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GEORG NEUDECKER
Das Grundproblem
der Erkenntnistheorie

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"Man muß der Mehrzahl der Menschen jedes Wissen absprechen, da nur wenige von ihren Vorstellungen als den Objekten ihres Bewußtseins wissen. Wie der Ichgedanke ein kompliziertes Produkt des Vorstellungsverlaufes, das sich auch nur in wenigen Menschen zu klarer Deutlichkeit herausarbeitet, so ist auch die Vollziehung jener Unterscheidung das Produkt einer sehr hohen Reflexion."

"Nun weiß und redet allerdings der ungebildete, gemeine Mann nichts von Subjekt und Objekt; das heißt jedoch nur: mit der Reflexion darüber fehlen ihm auch die Ausdrücke für einen Inhalt, der aber in seinem auf einen letzten festen Halt sich nicht besinnenden Wissen und Denken ebenso wirksam und bestimmend ist, wie beim Philosophen auch. Die Menschen, sagt der Empirist, sind nicht unbewußt, aber sie denken meist unbewußt, und ein begreiflicher Irrtum meint daher, weil der Mensch Bewußtsein hat, deshalb denkt er auch mit Bewußtsein."

Wie GÖRING aber behaupten, daß die Empfindung ein "Wissen" voraussetze, daß sie nur dann existiert, wenn sie "gewußt" wird, heißt auf alles Unterscheiden verzichten. Mag die Frage, ob es eine Empfindung gibt, die nicht gewußt wird, bejahend oder verneinend beantwortet werden: wenn sie gewußt wird, so kann ihre bloße Existenz als Zustand nicht der ganze Realgrund ihres Gewußtwerdens sein. Die psychologische Analyse pflegt dann auch gewöhnlich vom Hören z. B., das einen Ton zum Inhalt hat, eine auf es gerichtete Vorstellung als "inneres Bewußtsein" zu unterscheiden. Nimmt man dieses mit fast der Mehrzahl der Psychologen für alles psychische Geschehen, für jeden psychischen Akt in Anspruch, so muß man genau bestimmen, was man darunter versteht. Vorstellung nun und Vorstellen gehören gegenwärtig zu den geläufigsten und beliebtesten terminis, zu den wissenschaftlich brauchbarsten aber gewiß nur dann, wenn sie in ihrem Sinn eindeutig, klar und bestimmt sind. Allein den Einen ist Vorstellen gleichbedeutend mit psychischen Phänomenen überhaupt oder doch die Grundlage aller übrigen, den anderen gilt es nur als Verbindung einer Mehrheit von Empfindungen, wieder andere unterscheiden wesentlich zwischen vorstellen und begrifflichem Denken und weisen das Erstere in ein niedrigeres Gebiet seelischer Regsamkeit. Und nennt man das Hören Vorstellen eines Tones, das Bewußtsein des Hörens ein Vorstellen dieses (hörenden) Vorstellens, so muß in der Tat unter demselben Namen beidemal ein verschiedenes "psychisches Geschehen" verstanden werden. Denn wenn man wie BRENTANO (9) behauptet, das Hören sei außerdem, daß es einen Ton vorstellt, zugleich seiner Totalität nach für sich Gegenstand und Inhalt, so muß, soll damit nicht ganz untunlich behauptet sein, daß das Hören sich hört, das Sehen sich sieht, das zweite "begleitende" Vorstellen, für welches das Hören Objekt ist, von anderer Natur sein als das Erste, das wir Hören nennen. Gegenüber dem Hören, das nicht sich selbst, sondern den Ton zum Inhalt hat und das nur als solches überhaupt ein Hören ist, ist das Hören, das "sich selbst zum Inhalt hat", eben kein Hören; aber indem man für beides den gleichen unbestimmten Ausdruck Vorstellen gebraucht, entzieht man sich der Notwendigkeit, an diesem zweiten "Vorstellen" zu bestimmen, inwiefern es ein Nicht-Vorstellen, nämlich ein Nicht-Hören (10), sondern eben das fragliche Bewußtsein des Hörens ist. Es frägt sich, wie das Hören "sich zum Inhalt haben", "sich gegenwärtig sein" kann. Hörend gewiß nicht. Und was soll das Hören sonst vermögen als zu hören, das Sehen zu sehen usw.?

Erinnerte es also nicht an das Geschichtchen von MÜNCHHAUSENs Zopf, wenn man dem Hören selber jene wunderbare Leistung zuschreibt? Ob das bewußte, vom "inneren Bewußtsein" begleitete Hören eine einzige Vorstellung, ein einziger psychischer Akt ist, wie die innere Erfahrung zu zeigen scheint, oder nicht: die unlösbare "Verschmelzung" des das Bewußtsein verwirklichenden Vorstellens mit seinem Objekt, dem Hören, erlaubt es jedenfalls einer Darstellung noch nicht, dieses Objekt des Bewußtseins zum Subjekt seiner Selbstauffassung zu machen und in so einer unbegreiflichen Selbstauffassung das Bewußtsein oder Bewußtwerden bestehen zu lassen. Dies tut man aber, wenn man mit recht eigentlich dürren Worten "das Hören auf sich selbst als sich Objekt gerichtet denkt" (11). Ist nun aber das Hören nichts als eben ein Hören, d. h. die unmittelbar auf den Ton gerichtete Tätigkeit der Seele, so muß das Bewußtsein davon, mag man es auch Vorstellen nennen, als eine andere Tätigkeit davon unterschieden werden, die zwar auch nicht ist, ohne eben Bewußtsein von etwas zu sein, aber zu diesem ihrem Inhalt sich nicht in derselben Weise eines unmittelbaren Hingegebenseins verhält wie das Hören zum Ton, sondern in jener anderen, die wir bezeichnen wollen, wenn wir von ihrem Inhalt als von ihrem Objekt reden.

Mit jenen Redensarten von Verschmelzung und Verwebung der sogenannten inneren Vorstellung mit ihrem Objekt wird das eigentliche Problem nur schlecht und unzutreffend umschrieben. Indem man fleißig des Wortes "Vorstellung" sich bedient und an diese ohne weiteres als selbstverständliche Leistung das knüpft, was männiglich als Bewußtsein zu kennen glaubt, gewinnt man den bequemen Vorteil, auch dieses in den gewohnten und geläufigen Zusammenhang der sonstigen Vorstellungsmechanik gebracht zu haben, bemerkt aber nicht, daß damit dasjenige, was die Vorbedingung auch dieser Theorie ist, das wirkliche Bewußtsein nämlich, in seinem Wesen gar nicht berührt wird.

Daß das Gleiche bezüglich der unmittelbaren Gewißheit gilt, die man als den Effekt der in derselben Weise wie die "innere Verschmelzung" mit dem primären psychischen Akt "verscholzenen" innerer Erkenntnis hinstellt, ist klar. Man induziert die Begriffe Untrüglichkeit und Evidenz und frägt, wie die Verbindung des Urteils mit seinem Objekt geartet sein muß, damit jene möglich werden. Diese Frage wird dann wieder im Sinne der "Verschmelzung" beantwortet unbekümmert um den Sinn von Evidenz und Gewißheit. Nun läßt sich doch wohl einsehen, daß solche Darstellungen der psychischen Phänomene, und mögen sie sich auf Schritt und Tritt auf die "Erfahrung" berufen, solange nichtig sind, wie sie den Sinn von Gewißheit und Bewußtsein verfehlen oder unberücksichtigt lassen, weil, wer von Erfahrung spricht, beide voraussetzt.

Deutlicher zu sondern und die Natur des eigentlichen Bewußtseins durch eine Gliederung in unterscheidbare Entwicklungsstufen zu bestimmen hat wiederholt LOTZE (12) versucht. Er ordnet "das beziehende oder vergleichende Vorstellen" als eine höhere Tätigkeit dem bewußten Empfinden und Vorstellen einzelner Inhalte über, als Rückwirkung zweiter Ordnung, die ihrerseits wieder zu einem neuen Reiz für die Seele, zum Gegenstand einer noch höheren Reflexion werden kann, und verlangt für das Verhalten der Seele Anerkennung, "nirgendes der bloße Umfassungsraum für das Getriebe der inneren Zustände zu sein". Den Kern der Sache trifft seine Klage, daß in HERBARTs Psychologie das Auge fehlt, welches die bestehenden Verhältnisse zwischen den Einzelvorstellungen wahrnimmt; daß das Bewußtsein des Untersuchenden, welches diese Aufgabe gelöst hat, überall an die Stelle des untersuchten Bewußtseins tritt, welches sie für sich zu lösen hätte; daß es keineswegs im Begriff der Seele als eines vorstellenden Wesens ansich schon liegt, alles wahrzunehmen (das heißt doch wohl: sich dessen wirklich bewußt zu sein), was in ihr vorgeht; daß endlich die Wahrnehmung von Verhältnissen nicht ein bloßes Abspiegeln ihres Bestehens, sondern zumindest die Neuschöpfung ihrer Vorstellung selbst ist (13).

Allein einmal hat schon die Bezeichnung jener primitiven Tätigkeit als "bewußten Empfindens und Vorstellens" ein früher erwähntes Bedenken gegen sich, indem der Ausdruck "bewußt" die als irrig zurückgewiesene Annahme nahe legt, als sei jenes primitive unmittelbare Vorstellen ansich schon ein Bewußtsein im Sinne eines "Bewußtseins von einem Objekt", wobei letzteres eben eigentlich mit Recht den Namen Bewußtsein führt, was ja auch diejenigen faktisch bestätigen, welche - freilich zu voreilig - das Hören als solches schon "Bewußtsein von einem Objekt" nennen. Wenn ferner LOTZE mit Recht von jener ersten Tätigkeit, deren Leistung eben nur bestehende und wechselnde Vorstellungen sind, eine zweit der vergleichenden Auffassung zwischen jenen Elementen bestehender Verhältnisse unterscheidet, eine neue Tätigkeit also, die mit sich identisch von a zu b übergehend sich der hierbei erlittenen Veränderung ihres Zustandes bewußt wird in Form einer dritten Vorstellung ihres Unterschiedes γ, so liegt eben das Rätsel wieder im "sich bewußt werden". Wenn er Recht hat mit dem Satz, daß "bewußt sein" nur heißt: sich eines Inhalts bewußt sein, und daß weder ohne jenes Subjekt noch ohne dieses von ihm gewußte Was die Vorstellung des Bewußtseins vollständig ist" (14), so muß damit auch Ernst gemacht werden, soll anders nicht am beziehenden Vorstellen das gleiche Wunder geschehen, das andere sonst wenig Wundergläubig an dem sich selbst hörenden Hören sich so unbedingt ereignen ließen. Für die Existenz seines jeder mechanischen Analogie unzugänglichen beziehenden Vorstellens kann LOTZE allerdings mit gutem Grund die Erfahrung anrufen, für die Leichtigkeit aber, womit es seiner selbst bewußt sein soll, wahrscheinlich weder Erfahrung noch Logik.

Betrachten wir genau die behauptete Leistung desselben! Eine mit sich selbst identische Vorstellungstätigkeit faßt a und b zusammen, hält sie zugleich auseinander und erleidet, indem sie von a zu b oder von b zu a übergeht, durch diesen Übergang eine Änderung ihres Zustandes, welches sie als γ vorstellt. Dieses Vorstellen also unterscheidet sich von jenem Vorstellen des a (Rot) und b (Blau) wie die Vorstellung γ von den Vorstellungen a und b.
    "Während die einfache Vorstellung des Rot oder Blau", sagt Lotze, "vor uns schwebt, ohne uns an eine Tätigkeit zu erinnern, durch deren Ausübung wir zu ihrem Dasein beigetragen hätten, dafür aber auch einen unmittelbaren anschaulichen Inhalt gibt, entbehren jene γ des eigenen für sich anschaulichen Inhalts völlig."
Dem Vorstellen der letzteren eignet also mehr die aktive Beweglichkeit im Gegensatz zum restlosen Erfülltsein des anderen von seinem Inhalt; aber indem es einen Zustand vorstellt, wenn auch den einer durch seine Bewegung erlittenen Veränderung, gilt von ihm doch ansich auch nur jene intentionale Inexistenz eines Inhaltes, die den allgemeinen Charakter zwischen der Anschaulichkeit des einfachen unmittelbaren Vorstellens und der Unanschaulichkeit des beziehenden oder vergleichenden kann doch allein das letztere noch nicht über jenes zu der höheren Dignität erheben, die wir mit dem Ausdruck: Bewußtsein von einem Objekt als solchem von jener allgemeinen Bewußtheit psychischer Akte als Eigentümlichkeit geistigen Lebens unterscheiden. Nicht mehr nach einer Analogie psychischer Mechanik allerdings ließe sich LOTZEs beziehendes Vorstellen begreifen, aber vielleicht als ihrer selbst ganz unbewußte Wirkung des "psychischen Mechanismus", recht als ein "Ereignis, welches eben nur "geschieht". Daß wir nun aber in Ausübung dieses beziehenden Vorstellens dessen selbst und der dadurch erzeugten Vorstellungen als der Objekte unserer Tätigkeit uns bewußt sein, bezeugt freilich die innere Erfahrung; ober aber dieses Bewußtsein in jenem Vorstellen als solchem seinen ganzen Erzeugungsgrund hat, darüber kann die innere Erfahrung nichts bezeugen, weil, wenn wir sie darüber befragen, es natürlich allemal damit verknüpft sein muß. Im Begriff des vergleichenden Vorstellens aber, so wie es LOTZE bestimmt, liegt es ansich nicht, mehr zu sein als eine "instinktive Bemühung", wie er anderswo (15) diese Entwicklungsstufe des Bewußtseins im weiteren Sinne selber nennt.

Weit hinab wird man nicht umhin können den Tierseelen eine mehr oder weniger gewandte Ausübung solcher vergleichender, Unterschied und Verwandtschaft der Eindrücke erfassender Vorstellungstätigkeit zuzuschreiben, dabei aber dann doch zweifeln müssen, ob mit und in dieser Reaktion jenes Bewußtsein verknüpft und wirksam ist, welches gestattet, sie selbst wieder zum Gegenstand der Reflexion zu machen. Aber auch diese letztere Möglichkeit würde, wenn die weitere Reflexion in nichts als in einem weiteren "Vorstellen" jenes beziehenden Vorstellens bestünde usw., uns nicht wesentlich weiter führen und den Prozeß nur verwickeln, aber nicht innerlich vertiefen, solange jedes neue Vorstellen mit ermüdender Langweiligkeit immer wieder nur in demselben Sinn und Verstand die Leistung des früheren wiederholen würde. Es könnte eben dann von keiner eigentlich bewußten Reflexion die Rede sein, sondern in der Tat nur von einer immer noch "dem Vorstellungsinhalt hingegebenen", höher entwickelten Anschauungstätigkeit, die eben darum doch wieder keine eigentliche Tätigkeit wäre. Nun gibt allerdings LOTZE zu, daß "bewußt sein" heißt: sich eines Inhalts bewußt sein, und daß die Vorstellung des Bewußtseins nicht vollständig ist ohne ein Subjekt. Erst die Selbstbesinnung, welche jene instinktiven Bemühungen des beziehenden Vorstellens in ihrem Zusammenhang unter sich als Tätigkeiten des Ich begreift, vollendet als dritte Entwicklungsstufe das Bewußtsein. Nirgends, so erklärt er nachdrücklich anderswo (16), begegnet uns ein Bewußtsein, das nur als solches überhaupt und nicht als das Bewußtsein eines Ich erscheint, welches in ihm entweder seiner selbst oder eines Andern sich bewußt wird. Doch will er damit nur anerkannt wissen, daß diese beständige Zurückbeziehung auf ein Subjekt, dessen Natur übrigens völlig im Dunkel bleibt, zum ursprünglichen Tatbestand der Erfahrung gehört, so rätselhaft sie auch ist, und gründet auf die schon hierin und noch mehr in der Ausübung des beziehenden Vorstellens sich betätigende Einheit des Bewußtseins seinen metaphysischen Begriff der Seele, ohne die Bedeutung jener dritten Entwicklungsstufe für die Theorie des Wissens weiter zu untersuchen.

Nun genügt freilich für viele eine leise Andeutung der Denkbarkeit einer solchen Bedeutung, um eine Gefahr für die Wissenschaft zu wittern, in welche mit dem bedenklichen "Ich" der ganze metaphysische Kram sich einzuschmuggeln droht. Daß mir, sagt der Empirist (17), jede Vorstellung stets als meine erscheint, ist sehr natürlich; denn das Ich kommt erst durch die Vorstellung zustande; Ich und Selbstbewußtsein sind Produkte des Bewußtsins, und das transzendente Ich ist jedenfalls eine leere Fiktion. Anderen erscheint es zumindest nicht geraten, das obscurum des Bewußtseins durch das große obscurissimum des Selbstbewußtseins erklären zu wollen (18). Die Stellung HERBARTs und seiner zahlreichen Jünger zu der Frage ist bekannt.

VOLKMANN (19) z. B., einer von der strengeren Observanz, verwirft nachdrücklich die zum psychologischen Dogma erhobene Begründung des Bewußtseins als eines durch das Selbstbewußtsein als das Unmittelbare Vermittelten. Aber die Bemerkung, die er beifügt, "es hätte vor der Ableitung des bunten Bewußtseins aus dem leeren Ich eben dessen Leerheit abhalten sollen", mag gegen FICHTE und HEGEL mit Grund gerichtet sein, zeigt aber auch, wie aus der Unterlassung einer notwendigen Unterscheidung ein sehr mißverständlicher Eifer entspringen kann. Aus dem allerdings leeren Ich kann freilich das "bunte Bewußtsein", das heißt der mannigfaltige Inhalt des Bewußtseins nicht abgeleitet werden. Was aber allerdings nicht Quelle des Gewußten ist, könnte immerhin der Grund des Wissens von demselben sein. Aus der leeren Subjektivität des Ich fließt in der Tat in alle Ewigkeit hinsichtlich der sachlichen Kenntnis nichts weiteres, als daß es nicht das "Nichtich" ist, und selbst dieses setzt die Erfahrung jenes anderen voraus. Aber es heißt doch das eigentliche Problem einer Theorie des Wissens nicht sehen wollen, wenn man die Priorität des Bewußtseins vor dem Ich- oder Selbstbewußtsein behauptend, jenes sogenannte unmittelbare Bewußtsein schon für ein Bewußtsein von Objekten d. h. für ein Wissen nimmt. Gewiß geht dem Ich ein Empfinden und Vorstellen, Leiden und Genießen voraus, aber damit durchaus noch nicht, wie wir ja oben sahen, ein Bewußtsein von "größter subjektiver Gewißheit". Wer dies dennoch behauptet, der schiebt eben ohne es zu merken, das Ich als selbstbewußtes Subjekt dem unmittelbaren Empfinden und Vorstellen aus dem eigenen längst erwachten Selbstbewußtsein unter, d. h. er vindiziert dem unmittelbaren Bewußtsein, was erst durch das Selbstbewußtsein möglich wird, will aber dabei von letzterem abstrahiert wissen. Sowohl jenes unmittelbare Bewußtsein, wie auch das mittelbare, d. h. im "Vereinen, Trennen und Beziehen der Vorstellungen" sich betätigende, soweit es gleichfalls eine zeitliche Priorität vor dem Selbstbewußtsein hat, ist ansich sowenig ein Bewußtsein von Objekten als solchen, eine Wissen, als es, wie wir gesehen haben, "Gewißheit" mit sich führt. Nun könnte man ersteres vielleicht als selbstverständlich zugeben, sofern es ohne Subjekt allerdings kein Objekt gibt, dabei aber bestreiten, daß diese ausdrückliche, dem unmittelbaren Bewußtsein wie dem "beziehenden Vorstellen" allerdings ansich mangelnde Beziehung dem Begriff des Wissens wesentlich ist. Muß man doch sonst der Mehrzahl der Menschen wohl einfach jedes Wissen absprechen, da nur wenige von ihren Vorstellungen als den Objekten ihres Bewußtseins wissen. Wie der Ichgedanke ein kompliziertes Produkt des Vorstellungsverlaufes, das sich auch nur in wenigen Menschen zu klarer Deutlichkeit herausarbeitet, so ist auch die Vollziehung jener Unterscheidung das Produkt einer sehr hohen Reflexion, ohne einen wesentlichen Einfluß auf das wirkliche Wissen, geschweige denn eine prinzipielle Voraussetzung seiner Möglichkeit. Damit schließt die herrschende Ansicht der Gegenwart die Begründung der Theorie des Wissens auf eine primitiv durch das Ich bedingte Setzung des Gegensatzes von Subjekt und Objekt als unwissenschaftliche Spekulation aus. Da man aber doch schlechterdings nicht umhin kann von Objekten zu reden, ja sogar das unmittelbare Bewußtsein kurzweg als Bewußtsein von einem Objekt bezeichnet, so dürfte es zumindest unerläßlich sein, von dem Sinn, den man mit diesem Ausdruck verbindet, eine genaue Rechenschaft zu geben.

Man wirft jener "Spekulation" vor, daß sie das von wenigen, einzelnen Subjekten mühsam erworbene Wissen der philosophischen Reflexion unbedenklich in das Bewußtsein und Wissen des ungebildeten Intellekts hineinkonstruiert und so die richtige psychologisch-genetische Auffassung völlig auf den Kopf stellt. Nun weiß und redet allerdings der ungebildete, gemeine Mann nichts von Subjekt und Objekt; das heißt jedoch nur: mit der Reflexion darüber fehlen ihm auch die Ausdrücke für einen Inhalt, der aber in seinem auf einen letzten festen Halt sich nicht besinnenden Wissen und Denken ebenso wirksam und bestimmend ist, wie beim Philosophen auch dann, wenn er einmal nicht gerade philosophiert. Doch eben das ist es, was bestritten wird. Die Menschen, sagt der Empirist, sind nicht unbewußt, aber sie denken meist unbewußt, und ein begreiflicher Irrtum meint daher, weil der Mensch Bewußtsein hat, deshalb denkt er auch mit Bewußtsein (20). Nun soll vielmehr die Operation des Denkens, das Teilen, Vereinen und Beziehen der Vorstellungen, beim ungebildeten Intellekt unbewußt, aber die Elemente, mit denen er operiert, sollen aus dem Bewußtsein genommen sein, welches eben das allen gemeinsame, natürliche, unmittelbare Wissen ist, über das sich nur wenige Menschen durch Reflexion im vermittelten, durch die Sprache bedingten Wissen erheben. So weiß der Naturmensch, daß er sieht: einfach dadurch, daß er eben sieht, weiß aber nicht, daß er damit zunächst bloß vorstellt (in einem erkenntnistheoretischen Sinn) (21).

Allein so hartnäckig der Empirist immer wieder auf sein proton pseudos, das "unmittelbare Wissen" rekurriert, ebenso hartnäckig mahnen wir ihn an die Geltung des ersten Denkgesetzes: "Nur durch die Sinne" soll der Mensch wissen, daß er Sinne hat? Das heißt verlangen, daß das Sehen sich sieht! Aber indem man sich dazu anschickt, offenbart sich die Unmöglichkeit es Wort haben zu wollen, indem man doch des Gegensatzes von Subjekt und Objekt nicht loswerden kann und auch das dritte, das Wissen des Einen vom Anderen unterscheiden und festhalten muß, wenn man nicht überhaupt auf alles Denken und Behaupten und Reden schlechthin verzichten will. Freilich unterscheidet sich das Wisen des gemeinen Mannes von der philosophischen Reflexion, die eben darin besteht, daß der Wissende und Denkende auf Grund und Recht seiner einzelnen Denkhandlungen und Wissensinhalt sich besinnt, während der ungebildete Intellekt von seiner Betätigung sich keine solche Rechenschaft gibt. Aber sofern ihm zugestandenermaßen doch auch ein "Wissen" eignet, jedes Wissen aber nicht bloß ein Was, einen Inhalt hat, sondern nur dadurch Wissen ist, daß sein Inhalt für den Wissenden irgendeinen Erkenntniswert hat, dieses "Erkenntniswert haben" aber mit dem "Inhaltsein" - und nur hierin besteht das sogenannte unmittelbare Wissen - durchaus nicht identischen Sinnes ist, so erhellt sich doch deutlich, welch gänzlich unstatthafte Verwechslung der empiristischen Theorie des Wissens zur Grundlage dient.

Sowie man von Wissen redet, hat man die Unmittelbarkeit des bloßen "Inhaltseins" überschritten, hat stillschweigend die Voraussetzung des Gegensatzes von Subjekt und Objekt gemacht und eben jene fragliche Vertiefung des psychischen Geschehens gedacht, auf welcher die Erhebung des Bewußtseinsinhaltes zu dem beruth, was wir Erkenntniswert nennen und in Form abgestufter "Gewißheit" erleben. Es täuscht uns hier nur zu leicht die sogenannte Erfahrung. Wir werden, wenn wir eine Farbe sehen oder einen Ton hören und dessen "gewiß" sind, uns so gar keiner weiteren Leistung bewußt, deren besonderer Effekt dieses Gewißsein wäre, so ganz vielmehr scheint dies unmittelbar im Gegebensein der Empfindung zu bestehen, sie haben und von diesem haben wissen scheint so völlig unzertrennlich eins und so regelmäßig liefert uns jeder Augenblick die Probe auf diese Einheit, daß sie das Selbstverständlichste von der Welt scheint und darum als der denkbar klarste Obersatz einer Theorie des Wissens hingestellt wird. Der Unvollziehbarkeit des Gegenteils, der faktischen Unmöglichkeit uns unseres Sehens nicht gewiß zu sein, dieser Nötigung, der wir eben einen Ausdruck geben, wenn wir unsere Empfindung als "Tatsache" von allem Nichttatsächlichen abheben, werden wir allerdings unmittelbar mit dem Empfinden bewußt, aber der Inhalt dieses Bewußtseins, den wir kurz mit dem Wörtchen "gewiß" bezeichnen, ist eine Beziehung, welche der Empfindung nicht in dem Sinne eignet, daß sie dem Begriff des psychischen Seins wesentlich wäre, sondern zu welcher dieses Empfinden erst erhoben werden muß. Werden wir uns dessen nicht als einer Extraleistung bewußt, so folgt daraus nicht, wie z. B. BRENTANO glaubt, daß sie dem Empfinden oder Vorstellen unmittelbar immanent ist, weil eine solche Immanenz das seinem Sinn nach ausschließt, dessen psychologische Entstehung sie erklären soll, nämlich die Gewißheit. An diesem unwiderleglichen Satz scheitert jeder empiristische Monismus. Nur die Geläufigkeit jener Leistung und ihre schlechthinnige Unvermeidlichkeit für uns, die sich im Vorstellungslauf des "gemeinen Mannes" ebenso geltend macht wie in der Reflexion des Philosophen, läßt ihren Effekt als unmittelbare Eigenwirkung der Empfindung erscheinen und uns bezüglich ihrer von "unmittelbarer Gewißheit" reden. Diese Unmittelbarkeit kann aber dem Sinn der Gewißheit nach nur eine erworbene, keine objektiv ansich bestehende, sondern nur eine aufgrung actu errungener Vertiefung des Bewußtseins gewordene sein. Denn: eine "Empfindung ist gewiß" heißt nicht bloß: eine Empfindung ist irgendwo, hat das psychische Sein des vorgestelltwerdens, sondern dieses ihr Sein wird als ei nichtzuleugnendes, nicht-nichtzudenkendes gewußt, und als solches gewußt werden heißt, für ein und in einem Bewußtsein (22) einen festen Zusammenhang gewonnen haben mit einem etwas, das für sich nicht auch wieder eines solchen Zusammenhangs bedürftig ist, um nicht selber auch bloß das psychische Sein des Vorgestelltwerdens zu haben. Das ist der wahre Sinn der Gewißheit, den alle Definitionen eigentlich meinten. Gäbe es ein solches etwas nicht, so könnte sich, was wir subjektive Gewißheit nennen, in unserem Bewußtsein gar nicht ereignen. Bestünde es in dem, was der Empirist mit einer Verkennung ihres wesentlichen Sinnes als das ansich und unmittelbar Gewisse zugrunde legt, in den Sinnesempfindungen als dem "Gegebenen", so wäre schlechterdings nicht abzusehen, wie wir zu dem gelangen könnten, was alle unter "gewiß" verstehen. Denn gerade die Sinnesempfindung, dieses "Gegebene" hat ja an sich und aus sich nur das Sein des vorgestelltwerdens und jede Deutung desselben als eines nicht bloß Vorgestellten sondern nicht zu Leugnenden und darum "objektiv" Seienden ist weder aus ihm erklärbar, noch kann sie in ihm selbst den festen Haltpunkt finden, der es ihr ermöglicht aus dem bloßen Sein des vorgestelltwerdens, der ewigen subjektiven Kreisbewegung zu entkommen, kurz mehr zu sein als ein nettes Exempel auf die Geschichte von Münchhausens Zopf. Ich sehe nicht ein, wie die empiristische Erkenntnistheorie dieser fatalen deductio ad absurdum entrinnen könnte. Denn wie könnte sie leugnen wollen, daß das Sein ihres "Gegebenen" nur in einem vorgestelltwerden besteht, und wollte sie in BERKELEYs Idealismus flüchtend entgegnen, daß ja eben dieses vorgestelltwerden das Sein ist, das wir durch unser "gewiß" bejahen, so würde sie damit nur rasch die letzte Konsequenz ziehen, die denknotwendig aus ihrem Obersatz folgt, die des absoluten Skeptizismus und Nihilismus, da sie doch wohl wenig Lust hat, den Weg einzuschlagen, den BERKELEY wählte, um jener Konsequenz zu entgehen.

Denn welches angebbare prinzipielle Kriterium gäbe es dann noch zur Unterscheidung von war und unwahr, gewiß und ungewiß, zwischen den Vorstellungen eines Fieberkranken und des gesunden Intellekts? Hat das Wort "gewiß" noch einen Sinn, wenn es nicht das bloß Vorgestellte vom nicht zu Leugnenden, vom Denknotwendigen unterscheidet und damit auf die Quelle einer anderen Notwendigkeit hinweist, als die Nötigung ist, welche in den Sinnesempfindungen für sich liegt? Doch triumphiernd wird uns jetzt der Empirist zu seiner "Anschauung" zurückzerren, wird zugeben, daß das Sein der Vorstellungen allerdings nur im Vorgestelltwerden besteht, daß aber eben vom bloßen Vorstellen und seiner subjektiven Willkürlichkeit der alle Willkür ausschließende Zwang der Anschauung, der wirklichen Wahrnehmung zu unterscheiden ist und von ihm die unmittelbare Gewißheit nicht auf das psychische Sein der (subjektiven) Vorstellungen, sondern auf jenen Ausschluß der Willkür, auf die Nötigung der wirklichen Anschauung alsdes allein "Gegebenen" gegründet wird.

Aber damit würde er nur vergeblich uns zu verwirren suchen. Denn der behauptete Vorzug der wirklich "gegebenen" Anschauung vor den bloßen Vorstellungen wäre relevant nur für die Gewinnung einer objektiven Gewißheit, und auf ihm lassen ja auch GÖRING, WINDELBAND (23) u. a. ausschließlich die Möglichkeit beruhen, zu einem objektiv-Realen, material-Gewissen unmittelbar hinüberzukommen, während WUNDT, wenn ich ihn richtig verstehe, vorsichtiger auch der Anschauung für sich nur subjektive Gewißheit zuschreibt. Gar nichts dagegen kann jener Vorzug leisten, sofern in ihm die Erklärung dafür liegen soll, wie überhaupt das zustande kommen kann, was wir Gewißheit nennen. Ihr Sinn wird nie gedeckt durch ein wie auch immer geartetes psychisches Geschehen, auch nicht durch das der Anschauung, weil dieser ihr Sinn, den jeder meinen muß, im Inhalt der oben gekennzeichneten Beziehung besteht, die ein - mit oder ohne den Zwang der Anschauung - bloß Vorgestelltes mit dem, dessen Natur es ist, seinerseits nicht auch bloß Vorgestelltes zu sein, verknüpft, welche Verknüpfung wir Unleugbarkeit nennen, damit ihre nicht bloß psychologische Natur zum Ausdruck bringend. Daß ein objektiv-Reales ist, dessen Wirkung wir im Anschauen erfahren müssen, leugnen wir nicht, sondern nur dies, daß das Angeschaute für sich und aus sich heraus unmittelbar gewiß ist. Was an Unmittelbarkeit im Empfinden und Anschauen ist, das ist die seinem Inhalt wesentliche Notwendigkeit eines ganz bestimmten so oder so-seins, weshalb eine Empfindung nur erlebbar, nicht aber in dieser ihrer Unmittelbarkeit mitteilbar und aussprechbar ist. Besteht ihr psychisches Sein in einer solchen Unmittelbarkeit, so kann ihr "gewißsein" nur in der mittelbaren Bezogenheit derselben zu jenem anderen fragwürdigen Punkt bestehen, von welchem daher alles Wißbare ebenso abhängen muß, sofern es gewußt wird, wie es von jener Unmittelbarkeit abhängen muß, insofern etwas (Bestimmtes) gewußt und erkannt werden soll.

Aber mit all dieser düftelnden Spekulation und spekulativen Düftelei erregen wir bei den eigentlich Wissenschaftlichen höchstens ein flüchtiges Mitleid. Längst wird man befürchten, daß wir wieder nur einer "übel angebrachten Vermengung mit ethischen Interessen" zusteuern. Wird ja ohnehin, meint WUNDT (24) weiter, durchgehens von den Erkenntnistheoretikern der wahre Charakter des Problems der Gewißheit verdunkelt". Für ihn ist nämlich die sogenannte unmittelbare Gewißheit einfach gar kein Problem und darum die objektive Gewißheit keines von sonderlicher Schwierigkeit. Die Meinung, daß alles Erkennen ein Akt des Bewußtseins, also ansich subjektiv ist und demnach über die Dinge, wie sie ansich sein mögen, nichts aussagen kann, scheint ihm nichts weiter als eines der größten Vorurteile, unter denen die Philosophie zu leiden gehabt hat.
    "Woher in aller Welt", ruft er aus, "sollten wir die Vorstellung nehmen, daß irgendein Objekt der Wahrnehmung nicht wirklich ist, wie es uns doch unmittelbar erscheint, als eben daraus, daß diese Ansicht in gewissen Fällen in Folge einer Kollision mit anderen Wahrnehmungen undurchführbar wird? Die Erwägung, daß alles Erkennen ein subjektiver Vorgang ist, schließt doch wahrlich nicht aus, daß der Gegenstand des Erkennens objektiv sein kann, wie er in der Tat stets von uns vorausgesetzt wird."
- "Kollision mit anderen Wahrnehmungen", "eine Ansicht wird undurchführbar" - für WUNDT offenbar lauter durchaus sonnenklare Dinge! Für uns bezeichnet dieses "undurchführbar" und ebenso das ihm als selbstverständlich vorausgesetzte "durchführbar" etwas, das oder dessen Sinn aus keinerlei bloß psychologischer Abfolge oder Komplikation von Wahrnehmungen erklärbar ist. Jedes Objekt der Wahrnehmung erscheint "uns" freilich ohne weiteres als wirklich, aber die Helligkeit des Bewußtseins, die erforderlich ist, um es als wirklich zu fassen und um von einem Wirklichen, das dies nicht ist und bedeutet außer als Gegensatz zum Unwirklichen, überhaupt zu wissen, diese stammt nicht aus dem bloßen Wahrnehmen. Man scheint es gar nicht zu bemerken, daß eben dies das Erklärungsbedürftige ist, wie es dann eine "Kollision" der Wahrnehmungen geben kann und wie vor dem Eintreten solcher Kollisionen das Nichtkollidieren gehabter Wahrnehmungen - dies ist doch der Sinn ihrer Wirklichkeit - als Bewußtseinsinhalt möglich ist. Als durchführbar oder nichtdurchführbar gewußt werden setzt ferner eine letztes Maß voraus; soll nun die Wahrnehmung ihr Objekt unmittelbar "als wirklich" fassen, so müßte das zu Messende buchstäblich zugleich sein eigenes Maß sein. Es bleibt also auch der süffisanten Zuversichtlichkeit dieses modern-deutschen common sense gegenüber, der sein objektiv-Reales so billig und bequem zu erreichen glaubt, bei der nachgewiesenen Unmöglichkeit einer unmittelbaren Gewißheit in dem von ihm behaupteten Sinn. Die Weise, wie er die erkenntnistheoretischen Richtungen zu meistern such, offenbart eben nur einen philosophischen Eklektizismus [von allem etwas - wp], in dessen Gewohnheit es bekanntlich von jeher lag bei aller Vielwisserei die eigentlichen Probleme gar nicht zu bemerken.

Wir haben also gesehen, wie der empiristische Realismus die Grundlage seiner Theorie des Wissens und Erkennens gewinnt, indem er die Frage stellt, was gewiß ist, diese Frage dogmatisch mit dem Hinweis auf die Sinnesempfindungen oder elementaren Tatsachen des Bewußtseins als das unmittelbar Gewisse beantwortet ohne sich mit den Schwierigkeiten des Sinnes der Gewißheit weiter zu befassen. Indem aber dadurch die letzte Instanz aller Gewißheit des Wissens prinzipiell in die Erfahrung gesetzt wird, erwacht andererseits das theoretische Bedenken, daß die Natur dieser letzten Instanz eigentlich das ausschließt, dem doch letztlich alle unsere Denkbemühung gilt, nämlich eine allgemeingültige und notwendiggewisse, nicht bloß provisorische und hypothetischgültige Wahrheit als Inhalt unseres Wissens. Recht eindringlich hat LOTZE in dem bereits angeführten Abschnitt seiner Logik über Apriorismus und Empirismus das Gewicht seines Bedenkens dargelegt. Und in der Tat ist die Sicherheit unseres Wissens letztinstanzlich auf die sogenannte unmittelbare Gewißheit der eigentlich auf den "gegebenen Moment beschränkten" Empfindung gegründet, so scheint sein Inhalt jener Auszeichnung verlustig zu gehen, die wir ihm unter dem Namen der Wahrheit vindizieren wollen und genau besehen eigentlich auch müssen. Denn wer in rigorosester Konsequenz aus jener empiristischen Grundlage des Erkennens den Schluß zieht, daß für uns allerdings eine Wahrheit im Sinne der verlangten Allgemeingültigkeit nicht erreichbar ist, würde eben diese Gültigkeit für seine Leugnung in Anspruch nehmen oder zumindest für ein weiteres und letztes non liquet [es ist nicht klar - wp] nehmen müssen, das er diesem seinem eigenen Anspruch entgegensetzen könnte. Man kann nur versuchen gar nichts mehr zu denken und zu sprechen, nicht aber irgendetwas behaupten oder leugnen ohne ebendamit eine Allgemeingültigkeit vorauszusetzen. Dies ist der Grund, der zur Aufsuchung apriorischer, der Erfahrung nicht verdankter, sondern eine eigentliche Erfahrung erst ermöglichender Grundsätze drängte, als des letzten Halts, an den es uns möglich wird allgemeingültige Erkenntnisse anzuknüpfen. Der weitläufige Streit über den Umfang, die Ausdehnung dieser Apriorität kümmert uns hier zunächst nicht, sondern wir haben zu prüfen, worin denn ihre Befähigung zu der Leistung liegt, die man von ihr erwartet, nämlich unseren Erkenntnissen die Allgemeingültigkeit zu verschaffen. Zu dem Zweck mag es sich empfehlen an die kurze und das Wesentliche erschöpfende Darstellung LOTZEs (a. a. O.) anzuknüpfen.

Nachdem er den Einwand, daß wir die Kenntnis der angenommenen apriorirschen Wahrheiten jedenfalls auch nur durch innere Erfahrung erlangenen können, mit der Bemerkung abwies, daß nur von Wichtigkeit ist, als was wir jene Gedanken erfahren, ob als angeborene Wahrheiten oder als Erfahrungen in einem beschränkteren Sinn, in welchem sie im Gegensatz zu diesen auf einen dem Geist selbst auswärtigen Ursprung hindeuten, fährt er fort:
    "nicht in dieser ihrer Eigenschaft, dem Geist angeboren zu sein, werden jene Wahrheiten erfahren, sondern die sachliche Selbstverständlichkeit ihres Inhalts fällt uns zuerst auf und macht sie, nachdem irgendein Beispiel uns veranlaßt hat sie zu denken, von aller Bestätigung durch fernere Beispiele, mithin von der Erfahrung unabhängig, welche diese liefern könnte. Allgemeinheit und Notwendigkeit sind daher immer die beiden Eigenschaften gewesen, die den apriorischen Erkenntnissen zugeschrieben wurden. Wir verstehen die erste in dem Sinne, daß überall, sobald das Subjekt einer solchen Erkenntnis gedacht wird, auch das zugehörige Prädikat als selbstverständlich mit ihm verbunden erscheint; und in nichts anderem als in dieser Selbstverständlichkeit besteht andererseits auch die Notwendigkeit der Geltung, die allgemeinen Wahrheiten offenbar in anderer Bedeutung zukommt, als den Verknüpfungen verschiedener Inhalte, die uns die veränderliche Erfahrung vorführt. Gegeben sind auch diese so, daß in dem Augenblick, in welchem sie stattfinden, unsere Willkür sie nicht zu trennen vermag; aber sowohl notwendig in dem Sinne, in welchem es jede Tatsache ist, die nicht hinweggeleugnet werden kann, entbehrt doch der Inhalt der Erfahrung jene Selbstverständlichkeit der inneren Verknüpfung, die uns den einen seiner Bestandteile nicht ohne den anderen zu denken erlaubt."
Und dem nochmaligen Bedenken gegenüber, woher wir denn das Recht haben zu behaupten, daß, was uns in einem Augenblick als selbstverständlich erscheint, uns in jedem anderen Augenblick ebenso erscheinen wird, erklärt er, daß es kein Mittel gibt uns der Allgemeingültigkeit eines Gedankens zu versichern, wenn uns nicht die Evidenz genügt, "mit welcher sein Inhalt, einmal gedacht, sich selbst ewige Geltung der Erfahrung vorgreifend zuschreibt."

Das also, was die apriorischen Grundsätze vor den immer bloß gegebenen Inhalten der Erfahrung auszeichnet und zu einem letzten festen Halt allgemeingültiger Erkenntnisse erhebt, ist nach LOTZEs präziser Formulierung die Selbstverständlichkeit ihrer Geltung. Trotz seiner Mahnung nun, man müsse den Begriff der Geltung als einen durchaus nur auf sich beruhenden Grundbegriff ansehen, von dem jeder wissen kann, was er mit ihm meint, den wir aber nicht durch eine Konstruktion aus Bestandteilen erzeugen können, welche ihn selbst nicht bereits enthalten, können wir nicht einfach auf sich beruhen lassen, sondern wollen - zwar nicht durch eine Konstruktion ihn erzeugen, aber uns doch näher darauf besinnen, was wir mit ihm meinen dürfen. LOTZE selbst führt das Gelten als eine der vier voneinander unableitbaren Wirklichkeitsformen oder Wirklichkeitsarten auf.
    "Wirklich", sagt er, "nennen wir ein Ding, welches ist, im Gegensatz zu einem andern, welches nicht ist; wirklich auch ein Ereignis, welches geschieht oder geschehen ist, im Gegensatz zu einem anderen, welches nicht geschieht; wirklich ein Verhältnis, welches besteht, im Gegensatz zu dem, welches nicht besteht; und wirklich wahr nennen wir einen Satz, welcher gilt, im Gegensatz zu dem, dessen Geltung noch fraglich ist."
Der Begriff des Geltens leugnet vom geltenden Inhalt ebenso die Wirklichkeit des dinghaften Seins, wie er die Unabhängigkeit desselben von unserem Denken behauptet. - Diese letztere Wendung scheint mir nicht eindeutig und darum nicht unverfänglich. Meint ihr Sinn die Unabhängigkeit von jedem Denken, so fiele der Begriff des Geltens ins Bodenlose; denn ein Gelten, das von nichts gilt, wäre wohl selber auch nichts, und das etwas also, der "Inhalt", den es bedarf um von ihm zu gelten und so selber die ihm eigene Wirklichkeitsform haben zu können, kann doch nichts anderes als ein "Gedankending", ein Gedachtes sein, womit doch bewiesen ist, was sich von selbst versteht, daß es nämlich dieses Gelten nur in einem und für ein Denken geben kann, die Abstraktion von einem solchen aber auch für das Gelten keinen denkbaren Sinn übrig läßt. Was bedeutet also diese "Unabhängigkeit von unserem Denken", welche als mit zum wesentlichen Sinn dieses Geltens gehörig behauptet wird, in welchem denkbaren Sinn kann ein Inhalt, in dessen Begriff es liegt Inhalt eines Denkens zu sein, von diesem Denken unabhängig zu sein? LOTZE stellt diese Frage gar nicht, geschweige daß er sie beantwortet; was er aber verlangt, die Sache als "durchaus nur auf sich beruhend" anzusehen, können wir unmöglich leisten, da es sich herausgestellt hat, daß das "wissen, was man damit meint", durchaus nicht so fertig auf der flachen Hand liegt. Offenbar ist das Gültige nicht vom Denken unabhängig, sofern es ein Gedachtes sein muß, sondern nur, sofern es als Gedachtes ein Gültiges, das heißt: ein nicht bloß Gedachtes sein soll. Nur diesen Sinn konnte LOTZE "meinen" mit der behaupteten "Unabhängigkeit vom Denken".

Die Analyse der empiristischen Grundlegung des Erkennens hat uns früher bis vor ein Angeschautes oder Vorgestelltes geführt, das nicht bloß Angeschautes oder Vorgestelltes sein sollte, und ganz so erweist sich uns jetzt das Gelten des Apriorischen als ein Gedachtes, das nicht bloß Gedachtes sein darf. Hier wie dort betrifft es das, was wir positiv ausgedrückt "gewiß" nennen, ein Ausdruck der nur subjektiv dasselbe bezeichnet, was wir objektiv "wirklich" nennen. Der von uns durch eine kritische Analyse zersetzten "unmittelbar gewissen Empfindung" des Empiristen stellt der Apriorist ein "unmittelbar Geltendes" gegenüber; denn eben dieses, die Unmittelbarkeit des gewißseins meint LOTZE, wenn er den Inhalt der apriorischen Grundsätze "sich selbst" ewige Geltung zuschreiben läßt und als das Charakteristische an ihnen ihre Selbstverständlichkeit betont. Vornehmer oder intensiver erscheint dieses ihr Unmittelbargewißsein insofern, als es zum Gegenstand ein Allgemeines, ein Logisches, einen Sinn, jenes der Sinnesempfindung dagegen ein Individuelles, Psychologisches, eine Tatsache hat. Hinsichtlich der Gewinnung allgemeingültigen Wissens erzielt er dadurch eben den Vorteil, daß auch ein Allgemeines, nämlich jene Grundsätze als unmittelbar "gegeben" erscheinen, während dem Empiristen Allgemeinheit im strengen Sinn verschlossen bleibt, sofern er als unmittelbar gewiß und gegeben nur die singulären Empfindungen anerkennt. - Lassen wir nun vorerst den Sinn und die Möglichkeit dieses Unmittelbargewiß- und Selbstverständlichseins des Apriorischen dahingestellt sein: wie steht es, wenn es damit seine Richtigkeit hat?

Wie es überhahupt im Sinne der modernen Wissenschaft als erklärender Theorie liegt,
    "jedes Gegebene in seiner ganzen vollständigen Bestimmtheit als die unvermeidliche Folge der Anwendung allgemeingeltender Gesetze auf ebenso bestimmt gegebene Umstände aufzuweisen",
so würde sich auch der ganze Prozeß unseres Erkennens aus dem Zusammenwirken zweier Faktoren erklären: aus der Anwendung der allgemeinen, gesetzliche Geltung besitzenden Grundsätze, die im Sinne von entwicklungsfähigen Anlagen unserer "geistigen Natur" angeboren sind, auf die Kombination der Veranlassungen, die durchaus veränderlich der Lauf der Erfahrung bietet zur Ausübung jener uns reizend. Oder, wie man sich in einem hübschen Gleichnis ausgedrückt hat, jene angeborenen Ideen sind "der Zettel, in den die Wahrnehmung den bunten Einschlag webt". (25)

Objektive Realität würde auch hiernach dem Erkennen aus seinem empirischen oder aposteriorischen Element zuwachsen müssen, und die dogmatischste Art, wie sie der Empirismus grundlos aus ihm selber unmittelbar ableitet, würde aus der Hinzufügung formaler Aprioritäten keine größere Berechtigung schöpfen können. Die Allgemeingültigkeit der Verknüpfungen aber, die das Apriorische jetzt zwischen den empirischen Elementen zu stiften erlaubt, würde, gänzlich und ausschließlich auf der Selbstverständlichkeit des letzteren beruhend, über den hypothetischen Charakter nicht hinauskommen können. Denn was wäre ihre Grundlage, jenes auf sich beruhende Selbstverständliche nämlich am Ende selber mehr als eine unbegriffene Nötigung, unserem Denken unerklärliche immanent, damit wir aus ihm den Schein der Verständlichkeit auch über die veränderliche Erscheinungswelt ausbreiten? Wählen wir nur gleich den allerselbstverständlichsten unter jenen letzten Grundsätzen, das Identitätsgesetz! Worauf, so frägt LOTZE (a. a. O., Seite 595), beruth es denn, daß wir den Satz A = A "als eine verständliche Wahrheit betrachten, wenn nicht auf der unmittelbaren Evidenz, mit welcher er sich uns aufdrängt und keine weitere Vermittlung seiner Gewißheit wünschenswert macht?" Dieses Bewußtsein der Nötigung so und nicht anders zu denken und der Denkunmöglichkeit des Gegenteils, worin allein danach die Evidenz besteht, würde immer nur begründen können, daß wir jenen Satz als verständlich "betrachten", aber nicht, daß er eine "Wahrheit" ist. Wollte man aber entgegnen, nicht sein "sich aufdrängen", sondern als was er sich aufdrängt, also seine unmittelbare Evidenz, seine "sachliche Selbstverständlichkeit" ist es, die ihm die höhere Dignität als die der bloß subjektiven in unserer Organisation begründeten Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit sichert, so würde dadurch nur offenbar, daß man mit jener Evidenz und Selbstverständlichkeit eigentlich mehr meint als das Bewußtsein einer herkunftslosen, unser Denken nur faktisch beherrschenden Nötigung. Daß der Satz A = A, wenn er gedacht wird, keine weitere Vermittlung seiner Gewißheit "wünschenswert" macht, kann zugegeben werden; daß er aber überhaupt gedacht wird, als ein denknotwendiger und dabei nicht bloß denknotwendiger, sondern "selbstverständlicher", als "verständliche Wahrheit" gedacht wird, diese Tatsache setzt einen Grund außer und über der Nötigung ihn zu denken voraus. Nicht in dem Sinn ja nur nennen wir jenen Satz gültig, daß er bloß der Ausdruck für die unvermeidliche Form ist, in welcher mit immanenter Notwendigkeit unser Denken, etwa nach ULRICI als unterscheidende Tätigkeit, seine tatsächliche Naturbestimmtheit äußert, sondern in dem höheren Sinn, den wir eben meinen, wenn wir mit dieser seiner Denknotwendigkeit eine "Wahrheit" verknüpft glauben.

Bestünde seine Gültigkeit nur in seiner tatsächlichen Denknotwendigkeit und hätte diese ihren Grund nur in der psychologischen Natur ("Naturbestimmtheit") unserer Denktätigkeit, so wäre nicht abzusehen, wie ein Übergang von seinem bloß tatsächlichen Gelten (für uns) zu der ihm vindizierten "Selbstverständlichkeit" gewonnen werden könnte. Was man mit dieser meint, ist ja eben dies, daß der Inhalt jenes Satzes nicht bloß ein Gedachtes, auch nicht bloß ein (subjektiv) notwendig zu Denkendes, sondern, indem er beides ist, ein in seinem Erkenntniswert vom Gedachtwerden und vom Gedachtwerdenmüssen Unabhängiges ist. Deshalb ist es aber noch nicht ein schlechthin und absolut Unabhängiges, ein ganz anfangs- und grundloses a priori - als solches würde es gar nichts leisten, ja einfach gar kein Denkbares sein können -, sondern darin, daß und wie es von einem anderen aufzusuchenden Grund ab- und mit ihm zusammenhängt, kann erst sein Erkenntniswert, seine Gewißheit liegen und darauf allein kann überhaupt erst die Erhebung von der bloß psychologischen Nötigung, vom Bewußtsein des subjektiven Nichtanderskönnens zur logischen Notwendigkeit und Evidenz beruhen.
LITERATUR - Georg Neudecker, Das Grundproblem der Erkenntnistheorie, Nördlingen 1881
    Anmerkungen
    9) BRENTANO, Psychologie vom empirischen Standpunkt, Seite 170.
    10) Selbstverständlich="../brentano01.html" target="_blank">Psychologie vom empirischen Standpunkt, Seite 170.
    10) Selbstverständlich ist auch jede andere Art des primären oder unmittelbaren Vorstellens inbegriffen.
    11) BRENTANO, a. a. O., Seite 160.
    12) LOTZE, "Mikrokosmus" II, Seite 268; "Logik" 1874, Seite 538f und besonders "Metaphysik" 1879, Seite 530.
    13) LOTZE, "Metaphysik", a. a. O., Seite 536f.
    14) LOTZE, a. a. O., Seite 593.
    15) LOTZE, Mikrokosmus II, Seite 268
    16) LOTZE, Logik, Seite 515
    17) GÖRING, System der kritischen Philosophie, Seite 152
    18) vgl. PAUL ROBERT SCHUSTER, Gibt es unbewußte Vorstellungen, Leipzig 1879, Seite 17
    19) VOLKMANN Ritter von VOLKMAR, Lehrbuch der Psychologie vom Standpunkt des Realismus etc., zweite Auflage, Bd. 2, Seite 211.
    20) vgl. GÖRING, a. a. O. I, Seite 179.
    21) Daß er auch nicht weiß, daß er überhaupt vorstellt, scheint mir eine leere Behauptung GÖRINGs zu sein (a. a. O. Seite 176).
    22) Es braucht kaum bemerkt zu werden, daß vorläufig immer nur von einer subjektiven Gewißheit die Rede ist und es sich zunächst nur darum handelt, die Möglichkeit einer solchen zu erklären.
    23) WINDELBAND, Über die Gewißheit der Erkenntnis, Leipzig 1873, Seite 71: "Es muß an irgendeiner Stelle des Erkennens auch der Inhalt auf irgendeine Weise in unmittelbarer Gewißheit gegeben sein." Dies leistet nach Seite 80 die "Anschauungsnotwendigkeit" als "Gefühl davon, nicht selbst die Ursache dieser bestimmten Anwendung der eigenen subjektiven Funktionen (Raum, Zeit, projizierende Kausalität, wodurch der "Gegenstand" entsteht) zu sein." Gefühl davon, nicht selbst Ursache zu sein!! Und doch soll alles Wissen "durchaus unpersönlich", d. h. also ich- und selbstlos sein, das Selbst Produkt, nicht notwendige Voraussetzung des Wissens und Erkennens sein? Das heißt wissenschaftliche Logik!
    24) WUNDT, Physiologische Psychologie, a. a. O., Seite 383
    25) SCHUSTER, a. a. O., Seite 74