R. WeinmannW. DiltheyG. K. UphuesH. EbbinghausB. Erdmann | |||
Psychologische Streitfragen [ 3 / 5 ]
II. Die Einheit des Bewußtseins als Erfahrungstatsachef 1. Eine der ersten Aufgaben der empirischen Psychologie, wenn nicht geradezu die erste, besteht in der Beschreibung und Analyse des Bewußtseins als solchem. Allen seelischen Vorgängen soweit sie uns in der Erfahrung gegeben sind, ist dies gemeinsam daß ihnen Bewußtsein anhaftet, oder vielmehr, daß sie restlos von Bewußtsein durchdrungen sind. Alle Beschreibungen, die wir von den Besonderheiten und Unterschieden der seelischen Vorgänge geben, würden sofort ihren Sinn verlieren, wenn nicht die Daseinsweise des Bewußtseins überall, sei es ausdrücklich oder stillschweigend, mitgedacht würde. Es dürfte sich daher wohl empfehlen, daß die beschreibende Psychologie, bevor sie an die verschiedenen Äußerungen des Bewußtseins herantritt, eine Antwort auf die Frage erteilt, was denn das eigentlich ist, was an allen Bewußtseinsäußerungen wie Wahrnehmen, Vorstellen, Denken usw., das Bewußtsein als solches ausmacht. 2. Schon oft ist gesagt worden, daß das Bewußtsein sich nicht eigentlich definieren läßt (1). Dies ist ohne Zweifel richtig. Zu einer strengen Definition gehört nicht nur, daß nächst der Gattung, in welche der zu definierende Gegenstand fällt, die Merkmale, die diesen Gegenstand von den koordinierten Arten spezifisch unterscheiden, in klarer Weise angegeben werden, sondern auch, daß der Gegenstand sich aus jenen Faktoren allererst zusammensetzt, daß er als ihr Ergebnis erscheint. Auf dieses zweite Erfordernis kommt es hier an, weil eben an ihm der Versuch, das Bewußtsein in strenger Weise zu definieren, scheitert. Drücke ich dieses Erfordernis negativ aus, so ist damit gesagt, daß die angegebenen Merkmale nicht schon selber wieder den zu definierenden Gegenstand als mitgedachte Voraussetzung enthalten dürfen. Der Gegenstand muß sich aus ihrer Zusammenfügung allererst ergeben, nicht aber darf er das ihnen selber schon Vorauszudenkende sein. Die Logik pflegt, wenn letzteres der Fall ist, von einem circulus in definiendo [der zu definierende Begriff kehrt entweder ausdrücklich oder verhüllt in der Definition wieder - wp] zu reden. Ohne einen solchen Zirkel kann das Bewußtsein eben nun mal nicht definiert werden. Denn es ist ein Einfaches in dem Sinne, daß es empirische nicht in Faktoren auseinandergelegt werden kann, aus denen es erst als Ergebnis hervorgeht. Wohl hat das Bewußtsein mannigfaltige Seiten und Beziehungen ansich, in die es zergliedert werden kann. Allein sie alle enthalten das Bewußtsein schon als ihre Voraussetzung in sich, ohne die sie zu existieren aufhören würden. Versucht man daher die spezifischen Merkmal des Bewußtseins anzugeben, so wird, sollen diese verstanden werden, immer schon nötig sein, daß man bereits weiß, was Bewußtsein ist. Wer dies noch nicht weiß, für den würden die zu jener Angabe gebrauchten Worte ein unverständlicher Schall bleiben. - Mit derselben Schwierigkeit hat die Definition von Zeit, Raum, Farbe, Ton, Luft, kurz von allen solchen Begriffen zu kämpfen, die ein Einfaches in dem vorhin dargelegten Sinn sind. Übrigens steht der Definition des Bewußtseins noch ein anderes Hindernis entgegen; insofern nämlich, als dem Bewußtsein das unbewußte Sein (sei es psychischer oder physischer Natur) koordiniert ist. In der Erfahrung liegt uns alles Sein immer nur als Bewußtsein vor. Den Begriff des unbewußten Seins können wir nur durch Subtraktion und Umwandlung aus dem des Bewußtseins gewinnen. Daher kommt es, daß die Qualität des Unbewußten (sei es psychischer oder physischer Art) etwas für uns nicht ganz Aufhellbares besitzt. Wenn nun aber nicht deutlich angegeben werden kann, was denn dasjenige eigentlich ist, was zur Gattung des Seins überhaupt hinzugefügt werden muß, damit die einzige dem Bewußtsein koordinierte Art, nämlich das Unbewußte, herauskommt, so würde ebendamit auch die Definition des Bewußtseins, die ja das Bewußtsein von dem ihm koordinierten Unbewußten zu unterscheiden hätte, an dieser Dunkelheit teilnehmen. In einem weiteren Sinn dagegen läßt sich das Bewußtsein ganz wohl definieren. Lassen sich von einem Gegenstand die Merkmale, die ihn ausmachen, derart angeben, daß er in seiner unterscheidenden Eigenart eindeutig bestimmt erscheint, so ist damit für den Zweck des Erkennens auch in dem Fall ein Bedeutendes gewonnen, daß dabei jener Zirkel unvermeidlich wäre; und ich sehe nicht ein, warum man diese Verdeutlichung nicht als Definition in einem weiteren Sinn lassen sollte. Das Bewußtsein nun ist, wie gesagt, nichts derart Einfaches, daß es keine Seiten und Beziehungen in sich schließen würde. Es kommt also nur darauf an, diese aus der innigen Durchdringung, in welcher sie im Bewußtsein vorhanden sind, so herauszulösen, daß dieses dadurch eindeutig bestimmt erscheint. Dabei wird immer darauf zu achten sein, daß dasjenige, was durch diese Analyse zerlegt wird, wirklich die Bewußtheit als solche ist. Es wäre eine höchst äußerliche Kennzeichnung, wenn jemand sagen wollte: Bewußtsein ist das, was da wahrnimmt, vorstellt, fühlt, begehrt und dgl. Hiermit wären Akte des Bewußtseins aufgezählt, d. h. Äußerungen, die sich nicht nur begrifflich, sondern auch real ausschließen; während doch verdeutlicht werden soll, welche Seiten dem Bewußtsein als solchem, also immer und überall, um welche seiner getrennten Äußerungen es sich auch handeln mag, gleicher Weise zukommen. Was mit einer derartigen Zergliederung des Bewußtseins in seine Eigenschaften und Beziehungen gemeint ist, wird aus den weiteren Erörterungen deutlich werden, da der hauptsächliche Teil derselben eben in einer solchen Zergliederung bestehen wird. Freilich hat, wie bemerkt, diese Zerlegung des Bewußtseins das Eigentümliche an sich, daß dabei doch wieder einer jeden seiner Seiten und Beziehungen das unzerlegte Bewußtsein selber vorausgedacht werden muß. Von diesem Mangel kommt man nun einmal nicht los. Vielleicht läßt sich aber doch etwas tun, um ihn weniger fühlbar zu machen. Vielleicht könnte man jenes unzerlegbaren Mittelpunktes, der Bewußtheit als solcher, doch etwas deutlicher habhaft werden. Muß man denn immer nur das Wort "Bewußtsein" oder ein Synonym davon gebrauchen, um dieses doch so unmittelbar Bekannte genauer zu bezeichnen? Auf zweierlei Weise läßt sich dieses einfache Dasein dann doch in seiner Einfachheit selber verdeutlichen. Erstens kann die bildliche Beschreibung gute Dienste leisten. So meint z. B. FORTLAGE, daß wir zu den Bildern von hell und dunkel greifen müssen und demgemäß das Bewußtsein nicht anders denn als innere Helligkeit beschreiben können (2). Hierher gehört es auch, wenn bei HEGEL und seiner Schule (3), aber auch sonst (4) von einem "sich in sich selber Reflektieren" die Rede ist, um das Eigentümliche des Bewußtseins zu kennzeichnen. Meistens allerdings meint man, mit dieser Tätigkeit des sich in sich Reflektierens zugleich die metaphysische Entstehung des Bewußtseins aufgedeckt oder doch angedeutet zu haben. Dem sei, wie auch immer; jedenfalls ist zunächst damit nur eine bildliche Beschreibung des Bewußtseins geliefert. Die empirische Analyse des Bewußtseins ergibt nämlich, daß dasselbe in einem gewissen Sichaufsichbeziehen besteht. Dieses Sichaufsichbeziehen kann immerhin durch jenes der Optik entlehnte Bild veranschaulicht werden. Noch auf eine zweite Weise läßt sich das Bewußtsein in seiner einfachen Qualität verdeutlichen. Wenn man das Bewußtsein als Gewißheit seiner selbst, als sich selbst Fühlen und dgl. bezeichnet (5), so sind dies nicht etwa nur gleichbedeutende Ausdrücke für Bewußtsein, sondern es ist damit etwas zur Verdeutlichung desselben geleistet. Diese besteht darin, daß man den Hörer veranlaßt, sich gewisse Tätigkeiten oder Zustände, die vom Bewußtsein als solchem verschieden sind, vorzustellen (z. B. einer Sache gewiß sein, einen Gegenstand fühlen oder spüren und dgl.), und daß doch zugleich neben diesem Hinweis in den Ausdrücken die Aufforderung enthalten ist, jene Tätigkeiten oder Zustände nicht im gewöhnlichen Sinn zu nehmen, sondern sie mit einer Modifikation zu verstehen (seiner selbst gewiß sein, sich fühlen, sich spüren) - welche Modifikation sich eben auf das Eigentümliche des Bewußtseins bezieht. So erreicht man also die Verdeutlichung dadurch, daß man einen gewissen Umweg einschlägt und hierfür eine mit dem zu verdeutlichenden Gegenstand zum Teil zusammenfallende, zum Teil aber davon verschiedene Vorstellung wählt. Man möge diese etwas ausführliche methodologische Erörertung damit entschuldigen, daß, so häufig auch die Versicherung zu finden ist, daß sich das Bewußtsein nicht definieren läßt, doch fast nirgends gesagt wird, warum und in welchem Sinn dies der Fall ist, und inwieweit dennoch etwas zur Verdeutlichung desselben getan werden kann. 3. Die Analyse des Bewußtseins führt zunächst zur Unterscheidung von Bewußtseinsinhalt und Bewußtseinsform. An jedem Zustand oder Vorgang, den ich in mir erlebe, ist zweierlei zu unterscheiden: erstens das, was vorgeht, und zweitens das, daß es von mir gespürt wird, oder daß ich seiner inne bin. Was innerlich von mir erfahren wird, ist nicht einfach vorhanden, sondern es ist immer zugleich meinem Bewußtsein gegenwärtig. Diese Zugehörigkeit zu meinem Bewußtsein ist die formale Seite, die allem Inhalt meines Bewußtseins anhaftet. Ob es sich um Wahrnehmungen oder Gedanken oder Gefühle usw. handelt oder um Objekte meiner Aufmerksamkeit oder um Dunkelbewußtes und Unbeachtetes: in jedem Fall liegt beides vor: ein Inhalt und das (wenn auch zuweilen wenig intensive) Gespürtwerden desselben. Vor allem ist nun auf die Unzertrennlichkeit beider Seiten Gewicht zu legen; jede besteht nur an und mit der anderen. Bewußtseinsform und Bewußtseinsinhalt stehen im Verhältnis der Korrelativität. Wie man keinen Bewußtseinsinhalt antrifft, dem nicht das Gespürtwerden anhaftet, so besteht auch nirgendwo die Form des Bewußtseins als solche. Leeres, reines Bewußtsein gibt es nicht. Das Bewußtsein kommt immer nur vor als begleitende Form der Wahrnehmungs-, Vorstellungs- bzw. Gefühlsakte usw. Niemals gelingt es, das Bewußtsein rein als solches, unabhängig von den wechselnden Inhalten der Bewußtseinsakte, in sich zu entdecken oder künstlich herzustellen. Hiermit ist nicht wenig gesagt. Es ist nicht nur verneint, daß wir die reine Bewußtseinsform jemals als vorübergehende, zeitweilige Existenz in uns entdecken; sondern es kann auch - und dies ist weit wichtiger - davon keine Rede sein, daß die reine, isolierte Bewußtseinsform unsere Bewußtseinsakte als dauernder, ununterbrochener Faktor begleitet. Und noch viel weniger natürlich würde es den Tatsachen entsprechen, wenn jemand von der reinen Bewußtseinsform nicht nur überhaupt eine gesonderte Existenz, sondern dazu auch noch das Weitere behaupten wollte, daß sie die Grundlage, den Träger, das Ordnende und Einigende im Verhältnis zu den wechselnden Bewußtseinsakten bildet. Mit derlei Behauptungen würde der Psychologe nur seine Einbildungen in das Bewußtsein hineinschieben. Die unbefangene Selbstbeobachtung zeigt uns lediglich die koexistierenden und sukzedierenden [aufeinanderfolgenden - wp] Bewußtseinsakte, nirgends dagegen irgendwo in der Tiefe eines sich gleich bleibenden "reinen" Bewußtseins eine Kraft des Haltens, Tragens, Ordnens und Einigens. Hier sind wir schon auf die Frage der Einheit des Bewußtseins gestoßen. Was diese Einheit auch bedeuten mag, keinesfalls bedeutet sie, daß neben den wechselnden Bewußtseinsakten auch noch eine irgendwie davon abgesonderte, beharrende Bewußtseinsform vorhanden ist, oder gar daß dieselbe eine tragende und einigende Tätigkeit ausübt. Die innere Erfahrung - und sie allein kann hier entscheiden - weist die Form des Bewußtseins weder als eine gesonderte passive, noch als eine gesonderte aktive Einheit auf. 4. Diese Feststellungen gewinnen eine besondere Bedeutung im Hinblick auf die Lehren idealistischer Philosophen vom reinen Ich, von der ursprünglichen Apperzeption, vom reinen Selbstbewußtsein, von der transzendentalen Einheit des Selbstbewußtseins und dgl. KANT führt in seiner "transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" den Grundgedanken durch, daß die Verknüpfungen, die das Mannigfaltige der Anschauungen aufweist, nur möglich sind durch eine zugrunde liegende einigende Tätigkeit unserer Intelligenz, durch das Vermögen einer ursprünglichen Synthese. Wie es mit der Richtigkeit dieses kantischen Kerngedankens steht, dies ist eine Frage, deren Entscheidung nicht hierher gehört. An dieser Stelle interessiert uns nur das Eine, daß KANT diese einigende Funktion als ein reines Selbstbewußtsein auffaßt, das dem empirischen Bewußtsein zugrunde liegt und es gleichsam erst zusammenhält. Allerdings spricht er zuweilen so, als ob die reine Apperzeption in das Unbewußte fallen würde (6). Allein wir haben es an derlei Stellen doch nur mit einer unentwickelt gebliebenen Tendenz seines Philosophierens zu tun; weitaus überwiegend tritt uns die reine Apperzeption nicht nur als mit Bewußtsein ausgestattet, sondern als der tiefste Punkt des Selbstbewußtseins entgegen. Mit besonderer Deutlichkeit wird dies in der ersten Auflage der Vernunftkritik ausgesprochen. Wir sind - so heißt es hier - uns a priori der durchgängigen Identität unserer selbst bewußt als einer notwendigen Bedingung der Möglichkeit aller Vorstellungen. Alles empirische Bewußtsein hat eine notwendige Beziehung auf ein transzendentales, vor aller besonderen Erfahrung vorhergehendes Bewußtsein; alles verschiedene empirische Bewußtsein ist in einem einigen Selbstbewußtsein verbunden und dgl. (7) Wie man sich auch zu der Frage stellen mag, ob unseren Wahrnehmungen und Urteilen eine gemeinsame apriorische Einigungsfunktion unbewußter Art zugrunde liegt: keinesfalls darf man diese Funktion einem neben und hinter allen empirischen Bewußtseinsakten bestehenden reinen Selbstbewußtsein aufbürden. Und der Grund dieser ablehnenden Haltung liegt nicht in weit hergeholten Gründen, sondern in der einfachen Selbstwahrnehmung, die uns mit unzweideutiger Sicherheit lehrt, daß es außer dem Bewußtsein als der unzertrennlich an die einzelnen wechselnden Bewußtseinakte geknüpften Form kein besonderes, zugrunde liegendes, apriorisches Bewußtsein gibt. Wird dagegen die empirische Analyse des Bewußtseins vernachlässigt, so kann sich dem Philosophen, besonders wenn ihn sein theoretisches Interesse nach der Richtung der Aprioritätslehre hin treibt, nur zu leicht die Jllusion eines apriorischen Selbstbewußtseins aufdrängen. Bekanntlich knüpfen sich dann bei FICHTE an die reine Apperzeption KANTs noch tiefere und kühnere Spekulationen. Insofern herrscht nun aber bei FICHTE mehr Klarheit, als er das in sich zurückgehende, sich selbst setzende reine Ich ausdrücklich als etwas allem Bewußtsein und Selbstbewußtsein Vorausliegendes erklärt. Das sich selbst setzende Ich erhält erst die Möglichkeit des Bewußtseins; wirkliches Bewußtsein dagegen entsteht durch dasselbe noch nicht (8). Indessen ist andererseits nach FICHTE doch auch die Möglichkeit vorhanden, dieses (ansich unbewußte) absolut selbsttätige Ich sozusagen ins Bewußtsein emporzuheben oder mit Bewußtsein zu durchleuchten, sodaß dann doch ein reines Selbstbewußtsein - und noch dazu mit dem Vorzug absoluter Selbsttätigkeit ausgestattet - existiert. Der Philosoph besitzt nämlich in der intellektuellen Anschauung das Vermögen, die absolute Selbsttätigkeit des Ich mit Selbstbewußtsein auszuüben. Er vermag nichts Geringeres, als das (ansich noch bewußtlose) "sich selbst konstruierende" Ich, diese einheitliche Bedingung aller einzelnen Bewußtseinsakte, mit freiem Bewußtsein hervorzubringen. Es handelt sich hierbei nicht etwa um ein reflektierendes Erschließen jenes reinen Ich, sondern der Philosoph setzt sich mit seinem Bewußtsein geradezu in eine Identität mit ihm. Er erzeugt in sich durch eine freie Handlung ein über alle Erfahrung erhobenes Selbstbewußtsein (9). Das selbstschöpferische Ich, soweit ihm kein Bewußtsein zugeschrieben wird, ist eine metaphysische Hypothese, über deren Wahrscheinlichkeit die empirische Psychologie nicht entscheiden kann. Wird dagegen hinzugefügt, daß diese Voraussetzung aller Bewußtseinsakte vom Bewußtsein selber erlebt werden soll, so hat die empirische Psychologie einfach darauf hinzuweisen, daß sich dergleichen im Bewußtsein nicht findet. Es liegt hier eine jener Selbsttäuschungen vor, in denen der Philosoph Postulate, die sich ihm durch ein energisches Nachdenken über psychische Gegenstände als unvermeidlich und sonnenklar ergeben, in seinem Bewußtsein selber ergreifen zu können meint. 5. Wir werden daher, soweit es sich um die empirische Analyse des Bewußtseins handelt, vielmehr HUME Recht geben müssen. Niemand vor HUME hat die Tatsache, um die es sich uns hier handelt, so richtig und klar festgestellt. Er fragt, worauf sich die verbreitete Meinung gründet, daß wir ein kontinuierliches, einfaches Ich besitzen. Und er findet, daß ihm keine besondere Empfindung ("impression") entspricht. Neben den in raschem Wechsel einander folgenden Vorstellungen gibt es keine besondere "impression", die wir dauernd und unveränderlich besitzen (10). Mag man sich noch so innig in sein Ich vertiefen, so stolpert man fortwährend über verschiedene Einzelvorstellungen. Niemals vermag jemand sein Ich zu fassen außer in seinen wechselnden Vorstellungen. Das Ich ist nichts als ein Bündel oder eine Sammlung von Vorstellungen, die sich in einem unaufhörlichen Fluß befinden; es gleicht einem Theater, auf dem verschiedene Vorstellungen erscheinen. HUME sagt, daß er mit jemandem, der in sich eine abgesonderte Vorstellung von seinem Ich zu haben behauptet, nicht länger streiten kann. (11) Mit anderen Betrachtungen freilich schießt HUME weit über das Ziel hinaus. Da dieselben gerade durch ihre Einseitigkeit den Übergang zu unseren weiteren Feststellungen bilden können, so will ich in Kürze auf sie hinweisen. Indem HUME neben den wechselnden Vorstellungen keine besondere Einheit im Bewußtsein findet, die jene verbinden würde, so ist ihm dabei zugleich erwiesen, daß die Identität des Ich überhaupt nichts Reales ist. Er schreibt sie, wie auch die Kontinuität der körperlichen Dinge, lediglich der Einbildungskraft (imagination) zu und entwickelt das Hervorgehen der personal identity aus der Einbildungskraft in geistreicher und scharfsinniger Weise. Der Kern seiner Theorie hierüber liegt darin, daß unter gewissen Umständen (die eben beim Wechsel unserer Vorstellungen eintreffen) die an einer Erscheinung sukzessive wahrgenommenen Veränderungen unserer Einbildungskraft die Veranlassung geben, so leicht, glatt und ununterbrochen von der einen zur anderen überzugehen, daß ihr dieses sanfte Übergleiten den Eindruck der Identität jener Erscheinung hervorruft. Jene "gewissen Umstände" nun bestehen bei den Vorgängen in unserem Bewußtsein hauptsächlich darin, daß für dieselben die Verhältnisse der Ähnlichkeit und der Kausalität (relations of resemblance and causation) maßgebend sind. Das Gedächtnis reiht ähnliche Vorstellungen aneinander; je öfter nun dieselben ähnlichen Vorstellungen miteinander verbunden werden, in umso leichterem Übergang wird die Einbildungskraft von der einen zur anderen geführt und hierdurch der Schein der Identität erzeugt. Und derselbe Schein entsteht durch die durchgängige kausale Verkettung unserer Bewußtseinsvorgänge untereinander; das Gedächtnis bringt uns diese kausale Verkettung zum Bewußtsein, erleichtert hierdurch der Einbildungskraft das Übergleiten von einem Glied zum anderen und läßt so auch auf diesem Weg den Schein der Identität des Ich zustandekommen. So besteht in Wahrheit keine personal identity, sondern es gibt nur relations of ideas. Diese relations bringen aber durch ihre Wirkung auf das Operieren der Einbildungskraft den Schein jener Identität hervor. Es ist also die Einheit des Ich eine auf der Grundlage jener zwischen den Bewußtseinsvorgängen bestehenden relations of resemblance and causation gebildete Vorstellung der Einbildungskraft (12). Es fragt sich nun: hat HUME mit dieser Herabsetzung der Identität des Ich zur bloßen Einbildung Recht? Nach zwei Richtungen scheint mir HUME zu weit zu gehen. Erstens weist die tatsächliche Beschaffenheit des Bewußtseins dann doch, und zwar, wie sich zeigen wird, in doppelter Beziehung, eine wirkliche Einheit auf - eine Einheit, die allerdings nicht neben den einzelnen wechselnden Bewußtseinsakten als gesondertes, reines Bewußtsein, sondern an und in ihnen, als von ihnen ungetrennte Form ihrer Koexistenz und Sukzession, vorkommt. Diese in der Erfahrung gegebene Bewußtseinseinheit übersieht HUME. Könnte er doch sonst die Identität des Ich nicht uneingeschränkt als Erdichtung der Einbildungskraft behandeln! Zweitens aber läßt sich nach meiner Überzeugung diese empirische Bewußtseinseinheit nicht verstehen ohne die metaphysische Hypothese einer ihr zugrunde liegenden unbewußten Funktion und Tätigkeit des Einigens. Von dieser hypothetischen und metaphysischen Einheit soll zunächst abgesehen werden. 6. Wenn man die Bewußtseinsform in ihrer Beziehung zu den jeweilig koexistierenden Bewußtseinsinhalten betrachtet, so besteht die tatsächliche Bewußtseinseinheit in Folgendem: In meinem Bewußtsein sind zu gleicher Zeit die Inhalte a, b, c, d ... gegenwärtig. Es ist einerlei, wie sich diese Inhalte auf Wahrnehmung, Vorstellung, Gedanke, Gefühl etc. verteilen. Nun ist es doch wohl eine richtige Wiedergabe dessen, was ich unmittelbar erfahre, wenn ich sage: der Bewußtseinsinhalt a führt dieselbe Bewußtseinsform mit sich, die auch zu b, c, d ... gehört. Es ist eben mein Bewußtsein, das ich spüre, indem ich im gleichen Zeitpunkt diese Farben und Gestalten sehe, diese Töne höre und dgl. Jeder dieser Inhalte ist also tatsächlich an dasselbe Innesein geknüpft; sobald diese Verbindung aufhört, ist er überhaupt nicht mehr für mich vorhanden. Ihre eigentliche Bedeutung erhalten diese Sätze aber erst dann, wenn man erwägt, daß die Dieselbigkeit der Bewußtseinsform nicht in einem generellen, sondern in einem numerischen Sinn zu nehmen ist. Es ist nicht etwa dieselbe Gattung von Ich, sondern dasselbe eine, individuelle Exemplar des Ich, das zu a, b, c, d ... gehört. Wenn ich in demselben Zeitpunkt mehrere Wahrnehmungen habe, so ist jede von ihnen meine Wahrnehmung, was doch wohl heißt: jede von ihnen führt dieselbe individuell-eine Bewußtseinsform mit sich. Es muß aber noch etwas anderes hinzugefügt werden, damit der Sinn dieser Aussage völlig klar wird. Es ist nicht so, daß die koexistierenden Bewußtseinsinhalte auf eine von ihnen gesondert vorhandene einheitliche Bewußtseinsform allererst "bezogen" werden. Abgesehen davon, daß, wie wir bereits wissen, ein solcher für sich bestehender Einheits- und Mittelpunkt im Bewußtsein fehlt, finden wir auch den Inhalten unseres Bewußtseins nirgends eine "Beziehen" auf unser Bewußtsein beigesellt. Es wäre eine ungenaue Wiedergabe des Tatbestandesf, wenn man meinen würde, daß sich das Bewußtsein an die psychischen Inhalte "knüpft". Überhaupt ist nicht erst ein Fortgehen, eine Entfernung von der einen Seite nötig, um zur anderen zu gelangen, sondern indem die eine Seite da ist, so ist auch die andere Seite eben darin vorhanden. Jeder Bewußtseinsinhalt, soweit er dies ist, wird vom Bewußtsein umfangen und besessen, er lebt und steckt im Bewußtsein. Und umgekehrt läßt sich sagen: die Inhalte, soweit sie bewußt sind, zeigen eben die Bewußtseinsform als gegenwärtig auf, sie tragen und besitzen an und in sich selber (13) das Bewußtsein. Ich hebe dieses innige Verhältnis besonders auch darum so nachdrücklich hervor, weil zuweilen im Interesse gewisser Theorien diese Innigkeit herabgemindert wird. Selbst LAAS z. B., der die "unzersprengbare Wechselbeziehung" von Ich und Nicht-Ich nicht genug betonen kann, ist bestrebt, aus Scheu vor idealistischen Konsequenzen die Gegenwart der Inhalte im Bewußtsein und des Bewußtseins in den Inhalten herabzudrücken. Aller Inhalt - so lehrt er - ist allerdings "nur in Bezug auf ein Bewußtsein" vorhanden, aber keinesfalls "im" Bewußtsein, keinesfalls "in" uns. Die Objekte sollen freilich nicht außerhalb des Bewußtseins, darum doch auch nicht "in" ihm sein. Sie in das Bewußtsein zu verlegen, ist ihm ein idealistisches Mißverständnis (14). Ich dagegen sollte meinen, wohl niemand erfährt die Objekte derart, daß er sie auf sein Bewußtsein zwar "bezieht", sie jedoch dabei gleichsam nicht in das Innere seines Bewußtseins einläßt. Wenn ich jetzt das vorhin Festgestellte hinzunehme, so darf ich den Tatbestand nun so bezeichnen: das der Zahl nach eine und selbe Bewußtsein begleitet und füllt aus jeden der koexistierenden Inhalte, dergestalt, daß zur gleichen Zeit dasselbe Exemplar von Bewußtsein ungeteilt und ungespalten in jedem der wahrgenommenen, vorgestellten oder sonstwie vorhandenen Inhalte gegenwärtig ist. Und ebenso darf ich umgekehrt sagen: jeder der koexistierenden Inhalte ist in derselben einen Bewußtseinsform gegenwärtig, dergestalt, daß jeder sich in einem ganzen, ungeteilten Bewußtsein befindet. Es ist dies nur eine genauere Beschreibung der Tatsache, daß die Wahrnehmungen, Gefühle usw., die ich gleichzeitig habe, eben meine [mfk/subjekt] Wahrnehmungen, meine Gefühle usw. sind. Im Wort "mein" liegt dies ausgedrückt, daß zu jedem dieser Inhalte genau dasselbe ganze, ungeteilte Bewußtsein gehört, daß die Inhalte sich nicht an verschiedene Teile oder Orte des Bewußtseins verteilen, sondern genau dasselbe eine Bewußtsein, das dem Inhalt a gegenwärtig ist, auch den Inhalten b, c, d ... beiwohnt. 7. Man könnte die beschriebene Eigenschaft des Bewußtseins als Durchdringlichkeit bezeichnen. Damit soll natürlich nicht der gerade Gegensatz zur Undurchdringlichkeit der materiellen Körper bezeichnet werden. Denn sollte dieser stattfinden, so müßte das Verhältnis wechselseitiger Durchdringung zwischen den verschiedenen individuellen Bewußtseinen bestehen. Die Bewußtseine aber sind füreinander ebenso undurchdringlich, wie die Körper es für einander sind. Trotz dieses zunächst sich darbietenden Mangels an Parallelismus scheint mir doch jener Ausdruck "Durchdringlichkeit" in passender Weise die Tatsache zu bezeichnen, daß, indem das Bewußtsein einen gewissen Inhalt gegenwärtig hat, hierin nicht der mindeste Hinderungsgrund dafür enthalten ist, daß schlechthin demselben ganzen, ungespaltenen Bewußtsein auch noch andere Inhalte gleichzeitig gegenwärtig sind. Die Bewußtseinsform wird also in der Tat von den Inhalten, die ihr gleichzeitig gegenwärtig sind, gleichzeitig absolut in Besitz genommen - was man doch wohl als Durchdringung bezeichnen kann. Hiermit ist eine Eigenschaft des Bewußtseins bezeichnet, die in der Körperwelt nicht ihresgleichen hat. Wenn man dem Bewußtsein das Atom und den Inhalten, deren das Bewußtsein inne ist, die Bewegungen des Atoms gegenüberstellt, so springt der Gegensatz in die Augen. Indem sich ein Atom in bestimmter Weise bewegt, so ist damit unbedingt ausgeschlossen, daß dasselbe Atom gleichzeitig noch eine andere wirkliche Bewegung ausführt. Dasselbe Atom kann sich gleichzeitig nicht in verschiedenen wirklichen Bewegungen befinden. Dagegen ist das Bewußtsein imstande, indem es, wie das Atom, ungespalten bleibt, dennoch mehrere innere Vorgänge gleichzeitig zu vollziehen. Die wie das Atom ungeteilte Bewußtseinsform durchläuft doch gleichzeitig mehrere gleichsam innere Bewegungen. - Wenn man das Bewußtsein nicht mit dem Atom, sondern mit dem Körper als einem Atomkomplex parallelisieren wollte, so müßte man den Gegensatz anders ausdrücken. Dieser würde dann darin bestehen, daß von den verschiedenen Bewegungen, die gleichzeitig in einem Körper vorgehen können, eine jede an einem anderen Ort, in einem anderen Teil des Körpers stattfindet, während eben das Bewußtsein ungeteilt in seine verschiedenen koexistierenden Inhalte eingeht. So ist das Bewußtsein im strengsten Sinn eine Einheit in der Vielheit. Dies ist keine Hypothese, kein Ausgreifen ins Metaphysische, sondern Ausdruck einer Tatsache. Das Eine wird vom Vielen und das Viele vom Einen derart durchdrungen, daß das Eine als Eines in jedem der Vielen gleichzeitig gegenwärtig ist. In diesem Sinne könnte man sagen: das Bewußtsein nimmt das Viele in sich auf und überwindet es zugleich eben damit. (15) Wie verhält sich nun - so könnte vielleicht jemand fragen - die Durchdringlichkeit des Bewußtseins zu seiner Einheit, von der wir ausgegangen sind? Ist mit jener etwa die Voraussetzung oder Ursache dieser bezeichnet? Keineswegs. Vielmehr zeigte die ganze Darstellung, daß die Durchdringlichkeit des Bewußtseins nichts als die genauere, den Tatsachen schärfer angepaßte Bezeichnung der Bewußtseinseinheit selber ist. Höchstens könnte man sagen, daß der Ausdruck "Durchdringlichkeit" die Reihe der von Zeitpunkt zu Zeitpunkt einander folgenden tatsächlichen Bewußtseinseinheiten zu einer bleibenden Eigenschaft des Bewußtseins zusammenfaßt, während der Ausdruck "Bewußtseinseinheit" sowohl jene Einzeltatsachen, als auch diese Eigenschaft bezeichnet. Und nun noch Eins! Die dargelegte Einheit des Bewußtseins ist innerhalb des Bewußtseins selber nicht etwas Abgeleitetes und Zusammengesetztes, sondern von ursprünglicher und einfacher Art. Es ist allerdings von vornherein nicht von der Hand zu weisen, daß die Einheit des Bewußtseins, wenn man ihre Entstehung in das Unbewußte hinein verfolgt, nicht auf eine ursprüngliche ideelle Einheit hinführt, sondern als ein Ergebnis aus verschiedenen andersartigen Elementen erscheint. Doch wie auch immer es sich hiermit verhält, keinesfalls kann davon die Rede sein, daß innerhalb des Bewußtseins, gleichsam vor seinen Augen, die Einheit des Bewußtseins aus anderen Faktoren entspringt oder sich aus ihnen zusammensetzt. Laut unserer Selbstwahrnehmung - und sie allein entscheidet hier - gibt es in unserem Bewußtsein keine derartige Entstehung oder Zusammensetzung. Wenn dennoch jemand dergleichen im Bewußtsein zu finden behaupten sollte, so würde man dies als unwillkürliche Verfälschung der Bewußtseinstatsachen zugunsten einer vorgefaßten Hypothese betrachten müssen. Indessen ist die Wahrscheinlichkeit einer solchen Bewußtseinsfälschung nicht groß, da zu diesem Zweck allzu verwickelte Bewußtseinsvorgänge erfunden werden müßten. Viel näher liegt die Versuchung, jene Einheit des Bewußtseins in der Koexistenz seiner Vorgänge überhaupt herabzudrücken, zu übersehen oder geradezu zu leugnen. Kommt doch selbst bei HERBART, der die Einfachheit der Seelensubstanz so stark betont, die viel näher liegende, in der Erfahrung gegebene Bewußtseinseinheit nicht zu ihrem Recht. Wo er das Ich analysiert und von der Entstehung und Entwicklung des Selbstbewußtseins handelt, da laufen die Erörterungen überall darauf hinaus, das Ich als das dunkle, niemals fertige, kaleidoskopisch wechselnde Ergebnis unzähliger Vorstellungsreihen erscheinen zu lassen. So viel Wahres - wenn man den Inhalt und die Entwicklung des Ich in Betracht zieht - in diesen Bemühungen HERBARTs, das Relative und Unruhige im Ich aufzudecken, enthalten sein mag, so wird doch von ihm übersehen, daß das Ich in formaler Hinsicht etwas durchaus Abgegrenztes und Festes ist. Das Ich geht keineswegs, wie HERBART die Sache darstellt, darin auf, ein immer schwebendes, sich immer gegenseitig aufhebendes Produkt aus lauter Verschiebungen und Vorstellungsmassen zu sein, sondern es ist in der Mannigfaltigkeit und dem Wechsel zugleich eine Einheit im strengsten Sinn. Solange wir überhaupt ein normales Bewußtsein haben, verliert das Ich diesen Einheitspunkt nie, noch auch gerät er ins Schwanken. Dieser feste Mittelpunkt in der wogenden Inhaltsmasse des Ich kommt bei HERBART nicht zur Geltung (16). Unser Weg hat uns bis jetzt zwischen HUME und KANT mitten hindurch geführt. Einverstanden mit HUME in der Verwerfung des reinen Ich, geben wir ihm doch Unrecht in der Herabdrückung der Bewußtseinseinheit zu einer Fiktion. Und einverstanden mit KANT in der Festhaltung der realen Bewußtseinseinheit, finden wir doch dieselbe, abweichend von ihm, nicht als apriorische Grundlage unseres Ich, sondern als etwas in der Mannigfaltigkeit der Vorstellungen selber empirisch Gegebenes. Denselben Mittelweg werden uns auch unsere weiteren Erwägungen führen.
1) So z. B. von WUNDT, Physiologische Psychologie II, zweite Auflage, Seite 195. 2) FORTLAGE, System der Psychologie, Bd. I, Seite 63 3) vgl. z. B. HEGEL, Enzyklopädie, § 412; ROSENKRANZ, Psychologie, dritte Auflage, Seite 269. 4) So erblickt z. B. SCHERNER (Daß die Seele ist, Berlin 1879, Seite 44) im Bewußtsein den Reflex der leibbildenden Formkraft in sich selbst. 5) Auch derartige Bezeichnungen findet man besonders häufig bei den spekulativen Philosophen; die obigen z. B. bei HEGEL, Enzyklopädie, § 412f, bei C. G. CARUS, Psyche, zweite Auflage, Seite 106f usw. Überhaupt geben die spekulativen Psychologen häufig weit mehr Beschreibungen psychischen Vorgänge, als man erwarten sollte, und mehr, als dies vielfach in der "empirischen" Psychologie der Fall ist. Allerdings kommt dies zum Teil daher, daß die spekulativen Psychologen, indem sie metaphhysische Wesenserklärungen zu geben meinen, unwillkürlich oft nichts weiter tun, als daß sie die Bewußtseinsvorgänge, um die es sich handelt, beschreiben. 6) Belege dafür findet man in meinem Aufsatz "Kants Stellung zum unbewußt Logischen", Philosophische Monatshefte, Bd. IX, Seite 52f. 7) KANT, Kritik der reinen Vernunft, erste Auflage 1781, Seite 116f. Doch auch die zweite Auflage läßt keinen Zweifel hierüber. Die empirische Einheit des Bewußtseins betrifft die Erscheinung und ist ganz zufällig. Von dieser subjektiven Einheit des Bewußtseins ist die ursprüngliche oder objektive Einheit des Selbstbewußtseins zu unterscheiden; diese liegt a priori jener subjektiven zugrunde (zweite Auflage, Seite 139f). Auch aus den von BENNO ERDMANN herausgegebenen "Reflexionen Kants zur Kritik der reinen Vernunft", Leipzig 1884, ersieht man, wie sehr sich KANTs Nachdenken um das reine Selbstbewußtsein als Träger und Ordner der empirischen Bewußtseinsakte bewegt hat. So sagt KANT: "Es ist aber diese Notwendigkeit der Verknüpfung (nämlich der Verknüpfung im Urteil) nicht eine Vorstellung empirischen Ursprungs, sondern setzt eine Regel voraus, die a priori gegeben sein muß, d. h. eine Einheit des Bewußtseins, die a priori stattfindet." (Seite 282) 8) JOHANN GOTTLIEB FICHTE, Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, Werke I, Seite 459. 9) JOHANN GOTTLIEB FICHTE, Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, Werke I, Seite 427f. - Zweite Einleitung, Werke I, Seite 460f und 471. 10) HUME drückt sich mit einer gewissen Umständlichkeit aus. Er glaubt, zeigen zu müssen, daß es keine "impression" gibt, von der die Vorstellung der "personal identity" abgeleitet werden kann, und zu diesem Zweck weist er darauf hin, daß in uns keine dauernde und unveränderliche "impression" zu finden ist. Stattdessen hätte HUME einfacher und direkter sagen sollen: wir finden in uns neben den wechselnden Vorstellungen keine besonderes dauerndes Ich. 11) HUME, A Treatise of Human Nature (hg. von Green und Grose, Bd. I, Seite 533f). 12) HUME, a. a. O., Bd. I, Seite 539f. 13) "An" und "in" fallen hier zusammen. Dieses Rot, dieser Ton, dieses Süß haben, soweit sie bewußt sein, nicht etwa noch ein Inneres, das hinter dem von uns Empfundenen als der bloßen Oberfläche stecken würde; sondern diese Empfindungsinhalte sind in dem, als was wir sie empfinden, voll und innerlich ausgeschöpft. 14) LAAS, Idealismus und Positivismus, Bd. III, Seite 38f, 45, 52. 15) Auch ist hiermit keineswegs das Identitätsprinzip verletzt. Ich sage ja nicht: "das Eine ist, indem es Eines ist, zugleich auch ein Vieles", sondern ich sage gemäß den Tatsachen nur, daß das Eine im Vielen ein Eines bleibt. Wer da sagt, daß das Eine im Vielen selber ein Vieles wird und so seine Einheit zugleich besitzt und nicht besitzt, der spricht keine Tatsache aus, sondern zieht eine Folgerun. Hier aber habe ich es nur mit Tatsachen zu tun. Und die zugrunde liegende Tatsache zumindest widerspricht nicht dem Identitätsprinzip. Eine Tatsache kann auch niemals durch eine Folgerung, sei diese wie auch immer beschaffen, widerlegt werden. 16) HERBART, Psychologie als Wissenschaft, Teil I, § 27f; Teil II, § 132f. - Wo HERBART auf die Form des Bewußtseins kommt, tritt ihm sofort die Form des Selbstbewußtseins, das sich wissende Ich, die Identität von Subjekt und Objekt gegenüber. Die Widersprüche, die er hierin enthalten glaubt, erschrecken und beunruhigen ihn derart, daß er darüber die schlichte und doch so bedeutsame empirische Bewußtseinseinheit gänzlich vernachlässigt. |