von HENRY GEORGE und ebenso nicht beim vollen Agrarkommunismus: was sich ändern würde, wären nur die Rechtssubjekte, an welche die Grundrente fällt. -

Soll irgendein wirtschaftliches Entwicklungsgesetz von Kapitalzins oder Grundrente statuiert werden, so ist es gewiß nötig - wenn auch "Kapital" und "Grundrente" zunächst nur natürlich-technische Kategorien sind, eine bestimmte rechtliche Regelung hinzuzunehmen. Es geht nicht an, derartige sogenannte "wirtschaftliche" Gesetze aus der "wirtschaftlichen Natur" des Menschen oder den "menschlichen Egoismus" ableiten zu wollen. Insoefern hat STAMMLER sehr Recht mit seiner Bemerkung, mit der er die Methodenfrage berührt (Seite 202):
    "Der alte Streit über das Selbstinteresse, über die Bedeutung von Egoismus und Altruismus in der Volkswirtschaft würde sich wohl weniger unfruchtbar zugespitzt haben, wenn man sich immer bewußt vorgehalten hätte, daß es sich nur um eine Anwendung empirischer Motive auf  die konkrete Durchführung bestimmt geregelten Zusammenwirkens  handeln kann, und daß diese letztere das der Nationalökonomie eigentümliche Objekt ihrer wissenschaftlichen Forschungsaufgabe bietet." -
Die Nationalökonomie bedarf in der Tat nicht der Konstruktion eines unempirischen von "Eigennutz" oder von "wirtschaftlichem Interesse" geleiteten Normalmenschen, um auf der Grundlage einer derartigen Abstraktion zu typischen Erscheinungsformen und Entwicklungstendenzen zu kommen: richtiger ist der Ausgangspunkt von gewissen wichtigen Rechtsinstitutionen, durch welche das wirtschaftliche Leben einer rechtlich verbundenen Menschengemeinschaft erst bestimmt wird; auf der Grundlage des Privateigentum an den Produktionsmitteln, der freien Konkurrenz und des freien Lohnvertrags ergeben sich gewisse Gestaltungstendenzen von Arbeitslohn, Grundrente, Zins etc. - Bei der Forschung nach dieser Regelmäßigkeit ist es wiederum unnötig, von einem nur von "Egoismus" oder nur von "wirtschaftlichem Interesse" beherrschten Menschen auszugehen, sondern es kann immer nur Frage des einzelnen Falles sein, ob es gestattet ist, das reine Selbstinteresse für so ausschlaggebend zu halten, daß alles andere ignoriert werden könnte. Es liegt im Wesen der genannten Rechtsinstitutionen, namentlich des Privateigentums, schon begründet, daß das individuelle Interesse, das Streben nach persönlichem Vorteil geweckt werden soll: es sollen die Bedürfnisse der Gesamtheit derart befriedigt werden, daß jeder für sich selbst sorgt: die persönlichen Interessen werden dadurch einem Gemeinschaftszweck dienstbaren gemacht; die nationalen, religiösen, sittlichen und anderen Faktoren des menschlichen Lebens müssen aber bei der Aufstellung sogenannter nationalökonomischer Gesetze mitberücksichtigt werden und zwar nicht im Sinne einer nachträglichen Berehtigung eines wegen der Isolierung des wirtschaftlichen Moments notwendig unempirischen Ergebnisses. Man darf nicht nur das "wirtschaftliche" Handeln, sondern muß auch das leider so häufige "unwirtschaftliche" Gebahren der Menschen in Betracht ziehen, wie es auch nicht gestattet sein darf, von der Voraussetzung auszugehen, daß jedes einzelne Wirtschaftssubjekt bei seinem Handeln alle wirtschaftlich relevanten Tatsachen kennt, sondern auch der Irrtum, die Unkenntnis der Marktlage etc. in die Erwägung mit einbezogen werden muß. Man wird es trotz dieser vorsichtigen Beachtung aller mitbestimmenden Faktoren dennoch selbstverständlich unterlassen können, bei der Feststellung eines Preisgesetzes die Preise eines Wohltätigkeitsbazars in Betracht zu ziehen, oder bei der Forschung nach den Bestimmungsgründen der Höhe des Arbeitslohns eine Unternehmung heranzuziehen, deren Besitzer sein Unternehmen nicht vom Standpunkt der Erzielung eines Gewinns aus betrachtet, sondern vielleicht aus einer ihm ganz eigentümlichen humanen Erwägung seine Fabrik als eine Einrichtung ansieht, die er seinen Arbeitern in Form einer Genossenschaft zu Eigentum übertragen will. - Es verträgt sich sehr wohl mit dem vorhin Gesagten, derartige Fälle aus der Betrachtung auszuscheiden und nur die Hauptmasse der regelmäßigen Vorgänge des wirtschaftlichen Lebens zu beachten. - Mit der Zurückweisung der Methode isolierender Abstraktion aus einem nur von einem bestimmten Trieb (dem "wirtschaftlichen") beherrschten Menschen soll natürlich nicht die Empfehlung nur empirischer Forschung in unserem Fach gemeint sein; die deduktive Forschung soll sich nur des Zusammenhangs des sogenannten wirtschaftlichen Faktors mit den übrigen Faktoren des menschlichen Lebens bewußt bleiben.

Die Mahnung, bei der Erörterung nationalökonomischer Probleme stets die unterliegende Rechtsordnung im Auge zu behalten, gilt auch für die  Wertlehre,  und insofern hat STAMMLER es mit Recht als einen Vorzug der MARXschen Wertlehre bezeichnet, daß hier klar und deutlich das Gebiet, für welches die Wertlehre gelten soll, abgegrenzt ist: nämlich daß es nur Geltung haben soll für eine Gesellschaft mit Warenproduktion. - Es ist klar, daß der "Wert" etwas ganz anderes bedeutet in der Epoche der sogenannten hauswirtschaftlichen Produktion, wo die Herstellung der Güter für den Eigengebrauch des Produzenten die Regelbildet, als in einer verkehrswirtschaftlichen Epoche, wo vorwiegend Güter für andere, d. h. Waren hergestellt werden.

Es muß jedoch hervorgehoben werden, daß MARX durchaus nicht der erste und einzige ist, der eine solche Abgrenzung des Gebietes der Wertlehre vorgenommen hat; dies ist auch seitens der "bürgerlichen" Nationalökonomen mannigfach geschehen. - Aber STAMMLER geht noch weiter und vindiziert auch MARX das Lob, daß "er mit Fug die Frage aufgeworfen hat, ob sich das weite Gebiet sozialwissenschaftlicher Vorgänge nicht in einem einheitlichen Gesichtspunkt erfassen lasse, ob nicht der sich im einzelnen unendlich stets durchkreuzende Verkehr, der unaufhörliche Umsatz von Waren gegen Geld und wieder gegen Waren auf eine  objektive Einheit  zurückgeführt und unter dieser gleichmäßig begriffen werden kann" (Seite 267). Die von MARX mit Recht gewählte  erkenntniskritische  Erwägung ginge dahin:  "unter welchen Bedingungen  eine konkrete Gleichsetzung von Waren  objektiv richtig  ist" (Seite 268). Ausdrücklich wird der Weg, den MARX hier eingeschlagen hat, "klar und sicher" genannt (Seite 268). Allerdings ist STAMMLER weit davon entfernt, das Ergebnis, nämoich das Herausschälen der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit als objektiven Wertmaßstab richtig zu finden; dies läßt er ganz beiseite. Er konstatiert nur von einem sozialphilosophischen Standpunkt wiederholt seine Zustimmung zu MARXens  erkenntniskritischer  Methode, die er in der Wertlehre eingeschlagen hat. - Ich kann MARX auch in der Wertlehre keineswegs als methodologisches Vorbild anerkennen; es dürfte schon deswegen Bedenken unterliegen, MARX in diesem Fall als Muster heranzuziehen, als bekanntlich über Sinn und Bedeutung dieses Wertgesetzes unter den besten Marxkennern selbst Uneinigkeit herrscht - nicht nur, wie STAMMLER selbst in einer Anmerkung (Seite 658) bemerkt, über die praktische Bedeutung des Wertgesetzes, sondern auch über die theoretische Bedeutung desselben. - Mag jedoch manches hier noch nicht aufgehellt sein: jedenfalls scheint die Auffassung, die STAMMLER dem MARXschen Wertgesetz gibt, mit dem ganzen Geist der drei Bände des "Kapital" nicht im Einklang zu stehen; die Untersuchung darüber, welches der  richtige Gesichtspunkt  für die Gleichsetzung der Waren ist, lag MARX fern, wie er auch nicht prüfen wollte, ob sich eine  objektiv begründete  Auffassung in den  Urteilen  der Menschen finden läßt, die den subjektiven Meinungen der Individuen entgegengestellt werden könnte. MARX hatte sich mit seiner Auffassung des Wertgesetztes ein viel realistischeres Ziel gesteckt; der MARXsche "Wert" steht im engsten Zusammenhang mit dem "Preis"; MARX wollten den letzten Bestimmungsgrund für die Preisbildung in der kapitalistischen Produktionsweise feststellen: der "Wert" sollte ihm nicht angeben, was nach einem "objektiv richtigen Urteil" für die Gleichsetzung der Ware entscheidend ist, sondern das, was in der tatsächlichen Gestaltung des wirtschaftlichen Lebens für die Höhe der Preise ausschlaggebend ist. So sehr im einzelnen in MARXens System die Preise vom Wert abweichen, wie STAMMLER auch richtig hervorhebt, für den Durchschnittsmarktpreis soll der "Wert" das in letzter Instanz Bestimmende sein. Durch die Macht der Konkurrenz gezwungen, müßten die Produzenten im großen Durchschnitt die Preise gemäß den "Wert" festsetzen -
    "weil sich in den zufälligen und stets schwankenden Austauschverhältnissen ihrer Produktion die zu deren Produktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit als regelndes Naturgesetzt durchsetzt, wie etwa das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus über dem Kopf zusammenpurzelt." (13)
Ähnlich drückt sich MARX im 3. Band an mehreren Stellen aus: z. B.
    "Der Markt muß daher beständig ausgedehnt werden, so daß seine Zusammenhänge und die sie regelnden Bedingungen immer mehr die Gestalt eines von den Produzenten unabhängigen Naturgesetztes annehmen." (14)

    "Der Preis ist der Wert der Ware im Unterschied vom Gebrauchswert. Preis, der qualitativ verschieden ist vom Wert, ist ein  absurder Widerspruch."  (15) -
Ob der weg, den MARX eingeschlagen hat, "klar und sicher" ist, muß sich danach entscheiden, ob es ihm gelungen ist, an der faktischen Preisbildung die Richtigkeit seines Wertgesetzes nachzuweisen. Dies ist ihm aber meines Erachtens nicht gelungen - wofür gerde der dritte Band, wo die Vorgänge der Preisbildung eingehend geschildert werden, Beweis ist. Man kann sagen, es ist dort ein fortwährender Hinweis auf die Tatsache, daß die Preise sich  abweichend  vom "Wert" bilden; das Wertgesetz muß so viele Ausnahmen, Modifikationen, Einschränkungen erleiden, daß es zur Erklärung der faktischen Preisbewegung gar nicht mehr tauglich erscheint. Neu und eigenartig ist übrigens an der Wertlehre von MARX nur die spezielle Art,  wie  er die Arbeit als Wertmaß auffaßt, wie er abweichend von RICARDO die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit und namentlich die Arbeitskraft als Ware charakterisiert, um dadurch den Mehrwert abzuleiten; sonst ist der methodologische Weg, den MARX beschritten hat, ihm gar nicht eigentümlich, sondern war schon lange vorher von der klassischen Nationalökonomie beschritten worden; es ist eine Methode, die man passend die  objektivistische  bezeichnet hat, weil hier der Versuch gemacht wird, in einer objektiven Größe des Maßstab des Wertes zu finden. Wenn es weder MARX noch RICARDO gelungen ist, hier zu befriedigenden Ergebnissen zu gelangen, so mag doch ein gelinder Zweifel berechtigt sein, ob der Weg der richtige ist und ob nicht die subjektivistische Methode vorzuziehen sei, die im Nutzen, den die Waren den Käufern stiften, das Entscheidende für den "Wert" erblickt. Gerade dem, der den engen Zusammenhang zwischen Rechtsordnung und Wirtschaft im Auge behält, wird es einleuchtend sein, daß unter einem Rechtssystem, das dadurch charakterisiert ist, daß jeder produziert, was er will, und jeder kauft, was er will, in einem Kostenelement der Ware schwerlich der entscheidende Faktor für die Preisbildung liegen kann. -

Ich deutete bereits einmal an, daß der enge Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Recht - wenn auch noch nie so scharf wie jetzt von STAMMLER erklärt - doch stillschweigend von vielen Nationalökonomen bereits bei ihren Untersuchungen vorausgesetzt war. STAMMLER bezweifelt dies gelegentlich auch aus dem Grund, weil sonst die kritische Beurteilung älterer nationalökonomischer Systeme seitens der volkswirtschaftlichen Literaturhistoriker anders hätte ausfallen müssen; er verweist besonders auf die  Merkantilisten,  die eine falsche Beurteilung erfahren hätten, und bemerkt darüber folgendes:
    "Am meisten könnte die stillschweigende Voraussetzung einer bestimmten äußeren Regelung bei der Aufstellung nationalökonomischer Lehren für die älteren Schulen behauptet werden; vor allem für die  Merkantilisten,  die angeblich mangelhaften Theoretiker, deren Grundsätze gemeinhin unverdient unterschätzt und nicht richtig gewürdigt werden. Da sie den Rat gaben und tatkräftig in der Praxis danach zu handeln suchten, daß der Staatsmann möglichst das Geld in das Land hineinzuziehen und darin festzuhalten habe, so hat sich vielfach die Meinung festgesetzt, als ob sie von dem Geld und dem Edelmetall überhaupt eine Art magischer Kraft und mystische Qualitäten erwarten würden. Aber es bedurfte dieser Geringschätzung gar nicht. Ihre Ansicht wird ganz verständlich, sobald man eben voraussetzt, daß man für Geld  unter der bestehenden sozialen Regelung  alles haben kann." -
Ich halte den in diesen Ausführungen liegenden Vorwurf für unbegründet; auch wenn man in aller Schärfe voraussetzt, daß die äußere Regelung zu beachten ist, kann behauptet werden, daß den Merkantilisten - soweit überhaupt bei ihnen von einer Theorie gesprochen werden kann denn in der Hauptsache handelt es sich um Vertreter einer bestimmten praktischen Wirtschaftspolitik - das wahre Wesen des Geldes noch nicht klar geworden war. Nicht dann wird ihre Ansicht verständlich, wenn man voraussetzt, daß für Geld unter der äußeren Regelung alles zu haben ist - sondern dann erst recht wird ihre Auffassung unverständlich: denn wenn alles für Geld zu haben ist, warum sperren sie sich dann dagegen, das Geld für ausländische Waren herzugeben und zwar nicht nur für solche, die auch im Inland produziert werden konnten, sondern auch für Kolonialwaren -; "das kostbare Geld sollte im Land behalten werden -" so lautete die Maxime. Warum die strengen Geldausfuhrverboten, die in der Theorie verlangt, und  in praxi  ausgeführt wurden, wenn man das elementare Verständnis gehabt hätte, daß es gar keine nützlichere Verwendung des Geldes gibt, als es wieder gegen andere Waren auszutauschen? Es war die Ansicht vorherrschend, als ob ein Land gar nicht genug Geld haben könnte. Daß ihnen das Geld vielfach als etwas "Mystisches" erschien, ergibt sich am besten daraus, daß vielfach in der merkantilistischen Literatur direkt empfohlen wird, Gold- und Silberbergwerke mit Verlust zu bauen, da die Edelmetalle etwas besonders Kostbares sind; so sagt JUSTI (16):
    "Man muß die Bergwerke bauen, wenngleich sie wenig oder gar keine Ausbeute hergeben. Man würde diese Grundregel wenig vor Augen haben, wenn man nichts als reichhaltige Erze abbauen und die Hand so gleich vom Bergbau abziehen wollte, wenn die Bergwerke keine Ausbeute hergeben. Ein Staat, der seinen wahren Vorteil versteht, soll Gold- und Silberbergwerke bauen, die keine Ausbeute hergeben,  ja die sogar mit Verlust gebaut werden müssen. - Dieser Verlust ist nichts weniger als ein Verlust in Anbetracht des gesamten Staates. Die darauf verwendeten Kosten bleiben im Land und ernähren eine Menge Menschen. Das Land hingegen wird allemal um so viel reicher, als Gold und Silber mit diesem vermeintlichen Verlust aus der Erde gegraben werden. In Anbetracht der unedlen Metalle und anderer Mineralien muß man zufrieden sein, wenn sich das Werk selbst baut oder nur einen kleinen Gewinn abwirft." -
Diese eine Probe mag genügen; aber man braucht nur irgendeinen merkantilistischen Schriftsteller aufzuschlagen, um derartige elementare Irrtümer in Bezug auf Geld und Reichtum in Menge zu finden.
LITERATUR Karl Diehl, Wirtschaft und Recht, Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik, III. Folge, Bd. 14, Jena 1897
    Anmerkungen
    1) RUDOLF STAMLLER, Professor an der Universität Halle. "Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung". Eine sozialphilosophische Unterschung, Leipzig 1896. Von den inzwischen erschienen Rezensionen, Referaten etc. sei auf folgende hingewiesen: van CALKER, Rudolf Stammlers sozialer Idealismus, Preußische Jahrbücher, Bd. 85, Heft 2 (1896); KELLER, Kritische Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, III. Folge, Bd. 3, Heft 4 (1897); MÜLLER (†), Stammlers Sozialphilosophie, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd. 17, Heft 2 (1896); NATORP, Grundlinien einer Theorie der Willensbildung, im Archiv für systematische Philosophie (1896); OERTMANN, Deutsche Litteraturzeitung vom 10. Oktober 1896; SIMMEL, Zur Methodik der Sozialwissenschaften, in Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung etc. (1896); STAUDINGER, in den Kant-Studien, 1. Heft (1896); STEINITZ, in Brauns Archiv für soziale Gesetzgebung (1896); ZIEGLER, Wirtschaft und Recht, in der "Wahrheit" (hg. von Schreupf) 1896.
    2) a. a. O., Seite 179
    3) a. a. O., Seite 281
    4) KARL RODBERTUS, Das Kapital. Vierter sozialer Brief an von Kirchmann. Berlin 1884. Seite 72.
    5) ADOLF WAGNER, Grundlegung der politischen Ökonomie, Teil II, Seite 250
    6) CARL MENGER, Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften, Leipzig 1883, Seite 163
    7) WILHELM ARNOLD, Kultur und Rechtsleben, Berlin 1865
    8) ARNOLD, a. a. O., Seite 94
    9) ARNOLD, a. a. O., Seite 102
    10) ARNOLD, a. a. O., Seite 114
    11) ARNOLD, a. a. O., Seite 42
    12) EDUART MEYER, Die wirtschaftliche Entwicklung des Altertums; in diesen "Jahrbüchern 1895, Seite 696f.
    13) KARL MARX, Das Kapital, Bd. I, dritte Auflage, Seite 44
    14) MARX, Kapital, Bd. III, Seite 226
    15) MARX, Kapital, Bd. III, Seite 339
    16) JOHANN HEINRICH GOTTLOB von JUSTI; Staatswirtschaft, I. Teil, Leipzig 1758, Seite 246.