ra-2H. H. Gossenvon ZwiedineckR. StolzmannH. OswaltH. Moeller    
 
ROBERT LIEFMANN
Die Entstehung des Preises
aus subjektiven Wertschätzungen

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"Für unser heutiges Wirtschaftsleben mit seiner Ausbildung selbständiger Erwerbswirtschaften können wir mit Sicherheit behaupten, daß mindestens 99% aller wirtschaftlichen Handlungen ausschließlich durch das wirtschaftliche Prinzip, d. h. das Streben nach dem größten Ertrag bestimmt werden. In dieser Voraussetzung ist aber implizit noch etwas anderes enthalten. Indem wir vom homo oeconomicus ausgehen, setzen wir auch voraus, daß dieser seinen größten Vorteil, nach dem er strebt, auch wirklich kennt. Und diese Voraussetzung trifft nun im wirtschaftlichen Leben zweifellos nicht so allgemein zu wie die erste. Es ist aber klar, daß die ökonomische Theorie solche Fälle des Irrtums der Wirtschaftssubjekte über ihre Bedürfnisse und ihren größten Vorteil bei der Befriedigung derselben nicht berücksichtigen kann."

"Man muß die allen bisherigen Theorien gemeinsamen fundamentalen Irrtümer erkennen und vermeiden. Diese sind kurz gesagt folgende: Erstens und vor allem die Verwechslung technischer und wirtschaftlicher Gesichtspunkte,  oder anders ausgedrückt, die materialistische oder quantitative Auffassung des Wirtschaftslebenss, die der tiefste Grund aller Irrtümer der bisherigen ökonomischen Theorie ist."

"Die materialistische Auffassung ist die Verkennung der fundamentalen Tatsache, daß es sich bei tauschwirtschaftlichen Vorgängen nicht um Güter quantitäten, sondern um Wertvorstellungen,  nicht um Produktion, sondern um die Befriedigung von Bedarfsempfindungen handelt, die die ganze heutige Nationalökonomie durchzieht und auf den verschiedensten Gebieten unheilvolle Konsequenzen gehabt hat. Man wird nicht eher zum Verständnis der tauschwirtschaftlichen Organisation gelangen, ehe man diesen materialistischen Ausgangspunkt radikal aufgegeben hat."

"Noch niemand hat an den Ertragsbegriff irgendwelche Folgerungen geknüpft und erst recht ist es niemandem eingefallen, ihn zu einem allgemeinen, ja zum wichtigsten Grundbegriff der ökonomischen Theorie zu machen. Als solcher fungiert regelmäßig der Wertbegriff. Aber wenn man, wie das insbesondere die österreichische Schule tut, Wert und Nutzen unterscheidet, braucht man einen besonderen Wertbegriff gar nicht, dann kann man direkt vom Nutzen ausgehend durch das Mittel des Ertrages, d. h. der Differenz zwischen Nutzen und Kosten, die Preisbildung erklären."


I. Aufgabe und Voraussetzungen
wirtschaftstheoretischer Betrachtung

Die Aufgabe der  Volkswirtschaftstheorie,  wie wir sie auffassen, ist es, ein  vereinfachtes Abbild  des heutigen  tauschwirtschaftlichen Prozesses  zu geben, also zu erklären, wie sich heute,  im Zustand des entwickeltsten Tauschverkehrs die Versorgung des individuellen Bedarfs  vollzieht. Wir betrachten also nur den  heutigen  Zustand der Tauschwirtschaft, denjenige, den wir am besten kennen, den einzigen, den wir wirklich  beobachten  können. Wir denken nicht daran, wie es die bisherige Theorie zumeist tat, allgemeine Sätze aufstellen zu können, welche für  alle  Wirtschaftsepochen zugleich gelten, erkennen vielmehr, daß es  allgemeine,  für  alle  wirtschaftlichen Verhältnisse gültige Wirtschaftsgesetze nicht gibt (1). Dafür brauchen wir aber auch keinerlei künstliche und aus dem Wirtschaftsleben nicht erkennbare Konstruktionen, wie sie für die bisherige Theorie grundlegend sind (z. B. Zurechnungslehre, Verteilungstheorie, Unterscheidung von Statik und Dynamik und dgl.), sondern wir gewinnen unsere Sätze ausschließlich durch  Beobachtung der Wirklichkeit Dabei abstrahieren wir freilich von allem, was nicht zur Erklärung des tauschwirtschaftlichen Prozesses wesentlich ist. Wir führen so das wirtschaftliche Leben auf einige wenige Grunderscheinungen zurück, und indem wir sie als Eck- und Grundstein benützen, bauen wir, jetzt allmählich immer mehr unwesentlichere Erscheinungen hinzunehmend, ein theoretisches und systematisches Abbild der Wirklichkeit auf.

Dabei machen wir nur  eine einzige Voraussetzung. Das ist die, daß jedes Wirtschaftssubjekt nach dem größten Vorteil strebt, seine Bedürfnisse möglichst vollkommen zu befriedigen trachtet.  Wir definieren das gleich näher dahin, daß wir sagen,  jedes Wirtschaftssubjekt sucht einen möglichst großen Überschuß von Nutzen über die Kosten zu erlangen.  Das ist die schärfere Formulierung dessen, was man allgemein als  ökonomisches Prinzip  zu bezeichnen pflegt (2). Dieses ökonomische Prinzip, dieses Streben nach möglichst großem Erfolg mit möglichst geringen Mitteln, nach möglichst großem Genuß mit möglichst wenig Beschwerde, nach möglichstem Überwiegen der Lust- über die Unlustgefühle, oder wie die Psychologie das bezeichnen will -, dieses  ökonomische Prinzip  hat zwar weit über den Kreis der eigentlichen wirtschaftlichen Handlungen Geltung, beherrscht die letzteren aber so unbedingt, daß es davon seinen Namen erhalten hat. Für den Kreis der wirtschaftlichen Handlungen, insbesondere in der entwickelten Tauschwirtschaft, kann man das ökonomische Prinzip schärfer durch die Gegenüberstellung von  Nutzen und Kosten  präzisieren.  Diesen Überschuß des Nutzens über die Kosten nennen wir Gewinn oder Ertrag. Das Ziel alles wirtschaftlichen Handelns ist ein möglichst hoher Nutzen mit möglichst geringen Kosten, also möglichst hoher Gewinn oder Ertrag.  Daß dies das Ziel jedes wirtschaftenden Menschen ist, wird wohl von allen Nationalökonomen anerkannt (3). Zum Beispiel sagt von PHILIPPOVICH gleich auf den ersten Seiten seines Lehrbuches: "Der Mühe- und Güteraufwand, der hingegeben wird, wird mit dem erstrebten Ziel verglichen werden. Man wird nur handeln, wenn man einen Nutzen zu erwarten hat, wenn der Erfolg größer zu sein verspricht als das Opfer" usw.

Ich will aber gar nicht einmal so weit gehen, wie es vielfach geschieht, dieses Streben nach Gewinn als eine auf  allen  Kulturepochen vorhandene Erscheinung anzusehen. Man kann sich meinetwegen auch der insbesondere von SCHMOLLER, dann aber auch von SOMBART, von PHILIPPOVICH (4) u. a. vertretenen Anschauung anschließen, wonach das Streben nach Gewinn etwas für die moderne  Unternehmung  im Gegensatz zum mittelalterlichen Handwerk charakteristisches ist. Der mittelalterliche Handwerker hatte nur seinen  Bedarf  zu decken, sich seine  "Nahrung"  zu verschaffen, aber keinen  Gewinn  erzielen wollen.

Ich teile diese Auffassung zwar nicht, halte sie vielmehr für das Verständnis der wirtschaftlichen Erscheinungen für sehr hinderlich (5), aber wenn man sie beibehalten will, nun gut, dann gelten unsere theoretischen Erörterungen eben nicht für eine Wirtschaftsverfassung wie die mittelalterliche Stadtwirtschaft, sondern nur für die heutige  Volkswirtschaft,  in der wir sie aber auch jeden Moment beobachten können. Zwar werden auch heute noch die Wirtschaftspersonen durch alle möglichen Motive neben dem wirtschaftlichen, dem Streben nach größtem Ertrag, bei ihrer Tätigkeit beeinflußt, aber für unser heutiges Wirtschaftsleben mit seiner Ausbildung selbständiger Erwerbswirtschaften können wir doch mit Sicherheit behaupten, daß mindestens 99% aller wirtschaftlichen Handlungen ausschließlich durch das wirtschaftliche  Prinzip,  d. h. eben das  Streben nach dem größten Ertrag  bestimmt werden. Wir können daher für unsere Zwecke, der Erklärung der tauschwirtschaftlichen Grundphänomene, von allen sonstigen Motiven abstrahieren. Wir betrachten das Verhalten des  homo oeconomicus  im Tauschverkehr.

In dieser Voraussetzung ist aber implizit noch etwas anderes enthalten. Indem wir aber vom  homo oeconomicus  ausgehen, setzen wir auch voraus, daß dieser seinen größten Vorteil, nach dem er strebt,  auch wirklich kennt.  Und  diese  Voraussetzung trifft nun im wirtschaftlichen Leben zweifellos nicht so allgemein zu wie die erste. Es ist aber klar, daß die ökonomische Theorie solche Fälle des Irrtums der Wirtschaftssubjekte über ihre Bedürfnisse und ihren größten Vorteil bei der Befriedigung derselben nicht berücksichtigen kann. Und die Beobachtung des wirtschaftlichen Lebens zeigt wieder, daß wir sie für die  Konstatierung des allgemeinen und Typischen  auch nicht zu berücksichtigen brauchen, da solche Fälle des Irrtums niemals den größten Teil der in der Volkswirtschaft hervortretenden Bedürfnisse betreffen können. Denn da die Bedarfsversorgung im Zustand der Tauschwirtschaft darauf aufgebaut ist, daß die einzelnen Wirtschaftssubjekte mit ihren Bedürfnissen in bestimmter, unten zu schildernden Weise auf dem Markt hervortreten, müßte ja die gesamte Organisation der Bedarfsbefriedigung versagen und zusammenbrechen, wenn der größte Teil der Wirtschafter seinen Vorteil nicht kennen würde.

Noch auf einen Punkt ist aufmerksam zu machen. Was wir erklären wollen ist, wie sich  im Zustand der Tauschwirtschaft  die Bedarfsversorgung der einzelnen Menschen vollzieht. Wir können das aber noch schärfer präzisieren, indem wir, statt vom Zustand der Tauschwirtschaft, vom  Zustand der freien Konkurrenz  sprechen. Diese Abgrenzung unseres Beobachtungsobjekts korrespondiert genau mit unserer Voraussetzung.  Der Zustand der freien Konkurrenz ist eben der wirtschaftliche Zustand, in dem jedes Wirtschaftssubjekt durch das Streben nach dem größten Vorteil geleitet wird.  Dabei ist jedoch ein ziemlich allgemeines Mißverständnis zu beseitigen. Wenn der Zustand der  freien Konkurrenz  unser Beobachtungsobjekt ist, so besagt das nicht, daß wir über  Monopolverhältnisse  und dgl. gar nichts aussagen können. Man könnte sonst unseren Theorien gegenüber einwenden: wenn sie als ein Zustand freier Konkurrenz gelten, haben sie doch heutzutage, wo monopolistische Organisationen eine so große Rolle spielen, nur eine sehr geringe Bedeutung für die Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen. Hier liegt eben, wie gesagt, ein sehr verbreitetes Mißverständnis zugrunde.  Zustand der freien Konkurrenz bedeutet nicht, daß keine Monopolorganisationen bestehen,  sondern es besagt nur, daß  der Zugang zu den einzelnen Erwerbszweigen der freien Konkurrenz offen steht: das Angebot von Waren und Arbeitsleistungen wird hier durch die freie Konkurrenz geregelt.  Es wird allgemein in der nationalökonomischen Literatur zugegeben, daß dieser Zustand heute so gut wie in allen Erwerbszweigen vorhanden ist. Denn es sind nur ganz vereinzelte Gewerbe, in denen der Staat sich selbst oder durch seine Rechtsordnung Privaten ein ausschließliches Recht zur Wirtschaftstätigkeit vorbehält.

Das ist also unsere Voraussetzung für die Untersuchung der tauschwirtschaftlichen Vorgänge:  Streben jedes Wirtschafters nach dem größten wirtschaftlichen Vorteil,  und wir erörtern die Wirkungen dieses Strebens in einem  Zustand freier Konkurrenz.  Beides steht in engster Beziehung zueinander. Denn das Streben nach möglichst großem Gewinn oder Ertrag veranlaßt eben jedes Wirtschaftssubjekt, von der freien Konkurrenz Gebrauch zu machen und sich dem Erwerbszweig zuzuwenden, wo es jenen größten Erfolg zu erzielen erwartet. Und wenn sich auch der einzelne manchmal dabei irrt, so wird doch allgemein zugegeben, daß im Großen und Ganzen die Regelung des Angebots und damit der Bedarfsversorgung nach diesem Prinzip erfolgt.

In welcher Weise das nun aber geschieht, die grundlegenden Vorgänge,  die sich dabei  in den einzelnen Wirtschaften und zwischen ihnen vollziehen,  die sind - so behaupte ich -  bisher noch niemals völlig klar dargelegt worden.  Über die obigen allgemeinen Sätze ist man nicht hinausgekommen. Zu einer systematischen Analyse und Darstellung des tauschwirtschaftlichen Mechanismus auf dieser Grundlage ist man nicht gelangt, und zwar infolge der 4 Grundfehler der bisherigen Theorien, die ich gleich aufzählen werde. Die Hauptgesichtspunkte, auf die es ankommt und die bisher nicht beachtet wurden, hervorzuheben ist der Zweck dieses Aufsatzes. Er knüpft an meine früheren Erörterungen, namentlich in meiner Schrift  "Ertrag und Einkommen an (1). Diejenigen, die ein bißchen selbst mit- und weiterdenkend jene Schrift lesen würden, hätten die hier entwickelten Gedanken selbst finden können. Aber wer denkt und namentlich wer  beobachtet  denn selbständig in der heutigen Theorie? Man begnügt sich damit, die älteren Schriftsteller in einzelnen Punkten zu kritisieren und auszulegen, ohne die allgemeinen Axiome, von denen sie ausgehen, erst einmal zu prüfen. So kommt die RICARDO-, die MARX-Auslegung, der Streit und die Art der Zurechnung, um den Kapitalzins, den Wertbegriff nicht zur Ruhe. Nur vereinzelt sind Fortschritte zu verzeichnen, nicht im geringsten entsprechend dem, was auf anderen Gebieten der Nationalökonomie an Arbeit aufgewendet wird, erst recht nicht entsprechend der Bedeutung, die klare Vorstellungen über die Grundtatsachen des Wirtschaftslebens für jede volkswirtschaftliche Untersuchung überhaupt haben. Man liest und kommentiert die bisherigen Theoretiker zu viel, man beobachtet zu wenig. Zwar hat sich die historische Schule in der Nationalökonomie gerade die Beobachtung des wirtschaftlichen Lebens zum Ziel gesetzt. Aber sie hat es sich nach dieser Richtung hin mit bloßen  Beschreibungen  genügen lassen und die theoretische und systematische Analyse des gesammelten Materials, die eigentliche wissenschaftliche Arbeit, versäumt. Aber auf der von ihr gegebenen Grundlage muß und wird sich ein neuer Aufschwung der ökonomischen  Theorie  entwickeln. Das Verlangen nach einer besseren Grundlegung ist allgemein. Um sie zu schaffen, genügt es aber nicht, wie es die heutige theoretische Literatur tut, an Einzelheiten und Kleinigkeiten der bisherigen Theorien herumzudeuteln, hie und da kleine Abänderungen vorzunehmen und sich um nichtige Spezialfragen und Auslegungen herumzustreiten. Sondern man muß die allen bisherigen Theorien gemeinsamen  fundamentalen Irrtümer  erkennen und vermeiden. Diese aber sind kurz gesagt folgende: Erstens und vor allem die  Verwechslung technischer und wirtschaftlicher Gesichtspunkte,  oder anders ausgedrückt, die  materialistische  oder  quantitative  Auffassung des Wirtschaftslebens, die, wie ich schon in "Ertrag und Einkommen" gezeigt habe und hier und in meinen weiteren Arbeiten immer wieder betonen werde, der tiefste Grund aller Irrtümer der bisherigen ökonomischen Theorie ist. Zweitens, und damit eng zusammenhängend, gewissermaßen die Krone jener Verwechslung: die  Zurechnungslehre  und die ganze sogenannte  "Verteilungstheorie",  drittens, und wiederum damit in engster Verbindung die heutigen  speziellen Einkommenslehren  statt einer  allgemeinen  Ertragstheorie, und schließlich viertens die  Annahme eines künstlich konstruierten Wertbegriffs  als Ausgangspunkt der Theorie statt der Begriffe  Nutzen  und  Kosten  bzw. ihrer Differenz, eben des  Ertrags. 

Solange man den hier angedeuteten Problemen nicht von Grund aus zu Leibe geht und dabei die Gegensätze zwischen den verschiedenen heutigen "Richtungen" und "Schulen" ganz außer acht läßt, weil sie alle miteinander einen falschen, materialistischen Ausgangspunkt haben, solange ist an eine Einigung in der ökonomischen Theorie nicht zu denken. Solange muß es den Anschein haben, als ob es verschiedene Möglichkeiten der theoretischen Erfassung der wirtschaftlichen Vorgänge gibt. Das ist aber ein Irrtum. Es gibt nur  eine  Theorie der tauschwirtschaftlichen Erscheinungen, die uns wirklich das volle Verständnis der volkswirtschaftlichen Organisation erschließt. Zu ihrem Aufbau glaube ich im folgenden einen Grundstein zu liefern, in dem ich das Zentralproblem der volkswirtschaftlichen Theorie, die  Entstehung des Preises,  von neuen, von den bisherigen Theorien ganz abweichenden Grundgedanken aus erörtere.

Dieser Aufsatz enthält die theoretischen Grundlagen einer größeren Arbeit, die ich unter dem Titel  "Die Theorie des Volkswohlstandes"  in nicht zu ferner Zeit zu veröffentlichen hoffe, in der sie dann eine weitere Anwendung zur Erklärung verschiedener Probleme des Wirtschaftslebens finden werden (7). Manche dieser Grundgedanken sind schon in meiner vor 5 Jahren erschienen Schrift "Ertrag und Einkommen etc." enthalten. Während ich dort aber den Fundamentalbegriff meiner Theorie, den allgemeinen Begriff des  Ertrags  in den Vordergrund stellte, wird hier, weitergehend,  dieser Begriff zur Erklärung des wichtigsten ökonomischen Problems, der Entstehung des Preises, verwendet. 

Der Zweck und Inhalt jener kleinen Schrift ist, wie aus den Rezensionen deutlich genug hervorgeht, zumeist gar nicht verstanden worden, weil niemand sich die Mühe machte, die dort entwickelten Gedanken einmal selbständig und losgelöst von den bisherigen Schulmeinungen zu durchdenken. Daß die Aufstellung eines allgemeinen Ertragsbegriffs als der Differenz zwischen Nutzen und Kosten und seine Benützung zur Erklärung der tauschwirtschaftlichen Erscheinungen anstelle des heute üblichen Wertbegriffs den Kernpunkt jener Schrift bildet, ist trotz ihres Titels und ihres, wie ich meine, nicht schwer verständlichen Inhalts nirgends erkannt worden. Manche, die es angeht, haben auch offenbar die Schrift totzuschweigen versucht und sich damit am bequemsten über die in ihr erhobenen Angriffe und aufgerollten Probleme hinweggesetzt (7a).

Angesichts dieser Verhältnisse wird man es mir vielleicht nicht verübeln, wenn ich nachdrücklicher, als ich es sonst für nötig gehalten habe, die wesentlichen Gesichtspunkte unterstreiche, energischer als bisher gerade von mir besonders verehrte Theoretiker und Verfasser von Lehrbüchern kritisiere und gewissermaßen herausfordere (8), und schließlich auch schärfer als es mir selbst erwünscht ist, die Neuheit meiner Gedanken und ihren Unterschied gegenüber den bisherigen Theorien betone.


II. Die bisherige Auffassung des Preisbegriffs

Wenn es Aufgabe der Wirtschaftstheorie im allgemeinen ist, darzulegen, wie sich in der Tauschwirtschaft die Versorgung des individuellen Bedarfs vollzieht, wie also der ganze tauschwirtschaftliche Prozeß organisiert ist, so unterliegt es keinem Zweifel, daß die  Erklärung der Preisbildung  als das Zentralproblem der Wirtschaftstheorie anzusehen ist. Es wird dann auch von allen Schriftstellern anerkannt, daß die Lehre vom Preis im Mittelpunkt der Wirtschaftstheorie steht. Aber vielleicht bei keinem der wirtschaftlichen Grundbegriffe ist der trostlose Zustand der heutigen Theorie leichter zu zeigen als bei der Lehre von der Preisbildung. Und zwar liegt auch hier, wie bei fast allen ökonomischen Theorien, der Hauptfehler schon in den  Voraussetzungen.  Ich habe noch keine Schrift der ökonomischen Theorie gelesen, in der ich nicht gleich auf den ersten Seiten, wo die Voraussetzungen und die Grundlagen erörtert werden, einen Widerspruch erheben mußte und dem Verfasser nicht weiter folgen konnte. So auch bei der Preistheorie. Gleich  die übliche Definition des Preises,  die sich überall findet,  ist falsch,  und der ihr zugrunde liegende Irrtum ist charakteristisch für zahllose auf derselben Grundlage beruhende Irrtümer der bisherigen ökonomischen Theorie.

"Der Preis ist die Menge von Gütern, die man im Tauschverkehr für ein Gut erhält."  So definieren seit den Zeiten HERMANNs alle neueren Schriftsteller, wie WAGNER, MENGER, ZUCKERKANDL, von PHILIPPOVICH, von BÖHM-BAWERK, LEXIS, DIEHL, von SCHMOLLER, CONRAD, von ZWIEDINECK, KLEINWÄCHTER und fast alle ausländischen Autoren. So bezeichnet es noch DIEHL in der Festgabe für SCHMOLLER (9) als zu den "gemeinsamen Gesichtspunkten" in der Wert- und Preislehre gehörend, als allgemein anerkannte Voraussetzung, daß "der Preis eine Realität ist, er ist  die Gütermenge, die als Gegenleistung für die Hingabe eines Gutes festgesetzt wird."  Und auch von ZWIEDINECK meint zwar:
    "Im Einzelnen scheint mir die Frage, ob der Begriff des Preises richtig und gleichmäßig sowohl von Seiten der Subjektivisten wie der Objektivisten erfaßt und nach Inhalt wie Umfang einheitlich verstanden sein mag, weitaus nicht gründlich genug untersucht sein" (10),
tut aber selbst nichts zur Erfüllung dieser Aufgabe, und daher leistet seine Arbeit auch nichts zur Erkenntnis der  Hauptprinzipien  der Preisbildung, während im 2. Teil derselben einige "theoretisch vernachlässigte Preisbestimmungsgründe" sekundärer Natur beigebracht werden. Es ist auch klar:  man kann den Preis nicht definieren, bevor man die Hauptprinzipien seiner Entstehung erkannt hat.  Gerade daran aber fehlt es bisher und daher sind sämtliche Definitionen des Preises unbrauchbar. Das gilt in ganz der gleichen Weises von den Definitionen der "Objektivisten" wie der sogenannten "Subjektivisten". Denn die Zugehörigen beider Richtungen sind  "Materialisten",  Anhänger der heutigen materialistischen Auffassung der wirtschaftlichen Erscheinungen, auf die, wie ich schon mehrfach betont habe, all die grundlegenden Irrtümer der bisherigen Theorie zurückgehen.

Der Preis ist kein  "Güterquantum"  (von Böhm-Bawerk) (11). Diese Auffassung ist ebenso falsch, wie die, daß 15 Pfd. eine bestimmte Menge von Gegenständen ist. Sondern Preis ist wie Gewicht oder Länge ein  Maß begriff. Der Preis ist aber auch nicht "das Maß oder der Grad, in dem für ein Ding andere eingetauscht oder einzutauschen sind" (Neumann). Denn die darin zum Ausdruck kommende Vorstellung, als ob beim Preis ein Gut gegen das andere getauscht wird, ist ebenfalls falsch. Es ist sinnlos und eben ein Grundfehler der üblichen materialistischen Richtung, beim Naturaltausch das eine Gut als den Preis des anderen zu bezeichnen. Das führt eben zu der üblichen quantitativen Auffassung. Das Charakteristische ist gerade, daß hier ein Austausch  ohne  Preis stattfindet. Der Preis aber ist ein  Maßbegriff  und Messen ist  Vergleichen.  So setzt der Preis wie Gewicht oder Länge  einen allgemeinen Maßstab  voraus. Dieser ist das  Geld Den Preis aber als  "Maßstab für den Tauschwert"  zu bezeichnen ist irreführend und heißt nur einen unklaren Begriff durch einen noch unklareren zu ersetzen. Denn der Begriff des Tauschwertes, der bei den meisten heutigen Schriftstellern verschiedener Richtung (Lexis, von Böhm-Bawerk) (12) eine große Rolle spielt, von manchen auch mit dem Preis identifiziert wird, hat in der ökonomischen Theorie ebenso großes Unheil angerichtet wie die materialistische Auffassung des Preises. Es gibt gar keinen Tauschwert als wirklich subjektiven, d. h. irgendwie mit dem  Nutzen  zusammenhängenden Wert. Es gibt keine einem Gut inhärente "Fähigkeit, ein Quantum anderer Güter zu erlangen" (siehe letzte Anmerkung). Und ich möchte hier schon betonen, was ich bitte vor allem im Auge zu behalten -  unsere Theorie braucht den Wertbegriff in irgendeiner Form,  der bei den bisherigen Lehren, insbesondere auch der Österreicher, den Grundbegriff bildet,  überhaupt nicht, sie erklärt alle tauschwirtschaftlichen Erscheinungen und daher auch die Preisbildung nur mit den beiden Fundamentalbegriffen "Nutzen" und "Kosten" bzw. ihrer Differenz, dem Ertrag. (13) Der Preis eines Gutes ist aber, wie ich schon in "Ertrag und Einkommen" auseinandergesetzt habe, niemals ein Ausdruck eines subjektiven, d. h. mit dem individuellen Nutzen zusammenhängenden sogenannten Wertes.  Das wäre sehr einfach, wenn der Preis allein durch den Nutzen bestimmt würde. Er muß aber andererseits zweifellos eine Funktion von Nutzen und Kosten oder der Differenz beider, des Ertrags sein.  Ganz unbestimmt können wir hier einstweilen sagen, daß er eine  Komponente, eine Funktion verschiedener Nutzen- und Kostenschätzungen sein muß, gemessen an einem gemeinsamen Maßstab, dem Geld.  Jedoch ist dies natürlich keine wirklich das Wesen des Preises erklärende Definition. Eine solche zu geben dürfte bei der Kompliziertheit des Phänomens eine der schwierigsten Aufgaben der Theorie sein, wovon die bisherigen materialistischen Definitionen, die man geradezu als naiv bezeichnen kann, überhaupt nichts ahnen lassen. Jedenfalls ist sie erst möglich, nachdem wir über die Entstehung des Preises ins Klare gekommen sind, und wir wollen unten eine Preisdefinition zu geben versuchen. Das aber können wir hier schon auf das Entscheidenste betonen - wiederum im Gegensatz zur bisherigen Auffassung:  Es gibt keinen Preis ohne ein allgemeines Tauschmittel, ohne Geld.  Danach kann man schon ermessen, was den üblichen Preistheorien, die den Preis ohne den Geldbegriff erklären zu können meinen, zu halten ist.

Wie aber kam man zu dem Fundamentalirrtum, unter Preis eine bestimmte  Menge von Gütern  zu verstehen und ganz zu verkennen, daß es sich um eine Funktion von Schätzungen handelt, die in einem allgemeinen Schätzungsmaßstab objektiviert sind? Das wird einem besonders klar, wenn man dasjenige Buch zur Hand nimmt, von dem man behaupten kann, daß es alle Grundirrtümer der bisherigen Theorie ins Extrem getrieben hat: SCHUMPETERs "Wesen und Inhalt der theoretischen Nationalökonomie" (14). Dieser Autor spricht mit dankenswerter Klarheit die Ansicht aus, daß überhaupt die Aufgabe der ökonomischen Theorie darin besteht,  "die Veränderungen in den Güterquantitäten  festzustellen, welche im nächsten Augenblick vor sich gehen werden" (Seite 28). Jedes Wirtschaftssubjekt befindet sich bei ihm in einem gegebenen Augenblick im Besitz bestimmter Quantitäten bestimmter Güter. Aufgabe der Theorie sei es festzustellen, was eintritt, wenn sich bei einem Wirtschaftssubjekt die Menge der Güter verändert! (15). Ich kann die weiteren Ausführungen, die der Verfasser an diese, das ganze Wesen der Wirtschaft verkennenden Anschauungen knüpft, die Annahme eines "eindeutig bestimmten Systems independenter Güterquantitäten", die auch ganz mechanisch-materiell aufgefaßte Lehre vom Gleichgewichtszustand usw., hier übergehen. Infolge des falschen Ausgangspunktes bedeuten alle weiteren Erörterungen des Buches trotz des Scharfsinnes und der Konsequenz des Verfassers (16) nicht den geringsten Fortschritt im Verständnis der tauschwirtschaftlichen Organisation. Ich kann im Gegenteil nicht scharf genug betonen, wie dieser Fundamentalirrtum einer quantitativen oder materialistischen Auffassung das wirkliche Verständnis der wirtschaftlichen Vorgänge hindert. Der Besitz bestimmter Güterquantitäten ist eben nicht  Ausgangspunkt  der ökonomischen Theorie, sondern es ist gerade ihre Aufgabe zu erklären,  wie das Wirtschaftssubjekt beim Tausch zu einem solchen Besitz kommt,  nur handelt es sich nicht um Güter quantitäten  und ihren Besitz, sondern um den  Grad der Bedarfsbefriedigung.  Das erscheint so selbstverständlich und bekannt, daß man sich fast scheut, es nochmals auszusprechen; aber man sieht, daß es den nationalökonomischen Theoretikern ein Leichtes ist, die bekanntesten und simpelsten Grundwahrheiten ökonomischer Betrachtung alsbald zugunsten irgendeiner eingelebten theoretischen Konstruktion über Bord zu werfen. Das macht: Keiner beobachtet selbst, alle arbeiten nur am überlieferten Begriffsmaterial herum, ohne zu erkennen, daß die Fundamente wackelig sind.

Es wäre geradezu unbegreiflich, wie man dazu kommen konnte, die Preisbildung und darüber hinaus die ganze ökonomische Theorie als die Frage des Verhältnisses der Güter quantitäten  anzusehen, wenn man nicht feststellen könnte, daß diese Auffassung nur den Höhepunkt von Begriffsverwirrungen darstellt, welche  die ganze bisherige Nationalökonomie  durchziehen, nämlich die Folge der Verwechslung  wirtschaftlicher und technischer oder quantitativer  Verhältnisse überhaupt ganz allgemein die Vorstellung, daß man die Untersuchung wirtschaftlicher Erscheinungen nur auf den Bedarf an  materiellen  Gütern beschränken kann (17). Charakteristisch für die Unklarheiten, die in dieser Hinsicht noch herrschen, ist z. B. PHILIPPOVICH, dessen Lehrbuch als das einzige vollendete systematische Werk in deutscher Sprache immer zuerst zitiert werden muß, zumal es als hauptsächlich eklektische aus den Anschauungen der verschiedenen Richtungen immer noch das plausibelste herauszunehmen versteht. Auf der einen Seite "sieht er die Aufgabe der wissenschaftlichen Betrachtung noch nicht als erfüllt an, wenn die Veränderungen beobachtet sind, die sich in den Güterquantitäen unter dem Einfluß bestimmter Tatsachen vollziehen" (18), wendet sich hier also gegen SCHUMPETER u. a. Aber er tut das nicht, weil er eine derartige Betrachtung nicht als wirtschaftlich anerkennt, weil er bemerkt, daß das eine ein rein technische, materielle Auffassung ist, sondern nur weil er mit dieser materialistischen Betrachtung auch Werturteile verbinden möchte. Denn auf der anderen Seite steht er auf genau demselben materialistischen Standpunkt, sagt z. B. auf der ersten Seite seines Lehrbuches: "Der Begriff der Wirtschaft umfaßt daher alle jene Vorgänge und Einrichtungen, welche auf die dauernde Versorgung des Menschen mit Sachgütern gerichtet sind" (Seite 1) und ein paar Seiten später meint er, "daß das Ziel der Wirtschaft die  "Produktion  mit den geringsten Kosten zum Zweck des größten Ertrags und Einkommens" ist ! (Seite 8) (19). Wie kann man als das Ziel der Wirtschaft die  Produktion  bezeichnen, wie kann man die wirtschaftliche Untersuchung auf die Betrachtung der materiellen Güter beschränken? Veranlaßt denn mein Bedürfnis nach einem Konzert, einem Vortrag, einer Theatervorstellung, einer Erholungsreise mich nicht ebenso zu wirtschaftlichen Handlungen wie das nach Essen und Kleidung? Nehme ich auf derartige Bedürfnisse in meinem Wirtschaftsplan nicht ebenso Rücksicht wie auf meine materiellen? Und veranlaßt nicht umgekehrt mein Bedürfnis, eine Fahrt mit der Trambahn zu machen, eine Theatervorstellung zu besuchen und dgl. ebensogut  andere  Personen zu wirtschaftlicher Tätigkeit wie mein Bedürfnis nach Brot und Fleisch? Auch LEXIS - um nur die neuesten Schriftsteller zu nennen - faßt z. B. das Problem der "Verteilung" rein materialistisch.
    "Die der Volkswirtschaftslehre gestellte Aufgabe ist die Frage: Wie kommt bei einer gegebenen Gesellschaftsordnung die Güterproduktion (!) als ein gesellschaftlicher Vorgang zustande, und wie erhalten die in verschiedener Art an ihr beteiligten Einzelnen aus diesem gesellschaftlichen Prozeß ihren  Anteil  an den erzeugten Gütern (!)?" (20)
Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, daß diese materialistische Auffassung, die Verkennung der fundamentalen Tatsache, daß es sich bei tauschwirtschaftlichen Vorgängen nicht um Güter quantitäten,  sondern um  Wertvorstellungen,  nicht um  Produktion,  sondern um die  Befriedigung von Bedarfsempfindungen  handelt, die die ganze heutige Nationalökonomie durchzieht und auf den verschiedensten Gebieten unheilvolle Konsequenzen gehabt hat. Man wird nicht eher zum Verständnis der tauschwirtschaftlichen Organisation gelangen, ehe man diesen materialistischen Ausgangspunkt radikal aufgegeben hat.

Nicht die Veränderung in den Güterquantitäten festzustellen ist die Aufgabe der ökonomischen Theorie, sondern man kann sie so formulieren:  Aufgabe der ökonomischen Theorie ist darzulegen, wie aus subjektiven Bedarfsempfindungen ein objektiver Preis entsteht.  Die  Entstehung des Preises  ist in der Tat das Zentralproblem der ökonomischen Theorie, aber wenn man das Preisproblem so materiell faßt wie die bisherige Theorie, ist man von der Lösung dieser Aufgabe himmelweit entfernt (21).

Ich behaupte nun,  daß es bisher niemand gelungen ist, zu zeigen,  wie aus subjektiven Bedarfsempfindungen - man kann auch wohl ohne mißverstanden zu werden sagen:  Wertschätzungen - der objektive Preis entsteht.  Man könnte alle Nationalökonomen der Welt zusammenrufen und ihnen die Frage nach der Entstehung des Preises vorlegen, keiner würde sie so beantworten, wie dies auf den folgenden Blättern geschieht. Trotzdem werden aber jedem, der die folgenden Ausführungen gelesen hat, sie so selbstverständlich vorkommen, daß er vielleicht meint, sie seien gar nicht neu. Deshalb bitte ich jeden, sich vor der Lektüre einmal darüber Rechenschaft abzugeben, wie er die Preisbildung erklärt, und ich will in einem späteren Kapitel die Preislehren der heutigen Hauptvertreter der Theorie vorführen und von meinem Standpunkt aus kritisieren. Das ist nicht schwer, denn die heutigen Preistheorien sind so unvollkommen, daß die meisten von ihnen überhaupt das, was erklärt werden soll: z. B. die Größe des Angebots oder der Nachfrage, schon als gegeben in ihre Erklärung hineinnehmen.

Positiv möchte ich hier schon betonen, daß  die Ableitung der Preisbildung aus subjektiven Bedarfsempfindungen nur möglich ist mittels des Begriffes des Ertrages,  und in der Einführung eines allgemeinen Ertragsbegriffs anstelle der bisher immer unterschiedenen  speziellen "Einkommensarten",  sowie in der konsequenten Anwendung dieses Ertragsbegriffs für die Erklärung der wirtschaftlichen Grunderscheinungen besteht das Neue, das ich in meiner Schrift "Ertrag und Einkommen" zu bieten versucht habe. Dieser Begriff des Ertrages spielt nun in der Einleitung der ökonomischen Lehrbücher schon eine gewisse Rolle. Meist wird erkannt, daß das einzelne Wirtschaftssubjekt nach größtem Ertrag oder Gewinn strebt, und dabei beginnt dann gewöhnlich auch schon die erwähnte Verwechslung von Produkten und Wert der Produkte, die man beide als Ertrag bezeichnet. Aber noch niemand hat an diesen Ertragsbegriff irgendwelche Folgerungen geknüpft und erst recht ist es niemandem eingefallen, ihn zu einem  allgemeinen,  ja zum  wichtigsten Grundbegriff der ökonomischen Theorie  zu machen. Als solcher fungiert regelmäßig der  Wertbegriff.  Aber wenn man, im Gegensatz zur österreichischen Schule, Wert und Nutzen  nicht  unterscheidet,  braucht man einen besonderen Wertbegriff gar nicht,  dann kann man  direkt vom Nutzen ausgehend durch das Mittel des Ertrages, d. h. der Differenz zwischen Nutzen und Kosten, die Preisbildung erklären.  (22) Diesen Weg wollen wir im folgenden einschlagen.


III. Kritik der Grenznutzen- und Grenzwertlehre

Wenn es das Hauptproblem der ökonomischen Theorie ist zu zeigen, wie aus den  subjektiven Bedarfsempfindungen  ein sogenannter objektiver Tauschwert, ein  Preis  entsteht, so ergibt sich schon rein logisch, daß wir nicht "die Veränderungen in den Güterquantitäten" betrachten dürfen, sondern eben von jenen  Bedarfsempfindungen  ausgehen müssen.  Diesen Ausgangspunkt richtig erkannt zu haben, ist das unbestreitbare Verdienst von Hermann Heinrich Gossen, Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs, 1854.  (23) GOSSEN geht aus von den individuellen Bedürfnissen oder, wie er es nennt, Genüssen, und stellt an die Spitze den Satz:  "Der Mensch wünscht sein Leben zu genießen und setzt seinen Lebenszweck darein, seinen Lebensgenuß auf die möglichste Höhe zu steigern." (Seite 1) Ob dies für alle menschlichen Handlungen gilt, können wir ganz dahin gestellt sein lassen; jedenfalls gilt es für die Tätigkeiten, die wir als  wirtschaftliche  bezeichnen: das Wirtschaftssubjekt strebt nach möglichst vollkommener Bedarfsbefriedigung.

Für die Art nun, wie der wirtschaftliche Mensch dieses Streben am besten befriedigt, hat GOSSEN die 2 Sätze aufgestellt, die die Hauptgrundlage der ökonomischen Theorie bilden:  "Die Größe ein und desselben Genusses nimmt, wenn wir mit der Bereitung des Genusses ununterbrochen fortfahren, fortwährend ab, bis zuletzt Sättigung eintritt." (Seite 4)  Erstes Gossensches Gesetz oder Gesetz der Bedürfnissättigung. 

Aus diesem Gesetz leitet GOSSEN nun den Satz ab, der der wichtigste der ökonomischen Theorie überhaupt und den  klar  aufgestellt zu haben sein größtes Verdienst ist. Er drückt ihn folgendermaßen aus:  "Der Mensch, dem die Wahl zwischen mehreren Genüssen freisteht, dessen Zeit aber nicht ausreicht, sich alle vollauf zu verschaffen, muß, wie verschieden auch die absolute Größe der einzelnen Genüsse sein mag, um die Summe seines Genusses zum Größten zu bringen, bevor er auch nur den größten sich voll verschafft, sie alle teilweise verschaffen und zwar in einem solchen Verhältnis, daß die Größe eines jeden Genusses in dem Augenblick, in welchem seine Verschaffung abgebrochen wird, bei allen noch die gleiche bleibt."  (Seite 12) Man macht sich diesen etwas umständlich ausgedrückten Satz am besten an einem Beispiel klar, indem man verschiedene Genüsse oder Bedürfnisse  A B C  und mehrere Wiederholungen ihrer Befriedigung annimmt.


Zunächst nimmt, nach dem ersten Satz, die Größe eines jeden der 3 Genüsse bei der Wiederholung ab. Hat nun der Mensch nur Zeit, sich 4 Genußeinheiten zu verschaffen, so muß er die Bereitung des stärksten,  A,  beim dritten Mal abbrechen, weil anstelle einer weiteren Befriedigung desselben Genusses ein anderer,  B,  an Stärke überwiegt. Man kann dieses Gesetz mit LEXIS das  zweite Gossensche Gesetz  nennen. Besser drückt man seinen Inhalt aus durch die Bezeichnung:  Gesetz des Ausgleichs der Grenznutzen

Hierbei ist aber Grenz nutzen  im eigentlichen und daher in einem  anderen Sinn gebraucht als bei der österreichischen sogenannten Grenznutzenlehre.  Denn diese Lehre ist - ich bitte dies scharf im Auge zu behalten - keine Grenz nutzen-  sondern eine  Grenzwertlehre.  Unterscheidet man aber, wie es die österreichische Schule mit Recht tut (24), Nutzen und Wert, indem man unter Nutzen nur den absoluten Genuß versteht, so gilt das Gesetz der Bedarfssättigung  nur für den Nutzen. (25) Aber man darf dieses  Gesetz des abnehmenden Nutzens  nicht übersehen, wie es die österreichische Schule tut. Sie macht hier ihren ersten Fehler,  indem sie eben nicht den absoluten Nutzen, sondern den Wert, d. h. die Abhängigkeit von einem Gut infolge beschränkter Verfügbarkeit betrachtet.  Nach ihr bemißt sich  der Wert jeder einzelnen Teilquantität nach dem Wert der letzten Teilquantität.  Zur Begründung pflegt man darauf hinzuweisen, daß von beliebig vorhandenen Gütern (fließendes Wasser) die ganze Quantität für uns keinen Wert hat. Diese "Grenz-wert lehre" ist  ein Abgehen vom Problem der Erklärung der wirtschaftlichen Vorgänge aus rein subjektiven Bedarfsempfindungen.  Sie ist jedoch  ansich nicht falsch.  Ich kann ebenso gut sagen: Wenn ich mehrere Äpfel habe, schätze ich den ersten, den ich verzehre, am höchsten, den zweiten schon geringer usw.: Abnehmender Nutzen bei zunehmender Bedarfsbefriedigung. Also kann ich auch sagen: Von einer gegebenen Menge Äpfel schätze ich den ersten, den ich esse, am geringsten; denn ich habe noch so viele andere zur Verfügung, und wenn ich unbeschränkt viele habe, schätze ich den ersten und alle folgenden gar nicht.  Aber das ist dann keine Nutzen- sondern eine Kostenschätzung. Ich fasse die Äpfel hier als Kostengüter auf. Der einzelne Apfel ist das Opfer, das ich bringe,  um mir einen Genuß zu verschaffen,  und erst diesen Genuß bewerte ich bei jeder Wiederholung geringer.  Ich schätze und vergleiche dann  nicht die Güter,  sondern  ich schätze und vergleiche den Genuß als solchen,  den  Dienst  (26), den sie mir leisten.

Die österreichische Lehre, wonach sich der Wert eines Gutes nach dem Wert der letzten Teilquantität bemißt, sollte daher statt Grenznutzenlehre Grenzkostenlehre oder Grenzwertlehre heißen. In der Tat kann man alle Güter, auch die Genußgüter, als Kostengüter auffassen.  Die österreichische Grenzwertlehre ist also ansich nicht falsch. Daß man aber die hier vorliegende Verschiedenheit der Auffassung nicht erkannte, hat die meisten Kontroversen über den Wert verschuldet.  Für die Kostengüter gilt in der Tat der erwähnte Satz, daß der Wert (bzw. Preis) der einzelnen Teilquantität sich nach dem der letzten Teilquantität richtet. Aber man muß eben bei der ökonomischen Theorie zunächst von den Bedarfsempfindungen, vom "Genuß" ausgehen und hier gilt unter allen Umständen das Gesetz der allmählichen Bedarfssättigung.  Da die  wirtschaftliche Tätigkeit nicht im Akt des Konsums selbst besteht,  so sind für sie Kostengüter nur die, die bei der  wirtschaftlichen  Tätigkeit, bei der  Beschaffung  von Genußgütern aufgewendet werden. Jedenfalls darf man - und das ist der Fehler der sogenannten Kostentheorien, wozu also auch die österreichische gehört - über jene Bestimmung des Güter wertes  nach den Grenzkosten nicht vergessen,  daß sie nicht mit dem Nutzen der Güter identisch ist. Auf diesen,  als den Ausgangspunkt für alles wirtschaftliche Handeln,  kommt  es aber an. Übersieht man das, so kommt man zu dem Standpunkt, daß der Wert und Preis der Güter überhaupt durch ihre Kosten bestimmt wird, und man verkennt, daß der Zweck der Wirtschaft gerade die Erzielung eines  Ertrages,  einer möglichst großen  Differenz zwischen Nutzen und Kosten  ist. Daher kommt es dann auch, daß die bisherigen Theorien den Begriff des  Ertrages  ganz vernachlässigen, und daher wieder, daß sie zu keiner richtigen Erklärung der Entstehung des Preises kommen, die ohne den Ertragsbegriff nicht möglich ist.

Für die österreichische Grenzwerttheorie ist charakteristisch, daß sie zwar den  Grenz gedanken sowohl für die Wert- als auch für die Preisbestimmung verwendet, daß sie aber den noch wichtigeren  Ausgleichsgedanken,  also den  zweiten Gossenschen Satz  nicht kennt. Gerade auf letzterem aber in Verbindung mit dem Grenzgedanken und  beide angewendet auf den Ertragsbegriff  beruth die Erklärung des Preises.

Soweit ich sehe, ist nur SCHUMPETER dem Ausgleichsgedanken einigermaßen nähergekommen, der aber wieder auf WALRAS und CLARK fußt und den eigentlichen Urheber GOSSEN mit keinem Wort erwähnt. Er macht aber hier wieder den ungeheuren Fehler, diese "psychologische Theorie" auf seine materielle, quantitative Auffassung anzuwenden. Er glaubt allen Ernstes, diese rein psychischen Vorgänge, die das  Gossensche Gesetz  ausdrückt, auf die  Verhältnisse zwischen den Gütermengen  übertragen zu können (!). Er spricht wie WALRAS und CLARK von einem  "Gleichgewichtszustand der Gütermengen" (!), der erreicht werden soll, wenn das Gesetz des Ausgleichs der Grenznutzen gewahrt ist. "Der Punkt, in dem der Erwerb jedes Gutes für jedes Wirtschaftssubjekt aufhört, ist für uns von fundamentaler Bedeutung" sagt SCHUMPETER mit Recht, fügt aber als Begründung hinzu: "In der Lage aller dieser Punkte drückt sich die Beziehung zwischen der Menge der von einem Wirtschaftssubjekt erworbenen Güter und ein bestimmtes Verhältnis zwischen denselben aus" (Seite 129). Der Ausdruck  Gleichgewichtszustand der Gütermengen  statt Ausgleichstendenz der Erträge ist schon charakteristisch für den fundamentalen Unterschied zwischen seinen und unseren Theorien. Der Glaube, durch eine bloße Feststellung der Quantitätsveränderungen bei den Gütern wirtschaftliche Erscheinungen erklären zu können, ist eine derartig krasse Verkennung des Wesens allen wirtschaftlichen Handelns, daß mir ganz unverständlich ist, wie jemand, der nur einigermaßen das wirtschaftliche Leben beobachtet, darauf seine ganze ökonomische Theorie aufbauen kann (27). Der Hauptfehler SCHUMPETERs ist aber nicht so sehr diese Materialisierung von GOSSENs  Gesetz  als, wie bei allen bisherigen Theorien, die Verkennung der fundamentalen Bedeutung des Ertragsbegriffs.

Hier liegt nun auch, wie ich schon in dem ihm gewidmeten Aufsatz auseinandergesetzt habe, der  Fehler Gossens. Sein Gesetz des Ausgleichs der Grenznutzen  ist, obwohl ansich nicht falsch, doch  nicht geeignet, die wirtschaftlichen Erscheinungen zu erklären, sondern bedarf dazu einer ganz wesentlichen Umgestaltung.  Diese vorzunehmen war einer der Hauptpunkte meiner Schrift "Ertrag und Einkommen", was aber wiederum von keinem ihrer Kritiker auch nur erwähnt wurde. GOSSEN nämlich, der die Nationalökonomie zu einer  "Genußlehre"  erweitern will, erkennt wohl, im Gegensatz zu den meisten Theoretikern, die, wie wir sahen, in der materiellen Seite der Güterbeschaffung aufgehen, daß auch immaterielle Güter ebenso das Ziel der Wirtschaften sind, aber er hat bei seiner rein psychologischen Betrachtung der Genüsse die Brücke, die von diesem Ausgangspunkt zur Untersuchung der tatsächlichen wirtschaftlichen Handlungen und Vorgänge, insbesondere der tauschwirtschaftlichen führt, versäumt. Die ökonomische Theorie hat aber  über die Betrachtung subjektiver Nutzenschätzungen hinaus auch objektive Vorgänge zu erklären,  und gerade die Erklärung, wie ein solcher objektiver Vorgang, die  Preisbildung,  doch wieder  auf die subjektiven Bewertungen  der einzelnen Menschen zurückgeht, ist ja die Hauptaufgabe der Theorie und heute noch nicht gelungen. Daher liefert dann auch GOSSEN keine Preistheorie und die folgenden Partien seines Buches, in dessen Anfang er so bedeutsame ökonomische Beobachtungen ausgesprochen hat, bieten für die volkswirtschaftliche Theorie nur wenig.

Der Fehler Gossens  ist, mit einem Wort gesagt,  daß er nicht zu einem klaren Begriff der Kosten kommt und ihn dem Nutzen gegenüberstellt. (28) Er kommt über den psychischen Begriff der  Beschwerde  und den physischen der  Kraftanstrengung  nicht hinaus, während die ökonomische Betrachtung diese Begriffe und den des Opfers von Gütern überhaupt zu dem viel schärferen und meßbareren der  Kosten  zu verdichten vermag. Er kommt daher auch nicht dazu, den Begriff zu entwickeln, der  die Vermittlung zwischen Nutzen und Kosten übernimmt und deshalb auch für die Preisbildung der entscheidende ist,  er kommt nicht zum Begriff des  Ertrags,  der  Spannung zwischen Nutzen und Kosten.  Es ist eigentümlich: die eine Richtung der Nationalökonomie, die ältere, operiert  nur  mit dem Begriff der  Kosten  und erklärt aus ihm alles, GOSSEN, der Vertreter der reinen  "Genußlehre",  operiert nur mit dem  Nutzen,  ignoriert den Kostenbegriff, eine dritte, die österreichische Theorie setzt anstelle des Nutzens den  Wert  in ihrem speziellen Sinn: alle  3  aber kommen daher nicht dazu,  den Begriff des Ertrags, der Spannung zwischen Nutzen und Kosten, zum Fundamentalbegriff der ökonomischen Theorie zu machen.  Es genügt nicht, wie z. B. bei von PHILIPPOVICH, auf den ersten Seiten seines Lehrbuchs zu erkennen, daß das wirtschaftliche Prinzip im Streben nach größtem Gewinn und Ertrag besteht, nachher aber diese Erkenntnis zugunsten irgendeiner Wert- oder Kostentheorie zu ignorieren, sondern man muß konsequent aus der Geltendmachung des wirtschaftlichen Prinzips die tauschwirtschaftlichen Vorgänge erklären.


IV. Die Lehre vom Grenzertrag in der
Einzelwirtschaft

So habe ich in "Ertrag und Einkommen" an die Stelle von Gossens Gesetz des Ausgleichs der Grenznutzen  das  Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge gesetzt.  Ich habe zum erstenmal darauf hingewiesen, daß  das Wirtschaftssubjekt überhaupt nicht,  wie alle bisherige Theorie lehrte,  seine Bedürfnisse der Reihe ihrer Intensität nach  befriedigt, also nach der Höhe des absoluten Nutzens, daß das Wirtschaftssubjekt  nicht nach dem größten Nutzen, sondern nach dem größten Ertrag, der größten Spannung zwischen Nutzen und Kosten  strebt. Das ist eine anscheinend sehr triviale Wahrheit, wie übrigens alle ökonomischen Wahrheiten, aber sie muß, wie gesagt, konsequent festgehalten werden. Genau betrachtet ist aber der Vorgang des Nutzen- und Kostenvergleichs kein so einfacher, wie man sich das öfters vorstellt. Ich zeigte vielmehr in "Ertrag und Einkommen" - und ich bitte die folgenden Sätze sehr sorgfältig zu lesen und im Gedächtnis zu behalten, denn sie sind als die psychischen Fundamente des wirtschaftlichen Handelns von größter Wichtigkeit für das Verständnis derselben -, daß man  nicht Nutzen mit Kosten, Lust- mit Unlustgefühlen direkt vergleichen  kann, sondern  entweder den Nutzen auf eine Kostenformel, oder die Kosten auf eine Nutzenformel bringen muß.  Ersteres ist in der Geldwirtschaft, wo alle Güter nur Geld kosten, das übliche:  dieses  Gut kostet mich faktisch  x-Mark,  ich würde äußerstenfalls  x+y Mark dafür ausgeben, die Differenz ist mein Ertrag in Geld ausgedrückt.  Aber ebensogut kann ich sagen:  Ich kaufe mir für 2 Mark das höchstgeschätzte Gut, das ich dafür erhalten kann, es gewährt mir einen bestimmten Nutzen, das geringst geschätzte Gut, für dessen Erwerb ich gerade noch 2 Mark aufwenden würde, gewährt mir den und den Nutzen. Die Differenz ist mein Ertrag.  Im ersteren Fall habe ich, was direkt nicht möglich ist,  Nutzen mit Kosten verglichen, indem ich den Nutzen auch auf eine Kostenformel brachte, ihn nämlich durch die größten Kosten ausdrückte, die ich äußerstenfalls für das Gut noch aufwenden würde. Ich habe also den Nutzen als tertium comparationis  [ein Drittes zum Vergleich - wp]  genommen und daran verschiedene Kosten, die höchsten und die tatsächlichen, gemessen und so den Ertrag festgestellt.  Im letzten Fall  sind die Kosten das tertium comparationis  und die  Differenz zwischen dem tatsächlich erzielten Nutzen und dem geringsten,  für dessen Erlangung ich die Kosten gerade noch aufwenden würde,  ist  der Ertrag. Ganz ebenso in der tauschlosen Wirtschaft, wo man alle Kosten auf Arbeit zurückführen kann. Heute, im Zustand der entwickelten Geldwirtschaft, wird natürlich in der Regel ein  Kostenvergleich  in Geld gemacht, insbesondere natürlich, wenn der Wirtschafter die Preise der von ihm gewünschten Güter schon genau kennt. (siehe die Beispiele auf den folgenden Seiten)

Wir werden auf diesen Nutzen- und Kostenvergleich später bei der Bestimmung des Wertes oder Preises der Kostengüter noch zurückkommen. Hier sei nur noch darauf hingewiesen, daß  der Ertrag das Ziel jedes Wirtschaftssubjekts, also auch des Konsumenten ist.  Auch er strebt nicht nach größtem absoluten Nutzen, sondern nach größtem  Überschuß des Nutzens über die Kosten, nach größtem Ertrag.  Man hat diese Tatsache des  Konsumertrags  bisher meist übersehen, den Ertrag als etwas aufgefaßt, was nur den tauschwirtschaftlichen Subjekten "zufließt", anstelle einer allgemeinen Ertragslehre eben eine Lehre der speziellen Einkommenszweige erörtert. Nur ALFRED MARSHALL spricht ganz gelegentlich von  consumers surplus  als "dem Mehr, das ein Wirtschafter, um ein Gut zu erlangen, über den Preis hinaus geben würde, den er tatsächlich bezahlen muß (29), kommt aber ebensowenig wie alle anderen dazu,  das Streben nach größtem Ertrag zur Grundlage der ganzen tauschwirtschaftlichen Organisationen zu machen.  Es ist aber klar, daß auch der isolierte Wirtschafter und daß ebenso der einzelne Konsument in der Tauschwirtschaft nicht absolut den Nutzen, die Intensität seiner Bedürfnisse bei ihrer Befriedigung entscheidend sein läßt, sondern daß er, genau wie in der Erwerbswirtschaft, seinen  Nutzen den Kosten  gegenüberstellt. Entscheidend für sein wirtschaftliches Handeln ist also die Spannung beider, der  Ertrag.  Auch der Konsument strebt also nach größtem Ertrag, größtem Überschuß des Nutzens über die Kosten, was sich ja auch direkt aus dem "wirtschaftlichen Prinzip" ergibt. Wie das einzelne Wirtschaftssubjekt diesen Konsumertrag feststellt, wurde schon erwähnt. Zu bemerken ist nur noch, daß auch in der Geldwirtschaft die Höhe des Konsumertrags im einzelnen Fall nicht zahlenmäßig angegeben werden kann (30). Seine eine Komponente ist eben ein ganz individuelles, nur in meinem Empfindungsleben durch  Vergleichen  meßbares Bedürfnis, der Nutzen. Nur das eine kann ich sagen: Wenn ich Kosten auf die Beschaffung eines bestimmten Gutes verwende, z. B. einen Rock für 50 Mark kaufe, so ist er das  höchst geschätzte  Gut, für das ich nach Maßgabe meines Wirtschaftsplanes gegenwärtig 50 Mark aufwenden werde. Hiermit befinde ich mich allerdings im Gegensatz zu allen bisherigen Theorien, die - ich muß wieder auf "Ertrag und Einkommen" verweisen - darin übereinstimmen zu sagen: Wenn ich mir einen Rock für 50 Mark kaufe, tue ich das,  weil er mir 50 Mark wert  ist. Das ist aber offensichtlich falsch und widerspricht dem allgemein anerkannten Streben aller Wirtschafter nach größtem Ertrag. Wenn ich Kosten (Arbeit oder Geld) auf die Beschaffung eines bestimmten Gutes verwende, so geschieht das, wie gesagt, weil dieses das höchst geschätzte Genußgut ist, das ich mir mit diesen Kosten beschaffen kann. Und ich komme zu einer Ertragsfeststellung, indem ich mich frage, wieviel Geld ich äußerstenfalls für den Rock aufgewendet haben würde (Kostenvergleich), oder indem ich in meinem Innern den Nutzen dieses Gutes mit dem Nutzen des Geringsten vergleiche, für das ich  gerade noch  50 Mark aufwenden würde (Nutzenvergleich).

Daß der Wirtschafter so vorgeht, zeigt wiederum die Beobachtung und ich selbst bin nur durch die Beobachtung auf diese ganze Lehre gekommen. Wenn ich in einem Restaurant sitze und auf der Speisekarte verschiedene Speisen zum Preis von 2 Mark finde, so entscheide ich mich für diejenige, die mir den größten Überschuß von Nutzen über die Kosten, den größten Ertrag gewährt. Wenn ich eine Flasche Wein trinken will, so kaufe ich nicht ohne weiteres eine Flasche Sekt zum Preis von 10-20 Mark, die mir den größten absoluten Genuß gewährt, sondern als "haushaltender", wirtschaftender Mensch kaufe ich mir vielleicht einen billigeren Mosel, der mir infolge geringerer Kosten doch im Verhältnis zum Genuß die größte Differenz beider, den größten Ertrag gewährt. Und ebenso verfahre ich jeden Moment bei allen wirtschaftlichen Handlungen. Immer ist der  Ertrag  das Ziel,  seine Höhe gibt dem wirtschaftlichen Handeln die Richtung.  Wie könnte ich sonst - um noch ein drittes, wiederum anders geartetes Beispiel anzuführen - zwischen einem Beefsteak, das 2 Mark kostet, und einem Schnitzel für 1, 60 Mark mich entscheiden. Ich stelle für jedes dieser Güter den  Ertrag  fest, indem ich mich frage, wieviel Geld würde ich äußerstenfalls für das Beefsteak und wieviel für das Schnitzel bezahlen (Kostenvergleich). Das ist eine so selbstverständliche Wahrheit und doch ist sie noch nie ausgesprochen, sondern immer verkannt worden.

Daß der tauschlose Wirtschafter, der alle Kosten auf seine Arbeit zurückführen kann, so handelt, dürfte kaum bezweifelt werden. Aber auch für den geldwirtschaftlichen Konsumenten ist dies zweifellos das seinem Handeln zugrunde liegende Prinzip, das, wenn es vollkommen durchgeführt würde, ihm die maximale Bedarfsversorgung sichert. Daß die Befolgung dieses Prinzips hier nicht so offensichtlich hervortritt, hat darin seinen Grund, daß der  Wirtschaftsplan des Konsumenten,  d. h. also  die Verwendung seines Einkommens,  sich heute  auf viele Jahre,  ja  auf das ganze Leben erstreckt.  Und das ist möglich, weil die Preise der wichtigeren Konsumgüter ziemlich stabil sind und daher jedermann sofort weiß, wie weit ungefähr er mit einer gewissen Einkommenssumme in seiner Bedarfsbefriedigung gelangen wird. Ich frage mich also nicht jedesmal: Wenn ich jetzt einen Rock für 50 Mark kaufe, ist er das dringendste Bedürfnis, das ich mit dieser Summe befriedigen kann. Sondern ich weiß von vornherein, daß ich bei meinem Einkommen ohne Zweifel eine gewisse Summe für so wichtige Bedarfsgegenstände wie Kleidung ausgeben kann und auch ungefähr ausgeben muß. Nur wenn ich der  Grenze  dieser Summe nahe komme und es sich dann also um die Befriedigung weniger dringlicher Kleidungsbedürfnisse handelt, werde ich mich fragen: Soll ich dieses Geld noch für Kleidungszwecke verwenden oder sind andere Bedürfnisse dringlicher? und hier an den Grenzen der Bedarfsversorgung mit einem bestimmten Gut wird die Höhe des Konsumertrages maßgebend sein und das Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge zur Geltung kommen. Ich möchte also hier schon auf das Eindringlichste betonen, daß das Wirtschaftssubjekt bei einer zweckmäßigen Wirtschaftsführung vor allem die Verteilung der  letzten  Einkommensquoten, als den bei einer Befriedigung der am wenigsten dringlichen Bedürfnisse zu erzielenden Ertrag und seine Feststellung beachten muß. Hier zweifelt der einzelne Wirtschafter in der Verwendung seines Einkommens und hier kommt es ihm daher auf eine genaue Feststellung der Erträge, eben der Grenzerträge an. Das kann jedermann deutlich an seiner eigenen Wirtschaftsführung beobachten. Daß ein Familienvater bei einem Einkommen von 5000 Mark 1000 Mark für die Wohnung verwendet, erscheint ihm selbstverständlich. Aber darüber hinaus wird er es sich schon überlegen, ob er eine komfortablere Wohnung zu einem höheren Preis mieten kann. Der Grenzkonsumertrag, den er mit der Befriedigung seiner sonstigen Bedürfnisse erzielt, wird dafür entscheidend sein. Ebenso werde ich es mir überlegen, ob ich einen Rest von 500 Mark von meinem Einkommen für eine Reise oder zur Vergrößerung meiner Bibliothek oder zum Ankauf eines Ölbildes verwenden soll oder ob ich es - und damit deute ich eine ganz neue Reihe von Gesichtspunkten an - für einen späteren Zweck "zurücklegen", thesaurieren [horten - wp], oder es Kapital werden lassen, "sparen" soll.

Doch sehen wir zunächst an einem schematischen Beispiel, wie sich, aufgrund dieser Erörterungen das  Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge,  das wir also an die Stelle des  Gossenschen  Ausgleichs der Grenz nutzen  setzen, in der Wirtschaft des einzelnen Wirtschaftssubjekts vollzieht (31). Nehmen wir an, ein Wirtschaftssubjekt habe ein Bedürfnis nach 3 verschiedenen Arten von Gütern,  A, B  und  C.  Das erste Stück von  A  befriedigt ihm ein Bedürfnis von der Stärke  10.  Was heißt es aber, wenn wir so ein Bedürfnis oder ein Gut dem Grad seiner Stärke oder seines Nutzens nach zahlenmäßig angeben (32)? Das heißt, das eine mit einem anderen Bedürfnis oder einem anderen Gut vergleichen. Wenn wir also sagen,  wir schätzen ein Gut = 10,  so heißt das,  wir würden gerade 10 Einheiten eines anderen Gutes dafür geben,  eines Gutes, das wir auf höchstens  den 10. Teil des ersteren schätzen.  Machen wir also einmal einen Kostenvergleich. Wir schätzen das erste Stück von  A = 10  heißt, es gibt uns einen Nutzen, für dessen Erlangung wir äußerstenfalls 10 Arbeitsstunden oder 10 Mk. aufwenden würden. Wir setzen also 1 Mark oder 1 Arbeitsstunde = 1, d. h. wir würden sie gerade noch zur Befriedigung eines Bedürfnisses aufwenden, das in der Skala unsere Bedürfnisempfindung die Stärke 1 aufweist. So wollen wir für jede folgende Teilquantität der Güter folgende Bedürfnisgrade annehmen:


Hat jetzt das Wirtschaftssubjekt 12 Arbeitsstunden oder 12 Mark zur Verfügung, wie wird es sie verwenden? So, daß  die Grenzerträge,  d. h. also der Ertrag, der mit der  letzten  erworbenen Quantität eines jeden Gutes erzielt wird,  für alle gleich hoch  sind. Das hängt aber von  Kosten  der 3 Güter ab, die, wie wir annehmen wollen, für jede Quantität gleich bleiben. Sind z. B. die Kosten von  A 8  Einheiten pro Stück, von  B 3  und von  C 1  Einheiten (Mark oder Arbeitsstunden), so würde unser Mann zwar das höchst geschätzte Gut, das erste von  A (= A 1)  kaufen können und dann noch 4 Einheiten für den Ankauf anderer Güter zur Verfügung haben. Aber der Ertrag wäre bei  A 1,  das 8 Mark kostet, nur 10 - 8 = ¼ pro Einheit, während er beim Ankauf von  B 1,  das 3 Einheiten kostet, aber einen Nutzen von 8 gewährt (d. h. also er würde höchstens 8 Einheiten dafür geben), einen Ertrag von 8 - 3 = 1 ⅔ pro Einheit erzielt, und bei  C 1,  das 1 Einheit kostet, einen Ertrag von 5 - 1 = 4 pro Einheit. Es würde also jedenfalls unwirtschaftlich sein, das absolut am höchsten geschätzte Gut  A 1  zuerst zu kaufen, sondern den größten Nutzen mit den geringsten Kosten, also den größten Ertrag liefert ihm  C 1,  das nur 1 Kosteneinheit erfordert, für das er aber eventuell  5  geben würde. Dann kommt  B 1,  dann  C 2.  Es würde also zweckmäßig für ihn sein, auf  A  ganz zu verzichten und 3 Stücke von  B  mit den Kosten  9  und  3  von  C  mit den Kosten  3  zu erwerben. Mit den Kosten  12  erzielt er dann einen Nutzen von  31.  Erwirbt er dagegen ein Stück von  A,  das er am höchsten schätzt, so müßte er dafür  B 2  und  3  und  C 2  und  3  aufgeben, und käme bei den gleichen Kosten von 12 Mark nur auf einen Nutzen von  10 + 8 + 5 = 23.  Man sieht,  es kommt nicht auf den absoluten Nutzen,  sondern  auf den Nutzen verglichen mit den Kosten an.  Selbst  B 3  liefert ihm noch einen höheren Ertrag pro Kosteneinheit als  A 1,  nämlich  4 - 3 = ⅓  pro Einheit gegen  10 - 8 = %frac14;  pro Einheit bei  A 1. 

Wenn nun die Kosten für eine Teilqualität von  A = 4 Mark  oder 4 Arbeitsstunden sind, von  B  wie bisher  3  und von  C 2,  wie wird der Wirtschafter dann seine Tätigkeit einrichten? Er wird zunächst das Gut erwerben, das ihm den größten Ertrag gewährt. Das ist wieder nicht  A 1,  das er am höchsten schätzt, sondern diesmal  B 1.  Er erzielt mit einem Kostenaufwand von  3  einen Nutzen von  8.  Der Ertrag ist als  5,  pro Kosteneinheit 1⅔. Aber den Erwerb von  B  weiter fortzusetzen, wäre unzweckmäßig, denn jetzt liefern ihm  A 1  und  C 1  größere Erträge, nämlich 6 und 3, d. h. pro Kosteneinheit je  1½.  Hätte also unser Mann nur 9 Mark zur Verfügung, so würde er mit einem Grenzertrag von 1½ pro Kosteneinheit seinen Erwerb weiterer Güter aufgeben. Da er aber noch 3 weitere Mark besitzt, kann er noch ein weiteres Stück von  B  erwerben mit einem Ertrag von  1⅓  pro Einheit. Wären die Kosten von  A  nur 3, die übrigen gleichbleibend, so könnte sich das Wirtschaftssubjekt schon mit 11 Mark einen Nutzen von 10 + 9 + 8 + 5 = 32 verschaffen mit einem Grenzertrag von  1⅔  bei der letzten Mark. Es würde nämlich 2 Stücke von  A,  dann eins von  C  und schließlich eins von  B  kaufen.

Immer also wird der Wirtschafter seine Bedürfnisse  nicht nach ihrer absoluten Stärke,  sondern  unter Vergleich mit den Kosten befriedigen  und wenn er sehr verschiedenartige Bedürfnisse hat, was wir hier zahlenmäßig natürlich nicht vorführen können, wird er die größte Bedarfsbefriedigung, die mit gleichen Kosten möglich ist, dann erlangen, wenn  der Ertrag der letzten Teilquantität eines jeden Gutes, d. h. sein Grenzertrag bei allen ungefähr gleich hoch ist. 
LITERATUR Robert Liefmann, Die Entstehung des Preises aus subjektiven Wertschätzungen, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 34, Tübingen 1912
    Anmerkungen
    1) Was als solches bezeichnet wird, sind rein  technische  Gesetzmäßigkeiten, z. B. das Gesetz des abnehmenden Bodenertrags.
    2) Das wirtschaftliche Prinzip wird gelegentlich auf den ersten Seiten der Lehrbücher  erwähnt,  aber nirgends konsequent zur Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen  angewendet.  Sonst hätte es schon längst zu unserem allgemeinen Ertragsbegriff geführt.
    3) Aber es ist der erste Grundfehler  aller  ökonomischen Theorien, daß sie nun nicht  Nutzen  und  Kosten  und ihre Differenz, den  Ertrag  als wirtschaftliche Grundbegriffe nehmen, sondern künstlich einen besonderen  Wert begriff konstruieren.
    4) Hier freilich im Gegensatz zu dem von ihm auf den ersten Seiten seines Lehrbuches als allgemeines Charakteristikum hingestellten Streben aller Wirtschafter nach Gewinn.
    5) Übereinstimmend  Bernhard Harms,  Darstellung und Kritik der Wirtschafts- und Betriebssystematik im  Sombartschen  Kapitalismus (Schmollers Jahrbuch 1905, Seite 1408f) und  Ludwig Pohle,  Der Unternehmerstand, Seite 48.
    6) Liefmann, Ertrag und Einkommen auf der Grundlage einer rein subjektiven Wertlehre, Jena 1907.
    7) Eine dieser Anwendungen gebe ich in einem Aufsatz "Grundlagen einer ökonomischen Produktivitätstheorie", der im Märzheft von  Conrads Jahrbüchern  erscheinen wird.
    7a) Ich will hier keine Vorwürfe erheben, immerhin möchte ich doch erinnern, daß in dem Artikel  "Einkommen"  in der neuen Auflage des Handwörterbuchs der Staatswissenschaften die Schrift "Ertrag und Einkommen" nicht einmal im Literaturverzeichnis aufgeführt ist.
    8) Daß meine Kritik eine rein sachliche ist, wird mir hoffentlich auch jeder der Angegriffenen ohne weiteres zugestehen.
    9) Festschrift für Gustav Schmoller, Die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaftslehre im 19. Jahrhundert, Bd. I.
    10) von ZWIEDINECK, Kritisches und Positives zur Preislehre, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Jahrgang 1908, Heft 4, 1909 Heft 1.
    11) von BÖHM-BAWERK: "Der Tauschwert ist die Fähigkeit (!), im Austausch ein Quantum anderer Güter zu erlangen, der Preis ist dieses Güterquantum selbst." Grundzüge der Theorie des wirtschaftlichen Güterwertes II. Conrads Jahrbücher, Neue Folge Bd. XIII, 1886, Seite 478.
    12) Hier liegt einer der zahlreichen Fälle vor, wo die Vertreter einer vermeintlich "subjektiven Wertlehre" eine Objektivierung des "Wertes" doch nicht entbehren können.
    13) Wir verknüpfen diese Begriffe auch direkt mit dem der Wirtschaft, des  wirtschaftlichen Handelns.  Denn dies ist unsere Lösung der neuerdings wieder aufgeworfenen und noch keineswegs befriedigend gelösten Frage nach dem Wesen der Wirtschaft:  wirtschaftliches Handeln ist überall da vorhanden, wo Nutzen mit Kosten verglichen werden, d. h. wo ein Ertrag festgestellt werden kann.  Um über die Verschiedenheit unseres Standpunktes gegenüber den bisherigen Theorien keine Unklarheit zu lassen: Bisher war die allgemeine Lehre, daß das wirtschaftliche Handeln aus der  "beschränkten Verfügbarkeit über die Gegenstände der äußeren Natur"  entspringt. Man kam so zum Begriff des  Wertes = Bewußtsein der Abhängigkeit  von den Gegenständen der äußeren Natur als dem Grundbegriff der Nationalökonomie, indem man darauf hinwies, daß unbeschränkt verfügbare Güter, wie das Wasser im Fluß oder an der Quelle keinen Wert haben. Diese Ausführungen sind jedem geläufig, werden überall vorgetragen und finden sich in jedem Lehrbuch. Es ist jedoch darauf zu erwidern: Nicht, ob die Güter unbeschränkt zur Verfügung stehen oder nicht, sondern ob ihre Beschaffung für den Konsum uns  Kosten verursacht, ist das Entscheidende für wirtschaftliches Handeln. Das läßt sich gerade am Beispiel des Wassers leicht zeigen. Wenn ich eine Rinne grabe oder eine Rohrleitung anlege, um das Wasser näher zu haben, so ist das eine wirtschaftliche Handlung, obwohl mir das Wasser an der Mündung in unbeschränkter Menge zur Verfügung steht.  Es ist eine wirtschaftliche Handlung, weil ich Kosten aufgewendet habe. Nur darauf, nicht auf den Wertbegriff kommt es an.  Ich kann auch auf in unbeschränkter Menge zur Verfügung stehende Güter Kosten und wirtschaftliche Tätigkeit verwenden. Natürlich muß man sich davor hüten anzunehmen, daß jetzt Kosten die Ursache des "Wertes" sind. Die Kosten werden vielmehr nur aufgewendet des Nutzens wegen und nur wenn mit ihrer Aufwendung ein Überschuß von Nutzen über die Kosten zu erzielen ist. Vgl. dazu "Ertrag und Einkommen", Abschnitt I. - - - Am meisten kommt meiner Auffassung der Wirtschaft FRANZ OPPENHEIMER, Theorie der reinen und politischen Ökonomie, Berlin 1910, nahe. Er sagt (Seite 22): "Weil die Dinge etwas  kosten, entschließen wir uns, mit ihnen zu  wirtschaften."  Aber OPPENHEIMER verfällt, wie auch seiner ganzen Ideenrichtung nach selbstverständlich ist, alsbald ganz der herrschenden materialistischen Auffassung und meint, die Zweckbestimmung: "zur Erlangung äußerer Objekte" sei für den Begriff der Arbeit und damit auch für den des wirtschaftlichen Handelns unentbehrlich. Er kommt bei seinen Ausführungen gar nicht zum Begriff des Nutzens (Genuß) und damit auch nicht zu einem allgemeinen Ertragsbegriff. Überhaupt leistet sein Buch für die "Theorie der reinen Ökonomie" nichts. So weit sind wir noch lange nicht, eine Theorie der "reinen" und der "politischen Ökonomie" auf einmal liefern zu können.
    14) SCHUMPETER, a. a. O., Leipzig 1908
    15) SCHUMPETER folgt damit nur den Anschauungen einiger amerikanischer Nationalökonomen (Clark, Patten), die den Höhepunkt, die konsequenteste Weiterführung jenes Fundamentalirrtums einer quantitativ-materialistischen Auffassung des Wirtschaftslebens bilden, auf dem die ganze bisherige Theorie beruth. An einem konsequenten Weiterbau aufgrund falscher Voraussetzungen ist SCHUMPETER MARX, von BÖHM-BAWERK und CLARK, die in dieser Hinsicht Höhepunkte darstellen, ebenbürtig. Seine Arbeit mit ihren fast rein negativen Ergebnissen zeigt aber, wohin man auf dem Weg der heutigen materialistischen Theorie gelangt. Die ganzen Konstruktionen SCHUMPETERs sind so künstlich und vom Standpunkt von jemandem, der gewohnt ist, das wirtschaftliche Leben zu beobachten, so haarsträubend unwirklich und weltfremd, daß man sich wundern müßte, wieviel Beachtung sie gefunden haben, wenn es nicht das Kennzeichen der ganzen heutigen Theorie wäre, daß sie, anstatt auf der Beobachtung des wirtschaftlichen Lebens aufzubauen, gleich in ihren Fundamentalsätzen sich unwiderruflich mit ihm in Widerspruch stellt.
    16) Oder gerade seiner Konsequenz wegen. Denn SCHUMPETER scheint eine große Begabung zur Deduktion, aber eine geringe für eine Beobachtung der wirtschaftlichen Vorgänge zu besitzen. Letzteres ist aber naturgemäß die Hauptsache. - Eine vorzügliche Kritik der methodologischen Grundlagen von SCHUMPETERs Buch, freilich ohne ein Eingehen auf die eigentlichen Grundirrtümer der Theorie, liefert OTHMAR SPANN, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 30, Seite 786. Siehe auch die Darstellung und Kritik von H. MAYER, Zeitschrift für Volkswirtschaft etc., 1911, Seite 180f. Den Hauptpunkt, die extrem materialistische Auffassung, hat jedoch keiner der zahlreichen Kritiker erfaßt, wie überhaupt bei allen der Mangel eines eigenen klaren Standpunkts zutage tritt.
    17) Von den neuesten Schriftstellern, z. B. charakteristischerweise auch HEINRICH PESCH S. J. [Societas Jesu - wp], Lehrbuch der Nationalökonomie, Bd. I, Seite 402f, der ausdrücklich alle nicht materiellen Güter aus der Betrachtung ausschließt und die Volkswirtschaftslehre als die "Lehre vom materiellen Gemeinwohl" bezeichnet.
    18) Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 132, Seite 336. Schriftliches Referat über den Begriff der Produktivität. Eingehendere Erörterungen darüber folgen später in meiner "Theorie des Volkswohlstandes".
    19) Neueste, 9. Auflage, Seite 40. Und auch in seinem Referat meint er (Seite 337): "Das unmittelbare Ziel der Wirtschaft ist auf materielle Güter gerichtet, und wir müssen ihre Erfolge an materiellen Ergebnissen messen." Es ist schwer verständlich, wie man angesichts des wirtschaftlichen Lebens mit seinen zahllosen persönlichen Leistungen solche Anschauungen vertreten kann, und es ist klar, daß sie für die Theorie sehr unheilvolle Konsequenzen haben müssen.
    20) Allgemeine Volkswirtschaftslehre, Seite 2. Schon hier spielt der in der bisherigen Theorie allgemein, von LEXIS aber ganz besonders vertretene  "Verteilungs" gedanke eine Rolle. Siehe unten Kapitel VII.
    21) Es ist charakteristisch, wie kurz, im Gegensatz zu seiner sonstigen oft ermüdenden Breite, SCHUMPETER weitere Versuche, die Aufgabe der ökonomischen Theorie zu formulieren, abfertigt (Seite 145f).
    22) Um die positive Darstellung nicht zu sehr belasten, berücksichtige ich in meiner Kritik und meinen Zitaten immer nur die wichtigsten und neuesten Schriftsteller, die Hauptvertreter der verschiedenen Richtungen. Die älteren zeigen die hier kritisierten Irrtümer natürlich ganz ebenso. Gegen was ich mich hier wende, das sind fundamentale Fehler, die die ökonomische Theorie seit langem mit sich herumschleppt. Wie sie entstanden sind, hoffe ich allmählich durch meine Schüler in dogmengeschichtlichen Arbeiten zeigen lassen zu können. Zunächst ist eine "Dogmengeschichte der Zurechnungslehre" in Vorbereitung. Hier kommt es nur darauf an, zu zeigen, daß auch die modernen Theoretiker alle auf dem Boden der hier kritisierten Grundirrtümer stehen.
    23) Eine Analyse und Kritik von GOSSENs Werk vom Standpunkt der hier entickelten Grundgedanken aus habe ich in einem Aufsatz in  Conrads Jahrbüchern  zu geben versucht. (III. Folge, Bd. 40, 1910, Seite 483f)
    24) Nur kommt es auf  diesen Wertbegriff  (Bewußtsein der Abhängigkeit von einem Gut infolge beschränkter Verfügbarkeit) gar nicht an, weil diese beschränkte Verfügbarkeit wieder von  Kosten  abhängt  und man mit den Begriffen Nutzen, Kosten, Ertrag und Preis den ganzen tauschwirtschaftlichen Prozeß erklären  kann. - Ich muß die Leser bitten, sich diese Ausführungen, die übrigens schon den Inhalt meiner Schrift "Ertrag und Einkommen" bildeten, genau klar zu machen und sich durch ein eigenes Durchdenken von ihrer Richtigkeit und den wesentlichen Unterschieden gegenüber den bisherigen Theorien zu überzeugen. Man wird nur dann zum vollen Verständnis der späteren Ausführungen gelangen, wenn man sich aufgrund dieser Sätze von den bisherigen Anschauungen völlig emanzipiert hat.
    25) Man könnte auch daran denken, unter  Nutzen  nur die  Differenz  zwischen  "Genuß"  und  "Kosten"  zu verstehen. Dann wäre er also mit unserem "Ertrag" identisch und wir könnten dann unsere  "Grenzertragslehre"  Grenznutzenlehre nennen. Das würde auch mit dem Sprachgebrauch gut übereinstimmen. Es war aber bisher üblich, Nutzen und Genuß zu identifizieren, und es würde zu Verwechslungen führen, wenn wir von Nutzen im Sinne von Ertrag sprechen wollten.
    26) In diesem Sinne spricht IRVING FISHER von Service: The Nature of capital and income, New York, Seite 19f. Er gibt aber diesem Gedanken keine weiteren Folgen für die Wert und Preislehre und ist im übrigen wie alle amerikanischen Nationalökonomen ein charakteristischer und extremer Vertreter der materialistischen Auffassung der Wirtschaft.
    27) SCHUMPETER kommt dann auch trotz des Ausgleichgsgedankens zu keinen positiven Resultaten, wie überhaupt das Ergebnis all seines Scharfsinns nur die absolute Negation ist.
    28) Ich verweise auf meinen oben zitierten Aufsatz über GOSSEN. Bei der Abfassung meiner Schrift "Ertrag und Einkommen" kannte ich dieses Buch leider noch nicht, das wohl gelegentlich in der Literatur erwähnt wird, dessen Grundsätze in ihrer fundamentalen Bedeutung aber nirgends erkannt und angewendet wurden.
    29) ALFRED MARSHALL, Principles of Economics, 5. Auflage 1907, Seite 124f. Sein Beispiel: Ein Wirtschafter kauft zum Preis von 20 Shilling ein Pfund Tee, zum Preis von 14 Shilling 2 Pfund, zum Preis von 10 Shilling 3 Pfund und erzielt damit einen Konsumertrag von 0 bzw. 6, bzw. 14 Shilling, ist aber ganz falsch und berücksichtigt u. a. nicht, daß dem Mann jedes weitere Pfund ein weniger dringendes Bedürfnis befriedigt. Die allein richtige Ertragsberechnung siehe in "Ertrag und Einkommen", Seite 50f.
    30) Daß und warum das für den  Grenz konsumertrag unter Umständen möglich ist, wird unten gezeigt werden.
    31) Siehe für das Folgende die ausführlichere Erörterung in "Ertrag und Einkommen", Seite 51f.
    32) Vielfach werden in der Literatur so Nutzen oder Kosten oder "Werte" in Zahlen ausgedrückt, ohne daß man sich vorher klar darüber geworden ist, was diese Zahlenangaben bedeuten. Viele Irrtümer der bisherigen Theorien sind darauf zurückzuführen.