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RICHARD SCHUBERT-SOLDERN
Grundlagen einer Erkenntnistheorie

"Die meisten Versuche in der Philosophie eilten rasch über eine solche Analyse [des unmittelbarst Gegebenen] hinweg und selbst Diejenigen, die sich länger bei derselben aufgehalten haben, sahen darin nur das Mittel, nicht den Zweck ihrer Arbeit. Die Folge davon war, daß unwillkürlich das Mittel nach dem wenn auch unklar vorschwebenden Zweck eingerichtet wurde, d. h. daß man ihm Gegebenen das fand, was man darin finden wollte, weil man es eben finden wollte."

"Farbe, Ton, Geruch usw. sind an den Leib als ihre Bedingung gebunden und die Welt der Wahrnehmung schwindet fast zu Null ohne jede ergänzende Reproduktion. Es ist eben (und das ist Tatsache) Nichts wahrnehmbar, vorstellbar oder begreifbar außer in Beziehung zu einem Ich und seinem Leib."

"Sehr oft läßt sich die Grenze zwischen zwei Dingen nicht genau angeben; wann hört der Keim auf, Keim zu sein und fängt an Pflänzchen zu werden, wann hört ein ungebautes Haus auf, dasselbe Haus zu sein?"

"Die Wahrnehmung gehört einer Welt an, die uns nicht unmittelbar gegeben ist, die unmittelbare ist nur gleich oder zumindest ähnlich. Sie ist die Wirkung der mittelbar erschlossenen, denn sie erscheint oft unserem Bewußtsein aufgedrängt, sie greift in unsere Gefühle ein."

"Wie sich der Ertrinkende an einem Strohhalm festhält, so hält sich jener uralte Glaube an eine objektive Welt, an jenem Unbegreiflichsten alles Unbegreiflichen, dem Ding-ansich in seiner vollen Bestimmungslosigkeit noch aufrecht."


E i n l e i t u n g

Es ist schon oft darauf hingewiesen worden, daß die Lehre von der Erkenntnis, die Erkenntnistheorie, das Erkennen selbst schon voraussetzt und es wurde daraus gefolgert, daß sie nicht nur nicht notwendig, sondern auch nicht möglich ist. Das Erkennen und die Theorie des Erkennens verhalten sich aber zueinander wie Praxis und Theorie und in diesem Sinn setzt freilich die Theorie die Praxis bis zu einem gewissen Grad voraus, ohne deswegen selbst unmöglich zu werden. Auch die physikalischen Theorien setzen die Natur ohne diese Theorien voraus und man kann doch nicht sagen, diese Theorien erklären nichts, weil sie jene Erscheinungen voraussetzen müssen, die sie eben erklären wollen. Ebenso setzt die Lehre vom Denken und Erkennen freilich alle Erscheinungen des Erkennens voraus, diese sind ja das Objekt ihrer Forschung, aber ihr allgemeiner Zusammenhang, das Gesetz ihrer Erscheinung muß erst aus ihnen abstrahiert werden, nicht als ob es erst durch diese Abstraktion entstehen würde, sondern in dem Sinne, daß es durch dieselbe erst aus dem konkreten Zusammenhang hervorgehoben und für sich verwendbar wird. In dieser Bedeutung ist Erkenntnistheorie nur die Analyse des Gegebenen seinem allgemeinsten Zusammenhang nach, sie sucht nicht nach etwas gar nicht Vorhandenem, sondern sie sucht im Gegebenen dasjenige, was den allgemeinsten Denkwert besitzt.

Auch die Erkenntnistheorie hat also nicht erst das praktische Erkennen selbst zu lehren, sondern diese nur zu erleichtern und vielleicht neue Wege des Erkennens aufzufinden. Das praktische Erkennen ist ein Erkennen des Einzelnen, Konkreten, das theoretische ein Erkennen der allgemeinen Gesetze jenes praktischen Erkennens, wobei diese Gesetze freilich nur an jenen Einzelheiten gegeben und auffindbar sind. Daher hat in dieser Beziehung KANT völlig recht, wenn er erst das Erkenntnisvermögen, d. h. die Gesetze des Erkennens überhaupt untersuchen wollte, ehe er ein Urteil über das Erkennen nicht des Einzelnen, sondern das Erkennen im Großen und Ganzen fällen zu dürfen glaubte.

Ich muß mich natürlich auf diese kurze Rechtfertigung der Aufstellung einer Erkenntnistheorie beschränken, denn die ausschlaggebende Rechtfertigung können die Grundlagen einer Erkenntnistheorie selbst allein liefern, wie sie auch allein diese neue Richtung der Erkenntnistheorie rechtfertigen können.

Dennoch möchte ich in Bezug auf das Letztere noch einige Worte hinzufügen. Solange es noch Schulen in der Philosophie gibt, kann sie nicht den Anspruch darauf erheben, Wissenschaft zu sein, sie ist dann vielmehr die Kunst, das fehlende Wissen durch die Phantasie zu ersetzen (1). Diese Kunst wird wohl nie aufhören, weil das menschliche Bedürfnis darauf hindrängt, ein Ganzes zu bilden, das Wissen aber stets Stückwerk bleiben muß. Auch ist diese Kunst gewiß nicht ohne Vorteil für die Wissenschaft selbst, sie befruchtet die wissenschaftliche Einbildungskraft, ohne welche nichts zu schaffen möglich ist, nur muß stets bedacht werden, daß diese Art Philosophie eben Kunst und nicht strenge Wissenschaft ist, soll nicht eine heillose Verwirrung entstehen. Die Philosophie aber, die ich in den folgenden Blättern vertrete, will nicht Kunst, sondern Wissenschaft sein. Sie beabsichtigt nicht Ergänzungen durch Einbildungskraft und Phantasie, sondern eine Analyse des am unmittelbarsten Gegebenen. Der Anfang einer solchen Analyse ist freilich schon in den ersten philosophischen Versuchen zu finden; man muß ja doch zumindest im Allgemeinen wissen, was gegeben ist, ehe man Etwas ergänzen kann. Aber die meisten Versuche in der Philosophie eilten rasch über eine solche Analyse hinweg und selbst Diejenigen, die sich länger bei derselben aufgehalten haben, sahen darin nur das Mittel, nicht den Zweck ihrer Arbeit. Die Folge davon war, daß unwillkürlich das Mittel nach dem wenn auch unklar vorschwebenden Zweck eingerichtet wurde, d. h. daß man ihm Gegebenen das fand, was man darin finden wollte, weil man es eben finden wollte.

Zu einer vorurteilslosen Untersuchung des Gegebenen gehört daher die möglichste Ausschließung eines jeden ihr fremden Zwecks; vollständig wird dieses nicht möglich sein, weil unwillkürlich die seit Jahrhunderten bestehenden philosophischen Ergänzungen des Gegebenen hemmend oder fördernd in den Gang der Untersuchung eingreifen werden, man kann aber zumindest danach streben, annähernd eine solche reine Analyse zu vollführen.

Mit einer solchen Feststellung ihrer Arbeit ist die Philosophie in die Reihe der Wissenschaften eingetreten, denn das, was am unmittelbarsten gegeben ist, muß sich schließlich mit hinlänglicher Genauigkeit angeben lassen, das aber, was nie gegeben ist, läßt nur Hypothesen, und zwar viele Hypothesen zu.

Diese Richtung der Philosophie hat auch schon zwei Vertreter gefunden, die unabhängig voneinander denselben Weg eingeschlagen haben: WILHELM SCHUPPE (2) und ANTON von LECLAIR (3); ihre Arbeiten bilden die Grundlage künftiger Untersuchungen in dieser Richtung.

Aber die Stellung, die sie als Gründer einer philophischen Richtung einnehmen, ist vollständig verschieden von früheren Schöpfern philosophischer Systeme. Durch den Gründer eines neuen Systems wurde bisher stets auch dieses neue System vollendet, den Anhängern blieb nur übrig, sich in dem neuen Haus heimisch einzurichten, vielleicht einen Anbau, innere Verbesserungen, einige Ausschmückungen hinzuzufügen, im Großen und Ganzen aber konnte und durfte Nichts geändert werden. So entstand eine ganze Stadt von Systemen mit vielen Um- und Neubauten und wechselnden Einwohnern.

Nicht so verhält es sich mit unserer Richtung der Philosophie; sie ist kein fertiges System und will es auch gar nicht sein. Wer nur danach strebt, sich in einem vollendeten System heimisch zu machen, der bleibe ihr fern. Gelegt ist nur die Grundlage, bezeichnet nur der Ort des Gebäudes; aber dieses Gebäude ist kein Wohnhaus, es ist ein öffentliches Gebäude, an dem mitzuarbeiten Jeder aufgefordert ist, ein Aussichtsturm zu Jedermanns Gebrauch, der aber nie vollendet werden kann, weil man nie aufhören wird, umso mehr zu sehen, je höher man hinaufkommt.

Ein Anhänger dieser neuen Richtung muß also selbst an einem unvollendbaren Gebäude mitbauen helfen und darf sich nicht scheuen, selbst die Einreißung des schon Gebauten bei den Bauleuten zu beantragen.

Arbeit, selbständige Arbeit wird also gefordert und Verzichtleistung auf Vollendung dieser Arbeit. Soll demnach die neue Richtung bestehen bleiben, so darf sich keine Schule bilden, die da sagt: autos epha [Der Meister selbst hat es gesagt. - wp], aber auch kein Mitarbeiter darf beanspruchen, Alles oder auch nur einen großen Teil des Werkes selbst zu vollenden, er muß sich begnügen, nur das hinzuzufügen, was ihm nach genauer Untersuchung als zweifellos richtig erscheint und darf sich nicht scheuen, auch schon Vollendetes zu vernichten, wenn es dem Gegebenen nicht entspricht, denn nicht die Vollendung des Werkes ist das Ziel, sondern die Festigkeit des bisher vollendeten.


I. Abschnitt
Das Problem der
transzendenten Erkenntnis


1. Kapitel
Entstehung der Transzendenz

Transzendent ist alles, was über das Bewußtsein oder das Gewußtwerden hinaus geht. Es scheint zwar nun von vornherein einzuleuchten, daß man nichts behaupten kann, was nicht in das Gewußtwerden fällt, noch fallen kann, daß also jede Transzendenz ein Unbegriff ist. Nichtsdestoweniger ist offener- oder versteckterweise transzendentes Sein fast stets behauptet worden und es ist also zu erklären, wieso überhaupt eine solche Behauptung möglich war. Dazu wird nötig sein, erst den Begriff des Bewußtseins festzustellen, und sodann die Entstehung der Transzendenz zu erklären (4).

Was den Begriff des Bewußtseins anbelangt, so werden zwar Viele meinen, daß er als das ursprünglichste Datum überhaupt gar nicht feststellbar ist, daß man ihn ohne weitere Erörterungen als unmittelbar bekannt voraussetzen müßte. Dagegen ist aber zweierlei einzuwenden: Auch das Evidenteste muß aufgezeigt werden können, und auch der evidentesten Erkenntnis können irrtümlicherweise fremde Bestandteile beigemischt sein, die nicht evident sind und von denen sie gereinigt werden muß.

Wir müssen daher zuerst fragen: Worin besteht das Bewußtsein? Bei dieser Frage haben wir aber alle transzendenten Behauptungen beiseite zu lassen, denn die bloß scheinbare Möglichkeit derselben soll später aus dem Bewußtsein selbst erklärt werden. Das Bewußtsein darf also weder als Eigenschaft eines transzendenten Wesens, noch als seine Tätigkeit betrachtet werden, noch darf man annehmen, daß es durch die Einwirkung eines transzendenten Objekts auf ein transzendentes Subjekt entstanden ist oder entsteht; man kann daher auch nicht von einer Seele reden, die Bewußtsein hat, noch vom Bewußtwerden eines Dings oder eines Datums überhaupt. Das Bewußtsein entsteht nicht, noch vergeht es also, denn vom Entstehen oder Vergehen desselben ist ohne Transzendenz zu reden unmöglich. Das ganze Sein ist dann im Bewußtsein beschlossen, es gibt nur Bewußtseinsdata, Bewußtseinsinhalte. Dabei findet aber das Eigentümliche statt, daß während man alle Daten, selbst die einfachsten, zumindest dadurch charakterisieren kann, daß man sie von Daten, die sie nicht sind, unterscheidet, das Bewußtsein auch dieses Charakteristikum insofern entbehrt, als man von einem Unbewußtsein nicht sprechen kann, das Bewußtsein also nicht durch den Hinweis auf Etwas, das nicht bewußt ist, charakterisieren kann. Man könnte es höchstens im Gegensatz zu seinem Inhalt erfassen wollen. Aber man kommt auch hier in Verlegenheit, sobald man das Bewußtsein am Inhalt aufweisen will, denn es fügt zum Inhalt nicht nur Nichts hinzu, sondern es ist für denselben auch gar nichts Charakteristisches, da es, wie gesagt, einen unbewußten Inhalt nicht gibt. Was das Bewußtsein noch außerhalb seines Inhalts sein soll, ist nirgends aufweisbar. Was ist das, was diesen Baum zu einem gewußten im Bewußtsein gegebenen macht? Man wird vergeblich nach einem selbständigen Element des Bewußtseins in diesem Sinne suchen, denn alle sich daran knüpfenden Gefühle oder Vorstellungen oder selbst Beziehungen sind selbst wieder Daten, aber nicht das Bewußtsein. Dazu kommt noch, daß sein Unterschied vom Sein oder Gegeben-, Vorhandensein nicht aufweisbar ist. Denn da ein Unbewußtes nachzuweisen nicht möglich ist, so fällt Sein und Bewußt- oder Gewußtsein zusammen. Worin besteht der Unterschied zwischen dem Sein und dem Gewußtsein eines Baumes? Es gibt kein Seiendes, das nicht Bewußtes wäre und es gibt nichts Bewußtes, das nicht Seiendes wäre.

Und ebenso wie das Sein zum Inhalt nichts hinzufügt und ohne einen Inhalt nichts ist, nur irgendeinen Inhalt bedeuten kann, so ist auch das Bewußtsein als abstraktes Moment an irgendeinem Datum nicht auffindbar, von einem Datum selbst nicht zu unterscheiden möglich, es fällt in diesem Sinn mit dem Begriff des Seins zusammen. Ein Bewußtsein als selbständiges abstraktes Moment gibt es ebensowenig, wie es ein Sein als abstraktes Moment an irgendeinem Datum gibt.

Die Behauptung eines solchen Bewußtseins würde überdies noch in eine andere unüberwindliche Schwierigkeit führen. Ist das Bewußtseiende ein selbständiges notwendiges Moment alles Seienden, dann fordert auch das Bewußtsein selbst, um zu sein, wieder ein Bewußtsein und dieses Bewußtsein wieder ein Bewußtsein usw. Die erste Bedingung allen Seins würde also auf eine unendliche Reihe von Bedingungen hinauslaufen, und es wäre unbegreiflich, wie es überhaupt zu einem Bewußtsein kommt. Ist aber das Bewußtsein kein selbständiges Moment, ist es wie das Sein nichts außer den Inhalten, dann ist es auch keine Bedingung von Inhalten, sondern das Gegebensein von Inhalten überhaupt und bedarf daher ebensowenig eines Bewußtseins, um zu sein, wie das Sein eines Seins bedarf, um zu sein. Will man also das Bewußtsein als ein allen Daten zukommendes selbst einfaches Datum fassen, dann ist es nicht aufweisbar und schwindet unter der Hand zum nichtssagenden Begriff des Seins zusammen. Das Bewußtsein in abstracto abgesehen von allen Daten und ihren Beziehungen, ist also Nichts, wenn es nicht ihr Vorhandensein überhaupt bedeuten soll. Dennoch aber besteht das Wort Bewußtsein und dennoch spricht man davon, daß man sich einer Sache bewußt ist, und es ist also zu untersuchen, welche Bedeutung diesen Worten zukommt. Wenn ich sage, ich bin mir eines Baumes bewußt, oder ich weiß, daß ich einen Baum sehe, was für Daten sind hier unmittelbar gegeben? Zunächst verschidene räumliche Beziehungen des Baumes zu meinem Leib, sodann Beziehungen dieses Baumes zu einer Reproduktion (Erinnerung an vergangene Daten), die meine Reproduktion genannt wird, endlich Beziehungen zu Gefühlen und Begehrungen, die sich an jene Reproduktion knüpfen, das Alles in der Einheit eines Zeitpuntes und eines Raumes, dessen Mittelpunkt mein Leib bildet. Sonst ist Nichts aufweisbar und auffindbar. Es können und werden nun je nach den verschiedenen Inhalten, um deren Bewußtsein es sich handelt, die zeitlichen und räumlichen Beziehungen, die Reproduktionen, Gefühle und Begehrungen andere sein, aber jeder Inhalt, jedes Datum hat irgendwelche zeitliche, räumliche (direkte oder indirekte) Beziehungen zu einem Leib, irgendeine Beziehung zu Reproduktionen, Gefühlen und Begehrungen, die eben meine Reproduktionen usw., die mein Ich genannt werden.

Denn so weit das Ich nicht Leib sein soll, ist es nichts Anderes als die eben vorhandene Reproduktion mit ihren Gefühlen und Begehrungen, mit eingeschlossen die so oft gemachte Erfahrung, daß jene Reproduktion bis in weite Fernen der Vergangenheit unter bestimmten Bedingungen reicht. Diese kontinuierliche, zeitlich einheitliche Entwicklung von Vorstellungen, Gefühlen, Begehrungen usw., gebunden an einen Leib mit der Seinsart der Wahrnehmung und den Mittelpunkt der unmittelbar gegebenen Raumwelt bildend, ist das Ich. Alles, was gegeben ist, steht in irgendeiner Beziehung zu dieser, das Ich bildenden Vorstellungs- und Gefühlswelt und, gehört es der Außenwelt an, auch noch in direkten Beziehungen zu einem die Vorstellungswelt mit der Wahrnehmungswelt vermittelnden Leib. Deshalb hat die Behauptung, sich eines Datums bewußt zu sein, soll das Bewußtsein nicht einfach Vorhandensein bedeuten, nur den Sinn, daß eben dieses Datum in irgendeiner Beziehung zu jenem eben geschilderten Ich steht. Ich bin mir des Wahrnehmungsinhaltes eines Baumes bewußt, heißt also, jener Inhalt hat Beziehungen zu einer unmittelbar gegebenen (nicht erschlossenen) Vorstellungs- und Gefühlswelt, die eben meine Vorstellungs-, meine Gefühlswelt ist. Man möge irgendein anderes Datum, irgendeine andere Beziehung aufweisen, die jener Behauptung zugrunde liegt, als die eben genannten, wenn diese nicht zu genügen scheinen, nur dürfen diese Daten nicht reine Worte sein, die ihre Bedeutung weder in der Wahrnehmungs-, noch Vorstellungswelt, noch in einem begrifflichen Teil derselben haben.

Da nun aber jedes Datum, alles Gegebene eine Beziehung zum Ich hat, also zum Bewußtsein gehört, also zum Bewußtsein gehört, so umfaßt auch in dieser Beziehung das Bewußtsein das ganze Sein und es bleibt in den meisten Fällen gleich, ob man Bewußtsein als Vorhandensein, Sein überhaupt, oder als irgendeine Beziehung zum Ich faßt, denn beide Begriffe decken sich (5).

Man wird nun aber fragen, wie ist es unter diesen Umständen überhaupt möglich, von einer Transzendenz zu reden, wenn das Bewußtsein als selbständiges Moment gestrichen ist? Dennoch kann man fälschlicherweise in doppelter Beziehung transzendent werden. 1) Man wird transzendent, sobald man behauptet, daß Etwas besteht, was weder als Wahrnehmung noch Vorstellung, noch als begrifflicher Teil von solchen nachweisbar ist. Denn das Sein (oder Bewußtsein) hat ansich überhaupt keinen Sinn, sondern nur als irgendeine bestimmte Seinsart (6). Alles ist, von einem absoluten Nichtsein kann man nicht reden, nur von einem relativen, d. h. von einem: "Nicht Dieses oder Jenes sein". Damit also, daß ein Sein behauptet wird, ist noch gar nichts gesagt, ein Sein muß eine Art zu sein haben und diese Art muß nachweisbar sein, soll sie nicht zum leeren, bedeutungslosen Wort werden, zur Behauptung ohne Untergrund. Es sind aber keine weiteren obersten Arten des Seins aufzuweisen möglich als Vorstellungen, Wahrnehmungen und begriffliche Teile von beiden. Wer also eine andere Sinnesart behauptet, behauptet ein Wort ohne Bedeutung, ein Wort, das sich weder auf eine Wahrnehmung, noch Vorstellung, noch auf einen Begriff bezieht. Solcher Worte ist eine verhältnismäßig große Anzahl in der Sprache vorhanden und wir werden später sehen, wie sie trotz ihrer Bedeutungslosigkeit zu großer Wichtigkeit gelangen konnten. 2) Man wird aber auch weiter transzendent, sobald man irgendein bestimmtes Datum (also mit bestimmter Seinsart) außerhalb allen Zusammenhangs zum Ich stellen will. Denn man streiche alle Reproduktionen, alle Gefühle, alle Wahrnehmungen des Leibes und frage dann, was von der Welt übrig bleiben soll? Farbe, Ton, Geruch usw. sind an den Leib als ihre Bedingung gebunden und die Welt der Wahrnehmung schwindet fast zu Null ohne jede ergänzende Reproduktion. Es ist eben (und das ist Tatsache) Nichts wahrnehmbar, vorstellbar oder begreifbar außer in Beziehung zu jenem oben geschilderten Ich und seinem Leib. Über jene Beziehung kann man nur in Worten, nie in tatsächlichen Gedanken hinausgehen. Es ist aber damit nicht gemeint: das Bewußtsein sei eine eigenartige Beziehung zum Ich; das Bewußtsein ist an und für sich überhaupt Nichts, wenn es nicht das bloße Vorhandensein bedeuten soll. Es ist vielmehr nur die Tatsache, daß Alles in irgendeine (aber bestimmten) Beziehung zum Ich steht, irgendeine Beziehung zu jener Reproduktions- und Gefühlswelt hat, die charakterisiert wird durch ihre direkte Verbindung mit dem eigenen Leib im Gegensatz zum fremden Leib. Eine Vorstellung oder ein Gefühl, wird man einwenden, ist doch nicht das Ich oder ein Teil des Ich, sondern steht in Beziehung zum Ich. Darauf kann man mit Ja und mit Nein antworten. Die Vorstellung ist Teil des Ich, insofern das Ganze, alles Gegebene bezogen ist auf eine mit dem Leib gegebene Reproduktion überhaupt, insofern es betrachtet wird als mitbegriffen in oder abhängig von einer solchen Reproduktion und Gefühlsweise, die an einen Leib gebunden ist. Die Vorstellung oder ein Gefühl ist aber nicht Teil des Ich, wenn nicht im wissenschaftlichen Sinn Reproduktion und das Gefühl überhaupt, im Allgemeinen Ich genannt wird, sondern nur ein eben vorhandener Teil derselben und zwar derjenige, der in unklarer und verschwommener Weise als Gemeingefühl gegeben ist und so einen zwar dem Inhalt nach wechselnden, dem allgemeinen Charakter nach konstanten Beziehungspunkt für Alles bildet. Das ist dann das konkrete individuelle Ich der einzelnen Momente; ihm gegenüber steht das abstrakte Ich, in dem eben nur betont wird, daß Alles, mag es nun selbst Reproduktion und Gefühl sein oder nicht, in Beziehung zu den übrigen Reproduktionen und Gefühlen überhaupt steht (7).

Nachdem ich so auseinandergesetzt habe, was ich Bewußtsein und Ich nenne, unter steter Beziehung auf das tatsächlich Gegebene und unter Ausschluß aller Transzendenz, habe ich nun weiter zu erklären, wie Transzendenz überhaupt scheinbar möglich ist.

Ich habe darauf hingewiesen, daß das Bewußtsein, wo es nicht die Beziehung auf ein Ich bedeutet, nur das Sein, das Gegebensein überhaupt bedeuten kann, je nachdem man behauptet, daß eine nicht vorhandene Seinsart gegeben ist, oder daß Etwas in keiner Beziehung zum Ich gegeben ist. Also zuerst: wwie ist es möglich, eine Seinsart zu behaupten, die nicht gegeben ist, oder mit anderen Worten: wie ist es möglich, Etwas zu begreifen, vorzustellen oder wahrzunehmen, was weder begreifbar, noch vorstellbar, noch wahrnehmbar ist. Es ist natürlich, daß dieses nur scheinbar möglich sein kann und es ist scheinbar möglich durch das Wort. Die Worte haben Beziehungen untereinander, die, wie ich später nachweisen werde, in gewissem Sinn von ihren Bedeutungen unabhängig sein können. So kann ich Worte derart aufeinander beziehen, sie in solche Beziehungen bringen, die ihrer Bedeutung nach sich allem Begriff, aller Vorstellung und Wahrnehmung entziehen, undenkbar sind, und kann für eine solche bloße Wortbeziehung oder einen solchen bloßen Wortinhalt einen neuen Ausdruck schaffen, der natürlich reines Wort ohne Bedeutung ist.

Ein solches Wort ist "Ding-ansich". Niemand kann es in irgendeiner Weise denken, d. h. es entspricht ihm keine Bedeutung.

Eine andere Frage ist, wie Etwas auch nur scheinbar außerhalb aller Beziehung zum Ich und zum Leib gegeben sein kann. Denn das ist im Gegensatz zur vorigen Transzendenz eine vollständige Beiseitesetzung einer stets vorhandenen Beziehung, nicht die Behauptung eines nie Gegebenen. Diese Transzendenz bezieht sich nur auf die Welt außerhalb des Leibes; eine Vorstellung oder ein Gefühl wird stets in Verbindung mit dem Ich gedacht. Hier müssen wir bedenken, daß für die Gegenstände der Wahrnehmung, wenn man die reproduktive Ergänzung abrechnet, die stets mit ihnen verbunden ist, aber auch stets zu ihnen gerechnet wird, Reproduktion und Gefühl, nicht maßgebend sind. Sie können zwar auf sie wirken, aber nur mittels eines anderen Gegenstandes der Wahrnehmung des Leibes. Und wo eine solche Einwirkung nicht stattfinden kann, da tummeln sich die Gegenstände vor unseren Augen herum, ohne daß wir, d. h. unsere Vorstellungen und Gefühle, auch nur den geringsten Einfluß auf sie hätten.

So entsteht die Scheidung von Ich und Nichtich und das Nichtich erscheint unabhängig vom Ich, vom Bewußtsein. Da aber diese Unabhängigkeit auch nie tatsächlich gegeben ist, sondern nur eine Folge der Abstraktion ist, so ist auch hier diese Unabhängigkeit scheinbar und nur in Worten denkbar.

Denn ohne Beziehungen zur Reproduktion und zum Gefühl samt den Begehrungen ist Nichts gegeben. Es wird also auch hier etwas tatsächlich Undenkbares durch ein Wort scheinbar denkmöglich gemacht. Man glaubt eine Welt unabhängig vom Ich vorstellen oder denken zu können, weil man dafür ein Wort hat; ich kann die Gegenstände, bei denen vom Ich abstrahiert wird, vom Ich unabhängige Gegenstände nennen und kann so das Undenkbare gedacht zu haben meinen.

Ich bin jedoch nicht der Erste, der die scheinbare Transzendenz erklären will, schon HUME hat sehr gut gefühlt, daß es nicht genügt, den Widerspruch in der Annahme transzendenter Dinge nachzuweisen, sondern daß es auch nötig ist zu erörtern, wie man trotzdem zu einem Glauben an eine äußere Welt (external world) gelangt, wobei es ihm freilich oft nicht ganz gelingen wollte, die beiden Begriffe einer räumlichen Welt des Bewußtseins und einer irgendwie beschaffenen Welt außerhalb allen Bewußtseins auseinander zu halten, obschon er jenen Unterschied, den KANT in seiner "Widerlegung des Idealismus" unbeachtet gelassen hatte, wohl kannte. HUMEs Auseinandersetzungen sind von höchster Bedeutung und ich muß daher etwas auf dieselben eingehen. HUMEs Überzeugung, daß es keinen Weg aus uns heraus gibt, war, wie schon erwähnt, viel ausgedehnter als die LOCKEs oder BERKELEYs (8). Er hatte schon jenen kantischen Satz ausgesprochen, daß die Existenz zum Ding nichts hinzufügt (9). Er hat aber auch noch viel klarer als LOCKE ausgesprochen, daß wir nicht einen Schritt über uns selbst hinaus können. Er sagt diesbezüglich:
    "Lassen wir unsere Aufmerksamkeit so viel als möglich außerhalb unserer selbst richten; lassen wir unsere Einbildungskraft zum Himmel und zu den äußersten Grenzen des Universums schweifen; wir kommen nicht einen Schritt über uns selbst hinaus, noch können wir irgendeine Art von Sein erfassen, außer jene Daten (perceptions), die in jenem engen Umkreis erschiedenen sind." (10)
Bei dieser Überzeugung mußte sich vielmehr als bei anderen nur ähnlich Gesinnten bei ihm das Bedürfnis herausbilden, den trotzdem gegebenen Glauben an eine Welt außerhalb von uns zu ergründen.

Zwei Fragen sind nach HUME zu erklären: Warum wir den Objekten eine beständige ununterbrochene Existenz zuschreiben (continued existence) und warum wir sie von unserem Geist unterscheiden (existence distinct from the mind and perception). Der Glaube an die ununterbrochene Existenz der Dinge wird hervorgerufen durch den Zusammenhang zwischen unseren Wahrnehmungen (coherence) und die Beständigkeit derselben (constancy). Unsere Wahrnehmungen stehen in einer gegenseitigen Verbindung, einem kausalen Zusammenhang aber so, daß wir auf eine Wirksamkeit derselben schließen müssen, auch wenn wir sie nicht haben; sie scheinen also während ihrer Abwesenheit zu wirken. Die kausale Verbindung beruth aber bei HUME auf der Gewohnheit; wir können uns aber nur an das Gegenwärtige und an gegenwärtige Verbindungen gewöhnen und nicht an Kausalverhältnisse zwischen Daten, die uns überhaupt nicht gegeben sind, wie das hier der Fall sein müßte. Es ist also hier eine Lücke in der Erklärung vorhanden, daher muß noch ein anderer Grund für diese Annahme hinzutreten und das ist die Beständigkeit (constancy) der Erscheinungen. Diese beruth auf der Annahme ihrer Identität. Ein Ding aber ist identisch, ist ein und dasselbe, insofern es unverändert durch eine Reihe von Zeitmomenten wahrgenommen wird. Ich werde mir dann bewußt, daß sich ein Ding durch die Zeit hindurch nicht verändert hat, d. h. da es identisch geblieben ist. Nun aber verbindet sich stets mit der Wahrnehmung eines Dinges die Erinnerung ähnlicher Dinge, und die jetzige Wahrnehmung verleiht dieser Erinnerung eine solche Lebhaftigkeit und erleichtert so sehr den Übergang des Geistes von einer zur anderen, daß die Kluft zwischen beiden überbrückt erscheint, und dieselbe Wirkung hervorgerufen wird, als ob man das Ding ununterbrochen wahrgenommen hätte, obschon man niemals beweisen kann, daß diese beiden wahrgenommenen Dinge identisch sind. Die Annahme dieser Identität, dieser Beständigkeit ihrer Existenz ist eben ein Glaube, der auf dem leichten Übergang von der Erinnerung zur Wahrnehmung und umgekehrt beruth. Durch diesen leichten Übergang wird also dieselbe Wirkung hervorgebracht, als ob wir ein Ding ununterbrochen durch eine Zeit hindurch beobachtet hätten. Man kann aber nicht umhin, dennoch zu bemerken, daß unsere Wahrnehmung eines Dings unterbrochen war. Da man aber doch andererseits wieder genötigt ist an der Identität der vergangenen und gegenwärtigen Wahrnehmung festzuhalten, so sucht man einen Ausweg aus diesem Dilemma und findet ihn darin, daß man sich das Ding als unabhängig (independent) vom Geist (mind) vorstellt. Dies unterliegt auch keiner Schwierigkeit, denn der Geist ist ja nur ein Haufen oder eine Verbindung verschiedener Daten (a heap or collection of different perceptions) und es kann also kein Widerspruch entstehen, wenn man eines dieser Daten unterschieden und losgetrennt von jener Masse derselben betrachtet, welche ein denkendes Wesen ausmacht. Entsteht aber bei diesem Verfahren für das Datum kein Widerspruch, so kann es auch nicht beim Ding (Objekt) entstehen, wenn man dasselbe als losgetrennt und unabhängig vom Geist betrachtet.

So glauben wir dann, daß jenes Objekt einmal dem Geist (jenem Haufen von Daten) gegenwärtig, ein andermal abwesend sein kann, ohne jede Änderung in ihm selbst. Aber man muß sich mit der Zeit überzeugen, daß jene Unabhängigkeit des Objekts vom Geist eine falsche Annahme ist. Man braucht ja nur einen Druck auf ein Auge auszuüben, um sofort die Gegenstände doppelt zu sehen. Der Gegenstand ist also nicht unabhängig vom Geist und hat daher auch keine beständige Existenz.

Aber jener Glaube an die beständige Existenz der Dinge ist zu ursprünglich und festgewurzelt in der menschlichen Natur, um dadurch vertilgt werden zu können, die Philosophen haben daher einen Ausweg gesucht und gefunden, der darin besteht, daß sie zwischen Wahrnehmung und Ding unterschieden haben. Die erstere ist unterbrochen, vergänglich und verschieden bei jeder Rückkehr, das letztere ist ununterbrochen und hat eine beständige Existenz und Identität.

Aber diese philosophische Hypothese ist nicht zu beweisen. Wir können bloß von einem Ding auf die Existenz und Beschaffenheit eines anderen schließen, mittels ihrer kausalen Verbindung; aber alle kausalen Verbindungen, die uns gegeben sind, sind Verbindungen zwischen Bewußtseinsdaten und wir können daher mittels des einzig möglichen Schlusses in diesem Fall von der Wirkung auf die Ursache oder umgekehrt nicht über dieselben hinaus. Ebenso unmöglich aber ist es, zu zeigen, wie die Einbildungskraft (fancy) genötigt sein sollte über die unterbrochenen Wahrnehmungen hinaus zu von ihnen verschiedenen Objekten zu gelangen, obschon dafür nur ein negativer Beweis möglich ist, und HUME erbietet sich daher, einen jeden solchen Versuch zu widerlegen.

Außerdem gewinnt jene Ansicht der Philosophen ihren ganzen Einfluß nur von der als falsch anerkannten Ansicht, daß die Daten (perceptions) eine beständige und unabhängige Existenz haben. Denn ist diese Ansicht falsch, so sollte man glauben, daß auch jede Behauptung einer beständigen und unabhängigen Existenz falsch sein sollte. Aber jene Ansicht, die sich bei näherer Überlegung als falsch erweist, ist und bleibt für die naive Ansicht stets wahr und ist nicht auszurotten, und daher kommt jene einen Ausweg suchende Hypothese der Philosophen, die sich so leicht mit der gemeinen Ansicht des Lebens vertauschen läßt, so daß die Philosophen, sobald sie ihre Klause verlassen, mit dem übrigen Rest der Menschheit an eine beständige Existenz unserer Bewußtseinsdaten glauben.

Daher sagt HUME:
    "Die letztere Hypothese (der beständigen Existenz der Objekte allein) hat keine ursprüngliche Empfehlung für den Verstand oder die Einbildungskraft, sondern gewinnt all ihren Einfluß auf die Phantasie von der früheren" (der Hypothese der beständigen Existenz der Data). (11)
Da aber die frühere Hypothese falsch ist und es sich beweisen läßt, daß unsere unterbrochenen Data eine beständige Existenz haben, so fällt jenes ganze philosophische System in sich zusammen (12) Das ist die noch viel zu wenig berücksichtigte und gekannte Ansicht HUMEs; sie tritt ergänzend zur meinigen hinzu und ich will sie daher noch einer kleinen Erörterung unterziehen.

Mit einer Erklärung, wieso es dazu kommt, den Inhalt vom Ich oder Bewußtsein zu trennen, ist noch nicht klar gemacht, warum die verschiedenen Daten nicht in ihrer Trennung untereinander verbleiben, warum sie eine Existenz für uns gewinnen, auch wenn sie uns nicht gegeben sind, eine Existenz, die freilich erschlossen sein muß. Hier tritt HUMEs Erklärung ergänzend ein, wenn er darauf hinweist, daß alle Daten in einem kausalen Zusammenhang stehen, und daß wir auch, während sie unserem Geist nicht vorschweben, eine kausale Wirklichkeit annehmen müssen. Aber er findet eine Schwierigkeit darin, wie wir dazu kommen sollen, Wahrnehmungen, die uns nicht gegeben sind, mit solchen zu verbinden, die uns gegeben sind. Und er will diese Schwierigkeit dadurch lösen, daß er nachweist, wie sich eine scheinbare Identität zwischen der Erinnerung und einer gegenwärtigen Wahrnehmung herausbildet, so daß wir dann, kann man ergänzend hinzusetzen, auch ihren kausalen Zusammenhang als einen identischen ansehen. Zu diesem Zweck definiert er die Identität und Individualität, die er hier vermischt, als die Unveränderlichkeit und Einheit eines Objekts oder Bewußtseinsdatums durch eine Zeit hindurch. Diese Erklärung ist aber in doppelter Beziehung keine Erklärung. Erstens haben wir keine Erinnerung an jene Wahrnehmungen und kausalen Prozesse, die ohne unser Wahrnehmen stattgefunden haben sollen, können also auch keine Identifizierung derselben mit irgendeiner gegenwärtigen Wahrnehmung oder einem gegenwärtigen Kausalprozeß vornehmen. Wir können höchstens einen vergangenen Kausalprozeß unmittelbar an einen gegenwärtigen anschließen; damit ist uns aber nichts geholfen, die Lücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart ist damit nicht geschlossen. Wir müssen vielmehr analog vergangenen Kausalprozessen neue in der Phantasie bilden und diese ergänzend zwischen die Erinnerung und die gegenwärtige Wahrnehmung einschieben.

Zweitens hat HUME die Identität zu definieren, zu zergliedern gesucht, ein Unternehmen, das fehlschlagen muße, weil die Identität ein einfaches, gar nicht mehr analysierbares Datum ist. In seiner Unveränderlichkeit eines Datums während einer Zeit steckt daher die Identität in negativer und positiver Form: denn die Veränderung beruth auf der teilweisen Verschiedenheit zweier sonst identischer Daten und die Veränderlichkeit auf dem Mangel einer jeden Verschiedenheit, also auf der Ununterscheidbarkeit, d. h. auf der Identität.

So bewegt sich HUME in einem Zirkel und seine weitere Erklärung der Entstehung des vom Bewußtsein unabhängigen Dinges ist daher keine. Die Identität entsteht eben nicht erst aus irgendwelchen Daten oder Beziehungen derselben, sie ist selbst eine ursprünglichste Beziehung und untrennbar mit der Unterscheidung verbunden. Indem ich identifiziere, unterscheide ich auch und indem ich unterscheide, identifiziere ich zu gleicher Zeit. Aber HUME hat, wie schon erwähnt, die Identität irgendwelcher Inhalte überhaupt verwechselt mit der Identität eines Dings, wie er auch nirgends scharf zwischen Ding und Inhalt eines Dings unterscheidet; das Ding ist ihm ein oft wiederkehrender Haufen von inhaltlichen Daten und er ist darüber nicht klar geworden, daß das Ding hauptsächlich durch seine Kausalbeziehungen dieses bestimmte Ding ist.

Es handelt sich hier also nicht darum, wieso ich zwei Wahrnehmungsinhalte identifiziere; diese Tatsache ist überhaupt nicht weiter zu erklären, denn darauf ist nur die Antwort möglich: weil sie gleich, d. h. eben weil sie identisch sind; es handelt sich vielmehr darum, weswegen zwei zeitlich getrennte Wahrnehmungen zu ein und demselben Ding gezählt werden, also um die Identität des Dings. Hier aber genügt offenbar eine noch so große Identität der Wahrnehmungen oder Wahrnehmungsgruppen nicht. Zwei noch so ähnliche Häuser, die nacheinander auf demselben Bauplatz aufgebaut wurden, sind doch nicht ein und dasselbe Ding, ebensowenig wie zwei ganz gleiche Bäume, die nacheinander auf demselben Platz aufgewachsen sind. Näher auf dieses Problem kann ich zwar erst beim Dingbegriff eingehen und werde es hier nur so weit behandeln, als es mit der Transzendenz des Dings zusammenhängt. Ich muß mich also begnügen, darauf hinzuweisen, daß die Identität des Dings auf der Beständigkeit seiner inhaltlich bestimmten Kausalverhältnisse beruth. Das jetzt wahrgenommene Ding ist dasselbe mit einem früher wahrgenommenen, wenn seine bestimmte Kausalitätsart in einem beobachteten oder notwendig erschlossenen ununterbrochenen Zusammenhang mit dem jetzt wahrgenommenen Ding steht. Der Baum, den ich jetzt sehe und den ich vor einem Monat gesehen habe, ist derselbe, wenn ich zu der Annahme gezwungen bin, daß er durch diesen Monat fortgefahren hat, einen Austausch von Wirkungen mit seiner Umgebung zu pflegen, dessen bestimmten Charakter ich eben beobachtet habe, und wenn mich dieselben Kausalreihen zu seinem Anblick führen. Der Baum, der Ort, der Weg zum Baum kann bedeutende Änderungen erfahren, so daß er, wie man sich auszudrücken pflegt, gar nicht mehr zu kennen ist, wenn ich nur gezwungen bin zu glauben, daß er während dieser Zeit an jenem Ort ununterbrochen wirksam war. Zu diesem Glauben aber zwingen mich Analogien mit unmittelbar beobachteten Vorgängen. Muß ich diesen Analogien gemäß schließen, daß seine kausalen Beziehungen in einem ununterbrochenen Zusammenhang mit seinen jetzigen Beziehungen geblieben sind, dann ist er derselbe, sonst nicht. Man könnte einwenden, daß doch vor Allem auch der Ort maßgebend ist für seine Identität, aber abgesehen davon, daß ein ungepflanzter Baum doch noch immer derselbe Baum bleibt, ist doch die Identität des Ortes eben wieder nur durch seinen kausalen Zusammenhang mit einem jetzigen Ort zu konstatieren, denn auch hier kann die bloße Ähnlichkeit zweier Orte niemals maßgebend sein.

Freilich ist dieser kausale Zusammenhang nicht das einzige Kriterium der Identität eines Dings, hinzutreten muß noch die bestimmte Art der Kausalität, was eigentlich selbstverständlich, aber doch nicht ohne Wichtigkeit ist. Natürlich hört der Baum auf, derselben Baum zu sein, wenn er zu Asche verbrannt worden ist, obschon seine kausalen Beziehungen nicht unterbrochen waren, was ja überhaupt undenkbar ist. Seine bestimmten kausalen Beziehungen machen ihn zu einem Baum überhaupt und der beständige Zusammenhang derselben, mit früher wahrgenommenen, gleichartigen solchen Beziehungen zu demselben Baum. Sehr oft aber läßt sich die Grenze zwischen zwei Dingen nicht genau angeben; wann hört der Keim auf, Keim zu sein und fängt an Pflänzchen zu werden, wann hört ein ungebautes Haus auf, dasselbe Haus zu sein?

Die Grenzen der Dinge verschwimmen oft ineinander, nicht aber ihre Identität, d. h. hier der ununterbrochene Zusammenhang ihrer kausalen Beziehungen.

HUME hat also nicht nur Identität überhaupt mit der Identität eines Dings verwechselt, er hat auch vollständig übersehen, welche zwingende Macht die Analogie über das menschliche Gemüt ausübt, denn diese ist es eigentlich, welche die Gegenwart eines Dings an seine in der Wahrnehmung unterbrochene Vergangenheit anschließt. Dabei ist aber wohl zu beachten, daß diese Identität eines Dings stets erschlossen ist, so daß es unmöglich ist, die Identität derjenigen Dinge unmittelbar festzustellen, die uns die bekanntesten und gewöhnlichsten sind, mit Ausnahme des eigenen Leibes. Aber auch hier tritt aus einem anderen Grund jene Ergänzun per analogiam ein, weil wir nämlich die Zustände unseres Leibes vergessen, und daher analog jetzigen Zuständen die Gegenwart mit der Vergangenheit des Leibes verbinden müssen; dasselbe findet auch mit dem Ich statt, auch dieses bedarf einer steten Ergänzung durch die Analogie.

Sehr richtig führt HUME weiter aus, wie man trotz des Glaubens an die Beständigkeit der Dinge ihren Bruch mit der Vergangenheit doch bemerken muß, dies führt dazu, die Dinge vom Geist zu trennen. Diese Trennung soll keiner Schwierigkeit unterliegen, weil die Seele nur ein Haufen von Daten (13) ist, von dem ein Datum ohne Widerspruch getrennt gedacht (considered) werden kann. Aber die Seele, der Geist, ist, wie wir später sehen werden, kein Haufen von Daten, sondern vielmehr der ununterbrochene Zusammenhang von Daten der Reproduktion und des Gefühls, was HUME möglichst ignoriert.

Die Schwierigkeit ist also nicht so leicht zu heben und hier, glaube ich, tritt ergänzend meine Erörterung dieses Gegenstandes ein. Bei den Dingen als vergangenen kommt eben nur das kausale Verhältnis ihres Inhaltes in Betracht und es wird daher stets davon abstrahiert, daß sie Reproduktionen sind und zur Reproduktions- und Gefühlswelt in Beziehung stehen; und sobald letztere näher ins Auge gefaßt wird, hören sie sogleich auf, wirkliche Dinge zu sein und werden als Reproduktionen erkannt. HUME hat hier Unterscheiden und Trennen vollständig vermischt. Unterscheiden kann man sehr wohl eine Idee von allen anderen, ein Datum von andern, aber daraus folgt noch nicht, daß man sie auch vollständig voneinander zu trennen vermag.

Dies verbietet der kontinuierliche Zusammenhang der Daten untereinander und mit dem Ich. Ein Gegenstand ist nur dieser Gegenstand durch einen räumlichen, zeitlichen, qualitativen, kausalen Zusammenhang mit anderen Gegenständen und dieser Zusammenhang kann nur stattfinden in einer Produktionswelt, einem Ich. Daher ist es auch gar nicht nötig, sich erst durch einen Druck auf das Auge der Relativität der Gegenstände zu versichern, es ist vielmehr die Unmöglichkeit, sie unabhängig vorzustellen, unmittelbar gegeben.

Richtig aber ist, daß, nachdem man die Gegenstände vom Bewußtsein (14) scheinbar gelöst hat, man doch wieder in jenen Augenblicken, wo der Gegenstand durch anerkannt subjektive Faktoren verändert erscheint, nicht umhin kann, auch seine Subjektivität als Bewußtseinsdatum anzuerkennen. Der Wahrnehmungsinhalt aber drängt doch immer wieder das Bewußtsein mit seinen Gefühlen in den Hintergrund, er ist der Beherrscher der Gefühle und das Bewußtsein als Inhaber derselben erscheint daher passiv, als beherrscht von jenem Inhalt. Ein schönes Bild, eine reizende Landschaft erregen meine Gefühle, sie erfassen, ergreifen mich, ich fühle mich bewegt. Da fällt ein Sandkorn in mein Auge, die Landschaft verschwimmt unter meinen Tränen, ich schließe die Augen und sie ist verschwunden. Also bin doch ich es, von dem das Dasein der Landschaft abhängt. Aber unter bestimmten Bedingungen kehrt sie wieder, sicher wieder, ich weiß es bestimmt aus analogen Erfahrungen; öffne ich das unversehrte Auge, muß ich sie wieder erblicken, und selbst wenn ich mich von ihr weit entfernt habe, weiß ich, daß sie unter bestimmten Bedingungen wiederkehren muß; daß aber die wiedererblickte Landschaft dieselbe ist, schließe ich daraus, daß die Veränderungen, die etwa der Weg zu ihr und sie selbst bietet, nur solche sind, die ich auch unmittelbar an Dingen wahrgenommen habe, und dies ist mir ein Zeichen, daß diese Landschaft, während ich sie nicht gesehen habe, fortbestanden hat, weil sie sich verändert und weiterentwickelt hat. Freilich, wenn ich tiefer nachdenke, so muß ich finden, daß auch die erschlossene Existenz der Landschaft, gemäß der erlebten Daten gebildet ist, daß sie nur eine Existenz für micht haben kann dadurch, daß sie als erlebtes Datum, mit erlebten und gegenwärtigen Daten in einem Zusammenhang steht, daß also doch subjektiv ist. Schwanken im Urteil, Zweifel, Unsicherheit sind aber das Unerträglichste für das menschliche Gemüt. Eine Entscheidung muß gefällt werden. Alles für subjektiv zu erklären, dagegen sträubt sich die, wenn auch nicht vollständige, Unabhängigkeit der Wahrnehmung von Reproduktion, Gefühl und Willen. Es ist also eine Zweiteilung derselben nötig. Die Wahrnehmung gehört einer Welt an, die uns nicht unmittelbar gegeben ist, die unmittelbare ist nur gleich oder zumindest ähnlich. Sie ist die Wirkung der mittelbar erschlossenen, denn sie erscheint oft unserem Bewußtsein aufgedrängt, sie greift in unsere Gefühle ein. Aber mit der Zeit werden wir inne, daß die unmittelbar gegebene Welt nicht nur von verschiedenen Individuen verschieden aufgefaßt wird, sondern daß auch wir je nach Körperstimmung und Beschaffenheit der Umgebung denselben sonst unveränderten Gegenstand verschieden auffassen.

Derselbe Gegenstand erscheint dem Einen kalt, dem Andern warm, ebenso mir; und der farbigste, glänzendste Gegenstand ohne irgendeine sonstige Veränderung, ist glanz- und farblos in der Nacht. Hier ist also wieder ein Dilemma vorhanden: entweder die verschlossene Welt ist so veränderlich und relativ, daß sie solche Wirkungen hervorbringt, oder es ist nur die gegebene Welt, also nur die Wirkung so relativ und dann sind wir es, die jene Relativität verschulden. Wäre aber die unmittelbare erschlossene Welt so veränderlich, dann hätte sie ja ihren ganzen Zweck verloren: das Beständige im Unbeständigen darzustellen. Daher kann nur die unmittelbare Welt, d. h. nur ich selbst kann Schuld daran tragen. Daraus folgt aber, daß die mittelbare Welt (ich will sie die objektive nennen) verschieden sein muß von der unmittelbaren und subjektiven, denn sie muß sich gleichbleiben, während diese wechselt. Aber ein objektiver Bestandteil muß doch auch in der subjektiven Welt zu finden sein, die Wirkung muß doch etwas von der Ursache an sich tragen. Dieser objektive Bestandteil ist bald gefunden, er ist Raum, Gestalt, Bewegung und Undurchdringlichkeit der Körper. Diese Faktoren scheinen gleich zu bleiben bei allen sonstigen Veränderungen körperlicher Eigenschaften. Die objektive Welt besteht also aus undurchdringlichen, farblosen Raumgebilden und diese erzeugen in uns die subjektive Welt. Und da man beim Ton beobachtet hat, daß derselbe mit Erschütterungen der Luft und der tönenden Gegenstände, sowie des Ohres verbunden ist, so schließt man, daß diese Erschütterungen, d. h. die Bewegung kleiner, nicht sichtbarer Körperteilchen den Ton erzeugen, und schließt per analogiam noch weiter, daß vielleicht überhaupt die ganze subjektive Welt, durch die Bewegung solcher Teilchen entsteht und da man die Theorie von der Bewegung dieser Teilchen immer ganz analog zur unmittelbar gegebenen Welt aufbaut, so wird sie auch, wie man zu sagen pflegt, bestätigt durch die Tatsachen: d. h. eben durch die Welt, wie sie uns unmittelbar gegeben ist.

Aber Gestalt, Bewegung, Undurchdringlichkeit, sind sie wirklich so absolut sich immer selbst gleich? Die Entfernungen der Gegenstände sind entschieden relativ, das fällt zuerst auf, sie hängen vom Urteil ab, wie man zu sagen pflegt. Mit ihnen fällt die absolute Größe, die ja von Entfernungen abhängt. Die Gestalt aber hängt von der Größe ihrer Teile ab, diese ist relativ, also auch die Gestalt; die Bewegung ist abhängig vom Beobachtungsstandpunkt - was übrig bleibt, ist die Undurchdringlichkeit. Die Undurchdringlichkeit besteht aber offenbar aus zwei Faktoren: einem durchdringenden und einem die Durchdringung abwehrenden: d. h. einer Anziehungs- und Abstoßungskraft; aber Durchdringung und Widerstand ist nicht denkbar ohne Gestalt und Bewegung, diese aber sind relativ, also auch die Undurchdringlichkeit hängt an relativen, subjektiven Bestandteilen und für die objektive Welt bleibt jetzt nur die Gesetzmäßigkeit, Beständigkeit eines ganz Unerfaßbaren übrig: ohne Gestalt, ohne Bewegung - ohne Undurchdringlichkeit. Alle objektiven Bestandteile haben sich in subjektive aufgelöst - nur die abstrakte Gesetzmäßigkeit bleibt vom Begreiflichen der objektiven Welt noch übrig. Ist diese Gesetzmäßigkeit nur eine subjektive Gewohnheit? Dann ist es auch mit diesem letzten Fetzen der objektiven Welt, so weit sie uns begreiflich sein soll, vorüber. Und es ist auch vorüber - denn subjektiv ist sie, eine subjektive notwendige Erwartung, wenn auch ohne Gewohnheit. Die ganze objektive Welt ist also versenkt in die subjektive, aber wie sich der Ertrinkende an einem Strohhalm festhält, so hält sich jener uralte Glaube an eine objektive Welt, an jenem Unbegreiflichsten alles Unbegreiflichen, dem Ding-ansich in seiner vollen Bestimmungslosigkeit noch aufrecht.

Wir haben also gesehen, daß vor allem zwei Umstände den Glauben an eine transzendete Welt hervorrufen: einmal die verhältnismäßige Unabhängigkeit der Wahrnehmung von den das Ich ausmachenden Daten und zweitens der kausale Zusammenhang innerhalb der Wahrnehmungen, der uns zu Analogieschlüssen zwingt, die Dinge auch in unserer Abwesenheit wirksam zu denken; denn wirken die Dinge in unserer Abwesenheit, dann scheinen sie doch von unserem Bewußtsein unabhängig zu sein. Dabei wird freilich vergessen, daß wir doch niemals konstatieren können, ob die Dinge in unserer Abwesenheit wirken, denn das hieße in der Abwesenheit anwesend sein; wir können also nur die Notwendigkeit und zwingende Kraft dieser Analogieschlüsse für unser ganzes Denken und Handeln feststellen, niemals aber über dieselben hinaus gelangen. Daher muß auch ein jeder Versuch zur Kenntnis einer Welt zu gelangen, die außerhalb unseres Bewußtseins liegt, vollständig fehlschlagen, denn Schritt für Schritt muß sich die Erkenntnis Bahn brechen, daß auch der geringste Bruchteil dieser vermeintlich transzendenten Welt der immanenten angehört. Daß trotz der Anerkenntnis vieler Philosophen, unser Ausgangspunkt sei subjektiv, trotzdem stets der Versuch gemacht wurde, transzendent zu werden, daran in nur jener uralte Glaube Schuld, dessen Entstehen ich zu schildern versucht habe, und dessen Allgewalt auch HUME anerkennt. Dennoch haben wir bei der Schilderung der Entstehung dieses Glaubens ein wichtiges Moment noch nicht berücksichtigt. Dieses ist das fremde Ich. Auch dieses ist eine erschlossene Existenz, es hat also in dieser Beziehung dieselbe Seinsart wie die körperlichen Dinge, während sie nicht wahrgenommen werden, aber doch mit einem großen Unterschied. Die körperlichen erschlossenen Dinge können entweder unter bestimmten Bedingungen doch wieder wahrgenommen werden oder ihre Wahrnehmung ist durch indirekte Umstände zeitweilig oder für immer verhindert. So kann zwar die genauere Beschaffenheit des Mondes oder der Sonne nicht wahrgenommen werden, aus dem indirekten Grund, weil die nötige Annäherung nicht vollführt werden kann; dieser Grund liegt also nicht direkt in der Unwahrnehmbarkeit der genaueren Beschaffenheit dieser Körper, sondern indirekt in der Unmöglichkeit einer Annäherung an dieselben. Das fremde Ich aber ist direkt unerfaßbar; könnte es unmittelbar gefaßt werden, dann wäre es gar nicht mehr das fremde Ich, dann wäre es das eigene, unmittelbar gegebene Ich.

Es gehört also zum Charakter des fremden Ich, nur erschlossen sein zu können, ohne daß ein indirekter Grund seine unmittelbare Erfassung verhindert. Es ist nach Analogie mit dem eigenen Ich erschlossen, und kann seinem ganzen Wesen nach nur als erschlossen gedacht werden, kein Mensch wird es unmittelbar erfassen wollen, während ein ununterichteter Mensch vielleicht glauben könnte, mit einem Luftschiff den Mond erreichen und näher in Augenschein nehmen zu können, denn ein direkter Widerspruch ist in diesem Glauben nicht vorhanden.

Dieses sei bemerkt zur vorläufigen Orientierung über das Ich, das wir später noch einer näheren Betrachtung unterziehen müssen.

Indem wir aber dieses fremde Ich erschließen, sind wir genötigt, auch Bewußtseinsdaten zu erschließen, die alle den unseren ähnlich sind. Unter diesen Bewußtseinsdaten nehmen nun die Wahrnehmungen eine eigentümliche Stellung ein. Wir müssen nämlich aus den Handlungen und Worten der fremden Leiber (an die sich unsere Erschließung des Ich knüpft) schließen, daß in dem an diese Leiber gebundenen und erschlossenen Ich oft gleichzeitig dieselben Wahrnehmungen gegeben sind und daß selbst, wo diese Wahrnehmungen augenblicklich differieren, zumindest durch bestimmte Bewegungen jener fremden Leiber Data hervorgerufen werden können, die uns zu dem Schluß zwingen, daß nun diese Differenz aufgehört hat, daß die fremde Person nun dieselben oder zumindest nahezu dieselben Wahrnehmungen wie ich selbst hat. Ebenso aber auch umgekehrt können wieder durch eigene Körperbewegungen in mir Wahrnehmungen wachgerufen werden, die nun mit jenen früher erschlossenen fremden Wahrnehmungen übereinstimmen. Es ist also ein, wenn auch indirekter, durch den Leib vermittelter kausaler Zusammenhang zwischen meinen und fremden Wahrnehmungen vorhanden. Und zwar ist dieser Zusammenhang so beschaffen, daß bei analoger Beschaffenheit und Lage der Organe der fremden Körper in Bezug auf meinen Körper und umgekehrt gleichzeitig jene gleichen Wahrnehmungen beiderseits auftreten. Daher ist es notwendig
    1) eine fremde Wahrnehmungswelt von nahezu gleicher oder zumindest analoger Beschaffenheit mit der meinigen und

    2) einen kontinuierlichen kausalen Zusammenhang zwischen den von mir und Anderen wahrgenommenen Dingen zu erschließen, welchen Zusammenhang aber kein direkter, sondern durch die Leiber vermittelter ist. Dadurch erwächst aber

    3) die Notwendigkeit, die von verschiedenen Personen wahrgenommenen Dinge wegen ihres kontinuierlichen, wenn auch indirekten kausalen Zusammenhangs als identisch zu setzen.
Es entsteht also eine gemeinsame Wahrnehmungswelt, die als gemeinsam natürlich weder dem eigenen noch dem fremden Bewußtseis allein angehören darf (15). Andererseits leiten aber wieder Abweichungen in der Auffassung dieser gemeinsamen Wahrnehmungswelt darauf hin, sich ihres subjektiven Charakters bewußt zu werden. Es entsteht also wieder das Dilemma: entweder jeder Person ihre eigene subjektive Wahrnehmungswelt zuzuteilen, dann aber fehlt die Erklärung des kausalen Zusammenhangs zwischen diesen verschiedenen subjektiven Welten, der doch erschlossen werden muß; oder aber nur eine gemeinsame Welt anzunehmen, und dem widersprechen die einzelnen erschlossenen subjektiven Abweichungen in den Wahrnehmungen der einzelnen Personen. Es ist daher ein vermittelnder Standpunkt notwendig und dieser besteht darin, eine gemeinsame stabile Welt der Wahrnehmung und ihr analoge subjektive Welten der einzelnen Personen anzunehmen. Da aber, wie schon früher dargelegt worden ist, die Wahrnehmungen der einzelnen Personen unter sonst gleichen Umständen je nach ihrer Körperverschiedenheit variieren, also subjektiv sind und diese Subjektivität als eine Eigentümlichkeit aller Wahrnehmungsbestandteile entdeckt wird, so folgt daraus, daß jene gemeinsame Welt toto genere [völlig - wp] verschieden sein muß von den einzelnen subjektiven, da sie ja doch als gemeinsam nicht zu gleicher Zeit für Verschiedene unter sonst gleichen Umständen (mit Ausnahme der subjektiven Körperbeschaffenheit und Lage) verschieden sein kann. Damit aber hat die gemeinsame Welt sich, so weit sie denkbar und vorstellbar ist, wieder in die subjektive und individuelle Welt aufgelöst - denn der Rest ist Schweigen: Weil jene gemeinsame Welt gleichwertig ist dem Nichts, solange uns "zunächst nur" die subjektive Welt gegeben ist, und daher "zunächst" niemand etwas von der gemeinsamen weiß, bis es Jemandem gelungen sein wird, den undurchdringlichen Schleier seiner Subjektivität zu lüften.
LITERATUR Richard von Schubert-Soldern, Grundlagen einer Erkenntnistheorie, Leipzig 1884
    Anmerkungen
    1) Eine Ansicht F. A. Langes (siehe auch Leclair, "Beiträge zu einer Monistischen Erkenntnistheorie", 1882, Seite 5.
    2) Vor allem sein Werk "Erkenntnistheoretische Logik", Bonn 1878.
    3) Der Realismus der modernen Naturwissenschaften, Prag 1879. Auch Ernst Laas, "Idealismus und Positivismus" hat eine verwandte Richtung, doch harrt dieses Werk noch seiner Vollendung. Schuppe viel näher steht Johannes Rehmke, "Die Welt als Wahrnehmung und Begriff" (vgl. auch Richard Avenarius, "Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes".)
    4) Über die Unmöglichkeit einer Transzendenz vgl. meine Habilitationsschrift "Über die Transzendenz des Objekts und Subjekts", Leipzig 1882
    5) Es ist ungemein schwierig, den Begriff des Bewußtseins von allen metaphysischen Anhängseln zu befreien, so daß ich bekennen muß, dieses in der oben zitierten Schrift von mir noch nicht vermocht zu haben. Vgl. darüber auch Ernst Laas, Idealismus und Positivismus I, Seite 181 und 211, sowie Schuppe, a. a. O., Seite 73, welche freilich mit mir kaum übereinstimmen werden.
    6) Vgl. meine Abhandlung "Über den Begriff des Seins", Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Jahrgang VI.
    7) Die weitere Erklärung der allmählichen Entwicklung eines ausgeprägten Ich gehört natürlich in die Psychologie.
    8) Zumindest in seinem "Treatise of human nature".
    9) "Treatise of human nature", London 1739, Seite 122. That idea (of existence) when conjoined with the idea of any object, makes no addition to it.
    10) "Treatise of human nature", Seite 123
    11) "Treatise", Seite 369.
    12) Über diese Schilderung der Ansicht Humes siehe "Treatise", Book I, Part. III, Sect. II.
    13) Hier muß das so schwer übersetzbare Wort "perception" bei Hume, das sich sonst so ziemlich mit Bewußtseinsdatum deckt, aus, im Folgenden ersichtlichen Gründen bloß mit Datum gegeben werden.
    14) Ich gebrauch Bewußtsein immer nur in jener oben ausgeführten Bedeutung einer Beziehung zur Reproduktions-, Gefühls- und Begehrungswelt überhaupt.
    15) siehe darüber Schuppe, a. a. O., Seite 78.