W. EnochS. LeviH. RuinA. EddingtonF. PaulsenMFK | |||
Über den Substanzbegriff bei Locke und Hume [4/4]
C. Die Erkenntnis der Substanzen Die Erweiterung der Dingbegriffe durch die Hinzufügung neuer Merkmale ist stets das Resultat eines Erkenntnisaktes; die Vervollständigung derselben durch die Erforschung all dessen, was sich mit ihrem Inhalt nicht als koexistenz erweist, ist die spezifische Aufgabe der Dingerkenntnis (Essay IV, 3. § 9 und 6. § 10). Freilich faßt LOCKE den Begriff der Koexistenz dabei etwas weiter, als wir jetzt gewöhnt sind, wenn er Koexistenz und notwendige Verknüpfung einander gleichsetzt (IV, 1. § 3), während wir neben die Verknüpfung des Gleichzeitigen diejenige des Sukzessiven setzen, um den ganzen Umfang der natürlichen Gesetzmäßigkeit zu erschöpfen. In der Tat befaßt LOCKE unter dem Titel der Koexistenz das ganze Gebiet des realen Naturerkennens, wie aus den speziellen Betrachtungen hervorgeht und insofern bezeichnet er mit demselben eine der Haupterkenntnisarten in seiner Klassifikation (Identität, Relation, Koexistenz, reale Existenz). Auch haben wir ja bei der Sukzession der Ursachen und Wirkungen immer Gegenstände, an welchen Veränderungen und Wirkungen eintreten, und sehr oft zeigen sich Ursache und Wirkung selbst in gewissem Sinn koexistenz, so daß Koexistenz- und Sukzessionsverhältnisse auf die mannigfachste Weise realiter ineinandergreifen, wenn sie auch essentiell auseinander zu halten sind. Erst HUME löste bekanntlich aus dem Gewebe der natürlichen Zusammenhänge die Realfolge oder Kausation heraus, um sie auf ihren innersten Kern zu prüfen, verband aber damit zugleich das Vorurteil, als ob alle Realverknüpfung in Kausation aufgehen würde. Der vorige Abschnitt hat uns mit der wahren realen Bedeutung der Substanzbegriffe zugleich das ideale Ziel der Substanzerkenntnis dargestellt; die Untersuchungen LOCKEs, denen wir jetzt zu folgen haben, beziehen sich auf den Umfang, in welchem dieses Ziel zu erreichen ist (the extent of knowledge), und die Sicherheit der Erkenntnis, welcher wir dabei fähig sind. Maßgebend wird dabei die Wahrnehmung und Erfahrung, welche das einzige Erkenntnismittel hier ist; und es fragt sich, wie wir aufgrund der Data derselben unsere Dingvorstellungen zu einem adäquaten Ausdruck des objektiven Seins vervollständigen können. Als Vorbild dient aber immer das Mathematische, welches seinen Einfluß schon in der Definition des Erkennens bemerkbar macht (agreement and disagreement of ideas) und offenbar dem Satz den Ursprung gegeben hat, daß alle eigentliche Erkenntnis auf Intuition und Demonstration beruth, während alles Übrige bloß Glaube oder Meinung ist, zumindest in Anbetracht aller allgemeinen Wahrheiten. (25) Allgemeinheit aber kann ein Satz nur haben, wenn er sich auf die Vergleichung zweier abstrakter Ideen im Verstand gründet (Essay IV. 6 § 13); der Akt der unmittelbaren Erkenntnis des Verhältnisses zweier Vorstellungen ist die Intuition, der der mittelbaren mit Hilfe von Zwischengliedern die Demonstration. Wir betrachten bei derselben bloß "die Ideen, welche wir im Verstand haben", die als archetypa [Urbilder - wp] zugleich das ganze Sein ihres Gegenstandes repräsentieren und das Prinzip all seiner Eigenschaften enthalten (ebd. § 4). In diesen Begriffen geht LOCKEs Theorie der mathematischen Erkenntnis auf. Diese Erkenntnis aus bloßen Begriffen reicht freilich nicht weit; die Moral ist es allein, welche LOCKE neben der Mathematik noch einer demonstrativen Behandlung für fähig erklärte. Die Dingideen lassen sich zwar auch ihrem Vorstellungsgehalt nach betrachten, aber sie geben dann nur zu leeren Sätzen Veranlassung, welche nur einen Teil der Definition vom definierten Gegenstand aussagen und daher unsere Erkenntnis desselben nicht vermehren (ebd. 6. § 9). (Analytische Sätze nach KANT.) Denn, so begründet LOCKE, macht man die Voraussetzung, daß diese Begriffe objektiv determinierte Arten bezeichnen, so bleiben wir doch in Unkenntnis über das objektive Wesen derselben und können demzufolge nicht behaupten, daß irgendeine Qualität notwendig zu demselben gehört (ebd. 6. § 5). Bei der richtigen Annahme, daß die Namen der Dinge nur die komplexe Idee oder das Nominalwesen bezeichnen, ist ebensowenig ein allgemeiner Satz möglich, weil die einfachen Ideen in denselben keine notwendige Verknüpfung oder Unverträglichkeit untereinander mit sich führen (ebd. § 6); wir sind nicht imstande zu erkennen, welche andere Qualitäten notwendig mit solchen Komplexen koexistieren, wenn wir nicht ihre natürliche Abhängigkeit entdecken können (ebd. § 7), in anderer Sprache: die Dingbegriffe sind a priori keiner Erweiterung fähig. Ist z. B. die Nominalessenz des Goldes die gelbe Farbe, Hämmerbarkeit, Schmelzbarkeit und ein bestimmter Gewichtsgrad, so ist es unmöglich, die Wahrheit sicher zu erkennen, daß alles Gold fest ist, denn die Festigkeit hat keinen notwendigen Zusammenhang mit den anderen Qualitäten; nimmt man den Begriff der Festigkeit mit in den des Goldes auf, so wird es sich mit anderen Qualitäten wieder ebenso verhalten (ebd. § 8, 9). Immerhin gilt die deduktive Erkenntnis der Koexistenz nicht für unmöglich ansich, wenn auch für unerreichbar. Wir bemerken die Verknüpfung oder Abhängigkeit der Qualitäten untereinander nicht, weil wir weder die reelle Konstitution kennen, auf welche sie gegründet sind, noch wie sie daraus hervorgehen (ebd. § 10 3. § 14). Es liegt also eine Schranke unserer Erkenntnisfähigkeit vor, die ihren Grund zuletzt im Verhältnis der sekundären Qualitäten hat, denn die kommen hier vorzüglich in Frage. Wir können von einer sekundären Qualität nicht auf die andere schließen, weil uns die realen Mittelglieder fehlen (3. § 11), d. h. die Ursachen, auf deren Zusammenhang derjenige der Wirkungen beruth. Aber der Zusammenhang derselben mit ihren Ursachen bleibt uns unbegreiflich und macht unsere Unwissenheit noch hilfloser (ebd. § 12. 13); das Gleiche gilt den zahlreichen Qualitäten, welche sich als Kräfte darstellen (ebd. § 16). Wir müßten am anderen Ende anfangen können und von vornherein eine solche Idee der Körper haben, daß wir einsähen, worin alle sinnlichen Qualitäten bestehen und wie sie zustande kommen, dann könnten wir uns Begriffe bilden, aus denen wir alle Eigenschaften der entsprechenden Art ebenso wie aus den mathematischen abzuleiten vermöchten, ohne auf die Existenz korrespondierender Gegenstände Rücksicht zu nehmen (Essay IV. 6. § 11). In noch höherem Grad tritt unsere Unfähigkeit einer adäquaten Substanzerkenntnis hervorf, wenn man bemerkt, daß die Qualitäten eines Dings nicht allein von ihm selbst abhängen, sondern von seiner Umgebung mit bedingt sind (§ 11); so wenig sind wir in das Heiligtum der Natur eingelassen, daß wir uns kaum dem Eingang genähert haben. Wenn LOCKE auch noch größere Schranken der Erkenntnis der Geisterwelt aufweist, so kann man doch KUNO FISCHER nicht beistimmen, wenn er in dieser Lehre von der Unvollkommenheit des theoretischen Wissens eine "Verneinung der Metaphysik" und eine "Antizipation der negativen Summe der kritischen Philosophie" sieht ("Franz Bacon und seine Nachfolger", Seite 417); denn diese Beschränktheit betrifft das Wissen selbst von der physischen Natur der Dinge; das Unerkennbare, welches LOCKE konstatiert, ist ein Immanentes, und die Erkenntnis zeigt sich bei ihm empirisch beschränkt, im letzten Grund durch die Natur unserer Sinnesorgane; dagegen ist die negative Summe der kritischen Philosophie nur die Behauptung der notwendigen Immanenz des Erkennens, in anbetracht des Naturwissens aber hegt gerade KANT die Meinung einer unbegrenzten Vervollkommnung zu deduktiver Wissenschaft (Prolegomena § 57, Kirchmann-Ausgabe Seite 115). So steht in dieser Hinsicht der Phänomenalismus, das Prinzip der positivistischen Richtung, dem Sinn von LOCKEs Lehre näher als dem der kantischen. Übersieht man die Theorie LOCKEs, so bemerkt man, welches bedeutende Gewicht dabei auf den kausalen Zusammenhang fällt. Die meisten Wahrnehmungsqualitäten sind nach derselben als Effekte aufzufassen, ihre koexistente Verknüpfung hängt also ab
2) von der Koexistenz dieser. Betrachten wir nun die Mittel, durch die wir faktisch unser Wissen über Substanzen, soweit es reicht, erlangen, so tritt uns die Erfahrung entgegen, über welche die Erkenntnis sich hier nicht erstreckt (Essay IV. 3. § 14). Welche Erfolge aber die experimentelle Methode auch haben mag, limitiert sogleich LOCKE, so vermag sie uns doch nie eine eigentlich wissenschaftliche Erkenntnis zu geben, d. h. allgemeine Wahrheiten; Gewißheit und Demonstration dürfen wir in diesem Punkt nicht verlangen (ebd. 3. § 26. 12. § 10). Unsere Sinne bemerken täglich verschiedene Effekte, von denen wir insofern eine sinnliche (sensative) Erkenntnis haben, aber wir kommen dabei nicht über den einzelnen Fall, den uns die Erfahrung bietet, hinaus und können höchstens nach Analogie auf ähnliche Fälle schließen (ebd. 3. § 29); die Erfahrung ist immer partikulär, und was an einem einzelnen Fall gelingt, gibt keine Sicherheit, daß es in jedem anderen ebenso sein wird, da in keinem Körper ein sichtbaren Zusammenhang der Eigenschaften besteht (12. § 9). Das Resumé dieser verschiedenen Ausdrücke gibt der Satz, daß die Physik in unseren Händen nicht fähig ist, eine Wissenschaft zu werden (ebd. 12. § 10), ein Satz, den man gewiß mit Erstaunen aus dem Mund eines Empirikers hört. In der Tat ist dies der Punkt größter Divergenz zwischen LOCKE und seinen neueren Nachfolgern (26). Sieht man sich nach dem letzten Grund derselben um, so liegt dieser, wie schon angedeutet, in der Auffassung der mathematischen Erkenntnis. Denn wer die Einsicht erlangt hat oder zu haben glaubt, daß auch diese nicht der vorgegebenen absoluten Allgemeinheit oder Notwendigkeit fähig ist, wird, indem er von vornherein alle Wahrheiten nur als beschränkt gültig ansieht, und jenes Ideal ganz aufgibt, einen ganz anderen Standpunkt in der Schätzung derselben einnehmen, und das wissenschaftliche Hauptinteresse einem anderen Umstand zuwenden, nämlich den verschiedenen Graden relativer Allgemeinheit, in welcher wir eine Wahrheit einsehen können, den Mitteln, durch welche dieselben gewonnen werden, und den bestimmten Graden, welche hinreichend sind, einen Satz zu einem wissenschaftlich begründeten zu machen. Denn in der Tat, wenn wir einmal nur partikulare Erkenntnis haben können (27), so fragt es sich, wie diese zur Wissenschaftlichkeit über die vulgäre Meinung erhoben werden kann. Mit Recht konnte man vielleicht auch von LOCKE die Präzisierung des Unterschiedes zwischen der immerhin begründeten "Meinung" der empirischen Wissenschaft und der populären verlangen, aber indem er das Ideal allgemeingültiger Wahrheiten im Auge hat, denkt er nur daran, das ihm nicht Entsprechende auszuscheiden. HUMEs Untersuchungen in der Frage der Realerkenntnis beschränkten sich auf die Gesetze der Bewirkung, indem er die Kausalverknüpfung als das alleinige Prinzip des Naturerkennens ansieht. Wir haben darum denselben als nicht speziell zur Sache gehörig nicht im Einzelnen nachzugehen, wenn sie auch ihrem allgemeinen Gehalt nach bemerkenswert sind. Sie nehmen eine ganz andere Wendung als die vorhin herangezogene, indem sie, allgemein gesprochen, die Möglichkeit der Generalisation über die stets numerisch bestimmt begrenzte Anzahl von Fällen, welche der Beobachtung unterliegen, zu einem auch nur approximativ allgemeinen Satz, mittels dessen auf nicht beobachtbare Fälle geschlossen werden kann, zum Problem machen. Wir haben nun von HUME noch die Kritik des Begriffs der äußeren materiellen Welt zu betrachten, die wir schon an einzelnen Punkten im Gegensatz zur Lehre LOCKEs hervortreten sahen; sie findet sich unter dem Titel Skeptizismus in Bezug auf die Sinne (Treatise IV 2). Die materielle Welt, wie sie die atomistische Hypothese vorstellt, war für LOCKE die absolute Realität, wobei man aber, um den Sinn des Wortes absolut richtig zu verstehen, den Tiefgang seiner Forschung in Betracht ziehen muß, denn man kann nicht im Sinn des naiven Menschen Farben und Töne auch als absolute Realitäten bezeichnen, während das z. B. der Standpunkt der Kritik LOCKEs schon nicht mehr erlaubt. So sind die absoluten Elemente, die auf irgendeinem Standpunkt angenommen werden, immer relativ, auf die Tiefe desselben bezogen, und jeder philosophische Standpunkt kann noch unbeschränkter einer Vertiefung fähig gehalten werden. LOCKE nun ist wesentlich noch naiver Realist, wenn er auch mit den sekundären Qualitäten eine kleine Korrektion anbringt; d. h. er meint eigenlich unter äußerer Realität nichts Anderes als die Realität im Raum, benutzt sie aber gleichzeitig zu dem transzendentalen Zweck, die Objektivität, d. h. die Möglichkeit der Erfahrung zu erklären, indem er in das Reale oder das Ding-ansich diejenigen Verknüpfungen verlegt, auf welche sich die Realerkenntnis gründet, so daß alles Erkennen nur ein Herausnehmen derselben zu sein scheint. So kann er das Reale freilich nicht mehr mit der empirischen Realität der Wahrnehmung identifizieren, weil es sich hinter dieselbe zurückzieht, aber es ist doch noch anschaulich vorstellbar in der reinen mathematischen Größenanschauung, welche zugleich in ihren Zusammenhängen den willkommenen Anhaltspunkt für den Begriff der Realverknüpfung bietet. Immerhin gilt das Ding-ansich zumindest in thesi bei LOCKE als etwas von den Vorstellungen spezifisch Verschiedenes. HUME beseitigt zunächst diesen Begriff, wie wir schon bei der Gelegenheit der Idee der äußeren Existenz sahen, als eine Absurdität (Treatise IV 2). Nun stellt sich ihm von vornherein die Sache als ein bestimmtes Problem dar, zu dem eine bestimmte Tatsache Veranlassung gibt. Der Glaube an eine reale Außenwelt ist ein Faktum, an welchem durch Skepsis nichts geändert werden kann (Treatise IV, 2); man darf aber nach den Motiven (causes) fragen, welche dazu vorhanden sind. Diese Hauptfrage wird sogleich in zwei zerlegt, deren Stellung an eine angeblich unbedeutende Unterscheidung geknüpft ist; diese sind: Wie schreiben wir den Objekten eine dauernde Existenz zu, selbst wenn sie den Sinnen nicht gegenwärtig sind; und wie setzen wir eine von der Seele und der Wahrnehmung distinkte [klar und deutlich abgegrenzte - wp] Existenz derselben voraus? In der Tat involviert diese Aufstellung eine Analyse des Sinnes, in welchem von einer realen Außenwelt gesprochen wird. In dieser Analyse hat man die erste und Hauptaufgabe des gegenwärtigen Problems zu sehen, jedenfalls müßte sie aber über die von HUME gegebenen Bestimmungen hinausgeführt werden, weil diese keineswegs von elementarer Einfachheit sind. Bei der ersten kommt der Begriff der Existenz wieder ins Spiel, bei der zweiten aber die Korrelation der Gegenstände der Wahrnehmung (28) und des mind [Geist - wp]. Weiterhin wird nun der Zusammenhang beider Fragen diskutiert; die dauernde Existenz involviert die unabhängige und distinkte und vice versa [umgekehrt - wp]. Ungeachtet dieses logischen Äquivalenzverhältnisses besteht zwischen beiden Begriffen, wie sich später herausstellt, eine Differenz in Bezug auf den Ursprung, indem die Vorstellung der dauernden Existenz primitiv in der Imagination ihren Ursprung hat, während der Begriff der distinkten sich erst als Konsequenz einstellt (ebd. Seite 272). Deshalb verfolgt HUME auch direkt die erste Frage, "damit wir umso leichter die Prinzipien der menschlichen Natur entdecken, von denen die Entscheidung abhängt". Es wird nun erstens nachgewiesen, daß die Idee der beharrlichen Existenz weder in den Sinnen noch in der Vernunft (reason), sondern in der Imagination ihren Ursprung nimmt; und zweitens wie sie entsteht. Die Sinne können uns keine solche Idee gewähren, weil sie selbstverständlich nicht über den Akt der Wahrnehmung hinausreichen. Ebensowenig aber die einer independenten [unabhängigen - wp] äußeren Existenz; denn dann müßten sie ihre Eindrücke entweder als Abbilder dieses Äußeren oder als die unabhängige Existenz selbst darstellen; das erste kann nicht sein, weil sie uns immer nur eine einfache Vorstellung geben und uns niemals mit etwas daneben bekannt machen (Seite 242); die Annahme einer doppelten Existenz aber beruth auf einem Schluß, der nicht auf Rechnung der Sinne gesetzt werden kann. Auch werden die Eindrücke nicht durch eine Art von Täuschung (a kind of fallacy and illusion [eine Art Trugschluß und Jllusion - wp]) durch die Sinne als selbst distinkte Existenzen aufgefaßt, sonst müßten sie auch das zweite Glied der Relation, das "Ich" darstellen, welches, von der Wahrnehmung weit entfernt, ein unklarer metaphysischer Begriff ist. Alle Eindrücke sind ursprünglich gleichgestellt und erscheinen, von allen anderen Differenzen abgesehen, in ihren wahren Farben als Eindrücke oder Vorstellungen. Zwar scheinen die Sinne die Objekte unmittelbar als außerhalb von uns, d. h. außerhalb unseres Körpers aufzufassen, aber dieser Körper selbst ist uns nur als Eindruck gegenwärtig, und es fragt sich wieder erst, wie wir ihn als äußere Existenz auffassen (Seite 252). Auch kann man bei den Farben und Tönen bemerken, daß wir Objekten eine distinkte beharrliche Existenz zuschreiben können, ohne die Vernunft zu befragen, indem dieselbe hier gerade das Gegenteil aussagt. Überhapt sind alle Schlüsse des gemeinen Verstandes in diesem Punkt entgegengesetzt den durch Philosophie bestätigten. Der Philosoph belehrt uns, daß alles, was der Seele erscheint, nur Vorstellung ist und unterbrochen an die Seele geknüpft ist, wogegen die Masse der Menschen Vorstellungen und Objekte vermischt und eine distinkte und beharrliche Existenz den Dingen selbst zuschreibt, welche man fühlt und sieht. So bleibt die Imagination als einzige Quelle, und es handelt sich darum, die Qualitäten an den Vorstellungen und in der Imagination aufzuweisen, aus deren Zusammenwirken die Idee der beharrlichen Existenz entspringt. Für diese Deduktion ist zu beachten, was HUME an einer späteren Stelle bemerkt, daß sie, indem sie Rechenschaft gibt über einen naiven Glauben, auch die naive Voraussetzung, welche die äußeren Objekte als in der Wahrnehmung direkt gegeben betrachtet, adoptieren muß (29); "es ist nur eine einzige Existenz anzunehmen, welche gleichgültig Objekt oder Vorstellung genannt werden kann", Objekt wird man sie nennen können im Sinne des zu erklärenden belief und Vorstellung im Sinne des philosophischen Prinzips, daß alles Gegebene nur Vorstellung ist (Seite 262). An die spezifischen Qualitäten an den äußeren Objekten findet nun HUME die Konstanz und Kohärenz [Zusammenhang - wp] derselben.
Beim Vernehmen eines gewissen Geräusches bin ich gewöhnt, daß sich gleichzeitig eine Tür bewegt; jetzt höre ich dasselbe Geräusch, ohne dieselbe zu sehen und schließe, daß das ganze Phänomen im Widerspruch gegen alle frühere Erfahrung ist, wenn nicht die Tür, an welche ich mich erinnere, noch existiert. Übrigens, bemerkt HUME, ist dieser geistige Akt von der Verknüpfung in einem Kausalschluß noch zu unterscheiden, weil dabei ein höherer Grad von Gesetzmäßigkeit angenommen wird, als unseren Wahrnehmungen zukommt; die Annahme einer dauernden Existenz kann also nicht aus Erfahrung und Gewöhnung allein abgeleitet werden, es wirkt vielmehr noch das Prinzip der Imagination mit, nach einem Anstoß noch über denselben hinaus in demselben Sinn zu wirken;
Nun scheint aber zunächst die Erscheinung einer Wahrnehmung im Geiste und ihre Existenz dasselbe zu sein, und man mag zweifeln, wie man eine Wahrnehmung als existent und doch dem Geist nicht gegenwärtig betrachten kann (Seite 267). Hier wird nun ausdrücklich betont, daß dieser Zweifel das Faktum der fraglichen Annahme selbst nicht berühren kann, sondern nur die Prinzipien, aus denen sie zu erklären ist. Selbst der Philosoph, solange er nicht reflektiert, betrachtet die Wahrnehmungen als seine einzigen Objekte und schreibt ihnen eine beharrliche Existenz zu;
Als letzter Punkt kommt nun der belief an die beharrliche Existenz. Der belief, oder die Lebhaftigkeit einer Idee, entspringt aus einer Impression, die einen leichten Übergang zur Idee gestattet. Im vorliegenden Fall gibt uns das Gedächtnis eine Anzahl Eindrücke, die durch die Fiktioin einer beharrlichen Existenz verbunden werden, in deren zeitlichem Verfließen sie sich einschmelzen und demzufolge ihre Lebhaftigkeit auf diese Fiktion übertragen. Aus der Idee der beharrlichen Existenz folgt die der distinkten. Erfahrung und Vernunft vereinigen sich aber, um den letzteren Begriff zu vernichten und so auch rückwärts jene erste Annahme als Täuschung zu enthüllen. Unsere sinnlichen Wahrnehmungen sind an unsere körperlichen Organe und überhaupt die physische Organisation geknüpft, wie die Erfahrung beweist (Seite 272). Daraus sollte man richtig schließen, daß sie ebensowenig eine beharrliche wie eine independente Existenz haben. Hier eröffnet sich aber das philosophische System, welches beiden Prinzipien, der Imagination und der Vernunft, gerecht zu werden sucht, und zu diesem Zweck zwischen Vorstellung und Gegenstand unterscheidet und nun die erste als unterbrochen und vergänglich, den letzteren als dauernd ansieht. HUME bekämpft dasselbe mit dem Nachweis, daß es selbst auf der vulgären Voraussetzung ruht und keine selbständige Empfehlung für Vernunft oder Imagination hat (Seite 273).
Was ist nun das Resultat dieser Kritik? In ihrem Ausgangspunkt gestand sie ein unbedingtes Zutrauen zu den Sinnen, und im Endpunkt entwickelt sich das Gefühl des Mißtrauens zu den Sinnen und der Imagination, welche uns offenbar in eine grobe Jllusion versetzt. Ebenso absurd, wie die naive Vorstellung, erweist sich aber das philosophische System, es leugnet die Objektivität in den Vorstellungen und setzt dafür Gegenstände, welche zuletzt doch auch bloß vorgestellt sind, "denn wir können es wohl im allgemeinen voraussetzen, aber unmöglich uns deutlich vorstellen, daß Objekte im Wesen etwas anderes sind als Vorstellungen" (Seite 281). So entspringt ihr zuletzt der skeptische Zweifel wider Vernunft und Sinne, eine Krankheit, welche niemals radikal geheilt werden kann; sie steigert sich mit tieferem Nachdenken und Sorglosigkeit und Unaufmerksamkeit sind das einzige Mittel gegen sie (Dieselben Gedanken in kürzerer Zusammenfassung entwickelt die Inquiry XII. 1) Man darf wohl behaupten, daß in dieser Untersuchung die kritische Überlegenheit HUMEs über LOCKE sich in hervorragender Weise zeigt. Es ist die Aufgabe der Kritik, jede Annahme des naiven Denkens als Tatsache nach ihrer wahren Bedeutung und ihren Gründen zu prüfen; finden wir dieses Prinzip bei LOCKE schon bis zu einem gewissen Umfang in Anwendung gebracht, so bleibt doch einer der fundamentalsten Begriffe des gemeinen Verstandes, der einer äußeren objektiven Welt, in naiver Unberührtheit und geht so in das System mit ein. Daß BERKELEY sein ganzes Philosophieren an denselben anknüpft, beweist seine Wichtigkeit; freilich bliebt dieser in seinem Resultat mehr negierend, indem er der philosophischen Übertreibung des Begriffs entgegentritt mit seinem esse = percipi (Principles Nr. 2). Aber zugestanden, daß der gemeine Mensch mit seinem ens nichts meint als ein perceptible [wahrnehmbar - wp], so ist es doch erforderlich, Rechenschaft zu geben über den Unterschied der objektiven Vorstellung von der bloß subjektiven. In der Lösung dieser positiven Aufgabe besteht das eigentümliche Verdienst HUMEs. Der Charakter der Objektivität entspringt aus zwei Bestimmungen des Gegebenen: der Kohärenz und der Konstanz. Der Begriff der beharrlichen Existenz ist aber ein Element des alten Substanzbegriffs, dessen Analogon oder vielleicht dessen Grundlage der Begriff des in der Veränderung Identischen ist, worin, wie wir sahen, nach HUME die eigentümliche synthetische Form der Dingvorstellungen besteht. So hat diese Sache noch einen spezielleren Zusammenhang mit unserem Thema, indem man nach der Beteiligung fragen kann, die etwa der Subststanz-, bzw. der Dingbegriff am Begriff der Objektivität hat. In der Tat besteht nun zwar ein Unterschied der Synthese in beiden Fällen; im Dingbegriff wird das gegebene sukzessive Mannigfaltige verschmolzen, im Begriff der beharrlichen Existenz dagegen erstreckt sich die Synthese über das Gegebene hinaus, worin gerade das Spezifikum derselben liegt. Doch ist der Charakter des Prozesses der Imagination bei beiden Begriffen ganz derselbe, es ist der Fluß der durch Relation verbundenen Vorstellungen, nur daß im letzteren Fall die Phantasie gewissermaßen ins Vakuum hineinarbeitet, indem sie die Bewegung spontan fortführt, welche ihr im ersten Fall von einem Materiellen gegeben wird. Betrachtet man aber andererseits die Ableitung des fraglichen Begriffs aus den zu ihm vorhandenen Datis, so findet sich neben dem Element der Konstanz das der Kohärenz, welches nur in indirekter Weise einen Prozeß der angegebenen Art hervorruft. Die nahe Verwandtschaft des Vorgangs in diesem Fall mit einem Kausalschluß veranläßt HUME ausdrücklich, den Unterschied beider hervorzuheben. Wird man aich zustimmen können, daß ein solcher Unterschied besteht, so ist doch ein sehr enger Zusammenhang beider unverkennbar. Wenn HUME in der Voraussetzung einer objektiven Welt die Annahme eines höheren Grades von Gesetzmäßigkeit fand, als er unseren Wahrnehmungen zukommt, so läßt sich bemerken, daß in jedem Kausalschluß dieselbe Voraussetzung gemacht wird; denn die Erwartung einer zukünftigen Verbindung zweier Phänomene übersteigt die vergangene Erfahrung und supponiert einen höheren Grad von Gesetzmäßigkeit; auch hier setzen wie eine Verknüpfung voraus zwischen einem Gegenwärtigen (der Ursache) und einem Nichtgegenwärtigen (der Wirkung), und involvieren also im Begriff des letzteren die Voraussetzung einer beharrlichen Existenz. Es gibt keine vollkommene Identität und keine vollkommene Kausalität in den Erscheinungen, ohne diesen letzteren eine vom Wahrnehmungsakt unabhängige Bedeutung zu geben; und umgekehrt: die Annahme einer solchen ist nichts als die Idee einer vollkommenen Identität und vollkommenen Kausalität. So stehen wir nah an dem kantischen Satz: Die Objektivität der Erscheinungen entspringt aus ihrer Subsumtion unter reine Verstandesbegriffe. Der Charakter von HUMEs Deduktion selbst ist ein psychologischer, dadurch unterscheidet sie sich, wie das ganze Philosophem, trotz großer Ähnlichkeit in manchen Einzelheiten, im Ganzen von der kantischen. KANT erklärt ausdrücklich, daß bei ihm nicht von einer Entstehung der Erfahrung die Rede ist, sondern von dem, was in ihr liegt (Prolegomena § 21a). Das Erstere gehört zur empirischen Psychologie, das Letztere zur Kritik des Verstandes. Die psychologische Methode ist bis heute fast ausschließlich in der englischen Philosophie angewandt, und ein Philosoph wie MILL geht noch in fast derselben Weise vor wie HUME, mit dem er auch in manchen Prinzipien übereinkommt (vgl. dessen "Examination of Sir William Hamiltons Philosophy). Unbeschadet des hohen Werts der Psychologie wird man doch behaupten dürfen, daß sie nicht berufen ist, in diesen Dingen das letzte Wort zu sprechen. In dieser Beziehung ist es bemerkenswert, daß HUME schon bei seiner Deduktion selbst, ehe noch das skeptische Hauptmotiv zur Sprache kommt, die Vorstellung einer objektiven Welt als eine Jllusion bezeichnet, und beim Unterproblem der Identität gleich die Frage stellt nach der Quelle des Irrtums in diesem Fall (the source of error and deception). In der Tat, läßt sich irgendein Erfahrungsbegriff als Produkt eines nach Gesetzen des bloßen Vorstellens aufgrund gewisser gegebener Data sich vollziehenden psychologischen Prozesses erklären, so wird man demselben den psychologischen Zwang, den er ausübt, nicht nehmen, aber er wird sich in den Händen des Forschers zersetzen und in jenen seinen Elementen erscheinen, in denen nichts von den Eigenschaften der Verbindung liegt. Wo der gemeine Mensch eine Kraft sieht, sieht der psychologische Philosoph eine wiederholte Sukzession zweier Erscheinungen und ein Assoziationsprinzip des Sukzessiven; wo der erstere eine äußere reale Welt imaginiert, findet der Letztere einige Prinzipien der Imagination und gewisse Relationen in den Datis der Wahrnehmung. So kann ein solches Vorgehen kein anderes Resultat haben, als die Erkenntnis eines Jllusionismus, in dem das naive Denken befangen erscheint. Dabei ist die Philosophie, deren Resultat diese superiore [übergeordnete - wp] Einsicht ist, keineswegs in einem so hohen Grad von der naiven Vorstellungsweise emanzipiert, als es scheinen möchte. Zu den Datis, welche sie annimmt, kann sie gelangen, ohne vorläufig sich derselben hingegeben zu haben. Die Begriffe der Konstanz und Kohärenz z. B. sind aus der Vorstellung einer objektiven Welt herausgerissen und werden nun nachträglich als ursprünglich gegebene Data hingestellt. In ihrem wahren Licht erscheint die Psychologie, wenn sie ihren richtigen Ausgangspunkt in der Physiologie nimmt. Diese gibt uns an die Hand, daß der ganze Vorstellungskreis, objektiv-empirisch betrachtet, seinen Ursprung in der Empfindung hat, und insofern genetisch aufgefaßt werden muß; zugleich aber erhellt sich dabei, daß diese Auffassungsweise keine letzte sein kann, weil ihr selbst schon sehr komplizierte Erfahrungsbegriffe zugrunde liegen; die Frage, wie ist Erkenntnis und Erfahrung möglich, kann sie nicht beantworten, weil sie selbst Erfahrung und zwar eine bestimmte Erfahrung, voraussetzt. Nichtsdestoweniger ist kein Irrtum häufiger als der, auf empirisch-psychologischem Weg transzendentale Fragen entscheiden zu wollen, ein hysteron proteron [das Spätere vor dem Früheren - wp] der gröbsten Art. Aus diesem entspringt auch die skeptische Wendung, welche HUME am Schluß seiner Untersuchung nimmt. Der unabhängigen äußeren Existenz widerspricht, so argumentiert er, die Erfahrung, welche die Bedingtheit der Wahrnehmungsobjekte durch unsere körperlichen Organe beweist. Reden wir in der Sprache HUMEs, so enthält diese Erfahrung selbst schon die naive Annahme, deren Irrtümlichkeit durch sie bewiesen werden soll; und so macht der Skeptiker denselben Fehler, welchen er dem philosophischen System nachwies. Immerhin aber findet sich hier Stoff zur Skepsis; denn es zeigt sich eine Art von Zirkelbewegung, in welche das Denken notwendig gerät. Ausgehend von der Voraussetzung einer objektiven Bedeutung der Wahrnehmungen, entdeckt der Forscher hinterher, daß uns in der Wahrnehmung nur Vorstellungsbilder gegeben sein können. Hat man auf dieses Faktum neuerdings vielfach einen gewissen physiologischen Idealismus gegründet, so erhellt sich die Irrigkeit desselben aus dem Vorhergehenden. Es scheint hier noch ein Problem vorzuliegen (das schon mehrfach angedeutete psychologische oder physiologische), dessen Lösung aufgrund einer richtigen Deutung der psychophysischen Tatsachen von der Zukunft zu erwarten ist.
25) Die fundamentale Unterscheidung HUMEs zwischen Erkenntnissen von Tatsachen und bloßen Vorstellungsverhältnissen hat sich übrigens schon bei LOCKE entwickelt (Essay IV, 9. § 1) 26) Ich denke bei diesem Vergleich in erster Linie an MILL. 27) Ein Satz, der sich auch HUME aus der Betrachtung der Natur des Denkens überhaupt ergab (vgl. Treatise IV 1: in dieser Hinsicht verkommt alles Wissen zur Wahrscheinlichkeit und diese Wahrscheinlichkeit ist immer größer oder geringer ...) 28) Um einen Irrtum zu vermeiden, muß man stets bei HUME den Doppelsinn des Wortes perception beachten, welches einmal den Akt der Wahrnehmung, andererseits aber auch die Vorstellung bezeichnet. 29) Ähnlich drückt sich BERKELEY aus (Principles Nr. 57): in such things we ought to think with the learned the learned and speak with the vulgar [in diesen Dingen sollten wir wie Gebildete denken, aber wie Gemeine sprechen - wp]. 30) Ähnlich kritisiert schon BERKELEY (Principles Nr. 56) |